Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: WALL*E (2008)

2008 war für mich vor allem ein Jahr starker Animationsfilme, so dass sich im Endeffekt zwei um die Spitzenposition stritten: Sollte ich den politisch und filmisch relevanteren, den beeindruckenden Waltz with Bashir zum Film des Jahres krönen? Oder den fluffigeren aber Animationsgeschichtlich mindestens ebenso interessanteren WALL*E? Im Endeffekt gaben die Filmkritiker von Los Angeles für mich den Ausschlag, die WALL*E ebenfalls zum Film des Jahres wählten. “Dann darf ich auch”, dachte ich mir.

WALL*E, der zweite Film von Pixar-Regisseur Andrew Stanton, der schon Finding Nemo gemacht hatte, ist in vielerelei Hinsicht ein herausragendes Stück Film. Er traut sich, am Anfang des Films in der Animationsgeschichte zurückzugehen und 20 Minuten lang fast nur stumm zu erzählen. Er stellt zwei Looks der SF-Geschichte, die dreckige, staubige Erde und das klnische, weiße Raumschiff, einander gegenüber und setzt einen vermittelnden Charakter dazwischen, der an Liebenswürdigkeit kaum zu überbieten ist.

Man fühlt mit WALL*E, obwohl er nicht spricht und obwohl er ein Roboter ist, und das ist bemerkenswert. Der Grund ist, dass Stanton inmitten seiner robotischen Umgebung Bilder von erstaunlicher Poesie findet, besonders in der zentralen “Define Dancing”-Sequenz des Films, als WALL*E und EVE miteinander durchs All wirbeln. Der sense of wonder, der die SF definiert – hier ist er wieder einmal richtig greifbar.

Das Drehbuch ist diesmal nicht so stark wie bei Nemo, aber die Erzählweise des Films mit wenig Worten und umso mehr Sounds und einem grandiosen Soundtrack von Thomas Newman und Peter Gabriel, machen das wieder wett. WALL*E ist kein großer, bedeutender Film, aber ein kleines Juwel, das einem wirklich ans Herz wächst.

Waltz with Bashir ist dafür bedeutend und mindestens ebenso gut. Ari Folman nutzt hier (so wie im Jahr zuvor Marjane Sartrapi mit Persepolis) Animation um das Unvorstellbare und das Persönliche vorstellbar zu machen. Das gelingt ihm mit Bildern, die einen noch lang verfolgen. Damit man sich aber nicht darin verliert, setzt er als Ausrufezeichen eine Filmsequenz von den realen Schrecken des Massakers von Sabra und Schatila an das Ende des Films und weckt so zwar nicht subtil aber umso effektvoller den Zuschauer wieder auf, der somit die gleiche Reise durchmacht wie der Protagonist.

Slumdog Millionaire, der Liebling der Kritiker und der bisher größte Film von Danny Boyle, konnte mich nicht ganz so überzeugen. Ich fand ihn zwar gut, aber die wesentlich bessere Romanvorlage verdarb mir etwas den Spaß. Besser gefiel mir da schon der brillant geschriebene In Bruges, der mich so zum Lachen brachte wie schon lange davor nichts mehr.

Zwei beeindruckende Charakterstudien, eine fiktional, eine biografisch, hatte 2008 ebenfalls zu bieten: Milk und The Wrestler, die nicht zuletzt auch die Fertigkeit ihrer Regisseure Gus van Sant (Bilder) und Darren Aronofsky (Erzählung) perfekt in Szene setzten. Hunger von Steve McQueen hat beides und lässt einem mit einem eindrucksvoll-beunruhigten Gefühl zurück.

Gewohnt gut, aber jeweils nicht überragend fand ich die beiden neuen Filme von Regisseuren, die beide rund zehn Jahre zuvor ihre Meisterstücke abgeliefert hatten: The Curious Case of Benjamin Button war mir etwas zu überfrachtet , Revolutionary Road packte mich eher intellektuell als im Bauch. Auf beiden Ebenen funktionierte hingegen Gomorra.

2008 war ein Jahr dreier großer Comic-Filme. In erster Linie natürlich The Dark Knight, der aber meiner Ansicht nach (auch nach erneutem Gucken) ein wenig an seiner eigenen Unplausibilität krankt. Hellboy II – The Golden Army liegt mir mit seinen Charakteren und seinem Setting irgendwie mehr. Im Nachhinein gefällt mir aber vermutlich Iron Man wegen seiner coolen Fuck-You-Attitüde am besten.

Einen verdienten Doku-Oscar bekam Man on Wire, der eigentlich einfach nur ein verdammt guter Caper Movie mit bewegendem Finale ist. Zwei kleine Lieblinge sah ich auf dem Filmfestival von Edinburgh: Good Dick, die abgefuckteste romantische Komödie, die man sich vorstellen kann, und L’Heure d’été, der mir wegen seiner Charakterzeichnung sehr gut gefiel.

Was fehlt? Australia (zu recht), der sich nicht entscheiden konnte, was er sein will. Frost/Nixon, den ich nochmal sehen muss, damals aber nur durchschnittlich gut fand. Die völlig verkorkste Bond-Fortsetzung Quantum of Solace. Bienvenue chez les Ch’tis, den ich einfach nicht komisch fand. Und Speed Racer, der sich traute, optisch in Regionen vorzudringen, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hatte, aber sonst einfach gar nichts hatte, Gar Nichts. Schade eigentlich.

Ach ja, Frohe Weihnachten an alle! Nächste Woche dann die Enthüllung meiner Lieblingsfilme dieses Jahres.

Dieser Beitrag ist Teil 9 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Ein paar Gedanken zu Avatar, James Cameron und 3D

Der ursprünglich geplante Titel dieses Blogeintrags war “Wie James Cameron mich immer wieder Glauben macht”. Aber nachdem ich heute wieder einige Sachen in 2D gesehen habe (Where the Wild Things Are und The Princess and the Frog und die Trailer davor), wollte ich den Bogen noch etwas weiter spannen und noch einmal allgemein über 3D und das momentane Effektkino schreiben wie ich es hier schon mal gemacht habe.

Aber trotzdem zunächst zu James Cameron. Terminator 2 ist vermutlich der wichtigste Film meiner Jugend, nicht zuletzt weil er ein Schlüsselstein in meinem Interesse für Spezialeffekte und CGI war. Superman hatte 1978 mit dem Spruch geworben You will believe a man can fly und T2 bedeutete für mich, dass ich daran glaubte, dass ein Roboter aus frei formbarem Flüssigmetall bestehen kann. Erst als ich mir viele Jahre später die DVD kaufte und ein paar Making ofs sah, begriff ich, dass gar nicht der ganze T-1000-Kram tatsächlich im Computer gemacht wurde, nur einige wenige Szenen. Aber die Illusion war (wie zwei Jahre später bei Jurassic Park) perfekt.

1997 lehrte mich dann wiederum Titanic eine neue Lektion in Glaubwürdigkeit. Nachdem ich ihn gesehen hatte (und die Story nicht so mochte aber ihn sonst okay fand), sah ich irgendwann mal ein Making of im Fernsehen und begriff da erst, wie viele Szenen, die ich für echt gehalten hatte, hier im Computer entstanden waren. Heute kann ich solche Shots erkennen, aber damals war ich noch ein CG-Newbie. Wiederum war es also James Cameron gelungen, mich an der Nase herumzuführen, diesmal im Bereich der “unsichtbaren” Effektshots, die nicht als solche wahrgenommen werden können.

Und dieses Jahr, 2009, hat mich Avatar zum dritten Mal an CG glauben lassen. Nach all den Effektschlachten der letzten Jahre, beispielsweise bei Harry Potter und den anderen SF/Fantasy-Konsorten hatte ich mich darauf eingestellt, dass man eine gute CG/Live-Action-Verschmelzung nur hinkriegt, wenn man dafür den Colour Grade so hochschraubt, dass das ganze unwirklich wird (für mich die erste Kategorie meiner Theorie von der “Neuen Digitalen Ästhetik”).

Avatar macht das allerdings nicht so. Die Welten von Pandora sind, wenn auch farblich mit ihren ganzen phosporeszierenden Pflanzen etwas psychedelisch ziemlich photorealistisch glaubwürdig. Hier verschwimmt nicht alles in weißen Rändern und Composting-Glows und gephotoshoppen Himmeln. Zugegeben, manchmal drückt Cameron auch hier etwas zu sehr auf die Weißabgleich-Taste, aber viele viele Shots draußen im Dschungel wirken echt und anfassbar. Und auch das Einfügen von menschlichen Charakteren (vor allem bei emotionalen Höhepunkten wie dem Treffen zwischen Neytiri und Sams echtem Körper) funktioniert perfekt.

Den Schlüssel für diese Glaubwürdigkeit sehe ich in der Dreidimensionalität. Cameron packt einfach noch eine Lage Effektkino auf seine Computerbilder drauf, die einen mit ihrer Attraktion so gefangen nimmt, dass man gar keine Kapazität mehr übrig hat, um auf die Unwirklichkeit der CG-Welt zu achten. Sie gibt dem Film die Glaubwürdigkeit, die er ohne vielleicht nicht hätte. 3D ist bei Avatar das, was Colour Grading bei Lord of the Rings war: Das Extra-Sahnehäubchen, das es braucht, um die Welt zum Leben zu erwecken.

Und das scheint mir der momentane Sinn von 3D zu sein. Es ist der zusätzliche WOW-Effekt, der den Sense of Wonder im desillusionierenden Computerkino (das mir extrem beispielsweise in den nur noch künstlich wirkenden Welten von 2012 aufgefallen ist) wieder herstellt. Der neue Schub für das Cinema of Attractions der zweiten Zehner Jahre in der Filmgeschichte.

Sehr bewusst geworden ist mir das heute nochmal, als ich die Trailer für Cloudy with a chance of Meatballs, Alice in Wonderland und How to Train Your Dragon, die ich bisher nur in 3D gesehen hatte, noch einmal in 2D gesehen habe. Plötzlich erschien mir hier alles wesentlich flacher und langweiliger als noch zuvor, es hatte ein bisschen was von seinem Reiz verloren.

3D ist und bleibt also nur ein Gimmick, aber ein wichtiges Gimmick, dass dem CG-überfrachteten Kino seinen Groove und damit seine Glaubwürdigkeit zurück gibt. Ohne gehts auch im Neuen Digitalen Ästhetik-Kino, aber es ist wesentlich langweiliger. Ich glaube, damit hat das 3D-Kino endgültig seine zweite Phase erreicht, analog zum Farbfilm (diese Analogie sehe ich nach wie vor) also diejenige, wo man sich bestimmte Filme ohne 3D (=Farbe) nur noch schlecht vorstellen kann.

Jetzt muss es nur noch die dritte Phase erreichen, in der es Normal (ja, mit großem N) wird und anfängt zum Kino-Establishment zu gehören, auch außerhalb von Filmen mit viel Computerzeugs.

Worte zum Wochenende

In ernster Anerkennung dieser charmanten aber deutlichen Kritik des inzwischen abgetretenen ARD-Programmdirektors und Nachwuchs-Talkshow-Gastgebers verleiht das Medienmagazin DWDL.de jetzt jährlich den Goldenen Günter an Personen, Formate und Unternehmen, die ziemlich “ui-jui-jui” waren.

Thomas Lückerath , DWDL.de
// Der goldene Günther 2009 – Das sind die Gewinner

In press screenings, wisecracks are always acceptable. One film, I remember, was produced by a US company with a classy, British-sounding name: Hyde Park Entertainment. When their logo flashed up – bafflingly featuring London’s Tower Bridge, which is miles from Hyde Park – the Daily Mail’s Chris Tookey remarked acidly: “Yes, well, that doesn’t inspire confidence!” Much giggling ensued.

Peter Bradshaw , guardian.co.uk
// When it’s perfectly OK to talk during a film

Leser zu beschimpfen aber ist ebensowenig zielführend wie Mediaagenturen und Anzeigenkunden dafür zu kritisieren, dass die für Werbung im Netz so wenig zahlen. Märkte reagieren in der Regel weder auf Appelle noch auf Drohungen.

Christian Stöcker , Spiegel Online
// Springer-Chef schimpft auf “Web-Kommunisten”

A good reveal will not just happen, but will be the culmination of a series of gestures that draw you in to a state of curiosity, suspense and anticipation. In short, if they’ve spent a lot of money on their biggest selling point, they’re going to make you wait to see it.

Dan North , Spectacular Attractions
// How Special Effects Work #4, The Reveal

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Sunshine (2007)

Dass ich 2007 einen etwas ungewöhnlichen Film als Nummer 1 meines Jahresfilmkonsums festlege, ist kein Zufall. für den ich mich selbst damals schon ein bisschen vor mir selbst rechtfertigen musste. 2007 beendete ich mein Studium der Filmwissenschaft und entschied mich dafür, mein Glück an einer Promotion zu versuchen – über Danny Boyle, den Regisseur von Sunshine, der mir so gut gefallen hatte, dass ich dachte, ich könnte es wagen (warum es nicht geklappt hat, ist eine andere Geschichte).

Tatsächlich aber halte ich Sunshine auch heute noch für einen der besten Science-Fiction-Filme des letzten Jahrzehnts. Er verbindet den “sense of wonder” von Klassikern wie 2001 mit dem psychologischen Schrecken des ersten Alien-Films und er macht das ziemlich gut. Im Kino hat es mich beim Ansehen enorm in den Sitz gedrückt. Seine Schwäche liegt leider im dritten Akt seines Drehbuchs (von Alex Garland). Sobald die Crew der Icarus auf ihren zum Gottesanbeter gewordenen Vorgänger trifft, driftet die Geschichte manchmal etwas auseinander, der finale Kampf erschließt sich dem Zuschauer nur noch sehr spärlich.

Das ändert nichts an den tollen Bildern, sowohl außerhalb als auch innerhalb des Schiffs, der guten Musik und einem Cast, den ich in seiner Zusammensetzung der Original-Alien-Crew durchaus ebenbürtig finde: Cillian Murphy, Michelle Yeoh, Chris Evans, Rose Byrne, Hiroyuki Sanada.

Aber ich würde Sunshine heute nicht mehr als den besten Film des Jahres 2007 bezeichnen. Diese Ehre geht mit Abstand an There Will Be Blood, Paul Thomas Andersons furiose Schlacht um Öl und Wahnsinn, die mich – als ich den Film dann endlich gesehen hatte – doch stark beeindruckt hat und sicherlich länger halten wird als jener andere sehr gute Film, der den Academy Award mit heim nehmen konnte: No Country for Old Men. Sehr clever und sehr gut war auch Zodiac von David Fincher, der von der Award Season ein bisschen vernachlässigt wurde.

2007 war ein Jahr, in dem die unterschiedlichsten Sachen gut waren. Marjane Sartrapis hervorragender Zeichentrickfilm Persepolis zum Beispiel, Robert Thalheims Am Ende kommen Touristen (allein wegen des Titels), aber auch Hairspray und Enchanted, die quietschigsten Bonbon-Filme der letzten Zeit, und Hot Fuzz, der nur ein bisschen zu verquast ist, manchmal.

Tolle Bilder gab es auch bei The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford (mit einem großen Brad Pitt) und bei Across the Universe, der viele geniale Beatles-Arrangements vorweist aber eben leider nur eine Art Nummernrevue ist. Wahnwitzige Bilder zeigte auch 300, der die Technik von Sin City perfektionierte, nicht ohne allerdings den Faschist-O-Meter noch ein paar Rasten weiterzudrehen.

Unter die Haut gingen mir Le Scaphalage et le Papillon (wahnsinnig gut!) und The Kite Runner, bei dessen Steinigungsszene ich im Kino richtiggehend zusammengezuckt bin. Zwei Komödien standen bei den Kritikern 2007 hoch im Kurs und während ich Knocked Up ebenfalls sehr gut fand, nervte mich Juno wegen seiner abgegriffenen Indie-Klischees leider extrem.

Zwei Award-Season-Filme fehlen zum Schluss noch: Ratatouille setzte für mich leider die Serie der schwächeren Pixar Filme fort (an den Haaren Ziehen? Was soll denn der Quatsch?) und Atonement war eine gelungene Romanadaption mit gut geführten und wohl besetzten Schauspielern.

Dieser Beitrag ist Teil 8 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Medien in Deutschland

Gemeinsam mit meinen Redaktionskollegen Michael Ridder und Ellen Reglitz habe ich für die aktuelle Ausgabe des Magazins Deutschland, eine Art Deutsche Welle im Printformat, ein paar Zusammenfassungen über die Deutsche Medienlandschaft geschrieben. Von mir stammen die Artikel über Zeitschriften und eigentlich auch der über Social Networks, allerdings ist der Artikel, den ich geschrieben habe, in der veröffentlichten Fassung nur noch in Bruchstücken erkennbar. Über die Änderungen hat leider zu keiner Zeit jemand mit mir gesprochen.

Worte zum Wochenende

[W]hat’s remarkable about the recent wave of industry and academic reports on journalism is the degree to which they consolidate the “new conventional wisdom” in ways that would have seemed insane even a few years ago. In other words, we now kinda-sorta know things now that we didn’t before, and maybe we’re even close to putting some old arguments to bed.

C. W. Anderson , Nieman Journalism Lab
// Next year’s news about the news: What we’ll be fighting about in 2010

A tangled love story? Too many villains? A hero struggling with his demons? Unless I’m mistaken, that sounds just like Spider-Man 3 – a superhero movie legendary in its bloated naffness. We’ve still got six months before Iron Man 2 is released – what’s the betting that we’ll soon start seeing magazines filled with exclusive on-set photos of the excruciating scene where Tony Stark dances around and cooks some eggs with Pepper Potts, or the bit where he grows a new haircut to indicate that he’s turned evil?

Stuart Heritage , guardian.co.uk
// Why I’m starting to worry about Iron Man 2

After years of hype, loads of trailers and TV spots, and an unprecedented pre-release teaser screening in more than 100 theaters, James Cameron’s Avatar opens next Friday with a single question hanging in the air: What in the hell is going on with the blue cat people?

Josh Levin , Slate
// Here Come the Cats With Human Boobs

Bei der publizistischen Begleitung dieses Prozesses, der viel Angst und Ressentiment freisetzt, herrscht ein erstaunliches Einverständnis über eine moralisch grundierte volkspädagogische Perspektive, die bei der Berichterstattung einzuhalten sei. Dass Medien als Transmissionsriemen einer nur diffus umrissenen “Integration” zu funktionieren haben, gilt vielerorts als Leitlinie redaktioneller Praxis.

Heribert Seifert , Neue Zürcher Zeitung
// Aufklärer, Schönredner und Prediger

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Children of Men (2006)

Ich glaube, dass Children of Men einer der unterschätztesten Filme des Jahrzehnts ist, vor allem aber des Jahres 2006 – auch wenn viele Kritiker ihn mochten und lobten, war der Film sowohl an den Kinokassen als auch in der Award Season wenig erfolgreich, und das obwohl er auf so vielen Ebenen begeistert.

Alfonso Cuarons Film enthält einige ewig lange Kameraeinstellungen, deren perfekte Ausführung jedes Filmformalistenherz höher schlagen lassen. Hinzu kommt eine Menge angenehm subtiler Visual Effects und ein so behutsames Design, dass diese Zukunftsvision einfach sehr glaubhaft ist. Man füge außerdem eine Szene mit “In the Court of the Crimson King” hinzu, und man hat mich schon gewonnen.

Viel wichtiger ist aber, dass Children of Men einfach ein verdammt guter Science-Fiction-Film ist, weil er die eigene Gegenwart so gekonnt in die Zukunft spinnt. Aktuelle Probleme wie Terrorismus, Flüchtlinge und rückläufige Geburtenraten greift er (basierend auf dem Buch von P. D. James) auf und schöpft daraus ein Szenario, das er mit großartigen Schauspielern (Clive Owen, Julianne Moore, Michael Caine, Chiwetel Ejiofor, Peter Mullan) bevölkert und das, weil es so realistisch wirkt, sehr beklemmend ist. Sein Realismus zeichnet den Film aus: Die Kampfszenen im Flüchtlingscamp zum Ende des Films hin scheinen eher wie heutige Kriegsszenen vom Balkan oder aus Bagdad. Eingebettet in ein SF-Szenario können sie aber auf eine andere Weise wirken, die nicht so stark die “Von Krieg will ich nichts wissen”-Reflexe triggert.

Zugegeben, der Film krankt stellenweise an den üblichen Problemen: Exposition über die imaginierte Vergangenheit muss möglichst beiläufig in Dialoge eingeflochten werden, was nicht immer gelingt. Manchmal ist seine Bildsprache ein wenig zu symbolträchtig. In der hervorragenden Gesamtheit seiner künstlerischen Vision jedoch kann man darüber hinwegsehen. Ich würde ihn jederzeit wieder zum Film des Jahres ernennen.

2006 war das Jahr der Mexikaner. Neben Cuarons Children of Men begeisterte auch El Laberinto del Fauno von Guillermo del Toro die Menschen (inklusive mir) und Babel kam auch sehr gut an (ich fand ihn etwas zu betulich bemüht). Es war außerdem das Jahr von Martin Scorsese, der nach all seinen großen Historienschinken mit The Departed mal wieder einen geschliffenen, spannenden Thriller hinlegte. The Last King of Scotland gefiel mir ebenfalls vor allem in seiner Drehbuchkonstruktion sehr gut.

Christopher Nolan machte zwischen seinen beiden Batmans ein kleines Meisterwerk: The Prestige, ein gerne übersehener Geheimtipp. Und wo wir gerade bei Geheimtipps sind, Richard Linklaters A Scanner Darkly ist zwar nicht ganz einfach zugänglich – wenn man ihn aber durchdringt, kann man ihn als Freund guter SF eigentlich nur mögen. Ich mochte auch Michel Gondrys Science of Sleep, auch wenn er die Rafinesse seines Vorgängers Eternal Sunshine vermissen ließ. Und ich fand, dass Das Parfum eine solide, gute Arbeit von Tom Tykwer war, die das Buch angemessen auf den Bildschirm übertrug.

V for Vendetta mochte ich damals auch, ich bezweifle allerdings, dass der Film einer zweiten Sichtung standhält – wo wir allerdings gerade bei Explosionen sind: Mission: Impossible III von JJ Abrams wusste dank Philipp Seymour Hoffmann als guilty Pleasure auch zu begeistern ebenso wie der neue Bond Casino Royale wegen seiner vielen frischen Ideen.

2006 bot auch zwei gute Komödien: Little Miss Sunshine und Thank You For Smoking und viel zu viele – und dafür in der Summe umso enttäuschendere – Animationsfilme, allen voran der schwächste Pixar-Film Cars. Auf den Hype um Borat konnte ich dank mangelnder Witzigfindung leider nicht aufspringen und werde es wohl auch nicht mehr.

Half Nelson mit einem tollen Ryan Gosling und einem sehr atmosphärischen Soundtrack von Broken Social Scene bekam ebenso die verdiente Aufmerksamkeit der Academy wie The Queen, dessen eher zurückgenommener Inszenierungsstil ihm allerdings ein wenig das Kinoformat nahm. Und schließlich war da noch der Doppelschuss von Clint Eastwood, Flags of our Fathers und der hochgelobte Letters from Iwo Jima, den ich allerdings leider noch nicht gesehen habe. Das ist dann etwas fürs nächste Jahrzehnt.

Dieser Beitrag ist Teil 7 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Aus den Schatten – Ninja Assassin

USA 2009 Regie: James McTeigue. Buch: Matthew Sand und J. Michael Straczyski. Kamera: Karl Walter Lindenlaub. Produktion: Joel Silver, Andy Wachowski, Larry Wachowski, Grant Hill.
Mit: Rain, Naomie Harris, Ben Miles, Shô Kosugi, Randall Duk Kim.
Länge: 99 Minuten.
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 10.12.2009

Bei manchen Filmen ist sie schwer zu erkennen, die Grenze zwischen „schlecht“ und „so schlecht, dass es wieder gut ist“. Der neueste Streich aus der Talentschmiede der Wachowskis, NINJA ASSASSIN, scheint jeweils einen Fuß fest auf jeder Seite dieser Grenze zu haben. Da gibt es angenehm selbstironische Szenen, in denen eindeutig klar wird, dass Regisseur James McTeigue (V FOR VENDETTA) gar nicht versucht hat, einen ernsthaften Film abzuliefern, die dann allerdings im allgemeinen Chaos der leider nicht immer guten Kampfszenen wieder in Vergessenheit geraten.

Der im Internet gerne ausgetragene Kampf, wer jetzt eigentlich mehr „Awesomeness“ auf dem Kasten hat, Piraten oder Ninjas, wird in NINJA ASSASSIN jedenfalls klar zugunsten der Ninjas entschieden: Ninjas sind im Schatten grundsätzlich unsichtbar und so schnell, dass ihre Opfer gar nicht wissen wie ihnen geschieht, bevor sie in Scheiben zerschnetzelt werden. Das ist natürlich ziemlich „awesome“, vor allem wenn dazu noch eine gehörige Dosis computeranimiertes Blut in hübschen Rorschach-Tests auf den Fußböden der Kampfplätze verteilt wird. Überhaupt versucht McTeigue die Effekte seiner trashigen Vorbilder quasi nahtlos ins Computerzeitalter zu übertragen, was ihm über weite Strecken auch recht gut gelingt. Das Videospiel zum Film ist darüberhinaus, wie so häufig im modernen Actionfilm, schon 1:1 in den Kampfszenen-Levels angelegt, so dass eine Übertragung auf Konsolen und PCs nicht schwerfallen dürfte.

Das Spektakel bestreiten diverse Mitglieder aus der Wachowski-Film-Familie, darunter der japanische Popstar Rain in seiner ersten englischsprachigen Hauptrolle (vorher schon in SPEED RACER zu verorten) und Ben Miles als zwielichtiger Europol-Agent, der McTeigue-Fans auch schon aus V FOR VENDETTA bekannt vorkommen dürfte. Als taffe Frau darf zusätzlich Naomie Harris (28 DAYS LATER, PIRATES OF THE CARIBBEAN) antreten. Das Trio jagt vom Fördergelder-Standort Berlin aus einem martialischen Auftragskiller-Ninja-Clan nach, der seine Zöglinge klaut und mit brutalen Methoden zu den perfekten Todesmaschinen ausbildet, was in Rückblenden ausführlich gezeigt wird. Die Geschwindigkeit der Ninjas diktiert dabei einen schnellen Schnittrhythmus, der dadurch dem Martial-Arts-Gefuchtel natürlich manchmal auch ein wenig seine Wirkungskraft nimmt.

NINJA ASSASSIN lässt während seiner Handlung wenige Klischees aus, auch für unheilsschwangere Sätze wie „Diese Untersuchung ist reine Routine“ und „Du kannst ihm vertrauen, er ist einer von den Guten“ ist er sich nicht zu schade. Weil das aber eigentlich nur gewollt sein kann, fällt es schwer, sich darüber wirklich zu ärgern. Enttäuschend ist eigentlich lediglich das Finale, dem es nicht gelingt, der vorher aufgebauten Erwartungshaltung für den klassischen Kampf zwischen Meister und Schüler gerecht zu werden. Vor allem dann, wenn der Meister von 80er-Ninjalegende Shô Kosugi gespielt wird. So gelingt der Generationenwechsel im Genre leider nicht ganz.

erschien zuerst bei Screenshot Online

Worte zum Wochenende

Der Streit um Brender bestätigt, wie froh wir sein können, große private Medienunternehmen als Korrektiv zu den öffentlich-rechtlichen Medien zu haben.

Bernd Buchholz , im Interview mit der Rheinischen Post
// “Für Online-Medien zahlen”

The DVD box set is the newest and most terrifying form of ritualistic abuse we inflict on one another. In the past, a sick person received unwanted hardback books, but these days when someone is laid up with an illness, they are buried beneath an avalanche of DVD box sets containing hundreds of hours of television series.

Grady Hendrix , Slate
// Boxed InGiving someone a TV series on DVD is like giving them a life sentence

Unter den taz-Leserinnenbriefen ragte dieser Tage das Schreiben von Monika Krause aus Neuss hervor. Sie regte an, “journalisten zu motivieren, den vakanten chefredakteursposten von herrn brender beim zdf nicht zu besetzen”. Na, das nenn ich doch mal eine Idee! Und eine Haltung! Und weil es in diesen Tagen so wenig davon gibt, gehe ich jetzt mal mit gutem Beispiel voran und solidarisiere mich: Ich verzichte auf den Posten.

Silke Burmester , taz
// Wie ein wildes “Stierchen” oder: Die Hessen sind schuld

Ist das nicht lustig? Wieviele “Plattformen” die ARD noch braucht, um dort dann doch keine Nachwuchsförderung zu betreiben?

Peer Schader , Fernsehblog
// Einsfestival? Das liegt hier noch so rum