Vor einem Jahr, am 12. Juni 2016, tötete ein Mann im LGBTQ-Nachtclub Pulse in Orlando, Florida 49 Menschen. Der New Yorker Podcast “Nancy”, den Katrin Rönicke auch schon einmal gepiqt hat, widmet sich diese Woche den Folgen dieses Attentats auf die ganze Community von Orlando. Der normalerweise übermütige Ton der Sendung weicht dafür einer nüchternen, nachdenklichen Berichterstattung.
Kathy Tu und Tobin Low besuchen für ihre Bestandsaufnahme nicht nur Familien von Opfern und LGBTQ-Aktivisten vor Ort, sie gehen auch dorthin, wo viele keine nennenswerte Reaktion erwartet hätten – etwa zum Pastor der größten evangelikalen Gemeinde in Orlando, der durch den Anschlag mit seiner Haltung zu Gleichberechtigung ins Trudeln gekommen ist. Selbst wenn die etwas “Inside Baseball”-mäßige Art von “Nancy” vielleicht sonst nicht für jeden Menschen interessant zu sein scheint – diese Folge lohnt sich auch als Einzelstück.
Die Vision des “interaktiven Films”, die vermutlich den meisten Menschen noch im Kopf klebt, sieht wie folgt aus: Der Film beginnt mit einer Hauptfigur und läuft für einige Zeit wie ein normaler Film ab, bis diese Hauptfigur eine Entscheidung treffen muss. Der Film stoppt und die Zuschauenden stimmen ab, wie die Entscheidung ausfällt. Der Film läuft dann entsprechend weiter. Durchgesetzt hat sich dieses Prinzip nicht nur deswegen nie, weil der Produktionsaufwand für alle möglichen Szenen eines sich immer weiter verzweigenden Entscheidungsbaums irgendwann etwas unübersichtlich wird, sondern auch, weil bestimmte Geschichten gar nicht immer wieder in verschiedene Richtungen gezogen werden wollen. Selbst Videospiele, die dieses Prinzip zum Teil umgesetzt haben, bieten oft nur Pseudo-Entscheidungen an.
Alien: Covenant, das haben viele Kritikerinnen und Kritiker angemerkt, wirkt als Ganzes so, als würde es bei einer solchen Entscheidung innerhalb der größeren Alien-Saga auf der Stelle treten. Als recht direktes Sequel zu Prometheus nimmt des die Handlungsfäden rund um den Androiden David und die “Engineers”, die außerirdische Rasse, die eventuell die Menschheit geschaffen hat, auf, führt eine Raumschiffcrew auf den Engineer-Heimatplaneten und deutet weitere große Fragen an, die Regisseur Ridley Scott rund um Schöpfer und ihre Geschöpfe zu beschäftigen scheinen. Covenant macht aber auch das ursprüngliche Monster wieder zum Gegenspieler, den sogenannten Xenomorph, der sich in drei Evolutionsstufen (Ei, Facehugger, Xenomorph) mit Hilfe menschlicher Wirte zum tödlichst denkbaren Organismus entwickelt. Und er scheint sich nicht so recht entscheiden zu können, welche Geschichte er erzählen will.
Mythologie, Schmythologie
Kein Wunder, wenn man auf die Entstehungsgeschichte des Films schaut: Scott wollte ursprünglich auf genau dem Weg weitergehen, den er mit Prometheus beschritten hatte. Er wollte die mythologischen Fragen hinter seinem ursprünglichen Alien-Film erforschen. Wo kommen die Aliens her? Wer hat sie geschaffen? Welche Beziehung haben sie zur Menschheit? Drehbuchautor John Logan, und sicher auch die Marketing-Abteilung des Studios, drückten Scott jedoch stärker zurück zu den Wurzeln des Franchises – Menschen werden in einem Raumschiff, oder auf einem Planeten, von fiesen Kreaturen verfolgt. Mythologie, Schmythologie.
In der Kritik wurde die daraus resultierende Unentschlossenheit des Films, in der das Alien zwar irgendwie alle klassischen Verfolgungssituationen wie einen Parcous durchläuft, der eigentliche Gegenspieler aber der Größenwahn von David ist, entsprechend aufgenommen. Entweder nervte der epische Sci-Fi-Überbau – Glen Wheldon fasste im NPR-Podcast Pop Culture Happy Hour zusammen, alles, was er von einem Horrorfilm Marke Aliens wissen müsse sei “There are beasties”, der Rest sei überflüssig – oder das halbherzig eingefügte Alien, ohne das der Film vielleicht besser gewesen wäre. Die Unentschlossenheit an sich ist aber das Resultat einer wichtigen Frage, die sich im Franchise-Zeitalter immer häufiger stellt: Wie, zum Teufel, hättet ihr eigentlich gerne eure Sequels?
Prozedur oder Welt
Denn im Grunde liefert Alien: Covenant in einer Art Meta-Prozess zwischen denen, die die Filme machen und denen, die sie rezipieren, eine Auswahlmöglichkeit, die beinahe an die anfangs erwähnten interaktiven Filme erinnert. Wollt ihr, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, lieber, dass jeder Film das Grundprinzip des Originals unangetastet lässt, und es nur ad nauseam in neue Kontexte setzt, wie es jahrzehntelang bei Fortsetzungen üblich war? Oder wollt ihr, dass sich Filmemacherinnen und Filmemacher tatsächlich überlegen, welche Geschichten sich innerhalb der etablierten Diegese außerdem erzählen lassen – auf die Gefahr hin, dass sich der Fokus der späteren Filme verschiebt? Liegt die Essenz des Films in seinen prozeduralen Eigenheiten – am Anfang eine Leiche, am Ende eine Verhaftung; oder eben am Anfang ein Alien, am Ende ein Final Girl – oder in der Welt, die er erschafft?
Immer mehr Filme geben heute die zweite Antwort, genau wie auch immer mehr Fernsehserien die zweite Antwort geben und sich vom starren Festhalten an bestimmten Konventionen lösen, gerade wenn sie von Streamingdiensten produziert werden (z. B. Master of None oder BoJack Horseman). Mit Bezug auf die Planet of the Apes-Filme habe ich hier im Blog mal festgehalten, dass sich erfolgreiche Prequels (und Covenant ist ein Prequel) eher durch Weltöffnung, visuelle Motive, und entscheidende narrative Momente auszeichnen als dadurch, Plotlöcher eng zu schließen oder Bekanntes zu wiederholen.
Alien: Covenant versucht, beide Antworten auf einmal zu geben und scheitert wahrscheinlich – je nachdem, wer zuschaut – immer mindestens mit einer von beiden. Ich persönlich mochte Scotts philosophisches Geschwurbel und die Welt, die er dafür entwirft. Covenant macht Prometheus sogar im Rückblick besser. Aber ich weiß, dass ich damit eher in der Minderheit bin.
Die Münchner Stadtbibliothek hat diese Woche eine Foto-Aktion namens #MeinOrtimNetz gestartet. Es geht darum, Orte zu finden, an denen sich Menschen “besonders digital” fühlen. Dabei geht es sowohl um physische Orte (der heimische Lesesessel) als auch um virtuelle (die Online-Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien). Als ich die Ankündigung las, habe ich natürlich darüber nachgedacht, was ich wohl fotografieren würde. Etwas wirklich Gutes fiel mir nicht ein.
Stattdessen aber begannen meine Gedanken mal wieder zu wandern. Woher kommt unser Bedürfnis, dem virtuellen Raum eine äußere Form zu geben? Seit es das Internet gibt, versuchen Menschen räumliche Bilder und Metaphern zu finden, um das zu beschreiben, was wir dort tun. Wir “surfen” auf der “Datenautobahn”. Wir gehen “ins Internet”, wie wir ins Schwimmbad gehen.
Die lange Straße des Metaverse
In der Science Fiction herrschte lange die Vorstellung, dass eine Version des Internets, die wir räumlich erfahren können, dessen nächste (oder letzte) Stufe ist. Ein Film wie Tron hat über Jahrzehnte die Vorstellung davon geprägt, dass wir eines Tages ein bestimmtes Raum- und Distanzempfinden haben werden, wenn wir mit Programmen und anderen Usern in digitalen Umgebungen interagieren. Aus dem Cyberpunk der 80er und 90er stammt die Vision des Internets als Virtual Reality, etwa in Neal Stephensons Snow Crash (1992), in dem die Weiterentwicklung des Internets, das “Metaverse”, aus einer die virtuelle Welt umspannenden Straße besteht, an deren Rändern virtuelle Orte wie Gebäude platziert sind. Um von einem Ort zum anderen zu kommen, kann man nicht, wie heute, einfach klicken, sondern muss einen Weg zurücklegen.
Was passiert, wenn diese Vorstellung vom Anfang des vernetzten Zeitalters von der Realität eingeholt wird, lässt sich sehr schön am Cyberpunk-Rollenspiel Shadowrun zeigen. 1989 erschaffen als ein gerne belächeltes Mashup aus Cyberpunk im Stil von William Gibson und klassischen Fantasy-Konzepten der Dungeons&Dragons-Prägung (Elfen, Trolle, Zauberer), hat sich Shadowrun als erstaunlich unkaputtbar erwiesen. Es existiert immer noch. Die letzte Überholung der Regeln erschien 2013 – ein ziemlicher Zeitraum in Sachen Entwicklung des Internets also.
Die Matrix von Shadowrun
Shadowrun spielt 62 Jahre in der Zukunft und es wurde Ende der 80er konzipiert, also besitzt es dem Zeitgeist entsprechend seine eigene Version des räumlichen Internets, die “Matrix”, in die sich Charaktere mit Hilfe von “Cyberdecks” (Computer, die direkt mit dem Gehirn interagieren) “einstöpseln”, um Datendiebstahl zu begehen und mit feindlichen Programmen (“Intrusion Countermeasure Equipment”, ICE) zu kämpfen. Nur Spezialisten, sogenannte “Decker”, besaßen 1989 die Fähigkeit, durch die Datenbahnen zu reisen und den Kampf ihrer Kumpanen auf der Straße im virtuellen Raum zu unterstützen.
Nichts fängt für mich diese Vorstellung so ein, wie das Cover der zweiten Ausgabe von Shadowrun von 1992, mit der ich das Spiel kennenlernte. Ein Typ mit Handfeuerwaffen und eine Magierin im Latexbikini sichern den Terminal, an dem ein Elf sich per Kabel mit der Matrix verbindet. Dieses Bild hat sich in meine Vorstellung der Cyberpunk-Zukunft eingebrannt wie kaum ein anderes.
In der typischen Unebenheit von Science-Fiction-Visionen war es 1989 also denkbar, dass Mitte der 2050er Interfaces zwischen Körper und Computer (“Cyberware”) zur Normalität gehören, aber nicht, dass jede und jeder ständig online ist. Daher ist es faszinierend zu beobachten, wie sich das Matrix-Spielkonzept über die verschiedenen Editionen des Spiels weiterentwickelt hat, um mit der realen Entwicklung des Internets Schritt zu halten.
Schwarze Ebene unter schwarzem Himmel
2005, mit der vierten Ausgabe, schrieben die Designer einen vollständigen Crash des globalen Datennetzes in die fiktionale Historie der Spielwelt, um das Zukunfts-Internet danach neu aufzubauen. Auf die neue Matrix des Jahres 2070 lässt sich drahtlos zugreifen, von allen Figuren, und sie ist auch als “Augmented Reality” über Brillen, Kontaktlinsen, künstliche Augen und “Kommlinks”, die Smartphones der Zukunft, erfahrbar. Decker sind inzwischen so etwas wie die Vinyl-Sammler der Spielwelt, es gibt sie noch und sie fühlen sich wie eine Elite, aber sie sind Raritäten geworden.
Doch um weiterhin Cyber-Abenteuer erleben zu können und diese spannend zu gestalten, existiert nach wie vor auch eine völlig immersive Virtual-Reality-Version der Matrix, inklusive virtuellen Abbildungen von realen Orten, skeuomorphischen Icons, die realen Internet-der-Dinge-Gegenständen nachempfunden sind, und der Vorstellung einer “schwarzen Ebene unter einem schwarzen Himmel”, die “vom Leuchten … der Icons in der Umgebung erleuchtet” wird, wie die fünfte Edition der Regeln ausführt. Durch diese Ebene fliegt oder läuft man mit seiner virtuellen Persona und interagiert in schwebenden “Hosts” mit anderen Personas und Icons.
Die auf reale Entwicklungen (und Prognosen) angepasste Version der fiktionalen Matrix beruft sich also immer noch primär auf Raumvorstellungen aus einer Zeit, als wir noch nicht immer und überall von Datenströmen umgeben waren und jederzeit per Knopfdruck darauf zugreifen konnten. Vielleicht liegen die Spielentwickler damit gar nicht so falsch. Sobald es nämlich darum geht, eine Online-Erfahrung mit anderen Userinnen zu teilen, die über das reine Austauschen von Informationen wie in Chats oder sozialen Netzwerken hinausgeht, scheint man irgendeine Art von gemeinsamem, dreidimensionalem Raum teilen zu müssen, etwa in MMORPGs.
Die Zukunft von Facebook Spaces
Dafür spricht auch Facebook Spaces, die App für VR-Treffen, die Facebook vor ein paar Wochen vorgestellt hat. Auf primitive Art entspricht die im Promo-Video gezeigte Benutzeroberfläche dann doch wieder den räumlichen Verhältnissen von Tron und Shadowrun. Menschen und Objekte werden durch Avatare repräsentiert und es gibt ein neutrales Grundsetup, das mit Inhalten gefüllt wird. Der Unterschied ist, dass sich die Avatare in ihrer virtuellen Konferenz quasi nicht bewegen, so wie sich auch ihre User nicht bewegen. Stattdessen verändern sie die Welt um sich herum, tauchen in Fotos und Videos ein und wechseln diese mit einem Klick. Im Grunde machen sie das gleiche, was sie vorher auch taten, wenn sie das Internet nutzen, nur dass der Bildschirm sie jetzt komplett umgibt.
Wir sollten davon ausgehen, dass das zumindest für die nähere Zukunft, die Räumlichkeit des Internets sein wird: Kein Raum, durch den wir uns bewegen, wie eine Figur auf einem Schachbrett oder eine Person einem Holodeck, sondern ein Raum, der sich um uns bewegt, wie bei einem Green Screen Effekt. Keine Achterbahn sondern ein Simulator Ride. Wenn wir in diesem Raum von einem Ort zum anderen wollen, kann er sich also auch verändern, ohne dass wir den Weg von A nach B in der virtuellen Welt zurücklegen müssen. Wer in Google Street View zwei verschiedene Plätze anschauen will, muss ja schließlich auch nicht auf den abfotografierten Straßen vom einen zum anderen laufen.
Raum ist also etwas, das dem Internet durchaus gut zu Gesicht steht. Aber Entfernung und Bewegung wird es auf abgesehene Zeit weiterhin nicht brauchen – außer um Pokémons zu jagen.
Kurz nach den Oscars machte ein Video deutlich, dass ein Film bei der Preisverleihung in einer überraschenden Kategorie zu unrecht leer ausgegangen war. „The Mind-Blowing Special Effects Used on Manchester By The Sea“ enthüllt, dass die erste Szene des Films, in der ein Fischerboot auf dem Meer vor den Küste der titelgebenden US-Kleinstadt herumschippert, nicht dort gedreht wurde. Stattdessen, so zeigt das Video in der bei Visual-Effects-Reels etablierten Darstellungsform aus sich Stück für Stück aufbauenden Bildschichten, stand das Boot auf einer Hebebühne in einem Studio, umgeben von Blue Screens. Die maritime Umgebung entstand vollständig im Computer.
“They don’t make’em like they used to” ist im Englischen ein gerne geäußerter Sinnspruch, wann immer jemand einen Film dreht, der erfolgreich an vergangene Zeiten erinnert. “So werden sie heute nicht mehr gemacht”. Der Awards-Season-Darling La La Land schwärmt pausenlos von der guten alten Zeit klassischer Hollywood-Musicals und lässt sie auch im Look wieder auferstehen. Regisseur Damien Chazelle hat deswegen sogar auf Film gedreht, genau wie Martin Scorsese Silence und Christopher Nolan seinen neuen Film Dunkirk, die auf diese Weise nicht nur inhaltlich vergangene Zeiten aus dem Grab heben. Ridley Scott kehrt 2017 mit seiner Regiearbeit Alien: Covenant und Blade Runner 2049, den er produziert, gleich zweimal zu seinen Ursprüngen zurück und versucht, eine damals revolutionär neue, stilbildende Ikonographe wiederzubeleben.
Es gibt Tonaufnahmen, die so mächtig sind, dass man eine fünfteilige Radioserie um sie aufbauen kann. Weniger als eine Minute lang ist wahrscheinlich die Whatsapp-Audionachricht, die der 17-jährige Bilal aus Syrien an einen Freund in Deutschland schickt und doch funktioniert sie wie eine Art Generalschlüssel für den gesamten Themenbereich „Radikalisierung junger Muslime in Westeuropa“. Bilal ist aus Hamburg über die Türkei nach Syrien gereist, um sich dem IS anzuschließen und für die gute Sache des Islam zu kämpfen.
Doch in Syrien findet er nur Chaos vor. Er wird eingesperrt und mit leeren Versprechungen hingehalten. Nichts von dem, was ihm erzählt wurde, ist wahr. Stattdessen begreift er schnell, warum er nach Syrien geholt wurde. Seine Altersgenossen und er dienen dem IS als Kanonenfutter in seinem scheinheiligen Krieg. Fassungslos wiederholt er, was er sieht: „Die schicken einfach die Brüder zum Tod.“
Ich bin gestern nicht einmal dazu gekommen, meinem Blog zum Geburtstag zu gratulieren. Das sagt einiges über die momentane Zeit aus, die aus viel Arbeit im Brotjob besteht – noch bis Juni, dann wird alles besser. Und da das schon seit letzten Sommer so geht, hat Real Virtuality auch ein bisschen an Glanz verloren. Weniger Originalartikel, mehr kurze Gedanken, die Farbe blättert hier und da ein wenig. Auch das sollte sich diesen Sommer ändern, falls ich nicht in der Jobsuche versinke.
Sonntag vor einer Woche saß ich im Mommseneck am Potsdamer Platz zum mittlerweile vierten jährlichen Internetfilmmenschen-Treffen auf der Berlinale. Wir waren nicht viele Leute, aber ziemlich bunt gemischt und die Gespräche waren schön und lehrreich wie immer – es tut gut, seine Freunde wenigstens einmal im Jahr zu sehen. Zwei Tage vorher hatte ich einen wunderbaren Abend mit einigen Autorinnen und Autoren von kino-zeit.de, wo meine Kolumne “Kommerzkacke” erscheint. Und ein paar Tage davor wiederum war ich auf der Vorstellung des neuen Buchs von Dirk von Gehlen, Meta! Das Ende des Durchschnitts, der mich auf Anblick erkannte und begrüßte, obwohl wir uns noch nie zuvor getroffen hatten. Das alles wäre ohne dieses Blog nicht möglich gewesen. Es ist nicht nur der Thermal Exhaust Port für meine Gedanken, es ist auch der Nexus für ein erstaunliches Netzwerk an besonderen Menschen, die mich mittlerweile umgeben. Das habe ich selten so stark gespürt wie in letzten paar Wochen und ich bin sehr dankbar dafür.
Ich denke manchmal darüber nach, mit welcher Naivität ich vor zehn Jahren in meiner Magisterarbeit über digitale Bilder geschrieben habe. Indem ich glaubte, dass digitale Bilder eine eigene Ontologie besitzt, die es zu nutzen gilt, habe ich die Möglichkeiten von digitalem Realismus unterschätzt. Was wir im Kino als “real” empfinden, hat sich durch jahrelange Blicke auf Computerbilder – ihre Shader und Texturen – zwar verändert, es ist aber immer noch nah dran an Fotorealismus.
Aktuelle VFX-Reels, wie diese von Fantastic Beasts und Rogue One zeigen jedoch auch, dass in großen Fantasy-Filmen kaum noch etwas von dem wir sehen, tatsächlich abgefilmte Realität ist. Lev Manovichs These, die vor 10 Jahren noch sehr heftig umstritten war, hat sich also völlig bewahrheitet: “Cinema can no longer be clearly distinguished from animation. It is no longer an indexical media technology but, rather, a subgenre of painting.”
Es mag vielleicht so wirken, als wäre mein Ziel mit dieser Kolumne, eine Lanze für das Mittelmaß zu brechen. Böse Zungen würden behaupten, um damit für meine eigene Mittelmäßigkeit Abbitte zu leisten. Sind Regisseure wie Joe und Anthony Russo nicht auch die Erfüllungsgehilfen der Maschine Hollywood, die uns immer wieder den gleichen Brei in leicht anderen Zusammensetzungen aber mit identischem Geschmack vorsetzt? Gibt es für reibungslose Abläufe und solides Handwerk nicht Regieassistenten und Line Producer, die den Auteurs den Rücken frei halten?
Da Film nicht nur eine Kunst, sondern auch eine Industrie, auch ein Handwerk ist, darf man die mittelbare Wirkung von Menschen wie Journeyman-Regisseur*innen nicht unterschätzen. Vielleicht helfen sie einer unerfahrenen Schauspielerin dabei, ihren Stil zu finden, den sie später in anderen Filmen ausformen kann. Vielleicht ermöglichen sie einem Drehbuchautor, der selbst nicht zum Regisseur taugt, seine Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Vielleicht sind sie so gut organisiert, dass diejenigen, die mit ihnen arbeiten, zur Abwechslung mal in der Lage sind, ihre Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten.
Ich habe mich sehr gefreut, dass mich das Team von “Longtake” mal wieder zum Podcasten eingeladen hat. Mit Lucas Barwenczik habe ich eine knappe Stunde über Damien Chazelles Golden-Globe-Gewinner La La Land gesprochen – über dessen Musik und Weltsicht und darüber, warum der Film mich irgendwie nicht erreicht hat.