Rohrkrepierer (I): John Carter and the Ghosts of Michael Sellers

© Disney

Dies ist der 401. Beitrag auf “Real Virtuality”. Und was könnte es besseres geben, um das Überschreiten einer solch historischen Marke zu feiern, als den ersten Beitrag in einer zukünftigen, losen Reihe zu verfassen, die sich mit Themen befassen wird, die in diesem Blog (aus dem einen oder anderen Grund) nie zustande kamen.

“Real Virtuality” besteht ja hauptsächlich aus Meinungsbeiträgen, aber immer mal wieder habe ich den Anspruch an mich selbst, etwas zu verfassen, was auch journalistischen Ansprüchen genügt. Eine der einfachsten Möglichkeiten, das zu erreichen, ist es, ein Interview zu führen. Im April hatte ich gerade das eBook von John Carter and the Ghosts of Hollywood gelesen, in dem Autor Michael Sellers nicht immer perfekt, aber doch sehr interessant und mit viel Hingabe die Art und Weise beschreibt, wie Disneys Marketingabteilung den Film John Carter versenkte – und wie die Fans mit Sellers als Speerspitze versuchten, das Ruder noch im letzten Moment herumzureißen.

Das Narrativ

Das Buch ist aufgrund seines sehr speziellen Themas eigentlich nur interessant, wenn man sich für Filmmarketing interessiert. Dort scheint es vor allem darum zu gehen, im Vornherein ein “Narrativ” des Films aufzubauen, was dann von den Medien und Publikum angenommen wird. World War Z ist ein jüngeres Beispiel eines Films, der ein Negativ-Narrativ umdrehen konnte. John Carter ist dieses Kunststück nicht gelungen.

Mein Plan war es, das Buch in zwei Absätzen zu rezensieren, als Mehrwert aber ein Interviw mit Sellers zu führen, in dem er das Buch noch einmal reflektiert. Anderen war das auch gelungen, und schließlich ist Sellers ja auch ein Fan und Blogger – seine Bereitschaft erschien mir also plausibel. Auf ein erstes Anschreiben antwortete er dann auch recht positiv und sehr freundlich, er würde sich gerne interviewen lassen. Ich schrieb ihm zurück, dass ich mich auch freuen würde und dass bald Fragen per Mail folgen würden. Er bestätigte mir das. Und einen Tag später schickte ich ihm die Fragen.

(Bitte hier Grillenzirpen einspielen)

Der verschwundene Autor

Ich habe nie wieder etwas von Michael Sellers gehört. Ein paar Tage später habe ich kurz nachgefragt, ob er die Mail erhalten hat. Dann ein paar Wochen später noch einmal – fragend, ob ich ihn irgendwie beleidigt hätte ohne es zu wissen. Ich habe auch auf Twitter versucht, ihn anzufunken, falls meine Mail im Spam gelandet ist. Aber Sellers schweigt. Ich weiß nicht warum (krank oder tot scheint er nicht zu sein, er schreibt noch). Und ich finde es sehr schade, denn seine Antworten hätten mich sehr interessiert. Und deswegen ist John Carter and the Ghosts of Hollywood bis heute in diesem Blog nicht aufgetaucht, obwohl es zu den restlichen Themen des Blogs perfekt gepasst hätte.

Hier sind die Fragen, die ich ihm geschickt hatte. Auf die sich meine werten Leser nun selber Antworten ausdenken können. Wenn jemand etwas beleidigendes auffällt, was ich übersehen habe (abgesehen davon, dass ich zugebe, dass ich John Carter nicht perfekt fand), bitte ich um Mitteilung.

You paid close attention to and even had a hand in the buildup to “John Carter” last year. What made you want to put your story into book form?

Was it clear to you from the start that you would start the book as an observer without any involvement and then suddenly insert yourself into the “story” almost like a second-act-twist?

Have you heard back from any of the people involved in the film since your book came out? Has Disney ever stirred?

You’re very methodical in dissecting everything that went wrong with the making and the marketing of “John Carter”, but you’re careful to not actually place any blame on individuals. Did your own feelings ever differ from your written account?

Marketing and production flukes aside – how happy are you with what actually ended up on screen? I have to say that I have sympathies for it and I quite enjoyed myself in the cinema, but all in all, I had expected something with a bit more substance from a master storyteller like Stanton. In the book, you describe how it took you some time to get around to the film, because of the ways it’s different from both the book and the ideal movie in your head. How do you feel today?

One thing I found very interesting in the book is your description of the narrative – “John Carter” is a very expensive flop, the result of indulging a director that didn’t know what he was doing – that had already settled before anyone ever saw the finished film. In your opinion, how important are these narratives in film marketing and are there examples of succesful marketing turning them around in the past?

Fan culture and the willingness of fans to invest time and effort into the stuff they love is basically the hero of your book. How do you see fan culture today, as a whole? Is it a good thing that so many films based on properties with a fan base are made? Isn’t it a certainty that you will always disappoint some people – and people often unwilling to forgive – unless you produce such faithful, i.e. boring, adaptations like the “Harry Potter” series? What do you think is the role of fans in movie culture today?

At the end of the book you lay out some ideas for how a sequel or reboot of the series could be realized. Do you believe this can actually happen (in our lifetime)? My personal feeling is that “John Carter of Mars” has amassed too much bad karma for there to be any future efforts.

What’s next for you? Any writing or filmmaking you would like to plug?

Quotes of Quotes (XIII)

“That’s how Zack Snyder works. Who needs subtext? It’s text. Overtext. Supertext!”
Devindra Hardawar über die Bildsprache und Jesus-Metaphorik in Man of Steel (bei Minute 44:30)

“Supertext”. Man hätte kein besseres Wort finden können. Ich werde es in meinen Wortschatz aufnehmen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gebrauchen.

Die Welt ist nicht genug – Man of Steel und Hollywoods episches Problem

© Warner Bros. Pictures

Richard Lesters Film Superman II von 1980 hat in Sachen Plot eine ganze Menge mit Man of Steel gemeinsam. Der kryptonische General Zod, der die Zerstörung Kryptons übelebt hat, weil er in einem außerplanetarischen Gefängnis saß, gelangt mit seinen Spießgesellen zur Erde, die er – in gewohnt zodscher Überheblichkeit – übernehmen will. Clark “Superman” Kent kann das natürlich nicht zulassen. Im Finale des Films (Spoiler) lockt er Lex Luthor, Zod und Co in seine Festung der Einsamkeit am Nordpol und besiegt sie, indem er ihre Arroganz geschickt gegen sie einsetzt.

Auch Man of Steel (Noch mehr Spoler) endet mit einer Konfrontation zwischen Kal-El und Zod. Die beiden smashen und crashen sich durch Metropolis, um schließlich in einem Bahnhof zu landen, wo Superman Zod mit einem Ruck das Genick bricht, um zu verhindern, dass dieser einer unschuldigen Familie schadet. Ein persönlicher Kampf, könnte man meinen. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, braucht Man of Steel zuvor eine andere Szene, in der Zod und seine Kryptonier begonnen haben, die Erde mit ihrem Raumschiff zu terraformen. Metropolis wird von Erdstößen erschüttert. Superman muss das Gegenstück des Raumschiffs am anderen Ende der Welt zerstören. Lois Lane versucht in einem Bomber ein schwarzes Loch zu erzeugen. Zod verfolgt sie in einem 20.000 Jahre alten kryptonischen Raumschiff, das eine Brutkammer enthält, mit deren Hilfe – gemeinsam mit dem in Supermans Zellen enthaltenen Informationen – Krypton auf der Erde wieder auferstehen kann.

Hektische Dringlichkeit

Es ist bereits einiges geschrieben worden über Man of Steels Zerstörungsorgie in der letzten halben Stunde. Über das PG-13-Problem und die nicht enden wollende Referenzierung von 9/11. Thomas Groh bringt den Stein des Anstoßes (oder des Jubels) für viele Kritiker in seinem Text (in dem sich noch mehr gute Links finden) auf den Punkt, wenn er schreibt

[J]ene Inseln, in denen Superman eins mit sich (oder allein bei sich) ist und die man aus früheren Superman-Adaptionen kennt, weichen einem allumfassenden Modus hektischer Dringlichkeit, der sich auch an der unstet verwackelten Kameraführung ablesen lässt.

Doch es ist gar nicht unbedingt nur die Zerstörungswut und der “Let’s get Loud”-Gestus, an dem Man of Steel meiner Ansicht nach krankt. Das viel größere Problem ist, dass er einfach insgesamt zu gigantisch ist. Auch in Superman II gibt es eine Schlacht um Metropolis, und wären Computer 1980 zu den gleichen Leistungen in der Lage gewesen, wie heute, hätte diese sicherlich auch anders ausgesehen. Der Clou ist aber vielmehr, dass Superman II am Ende eigentlich eine kleine, persönliche Geschichte erzählt, obwohl Zod die Welt bedroht. Man of Steel versucht das gleiche, er will im Kern die Coming-of-Age-Geschichte von Superman erzählen, doch dabei schleppt er zahllose Expositionssequenzen und endlose Massen an Mythologie mit sich herum, die ihn wie ein tonnenschweres Gewicht hinunterziehen. Dort wollen ihn Zack Snyder und Christopher Nolan natürlich auch haben. Schließlich sind beide dafür bekannt, Gewicht mit Gravitas zu verwechseln.

Das Einkaufszentrum reicht nicht mehr

Die Geschichte von Man of Steel ist sehr einfach. Doch Snyder, Nolan und Drehbuchautor David Goyer brauchen einen langen, feurigen Prolog auf Krypton, eine beliebig wirkende Reihe von expositorischen Flashbacks, ein Hologramm von Russell Crowe, eine Entführung auf das kryptonische Raumschiff, jede Menge kryptisch (pun intended) erklärendes Kauderwelsch (“Wir konnten den Phantomgenerator in einen Hyperantrieb umbauen.”) und den oben beschriebenen Dreifach-Showdown, um sie zu erzählen. Und man beginnt trotzdem immer nur dann, tatsächlich etwas zu fühlen, wenn sich Zod und Kal-El wieder persönlich gegenüberstehen.

Ende vergangenen Jahres habe ich das neo-barocke Hollywoodkino am Beispiel des Hobbit noch gelobt. Doch dieser Blockbuster-Sommer ist drauf und dran, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Hollywood ist einfach zu episch geworden. Filme – selbst effektlastige Blockbuster – waren mal gut darin, große Geschichten in kleinen Kosmen zu erzählen. Derzeit passiert genau das Gegenteil: Nicht nur Superman muss verhindern, dass die ganze Welt zerstört wird. Wo Zombiefilmen früher ein Einkaufszentrum reichte, um ihre Parabel zu errichten, muss es heute schon ein ganzer World War Z sein. Und Guillermo del Toros Pacific Rim folgt der Logik: Wir werden von gigantischen Monstern angegriffen? Dann müssen wir wohl selbst gigantische Monster bauen.

Der perfekte Sturm

Die gleiche schwanzbeißende Logik scheint Hollywoods Studiobossen durch die Hirne zu kreisen. Wenn Filme schon 200 Millionen Dollar pro Stück kosten müssen, dann müssen die Geschichten und Setpieces, auch größer sein, als alles bisher dagewesene. Mindestens Global. Besser noch Galaktisch. Sicher, Schauwerte sind einer der größten Spaßspender im Sommerkino. Und Worldbuilding kann in unserer transmedialen Welt eine Menge Spaß machen. (Einschub: Ich mochte den Einfall eigentlich, aus Man of Steel einen Science-Fiction-Film zu machen, statt immer nur die bekannten Superheldenkühe zu melken.) Aber hinter allem muss etwas stehen, zu dem man als Zuschauer einen Bezug aufbauen kann. Sonst bleibt selbst der perfekte Sturm in seinem Wasserglas gefangen.

Edgar Wrights Film Scott Pilgrim vs the World wurde damals mit der wunderschönen Tagline “An Epic of epic Epicness” beworben. In dem Film geht es darum, dass ein junger Mann sich damit abfinden muss, dass seine Freundin eine sexuelle Vergangenheit hat. Aber auch eine so banal wirkende Prämisse kann eben manchmal zum epischen Kampf werden. Dafür muss nicht immer gleich die ganze Welt vor der Zerstörung stehen.

Wo genau ist die Redundanz im amerikanischen Journalismus, Alexander von Streit?

Meine Leidenschaft für die deutsche Ausgabe der Zeitschrift “Wired” ist gut dokumentiert. Obwohl ich glaube, dass das Team insgesamt auf einem guten Weg ist (über die letzte Ausgabe gab es schon gar nicht mehr genug zu meckern für einen eigenen Blogeintrag), ändert das nichts daran, dass mich die deutsche Herangehensweise immer wieder irritiert.

Ein neues Interview mit Chefredakteur Alexander von Streit auf innovations-journalismus.de zeigt auf’s Neue, dass irgendwas bei der Konzeption der deutschen “Wired” nicht stimmt. Mal ganz abgesehen davon, dass “Wired” sich soviel ich weiß noch nie als Magazin für “Popkultur” begriffen hat, wie von Streit behauptet (die US-Ausgabe hat gerade Geburtstag gefeiert und dabei ihre Motivation noch einmal gründlich reflektiert), spricht aus seinen Aussagen die gleiche Mischung aus Überheblichkeit (“Was andere Leute als Innovation empfinden, ist für uns manchmal gar nicht mehr so innovativ.”) und daraus resultierender Flachheit, die auch das deutsche Magazin immer wieder durchzieht.

Das Bedürfnis, geil zu sein

Mein persönlicher Eindruck ist nach wie vor, dass die US-“Wired” von einer genuinen Neugier und Begeisterung aufs Neue und aufs Neuartige im Alten getrieben wird (oder unter Chris Anderson zumindest wurde, Scott Dadich muss sich noch beweisen), und die Autoren nach all den Jahren auch an den richtigen Scharnieren sitzen. In Deutschland, dünkt mich jedoch, wird diese Begeisterung, entgegen allen Aussagen des Chefredakteurs, nach bester New-Economy-Manier nur simuliert bzw. sie verschwindet zur Hälfte hinter dem Bedürfnis, irgendwie geil zu sein. (Und vielleicht auch: den Anzeigenkunden von GQ zu gefallen)

Was mich allerdings am meisten ärgert, ist eine Behauptung, die Thomas Knüwer schon aufgestellt hat, und die Alexander von Streit hier wiederholt:

In der US-„Wired“ sind manche Geschichten noch einmal um die Hälfte länger, aber steigen dabei nicht unbedingt tiefer in die Materie ein. Das liegt eher an der sehr prosaischen Erzählform des amerikanischen Journalismus, die teils redundant immer wieder auf dieselben Aspekte zurückkommt.

Es ist ja eine Sache, so etwas zu behaupten. Und ja, die Texte in der US-“Wired” sind lang – in bester amerikanischer Tradition von Publikationen wie “New Yorker”, “Atlantic” oder “Economist”. Aber sind sie wirklich redundant? Und was soll das überhaupt heißen? Ich habe mir mal meine letzte “Wired”-Ausgabe vorgenommen, und von Streits These überprüft.

5000 Wörter

Die vielleicht beste Story des letzten Hefts (das insgesamt nicht eins der besten war), war “Drugstore Cowboy”, über einen Betrüger, der illegale Medikamente über das Internet verkaufte und später gegen Google zum Kronzeugen wurde. Der Artikel hat 5000 Wörter und über 31.000 Zeichen, also gute zehn volle A4-Seiten plus Bilder und Kästen. Der Artikel ist aufgebaut wie ein Spionage-Thriller. Er beginnt mit dem zentralen Wendepunkt der Geschichte, einem Gefangenentransport des Protagonisten David Whitaker, und ragt von dort aus sowohl in die Vergangenheit (illegale Medikamentengeschäfte) als auch in die Zukunft (Kooperation gegen Google).

Autor Jake Pearson hat den Artikel folgendermaßen strukturiert: 1. Eröffnungsszene: Transport. 2. Verhaftung, Kurzprofil der Hauptfigur Whitaker in Blitzlichtern, die man noch nicht ganz deuten kann. 3. Whitaker ersinnt einen Plan, wie er aus der Sache herauskommt. 4. Whitakers Leben, Flucht und Verhaftung. 5. Seitenwechsel: Die Sicht der Behörden auf Whitakers Kollaborations-Angebot. 6. Die Kollaboration, in drei detailreichen Szenen, in die Hintergrundinfos eingestreut werden. 7. Whitakers Entlassung und neues, zweifelhaft ehrliches Leben. 8. Die strafrechtlichen Konsequenzen für Google.

Abgesehen von der Erwähnung der Verhaftung, die später noch einmal aufgegriffen wird, enthält der Artikel keine direkten Redundanzen. Der Prozess der Kollaboration wird sehr detailliert geschildert und dabei werden auch verschiedene Dinge mehrfach erwähnt (die Gestaltung der Seite, um von Google akzeptiert zu werden, beispielsweise).

Gedankenexperiment

Schauen wir uns noch eine zweite Geschichte an. Die Story “Thought Experiment” über den bevorstehenden Versuch, ein menschliches Gehirn nachzubauen, ist von “Wired”-Veteran Jonathon Keats und etwas kürzer, 4000 Wörter (die im englischen übliche Zähleinheit) und 25.000 Zeichen. Sie beginnt nicht szenisch, sondern mit einem Rückblick auf einen historischen Meilenstein, die Auswirkungen des TED Talks von Henry Markram, um den sich der Rest des Textes dreht.

Hier ist wieder die aufgedröselte Struktur von Keats’ Text: 1. Der TED-Talk 2. Der Stand heute (an den Ambitionen hat sich nichts geändert) und die Finanzierung der EU. 3. Historischer Abriss der Hirnforschung inklusive aktuellem Stand. 4. Persönliches Treffen mit Markram, Abriss seiner Karriere. 5. Konkrete Beschreibung des Vorhabens inklusive der Zweifel der Gegenseite. 6. Ausblick auf die Möglichkeiten, falls das Experiment gelingt, vorsichtig optimistisches Fazit.

Auch hier werden Aspekte im Text noch einmal aufgegriffen, die im ersten Abschnitt erwähnt werden. Das halte ich aber für eine normale Taktik – die salzigsten Fakten werden erst angeteasert und später im Detail erklärt. Wirkliche Redundanzen, Sachverhalte, die mehrfach erklärt wurden ohne tiefer in die Materie einzudringen, konnte ich in diesem Text nicht finden.

Erzählt werden Geschichten

Das gleiche Beispiel könnte ich an weiteren Artikeln durchexerzieren. Mein Bauchgefühl als Leser von US-Journalismus seit vielen Jahren sagt mir, dass das Ergebnis wahrscheinlich überall etwa gleich aussehen würde. Es gibt vereinzelte Redundanzen bei detaillierten Beschreibungen und es gibt Rückgriffe zur Orientierung innerhalb des langen Artikels. Das ist aber kein definierendes Feature der amerikanischen Form.

Ich glaube viel mehr, dass die Kunst des amerikanischen Longform-Journalismus ist, dass eine gute Geschichte erzählt wird. Die Artikel schrecken nicht davor zurück, narrativ zu sein, voller Szenen und ausführlichen Rückblenden. Erzählt wird mit Spannungsmomenten und Auflösungen, wie ein gutes Drama. Das bedeutet nicht, dass darüber die journalistische Unabhängigkeit verloren geht. Es bedeutet nur, dass man ein bisschen mehr Zeit mitbringen muss, und dafür mit einem mitreißenden Lese-Erlebnis belohnt wird. Im besten Fall. Denn natürlich sind auch im amerikanischen Journalismus, und auch in der “Wired”, Gurken zu finden. (Auch die letzte Titelgeschichte zum Internet of Things ließ zu wünschen übrig.)

Ein nur leicht veraltetes Beispiel

Der deutsche Journalismus kann das, was ich im US-Journalismus so mag, übrigens auch. Wenn er sich traut. Ich lese leider nicht mehr allzuviele deutsche Zeistchriften, aber ich erinnere mich spontan an eine fünf Jahre alte “Spiegel”-Titelgeschichte mit dem Namen “Der Bankraub” über die Finanzkrise. Sie zieht sich auch über viele Seiten, ist aber eine Wahnsinnslektüre und hat zu recht einige Preise gewonnen. Weil sie gut erzählt ist, und weil sie sich traut, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen.

Vielleicht ist es also Zeit, mit überlieferten Weisheiten wie “Longform-Journalismus nach US-Vorbild funktioniert in Deutschland nicht, außerdem ist dort ja sowieso alles total redundant” Schluss zu machen und einfach mal etwas Neues zu probieren. Schließlich geht es doch in “Wired” um Innovation. Man muss sie halt auch als solche empfinden.

Podgast (II) – PewCast: Before Midnight

Vergangenes Wochenende war ich gemeinsam mit Matthias vom Film-Feuilleton bei der achten Ausgabe von Saschas PewCast zu Gast und stieß dort mit meiner zwiespältigen Meinung zu Richard Linklaters Before Midnight zumindest bei einem Drittel der Mitdiskutanten auf Unverständnis. Wer keine Stunde Zeit hat für den Podcast, kann sich die Kurzform meiner Meinung auch in der letzten “Close up”-Sendung anschauen.

PewCast 008: Before Midnight

Das Jahr der Science-Fiction-Originale

© Warner Bros

Pacific Rim

Das Genrefilme so ziemlich die Weltherrschaft an sich gerissen haben, konstatiere ich hier im Blog regelmäßig. Die Schattenseite des Ganzen ist aber auch kein Geheimnis: Denn Genrekino lebte immer schon von der Wiederholung bekannter Formeln und entsprechend befinden wir uns im Jahrzehnt der Franchises, Remakes und Reboots. Und auch wenn das an sich weder etwas schlechtes, noch etwas neues ist, so gibt es doch ein Genre, das – anders als etwa das Superheldenfach – nicht von der ewigen Neuerzählung bekannter Mythen leben sollte, sondern von der Erschaffung originärer Visionen: Die Science-Fiction.

Und gerade die bekommen wir 2013 endlich mal wieder in einer Fülle geboten, wie wir sie gefühlt seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen haben. Zukunftsvisionen, direkt aus den Hirnen ihrer Schöpfer auf die Leinwand. Da kann jedes Total Recall-Remake einpacken. Joseph Kosinskis Postapokalypso Oblivion, obwohl derivativ, basiert auf einer unveröffentlichen Graphic Novel seines Regisseurs. Pacific Rim, in dem Guillermo del Toro gigantische Mechas gegen gigantische Monster kämpfen lässt, entspringt einem Originaldrehbuch, ebenso wie der sehnlich erwartete Gravity seines Landsmanns Alfonso Cuarón. After Earth ist die Umsetzung eines Fiebertraums von Will Smith. Und auch Neill Blomkamps Elysium, dessen neuer Trailer jeden begeistern dürfte, ist eine originäre Schöpfung.

Über die Qualität der Filme sagt diese Tatsache natürlich an sich noch nichts aus. Die bereits gestarteten Oblivion und After Earth kamen bei der Kritik nicht gerade gut weg. Doch es ist auch so schon erfrischend, wenigstens mal wieder Bilder und Geschichten auf der Leinwand zu sehen, die kein historisches Gepäck mit sich herumtragen. Guillermo del Toro wird nicht müde zu betonen, dass sein oberstes Credo für Pacific Rim die Distanz zu existierenden Filmen war. Mit anderen Worten: Man kann sich als Freund des Genres völlig darauf konzentrieren, ob man einen guten Film sieht, und muss sich nicht im Vorfeld schon Gedanken machen, ob die Macher dem Geist der Marke treu bleiben und ob ihre Interpretation valide ist.

© Screenshot/Sony Pictures

Elysium – Kennen wir dieses Bild nicht irgendwoher?

Vor allem, wenn man sich Elysium und Oblivion anschaut, heißt das jedoch nicht, dass die Filme ohne Referenzpunkte existieren. In der Bildwelt beider Filme (und auch in vielen der Storyideen von Oblivion) sind klare Bezüge zum letzten goldenen Zeitalter der Science-Fiction erkennbar, das ebenfalls von warnenden und philosophisierenden Blicken in die Zukunft handelte, in einem Spannungsfeld aus Staunen und Schrecken, angereichert mit einer unterschiedlich großen Dosis Action. Zwischen 1968, als 2001: A Space Odyssey die bis dahin von Monsterinvasionen dominierte Science-Fiction neu definierte, und 1982, als “Blade Runner” den Übergang in ein neues, technologisch beklemmenderes Zeitalter einläutete, entstanden Filme wie Solaris, Silent Running, Logan’s Run, Close Encounters of the Third Kind, Soylent Green, Planet of the Apes, A Boy and his Dog, Zardoz, A Clockwork Orange und Rollerball, die bis heute einen Klassizismus ausstrahlen, wie man ihn davor nur zwischen 1927 und 1935 gesehen hatte.

Auch damals waren die meisten Filme Originale oder höchstens Literaturadaptionen. Zum Glück gab es die auch immer wieder, von Escape from New York bis zu den beiden besten SF-Filmen der letzten zehn Jahre, Children of Men und Sunshine, dominant waren jedoch Serien: Star Trek und Star Wars, Alien und Matrix, die das Koordinatensystem der SF – von Space Opera bis Cyperpunk und von Horror bis Fantasy – unter sich aufgeteilt hatten. (Mehr zur Abgrenzung der SF im Film bitte nachlesen in Vivian Sobchacks exzellentem Klassiker “Screening Space”).

© Universal

Oblivion

Die Science-Fiction-Filme des Jahrgangs 2013 scheinen den Zeitgeist der Hyperstasis abschütteln zu wollen. In einer Zeit, in der William Gibson nicht mehr über die Zukunft schreiben will, weil wir bereits in der Zukunft leben, entwerfen Kosinski, Blomkamp und del Toro bewusst weite Landschaften abseits der Computerschaltkreise. Welten, die nicht virtuell sind, sondern real und gefährlich, und deren Zukunft sich von unserer Gegenwart signifikant unterscheidet.

Es ist schwer zu sagen, ob es ein glücklicher Zufall ist, dass Hollywood dieses Jahr mit gleich so vielen Originalstoffen um das Box-Office würfelt. Klar ist, wenn 150-Millionen-Dollar-Experimente wie Pacific Rim fehlschlagen, wird man sich ganz schnell besinnen und lieber wieder weiter an Blade Runner 2 und Prometheus 2 werkeln. Doch für den Moment sieht es so aus, als könnte der Nummer-Sicher-Remake-Wahn zumindest in der Science-Fiction für eine Weile gesprengt werden. Wenn die Filmwelt nicht vorher implodiert.

From the Vault: 10 Tips For Becoming an Acclaimed Arthouse Film Director

I admit to being something of a narcissist in that I enjoy reading through old things I wrote. But sometimes that is a good thing, because I come across stuff that might actually be worth revisiting. Like this: A snarky list I wrote almost seven years ago in February 2006, on my old, personal blog – back when the Internet was still somewhat less “sharing” than it is now.

I thought I’d repost the list here. I seem to remember it was written following a viewing of, amongst other things, Dogville and the Bill Douglas Trilogy. But nothing much has changed in the last seven years, really. What are your thoughts?

10 Tips for Becoming an Acclaimed Arthouse Film Director

1. When you set out to make art films, the first thing you need is a Manifesto. Try to make it as crazy as possible, treat it as if it was a completely revolutionary new way of making films. Then, make exactly one film that adheres to the Manifesto.

2. When your first film is finished, claim that the Manifesto is bullshit and make all your other films in a completely different way.

3. As soon as you have made three films, claim that they form a trilogy. No art film director is complete without a trilogy. The three films don’t actually have to do anything with each other. Proclaim that you will continue making trilogies and let the critics figure out how your films connect. They will find somethng.

4. Bribe a critic you know and let him attribute you to some kind of stylistic movement. The name doesn’t really matter, but make sure the word ‘Realism’ is in there somewhere.

5. If Hollywood offers you to make a film for them for which you will get paid shitloads of money, decline. Renounce Hollywood and all its capitalist methods and say that you will never work for The Man. Then, a few years later, do it anyway.

6. Insist on casting one specific actor in every film you make. Insist on him (or her) playing parts that absolutely don’t fit him but claim that you have absolute faith in him pulling off the performance. For bonus points, cast a male actor to play a female part or vice versa. At some point, start a liaison with that actor. You get extra credit if he or she is (a) in some way related to you (b) of the same gender as you (c) a lot older or younger than you. When everybody has lost interest in the liaison, break it up big time and marry a childhood friend.

7. After you have made a few films, insist on shooting your next film with some kind of very crazy technique. This can range from simple black and white to digital cameras, original silver nitrate film, continous takes, split screens, silent films, DVD-Versions with multiple endings, whatever. Make up any crazy shiit and claim that you’re doing it because it helps you understand the essence of cinema.

8. Take on a new and interesting Identity after some films. Change your name, grow a long beard, let no one take pictures of you, move to a country in some remote part of the globe. Alternatively, announce your retirement from the world of filmmaking and instantly start working on a new film.

9. Before every film, announce that it is your most personal film yet.

10. Make a film about your childhood. Claim that this is the zenith of your work, that you always wanted to make that film and that only now you feel you are mature enough to make it. Better yet, make a trilogy about your childhood (see point 3). Don’t actually make it about your childhood though but about a kind of childhood the most important critics can identify with.

Bild: JJ Georges, CC-BY-SA

Blogosphären-Hinweis (I): Die “Nippon Connection”-Podcasts von “SchönerDenken”

Ich bin leidenschaftlicher Podcast-Hörer (nach aktueller Zählung habe ich insgesamt zehn abonniert), doch die Gattung neigt dazu, ohne die rigide Hand eines selbsternannten Redakteurs in endloses Blabla abzudriften, wenn die Gesprächspartner wie in einem normalen Gespräch frei assoziieren und dabei auch mal vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen.

Ganz prima finde ich daher die Podcats im Blog SchönerDenken, die im Grunde nur aus einem kurzen Fazit-Gespräch nach Ansehen des Films bestehen und oft unter zehn Minuten lang sind. Ein kleiner Soundbite, leichtfüßig und unterhaltsam – ohne das Gewicht eines formulierten Textes – aber dennoch kompakt und auf den Punkt.

Zum japanischen Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt hat das SchönerDenken-Team, das sich selbst “Die üblichen Verdächtigen” nennt, ihr Konzept für die gesamte Festivalberichterstattung übernommen. Mal ein anderes Konzept, als die übliche Textwut, die ein Festival produziert und die ja von weitem recht problematisch sein können.

Hier geht es zu den Nippon-Connection-Podcasts von “SchönerDenken”.

Wenn ich die Zeit hätte, würde ich jeden Tag Links aus der Film-Blogosphäre aggregieren. Stattdessen reicht es nur für einzelne Nuggets. Dies ist ihre Kategorie.

Über Renommee

Award Ceremony

Mein täglicher Job abseits des Blogs besteht ja zum Teil auch aus dem Schreiben und Redigieren von Pressetexten. Aus dieser Erfahrung heraus enstand vorgestern dieser Tweet:

Für den ich von Ekkehard Knörer hart ins Gericht genommen wurde.

Sicher nicht geholfen hatte, dass ich im ursprünglichen Tweet das Wort “renommiert” falsch geschrieben hatte. Ich habe Ekkehard in zwei weiteren Tweets versucht zu erklären, was ich meinte (darauf hat er leider nicht mehr reagiert), aber ich dachte, ich schreibe sicherheitshalber auch hier noch einmal etwas dazu.

Hinter dem Ganzen steckt ein grundsätzlicher Gedanke, den vielleicht nicht alle Menschen teilen. Da ich ursprünglich Journalist bin, und – obwohl ich teilweise Aufgaben übernommen habe, die klar der PR zuzurechnen sind – mich auch immer noch so sehe, bin ich der Meinung, dass gute Pressemeldungen so formuliert sein sollten, dass sie Journalisten so gut wie möglich dienen. Extralative des Grauens nutzen niemandem außer dem Ego der Autoren – kein Journalist wird sie ernst nehmen und erst recht nicht für seinen Text übernehmen. Viel sinnvoller (und perfider natürlich und deswegen mitten im Herz der Krise des Agenturtexte-Übernehm-Journalismus) ist es, Pressetexte so zu formulieren, dass sie stimmen und gut klingen, aber trotzdem natürlich genau den Spin tragen, den man vermitteln möchte.

Tiere quälende Nazis

Vielleicht ist es nur mein Training als Nachrichtenjournalist beim epd, aber dort galt das Attribut “renommiert” als verpönt, weil es an und für sich nichts aussagt. Jeder kann behaupten, dass jemand renommiert ist. Und selbst wenn es stimmt, dass jemand renommiert ist, weiß ich immer noch nicht bei wem oder wofür er oder sie renommiert ist. Die Person könnte für seine Fähigkeit, Tiere zu quälen, renommiert sein, oder bei Nazis. Letzteres ist nicht einmal weit hergeholt, da gerade Bevölkerungsgruppen, die allgemein als gesellschaftlich verurteilenswert gelten, gerne unschuldig aussehende Preise verleihen, um unbedarfte Fachleute in ihren eigenen Kontext zu stellen.

Eine Formulierung wie “der renommierte Regisseur Klaus Klopstock” enthält aber noch etwas anderes, und zwar ein implizites Hinabblicken des Autoren auf seine Leserschaft. Das ist es auch, was ich im ursprünglichen Tweet ausdrücken wollte – und vielleicht ist es auch ein markantes Merkmal im deutschen Feuilletonsjournalismus generell. Wenn ich einer Person nebenbei das Attribut “renommiert” verpasse, spalte ich damit meine Lesenden in zwei Lager. Diejenigen, die wissen, wovon ich rede, und sich dadurch gemeinsam mit mir auch als “Wissende” fühlen können. Und diejenigen, die nicht wussten, dass Klaus Klopstock renommiert ist, und sich durch meine Formulierung also automatisch dümmer fühlen als ich. Da ich Journalismus immer als Dienst am Lesenden begreife, ist also wieder nichts gewonnen. Außer der Förderung von Elitengefühl.

Der berühmte Goethe

Aus meinem Bekanntenkreis ist mir mal die Geschichte eines Brautvaters zugetragen worden, der in seiner Hochzeitsrede (wie wir alle) literarisch gebildet erscheinen wollte, und ihr deswegen das obligatorische Goethe-Zitat voranstellte. Dummerweise leitete er es mit den Worten ein “Wie der berühmte Goethe sagte …”. Darin offenbart sich die umgekehrte Gefahr einer solchen Formulierung: Wenn sowieso jeder weiß, dass eine Person namhaft ist, brauche ich es nicht extra zu erwähnen. Sonst sehe ich nämlich aus wie der Gimpel, der auf sein eigenes besonderes Elitenwissen hinweisen will, das alle anderen als selbstverständlich empfinden.

Renommee sollte also entweder für sich selbst sprechen, oder ich kann es konkreter machen. Eine Möglichkeit wäre, einen Preis zu nennen, den Klaus Klopstock gewonnen hat. Natürlich gibt es auch den immer wieder dummen Fall, gerade in der Filmwelt, aber natürlich auch in der Wissenschaft, dass jemand tatsächlich seit langem in seinem Fachgebiet renommiert ist, aber bei Preisverleihungen immer übersehen wurde. Selbst dann hilft es, wenn man einfach ein paar Informationen hinzufügt. Statt “Der renommierte Regisseur Klaus Klopstock” zum Beispiel “Der für seine realistische Darstellung niederrheinischer Kugelschreiberfarmen renommierte Regisseur Klaus Klopstock”. So nimmt auch der Leser, der, warum auch immer, Klaus Klopstock noch nicht kannte, etwas mit nach Hause, woran er noch lange Freude hat. Und so hat man auch als PR-Mensch ausnahmsweise etwas Gutes in der Welt getan.

(Bildquelle)

Vin Diesel vs Karl Urban: Zufrieden im Genrekino?

© Universal Pictures International, Universum Film

The Geeks were right. Das möchte man zumindest manchmal denken, wenn man sich die momentane Mainstream-Kinolandschaft anguckt. Filme mit fantastischen Wurzeln, in denen Comic-Helden Superbösewichter bekämpfen und mythische Artefakte durch magische Welten getragen werden, sind zur Norm geworden. Zur Multimillionen-Dollar-Norm. Iron Man 3 ist gerade der fünfterfolgreichsten Film aller Zeiten geworden, und er teilt sich die 5er-WG an der Spitze mit nur einem Nicht-Genrefilm (Titanic). Die drei anderen Mitbewohner (Avatar, Harry Potter 7.2 und Avengers) sind eindeutig dem Genrekino zuzuordnen.

Die zwei Biografien des Leonard N.

Für Schauspieler jedoch scheint das Genrekino immer schon ein zweischneidiges Schwert zu sein. Entweder sind die Effekte der Films so beeindruckend (und teuer), dass die Darstellenden oft automatisch in den Hintergrund gedrängt wurden, oder die Rollen wurden popkulturell so markant, dass die Schauspieler als wandlungsfähiges Gesicht danach festgelegt und gezwungen waren, ihre eigentlichen Charakterdarsteller-Ambitionen aufzugeben. Was oft folgt, sind die fünf Phasen der Trauer von Leugnung bis Akzeptanz – immer wieder schön anekdotisch zu beweisen an Leonard Nimoys beiden Autobiografien “I am not Spock” (1975) und “I am Spock” (1995).

Es reicht bereits ein Blick in die Wikipedia-Einträge, um die Anekdote zu relativieren, doch man braucht sich nur Schauspieler-Biografien von Malcolm McDowell bis Mark Hamill anzuschauen, um zu sehen, wie schwierig es sein kann, aus dem Genre-Korsett auszubrechen. (Ich rede hier übrigens die ganze Zeit bewusst nur von männlichen Schauspielenden, für Frauen spielen für die Karriere bekanntermaßen und beklagenswerterweise noch ganze andere Faktoren eine entscheidende Rolle.)

Willkommen in der Genrehölle

Heute ist es für große Stars fast schon selbstverständlich, eine Rolle in einem Comicfilm- oder Fantasy-Blockbuster zu übernehmen. Und Mimen von Heath Ledger bis Robert Downey Jr. haben es geschafft, diesen Rollen ihren eigenen unverwechselbaren Stempel aufzudrücken, statt umgekehrt. Doch die Gefahr des Abrutschens in die B-Gefilde des Genrekinos, bis zu dem Punkt der generellen Unbesetzbarkeit, an dem einen niemand mehr ernst nimmt (inklusive einem selbst), ist immer noch real. Man muss sich nur ansehen, was mit Mädchenschwarm Orlando Bloom passiert ist. Als Star in zwei sehr erfolgreichen Genre-Franchises, Lord of the Rings und Pirates of the Caribbean, wurde er als Wiedergeburt des Swashbucklers à la Errol Flynn gefeiert, doch nachdem er die gleiche Rolle auch noch in Kingdom of Heaven und Troy gespielt hatte, war der Ofen aus. Dramatische Rollen (Elizabethtown) floppten, stattdessen folgten die deutsch produzierten Drei Musketiere und der öffentlich geäußerte Wunsch zu den Piraten zurückzukehren. Willkommen in der Genrehölle.

Vin Diesel hat einen ähnlichen Werdegang hinter sich. Er begann Mitte der 90er als Autor/Regisseur/Schauspieler-Hyphenate mit anspruchsvollen Erforschungen von Rassenbildern und urbanen Schicksalen. Dann jedoch wurde er als Riddick und mit The Fast and the Furious und xXx zum Actionstar und es war vorbei mit den feinfühligen Rollen, obwohl Diesel die Fortsetzungen der beiden letzteren Filme ausschlug. Der Versuch, in Sidney Lumets Find Me Guilty zu punkten, schlug fehl, andere Rollen schien es nicht zu geben. Also ergab sich der Star (so scheint es zumindest von außen) seinem Schicksal und kehrte ab 2009 zu allen Franchises zurück. Erst zu Fast & Furious, dann zu Riddick und sogar ein neuer xXx-Film ist angekündigt. Irgendwann musste Diesel wohl einsehen, dass es mehr Spaß macht, als Typecasting-Opfer zu arbeiten (und als Produzent zumindest zu einem gewissen Grad sein eigenes Schicksal zu bestimmen), als gar nicht zu arbeiten. (Vielleicht hat er sich auch auf seine Geek-Wurzeln besonnen, seiner Aussage nach hat er auf bessere Drehbücher gewartet.)

Ein anderes Selbstverständnis

Wie unterschiedlich Schauspieler sich allerdings in ihrem Selbstverständnis zum Genrekino gebahren können, macht seit gut zehn Jahren der Neuseeländer Karl Urban vor, der scheinbar nicht nur in Riddick Diesels Gegenspieler ist. Obwohl auch er – wie Diesel und Bloom – vom Theater kommt, scheint er sich als Geekfavorit pudelwohl zu fühlen. Bekanntgeworden mit Rollen in “Xena” und “Hercules”, hat Urban mittlerweile schon in der Haut von drei ikonischen Charakteren gesteckt. Er war Éomer in Lord of the Rings, Judge Dredd in Dredd und natürlich ist er der Nachfolger von DeForest Kelley als “Bones” McCoy in Star Trek. Dazu kommen Filme wie RED und Priest. Auf seine Affinität zu derartigen Filmen angesprochen, sagt er zwar:

I don’t choose films based on genre, I just choose films based on the character and the story and who I’m working with. It just so happens that a lot of the films that I have done are particularly appealing to folks who like genre films! But I’m equally proud of my non-genre work, too.

Doch Urban scheint erkannt zu haben, dass er sich heutzutage auch im Genrekino gut positionieren kann, ohne in die Einseitigkeit abzurutschen. Dass es dort interessante Rollen gibt, die darauf warten, von guten Schauspielern mit Leben erfüllt zu werden.

Wenn der Persona Verwässerung droht

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er äußerlich eher ein Charakterkopf ist, und daher in seinen Rollen weniger den dummen Haudrauf, als vielmehr den Smarten aber Starken geben kann. Selbst in einem B-Film wie Dredd, in dem man sein Gesicht nicht sieht, vermischt er eine massive Körperlichkeit mit dem Kalkül eines modernen, intelligenten Actionhelden. Dass dies für jemanden wie Vin Diesel mit seiner massigen Physis und seiner markanten Stimme viel schwieriger ist, liegt auf der Hand. Auch ist Urban, selbst wenn er in Fankreisen berühmt ist, kein Star. Er kann in Blockbustern in Nebenrollen glänzen und dann in kleineren Filmen die Hauptrolle spielen, ohne das dies nach außen seinen Wert mindert. Diesel hat eine eindeutige Leading Man-Star-Persona, die er verwässern würde, wenn er anfangen würde, sich als Nebendarsteller in Genrefilmen durchzuschlagen.

Ein Patentrezept gibt es also nicht. Doch Urban scheint alles richtig gemacht zu haben. Er ist ein arbeitender Schauspieler, den sowohl Fans als auch Kritiker schätzen, unabhängig vom Genre, in dem er seine Fähigkeiten auslebt. Er ist kein Marquee-Level-Star, aber bekannt genug, um markante Filme für ein interessiertes Publikum zu tragen (auch wenn Dredd leider kein Kassenerfolg war). Er scheint zufrieden damit zu sein. Und wir profitieren.