Abschließende und Mehrwollende – Wer bist du?

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Will abschließen (links), will mehr (rechts)

Ich habe das Zitat zuerst in einem Scriptnotes-Podcast gehört. Einer Google-Suche zufolge wird es der amerikanischen Publizistin Dorothy Parker zugeschrieben und es drückt eigentlich schon vieles von dem aus, womit ich mich im folgenden Text beschäftigen will: “I hate writing, but I love having written.”

Dabei kann ich nicht einmal sagen, ob ich der ersten Hälfte des Zitates zustimmen würde. Ich hasse es nicht, zu schreiben. Aber die zweite Hälfte stimmt dafür umso mehr: Ich liebe es, etwas getan zu haben. Das geht mir nicht nur in der Produktion so, sondern auch in der Rezeption. Ein Buch durchlesen, einen Film fertigsehen, eine Serienstaffel beenden – das alles sind Momente, die mich mit Freude erfüllen. Sie geben mir das Gefühl, etwas geleistet, etwas geschafft zu haben. Eine Sache weniger vor Augen zu haben, die auf Vollendung wartet.

Das erste Feld eines neuen Weges

Doch wie so häufig stelle ich fest, dass mein Empfinden keinesfalls dem der gesamten Menschheit entspricht. Wie diametral entgegengesetzt die Wahrnehmung von Abschlüssen sein kann, erlebe ich jedes Mal wieder, wenn ich gemeinsam mit einer mir sehr nahen Person (insbesondere) Fernsehen gucke. In der letzten Folge der vierten Staffel von Game of Thrones passiert Einiges, auch Überraschendes, aber es gelingt der Serie, alle Hauptfiguren am Ende der Folge – und der Staffel – auf das erste Feld eines neuen Weges zu setzen und wunderbare offene Enden zu konstruieren. “Prima”, denke ich mir, während der Abspann läuft, “brillant beendet. Ich freue mich auf nächstes Jahr und bin froh, jetzt erstmal wieder andere Dinge zu machen.” Doch neben mir auf der Couch quietscht es entrüstet: “WAAAS? UND JETZT MUSS ICH WIEDER EIN JAHR WARTEN, BIS ES WEITERGEHT?”

Ich habe das Gefühl, dass die in Nerdkreisen so übliche Listenkultur eigentlich meine Sichtweise der Dinge unterstützt. Erst wenn ich einen Film gesehen, ein Buch gelesen habe, kann ich es in die “Erledigt”-Ecke meines virtuellen Regals stellen, egal ob auf Goodreads oder auf Letterboxd. Ein Buch, das auf ewig in meiner “Currently Reading”-Liste vor sich hinrottet, “bringt” mir nichts. Ich kann nicht behaupten, dass ich es gelesen habe. Und eine Serie, die nie endet, etwa eine Daily Soap, erlaubt nicht nur ihren Charakteren, sondern auch mir nicht, Frieden zu finden, abzuschließen, weiterzugehen.

Eine Art Limbus

Ich staune, wenn ich lese, dass meine Blogger_innen-Kollegen Björn und Yolanda Bücher nach der Hälfte oder zwei Dritteln zur Seite legen und nie wieder angucken. Sicher, so leben die Charaktere ewig fort, aber doch nur in einer Art Limbus – ohne Ziel und Zweck. Mein innerer Aspie würde da auf Dauer durchdrehen.

Die unterschiedlichen Bedürfnisse an große Erzählungen scheinen eine breitere Diskussion in der Popkultur, insbesondere in der Fan-Kultur zu sein. Nicht nur in der Serie Community ist eine Figur erst dann vollständig zufrieden, als sie mit dem Doctor Who-inspirierten “Inspector Spacetime” eine Obsession gefunden hat, die selbst in ihrem bisherigen Umfang quasi endlos ist und damit auch endlose Obsession zulässt. In einem lesenswerten Artikel auf “The Daily Dot” blickt Dominic Mayer kritisch auf die erste kanonische Veröffentlichung aus dem Harry-Potter-Universum seit mehreren Jahren und die bevorstehenden Filme, die J. K. Rowling derzeit schreibt, und zieht vergleiche zu George Lucas’ Herumdoktern an der ursprünglichen Star Wars-Trilogie, George R. R. Martins “Fuck You” an Fans, die verlangen, er möge schneller schreiben – und sogar Community selbst, die Serie, die sich auf immer absurdere Weise weigert zu sterben, um ihr selbst-gesetztes “six seasons and a movie”-Schicksal erfüllen zu können.

“Part of Art is Finality”

“[I]t’s hard to argue that part of art is finality”, schreibt Mayer. “The debate and continual reinterpretation is what keeps it alive, not a continuous stream of canon that ensures nobody ever has to feel sad about a thing they enjoyed coming to a close.” Ich bin geneigt, ihm Recht zu geben – und das als jemand, der sich bevorzugt mit nicht-endendem Franchising beschäftigt. Wie enttäuschend sind doch häufig nachgeschobene Sequels wie Indiana Jones and the Crystal Skull oder Live Free and Die Hard? Wie belanglos und leichenfleddernd neue Pink Floyd Alben 20 Jahre nach einem würdigen letzten Aufbäumen, das auf dem bittersüßen Gitarrensolo von “High Hopes” (allein der Titel!) geendet hatte?

Ich kann Anderen ihre Lust am Mehr nicht absprechen, finde es sogar bewundernswert, wenn sie so gut mit der Nichtabgeschlossenheit einer Geschichte leben können und gar nicht das Bedürfnis haben, eine Art “innere Ablage” zu betreiben. In unserer Kultur der “Hyper-Stasis” oder Atemporalität befeuert es aber natürlich auch das immerwährende Bedienen am Alten und die Weigerung, zu neuen Grenzen aufzubrechen, bis nur noch ein Weltuntergang helfen kann – wobei uns Comics, Alien-Filme und Posthume Auftritte natürlich daran erinnern, dass niemand tot bleiben muss.

Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende? Zu welcher Fraktion gehört ihr, liebe Leserinnen und Leser?

Zeitgeist: Escape (The Piña Colada Song)

Irgendwas muss dran sein an Rupert Holmes’ Hit von 1979, dass er plötzlich innerhalb eines Jahres in zwei Filmen wieder auftaucht. Da der Song seit dreißig Jahren nicht nur Leitmotiv der Creme-Cocktail- sondern auch der Partnervermittlungs-Industrie ist, scheint es fast schon logisch, dass er im überdimensionierten eHarmony-Werbespot The Secret Life of Walter Mitty auftaucht, wenn auch in einer gelungenen Coverversion von Jack Johnson. Aber auch im neuen Marvel-Film Guardians of the Galaxy ist der Song als Teil des ominösen Mixtapes zu hören, das Peter Quill immer bei sich trägt.

Was fällt auf an dem Song, der laut Wikipedia die letzte Nummer Eins der Siebziger war?

1. Der Titel. Wer auch immer den Song hört, dürfte danach erstmal ziemlich sicher sein, dass er “If you like Piña Coladas” heißt – oder so ähnlich, zumindest irgendwas mit “Piña Colada” im Titel. “Escape (The Piña Colada Song)” teilt sich insofern ein Schicksal mit dem ein oder anderen Hit durch die Jahrzehnte, dem in Klammern ein zusätzlicher Titel angehängt werden musste, damit der Pöbel ihn auch erkennt, wenn er ihn sieht (spontan fällt mir als weiteres Beispiel nur “Sweat (A la la la la long)” ein, aber zum Glück gibt es ja das Internet – wie sind Nirvana bloß damals mit “Smells like Teen Spirit” durchgekommen?).

2. Die Story. Wer den Song oberflächlich hört, kennt schon bald den Refrain auswendig und ahnt, dass es irgendwie um Partnerschaftsanzeigen geht. Aber in Wirklichkeit geht es um einen Mann, dessen langjährige Beziehung ihn nicht mehr erfüllt (“like a worn-out recording of my favourite song”) und der deshalb heimlich auf eine Anzeige in der Zeitung antwortet (weil er Piña Coladas mag). Doch das Blind Date endet unverhofft: die Anzeigenschreiberin ist seine eigene Frau und beide stellen plötzlich fest, dass es eine Menge gibt, was sie noch nicht voneinander wussten. Zum Beispiel ihre Vorliebe für Dünensex zur Geisterstunde.

3. Der Zeitgeist. Die beiden vielsagendsten Zeilen von “Escape” drehen sich um das, was Rupert Holmes und seine Frau nicht mögen. Sie sind “not into Yoga” und “not into health food”. Ich finde es irgendwie ganz wunderbar, wie sich hier die New Age Trends der 70er widerspiegeln, denen man damals wahrscheinlich kaum entkommen konnte. Die Figuren des Songs hingegen sind echte Genießer, süffeln lieber Cocktails und Champagner, statt auf der Selbstverbesserungs-Welle mitzureiten. Wahrscheinlich sehen sie sich selbst als die letzten normalen Menschen. Heute sind Yoga und gesundes Essen Mainstream, also was würde wohl an Stelle dieser Textzeilen treten, wenn der Song heute geschrieben würde? Wovon sagen “normale” Leute gerne, dass sie es nicht nötig haben? Vielleicht Social Media? “If you’re not into Facebook …?”

Sperrfristen-Spiele, Presse-Privilegien und Marketing-Machenschaften (Update)

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(Update, 31. Juli, 16:20 Uhr: Per Anruf wurde ich gerade informiert, dass die Sperrfrist für Guardians of the Galaxy auf morgen mittag (1.8. – Startdatum in den USA) verkürzt wurde. Kein Kommentar.)

(Update, 26. Juli, 10:26 Uhr: Ich habe Marvel anscheinend so sehr genervt, dass sie mir gerade doch eine Twitter-Direktnachricht geschrieben haben, in der sie mir mitteilten, dass kurze Eindrücke okay, aber lange Besprechungen nicht erwünscht sind. Das war mir natürlich vorher klar – ich frage mich nur, warum man das nicht einfach öffentlich sagt. Damit nicht gewiefte Journalisten versuchen, wieder Schlupflöcher im System zu finden? Egal. Ich möchte damit nur einmal loswerden, dass ich Guardians of the Galaxy absolut famos fand und mich sicherlich noch viel daran abarbeiten werde. Bei all dem Ärger, der aus diesem Artikel spricht: Ich mag Marvel und Disney doch, sonst würde ich mir nicht so viele Gedanken um sie machen.)


Ich habe heute Abend Marvels neuesten Streich Guardians of the Galaxy gesehen. Zeitgleich mit den Besuchern der Europa-Premiere in London und mit hunderten anderen Menschen in Deutschland. Der Grund: Eine spezielle Preview, veranstaltet von ProSieben und anderen Gewinnspielanbietern, um im Vorfeld eine positive Grundstimmung für den Film zu erzeugen. Wer den Film gesehen hat und ihn gut fand, so die Logik, wird davon seinen Freunden erzählen. Und die werden davon ihren Freunden erzählen, und so weiter. Und dann gehen alle gleich am Eröffnungswochenende ins Kino, weil sie sich so auf den Film freuen. In Deutschland ist dies das Wochenende vom 28. August, also in fünf Wochen.

Allerdings, wenn meine Freunde und Bekannten im Internet zu Hause sind – auf Twitter, Facebook oder als Leser dieses Blogs – darf ich ihnen nicht davon erzählen, wie ich den Film fand. Das darf ich erst ab 15. August, weil “auf den Besprechungen zum Film eine Sperrfrist bis einschließlich 15. August 2014 liegt. Dies gilt für alle Medien (Print, Online, TV, Radio) inkl. Blogs, Sozialer Netzwerke und Webseiten”. Ein Zitat aus der Presse-Einladung zum Film. Klar: Wenn ich jetzt schon aufschreibe, wie ich den Film fand, besteht die Gefahr, dass das hoffentlich positive Summen, das den Film umgibt, zu früh verpufft. Nach dem Sommerurlaub Ende August haben dann schon wieder alle vergessen, was Menschen vor einem Monat über Guardians gesagt haben; und die ganze Mühe, die in das Anfachen des Feuers gesteckt wurde, war umsonst.

In über 40 Ländern

Die Denke dahinter ist verständlich. Nur: Am 15. August werden die Presse und die Gäste der Preview nicht die einzigen sein, die den Film gesehen haben. Bis dahin ist der Film in über 40 Ländern gestartet. Viel wichtiger: In seinem Hauptmarkt USA startet der Film am 1. August, zwei Wochen vorher. Das Internet – dieses globale Medium, das man überall lesen kann – wird voll sein mit Besprechungen. Würde ich meinen Sommerurlaub zufällig in den USA machen und den Film dort regulär im Kino sehen, dürfte ich ihn dann auch nicht besprechen? Was ist, wenn ich nicht in den USA war, aber behaupte, dort gewesen zu sein und ihn dort noch einmal gesehen zu haben? Was ist, wenn ein Freund von mir, der in den USA lebt, den Film dort im Kino sieht und mir anschließend davon erzählt – dürfte ich ihm beipflichten oder widersprechen? Dürfte ich einen Artikel verfassen, der Kritiken aus den USA aggregiert und am Ende schreiben: “Nur aufgrund der hier angegebenen Kritiken und natürlich keinesfalls aufgrund der Tatsache, dass ich den Film schon gesehen habe, denke ich, dass er gut/schlecht ist”?

Genug der Absurditäten.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Filmjournalisten eine privilegierte Beziehung zu Filmen haben. Verleiher stellen uns vorab Zugang zu ihren Filmen zur Verfügung, obwohl sie das in den meisten Fällen – sind wir mal ganz ehrlich – nicht müssten. Gerade die großen Hollywood-Blockbuster brauchen Kritiken so sehr wie eine Katze einen Motorroller. Daher kann es auch ein Til Schweiger sich erlauben, einen Film wie Schutzengel Journalisten erst gar nicht vorab zu zeigen. Die Leute gehen eh rein. Das Ganze ist, wie so oft im Wechselspiel von PR und Journalismus, ein Tanz. Kritiker bekommen alle Filme vorab zu sehen, damit sie alle Filme gleich behandeln. Denn bei kleineren Filmen können gute Kritiken durchaus mal zum Erfolg verhelfen, also wägt man als Verleiher (oder vom Verleiher beauftragte PR-Firma) ab, dass man sich seine Filmkritiker lieber insgesamt warm hält. So läuft das halt im Geschäftsleben.

Merkwürdiger Hilferuf

Dass ich selber Filmjournalismus gerne lese und der Meinung bin, dass Filmkritik durchaus einen Beitrag zur kulturellen Debatte liefert, ändert nichts daran, dass ich finde, Filmkritiker nehmen sich selbst ein bisschen wichtig. Das Flugblatt für aktivistische Filmkritik des VDFK (dem ich immer noch nicht beigetreten bin, obwohl ich einige Male kurz davor war) habe ich nicht unterschrieben, weil es mir wie ein merkwürdiger Hilferuf von jemandem vorkam, der gerne mehr Bedeutung hätte, als er hat. Da wird angeklagt, dass sich viele Filmkritiker der Marketing-Maschine der Verleiher nicht widersetzen und sich mit einer “5 Sterne, unbedingt reingehen”-Kritik zufrieden geben, wenn sie doch Relevantes, “Aktivistisches” schreiben könnten, was kulturelle Bedeutung schafft. Als könnte das in einem freien Markt nicht jeder für sich entscheiden.

Schreibt halt selbst gute Sachen! kann und will ich da immer nur ausrufen. Und beschwert euch nicht über ein System, das euch zurückgelassen hat, weil ihr euch lieber im Geschwurbel versteckt, statt Relevanz zu schaffen. Und wenn ihr eure Sachen für gut haltet und niemand sie drucken oder bezahlen will, dann findet selbst einen Ort dafür. Qualität setzt sich durch. Das Anspruchsdenken, das manchmal aus Institutionen wie dem VDFK trieft, zum Beispiel wenn er fordert, selbst wählen zu können, in welcher Sprachfassung die Pressevorführungen stattfinden oder wie im Schutzengel-Fall behauptet, es wäre Behinderung der Presse, wenn Schweiger keine kostenlosen Vorab-Vorstellungen veanstaltet, ist typisch für den deutschen Kulturbetrieb. Ich beobachte es immer wieder. Gesellschaftliche Relevanz wird nicht erarbeitet. Sie wird einfach postuliert. Aus Tradition oder aus einem Selbstverständnis voller Hybris.

Das Spiel mitspielen – oder nicht

Ich liebe Journalismus, ich sehe mich selbst immer noch als Journalist, obwohl ich das meiste Geld mit PR (allerdings nicht Film PR) verdiene. Und dennoch bricht mich die Selbstgefälligkeit, mit der viele Journalisten die Welt beschreiten immer wieder an. Nicht nur beim “Spiegel”. Man muss sein Rebellentum dann aber meiner Ansicht nicht dadurch demonstrieren, indem man auch von Filmen einen Kritikerspiegel veröffentlicht, die noch nicht ihre Welturaufführung erlebt haben. Als wollte man sich damit dafür rächen, dass man sonst oft am kürzeren Hebel sitzt. Welchen Pyrrhussieg man damit feiern kann, sei dahingestellt. (Ja, Dennis, ich möchte nicht nur in der Echokammer drüber schreiben, sondern auch drüber reden. Ich versuche, zum nächsten Stammtisch zu kommen.)

Aber obwohl ich jetzt drei Absätze lang auf meinen Kollegen herumgedroschen habe, bin ich trotzdem der Meinung, dass die Guardians of the Galaxy-Sperrfrist eine Travestie ist. Sperrfristen haben als freiwillige Vereinbarung im Journalismus den Zweck, etwas als Arbeitserleichterung für alle rechtzeitig zu kommunizieren, aber es nicht zu veröffentlichen, bevor die Betroffenen Bescheid wissen, zum Beispiel bei Preisverleihungen. Hier aber ist die Meinung der Journaille den Verleihern anscheinend noch wichtig genug, um sie vor ihren Karren zu spannen. Aber gleichzeitig wird die eigene Marktmacht durch das absurd späte Datum ausgetestet. (Als Sanktion droht natürlich der Ausschluss von späteren Pressevorführungen.) Und ähnlich wie bei der Scorsese-Vorführung auf der Berlinale wäre das tatsächlich ein Punkt, wo man sich voll rechtschaffenden Zorns weigern kann, das Spiel mitzuspielen.

Wenn ein Film in der Welt ist, nicht nur in internen Pressevorführungen und Premieren für geladene Gäste, sondern in öffentlichen Vorführungen, sollte man darüber berichten können. Im Fall von Guardians wäre das also der 1. August. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das alberne Spiel diesmal mitspielen werde, oder nicht.

Epilog

Nach der Preview wollte Marvel dann plötzlich doch auf Twitter hören, wie die Leute den Film fanden. Auf meine Frage, ob nicht eigentlich Sperrfrist gelte, wurde nicht reagiert konfus reagiert. Kritiker wie Torsten Dewi haben daraufhin das Embargo “gebrochen”. Ich bin kein bisschen schlauer.

Nachtrag (25.7., 0:25 Uhr): In den USA hat Marvel dann doch erste Kritiken zugelassen. In einer früheren Version des Artikels hatte ich Torsten Dewis Vornamen fälschlicherweise “Thorsten” geschrieben.

Edit, 26.7.: Ein Hinweis noch im Zuge der vollständigen Offenlegung: Ich habe es nicht geschafft, Karten in einem Gewinnspiel zu ergattern, stattdessen habe ich bei der sehr freundlichen Presseagentur angerufen, die den Film betreut, und diese hat mir zwei Karten organisiert. Daher weiß ich auch überhaupt nur von der Sperrfrist, auf die ich im Zuge des Austauschs mit der Agentur nachdrücklich hingewiesen wurde. Auf dem Screening selbst wurde nichts dazu gesagt.

Michael Bays Limit, oder: Warum Paul W.S. Anderson der bessere B-Movie-Regisseur ist!

© Paramount Pictures

Dies ist ein Gastbeitrag von Floris Asche als Antwort auf den Beitrag von Sebastian Mattukat, zum Start von Transformers 4.

Michael Bay ist zum Synonym des modernen Action-Science-Fiction-Spektakel-Films geworden. Auch Nicht-Filmkenner kennen ihn. Paul W.S. Anderson kennt kaum einer. Dabei macht Paul W.S. Anderson genau die gleichen Filme wie Michael Bay. Es sind B-Movies. Nicht billig, aber mit Explosionen, Monstern, Aliens oder Robotern. Die Filmtitel kennt man: Resident Evil, Alien vs. Predator, Event Horizon. Aber irgendwie werden sie nicht so hoch geschätzt, so groß vermarktet, wie Transformers oder Bad Boys. Ich wundere mich, woran das liegt.

Kaum einer weiß, dass das brutale Regiedebüt des Engländers Anderson, Shopping (mit dem damals noch unbekannten Jude Law), in seiner Heimat aus den Kinos verbannt wurde. Michael Bays Filme wurden noch nie verbannt. Warum auch? Sie zeigen Stereotype, simple Welten. Abziehwelten. Schöne Frauen, Autos, schwitzende Helden (weil es ja anstrengend sein muss, die Welt zu retten) und Explosionen. Alles schön gefilmt, weil Bay da ja herkommt: Aus der Werbung. Werbung ist auch Abziehwelt. Doch Film ist das nicht. Nicht mal B-Film und schon gar nicht Action oder Science-Fiction.

Menschlichkeit, Nähe und Fehler

Paul W.S. Anderson erlaubt seinen Figuren gebrochene Momente und Zweifel. Egal, ob er bekloppte Storys, wie in Death Race, oder bekloppte Szenarien, wie in Mortal Kombat darstellt. Seine Figuren haben Menschlichkeit, Nähe und Fehler. Und genau da wird er leise. Weil er weiß: Die Wucht der Bilder, die Explosionen, Monster und so weiter, kann uns nur weiterbringen, wenn sie im Kontext der stillen, kleinen Menschen steht. Explosionen sind in einem Film nur gerechtfertigt, wenn jemand davor wegläuft. Wir müssen wollen, dass er überlebt.

Ich mag Michael Bay-Filme. Wirklich. Ich hab alle gesehen. Oft mehrmals. Aber wenn ich mich zurück erinnere, weiß ich nicht, ob die Figuren mir gefielen. Ich erinnere mich nur an Schauspieler, an Stars. Nicht an ihre Rollen. Klar fand ich Ewan McGregor in The Island toll, auch Scarlett Johansson. Aber ihre Figuren waren absolut idiotisch. Auch Shia LaBeouf und Megan Fox in Transformers: Warum soll ich mich für sie interessieren? Ah. Weil er der lustige Shia, und sie die heiße Megan ist.

So gesehen hat Michael Bay den ultimativen Trick gefunden: Schöne (von mir aus) echte Explosionen, gepaart mit schönen Menschen, die wir aus den Medien kennen, für die wir uns also von Natur aus interessieren. Anders Paul W.S. Anderson: Mal ganz davon abgesehen, dass er etwas weniger Budget für seine Filme hat, und so seine Filme auch mal billiger aussehen. (Manchmal sehr viel billiger.)

Ab und an spielen zwar auch bei Anderson Stars mit, aber sie werden ganz anders behandelt: Milla Jovovich, zum Beispiel: Sie bekommt zu Beginn des ersten Resident Evil-Films eine lange Einführung. Mysteriös und erzählerisch wird ihre Figur vorgestellt. Oder Jason Statham in Death Race: Bestimmt nicht Andersons oder Stathams bester Film, aber in welches emotionale Loch, welche Tiefe der Hauptcharakter zu Beginn geworfen wird … Ähnliches passiert mit dem Charakter von Sam Neill in Event Horizon.

Sowieso: Event Horizon.

Ein stilprägender Sci-Fi-Horrorfilm, ohne Monster. Ohne direkte, einfache Gründe für das Grauen. Es gibt keine Bösen, das Böse sind wir. Weil wir die Grenzen der Wissenschaft nicht erkennen, oder gewillt sind sie zu überschreiten. Hybris heißt das Monster. Man hat Angst vor jeder Figur in Event Horizon. Die Effektmomente, die Animationen und Modelle im Weltraum sind hier quasi Entspannung, ruhige Inseln. Im Grunde befindet sich Paul W.S. Anderson mit Event Horizon und Resident Evil auf der Spur der großen B-Movies. Von Ulmers Detour, Francis Ford Coppolas Dementia 13, oder Romeros Night of the Living Dead.

Bei Michael Bay ist es niemals dunkel

Michael Bay macht keine Horrorfilme. Und er stellt sicher: Niemals ist es zu dunkel in den Sci-Fi-Filmen. Warum? Weil Dunkelheit Ungewissheit ist. Das passt nicht in die Abziehwelten. Abziehwelten sind klar, sauber – auch wenn Filmgrain drüber klebt. Ja – es sind schöne Bilder, manchmal wundervoll abfotografierte Szenen. Aber guckt man sich nochmal Event Horizons erste Space-Kamerafahrt an: Die steht den Effekten in Transformers in nichts nach, rechnet man die Entwicklung der Computeranimationen heraus und lässt außer Acht, dass sie ein Drittel des gesamten Budgets gekostet hat. Und genau das ist es: Bei Paul W.S. Anderson gibt es in einem Film eine Handvoll eindrucksvoller Effekte. Bei Michael Bay ist alles Effekt.

Durch budgetäre Beschränkungen waren B-Movies, Actionfilme und Sci-Fi eigentlich immer gezwungen sich den Figuren zu widmen. Michael Bay nutzt Personen wie Schaufensterpuppen. Das kennt er noch aus Musikvideozeiten: Da hatte er für ein paar Minuten auch viel zu viel Geld. Alles war nur “Eye Candy”. Michael Bay schert sich auch nicht um Kontinuität. Ein Schnitt, und schon sind wir woanders. Er darf sich auch nicht scheren, weil seine Geschichten nur Effekte wollen. Geschichte ist ihm vollkommen egal. Wenn also eine Handlung von Szene A, über B, zu C gehen sollte, schneidet Bay einfach das langweilige B heraus. Zuviel Entwicklung. Stattdessen spielt das der Star einfach in der nächsten Szene mit. Deswegen wirken die meisten Bay-Filme auch so stückhaft. Schnitt und weg.

In vielen Paul W.S. Anderson Filmen gibt es Übersichten und Lagepläne. Anderson will den Zuschauer in die Erzählwelt hinein holen. Er will ihn verstehen lassen. Vielleicht gibt es dafür bessere, filmische Mittel, bestimmt sogar. Aber der Anspruch von Verständnis ist da. Paul W.S. Anderson erzählt ganze Welten, Story-Kosmen. Wie ein kleines Kind, das sich vor dem Urlaub in Griechenland atemberaubendsten Geschichten im Geiste überlegt. Wenn das Kind dann da ist stehen nur noch 15 Säulen. Alles recht trocken. Aber die Geschichten in seinem Kopf, die Vorstellungen … Wahnsinn.

Eine Renaissance des B-Movies

Es wird viel über das Ende der großen Blockbusterfilme geschrieben und geredet. Ich glaube eher, es wird eine Renaissance der B-Movies geben. Der echten B-Movies. Keine B-Movies, die mit viel Geld zu A-Movies werden sollen. Sci-Fi, Action, Thriller, Horror gehören ins Kleinere. Dort wo man sich visuell etwas einfallen lassen muss, damit man flink beeindruckt, um dann wieder Geschichten zu erzählen. Mit visuellen Ideen, und nicht immer wieder den gleichen Hochglanzshots.

Noch eine Sache zum Abschluss. Nicht einer von Michael Bays Filmen hat eine weibliche Hauptfigur. Nicht einer. Dagegen dreht Paul W.S. Anderson am sechsten Resident Evil-Teil und hat mit Alien vs. Predator eine außergewöhnlich lebensnahe Heldin etabliert. Aber vielleicht sind Frauen für Michael Bay zu komplex. Lieber den Arsch filmen, als sie was sagen lassen. Und das ist dann dieser eine “Moment”. Für wen wohl?

Floris Asche ist Autor und Filmemacher in Berlin. Zusammen mit Sebastian Mattukat hat er letztes Jahr die Kurzfilm-B-Movie Hommage Spreeshark gedreht. Zur Zeit arbeitet er an der Langfilmfassung.

Michael Bay ist der Meister des Moments

Dies ist ein Gastposting von Sebastian Mattukat.

Zur Einstimmung wird diese Playlist empfohlen.

Es ist wieder soweit, der nächste Transformers kommt morgen in die Kinos und wieder wird jede Menge über Michael Bay geschrieben. Fast einstimmiger Tenor: Michael Bay, der Zerstörer des Kinos. Gleich vorweg: Ja, seine Filme sind immer groß, laut und irgendwie ein bisschen vulgär. Aber trotzdem kann man mit ihnen seine Freude haben. Ein paar meiner Kollegen fragen sich regelmäßig, wieso ich mir noch einen Transformers überhaupt anschaue. Manchmal kommen sie mit ins Kino und sind aufgrund der Story in der Regel frustriert. Ich antworte dann immer, dass sie ja bitte nicht ernsthaft wegen der Geschichte in den Film gegangen sind. Die Gegenfrage lautet dann immer, warum ich in den Film gegangen bin und wie ich mit erhobenen Hauptes den nächsten von Trier gehen kann. Der folgende Text ist der Versuch einer Antwort.

Was ist es also, was mich in die Filme von Michael Bay zieht, wenn es nicht wie sonst die Geschichte ist? In meinen Augen sind seine Filme einer der letzten wahrhaftigen Actionfilme, die den Moment zelebrieren, die so echt wie möglich und Hautnah am Geschehen sind. In einem vor kurzem veröffentlichten Video wird die „Bayhem“ betitelte Ästhetik besprochen, aber tritt meiner Meinung nach, in ihrer Kritik, zu kurz. Denn das Video impliziert, dass man der Geschichte folgen möchte, doch das ist wie Eingangs besprochen der größte Fehler, den man in einem Film von Herrn Bay tun kann.

Beginnt man sich jedoch auf die einzelnen Momente einzulassen, achtet auf die kleinen Details und die berauschende Kameraarbeit, dann stellt man immer wieder fest, „Das war gerade das visuell aufregendste, was ich seit langem gesehen habe!“. Ich stelle hier nun die These auf, dass dies vor allem Zuschauer können, die mit dem Medium Musikvideos, was Bay großmachte, nicht nur vertraut sind, sondern dies auch zu schätzen wissen. Auch wenn man heute nur noch selten daran erinnert wird: Musikvideos waren früher kleine opulente Meisterwerke, die im besten Fall die Stimmung eines Liedes perfekt transportierten. Hier hat Michael Bay sein Handwerk gelernt und es auf seine Art perfektioniert, um Stimmungen und Momente zu transportieren.

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Wie bei einem guten Musikvideo bleiben einzelne Szenen seiner Film im Kopf hängen. Es reicht eine Drehung der Kamera und man ist sofort wieder in Miami. Durch das visuelle Verständnis von Bay und seinen Kameramännern werden kleine Szenen zu wahren Meisterwerken. Sei es die großartige Verfolgungsjagd in The IslandNicolas Cage und das Leuchtfeuer, oder die Szene, die Will Smith zum Filmstar machte. Natürlich sind all dies große Szenen, mit klaren Strukturen und völliger Abwesenheit von Zwischentönen. Doch im Vergleich zu vielen anderen Actionfilmen dieser Tage besitzen sie damit etwas Echtes, etwas Reales, so dass es eine Freude ist, sie in sich aufzusaugen.

Gleichzeitig gibt es noch einen zweiten Punkt, der Michael Bay hervorhebt und besonders macht. Er dreht so viel wie möglich “in camera” und das macht ihn zu einer aussterbenden Art. Früher war es nichts besonderes, aber in der heutigen Welt der Pixel-Avatare ist es eine willkommene Abwechslung. Wenn Stahl auf Beton trifft, merkt das der Zuschauer, er kann es förmlich spüren. Da werden Autos ineinander gefahren, Boote über den Highway geschmissen, ganze Kriegsschiffe aufgefahren und Wüstenoasen gesprengt. Oben drauf kommen dann nicht zu knapp die visuellen Effekte, aber in der Regel gibt es eine reale Grundlage. Und das macht den großen Unterschied für mich als Zuschauer aus. Denn wenn ich weiß, dass etwas physikalisch nicht möglich ist und nur mit Hilfe von CGI entstanden sein kann, reißt es mich aus dem Film raus. Ist die Szene, wie auch immer, geerdet, fällt es mir leichter dem Geschehen zu folgen und die Action macht wieder spaß.

Diese packenden Einzelmomente und handgemachte Action machen natürlich noch keinen Film für die Ewigkeit. Aber das müssen die Filme von Michael Bay auch nicht sein. Viel mehr ist es doch schön, dass es da draußen noch jemanden gibt, der so cool wie kaum jemand auf den Moment inszenieren kann. Bei dessen Filmen eigentlich Szenenapplaus angebracht ist und man für einen kurzen Moment noch einmal kleiner Junge sein kann. Dann ist es wie früher und für zwei Stunden gibt es nichts wichtigeres auf der Welt, als schnelle Autos, Polizisten und Roboter. Warum sollte man das nicht genießen?

Sebastian Mattukat ist Filmemacher und lebt in Berlin. Folgt ihm auf Twitter.

Realität überholt Satire: In Rüdesheim passiert “Postillon”-Meldung tatsächlich

Wohl niemand konnte ahnen, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am vergangenen Dienstag Brasilien 7:1 schlagen würde. Außer jemand sehr naives. Ein Kind. Dachte sich wohl auch Stefan Sichermann vom “Postillon” und postete am Folgemorgen diese Meldung:

Screenshot: der-postillon.com

Alle mal kurz gelacht. Allerdings erschien in der Mainzer “Allgemeinen Zeitung” einen Tag später dieser Artikel

Screenshot: allgemeine-zeitung.de

I rest my case.

Blick in die Blogosphäre (VII): Filmfest München, “Ein Film – viele Blogger”, Seeßlen

Ich bin ja sehr glücklich, und gebe mir sogar ein klitzekleines bisschen Credit dafür, dass es einige Blogger_innen-Kollegen gibt, die sich meinen Völkervereinigungs-Gedanken angeschlossen haben und völlig unabhängig von mir Aktionen ins Leben rufen, bei denen Blogs zusammenfinden können. (Ich selber muss mich ja eher dafür schämen, dass ich es nicht einmal geschafft habe, einen Film Blog Group Hug in der ersten Jahreshälfte zu organisieren.)

Besonders fruchtbar scheint dieses Jahr das Filmfest München gewesen zu sein. Jan Peschel von “CineCouch” hatte dort dieses Jahr, in der Tradition der Berlinale-Bloggertreffen, zum Meet the Bloggers eingeladen. Und wenn man dem Bild, das diesen Post ziert, sowie Jans Bericht Glauben schenken kann, hat es sich gelohnt:

Man unterhielt sich über das Festival, den allgemeinen Filmgeschmack, über eigene Projekte und auch immer wieder über die Blogosphäre, Ideen zu Kooperationen und die Frage, ob man finanziell nicht auch mehr mit Blogs erreichen könnte. Hoffentlich können einige Anstöße weitergetragen werden.

Gemeinschaftspodcasts

Ein erstes Gemeinschaftsprojekt, das in München entstanden ist, ist die Sonderausgabe des Podcasts “Die Abspanner”, in der sich “Cinema Forever”-Blogger Conrad Mildner mit “Filmosophie“-Frontfrau Sophie Rieger zusammengesetzt hat, um das Festival Revue passieren zu lassen. Eine ähnliche Konstellation also, wie beim Klassiker der Filmfestival-Podcasts – dem Videopodcast von “kino-zeit.de” mit Joachim Kurz und Beatrice Behn. Und da “Rocky Balbea” ja jetzt auch eine Filmfreundin ist kann man den also auch gleich unter den Blog-Kooperationen einordnen. “Schöner Denken” hatte übrigens schon im Juni Sano von “Eskalierende Träume” in einem Nippon-Connection-Podcast zu Gast.

Ein Film – Viele Blogger

Globaler und langfristiger angelegt ist das Projekt des Intergalactic Ape-Man, das auf den Namen “Ein Film – Viele Blogger” hört. Der Plan: bis zu einem gewissen Stichtag schreiben alle, die wollen, eine Rezension zu einem vorher festgelegten Film, die der Ape-Man anschließend sammelt. So soll Dialog und Austausch entstehen. Ich warte bereits gespannt auf das Ergebnis der ersten Runde zu The Elephant Man. Ich selbst habe leider nicht teilgenommen, mir fiel zu spät ein, was ich gerne geschrieben hätte (einen Abgleich zwischen Realität, Film und der Musical-Version in The Tall Guy) – aber vielleicht mache ich ja bei einer der nächsten Runden mit. Der Ape-Man hat die Übersicht.

Filmkritisches

Währenddessen läuft übrigens die “Hard Sensations” Interviewreihe mit Filmschreibern weiter. Und der Kritikerverband VdFk lädt, in Person von “Negativ”-Blogger Dennis Vetter schon zum zweiten Mal zum Kritiker-Stammtisch diesen Donnerstag in Frankfurt am Main.

In einer “Keynote” hat Filmkritik-Altmeister und Blogger Georg Seeßlen im Dezember 2013 Bilanz über das Kino als Gesamtgefüge gezogen und es zum stärkeren Nomadendasein aufgefordert. Das insgesamt lesenswerte Manifest wurde heute veröffentlicht und enthält folgende denkwürdigen Sätze:

Andrerseits erleben wir die Abwanderung der Kritik ins Netz, wo sie einerseits Konsumenten- und Millieukonform ist und sich perfekt für eine Mikrostruktur der Vermarktung durch Streuung und Manipulation von Nachrichten eignet, andrerseits aber […] extrem intelligente „Inseln“ des Diskurses bildet. Diesen Inseln gelingt indes nur sehr selten eine Verbindung zum Festland.

Die Inseln untereinander, scheint es mir, sind inzwischen schon streckenweise ganz gut durch Brücken verbunden. Auf geht’s, erobern wir das Festland!

Weitere Hinweise über filmblogosphärische Aktionen nehme ich gerne unter kontakt@alexandermatzkeit.de entgegen

From the Vault: Talking Heads – Das Making of zu einem Film, der nie existierte

Joachim Kurz hat vor einiger Zeit eine Kolumne geschrieben über Filme, die es gar nicht gibt. Björn Helbig hat zuletzt diesen Staffelstab aufgenommen und eine Rezension geschrieben über den Film The Mongolian Whore House, der ebenfalls nicht wirklich existiert.

Ich glaube nicht, dass ich Björn nachfolgen kann, aber ich fühlte mich erinnert an ein Drehbuchprojekt, das ich vor vielen Jahren (2006) mal angefangen, aber früh wieder aufgegeben hatte. Der Film Talking Heads sollte das “Making of” eines Films sein, den es nicht gibt. Parodiert werden sollten damit vor allem die üblichen Worthülsen, die an Filmen beteiligte Menschen in “Featurettes” und ähnlichen Promotion-Formaten gerne von sich geben. Die künstliche Erzähldramatik, die in solchen Filmchen gerne aufgebaut wird, sollte in Talking Heads ersetzt werden durch eine zunehmende Absurdität. Der Film, dessen Entstehung geschildert wird, dessen Titel nie genannt wird und der sich im Kopf des Zuschauers formt, sollte Stück für Stück immer bizarrer werden.

Wie gesagt: weit bin ich nicht gekommen, aber hier sind die ersten zwei Seiten, leicht umformatiert.

Fade from Black

BERNHARD SCHROTH (PRODUZENT): Dirk kam damals zu mir in mein Büro und meinte “Bernd, ich
möchte gerne diesen Film machen.” Da hab ich ihm lange ins Gesicht geguckt
und gesagt: “Dirk, du bist verrückt.” THOMAS F. BRINCKMANN (DREHBUCHAUTOR): Als ich erfahren habe, dass Dirk diesen Film machen
will und dass ich das Drehbuch dazu schreiben soll, hab ich Dirk erstmal
angerufen und gesagt: “Dirk, ich weiß du hörst es nicht gern, aber du bist verrückt.” CHRISTOPHER DALL (KAMERA): Dirk und mich verbindet eine lange Freundschaft, aber als er
mir erzählt hat, was er vorhat, hab ich gesagt: “Du bist verrückt” STEPHAN KRAUSE (”PIT"): Mein Agent rief mich an und sagte “Dirk Sorensen will dich für
seinen neuen Film. Er will dich für die Rolle des Pit.” Ich hab gesagt: Ich glaub er
ist verrückt. DIRK SÖRENSEN (REGIE) (ist noch am Lachen von etwas, was er vorher gesagt hat): Die
ursprüngliche Reaktion? Ich glaube die meisten Leute, denen ich es erzählt habe, haben
gemeint ich wäre verrückt. Schwarz. Einblendung des Titels: The Making of TALKING HEADS. DIRK SÖRENSEN (CONT'D): Die Geschichte dieses Films geht zurück auf ein Erlebnis, was ich
in meiner Kindheit hatte. Ich war mit meinen Eltern im Urlaub an der Nordsee, ich
war vielleicht so 5 oder 6 Jahre alt, noch ziemlich klein jedenfalls. Und...äh...
da haben wir einen Strandspaziergang gemacht, wie man das halt so macht an der Nordsee. Und da finde ich im Sand plötzlich so ein wunderschönes geschwungenes Schneckenhaus.
(er macht eine entsprechende Geste)
Und ich... ich wollte es aufheben, und als ich danach
greife, ruft mich mein Vater und ich drehe mich um, und ich sehe noch aus meinem
Augenwinkel wie ein kleiner Krebs aus dem Schneckenhaus hervorkriecht. HENRY DU POINT (AUTOR ROMANVORLAGE) (spricht Deutsch mit starkem, echtem französischen
Akzent und bedient sich zur Unterstützung seiner Aussagen sehr ausdrucksvoller Gesten):
Im Kern von mein Buch liegt die Gedanque, dass die Welt ist eine Kampf von was ist Schön
mit einer großen... (er überlegt wie das Wort heißt) Wüt. DIRK SÖRENSEN: Als ich das Buch von Henny, also von Henry Du Point gelesen habe, wusste
ich sofort, dass darin ein ganz großer Teil auch von mir steckt. Von mir und von
diesem Tag am Strand. Und da wusste ich, dass ich da auf jeden Fall einen Film
draus machen muss. BERNHARD SCHROTH: Jeder kennt dieses Buch von Henry Du Point. Die meisten Leute haben es
gelesen. Und es gibt eine bestimmte Vorstellung davon, was für ein Typ die Hauptfigur
sein sollte. THOMAS F. BRINCKMANN: Ich hatte Henrys Buch nicht gelesen und bin deswegen erstmal in
einen Buchladen gegangen, hab es gekauft und eigentlich in einem Rutsch durchgelesen.
Und schon beim lesen hatte ich eigentlich immer schon eine sehr genaue Vorstellung
davon, wie die Hauptfigur aussieht. DIRK SÖRENSEN: Ich kenne Stephan noch aus meiner Zeit am Bielefelder Staatstheater
und ich wusste einfach: Er ist der Mann für den Job. STEPHAN KRAUSE (”PIT”): Ich war gerade auf Mallorca, ich hab da eine kleine Finca für den
Winter und so als mein Handy klingelt und mein Agent ist dran. Er sagt: “Du wirst nicht
glauben wer mich gerade angerufen hat.” Ich sage: “Steven Spielberg?” Er sagt: “Nein,
Dirk Sörensen. Er will, dass du in seinem neuen Flm den Pit spielst.” BERNHARD SCHROTH: Stephan hat die Gabe, echte Gefühle zu transportieren, und das können
nur sehr sehr wenige Schauspieler, deswegen war mir klar, dass er unsere
Idealbesetzung sein sollte. STEPHAN KRAUSE: Ich sagte nur: Okay, wo muss ich unterschreiben.

Wenn ich das so lese, bekomme ich richtig Lust, mich noch einmal dran zu setzen.

Franchise-Nomenklatur: “Soft Reboot”

“I’m not sure there’s that much value in determining what these nonsense words
mean anyway. They’re mostly for bloggers and entertainment journalists
to bandy about as they attempt to draw clicks to their website.”
– Craig Mazin, Scriptnotes #150

In der wackren neuen Welt des Film-Franchising versuchen Macher und Beobachter noch immer, der verschiedenen Strategien habhaft zu werden – auch, indem sie ihnen Namen geben. Immer mal wieder stolpere ich dabei auf neue Ideen, die mir gefallen. Zum Beispiel wenn Blogger “Echo-07” in seinem (für Star Wars-Theoretiker wie mich) durchaus interessanten Spekulationsartikel auf “Star Wars Episode 7 News” folgendes zu den neuen Star Wars-Filmen schreibt:

For the short-game we are getting six movies along with the TV show Rebels. For the long-game Episode VII is a “soft reboot” as the Original Trilogy cast acts as “connective tissue,” passes on the torch, passes on their storied legacy to a new generation of heroes and villains to carry said torch as far as they can, until they pass it on. (Meine Hervorhebung)

Den Begriff “soft reboot” im Bezug auf Franchising lese ich hier zum ersten Mal, aber er ergibt für mich sofort Sinn. Kein Wunder: Der “Hollywood Repoerter” identifizierte den Soft Reboot bereits im Februar 2012 als “Hollywood’s newest trend”, unter anderem in Reaktion auf den Backlash gegen The Amazing Spider-Man.

Dahinter steckt der Wille der Filmemacher, die Marke zu erneuern ohne dabei alle Verbindungen zur Vergangenheit zu kappen, wie es Anfang des Jahrtausends so beliebt war. Statt also wie bei James Bond oder Batman zu sagen, “Dies ist nicht der Charakter, den eure Eltern noch kannten, er ist neu und ganz anders und hat nichts mit seiner alten Version zu tun” beschwört man ganz bewusst die Bezüge zum Ur-Text herauf, lässt sich sozusagen von diesem den Segen erteilen, jetzt neue Geschichten zu erzählen, ohne die Kontinuität zu brechen.

Star Wars ist nicht das einzige Franchise, das diesen Weg geht. Jurassic World sieht danach aus. Und sowohl in J. J. Abrams’ Star Trek als auch in Bryan Singers X-Men: Days of Future Past bedienen sich die alten Charaktere Zeitreise-Plots, um die Fackel sogar an jüngere Versionen ihrer selbst weiterzugeben. Transformers 4 scheint den Begriff aktiv im Marketing zu benutzen. Es wird interessant sein, zu sehen was James Cameron mit seiner neuen Avatar-Trilogie macht. Dass das Prinzip in komplexeren Konstrukten wie Comic-Universen nach hinten losgehen kann, darauf wiesen mich zwei meiner Follower auf Twitter hin.

Die Bezeichnung existiert übrigens auch im Computerbereich, wo ja “Reboot” überhaupt herstammt. Und sie passt perfekt: “A soft reboot, by definition, is anything that uses only software to reboot the controller.” Mit anderen Worten: Der Neustart wird aus sich selbst heraus motiviert, es braucht keine externe “Hand Gottes”, die ihn herbeiführt. Daraus folgt, “that a hard reboot will erase everything stored in RAM while a soft reboot will not”. Man ersetze “RAM” durch “Continuity”. (Geläufig scheinen auch die Begriffe “Cold Reboot” und “Warm Reboot” zu sein)