Bessere Kommunikation beginnt mit besseren Schildern

Das Netz ist voll mit Seiten, in denen voller Häme über die kleinen Fehler der Schilderwelt gespottet wird. Falsch gesetzte Apostrophen an Kiosk’s. Der falsche Gebrauch von Gänsefüßchen zur “Betonung” von Begriffen. Es ist ziemlich einfach, sich auf diese Weise überlegen zu fühlen. Meiner Meinung nach stürzt man sich damit aber auf die Spatzen der Schilderkultur, während die wahren Raubvögel, die uns wertvolle Lebenszeit rauben, davon kommen.

Das obige Schild habe ich vor einigen Monaten am Frankfurter Flughafen fotografiert. Ich war in Eile, deswegen ist das Foto unscharf, aber es ist das perfekte Beispiel dafür, was man alles auf einem Schild falsch machen kann. Es fängt bei der Benutzung von Fachausdrücken (“Lining”, “Bodenhülsen”) an, geht bei der Erfindung von Wörtern weiter (“Treppenbauwerk”, tatsächlich haben wohl die Architekten das Wort erfunden) und endet bei der Formulierung des Satzes in dieser merkwürdigen Verbform, die keiner auf Anhieb benennen kann. Unter meinen gut studierten Freunden, die ich auf Facebook um Rat gefragt habe, reichten die Vorschläge von Infinitiv-Imperativ über Prädikatives Gerundivum bis zu “erweiterter Infinitiv im Präsens Passiv”. Letzteres ist wahrscheinlich am korrektesten, ersteres dafür am passendsten.

Mein Punkt ist: Der erste Satz lautet “Wir bitten um Beachtung”, aber was zur Hölle soll ich hier eigentlich beachten? Die Verbform vermeidet es, mich direkt anzusprechen, und die Begriffe sind so merkwürdig, dass ich eine Weile brauche, um überhaupt zu verstehen worum es geht. Wahrscheinlich richtet sich das Schild gar nicht an mich, sondern an Arbeitskräfte am Flughafen, die gefälligst die Pfosten da lassen sollen, wo sie sind, aber das ist auch nicht daraus ersichtlich. Kurz: Es ist ein richtig schlechtes Schild.

Ein Fall von Nerdview

Der Linguist Geoffrey K. Pullum hat für die Praxis, Hinweise aus Sicht der Fachleute zu schreiben, statt sie so zu verfassen, dass sie den Menschen am anderen Ende der Kommunikation tatsächlich etwas nutzen, den Begriff Nerdview geprägt, den er zwar selbst nicht ideal findet, den ich aber trotzdem verwenden werden. Nerdview war lange Zeit Usus bei vielen Dingen, von Bedienungsanleitungen bis zu Webformularen. Wann immer man es mit staatlicher Bürokratie zu tun hat, ist es nach meiner Erfahrung immer noch normal. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, meine Steuererklärungsformulare auszufüllen ohne ein Programm, das mir erklärt, was die einzelnen Felder bedeuten. Und Nerdview kann subtile Formen annehmen, wie Pullum erklärt. Aber immer führt es zu Missverständnissen.

Doch Nerdview ist nur ein Teil der Erklärung für schlechte Schilder. Genauso wichtig ist nach meiner küchenpsychologischen Meinung die Angst der Menschen davor, von anderen für dumm gehalten zu werden, wenn sie einfach genau sagen, worum es geht. Schilder sind etwas Offizielles mit großem O und daraus entsteht der Trugschluss, dass sie besser sind, je mehr große Wörter benutzt werden und je umständlicher und indirekter sie formuliert sind. Wo kämen wir hin, wenn wir Menschen direkt ansprechen und zugeben würden, dass wir der Absender einer Bitte oder Anweisung sind?

Stattdessen entstehen solche Schilder, wie im Hausflur meines Hauses.

“Die Wartung ist jährlich durchführen zu lassen” – ich kann nicht einmal sagen, ob das grammatikalisch hundert Prozent Sinn ergibt. Und ich weiß nicht, warum meine Vermieterin nicht einfach schreibt “Bitte lassen Sie Ihre Thermen einmal im Jahr warten” oder “Sie müssen Ihre Thermen einmal im Jahr warten lassen”.

Ein letztes Beispiel noch, an dem George Orwell wahrscheinlich seine helle Freude gehabt hätte. Die Post hatte nicht umsonst lange den dazugehörigen Ruf.

Die Nutzererfahrung

Aus meinen Ausführungen spricht die Überzeugung, die man ja nicht teilen muss, dass Sprache Bewusstsein prägt. Also: Wie wir etwas sagen, beeinflusst mindestens langfristig auch, wie wir zu einem Thema denken. Was einer der Gründe ist, warum ich zum Beispiel für das so unbeliebte und oft verlachte Gender Mainstreaming bin. Dieses Fass will ich hier aber heute gar nicht aufmachen.

Vielmehr ist es so, dass man ja heute zum Glück auch durch Daten nachweisen kann, dass manche Formulierungen bei Hinweisen oder Ge- und Verboten einfach besser funktionieren als andere. Ein Schild wie das am Rückgabeschlitz der Post für falsch eingelegte Sendungen im eigenen Postfach würde ein Experte für “User Experience” (UX), wie ihn heute jede App und Webseite konsultiert, schlicht nicht akzeptieren. Und vermutlich hätte er auch die Zahlen dazu.

Welche Unterschiede Formulierungen machen können, hat der Podcast Radiolab vor einiger Zeit in seiner Folge “The Trust Engineers” deutlich gemacht. Leute, die bei Facebook für Wordings (schlimmer neudeutscher Ausdruck, ich weiß) zuständig sind, teilen darin ihre Erkenntnisse über die Art und Weise, wie man jemand bitten kann, ein ungeliebtes Foto zu entfernen, auf dem man selbst zu sehen ist. “Hey Robert, I don’t like this photo, take it down” führt zu sieben Prozent mehr tatsächlicher Fotoentfernung als eine Ansprache ohne Name. Und “Hey Robert, I don’t like this photo, please take it down” funktioniert noch einmal vier Prozent besser. Wer eine halbe Stunde Zeit hat, sollte den Podcast hören, er fängt mit Wordings an und endet an einem deutlich düstereren Ort.

Auch der Sender fühlt sich besser

In meinem Brotjob habe ich im vergangenen Jahr auch viel an Formulierungen in Webformularen und E-Mails gearbeitet. Und auch wenn ich keine A/B-Testdaten habe, kann ich dennoch sagen, dass eine freundliche, persönliche aber direkte Formulierung sich auch vonseiten des Senders besser anfühlt. Im Zweifelsfall sorgt man damit mindestens dafür, dass mehr Personen verstehen, worum es überhaupt geht.

Wir sollten uns das merken für die Schilder, die wir aufhängen. Weg von indirekten Formulierungen, weg von Nerdspeak und weg vom Verstecken hinter wichtig klingenden Wörtern, die den wahren Zweck eines Schildes nur verschleiern. Ich glaube fest daran, dass bessere Schilder einen ersten Schritt in Richtung besserer Kommunikation allgemein bedeuten können.

Und übrigens muss man kein gelernter UXer, Texter oder sonstwie täglich mit Wörtern umgehender Mensch sein, um verständliche, klare Schilder zu gestalten. Dieses Schild zum Beispiel, was ich am Wochenende in unserer Straße fotografiert habe, fand ich fast perfekt. Man hätte noch spezifizieren können, welcher Hundekot genau gemeint ist, nämlich der hier hinterlassene (und das Bild entspricht weder dem Text noch ist es lizensiert) – aber da hätte auch stehen können “Wir bitten um Beachtung! Die Exkremente vierbeiniger User dieses Straßenbauwerks sind zu entfernen und nicht liegenzulassen.” Es geht voran.

Der Weg der zwölf Macbeths: The Scottish Play in/on Film

© See-Saw-Films

To The Lighthouse” ist eins der wenigen Filmblogs, in dem ich auch die Kritiken lese. Das liegt an seiner Autorin, die es für mich wie kaum jemand anderes in der Blogosphäre schafft, sehr klug und wissend über Filme zu schreiben, ohne dabei zu formelhaft oder versnobt zu werden. Außerdem schätze ich die Systematik, mit der sie sich manchmal durch Filmografien guckt und dann darüber schreibt. Als sie sich mal wieder auf Twitter darüber lustig machte, dass sich außer ihr niemand für Macbeth-Verfilmungen interessiert, habe ich ihr widersprochen und sie gebeten, doch die Bilanz ihrer schottischen Odyssee als Gastbeitrag für “Real Virtuality” umzuschreiben – mit einem Ausblick auf die anstehende Verfilmung von Justin Kurzel, die diese Woche in Cannes Premiere feiert. Das Ergebnis ist wunderbar geworden. Ihr solltet auch “To The Lighthouse” lesen.

Ein Gastbeitrag von Lena Leuchtturm

Shakespeare! Fassbender! Cotillard! Drei Namen, die einzeln genommen schon ein Versprechen sind, deren Kombination aber ein perfektes Zusammenspiel künstlerischer Talente und Stärken erwarten lässt und mir daher bereits seit 2013 feuchte Träume beschert – seit ich von der Existenz eines gewissen Filmprojektes erfuhr. Nun endlich, zwei Jahre später, feiert Regisseur Justin Kurzels Version der Königsmörder-Tragödie Macbeth bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere.

Die Wartezeit vertrieb ich mir allerdings sinnvoll – mit einer Rückschau. Denn eine Frage stellte sich mir: Braucht die Welt tatsächlich eine weitere Inszenierung eines Stücks des meistverfilmten Autors überhaupt? Die IMDb listet eine unüberschaubare Anzahl Film- und Fernsehtitel unter dem Stichwort „Macbeth“. 12 davon sah ich mir an (von Regisseuren wie Orson Welles, Akira Kurosawa, Béla Tarr und Roman Polanski) und kann bereits jetzt mit Gewissheit antworten: Aber selbstverständlich braucht sie sie!

Feingefühl für Gewalt

Jede Verfilmung hat ihren eigenen Wert. Macbeth-Inszenierungen sind seit der Stummfilmzeit in jeglicher Qualität und für verschiedenste Zielgruppen verfügbar, von texttreuen Lebendigwerdungen bis zu freihändigen Modernisierungen, und jede einzelne lehrt uns etwas über Shakespeares Stück, über Welt- und Menschenbilder und über filmische Ausdrucksmittel. Ich habe Shakespeare durch die Augen anderer gesehen und gerade Differenzen brachten neue Erkenntnisse. So bewies etwa die aufgrund ihrer Banalisierung von Gewalt ärgerlichste Verfilmung von Geoffrey Wright mit Sam Worthington durch ihr mangelndes Feingefühl eben jenes Feingefühl bei Shakespeare. Denn sein Macbeth ist eher Gewaltstudie als Metzelfilm.

Geoffrey Wrights Macbeth (2006)

Macbeth (ein Titel, der einem Fluch nach nicht in Theatern ausgesprochen werden soll – Auftritt „The Scottish Play“) ist Shakespeares kürzeste Tragödie. Dadurch ist sie eine sehr kompakte, dichte und auf den ersten Blick eindeutige, die von einer hoffnungslosen, deterministischen, von Krieg, Verrat und Ehrgeiz geplagten Welt erzählt, in der Befreiung durch einen abgeschlagenen Kopf erlangt wird. Inspiriert durch die Prophezeiung dreier Hexen und die Überredungskünste seiner Frau, mordet sich der einfache Krieger Macbeth zum König und Tyrannen hoch, was zunächst den Verstand und schließlich das Leben des Ehepaars Macbeth fordert. Dennoch lässt sich die Aussage nicht auf die Formel “Macht korrumpiert” herunterbrechen. Macbeths Vorgänger Duncan schien ein guter König und dessen Sohn Malcolm verspricht es ebenfalls zu werden. Eindeutiger ist: Wer aus unlauteren Gründen zur Herrschaft kommt, der ist kein guter Herrscher. Nicht Macht selbst korrumpiert, sondern die Mittel, die gewählt werden. Der Mensch ist sein eigenes Verderben, weil er niemals zufrieden ist.

Neben dieser Einsicht entdeckte ich durch die Verfilmungen aber auch noch ganz andere Anlagen in der Geschichte. Besonders umgetrieben hat mich immer wieder die Frage nach dem freien Willen, die sogar ein größerer Antrieb der Handlung zu sein scheint als die der Machtgier. Man darf den Stein des Anstoßes nicht vergessen: die Hexen, die Macbeth erst die Flausen in den Kopf setzen. Wie die einzelnen Macbeths mit diesem gepflanzten Gedanken umgehen, ist stets einer der spannendsten Momente der Verfilmungen. Folgen sie nur einem vermeintlichen Schicksal oder wählen sie ihren Weg selbstbestimmt? Die einen stolpern mehr durch ihren vorherbestimmten Weg, angeleitet von ihren Frauen, die anderen entscheiden bewusst selbst, reflektieren, hadern mit den Konsequenzen und nehmen sie dann doch in Kauf. Davon ableiten lassen sich Weltbilder zwischen Determinismus und einem Recht des Stärkeren.

Schauplätze

Es geht um Individuum und Kollektiv. Macbeth bringt durch sein unrechtmäßiges Tun die natürliche Ordnung durcheinander. Bereits die Schauplätze der Filme vermitteln jedoch unabhängig davon das Bild einer Welt, die chaotisch, mitleidlos, gewalttätig ist und Macbeth gleichgültig gegenübersteht. Sie zeigen kalte, klaustrophobische, dunkle Burgen und manchmal zum Staunen schöne, aber unbeteiligte, gar feindselige oder Macbeths Grausamkeit spiegelnde Natur. Die Regisseure setzen dies geschickt in Genre-Anleihen um: Vom Expressionismus durch harte Winkel und lange Schatten bei Orson Welles (1948), Film Noir in Joe MacBeth von Ken Hughes (1955), Mafiafilm im indischen Maqbool von Vishal Bhardwaj (2003), bis zum überstilisierten Actionfilm in Geoffrey Wrights Macbeth (2006).

Orson Welles als Macbeth, 1948

Die Rettung Schottlands durch Malcolm ist dann auch nur bedingt erleichternd, sie wird mit einem abgeschlagenen Kopf bezahlt und mit einer ungewissen Zukunft – oder bei Polanski (1971) mit dem Beginn eines neuen Kreislaufs von Verführung und blindem Ehrgeiz. Manche Macbeths wirken in ihrer Degeneration zwar monströser als andere, sie bestätigen aber meist nur ihr Umfeld und das, was sie gelernt haben (insbesondere die Gangsterbosse in den modernisierten Thrillern), schließlich beginnt die Handlung mit einem Krieg.

Ausdehnung

Unterschiede zeigen sich besonders in der Ausdehnung der gezeigten Welt. Die Überschaubarkeit des Schauplatzes und der Statisten machen die Verfilmungen zu intimen psychologischen Studien (besonders Philip Cassons Abfilmung einer Theaterinszenierung mit Ian McKellen und Judi Dench von 1979), zu taktischen Kriegsdramen (Kurosawas Das Schloss im Spinnwebwald von 1957) oder zu real durchaus möglichen Thrillern (die schwarze Komödie Scotland, Pa. von Billy Morrissette von 2001). Shakespeares kompaktes Stück konzentriert sich auf essenzielle Entscheidungen und Antriebe. Es lässt viel Spielraum zur Interpretation, wodurch es leicht transponierbar und in verschiedene Kontexte einsetzbar ist.

Akira Kurosawas Interpretation von 1957

Die Modernisierungen spielen dennoch meist im Gangstermilieu (oder kurioserweise im kulinarischen Umfeld – in Scotland, Pa. und in der Fernsehproduktion ShakespeaRe-Told: Macbeth von 2005 mit James McAvoy als Koch), wodurch sie Herrschaft mit Gewalt und Unmoral gleichsetzen. Selbst der edle König wird dann zum Verbrecher (zum führenden sogar) und Macbeth selbst vor allem zum ehrlosen Verräter.

Darsteller

Nicht nur die Textumsetzung bestimmt aber die Aussage, sondern vor allem auch das Schauspiel, die Haltung, die Extraversion, die Dynamik der unterschiedlichen Macbeth-Darsteller. Selbst wenn sie teilweise denselben Text sprechen, sind es doch zwölf völlig eigenständige Macbeths: in sich gekehrte, lebensmüde Macbeths (Orson Welles), patente Krieger (Toshirō Mifune), smarte Emporkömmlinge (Jon Finch), intellektuelle Zweifler (Ian McKellen), etwas dümmliche Tollpatsche (James Le Gros), Wahnsinnige (z.B. James McAvoy), Sadisten (Sam Worthington), Tyrannen (Patrick Stewart). Kaum einer genießt seine teuer bezahlte Macht, doch bei den einen ist das Einschreiten des Gewissens nachvollziehbarer als bei anderen.

Das ist ein weiterer entscheidender Unterschied: Die einen tragen den Anstoß zum Verrat in sich, die anderen müssen mühsam überredet werden. Gegeben ist der Wille zur Macht allen, es ist nur eine Frage der Zugänglichkeit. Am Ausmaß der Grausamkeiten ändert das aber wenig. Dennoch ist natürlich auch das Verhalten nach Machtergreifung nicht uninteressant. Bei manchen schlägt sofort die egoistische Paranoia durch, andere werden zum tyrannischen Machiavelli, wieder andere verlieren gar die Lust am Leben.
Und wir bleiben stets bei ihnen, erleben den wackligen Aufstieg und sicheren Fall direkt an der Seite des unlauteren Herrschers mit, die Gier nach mehr, die Paranoia und Selbstvergewisserung, das Verzweifeln an den eigenen Taten und Ängsten. Der Endkampf mit Macduff wirkt dann meist wie ein letztes Aufbäumen des müden Regenten, der Anhänger und Frau längst verloren hat. Einst ein aufrechter Mann, weichen Güte, Verstand und Lebenslust aus ihm, mit jedem Mord ein wenig mehr.

Roman Polanskis Macbeth (1971)

Frauen

Eine besondere Herausforderung für die Filme ist die schwer umzusetzende Ambivalenz der manipulativen, aber sensiblen, selbst beeinflussbaren Lady Macbeth, welche nicht immer vollständig glaubhaft, aber stets doch sehr komplex dargestellt wird. Sie erlebt Macbeths Zustände wie in gesteigerter Form. Ihr Ehrgeiz und ihre Kälte sind größer, später aber dafür auch ihr Leiden an der eigenen Schuld. Die Darstellerinnen sind meist zarte, elegante Wesen oder Femmes fatales, deren Entschlossenheit überrascht und deren Wahnsinn umso herzzerreißender ist.

In manchen Verfilmungen, besonders in Joe MacBeth, erscheint Lady Macbeth als der geeignetere, patentere, durchsetzungsfähigere Herrscher, durch ihr Geschlecht aber von der Rolle ausgeschlossen, in anderen (bei Rupert Goold mit Patrick Stewart) wird sie Opfer von Macbeths zunehmendem Jähzorn. Das schottische Stück ist auch eine Geschichte über die Geschlechter in einer patriarchalen Gesellschaft, in der das Weibliche mit Schwäche gleichgesetzt wird und ausgetrieben werden muss, zugunsten von Ehrgeiz und Rache. Durch diese Kälte und Herzlosigkeit wird aber nur ständig Gewalt mit Gewalt vergolten. Es gibt keine Barmherzigkeit. Lady Macbeth ist also im falschen Körper geboren, vielleicht aber auch nur zur falschen Zeit (wobei die modernen Ladys es auch nicht leichter haben mit ihren Männern) und deswegen in diesem unauflöslichen inneren Zwiespalt gefangen.

Whither should I fly?
I have done no harm. But I remember now
I am in this earthly world, where to do harm
Is often laudable; to do good sometime
Accounted dangerous folly: why then, alas,
Do I put up that womanly defence,
To say I have done no harm?

Shakespeare Re:Told (2005)

Schein und Sein

Nicht zuletzt sind all diese Filme Reflektionen über des Lebens Bühne, über Schauspiel, Schein und Sein Macbeths, über die Macht von Ideen und Vorstellungen, über Wunsch und Wirklichkeit, das Latente und das Manifeste, das besser nur ein Wunsch geblieben wäre. Macbeth hadert mit den Bildern in seinem Kopf, er halluziniert Dolche und seine blutenden Opfer, wird aber stets von seiner Frau angehalten, eine Maske der Unschuld zu tragen – ideale Anliegen für eine Übertragung ins Schattenspiel Film.

Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury

Der Schöpfer, Shakespeare, die Regisseure und Darsteller sind Spieler, Gaukler, die jeweils einen Macbeth festlegen, nur um vom Nächsten revidiert und vorgeführt zu werden. Es gibt keinen endgültigen Macbeth, nicht mal Shakespeares selbst. Und damit auch keine endgültigen Aussagen über Ehrgeiz, Macht und Vorsehung.

Rupert Goold, 2001

So sehe ich selbst nach einem Dutzend Verfilmungen noch die Lücke, in die Justin Kurzel stoßen kann, um sich einen Platz im Macbeth-Kanon zu sichern. Bereits der Debütfilm des Australiers ist eine Studie über Gewalt und Verführung: In Snowtown lockt ein Serienmörder einen misshandelten Teenager in seine Gewaltspirale – von Kurzel mit einem unnachgiebigen, distanzierten Blick eingefangen.

Und wieder Gewalt

Gewalt spielt natürlich in vielen der bisherigen Macbeth-Inszenierungen eine große Rolle, besonders bei Polanski und Wright, aber eher als Kontext und Schauwert und nicht unter dem so sezierenden Blick, den Kurzel mitzubringen scheint. Sein Macbeth könnte die Machtstudie auf Basis von Gewalt werden, die ich bisher noch vermisst habe. Gewalt befördert Macbeth an seinen erstrebten Platz, erst ihre Maßlosigkeit bringt ihn zu Fall. Der neuste Macbeth spielt dem Stück gemäß im Mittelalter, wurde im rauen Schottland und unter Verwendung der Originalverse gedreht und verspricht nicht nur dadurch eine vergleichsweise realistische, wenig zimperliche Herangehensweise an die sinistren Themen. Gerade auch Hauptdarsteller Michael Fassbender, der meist eine latente, konzentrierte, gequälte Aggression ausstrahlt, bringt dazu die nötige mimische Intensität mit, die auch leicht die bedeutungsschweren Verse tragen kann. Marion Cotillard an seiner Seite wird ihn ohne Frage gekonnt verführen und schließlich wunderschön leidend zugrunde gehen.
So oder so wird Justin Kurzels Film dem Prisma Macbeth eine weitere Fläche und damit einen weiteren Blickwinkel hinzufügen, wodurch das Stück und seine Themen noch vielfältiger brechen, reflektieren und strahlen … signifying (almost) everything!

© See-Saw Films

Das Marvel-System – Fünf Parallelen zwischen Marvel Studios und dem klassischen Hollywood

Screenshot aus dem Marvel Studios Logo

Wenn The Avengers: Age of Ultron diesen Donnerstag in Deutschland ins Kino kommt (und eine Woche später in den USA), wird er vermutlich wieder große Mengen Zuschauer ins Kino locken. Wenn man den ersten Reaktionen von Fans und Kritikern glauben kann, ist es Joss Whedon, Kevin Feige und ihrem Team erneut gelungen, Comic-Motive und die Ansprüche des Mainstream-Filmgeschmacks zu einem stimmigen Ganzen zu verquirlen. Ähnlich wie schon bei den letzten Marvel-Filmen darf man sich vermutlich wieder auf eine gewisse Gleichförmigkeit und jede Menge Explosionen einstellen, aber immerhin kann man diesmal wieder auf Joss-Whedon-Dialoge hoffen.

In den knapp fünf Jahren, in denen ich mich jetzt mit den Filmen und Arbeitsmethoden von Marvel Studios beschäftige, musste ich immer wieder an eins der interessantesten filmhistorischen Bücher zurückdenken, das ich je gelesen habe. In “The Genius of the System” zeichnet Thomas Schatz eine Chronik der “goldenen Ära” von Hollywood in den 1930er und 1940er-Jahren und versucht dabei, die Dynamiken zu erklären, die dafür sorgten, dass die Zeit und ihre Filme heute als so kanonisch wahrgenommen werden.

Die Ansichten von Thomas Schatz, insbesondere seine Fixierung auf die zentrale Rolle einzelner Produzentenfiguren wie Irving Thalberg und Louis B. Mayer, sind nicht unwidersprochen. Sie schaffen aber einen interessanten Filter, um auf das heutige Hollywood zu blicken, mit seinem fragmentierten und internationalen Markt und all den Problemen, die inzwischen jeder von Kevin Spacey bis Steven Soderbergh schon angeprangert hat. Marvel Studios und, in Verlängerung, Disney sind einer der wenigen nun schon seit Jahren konstant erfolgreichen Player in diesem Markt und ich möchte argumentieren, dass dies unter anderem mit einer Rekurrierung auf klassische Hollywood-Methoden zusammenhängt.

Ich habe mir fünf Aspekte herausgepickt. Sicher lassen sich mehr finden oder einige ineinanderschieben, wenn man möchte.

1. Zentrale kreative Kontrolle

Wie weiter oben schon erwähnt dreht sich eine der zentralen Thesen von “The Genius of the System” um die Arbeit einzelner Männer. Studiofunktionäre, die die kreative und die geschäftliche Seite des Filmemachens gleichzeitig im Blick hatten, sehr direkt im Entstehungsprozess involviert waren und in einigen Fällen vermutlich mehr als “Autoren” des resultierenden Films gelten können als die im Vorspann aufgeführten Regisseure. Das prominenteste Beispiel ist sicher Louis B. Mayer bei Gone with the Wind. Solche Figuren gibt es heute nur noch vereinzelt, etwa Harvey “Scissorhands” Weinstein.

Bei Marvel aber kommt Kevin Feige, dem Präsident von Marvel Studios, auf jeden Fall eine ähnliche Rolle zu. Obwohl jeder Film einen Regisseur hat, der in gewissen Bahnen seinen eigenen Stil entwickeln darf (wie zuletzt bei Guardians of the Galaxy gesehen); obwohl über Feige der CEO von Marvel Entertainment, Ike Perlmutter steht und obwohl es ein Marvel Creative Committee gibt, das über die Charaktere insgesamt wacht – Feige ist der Boss. Zumindest muss man das aus all den Interviews und Porträts folgern, die seine zentrale Kontrollinstanz betonen. Was passiert, wenn man nicht dem Feige-Pfad folgt, konnte man letztes Jahr im Mai beim Rausschmiss von Edgar Wright erleben.

Es ist diese zentrale kreative Kontrolle aller Marvel-Produkte, welche die stattfindende komplexe Entwicklung eines transmedialen Erzähluniversums überhaupt erlaubt. Und sie ist es auch, die dafür sorgt, dass diese alles in allem eben doch wie aus einem Guss wirken, ob man das gut findet oder nicht

2. Langzeitverträge

Im alten Hollywood wurden Stars nur in zweiter Linie vom Publikum erkoren. Das Star-System der Studios funktionierte vor allem deswegen, weil die Schauspieler fest angestellt waren. Es gab kein Agenten-System wie heute und es gab ganz sicher keine Verträge, in denen einzelne Stars unfassbar hohe Gagen für manche Filme verlangen konnten. Klar, die größten Stars waren trotzdem sehr gut bezahlt – schließlich hätten sie jederzeit zu einem anderen Studio wechseln können – aber wenn sie einen Vertrag unterschrieben hatten, gehörten sie ihrem Arbeitgeber.

Genau wie heute bei Profifußballern und ihren Vereinen, bestimmte das Studio darüber, wann ein Star wie eingesetzt wurde. Das Studio kontrollierte auch das Image seiner Stars, bestimmte darüber, welche Details aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit dringen durften und formte Nachwuchstalente mitsamt neuen Namen und Historien wie Golems aus Ton. Das alles war nicht einmal besonders geheim – Filme wie George Cukors What Price Hollywood von 1932 stellten es sogar relativ ehrlich da.

Ganz so schlimm ist es bei Marvel nicht. Aber das Studio ist dafür bekannt, besonders knausrige Verträge zu schließen, die ihre Talente gleichzeitig für eine ungewöhnlich hohe Anzahl Filme an Marvel binden. Samuel L. Jackson unterschrieb vor Iron Man einen Vertrag für unerhörte neun Filme, die meisten Schauspieler haben Fünf- oder Sechs-Film-Deals. Der Grund zeigte sich im Tohuwabohu anlässlich des Auslaufens von Robert Downey Jr.s Vertrag nach Iron Man 3. Wenn der Marktwert eines Stars, wahrscheinlich sogar durch die Marvel-Filme selbst, steigt, hat er keinen Hebel, um ein besseres Salär herauszuschlagen.

Wer sich weigert, fliegt – zum Beispiel Terrence Howard, der Rhodey in Iron Man spielte. So kann Marvel langfristig mit ihren Stars planen, ohne dass ihnen die Fixkosten bei ihren ohnehin schon teuren Filmen um die Ohren fliegen. Alternativ könnte man argumentieren, dass nicht die Schauspieler, sondern die Figuren die Stars sind (wie die problemlosen Umbesetzungen einiger Rollen zeigen), was ebenfalls für Planungssicherheit sorgt.

© Disney

3. Kontrollierte Stoffentwicklung

Rund um den Release von Guardians of the Galaxy im vergangenen Jahr konnte man anhand der Person von Nicole Perlman, ausgewiesene Drehbuchautorin des Films, einiges über das Marvel Writer Program erfahren. Im Scriptnotes Podcast erklärt sie:

[T]he concept was you joined for one year and if they liked you and you liked them, you could come back for a second year. […] We each had an office and we each had our project that we had chosen. […] [And we were being paid a] weekly salary […]. [I]t’s a bit of a Faustian deal because they own you. For two years I was off the radar. I wasn’t allowed to take meetings. I wasn’t allowed to pitch on anything.

Perlman sagt auch, dass sie die Zeit nicht als unterdrückerisch empfunden hat, weil die Atmosphäre nicht negativ war. Wahrscheinlich ist es in einem klassisch freiberuflichem Job wie dem Drehbuchschreiben auch mal ganz angenehm, nicht nur vom eigenen Erfolg abhängig zu sein. Dennoch ist ein solches Arrangement ein weiterer Rückgriff auf das alte Hollywood-System, dessen Drehbuchautoren natürlich genauso wie seine Stars fest bei den Studios angestellt waren, wenig bis keine Rechte an ihrem eigenen Werk besaßen und beispielsweise keine Tantiemen erhielten.

Das Writer Program von Marvel wurde inzwischen eingestellt, aber es ist nur ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr das System des Studios auf die Kontrolle seiner Stoffe und seines Personals setzt. Gerade im Drehbuchbereich verhindert ein solches Vorgehen die üblichen Geschichten von Turnarounds und “Development Hells”, in denen Stoffe von Eigentümer zu Eigentümer wandern, bis sie am Ende kaum noch wiedererkennbar sind.

4. Zugehörigkeitsgefühl

In der vergangenen Woche war der Cast von Avengers in der Talkshow “Jimmy Kimmel Live” zu Gast. Am Herumalbern der Schauspieler untereinander, darunter einige der am besten bezahlten und am höchsten gehandelten Hollywoodstars dieser Tage, konnte man sehen, wie sehr sie auch hinter der Kamera zu einer Art Superheldenteam geworden sind.

Eine ähnliche Tonlage hört man auch sonst immer wieder in Interviews zu Marvel-Filmen heraus. Ein positiver Nebeneffekt der oben skizzierten Kontrollstrategien scheint darin zu liegen, dass die Menschen, die an Marvel-Projekten beteiligt sind, auf eine Art und Weise zusammenwachsen, wie es in der heutigen Filmwelt sehr selten geworden ist. Dadurch, dass Schauspieler immer wieder zusammen arbeiten, können sie sich auf eine Art und Weise aneinander gewöhnen, wie es sonst nur an Theatern, in lang laufenden Fernsehserien und in Filmen, die in Mittelerde spielen, der Fall ist. Das schafft nicht nur eine Kameradschaft untereinander, sondern auch eine gewisse Loyalität gegenüber dem gemeinsamen Arbeitgeber.

Marvel scheint sich um seine Leute zu kümmern und ist nicht nur aus Kostengründen an langfristigen Zusammenarbeiten interessiert. Das Drehbuchautorenteam Christopher Markus und Stephen McFeely oder die Regiebrüder Joe und Anthony Russo haben für Marvel schon diverse Projekte realisiert und wurden auch bereits für die Arbeit an den restlichen Avengers-Filmen verpflichtet, basierend auf ihrer bisherigen Arbeit für das Studio. So entsteht eine Identifikation zwischen Menschen und Marke, die man anderswo vergeblich sucht, die im klassischen Hollywood aber durchaus üblich war – zumindest solange Angestellte nicht mit ihren Studiochefs aneinander gerieten.

© ABC

5. Markenaufbau

In den 1930er und 1940er Jahren waren die Hollywood-Studios vertikal integriert. Sie kontrollierten nicht nur Filmproduktion und Filmverleih, wie heute, sondern besaßen auch ihre eigenen Kinoketten, denen sie das Programm diktieren konnten. Ein Urteil des obersten Gerichtshofs leitete 1948 die Zerschlagung dieser Studiomodelle ein. Da die Studios also zu einem deutlich geringeren Teil vom Markt abhängig waren als heute – Menschen gingen noch deutlich häufiger ins Kino, und sie schauten sich (meistens) eben an, was die Kinos, die den Studios gehörten, ihnen vorsetzten – fiel es ihnen, gemeinsam mit dem Star-System, auch deutlich leichter, ihre Marken zu kultivieren.

Im klassischen Hollywood waren die Studionamen synonym mit einer bestimmten Art von Film. Warner Bros. war zum Beispiel das “härteste” Studio, mit Krimis und Gangster-Filmen; MGM war das Äquivalent zu einem teuren Luxushotel, voller aufwändiger Produktionen mit vielen Stars. Wer könnte heute noch sagen, was ein typischer MGM- oder Warner-Bros-Film ist? Die Studios gehören multinationalen Konzernen wie Viacom (Paramount) oder Comcast (Universal) und ihre Logos sind so austauschbar geworden wie Köpfe auf einer Elektrozahnbürste. Disney hat sich mit einer konsequenten Firmenpolitik gegen diese Angleichung gewehrt und Marvel scheint sich eine Scheibe von seinem Mutterkonzern abgeschnitten zu haben.

Ich würde behaupten, dass Marvel Studios die einzige Comicverfilmungs-Firma ist, die es in den letzten zwei bis drei Jahren, seit dem Erfolg von Avengers geschafft hat, dass das allgemeine Publikum ihre Filme mit der dahinterstehenden Marke identifiziert. Schuld daran sind all die oben aufgeführten Taktiken und der regelmäßige Output von miteinander verwobenen Filmen, die diese Zusammengehörigkeit klar machen. Obwohl Filme mit Spider-Man oder den X-Men ebenfalls ein Marvel-Logo im Vorspann haben, werden sie nicht mit den Marvel-Studios-Filmen in einen Topf geworfen. (Uns steht also eine herrliche Verwirrung bevor, wenn Spider-Man jetzt ins MCU integriert wird.)

Der Vorteil einer starken Dachmarke? Sie sorgt für einen Vertrauensvorschuss bei allem, was noch kommt. Sie stärkt das Zugehörigkeitsgefühl (siehe oben) nicht nur auf der Produktionsseite, sondern auch bei den Fans. Auf dem Comicmarkt ist “Marvel vs. DC” seit Jahrzehnten die Arena des zentralen Zugehörigkeits-Kampfes. Im Kino entwickelt es sich gerade ähnlich, aber wenn wir Marvel sagen, meinen wir in der Regel Marvel Studios und nicht The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro. Marvel Studios kann behaupten, Ant-Man käme von den “Machern der Avengers“, auch wenn die beiden Filme wahrscheinlich nur sehr wenig Personal teilen.

Eins der anderen Studios in Hollywood, dass diese Identifikationsbasis geschaffen hat, gehört ebenfalls zu Disney. Pixar ist im Gegensatz zu DreamWorks Animation eine Marke, mit der ich als Zuschauer etwas positives verbinde. Und der ich deswegen auch mal einen Fehltritt verzeihe.

Zustimmung? Ablehnung? Weitere Gedanken? Dafür hat dieses Blog eine Kommentarfunktion.

„Korridor links, letzte Tür rechts“: Im Labyrinth der Asterix-Filme

© Studio Canal

Louis Clichy und Alexandre Astier gelingt in ihrem Film Asterix im Land der Götter etwas Besonderes: Dem gewöhnungsbedürftigen 3D-Look zum Trotz besitzen die unbeugsamen Gallier, ihre Gegenspieler und Alliierten, einen Charme, wie man ihn seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in Asterix-Verfilmungen gesehen hat. Der Ursprung dieses Charmes mag darin liegen, dass Clichy seine Lehrjahre unter anderem bei Pixar absolviert hat. Dem US-Studio gelang es schließlich in der Vergangenheit, von alten Spielzeugen bis quadratischen Robotern so ziemlich jedem Wesen eine computeranimierte Seele abzutrotzen.

Vielleicht aber haben sich Clichy und Astier auch sehr bewusst auf den Geist von Asterix-Erfinder René Goscinny besonnen. Dessen Geschichten lag bis zu seinem Tod 1977 bei allem satirischen Biss immer eine besondere Güte inne. Ein Humor, der stets ins Schwarze traf, aber selten verletzte.

Vielleicht lag es daran, dass Goscinny selbst so ein großer Zweifler an seinen Fähigkeiten war und deswegen nie aus einer Haltung der Arroganz heraus schrieb. Albert Uderzo, seinem Freund und Co-Erfinder der Gallier, gelang es lange Zeit, diesen gütigen Geist auch nach Goscinnys Tod in die Comics zu retten. Und auch wenn diese spätestens ab den Neunzigern ebenfalls an Qualität verloren: Asterix blieb auch dreißig Jahre nach dem Tod seines geistigen Vaters, wer er immer gewesen war.

Die animierten Abenteuer des gallischen Kriegers erzählen allerdings eine ganz andere Geschichte – wenn auch eine, die erschreckend wenig dokumentiert und erforscht wurde. Fast immer muss man sich auf nicht direkt belegbare Aussagen verlassen, wenn man etwas über die Asterix-Zeichentrickfilme erfahren will. Außer Fernsehdokumentationen und Pressetexten gibt es eigentlich kein Material. Ich will mich trotzdem an einem Überblick versuchen.

… und zwar drüben, im “Kinderfilmblog”

Dank an Rochus für Redaktion und Publikation

Die Missverstandenen. Das Kino der Wachowskis.

© Warner Bros.

Jupiter Ascending

Ich habe bis zum letzten Drittel von Jupiter Ascending gebraucht, bis ich mir sicher war. Dort wird ein Charakter gefoltert, und zwar, indem sich ihm auf einer Streckbank eine Maschinerie nähert, wie sie ineffektiver nicht sein könnte. Viele kleine Zahnräder, Klingen und Sägeblätter an mechanischen Ärmchen bewegen sich auf das Gesicht der Figur zu – ungefähr so, wie sich ein zehnjähriges Kind die Foltermethoden eines Bösewichts vorstellt. Also logisch: wer immer das hier inszeniert hat, kannn das alles gar nicht ernst meinen.

Ich hätte mir auch schon früher sicher sein können, an den dutzenden Stellen, wo Jupiter Ascending jeden Anspruch auf “ernsthafte” Science Fiction aufgibt und sich voll und ganz Elementen von Farce und Groschenheftromanze oder einfach nur dem Gefühl hingibt, eines Nachts alleine im Spielparadies eingesperrt zu sein und die epischste, grenzenloseste Geschichte aller Zeiten zu spielen, ohne dass einem jemand reinredet.

© Warner Bros.

Jupiter Ascending

Mit Terry Gilliam ist eigentlich alles gesagt

Als Mila Kunis’ Jupiter Jones entschieden hat, dass sie den königlichen Familienanspruch antreten will, von dem ihr Channing Tatums Wolfmensch-“Splice” erzählt hat, muss sie sich in der Hauptstadt des galaktischen Reiches durch eine absurde Bürokratielawine kämpfen, um am Ende von einem nur entfernt menschlichen Wesen ihre Beurkundung abzuholen. Gespielt wird dieser Notar von Terry Gilliam. Und damit ist eigentlich alles gesagt.

Wären die Dinge nur ein wenig anders gelaufen, Andy und Lana Wachowski könnten heute auch Terry Gilliam sein. Filmemacher, deren waghalsige Fabeln von der Liebe zur “Weirdness” und von ihrem Einfallsreichtum leben, von der Transgression und von dem Gefühl, etwas zu sehen, was man als Zuschauer niemals ganz durchdringen wird. Und deren Filme es gleichzeitig extrem schwer haben würden, überhaupt zu entstehen, weil jeder Finanzmensch weiß, dass sie kaum massenmarkttauglich sind.

Das explosive Zeitgeistgemisch

Bound, der erste Film der Wachowskis, war so ein Film. Klein, übersehbar, schon allein durch seine homosexuelle Lovestory mit BDSM-Einschlag irgendwie grenzüberschreitend, aber eindeutig mit einer starken Autor_innenstimme gesegnet. Doch dann schufen die Geschwister The Matrix und damit einen der wichtigsten und größten Blockbuster des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der Cool und Weird auf so explosive Weise zu einem Zeitgeistgemisch verband, dass ihnen in der Folge so ziemlich alles zugetraut wurde.

Darin liegt der Fehler, und das ist auch der Grund, warum man vielen Filmliebhabern (inklusive mir) über die letzten 15 Jahre langsam dabei zuschauen konnte, wie sie von Wachowski-Fans zu Wachowski-Apologeten werden mussten. Die Wachowskis sind keine Blockbuster-Filmemacher. Sie sind Underground-Künstler mit einem eigentlich sehr beschränkten Rezipientenkreis, die sich durch den Matrix-Erfolg eher zufällig den Blockbuster mit neunstelligem Budget als ihr Medium ausgesucht haben.

Was zur Hölle haben sie sich gedacht?

Lange war die Frage “Was zur Hölle haben die sich eigentlich dabei gedacht?” nur schwer zu beantworten, weil die Geschwister notorisch öffentlichkeitsscheu waren und sich weigerten, ihre Filme zu erklären. Erst als sie für ihr Herzensprojekt Cloud Atlas 2013 an der Seite von Tom Tykwer ihre Fördergelder rechtfertigen mussten, wagten sie sich regelmäßig vor Mikrofone, und wenn man ihnen zuhört merkt man, dass hier ganz bestimmt keine abgebrühten Hollywood-Business-Faschisten am Werk sind wie Zack Snyder, auch keine einfachen Kellerkind-Nerds, denen man endlich den streng kontrollierten Schlüssel zur Franchise-Schatzkiste gegeben hat wie Joe und Anthony Russo, sondern Gegenkultur-Ästheten, die es irgendwie schaffen, immer wieder Mäzene zu finden, die bereit sind, ihnen große Summen Geld zu geben, um ihre wahnwitzigen Pop-Art-Projekte umzusetzen.

Mit diesem Wissen muss man alle ihre Filme, insbesondere aber alle Filme nach The Matrix lesen. Die beiden Matrix-Sequels Matrix Reloaded und Matrix Revolutions sind in dem Sinn keine Filme, sie sind Teil eines megalomanischen Worldbuilding-Projekts, das die Grenzen zwischen Film, Videospiel, transmedialer Rhizom-Erzählung und Medienkunst-Installation bewusst verschwimmen lässt.

© Warner Bros.

Matrix Reloaded

Das sind keine Filme

Deswegen wirken einige der spektakulären Setpieces aus den beiden Filmen eher wie Videospiel-Level, deswegen gibt es mehrere Charaktere, die keine klare Funktion im Voranschreiten des Plots zu erfüllen scheinen, deswegen endet Reloaded in einem gigantischen Cliffhanger, dessen philosophische Implikationen in Revolutions niemals wirklich aufgelöst werden. Das sind keine Filme, es sind sehr teure poststrukturalistische Meditationen – und ähnlich wie in weniger teuren poststrukturalistischen Meditationen der Vergangenheit kann man sich dabei nicht immer sicher sein, ob dahinter wirklich Substanz steckt oder der einfache Versuch, die Grenzen des Behauptbaren auszutesten.

Speed Racer, Film drei nach Matrix, ist eine der besten Übersetzungen des Zeichensystems und der Kinetik japanischer Comic- und Trickfilmkultur in den westlichen Realfilm, die man jemals sehen wird. Man muss die Rennszenen aus Speed Racer nur mit denen aus einem Streifen wie Rush vergleichen, um zu merken, welcher Film die Essenz eines Hochgeschwindigkeitsrennens wohl besser verstanden hat. Bei den Wachowskis werden Autorennen zu einer Metapher einerseits für einen brutalen Gladiatorenkampf, andererseits für den Eintritt in eine andere Welt ähnlich der Stargate-Sequenz am Ende von 2001: A Space Odyssey.

© Warner Bros.

Speed Racer

Die Überschreitung aller Regeln

Die simplistischen, bonbonfarbenen Szenen, die diese Rennen verbinden, die man kaum Handlung nennen kann und die nicht im herkömmlichen Sinne von “runden” Charakteren bevölkert werden, dienen nur dazu, die Überschreitung aller Kinoregeln irgendwie narrativ zu legitimieren. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Vorlage für Speed Racer eine japanische Nachmittagsserie namens “Mach Go Go Go” ist, und dass im japanischen Mediensystem andere Regeln gelten als in Hollywood, wie etwa Henry Jenkins im Interview mit Ian Condry und Mark Steinberg herausgearbeitet hat.

John Gaeta, mit dem die Wachowskis im Visual-Effects-Bereich seit The Matrix immer wieder zusammengearbeitet haben, war 2008 mit Speed Racer auf dem Frankfurter eDIT-Festival zu Gast und ich erlebte, wie er sich einem fast schon feindseligen Publikum stellen musste, von dem er sich grundlegend missverstanden fühlte. Verzweifelt versuchte Gaeta zu verteidigen, dass es beim Filmemachen manchmal um mehr gehen sollte, als nur um eine zufriedenstellende Erzählung, nämlich um neue Arten sich künstlerisch auszudrücken, manchmal auch jenseits des Erklärbaren. Man kann daher Speed Racer, ähnlich wie den Matrix-Sequels, vorwerfen, dass er kein guter Hollywood-Film ist, ein Erlebnis ist er aber allemal.

© Warner Bros.

Speed Racer

“Zweimal alles, bitte”

Cloud Atlas, mit dem sich die Wachowskis gemeinsam mit Tom Tykwer 2012 nach einer längeren Pause zurückmeldeten, ist deutlich zugänglicher als Speed Racer, aber ein A-bis-Z-Film ist er deswegen noch lange nicht. Wichtiger als die einzelnen Handlungsstränge der sechs Erzählungen aus David Mitchells Matrjoschka-Roman, die der Film verwebt und selbst wichtiger als die universelle Message von Befreiung, Zeitenwende und Läuterung, die Cloud Atlas vor sich herträgt, scheint es den Filmemachern auch hier wieder zu sein, möglichst viele Elemente in ein einzelnes Gesamtkunstwerk zu packen.

“Zweimal alles, bitte”, scheint Cloud Atlas zu sagen, wenn er Postapokalypse, Kolonialismus, Science-Fiction, Romanze, Farce, Thriller, Spiritualität, ethnische und Geschlechteridentität und musikalische Philosophie in einen Drei-Stunden-Film presst. Mich persönlich hat dieser schillernde, sich ständig verändernde Rubikswürfel von einem Kinoprojekt extrem angesprochen, mit seinen Hollywood-Stars, die hinter den platonischen Ideen ihrer Charaktere zu verschwinden versuchen, doch vielen anderen Kritiker_innen war auch Cloud Atlas in seiner In-Your-Face-ness, die er trotz seiner vielen Ebenen besitzt, irgendwie zu flach.

© X-Filme

Cloud Atlas

Eine Verschwendung von 175 Millionen Dollar

Es ist dieser Vorwurf der letztendlichen Flachheit, die sich auch Jupiter Ascending wieder gefallen lassen muss. Der kritische Konsens, sowohl unter Filmkritiker_innen als auch beim Publikum scheint zu sein, dass Jupiter Ascending extravagant designt ist und sehr viel Spaß machen kann, wenn man ihn nicht ernst nimmt (wie er ja – siehe oben – meiner Meinung nach auch nicht verstanden werden will), aber letztendlich einfach auch irgendwie eine völlig behämmerte Verschwendung von 175 Millionen Dollar darstellt.

“We’re sort of oddities in that we keep making original movies”, sagt Lana Wachowski im Interview mit dem “L.A. Times”-Blog “Hero Complex”. Kommentator_innen haben ihr und ihrem Bruder längst vorgeworfen, dass Jupiter Ascending wohl kaum ein echtes “Original” sei, da es sich schamlos an allem bedient, was vor ihm kam, nicht zuletzt auch an The Matrix. Der wahre Punkt, auf den sie hinauswill, aber liegt im zweiten Teil ihrer Aussage, in dem sie feststellt, wir seien heute “more excited about a story we know the ending to” – wie das zunehmende Zurückgreifen von Hollywood auf Quellen, die sich bereits bewährt hätten, beweise.

© Warner Bros.

Jupiter Ascending

Die Legitimation der Missverstandenen

Die zentrale Frage ist, ob es wirklich genug ist, wenn sich Andy und Lana Wachowski und diejenigen, die ihre Arbeit schätzen, auf die Position der “Missverstandenen” zurückziehen. Brauchen Filme, die so viel Geld kosten und sich in vielerlei Hinsicht eben auch den Anstrich von Hollywood-Blockbustern und nicht von exzentrischen Kunstprojekten geben, eine Legitimation durch den Massenmarkt? Oder besitzen sie nur dann ein Existenzrecht, wenn sie besser ins Bild des kämpfenden Auteurs passen wie bei Gilliam oder den beiden Davids Lynch und Cronenberg, dessen eXistenZ gerne als die “bessere” Matrix-Verfilmung bezeichnet wird?

In jenem filmischen Barock, in dem wir uns zurzeit befinden, sollten meiner Ansicht nach auch die Wachowskis einen Platz finden können, hinter deren ästhetischen Vexierspielen sich manchmal vielleicht nicht unbedingt eine tiefere Wahrheit versteckt. Vielleicht ist das neugeborene Fernsehen, in dem sie als nächstes die Serie Sense8 auf die Welt loslassen, inzwischen eher ihr Medium. Wir werden sehen, was am Ende der Matrix wartet, wo der “Architect” es vielleicht immer noch am besten ausgedrückt hat:

Your life is the sum of a remainder of an unbalanced equation inherent to the programming of the matrix. You are the eventuality of an anomaly, which despite my sincerest efforts I have been unable to eliminate from what is otherwise a harmony of mathematical precision. While it remains a burden to sedulously avoid it, it is not unexpected, and thus not beyond a measure of control.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er dabei von Neo oder von den Wachowskis spricht.

© X-Filme

Cloud Atlas

Warum uns Mockingjay mehr in Erinnerung bleiben wird als Interstellar

© Warner, StudioCanal

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in unbeobachteten Momenten ist es, vorherzusagen, an was wir uns als typisch erinnern werden, wenn wir in zwanzig Jahren auf unsere jetzige Zeit zurückblicken (übrigens auch einer der Gründe, warum ich unbedingt beim Techniktagebuch mitmachen wollte). Wenn man beobachtet, wie zurzeit auf die 90er zurückgeblickt wird, ob mit Liedern oder “Buzzfeed”-Listen merkt man doch, dass nicht unbedingt die Dinge im Gedächtnis bleiben, die man damals für wichtig hielt.

Lenkt man die Zeitgeistforschung auf die aktuelle Kinolandschaft und dort spezieller auf die Blockbuster der letzten Wochen, fallen einem zwei Filme auf. Christopher Nolans Interstellar hat alles, was es für einen “großen Film” braucht: einen visionären Regisseur von solchem Kaliber, dass sein Name ausreicht, um Zuschauer ins Kino zu ziehen, ein massives Kinoereignis, ein Originalstoff und mindestens einige Effekt-Oscars am Horizont. Auf der anderen Seite erscheint Mockingjay – Part 1 wie der typische massenproduzierte Plastikblockbuster von der Art, wie sie Hollywood inzwischen am laufenden Band raushaut. Die letzte gedrehte Performance von Philip Seymour Hoffman genügt mit Sicherheit nicht, um ihn zu etwas Besonderem zu machen.

Und doch ist Interstellar aus Zeitgeist-Sicht ein Film, der genau wegen seiner Alleinstellungsmerkmale überhaupt nicht in unsere Zeit passt. Fast schon ein Relikt ist er, mit seiner Fetischisierung von Filmmaterial und seiner Besinnung auf konservative Werte wie die Kernfamilie und den einzelnen “Great Man“, den Pionier, der die Menschheit ins neue gelobte Land führt. Mockingjay – Part 1 hingegen ist voll und ganz ein Produkt seiner Zeit und wird in zwanzig Jahren als so typisch für die erste Hälfte der 2010er gelten können, wie kaum ein anderer Film. Warum? Ich bin froh, dass ihr fragt.

1. Er spielt in einer dystopischen Zukunft

Ja, Interstellar auch. Aber während Nolans Film seine vage und wenig erklärte Öko-Katastrophe nur als Mittel zum Zweck nutzt, um seine Hauptfiguren auf den Weg zu einer neuen Frontier zu schicken, ziehen die “Hunger Games”-Verfilmungen ihre graumelierte Zukunftsvision knallhart durch. Und eine gesellschaftliche Spaltung in Haber und Nicht-Haber, bei der die Nicht-Haber zu einem Leben in Staub und Knechtschaft verdammt sind, ist nicht nur in Panem Programm, sondern in großen Teilen der Mainstream-Science-Fiction – auch im Kino, von Elysium bis Snowpiercer. Die Arizona State University hat sogar ein Programm namens “Hieroglyph” aus der Taufe gehoben, um wieder hoffnungsvollere Visionen zu produzieren, die die Forscher der Zukunft inspirieren sollen. So gut es uns teilweise im Moment noch geht, wir blicken alle in den Abgrund, der sich vor uns auftut.

2. Er ist Teil eines Franchises

Genau die Eigenschaft, die Mockingjay – Part 1 zu einem generischen Stücken Hollywood-Schlock zu machen scheint, macht ihn auch zu einem typischen Produkt unserer Zeit. Die 2010er-Jahre werden die Dekade der Franchises und des seriellen Erzöhlens sein. Seit Harry Potter und die Lord of the Rings-Filme bewiesen haben, dass ein treues Publikum brav alle paar Jahre wieder in die Kinos schlappt, um der Weitererzählung einer nicht abgeschlossenen Geschichte beizuwohnen – die oft nicht viel mehr ist als die Bebilderung eines ohnehin erfolgreichen Buches – gibt es bei der Franchisisierung in Hollywood kein Halten mehr. Nicht nur durch den Aufbau von Shared Universes wie bei Marvel und Co, sondern durch das Auswalzen einer Story auf mehrere Filme. Mockingjay – Part 1 ist nur das jüngste Beispiel dieser merkwürdigen “Penultification” (Dan Kois), die durch den Erfolg von seriellen Fernseherzählungen (und jetzt auch Podcasts) nur befeuert wird. Ich gehe schwer davon aus, dass diese Welle in zwanzig Jahren ein wenig abgeflaut ist.

3. Es geht um Medien

Interstellar ist ein altmodisches Forscherabenteuer – es zählt nur, was man mit den Händen berühren kann. Zentrale Plotpunkte des Films basieren darauf, dass Pioniere und Heimatbasis nur eingeschränkt miteinander kommunizieren können und natürlich muss die Raumfähre auf jedem Planeten, den es zu erforschen gilt, landen, statt aus der Luft zu sehen, dass es da unten nur Wasser und turmhohe Wellen gibt. In Mockingjay und den anderen “Hunger Games”-Filmen spielt Kommunikation eine der Hauptrollen. Vom zentralen Plotpunkt der Reihe, den titelgebenden Hungerspielen, die im Grunde eine Weiterentwicklung von Reality Shows wie “Survivor” oder “Big Brother” sind – bis hin zu den Propaganda-Videos, die Katniss im jüngsten Teil drehen muss: Medien und mediale Inszenierung stehen im Mittelpunkt der Handlung. Was könnte besser passen zu unserem Informationszeitalter voller Selfies und sozialer Netzwerke, voller YouTube-Stars, die aus dem Nichts geboren werden, und Überwachungsstrukturen, die uns vielleicht schon bald dazu zwingen, unser tägliches Leben noch mehr zu inszenieren, um nicht unter Verdacht zu geraten? Mockingjay mag eine “Young Adult”-Version der Zukunft sein, in der die wichtigste Bezugsperson der eigene Kostüm- und Makeup-Designer ist, aber der Film trift damit genau die brachliegenden Nerven unserer Zeit.

© StudioCanal

4. Die Hauptfigur ist eine Frau

Fuck yeah! Die 2010er werden hoffentlich die Dekade sein, an die wir uns erinnern, wenn es darum geht, dass 150 Jahre Feminismus endlich soweit im Mainstream angekommen sind, dass selbst der dümmste Studioboss einsehen muss, dass die wichtigsten Mover und Shaker einer Welt, auch einer fiktionalen Welt, nicht Männer sein müssen. Katniss Everdeen ist der weibliche Superheld, der Hollywood auf den Pfad von Wonder Woman, Frozen und Captain Marvel geführt hat, die Anti-Bella, die ihr verdammtes Schicksal selbst in die Hand nimmt. Als zu großen Triumph sollte man das jetzt noch nicht feiern, dafür ist noch zu viel zu tun, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Zum Vergleich: Interstellar

5. Es geht um eine Revolution

Hiermit schließt sich der Kreis zu Punkt 1. Auch wenn Occupy Wall Street und der arabische Frühling schon wieder verebbt scheinen, erreichen uns auch 2014 immer wieder Nachrichten von Aufständen und Protesten auf der ganzen Welt, von Hong Kong über Ferguson bis Bangkok, wo Mockingjay nicht gezeigt wurde, weil Protestierer den Drei-Finger-Gruß des Films als Zeichen annahmen. Revolution liegt in der Luft – vielleicht nicht in Deutschland, dafür geht es uns noch zu gut, aber im globalen Zeitgeist definitiv. In zwanzig Jahren werden wir wissen, ob diese Stimmung der Anfang einer großen Umwälzung war oder doch nur ein Blip auf dem Radar des großen Weiter-als-wäre-nichts-gewesen.

Lege ich Mockingjay eine Last auf, die der Film nie im Leben tragen kann? Ist Interstellar vielleicht doch kein Relikt sondern nur seiner Zeit voraus? In die Kommentare, bitte.

Der Audiokommentar – Liebeserklärung an einen Paratext

Paratext, grob gesprochen, ist alles, was um einen Text herum passiert und mit ihm veröffentlicht wird, aber nicht der Kerntext selbst ist. Der Begriff stammt aus der Literaturwissenschaft, aber wenn man einen Film als Text definiert, wären Paratexte zum Beispiel Marketing-Materialien wie Poster, Trailer und Pressetexte. Auch DVD-Menüs sind Paratexte, Schnittfassungen (zum Beispiel Director’s Cuts) und je nach Definition auch transmediale Erweiterungen wie Videospiele oder Merchandising-Artikel.

Audiokommentare sind jedenfalls mit Sicherheit Paratexte und ich finde, sie gehören zu den interessantesten überhaupt. Allerdings fühle ich mich oft ziemlich allein mit dieser Meinung, denn selbst viele Filmliebhaber, die ich kenne, haben kaum je einen Audiokommentar gehört. Vielleicht ist der Grund, dass die Rezeption eines Audiokommentars recht zeitaufwendig ist, immerhin dauert diese genauso lang wie der Film selbst und manch einer denkt sich vielleicht: da gucke ich lieber den Film noch einmal.

Commentary Commentaries

Audiokommentare sind so sehr die Stiefkinder der paratextuellen Familie, dass die “Film School Rejects” eine Kategorie namens Commentary Commentary haben, in der sie anderen Filmfans das Anschauen von Audiokommentaren abnehmen und in praktische “X Things we learned from the Y Commentary”-Listicle ummünzen. Audiokommentare sind nicht mehr als eine weitere Quelle, aus der man Trivia destillieren kann.

Dabei gilt bei Audiokommentaren mehr als sonstwo “The Medium is the Message”. Es geht auch um Informationen, natürlich, aber vor allem geht es um die Möglichkeit, einen Film gemeinsam mit den Menschen zu gucken, die ihn gemacht haben. Besonders wenn man Audiokommentare mit Kopfhörern hört, kann das eine sehr intime Erfahrung sein.

Filmerzähler

Audiokommentare in ihrer jetzigen Form sind eine Erfindung des digitalen Zeitalters. Ihr Debüt feierten sie, laut Wikipedia, auf der Criterion Laserdisc-Edition von King Kong (1933), die einen erklärenden Kommentar von Filmhistoriker Ronald Haver enthielt. Doch wenn man es nicht so genau nimmt, liegen die Ursprünge deutlich weiter zurück. In den Anfangstagen des Kinos waren so genannte Filmerzähler, die erklärten und kommentierten, was auf der Leinwand passierte, Teil des Kinoerlebnisses. (Mein Filmwissenschaftsprofessor Thomas Koebner, der auch die Aura eines großen Conferenciers hat, schlüpfte in Vorlesungen beim Zeigen von Ausschnitten oft unbewusst in diese Rolle. Es war großartig.)

Die Marketingkampagnen rund um Filme sind heutzutage stark kodifiziert. Im Zeitalter der Press Junkets kann man sich darauf einstellt, dass man in seinem 5-Minuten-Interview mit dem Filmemacher die gleichen Antworten bekommt, wie die zwanzig Journalisten vor und nach einem – nicht zuletzt, weil auch alle die gleichen Fragen stellen (interessante Dekonstruktionen dieses Prozesses gibt es immer wieder, zum Beispiel von Peter Jackson (nur noch über Torrent) oder von Mila Kunis). Es gibt wenige Situationen, in denen diese Marketing-Maschinerie aufbricht. Eine davon sind lange Interviews, besonders in Podcast-Form, wie man sie zum Beispiel bei “The Q&A” oder dem “Nerdist Podcast” findet. Eine andere sind Audiokommentare, wie man sie inzwischen fast auf jeder DVD oder Blu-ray findet (falls sie die vollständige Ausstattung enthält).

Der Zeitpunkt zählt

Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist der Zeitpunkt, zu dem Audiokommentare aufgenommen werden. Häufig sind sie der Abschluss des Postproduktionsprozesses, bevor der Film der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Das heißt: zu diesem Zeitpunkt haben die Filmemacher sich noch nicht dabei zugehört, wie sie hunderte Male die gleichen Marketing-Blasen von sich geben, sie sind frisch fertig und stolz auf ihren Film. Das kann manchmal sogar herzzereißend sein, wie im Audiokommentar des Millionenflops John Carter, wo Regisseur Andrew Stanton lange über mögliche Sequels philosophiert. Die Alternative, gerade bei älteren Filmen, sind Audiokommentare, die lange Zeit nach dem Kinostart entstehen. Hier haben die Filmemacher wie bei jeder Retrospektive zwar den Nachteil der Nostalgie und verschwommenden Erinnerung, aber auch den Vorteil der Reflexion, der einen freier sprechen lässt.

Die bestmögliche Form des Audiokommentars entsteht, wenn die wichtigsten kreativen Köpfe des Films, am besten nicht mehr als vier, gemeinsam in einem Raum sitzen, den Film gucken und sich vorher ein paar Notizen gemacht haben. Für Filmfans unbezahlbar ist dabei nicht nur die Kommentierung des eigenen Werks, sondern auch die Möglichkeit, Filmemacher akustisch dabei zu beobachten, wie sie in einer nicht knallhart als Publicity erkennbaren Situation miteinander interagieren, scherzen und diskutieren. Diese psychologische Komponente mag nicht für Jeden interessant sein, ich finde sie faszinierend. Zu meinen persönlichen Lieblingsmomenten gehört der Audiokommentar von Jurassic Park III, bei dem VFX- und SFX-Supervisor streckenweise selbst nicht mehr sagen können, welche Einstellungen computergenerierte Dinos enthalten und welche animatronische. Oder der Audiokommentar von X2, in dem Bryan Singer und sein Kameramann Tom Sigel während des Abspanns todernst beginnen, Teil 3 als Musical zu planen – inklusive Gesang.


Nicht grundsätzlich gut

Das soll nicht heißen, dass Audiokommentare grundsätzlich gut sind. Filmemacher fallen sehr gerne in die Falle, über weite Strecken nur die Arbeit ihrer Kollegen (oder auch ihre eigene) zu loben. Schauspieler sind fast immer recht langweilige Kommentatoren – außer sie sind Arnold Schwarzenegger. Falls sie nicht in einer übergeordneten Funktion auch anderweitig am Film beteiligt waren, haben sie wenig über den Prozess des Filmemachens zu erzählen und sitzen gerne stumm da, um einfach nur mal in Ruhe den Film zu gucken. Schließlich spürt man auch im Audiokommentar oft die eiserne Klaue der Publicists, die ihre Klienten ermahnen, nicht vom Marketing-Skript abzuweichen. Da kann man sich stattdessen auch eine jener unsäglichen “Featurettes” anschauen, die häufig bei DVDs dabei sind. Die sind kürzer.

Aber die besten Audiokommentare sind wundervoll. Der Wikipedia-Artikel enthält eine eindrucksvolle Liste an Highlights, Variationen und auch Parodien, an denen man sehen kann, dass die Form längst ihre eigenen Konventionen und Stile entwickelt hat. Doch selbst abseits dieser Highlightliste eröffenen Audiokommentare einem einen neuen Blick auf einen Film während man diesen sieht. Sie sind Filmanalyse am offenen Herzen und Filmemacher Meet-and-Greet in einem. Und dafür sollte es sich immer lohnen, einem Film noch einmal seine Zeit zu schenken.

Was uns Dawn of the Planet of the Apes über gute Prequels lehrt

Spoilerfrei bis fast zum Schluss (mit Extrawarnung)

Schon Eddie Izzard hat gesagt: “Guns don’t kill people, people kill people – but monkeys do too, if they’ve got a gun.” Und noch befindet sich ein Film in unseren Kinos, der genau diese Comedy-Routine zu illustrieren scheint. “Without a gun, they’re pretty friendly, but with a gun, they’re pretty dangerous …”

Ich mochte Dawn of the Planet of the Apes, den neuesten Ableger des Planet-der-Affen-Franchises, das vor drei Jahren mit dem ersten Prequel Rise of the Planet of the Apes neues Leben eingehaucht bekam. (Warum der Dawn nach dem Rise kommt, weiß bis heute niemand.) Ich fand die Story gut und klar strukturiert, die Charaktere ordentlich ausgearbeitet und die Themen nicht allzu ungelenk aufgetischt. Dawn ist kein philosophisches Meisterstück, aber seine gute Regie und seine erstaunlichen visuellen Effekte erheben ihn über seinen By-the-numbers-Plot.

Der Weg ist das Ziel

Vor allem aber ist er ein hervorragendes Studienobjekt für die Regeln eines (guten) Prequels. In einer Zeit, in der Filmemacher und andere Erzähler überall nach Möglichkeiten suchen, im Rahmen einer etablierten Marke neue Handlungsbögen zu finden, wenden sie sich oftmals der Vorgeschichte eines Ur-Texts zu, um diese zu erzählen. Laut Wikipedia wurde der Begriff “Prequel” im Filmbereich erstmals in den 70ern breiter benutzt (Butch and Sundance: The Early Days) – reifte aber zu einem Wort, das jeder kennt, erst mit den Star Wars-Prequels heran. Die wiederum traten fast in jede Falle, die ein Prequel enthält.

In seinem Standardwerk Building Imaginary Worlds schreibt Mark J. P. Wolf zu Prequels:

Prequels are constrained by the works which come before them, […] since characters’ fates and situations’ outcomes, which appear in the original work, are already known; thus surprise can be lost, and the final state is more than predictable, it is already known for certain.

Wir wissen, zum Beispiel, welche Charaktere nicht sterben können, schreibt Wolf. Insofern gehe es bei einem Prequel eher um den Weg, als um das Ziel. Ein Prequel erschafft einen neuen Startpunkt für diesen Weg und beschreitet ihn bis zu dem Punkt der Reise, den wir bereits kennen.

Ich werkle immer noch an meinem Magnum Opus “Continuity” und dieser Blogartikel ist so eine Art Vorstudie zu einem Kapitel und damit vielleicht etwas ausführlicher als gewohnt. Wer direkt weiter zu den Affen springen möchte, kann das hier tun.

Reverse Engineering

Die beste Analogie aus einem anderen Weltbereich, die man für die Erschaffung eines Prequels ziehen kann ist “Reverse Engineering”. Dabei geht es darum, ein fertiges Produkt in seine Bestandteile zu zerlegen, um herauszufinden, warum es wie funktioniert. Das ultimative Ziel kann sein, eine Kopie herzustellen. Zunächst einmal geht es aber vor allem darum, das Zusammenwirken der Einzelteile zu verstehen, ohne die Originalbaupläne zu besitzen.

Der größte Unterschied zwischen Reverse Engineering in der Kohlenstoffwelt und dem Reverse Engineering, was ein Geschichtenerzähler betreibt, ist, dass ich nach dem Auseinanderbauen eines Gerätes nur die Teile vor mir liegen habe, die zuvor im Gerät enthalten waren. Wenn ich das Gerät wieder zusammenbauen will, kann ich folglich auch nur diese nutzen. Für die Erschaffung eines Prequels aber bin ich nicht auf diese Exklusivität angewiesen. Genau in diesem Unterschied lauern bereits die ersten Fallstricke.

Der Sirenenruf der dramatischen Ironie

Man könnte ja meinen, dass es aufgrund der oben geschilderten Limitierung eines Prequels durch den Originaltext für einen Zuschauer besser ist, wenn es das Original gar nicht erst kennt. Dem widerspricht Mark Wolf, wenn er schreibt:

[O]ften a prequel will rely on the audience’s knowledge of the original work, creating dramatic irony through the audience’s knowledge of how things will eventually turn out and knowing what the characters do not know.

Das Vorwissen um das, was später passiert, ist also integraler Bestandteil eines Prequel-Bauplans. Dramatische Ironie hingegen ist in unserer postmodernen Zeit ein machtvolles Werkzeug und wenige Autoren können sich ihrem Sirenenruf entziehen. Dieser Ruf wird allerdings umso lauter, je mehr man sich auf die oben erwähnten Original-Bauteile verlässt und je weniger man versucht, eine möglichst unabhängige Geschichte zu erzählen.

It’s a small world

Dann nämlich bleibt einem nichts anderes üblich, als die vorhandenen Puzzlestücke neu zu arrangieren und dadurch notwendigerweise neue Beziehungen zu schaffen, die vorher nicht vorhanden waren – und die es auch nicht gebraucht hätte. In den Star Wars-Prequels entstehen durch zu hohes Vertrauen in Bekanntes unter anderem die beinahe absurd scheinenden Tatsachen, dass Anakin Skywalker (später Darth Vader) C-3PO konstruiert hat oder das Boba Fetts Vater Jango der Ur-Klon aller Klonkrieger ist. Mit anderen Worten: Die epische, viele Sternensysteme umspannende Saga über das Schicksal einer Galaxie findet im Kern fast ausschließlich im Zusammenspiel einer Handvoll Figuren statt, die über die Jahre hinweg immer und immer wieder zusammenstoßen.

Der Reiz dahinter ist klar: Es gefällt uns, als Zuschauer Mitwisser zu sein und – anders als die Charaktere – einen Schritt zurücktreten zu können und zu sehen, wie alle Zahnräder ineinandergreifen (→ Operationelle Ästhetik). Das Auftauchen vertrauter Elemente gibt dem Story-Universum Konsistenz. Zu wissen, dass zwei Charaktere einander später noch einmal begegnen werden oder dass ein Charakter seine Meinung zu einem Thema später radikal ändern wird, deutet auf die elementare Ironie unserer Existenz hin.

Meistens nutzen Prequels dieses Wissen für kleine Insider-Gags. Etwa wenn Wolverine in X-Men: First Class auf eine Rekrutierungsanfrage mit einem beherzten “Fuck you” antwortet. Wenn Gloín in The Hobbit: The Desolation of Smaug ein Bild verliert und Legolas erklären muss, dass darauf sein Sohn Gimli (in gut 80 Jahren Legolas’ BFF) zu sehen ist. Und auch das Apes-Franchise konnte in Rise nicht widerstehen, der berühmtesten Dialogzeile des 1968er-Originals ironisch Tribut zu zollen: “Take your stinking paws off me, you damn dirty ape.” (Natürlich kein Vergleich mit Troy McClures Darbietung)

Der Königsweg durch gefährliche Fahrwasser

Geht man über spielerische Andeutungen wie die oben erwähnten hinaus, begibt man sich sehr schnell in gefährliches Fahrwasser. Die Resultate ähneln dabei manchmal fast schon Zeitreise-Paradoxa: Man erschafft Beziehungen zwischen Charakteren von denen diese dann zu einem späteren Zeitpunkt (in der diegetischen Zeit) nichts mehr wissen, weil dieser spätere Zeitpunkt (in der extradiegetischen Zeit) eigentlich ein früherer Zeitpunkt ist.

Die vermeintlich elegantere Methode ist es, diesen Widerspruch einfach zu ignorieren und das extradiegetische Wissen des Zuschauers als Teil der Gleichung zu begreifen. Alternativ kann man den Nerdweg gehen und eine oft unnötig komplizierte “Retcon”-Lösung suchen, die dafür aber zumindest streng genommen keine Widersprüche mehr enthält. Wer es drauf anlegt, kann genau aus solchen Konstruktionen eigene Plots generieren.

Ein Beispiel für den ersten Weg findet sich im Pixar-Prequel Monsters University, dem beinahe eine einzige Dialogzeile aus dem Originalwerk das Kreuz gebrochen hätte, bis man sich entschied, mit dem Widerspruch zu leben. Bryan Singer wählte in X-Men: Days of Future Past eine Art Mittelweg, vielleicht sogar den Königsweg: Er hatte für jede vermeintliche Ungereimtheit zu den Vorgängerfilmen eine Erklärung parat, walzte diese aber nicht auf der Leinwand aus.

Affen auf Pferden

Und damit kommen wir dann auch endlich zu Dawn of the Planet of the Apes. Die Apes-Serie gehört, was die Continuity angeht, zu den kompliziertesten Franchises, die es gibt. Bereits die fünf ursprünglichen Filme enthielten Zeitreisen und damit auch Retcons (Affen, die aus der Zukunft in unsere Gegenwart reisen, bringen den Ursprung für die spätere Zerstörung der Menschheit mit sich). Die neuen Filme Rise und Dawn ignorieren Teile der ursprünglichen Timeline, sind aber auch keine richtigen Reboots der Gesamtserie, weil sie die Bezüge zum Originalfilm von 1968 beibehalten. (Eine ausführliche Analyse inklusive Zeitstrahl findet sich auf “io9”)

Dawn ist (ebenso wie Rise) also auf jeden Fall ein Prequel zu Planet of the Apes und, wie ich finde, ein gutes. Mit all den Vor-Erklärungen dieses Artikels kann man das Warum vielleicht auf drei Punkte reduzieren:

1. Er verweigert sich der Zirkellogik und damit der begrenzten Welt der Original-Sequels Escape und Conquest, in denen der Ursprung für die frühere Geschichte in der späteren Geschichte und damit wieder in der früheren Geschichte liegt. Stattdessen öffnet er die Welt der Geschichte für neue Zeiten, neue Figuren und neue Geschichten, die zwar auf den Ur-Text hinführen, diesen aber erzählerisch kaum beeinträchtigen.

2. Seine Verwandtschaft zum Ur-Text beweist der Film statt durch direkte erzählerische Bezüge lieber durch visuelle Motive, die wie Echos durch die Saga hallen. Meiner Ansicht nach das stärkste Motiv dieser Art sind Affen, die wie Menschen auf Pferden reiten – ein Bild das Charlton Heston dereinst im Original den Atem raubte und das hier eine ähnliche Wirkung entfalten soll (eine wirklich naheliegende Erklärung für die equestrische Kriegsführung gibt es in Dawn nämlich nicht [Ergänzung, 24.11.2014, @die_krabbe sieht das anders und das stimmt wohl]).

3. Den direkten Bezug findet der Film, indem er nach einem entscheidenden Moment sucht, der sozusagen die Timeline der Welt endgültig in Richtung des Originaltextes ausrichtet. Rise erforschte den ultimativen Ursprung der Apes-Saga, indem er den Moment fand, in dem die Apes-Timeline sozusagen von unserer realen abweicht. Dawn sucht den “Sündenfall”, in dem sich eine friedliebende Affen-Gemeinschaft auf den Weg macht, die kriegerische Affen-Zivilisation aus dem Ursprungsfilm zu werden.

(Spoiler in diesem Absatz) Drehbuchautor Mark Bomback beschreibt diesen Moment – in dem Caesar die goldene Regel bricht und Koba tötet, was auch mir im Kino am meisten Bauchgrimmen verursacht hat – im Podcast bei Jeff Goldsmith sehr genau (ungefähr bei 59:00): “He has to come to this very complicated decision, which is: this rule must be broken if we are to survive, but in breaking it, I’m actually breaking something in our community that’s never going to be healed.” (SPOILER ENDE)

Apes vs. George Lucas

Durch diese drei Merkmale – die Öffnung der Welt, die visuelle Verwandschaft und die Erforschung von Schlüsselmomenten – wird aus Dawn of the Planet of the Apes ein Prequel, das die Welt des Originalwerks erweitert, dessen Geschichte weitererzählt in dem es den Weg zum Ziel beschreibt, aber ohne dass es sich zu sehr auf die reine Rekombination von bereits vorhandenem verlässt.

In gewisser Weise kann man dem die Star Wars-Prequels entgegensetzen, welche die Welt nur sehr zaghaft öffneten (indem sie viele Schauplätze und Charaktere recyceln), kaum visuelle Verwandschaft demonstrieren (die Welt der Prequels sieht ganz anders aus als die der Originalfilme) und im Endeffekt einen einzelnen Schlüsselmoment “Wie wurde Anakin Skywalker zu Darth Vader” auf drei Filme auswalzen, bis man ihn nicht mehr sehen will. (Für Red Letter Media ist diese Konzentration auf die Vader-Story der Hauptgrund für die Ineffektivität der Prequels.)

Da inzwischen klar ist, dass es einen dritten Apes-Film aus der neuen Serie geben wird (denn aller guten Trilogien sind drei), bleibt zu hoffen, dass Bomback und Regisseur Matt Reeves auch dort noch gutes Prequel-Material finden werden. Die Zeichen dafür stehen ja eigentlich ganz gut. Alternativ könnte man der Izzard-Idee folgen, einen Affen mit Waffe in Charlton Hestons Haus einschließen und gucken, was passiert.

Die Geschichte von Sandra Bullock und Annie Porter

© 20th Century Fox

Es dauert 28 Minuten bis Annie Porter das erste Mal die Leinwand betritt und doch ist sofort klar, dass der Film ab sofort ihr gehören wird. Die junge Frau im trendigen Grunge-Outfit bekommt ihr Leben zwar scheinbar nicht auf die Reihe – sonst müsste sie nicht mit einem vollen Kaffeebecher dem Bus hinterher laufen – aber was ihr an Alltagstauglichkeit fehlt, macht sie mit Charme wieder wett. Nicht umsonst ist der Busfahrer ihr Kumpel und auch der Rest des vollbesetzten Busses scheint ihr die Verzögerung kaum übel zu nehmen. Der nervige L.A.-Tourist verfällt ihr sofort, und natürlich wird ihr auch Officer Jack Traven (Keanu Reeves) letztendlich verfallen. Annie Porter muss man einfach gern haben.

Speed ist ein Ur-Moment für Sandra Bullock, wie man ihn nur von wenigen anderen Schauspielerinnen kennt. Die Rolle der Annie Porter schien ihr auf den Leib geschneidert zu sein – und es ist kein Wunder, dass man sich kaum an eine Perfomance von ihr davor erinnert, obwohl sie damals, mit fast 30 Jahren, bereits einige Erlebnisse im Business hinter sich hatte.

Wildcat behind the Wheel

Obwohl Graham Yost offiziell Drehbuchautor von Speed ist, ist es kein Geheimnis, dass Joss Whedon das Drehbuch auf Charakter- und Dialogebene maßgeblich geformt hat und so ist Annie Porter auch eine typische Whedon-Frau: Sie ist eindeutig weiblich und eher zierlich, lässt Angst und andere Gefühle zu und stellt sie offen zur Schau. Doch während Jack Traven Befehle gibt und waghalsige Stuntakrobatik abliefert, fährt sie den verdammten Bus. Mit über 50 Meilen die Stunde. Eine “wildcat behind the wheel”, wie Bösewicht Dennis Hopper sie nennt. (Im dritten Akt des Films wird sie dann leider doch zur hilflosen Damsel in Distress, aber erinnert sich überhaupt noch jemand daran, dass der Film in einer U-Bahn und nicht in einem Bus endet?)

© Screenshot: 20th Century Fox
© Screenshot: 20th Century Fox

Heute ist Sandra Bullock ein Filmstar. Der bestbezahlte sogar. Und doch findet sich kaum ein Artikel, kaum ein Interview, in dem nicht erwähnt wird, dass Bullock immer noch einen “Mädchen von Nebenan”-Charme versprüht. Dass sie eine Frau ist, die andere Frauen gerne zur Freundin hätten. Man möchte fast sagen: Sandra Bullock ist Annie Porter. Ein bisschen zu apart sind ihre Gesichtszüge für klassische Hollywood-Schönheit. Ein bisschen zu frech und zu klug blitzen ihre Augen für den hohlen Glamour des roten Teppichs.

Bullock hat die Annie-Porter-Figur in ihrer Karriere endlos variiert, mal mehr mal weniger erfolgreich, in all den seichten und vergleichsweise belanglosen Filmen, in denen sie der Star war. Manchmal hat sie die gefühligere Seite der Figur nach außen gekehrt, wie in While you were Sleeping mit Bill Pullman und The Lake House, der Wiedervereinigung mit Speed-Costar Keanu Reeves. Mal mutiert die Busfahrerin zur schlagkräftigen Frau im Business-Milieu, wie in The Net und A Time to Kill. Und dann gibt es noch die Parodie der Frau, die etwas zu taff ist, um wirklich Frau zu sein, mit der sie in Miss Congeniality 1 und 2 und The Proposal zur bestbezahltesten Schauspielerin Hollywoods aufstieg.

Ironische Ausreißer

Es gibt Ausreißer in dieser Rollenbiografie. Und beide entbehren nicht einer gewissen Ironie. Denn eine davon ist ausgerechnet Bullocks zweiter Auftritt als Annie Porter in Speed 2: Cruise Control. In dem weithin als überflüssigstes Sequel der Filmgeschichte angesehenen Überflop mutiert Annie zu einer Mischung aus Chaoshyäne und ängstlichem Beach Girl, das nur darauf wartet, dass ihr neuer Freund Jason Patric mit Steven-Seagalscher Stoik den Tag rettet. Hier spielt Bullock genau das, was sie vorher nicht war: den Hollywood-Star Bullock.

© Screenshot: 20th Century Fox
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Der zweite Ausreißer ist ihre Rolle in The Blind Side, wo sie plötzlich mit blondgefärbten Haaren eine Oberklasse-Mutter mimt, die sich eines unterpriviligerierten, afroamerikanischen Footballtalents annimmt. Auch eine bestimmt agierende Frau zwar, aber doch eine, die mit ihrem All-American-Image so gar nicht zu Bullock passen will. Ironisch, aber wahrscheinlich entsprechend auch völlig folgerichtig, ist dieser Ausreißer deswegen, weil Bullock dafür ihren bisher einzigen Oscar gewann.

© Warner Bros.

The Second Coming

2013 war das Jahr, in dem Sandra Bullock die Welt wissen ließ, dass man nach wie vor mit ihr (und mit Annie Porter) rechnen muss. Zuerst in The Heat (Bild am Anfang des Artikels), in dem sie der Miss Congeniality-Figur einen neue Facette verlieh. Die Polizistin Ashburn ist ein unsympathischer Kontrollfreak, der – wie sich später herausstellt – nur wegen eines Kindheitstraumas so unlocker ist und deswegen von ihrem exakten Gegenteil auf der Korrektheits-Skala (Melissa McCarthy) erst eine Runde weichgeschüttelt werden muss. Ein Buddy-Movie mit zwei Frauen, die beide auf unterschiedliche Art klassischen Frauenbildern widersprechen.

Und dann schließlich mit Gravity. Es ist wahrscheinlich dem überwältigenden, technischen Spektakel des Films zu schulden, dass nicht in mehr Kritiken und Artikeln der Rückvergleich gezogen wurde zwischen der durchs All treibenden Ryan Stone und Bullocks Durchbruchs-Rolle in Speed. Hier wie dort findet sich eine Frau plötzlich in rasanten Umständen wieder, die sie kaum kontrollieren kann, mit einer tickenden Bombe im Nacken. Und hier wie dort bringt diese Frau den Bus/die Raumkapsel am Ende erfolgreich ans Ziel. Ryan Stone ist die erwachsene Version von Annie Porter. Das Leben hat in der Zwischenzeit einige Narben bei ihr hinterlassen (obwohl der Haarschnitt ähnlich geblieben ist), doch dafür braucht sie auch keinen Mann mehr, um ihre Mission zu Ende zu bringen.

© Warner Bros.

Bullockness in Perfektion

Gravity ist der Film, für den Sandra Bullock einen Oscar verdient hätte. Ganz abgesehen davon, dass ihre Performance den Film mühelos trägt, berührend und nervenkitzelnd zugleich; dass dahinter Schauspiel in erstaunlichen Umständen steht, in dem Bullock abwechselnd alleine in einer Lichtkiste saß und von Puppenspielern an Fäden dirigiert wurde. In Gravity spielt Sandra Bullock mit fast 50 Jahren die vollendete Version ihrer Rollengeschichte. Bullockness in Perfektion.

Leider stehen die Chancen schlecht. Zu groß ist die Konkurrenz durch Cate Blanchetts erstaunliche Kernschmelze in Blue Jasmine und Amy Adams’ chamäleonhafte Reflektion über Schein und Sein in American Hustle. Aber wer weiß: Es gab schon größere Überraschungen in der Oscarnacht. Und Annie Porter kann Sandra Bullock sowieso keiner mehr wegnehmen.

Deutsche Film-Blogosphäre, ein Jahr danach: Zur Lage der Nation

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich in diesem Blog einen Artikel mit dem Titel “Vier Thesen zur deutschen Film-Blogosphäre” veröffentlicht habe. Für mich einer der wichtigsten Artikel, die ich je geschrieben habe, für die deutsche Film-Blogosphäre zumindest ein willkommener Stein des Anstoßes, der in den Wochen danach viel Diskussion generierte.

Doch was ist wirklich passiert, seit mein Artikel erschien? In diesem Jahr habe ich keine Interviews geführt und Statistiken kann ich leider auch nicht vorweisen. Aber ich möchte behaupten, dass ich mich im vergangenen Jahr so ziemlich immer dort bewegt habe, wo etwas mit Film-Blogosphäre passierte und mir deshalb eine Beurteilung der momentanen Situation anmaßen kann. Genau das werde ich also tun.

Es gibt eine deutsche Film-Blogosphäre

Ich will um Himmels Willen nicht behaupten, dass mein Artikel eine Film-Blogosphäre erschaffen hat, wo vorher keine war. Wofür ich mir ein bisschen auf die Schulter klopfe, ist, dass dann doch eventuell einige Leute aufeinander aufmerksam geworden sind, die sich vorher nicht kannten (das war das häufigste Feedback, das ich bekommen habe) und dass einige Aktionen ins Leben gerufen wurden, die versucht haben, auf meinen Artikel aufzubauen. Leider sind einige davon auch wieder versandet, etwa die Facebook-Gruppe und das Blog Film-Blogosphäre, aber die Gründe dafür liegen, anders als ich noch vor einem Jahr gedacht hätte, tiefer als in reiner Ignoranz (mehr dazu gleich).

Ich möchte behaupten: Das reine Interesse an Aktionen wie meinem “Film Blog Group Hug”, dem “Media Monday”, der sichtbarer ist denn je, den oft sehr lebhaften Diskussionen auf Twitter und in der von Merkur Schröder (aka Intergalactic Ape-Man) gegründeten Facebook-Gruppe Deutsche Filmblogger zeigt, dass die deutschen Netzfilmschreiber einander zum großen Teil zumindest kennen. Alles andere hängt vom Willen und vom Engagement jedes Einzelnen ab.

Die “Cluster”, von denen ich das letzte Mal gesprochen habe, gibt es natürlich trotzdem. Ich glaube, dass ich sie inzwischen auch etwas besser differenzieren kann, als noch vor einem Jahr. Der sie verbindende Kleber besteht aus persönlicher Bekanntschaft und einem gemeinsamen Blick auf die Filmwelt und ich habe inzwischen einfach eingesehen, dass sie sich nie alle in einen Topf pressen lassen werden (und wollen). Frei nach Mark Granovetter wird es in diesem Bereich weiter die “Strength of Weak Ties” brauchen, um über die Cluster hinaus Brücken zu bauen, das ist aber okay so.

Einige Deutsche Filmblogcluster

Wie schon gesagt spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, damit publizierende Menschen von außen wahrnehmbare Gruppen bilden. Die Berliner Online-Profis, zum Beispiel, sehen sich, so ist meine Wahrnehmung, persönlich regelmäßig bei Pressevorführungen und schreiben für die gleichen Auftraggeber, etwa Filmstarts.de und kino-zeit.de. Sie sind außerdem, grob geschätzt, alle zwischen Mitte Zwanzig und Ende Dreißig und leben eben zum Teil vom Schreiben oder machen was anderes “mit Medien”. Sie sind durchaus zu trennen von den Berliner Feuilletonisten, die sich eher um Zeitschriften wie “Cargo” und “Revolver” sowie den “Perlentaucher” gruppieren, im Schnitt vielleicht etwas älter sind und auf jeden Fall einen ganz anderen, deutlich arthousigeren und Filmklassiker stärker schätzenden Filmgeschmack haben.

Den Berliner Feuilletonisten nahe stehend, aber doch irgendwie ihr eigenes Süppchen kochend, sind die Trash-Liebhaber. Ich benutze das Wort “Trash” hier sehr weitläufig, weil ich persönlich von diesem Filmsegment absolut keine Ahnung habe. Es geht mir im weitesten Sinne um alle Arten der Exploitation, um abseitiges Genrekino, dessen andauernde Faszination immer noch und immer wieder Liebhaber zusammenschweißt. Gewisse Überschneidungen gibt es wahrscheinlich mit den Engagierten Amateuren, einer recht großen und losen Gruppe, die sich (und ich hoffe, dass ich dafür nicht wieder Prügel beziehe) für mich vor allem dadurch auszeichnet, dass die ihr Zugehörigen meist außerhalb des Bloggens keinerlei professionelle Bindungen zur Film- oder Medienwelt haben. (Es gibt noch mehr Cluster, aber die sind kleiner, manchmal etwas unscharf und ich habe keine guten Namen für sie)

Das mit der “professionellen Bindung” ist für mich nach wie vor eine Demarkationslinie, an der ich einfach nicht vorbei komme. Ich merke es in Alltagsgesprächen ebenso wie im Stil der Texte, die dabei entstehen. Es ist einfach ein Unterschied, ob man gerne und viel Filme guckt, oder ob man sich systematisch und beruflich mit Film beschäftigt. Bei letzterem ist es wiederum fast egal, ob man Filmwissenschaft studiert hat und sich weiter im akademischen oder randakademischen Bereich aufhält, ob man Kinoprogramme kuratiert, Festivals organisiert und sich im Kulturbetrieb bewegt oder ob man als Filmjournalist oder in der Film-PR arbeitet (oder alles drei). Das Verhältnis zu Film als Medium ändert sich einfach, meiner Meinung nach vor allem deswegen, weil man mehr Filme “unfreiwillig” sieht und dadurch seinen eigenen Horizont zwangsweise in unerwartete Richtungen erweitert.

Das Ergebnis ist nicht unbedingt, dass “Profis” auf “Amateure” hinabblicken, ganz und gar nicht. Aber ich stelle immer wieder fest, dass es schwieriger ist, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Und damit ist es natürlich auch schwieriger, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Die Themen und Wahrnehmungen der Filmwelt verschieben sich einfach.

Warum sollte mich deine Kritik interessieren?

Vor einem Jahr habe ich quasi gefordert, damit eine Filmblogosphäre wachsen könne, müssten wir einander mehr lesen. Diese Initiative wurde unter anderem in dem oben erwähnten WordPress-Blog und auch der spontan gegründeten “Film-Blogosphäre”-Gruppe auf Facebook aufgegriffen, die dann vor allem Filmkritiken sammelten. Und in der Tat besteht ein großer Teil der über Film bloggenden Menschen in Deutschland aus Menschen, die einfach eine Filmkritik nach der anderen ins Netz stellen.

Hier nun entfaltet sich am deutlichsten das Dilemma der Filmkritik im Internetzeitalter. Um aus einer einzelnen Filmkritik als Leser einen Wert ziehen zu können, muss man die Autorin kennen. Entweder persönlich oder dadurch, dass man schon einige Texte von ihr gelesen hat. Als mediativer Faktor kann eventuell hinzukommen, dass jemand anderes dafür bürgt, dass die Meinung dieser Person etwas “wert ist”. Bei professionellen Filmjournalisten ist das die Person, die die Autorin dafür bezahlt, dass sie über den Film schreibt.

Dieser Bürge existiert bei Bloggern nicht. Das heißt auf keinen Fall, dass die Meinung deswegen schlechter ist. Es heißt nur, dass ich als Leser mehr Zeit investieren muss, bevor ich mir selbst ein Urteil bilden kann. Und für mich bedeutet das dann wiederum häufig, dass ich mir die Mühe gar nicht erst mache – und ich denke mir, es geht anderen ähnlich. Die Qualität der Texte sinkt ganz und gar nicht, es gibt nur mehr davon und sie sind schwerer zu finden. Und Blogs, die eben nur aus Kritiken bestehen, verlassen meinen Radar.

Ich wünsche mir immer noch ein Leitmedium

Um diese ärgerliche Situation zu verbessern, wünsche ich mir einfach immer noch einen Aggregator, der für mich alles liest und mir eine Auswahl präsentiert. Und damit meine ich eben nicht (Sorry!) die x-te “Der Film hat mir gefallen/nicht gefallen”-Kritik, mit der ich nichts anfangen kann, außer ich bin mit der allgemeinen Meinung der Autorin vertraut. Sondern herausragende Texte, die zur Diskussion anregen und Erkenntnis fördern. Und obwohl es konterintuitiv klingt: Gute Kuratierung führt dazu, dass man mehr liest, nicht weniger. Sie regt dazu an, selber weiter auf Entdeckungsreise zu gehen. Mit anderen Worten: Im Idealfall würden wir einander alle mehr lesen.

Es gibt Seiten, die das im Ansatz machen. Die Facebook-Seiten von Revolver und crew united, zum Beispiel, sind hervorragende Quellen für interessante deutschsprachige Filmartikel – werden jetzt aber auch durch Facebooks neue Reach-Politik ausgehebelt. Film-Zeit veröffentlicht täglich einen Pressespiegel zum Thema Film, in dem immer mehr Blogs auftauchen, den man aber nicht abonnieren kann, weder als Feed noch über Social Media. Von etwas wie “Keyframe Daily” sind wir trotzdem noch meilenweit entfernt.

Mir ist bewusst, dass das eine hohle Klage ist, denn entweder findet sich jemand, der bereit ist, täglich durch die deutschsprachigen Onlinepublikationen zum Thema Film zu sieben, oder eben nicht (Wenn ich irgendwann mal arbeitslos bin, mach ich es). Und sicherlich wäre ein guter Aggregator kein Allheilmittel. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Einfach machen, einfach wollen

Am Ende hilft alles Jammern nichts, man muss einfach machen. Und ich habe eben das Gefühl, dass sich da durchaus was tut und bewegt. Angefangen von den Filmosophen, die sich Gemeinschaft auf die Fahnen schreiben (was sie anfangs nicht gemacht haben), zu den Plänen von Sascha und mir, den “Pewcast” wiederzubeleben und dabei möglichst oft Gäste von überall einzuladen (wie es auch andere Podcasts inzwischen immer häufiger machen). Ich werde außerdem weiterhin nicht ruhen, auf jedem Festival, das ich besuche, zu versuchen, die Menschen hinter den Blogs zu treffen. Denn wenn ich eins gelernt habe ist es, dass in der Blogosphäre nichts so sehr verbindet wie ein persönlicher Kontakt.

Natürlich muss man diese Verbindung wollen. In der “Deutsche Filmblogger”-Gruppe gab es im Dezember eine heftige Diskussion, in der darum gestritten wurde, ob man Kodifizierung und zwangsweise Unter-einen-Hut-Bringung überhaupt braucht. (Wie auch schon damals vor einem Jahr). Die Antwort lautet natürlich: NEIN. Macht doch alle, was ihr wollt. Homogenisierung ist nicht das Ziel. Wer mit dem größten Teil der über Film bloggenden Menschen nichts anfangen kann und will, muss sich mit ihnen nicht beschäftigen. Ich persönlich stelle nur immer wieder eins fest: Es ist eine große Bereicherung für einen selbst, wenn man es – auch gegen alle Vorurteile, die man haben mag – eben doch mal macht.

[Update, 20. Januar. An dieser Stelle ist eine offizielle Entschuldigung bei Marco Koch vom “Filmforum Bremen” angebracht, der seit langer Zeit schon unermüdlich jede Woche in seinem Bloggen der Anderen in seinem Interessenfeld genau die Art von Aggregation vornimmt, die ich mir in diesem Artikel wünsche. Ich lese seine Rubrik jede Woche und habe natürlich auch beim Schreiben dran gedacht – und sie dann im Eifer des Gefechts doch vergessen. Entschuldige, Marco!]