Worte zur Wochenmitte

Irgendein Amateur hätte das Handyfoto vermutlich einfach bei Twitpic hochgeladen mit der Unterschrift: „Heute am Kemnader See Baumstamm Krokodil entdeckt”. Oder als Leserfoto an „Bild” geschickt, die nach eingehender Prüfung festgestellt hätten, dass es sich nicht um ein Krokodil handelt, sondern ein Alien.

Stefan Niggemeier , stefan-niggemeier.de
// Journalisten machen Kemnader See unsicher

Wir leben in Deutschland, nicht in Syrien. Das bedauere ich bisweilen, wenn ich aufs Wetter schaue, aber ich hatte schon das Vergnügen, in Damaskus mit Journalisten zu arbeiten und kann sagen: Deutschland ist ein Paradies im Vergleich zu Syrien, wenn es um die negative Pressefreiheit geht.

Matthias Spielkamp , kress.de
// “Journalisten nicht wie Bittsteller behandeln”

They’re calling it “social micropayments,” which has people mentioning Scott McCloud and Penny Arcade and old arguments long since passed by. I think this is unfortunate, because not only isn’t this a micropayment system, it does the concept of micropayments a disservice.

Eric Alfred Burns , Websnark
// By the way? The Soonr™ web services ending in ‘r’ stop dropping the ‘e’ before that r, the Bettr™.

Pulling off a wish like this one required a big story, and a lot of heart. And so, with a note of panic in his voice, Spider-Man explained the dilemma: “Dr. Dark” and “Blackout Boy” had imprisoned the Seattle Sounders in a locker room at Qwest Field. Only Electron Boy could free them.

Katherine Long , Seattle Times
// Local boy with cancer turns into a superhero for a day

Worte zur Wochenmitte

Zwei Funktionen von Journalismus kommen im Netz zu kurz. Internetpublizistik ist vom Prinzip her lustgetrieben: Wer Spaß hat, über ein Thema zu schreiben, tut das, wenn er keine Lust mehr hat, hört er auf. Und wenn gerade andere Dinge wichtiger sind, sind andere Dinge eben wichtiger. Was dem professionellen Journalismus deshalb ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen könnte, sind Recherchen, die lästig sind, die lange dauern, die Geld kosten und Nerven – also mehr als nur erste Gedanken. Ein zweites Alleinstellungsmerkmal wäre die absolut verlässliche Unabhängigkeit der Informationen. Denn auch da hat das Netz Schwächen.

Eva-Maria Schnurr , der Freitag
// Wie der Blauflossenthunfisch

[I]t is claimed that the directive to ban English acronyms was actually issued by the almighty State Administration of Radio, Film, and Television. The supreme irony is that this powerful agency of the PRC (!) government is known everywhere as SARFT! That’s certainly a lot easier to write than 国家广播电影电视总局 Guójiā Guǎngbō Diànyǐng Diànshì Zǒngjú!

Victor Mair , Language Log
// A Ban on Roman Letter Acronyms?

We’re not going to pay you for fixing our sink – but we will tell our neighbors what a great job you did

Tom Tomorrow , This Modern World
// If real life were more like the Internet
[via The Film Doctor]

It’s not hard to imagine a near future when a movie opens simultaneously on the global market to satisfy its most devoted public before moving in a very few weeks to DVD, VOD, iTunes, and other digital platforms. It then snuggles into hundreds of thousands of hard drives around the world, ready to be awakened when somebody feels the urge to watch. These seem to be the two poles we’re moving toward: the brief big-screen shotgun blast, and the limbo of everlasting virtual access. You can argue that the very success of home video, cable, and the internet have irredeemably cheapened our sense of a movie’s identity.

David Bordwell , Observations on film art
// Festival as repertory

Worte zur Wochenmitte

Da sind Journalisten wie jener J. (was wohl für Johannes steht) Boie von der „Süddeutschen Zeitung“. Für den Leser quälend trieft durch ihre Zeilen der Neid, dass da Leute das gleiche Handwerk betrieben wie sie: schreiben. Und das tun sie einfach so, als Hobby. Sie schreiben nicht über das, was ihnen Ressortleiter, Chefredakteure oder die Tagesaktualität diktieren – sie schreiben über das, was sie interessiert. Dabei sagen sie auch noch deutlich ihre Meinung. Und dafür ernten sie dann auch noch Leserkommentare, Resonanz und dürfen auf einem Kongress stehen und Bier trinken.

Thomas Knüwer , Indiskretion Ehrensache
// Re-Publica 10: der Neidfaktor

Was jemand da Marco Schreyl auf die Moderationskarten geschrieben hat, ist nicht nur erschütternd in seiner Zeitschinderei, es ist nicht nur bekannt, falsch, dumm oder albern (all das ist es auch). Es feiert seinen eigenen Sadismus, einen brutalen Ausleseprozess, einen menschenverachtenden Sozialdarwinismus, auf eine Art, die man kaum anders als faschistoid nennen kann.

Stefan Niggemeier , Fernsehblog
// “Der Verlierer steht für immer im Schatten”: Das Weltbild von DSDS

I remain convinced that in principle, video games cannot be art. Perhaps it is foolish of me to say “never,” because never, as Rick Wakeman informs us, is a long, long time. Let me just say that no video gamer now living will survive long enough to experience the medium as an art form.

Roger Ebert , Chicago Sun Times
// Video games can never be art

Apple-style secrecy may help drive some sales, but ultimately it’s the usefulness, durability, affordability, and availability of a product that play the greatest roles in sales. Being a rational man who appreciates the scientific method, Steve Jobs might want to consider dumping the pixie dust for one product cycle and see if that strategy increases sales.

Jack Shafer , Slate
// The Apple Secrecy Machine

Warum muss mit Journalismus Geld verdient werden?

Über Rivva habe ich mitbekommen, dass bei Meedia schon wieder jemand (Stefan Winterbauer) Jeff Jarvis gebasht hat. Na ja, was soll’s. Das kann er ab und dass er ein Selbstdarsteller ist, ist eigentlich eine Binsenweisheit, denn Selbstvermarktung ist schließlich das, was er verkauft.

Mich hat aber vor allem der letzte Absatz gestört:

Wer von Jarvis wissen will, wie er denn die vielen Leute, die Gebäude, die Dienstleister, die ganze Infrastruktur mit der Link-Ökonomie bezahlen soll, der erhält zur Antwort, man müsse “Wege finden”, die Aufmerksamkeit zu monetarisieren. Immer wenn’s ans Eingemachte geht, verdrückt sich Jarvis ins Ungefähre und eilt zum nächsten Vortrag. Nur: Würde man Jarvis mit seinen radikalen Thesen ernst nehmen, könnten die meisten Medienhäuser von heute auf morgen dicht machen.

Erstens schießt die Kritik am Ziel vorbei: Jarvis hätte überhaupt nichts dagegen, wenn die meisten Medienhäuser von heute auf morgen dichtmachen. Seiner Ansicht nach liegt die Zukunft des Journalismus eben nicht in großen Häusern, sondern in kleinen Zellen.

Zweitens stört es mich, dass hier wie schon an hundert Orten radikale Ideen einer Neuordnung des Mediensystems damit abgetan werden, man könne damit kein Geld verdienen. Selbst wenn das stimmen würde (und das tut es nicht zwangsläufig, denn es gibt Menschen, die mit der Link-Ökonomie Geld verdienen und ihre Aufmerksamkeit beispielsweise durch Beraterverträge etc. in Geld umwandeln) – wäre das so schlimm?

Werner D’Inka hat auf einem Vortrag mal den Vergleich gebracht, er würde sich ja gerade noch von einem Bürgerfriseur die Haare schneiden lassen, aber nicht mehr von einem Bürgerchirurgen den Blinddarm rausnehmen lassen. Dieser Vergleich wird bemüht, wann immer es darum geht, dass möglichst ALLE Journalisten ZWANGSLÄUFIG gut bezahlte Profis sein müssen.

Mal ganz abgesehen davon, dass weder heutzutage noch jemals alle Journalisten ordentlich bezahlt wurden oder dass ordentliche Bezahlung keine Garantie für fehlerlose Arbeit ist – stimmt das überhaupt?

Ich habe schon öfter (auch hier) gesagt, dass ich glaube, dass in der Zukunft sehr viel Journalismus von Amateuren produziert werden wird. Von Journalismus-Amateuren, wohl gemerkt, nicht von Idioten. Rechtsanwälte, Wirtschaftskenner, Politik-Kenner, Kultur-Kenner, die in anderen Berufen ihr Geld verdienen, aber nebenher auch gerne noch über ihr Fachgebiet schreiben möchten, wie es sie immer schon gegeben hat.

Warum sollte ich diesen Menschen weniger vertrauen als einem bezahlten Journalisten? Wegen der Unabhängigkeit, könnte man jetzt als Argument anbringen, und das stimmt. Aber die journalistische Unabhängigkeit ist auch nur ein Idealbild, der die Realität durch Druck von Anzeigenkunden oder einfach durch persönliche Überzeugung ohnehin hinterherhinkt. Das Gesetz der großen Leser-Zahlen wird in einer demokratisch geprägten Gesellschaft schon zeigen, wen es sich lohnt zu lesen, und wer nur schlecht geschriebene Propaganda von sich gibt. Relevanz treibt nach oben.

Und was soll das überhaupt mit dem Vertrauen in den Bürgerchirurgen? Deutschland ist das Land des Ehrenamtes, die ARD hat diesem Thema sogar jüngst eine Themenwoche gewidmet. Wir lassen uns von Nicht-Profis aus brennenden Häusern retten, wir vertrauen ihnen unsere Alten, Kranken und Kinder an. Wir Deutsche lassen uns sogar von Amateuren in hochkomplizierten Sportarten wie – sagen wir mal – Dreisprung oder Biathlon auf internationalen Sportwettbewerben vertreten und freuen uns mit wenn “unsere” Sportler gewinnen. Menschen, die nebenher noch Zahnarzthelfer oder Rechnungsprüfer sind.

Aber wir wollen den Journalismus diesen Menschen nicht anvertrauen? Nicht ausschließlich diesen Menschen (das ist ja bei der Feuerwehr auch nicht so), aber auch diesen Menschen? Da muss unbedingt Geld fließen, damit gute Arbeit geleistet werden kann? Ich warte immer noch drauf, dass mir das mal jemand richtig erklärt.

Kritiker bei der Arbeit

Ich mag es ja, wenn Filmkritiker zwischendurch in ihren Artikeln mal von ihrer Arbeit berichten, weil es meine beiden Hauptinteressenfelder, Film und Medien, so schön zusammenführt. Ich fand schon Peter Bradshaws Artikel über kreative Zwischenrufe sehr amüsant. Und diese Woche ließ sich “Guardian”-Kritiker Jason Solomons in meinem Pflichthörprogramm Film Weekly ebenfalls zu einem kleinen Exkurs hinreißen. Es ging um die kritische Rezeption von Jacques Audiards Film Un Prophète. Jason erzählt (bei 19:15 im Podcast):

I was sitting in Brothers this week, the press screening of Brothers. Mark Lawson, “Front Row”, was, in fact, behind me in the back row, and Chris Tookey the critic of the “Mail” wandered in and went: “Oh, I see…” And then he said to Henry Fitzherbert of the “Daily Express” and Cosmo Landesman of the “Sunday Times”: “Well, it’s only us three, who don’t like A Prophet, then.” Henry said: “Yes, it’s a bit overrated…” And Chris said: “Yeah, it just doesn’t make any sense.The screenplay makes no sense.” And I just put down my notes and said: “Chris, what are you on about? In what way does the screenplay of this not make any sense?” “Well, you never knew why he was doing, what he was doing…” “It’s perfectly clear. I’ve seen the film three times and I knew from the off that he’s doing it for…” such and such reasons, don’t want to spoil it for the listeners. I nearly stabbed the man with my biro!

Seit ich meinen day job bei epd medien begonnen habe, war ich leider nicht mehr auf vielen Pressevorführungen (und um ehrlich zu sein auch davor nicht so wahnsinnig oft, denn Kritiker bin ich ja eher in zweiter Linie), aber man konnte auch hier schon immer erkennen, dass ein Teil der Anwesenden ein ziemlich eingeschworener Club ist, dessen Mitglieder sich kannten und vermutlich auch teilweise gegenseitig lasen (die Pressereferenten der Verleiher gehörten natürlich auch zu diesem Club).

Nach den Vorstellungen unterhielten sich die Clubmitglieder gerne mal über ihre Eindrücke vom Film, aber jeder war immer vorsichtig, nicht zu viel zu erzählen, um den anderen keine zu guten Ideen zu geben. Ich fand es immer faszinierend, zuzusehen, was für eine inzestuöse Branche die große demokratische Welt der Medien dann im Endeffekt doch ist – das muss wohl doch in allen Branchen so sein, wo man eben gleichzeitig Konkurrent und Kollege sein kann. Und Medienjournalisten sind natürlich noch viel schlimmer. Wer ein Jahr lang den Tagungs-Circuit mitgemacht hat, trifft eigentlich kaum noch neue Gesichter.

Amüsant können solche Geschichten aus dem Hinterzimmer natürlich trotzdem sein, weil sie jene ungekannte, mondäne Seite eines Berufs zeigen, der darin besteht, der Welt eine wohlgeformte Version der eigenen Erfahrungen zu präsentieren

Worte zum Wochenende

Ungefähr die Hälfte aller WDR2-Songs klingt so ähnlich, dass man sich beim Zählen ständig vertut: Eine junge Frau singt ein bisschen soulig über einen Typen, der sie schlecht behandelt, den sie aber trotzdem liebt. Sie bleibt eine tapfere, eigenständige Frau, während im Hintergrund das von den 1960er-Jahren inspirierte Arrangement mit Bläsern und Chören schunkelt. Mark Ronson hat das Tor zur Hölle aufgestoßen, als er Amy Winehouse und Lily Allen produzierte.

Lukas Heinser , Coffee and TV
// Ich, WDR 2

Moment mal, zwischen Troisdorf und Brandherden wie Karystos liegen laut Distance Calculator 1970,9 Kilometer – und das ist so rund ein halber Kontinent? Solche Argumente ziehen nicht, wenn Sie deutscher Journalist sind.

Thomas Knüwer , Indiskretion Ehrensache
// In einem Land weitab von deutschen Redaktionen

My hope is that NBC and I can resolve this quickly so that my staff, crew, and I can do a show we can be proud of, for a company that values our work.
Have a great day and, for the record, I am truly sorry about my hair; it’s always been that way.

Conan O Brien , The Tonight Show
// Conan O’Brien Says He Won’t Host ‘Tonight Show’ After Leno

Es ist eine Sauerei, unsere Musik niederzumachen! Sie wissen weder was von unserer Geschichte, noch von unseren Fans. Sie haben überhaupt kein Vorwissen und schreiben trotzdem brutal negativ!

Bernd Ulrich, Amigos , im Interview mit der Frankfurter Rundschau
// “Sauerei, unsere Musik niederzumachen”

Worte zum Wochenende

Wenn nicht mehr die Inhalte, sondern die Links die Grundlage der Medienökonomie bilden (wie Jeff Jarvis behauptet), dann werden die Verlage in Zukunft Geld für Links verlangen. Und am Ende schickt jeder, der mit uns kommuniziert, eine Rechnung.

Wolfgang Michal , Carta
// Die innere Logik der Link-Ökonomie

Vielleicht ist das die gravierendste Veränderung, die der Journalismus in den letzten zehn Jahren mitgemacht hat: Seine Grundhaltung ist inzwischen eine andere, oder sagen wir besser, sie sollte es sein. Wenn man sich nicht gerade verzweifelt an die Überreste und Relikte analoger Tage klammert, dann sollte es inzwischen selbstverständlich sein, Journalismus nicht einfach nur als eine künftig irgendwie mehrkanalige Veranstaltung zu begreifen, bei der es auch dazu gehört zu twittern oder ein Edelprofil bei Facebook zu pflegen. Im Journalismus von heute hat sich nicht nur die Zahl der Kanäle verändert bzw. vervielfacht, sondern auch die Art und Weise, wie wir als Journalisten und Medienmacher mit unserem Publikum kommunizieren.

Christian Jakubetz , Jakblog
// 1999 – 2009

Das klingt nicht unmöglich zu wuppen, werte Herren!

Markus Beckedahl , Netzpolitik
// Warum die Verleger zum Internet einfach schweigen sollten

Es ist wie bei Hypochondern – kaum hustet ein Blogger, ziehen sich die anderen schon Schals um den Hals und legen sich zum Sterben hin.

Malte Welding , Netzeitung
// Das deutsche Problem

Blick in die Kluft

Das Internet ist ein Imperator. Es teilt und herrscht. Der “Digital Divide”, die digitale Kluft, wie Fachleute den Problemkomplex nennen, schlägt sich in vielen Bereichen nieder: Ärmere Länder haben einen schlechteren Zugang zum Internet als reiche. Ältere Menschen tun sich schwerer damit, online zu brillieren als junge. Fraglich ist, ob die Wissenschaft mit der These recht hat, dass irgendwann abgehängt wird, wer sich der Herrschaft des Internets nicht unterwirft.

Immer wieder interessant zu beobachten ist, dass die Kluft zwischen den Liebhabern der digitalen Schönen Neuen Welt und ihren überzeugten Skeptikern auch unter Journalisten so deutlich ausgeprägt ist. Ein besonders gutes Feld für soziale Beobachtungen auf dem Gebiet sind Journalistentagungen wie die DJV-Veranstaltung “Besser Online” am vergangenen Wochenende. Weiterlesen…

Erschienen in epd medien 93/09

Eine Metapher für den neuen Journalismus

Ich bin der festen Meinung, dass sich das Berufsbild von Journalisten durch den Medienstrukturwandel stark verändern wird. Ich sehe das nicht negativ, auch nicht unbedingt euphorisch, aber ich glaube, dass es passieren wird. Seit Wochen suche ich nach einem geeigneten Vergleich. Nachdem ich heute Björn Sievers’ Artikel bei Carta gelesen habe, kam mir endlich eine Idee. Ich weiß nicht, ob sie hundertprozentig funktioniert und bin für Verbesserungsvorschläge natürlich zu haben.

Ich glaube, dass die Zukunft des Journalismus so aussehen könnte wie die der Musikindustrie – zum Teil ist sie das auch bereits (und immer schon gewesen). Die Produktpalette – und die Art und Weise, wie diese Produkte an den Nutzer kommen – wird sich sehr breit auffächern, noch breiter als bisher. Obwohl es Majors geben wird, wird es auch eine unüberschaubare Anzahl unabhängiger, kleiner Anbieter geben, deren Vertriebswege aber natürlich eingeschränkt sind.

Wie in der Musik auch, gibt es im Journalismus drei Kernprodukte: Den einzelnen guten Artikel (die Single), die Sammlung mehrerer guter Artikel aus einem Haus, auch Zeitung oder Zeitschrift genannt (das Album) und die Mischung mehrerer guter, zurzeit gerade populärer Artikel aus verschiedenen Häusern durch Aggregatoren (den Sampler). Aber während das Album früher die Haupt-“Währung” war*, gibt es wieder eine Entwicklung hin zur Single, zum einzelnen Song, der ein bestimmtes Publikum interessiert und der wahrgenommen wird.

Mein Vergleich schließt auch mit ein, dass viele Journalisten – ebenso wie viele Musiker – nicht mehr unbedingt von ihrer Arbeit leben werden können und andere Dinge machen müssen, um sich über Wasser zu halten. Das entspricht ja auch der Tatsache, dass die meisten Blogger nicht vom Bloggen leben, sondern es als Hobby in ihrer Freizeit betreiben.

Wichtig ist die Rolle der Aggregatoren, der Sampler. Sehr viele Menschen gehen durch die Welt ohne jemals das Album eines Künstlers zu kaufen, sie kennen nur die Songs aus dem Radio (einzelne Artikel, die ihnen jemand über Social Media empfiehlt) und die aktuelle Bravo Hits oder Kuschelrock (Aggregatoren, die das “Beste” sammeln und mundgerecht präsentieren). Es reicht ihnen. Mit dem Medienkonsum ist es doch ähnlich. Bei einer Tageszeitung würde ich sofort auch auf den Sportteil verzichten, den lese ich eh nie.

Und genauso wie in der Musik, könnte es in Zukunft auch in den Medien wesentlich mehr One-Hit-Wonder geben. Medien, die einmal einen Coup landen, dann viele Klicks bekommen und danach wieder an Bedeutung verlieren. De facto ist das ja jetzt bereits der Fall. Und nur die, die über einen langen Zeitraum hinweg mit Songs UND mit Alben die Massen begeistern können, werden wirklich erfolgreich. Allerdings wird die Eintrittsschwelle niedriger. Theoretisch könnte ich morgen ein neues Medium gründen und damit in einem Jahr erfolgreich sein, wenn ich entdeckt werde und gut bin.

Hm. Vielleicht hinkt der Vergleich doch ein bisschen zu sehr, er sei als Work in Progress betrachtet. Vielleicht ist Ökosystem doch die bessere Metapher.

Wichtig sind mir folgende Punkte:
1. Der Trend geht hin zum einzelnen wichtigen Artikel statt zur Artikelsammlung.

2. Die Bedeutung von Aggregatoren ist nicht zu unterschätzen. Sie sammeln und sortieren für die zurecht faulen Endverbraucher.

3. Eigentlich ist das immer schon so gewesen – Journalisten haben in Redaktionen Nachrichtenagenturen und die Berichterstattung der Konkurrenz ausgewertet, um daraus ein Aggregat zu schaffen. Aber diese Aufgabe verschiebt sich um eine Ebene.

4. Das könnte mehr freie Journalisten und mehr Hobby-Journalisten bedeuten.

Wer aufmerksam liest, dem ist sicherlich aufgefallen, dass ich bisher Geld noch nicht erwähnt habe. Der Grund dafür ist einfach: Ich weiß nicht, wo Geld in dem Ganzen auftauchen soll. Ich wäre bereit für gute Einzelartikel (Einzelpreis) und gute Aggregate (Abopreis) zu zahlen. Allerdings nicht die enormen Summen, die immer genannt werden. Maximal 5 Cent pro Artikel, maximal zehn Euro für ein Abo – ungefähr die Hälfte des Preises eine Zeitungsabos, denn ich muss ja kein Papier und keine Logistik mehr mitbezahlen.

* mir ist durchaus bewusst, dass Singles die Ursprungs-Währung der Musikindustrie waren, bevor Alben Ende der Sechziger an Bedeutung gewannen.

Bettina Schausten und die ewig alte Leier

Auf der Abschlussrunde des Mainzer Mediendisputs unterhielten sich gestern mal wieder Leute mit vergleichsweise wenig Ahnung aber dafür umso mehr Meinung über das Internet. Erstaunlicherweise kam dabei am sympathischsten (außer dem über allen thronenden Nils Minkmar von der FAS) der einzige Politiker der Runde, SPD-Landesvorsitzender aus Schleswig-Holstein Ralf Stegner, an, der wenigstens ehrlich war mit dem, was er sagte: Twitter mach ich selbst, Facebook mach ich selbst, den restlichen Internet-Kram mache ich ja nicht so regelmäßig aber dafür finde ich auch schon immer die Zeit. Sehr schön auch die Formulierung: “Ich verbringe mit Twittern am Tag etwa so viel Zeit wie mit Händewaschen.”

Von den zwei Polterköppen der Runde, Hugo Müller-Vogg (“Die Politiker twittern doch eh alle nicht selbst” – wenn das Kurt Beck wüsste) und Sascha Langenbach (Berliner Kurier, Twitternde Politiker sind “totaler Kokolores”) hatte ich ehrlich gesagt eh nicht viel erwartet, aber dann war da ja noch Bettina Schausten, die ein wenig öffentlich-rechtliche Kompetenz und Ruhe ausstrahlen sollte (offensichtlich).

Und was sagte Frau Schausten: Erstens, es sei nicht primär Aufgabe eines Fernsehjournalisten, sich im Internet “freizuschreiben” mit den Dingen die er im Fernsehen nicht machen könne (in seiner Freizeit, okay, aber sonst bitte keine multimedialen TV-Journalisten). Zweitens: Im Internet steht ja eine ganze Menge Mist.

Ich kann es nicht mehr hören. Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Wenn das noch einmal jemand als Argument gegen das Internet und gegen das Publizieren im Internet vorbringt, ziehe ich in eine einsame Hütte in den Karpaten. Echt jetzt.

Ich erinnere kurz an das Internet-Manifest, so einiges Kluges steht ja doch drin: Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet. Oder wie Peter Kruse letzte Woche auf dem Zukunftsforum der LPR sagte: Ist doch klar, dass im Netz auch die Gauss’sche Normalverteilung gilt. Das Web spiegelt das “echte Leben” wieder. Und im “echten Leben” sagen Leute eine ganze Menge Mist. So viel Mist sogar, dass die Zeitungen und das Fernsehen gar nicht alles berichten, was Leute sagen, man stelle sich das vor. Also “sagen” (d.h. schreiben, denn so funktioniert das Medium nun mal) die Leute auch im Internet eine ganze Menge Mist. Ja, auch in Blogs. Denn nicht jedes Blog sieht sich selbst als journalistische Plattform.

Aber: Erstaunlicherweise ist die Menschheit in der Lage, im echten Leben wie im Netz, aus dem ganzen Blödsinn, der rund um sie geredet wird, die interesssanten Dinge herauszufiltern. Die Dinge, die alle betreffen. Die Dinge, die vielleicht wirklich Bedeutung haben. Wenn zum Beispiel immer mehr Leute in der DDR ihren Unmut über das System äußern, in dem sie leben, fällt irgendwann die Mauer. Wenn immer mehr Leute sich darüber ärgern, dass die Politik sich nicht um Umweltschutz kümmert, entstehen die Grünen und schaffen es irgendwann sogar in Parlamente.

Umgekehrt bleiben die Minderheitenmeinungen eher unter sich: An Stammtischen, in Freundeskreisen und Vereinen – und eben auch in den modernen Äquivalenten davon: In Internet-Foren, Blogs und anderen Social-Web-Formen. Ja, da steht viel Mist, aber das interessiert auch so gut wie keinen.

Also noch mal zum Mitschreiben in Fettdruck für Frau Schausten: Im Internet steht in der Tat viel Blödsinn, aber an eine relevante Oberfläche schafft es in der Regel nur das, was auch interessant ist, genau wie in der Gesellschaft. Gute Blogs (oder: Polarisierende Blogs) lesen viele Leute, weniger gute oder weniger profilierte Blogs lesen wenige Leute.

Ach so, die Schlussfolgerung von Frau Schausten war übrigens, dass es deswegen Journalisten braucht, die das Internet sortieren und bewerten. Zu einem gewissen Grad mag das sogar stimmen, denn Sortierer sind immer gut, sie müssen aber nicht unbedingt klassisch ausgebildete Journalisten sein, die die Meinungshoheit darüber haben, was wichtig ist und was nicht. Im Grunde ist diese ebenfalls schon häufig geäußerte Meinung aber doch nur eine relativ traurige Selbstrechtfertigung der Journalisten, die sich selbst auf einem sinkenden Schiff sehen.