Wir sind drin! – Virtual Reality durch Oculus Rift & Co.

Katharina ist gerade frisch aus dem Ei geschlüpft. Als sie sich in ihrem Nest umsieht, erblickt sie eine urtümliche Lichtung, umringt von Bäumen, Felsen und großen Farnen. Eine Libelle kommt herangeflogen. Katharina folgt ihr mit dem Blick und zuckt zusammen, als das Insekt einmal direkt gegen ihren Kopf fliegt. Plötzlich ein Grollen in der Ferne. Ein riesiger Tyrannosaurus erscheint auf der Lichtung, nähert sich dem Nest und brüllt ihr ins Gesicht. Jemand ruft Katharina zu: »Du musst den Kopf drehen!« Sie blickt nach links und rechts, doch der Dino hört nicht auf zu brüllen. Dann spürt sie die Finger an ihrem Kopf, die ihr behutsam den richtigen Neigungswinkel weisen. Jetzt plötzlich neigt der Tyrannosaurus ebenfalls den Schädel. Die Dino-Mama hat ihr Kind erkannt und macht sich aus dem Staub. Film zu Ende. Katharina kann das Headset abnehmen und befindet sich wieder in Stuttgart.

Virtual Reality. Spätestens seit den frühen 1990er Jahren und dem Film Der Rasenmähermann sind die beiden Wörter und die Abkürzung VR im populären Bewusstsein sowohl mit der ultimativ-immersiven Computerwelt als auch mit einer gigantischen Enttäuschung verknüpft. Denn die digitale Simulation erreichte eben nie die Mühelosigkeit, die in zahlreichen Science-Fiction-Szenarien versprochen wurde, von David Cronenbergs eXistenZ bis zum Holodeck in “Star Trek: The Next Generation”. Stattdessen blieb lange alles frustrierend klobig – sowohl die unhandlichen Brillen, die man für VR-Erlebnisse aufziehen muss, als auch die Grafik der virtuellen Räume, die es zu entdecken gab.

Dass in diesem Jahr Fachkonferenzen wie die FMX in Stuttgart, auf der auch die Firma Crytek ihr Werk Return to Dinosaur Island ausstellt und Menschen die richtigen Kopfbewegungen weist, ganze Sektionen dem Thema Virtual Reality widmen, dass seit gut zwei Jahren wieder ernsthaft darüber diskutiert wird, ob wir kurz davor stehen, die nächste Stufe der Entertainment-Evolution zu erklimmen, ist zwei weiteren Worten zu verdanken, ohne die der Boom vermutlich nie noch einmal so losgebrochen wäre: Oculus Rift.

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Starlee Kines “Mystery Show” ist ein verdammter Manic Pixie Dream Podcast

© Gimlet Media

“Is that what you do in your free time?”, wird Starlee Kine vom Ticketmaster-Mitarbeiter am Telefon gefragt. “‘I don’t want to work today, I’m gonna go change someone’s life?'” Kine lacht daraufhin, aber vielleicht auch, weil er so recht hat. Denn ihre Mission scheint es wirklich zu sein, ab und zu ein paar Leben zu ändern. In seiner anderen Vermutung hat der freundliche junge Mann am Telefon allerdings unrecht. Starlee Kine macht das nicht in ihrer Freizeit. Es ist ihr Job, als Host ihres neuen Podcasts “Mystery Show”.

Gimlet Media, Alex Blumbergs geplantes Podcast-Imperium, ist nach jeder Menge Anfangsaufregung in einer etwas ruhigeren Phase angekommen. “Startup”, die Show mit der alles begann, hat sich in ihrer zweiten Staffel zwar ein interessantes Unternehmen ausgesucht, dessen Gründungsphase es begleitet – die persönliche Besonderheit von Blumbergs eigener Gründung kann sie aber nicht replizieren. A propos Wörter mit “Repl” am Anfang, “Reply All”, der zweite Gimlet-Launch, ist ein ziemlicher Gemischtwarenladen, der viel ausprobiert und damit nicht immer reüssiert. “Mystery Show”, Podcast Nummer drei, klingt ad hoc auch nicht so furchtbar spannend: Eine Reporterin zieht herum und löst Rätsel, die man nicht mit Hilfe des Internets lösen kann. Haben wir bei uns im Kinderfernsehen, heißt “Willi will’s wissen”. Next.

Dr. Phil

Doch wer das denkt, hat wahrscheinlich noch nie von Starlee Kine gehört. Wie einige Gimlet-Reporter_innen stammt sie aus demselben Stall wie Blumberg, der Planet-Money-This-American-Life-Connection. Für “This American Life” hat sie mal eine Geschichte über Trennungslieder gemacht, in der sie Phil Collins anruft und ihn fragt, wie das eigentlich geht. Sie liest ihm einen Liedtext vor, den sie über ihre eigene Trennung geschrieben hat und lässt sich von Collins Ratschläge geben. “Dr. Phil“, so der Titel des Segments, ist eine der Sternstunden des amerikanischen Public Radio. Der einzige Podcast, für den ich jemals Geld ausgegeben habe, um ihn herunterzuladen. So sehr wurde er mir empfohlen und so sehr hat mich der Pitch neugierig gemacht. (Ladet ihn auch herunter. Jetzt!)

Für “Mystery Show” setzt Kine auf die gleiche absurd-fantastische Mischung aus Naivität, Hartnäckigkeit und Individualität, um persönliche Rätsel zu lösen. In der ersten Folge, die ausgerechnet die bisher schwächste ist, geht sie dem Erlebnis einer Freundin nach, die sich Anfang der 2000er in einer New Yorker Videothek Must Love Dogs auslieh und am nächsten Tag einen dauerhaft geschlossenen Laden vorfand. Mit etwas Herumfragen findet Kine die alten Besitzer der Videothek und erfährt, was passierte. Charmant erzählt, aber immer noch nicht außergewöhnlich, eine solche Spurensuche.

Britney Spears und 9/11

In Folge zwei jedoch möchte eine Autorin gerne wissen, ob ihr schwach verkauftes Buch, mit dem Britney Spears mal auf einem Paparazzi-Foto zu sehen war, von der Sängerin wirklich gelesen wurde. Mystery-Löserin Starlee Kine versucht auf verschiedene Arten, an die inzwischen notorisch öffentlichkeitsscheue Spears heranzukommen – und am Ende gelingt es ihr sogar. In Folge drei findet sie den ursprünglichen Besitzer einer besonderen Gürtelschnalle und in Folge vier die Geschichte hinter dem Nummernschild “ILUV911”.

Doch es ist bezeichnend, dass der Podcast nicht “Mystery Solving Show”, sondern “Mystery Show” heißt. Denn bei Kine ist der Weg das Ziel. Obwohl es spannend ist, die Antworten auf die Fragen zu bekommen, die am Anfang jeder Sendung aufgeworfen werden, kommt die wahre Herzensfreude beim Hören von den kleinen Seitenpfaden, die Kine zwischendurch einschlägt. Nicht nur die Sackgassen auf dem Weg zur Problemlösung, die immer Teil einer Geschichte sind, sondern die scheinbar irrelevanten Nebenstränge auf denen die Erzählerin sich kunstvoll verliert. Wie das Gespräch mit dem Ticketmaster-Mitarbeiter darüber, wie wichtig es ist, sich selbst zu sagen, dass man etwas wert ist. Oder die skurrilen Erinnerungen einer der ersten Notruf-Dispatcherinnen überhaupt in den USA, die sich in ihrer Anfangszeit mal mit einem Mann herumschlagen musste, der seinem Hund beigebracht hatte, ein Auto zu lenken.

Rote Fäden

Kine erwähnt diese Geschichten nicht nebenbei. Sie gibt ihnen Raum, weil sie weiß, dass sie Teil der großen Geschichte unseres Menschseins sind, die sie eigentlich erzählt. Ihre Mysterien sind nur die roten Fäden, die sie durch ein Dickicht von Alltagsbeobachtungen und Einblicken in ihre eigene Gedankenlandschaft zieht. “Mystery Show” ist eine Sendung über alles und nichts, vor allem aber darüber, die kleinen Besonderheiten des Lebens wertzuschätzen. Das Tolle dabei ist, dass Kine diese Rolle eines fröhlichen Kobolds, der einen akustisch durch die Welt führt, ganz natürlich auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Sie wird niemals pathetisch oder künstlich und bleibt immer sie selbst.

Um zu begreifen, was das alles bedeutet, muss man nur die Passage lesen, mit der Kine in Folge 5 die Zeit überbrückt, während sie auf eine neue Spur im Fall “Wie groß ist Jake Gyllenhaal eigentlich wirklich?” wartet.

Seasons passed. Winter came. Planets rotated. Stars died. Innumerable gallons of ice cream were consumed. Countless spoons were bent. Babies learned how to crawl. Teenagers learned how to kiss. Podcasts went from being popular in a niche way to a mainstream way. But still, older people could not figure out how to listen to them on their phones. Heavy televisions were replaced by thin televisions. The outdated models were put out on the street, picked up by couples in love and then, after some time had passed, put back, out on the street.

Wer solche Texte schreibt, der schafft es eben auch tatsächlich, mit Jake Gyllenhaal fünf Minuten später ein persönliches Gespräch auf mehreren Meta-Ebenen gleichzeitig zu führen und am Ende tatsächlich seine Größe zu erfahren. So ändert Starlee Kine Leben. Sie ist so entwaffnend — die Mysterien, die ihr gegenüberstehen, geben einfach irgendwann auf.

“Mystery Show” von Gimlet Media kann man überall hören, wo’s Podcasts gibt. Bisher sind fünf Folgen erschienen, neue kommen im Juli.

Gute und böse Computerbilder: Der Realismus-Mythos von Mad Max: Fury Road

© Warner Bros.

Stuttgart, FMX 2012, eine typische Session. Jeff White, Visual Effects Supervisor bei Industrial Light and Magic (ILM) beschreibt das Arbeiten an The Avengers. Für eine Szene, in der Captain America aus einem Flugzeug springt, zeigt das gefilmte Material ein Flugzeug vor Green Screen. Captain America Chris Evans nimmt Anlauf, springt einen Meter tief und rollt sich ab. Die Kamera folgt ihm und beendet ihre Bewegung auf einer grünen Matte. Im Film fällt Captain America weiter und die Kamera bleibt auf ihm, während er in die endlose Tiefe segelt.

Der Plan war, erklärt Jeff White, Chris Evans an jenem Punkt, wo gefilmte Realität und geplantes Filmbild sich nicht mehr decken, durch ein digitales Double zu ersetzen, eine gescannte Version des Schauspielers, die im Computer animiert werden kann. Doch der Prozess, einen Übergang zwischen Realität und Modell zu schaffen, entpuppte sich als viel zu arbeitsintensiv. “So it was easier to just replace the whole thing”, sagt White. Im fertigen Film agiert nur das Double, anfangs über die Bewegungen Evans’ drüberanimiert und irgendwann autonom gestaltet. Aber Evans selbst ist in der Einstellung nicht mehr zu sehen.

Es ist einfacher, den Rechner anzuwerfen

Ähnliche Geschichten bekommt man in Visual-Effects-Berichten immer wieder erzählt. Bei hanebüchenen Stunts, insbesondere wenn sie im Film von übermenschlichen Wesen wie Superhelden ausgeführt werden, ist es oft einfacher, direkt den Rechner anzuwerfen. Dort werden die Szenen dann entweder aus dutzenden isoliert gedrehten Elementen zusammenkomponiert — Schauspieler, Himmel, Explosionen, Fahrzeuge, Set-Aufnahmen — oder sie werden von null im Computer gebaut und irgendwann herausgerendert.

Das Ergebnis sind Szenen mit ernormem Wow-Faktor und oft sehr wenig Realismus, über die sich Filmfans derzeit mit Vorliebe beschweren. Der Backlash gegen Computer-Generated-Images (CGI) ist in vollem Lauf. Ein unterhaltsamer Artikel auf “Cracked” nennt 6 Reasons Modern Movie CGI Looks Surprisingly Crappy. Gleich der erste Grund lautet sinngemäß “Weil Filmemacher sich visuell nicht zurückhalten können, wird die Schwerkraft regelmäßig ausgehebelt”. Grund 3 nennt das gleiche Argument für Kamerabewegungen. Glaubwürdigkeit und Physik werden auf dem Altar der Awesomeness geopfert. CGI wird zum Standard statt zur Ausnahme. Das Publikum wird für dumm verkauft.

Gegenbeispiel Mad Max

Als Gegenbeispiel feiern Kritiker_innen dieser Tage Mad Max: Fury Road. George Millers Film hat ähnlich viel gekostet wie andere Blockbuster, aber die zweistündige Verfolgungsjagd wirkt anders als das ähnlich intensive Hauen und Stechen bei Avengers: Age of Ultron einen Monat zuvor. “Weil dort alles echt ist”, sagen die Fans, “ein alter Hase wie George Miller weiß eben noch wie es geht – ohne die verdammten Computer.”

Kulturpessimistisch mag das einleuchten, es ist aber leider falsch. Von den 2.400 Einstellungen, aus denen Mad Max: Fury Road besteht, sind fast alle im Computer angefasst worden. Im Fachmagazin “fxguide” erklärt Visual-Effects-Supervisor Andrew Jackson:

“I’ve been joking recently about how the film has been promoted as being a live action stunt driven film – which it is, […] [b]ut also how there’s so little CGI in the film. The reality is that there’s 2000 VFX shots in the film. A very large number of those shots are very simple clean-ups and fixes and wire removals and painting out tire tracks from previous shots, but there are a big number of big VFX shots as well.”

Wenig in Fury Road ist echt. Dieses “Wired”-Video gibt einen guten, schnellen Überblick über die vielen Techniken, die eingesetzt wurden. Ganze Umgebungen wie die Zitadelle am Anfang des Films wurden im Computer gebaut. In einer großen Anzahl der Einstellungen wurde der Himmel ausgetauscht. Charlize Theron wurde digital ein Arm amputiert. Im Sandsturm sind es CGI-Autos, die zerfetzt werden. Und der “Grade”, die Farbgestaltung des Films, ist ebenfalls ein höchst digitales Produkt.

Der entscheidende Unterschied

Die Stunts sind aber echt, und anscheinend ist das der entscheidende Unterschied. War Boys und Pole Cats, Tom Hardy und der Doof Warrior mit seiner feuerspeienden Gitarre waren zwar mit Drahtseilkonstruktionen abgesichert, die hinterher im Computer “rausgemalt” wurden, aber sie haben sich tatsächlich bei hoher Geschwindigkeit in der Wüste bekämpft. Der Kamerawagen fuhr mit bis zu 160 Stundenkilometern mitten zwischen den aufgemotzten Autos hindurch, auf denen Stunt-Chef Guy Norris und sein Team aus Akrobat_innen und Stuntpersonen ihr makabres Ballett aufführten.

Mad Max, obwohl fantastisch und grotesk in seiner Gestaltung, bleibt diesseits des Uncanny Valley, in dem beinahe-echte Sachen irgendwie fake wirken. Die Zuschauer_innen scheinen zu spüren, dass sich hier echte Menschen in Gefahr begeben, auch wenn um sie herum fast nichts so aussieht, wie in der Realität. Sie scheinen unbewusst zu unterscheiden zwischen “bösen” Computerbildern, die Realismus ersetzen, und “guten” Computerbildern, die Realismus erweitern.

Digital erschaffene Bilder im Kino sind nichts Besonderes mehr. Sie sind Teil des Werkzeugkastens aller Filmemacher, egal in welchem Genre. Obwohl über drei Jahre alt, dürfte etwa dieses Virtual Backlot-Video vielen Menschen, die sich nicht regelmäßig mit digitalem Filmemachen beschäftigen, die Tränen in die Augen treiben. Ja, auch in ganz einfachen Fernsehserien ist fast nichts mehr echt.

Nicht jeder ist George Miller

Doch dieses zweite Zeitalter der Computerbilder wird es Regisseur_innen, Kameramenschen und VFX-Supervisors daher auch abverlangen, ein Gespür dafür zu entwickeln, wo die Linie zwischen Akzeptanz und Ablehnung beim Publikum verläuft. Wieviel CGI ist zu viel CGI und wo lohnt es sich, Effekte “in camera” zu drehen (was nicht unbedingt teurer sein muss), um diesseits der Linie zu bleiben?

Gleichzeitig müssen aber auch weiterhin Filme einen Platz finden, die dem Realismus ganz bewusst den Stinkefinger zeigen und den Computer und seine Möglichkeiten nutzen, um die Grenze zwischen Echt und Falsch, zwischen Animation und Realfilm verschwimmen zu lassen. Das Problem vieler aktueller Blockbuster ist – besonders in Superheldenfilmen – dass ihre Plots und Geschichtenwelten so fantastisch sind, dass sie wohl manchmal selbst nicht wissen, ob sie realistisch und awesome oder comichaft und awesome sein wollen. Schließlich ist nicht jeder ein Christopher Nolan oder George Miller, der trotz allen Feuerwerks mit beiden Beinen auf der Erde stehen will. Techniken wie die Splash Pages in Age of Ultron zeigen, dass manche Regisseur_innen mit Absicht eine Annäherung an nicht-realistische Bild-Traditionen suchen. Es scheint nur, als müsste man sich für eine der beiden Optionen entscheiden.

Danke an Sascha für den Hinweis auf den Zach-Braff-Tweet.

Dank Jurassic World gilt das Alte-Garde-Denken jetzt auch für Dinos

Voll mit Spoilern.

Fast jede Kritik, die ich bisher zu Jurassic World gelesen oder gehört habe, kritisiert die Tatsache, dass der Film sich so sehr bemüht, seinem Vermächtnis gerecht zu werden, dass er darüber vergisst, etwas Eigenständiges zu schaffen. So mannigfaltig sind die Verweise auf den Originalfilm von 1993 und die Bemühungen, die eigene Existenz zu rechtfertigen, dass trotz einiger vielversprechender Ideen die Spannung des Films irgendwie auf der Strecke bleibt, was sehr schade ist.

Am erstaunlichsten fand ich dabei den letzten Story Beat des Films, aus dem auch ein Konservatismus spricht, der besonders späten Sequels eingeboren zu sein scheint. Nachdem vier Raptoren und vier Menschen nicht in der Lage sind, den schier unzerstörbaren Indominus Rex zu Fall zu bringen, befreit Claire (Bryce Dallas Howard) den Tyrannosaurus Rex aus seinem Paddock. Der T-Rex folgt ihr, greift den größeren Fleischfresser unerklärlicherweise an und bringt ihn (with a little help from his Mosasaurus friend) schließlich auch zu Fall.

Es kann nur einen geben

Die Lektion scheint zu sein: Indominus Rex, dieses “verbesserte” New Kid on the Dinosaur Block mag zwar genetisch überlegen sein, doch es besitzt eben nicht die Klasse und Grazie der urtümlichen “alten Garde” der Dinos. Es kann nur einen Rex geben, und sein Vorname ist Tyrannosaurus, scheint Jurassic World zu sagen. Das ergibt weder biologisch so recht Sinn – denn natürlich ist dieser Tyrannosaurus nicht der Tyrannosaurus aus dem früheren Film und er besitzt auch nicht die Persönlichkeit eines alternden Actionhelden – (EDIT: In den Kommentaren werde ich darauf hingewiesen, dass er es wohl doch sein soll und sogar “an older Burt Lancaster” sein soll. Aua!) es ist auch irgendwie erzählerischer Mumpitz, denn: Eigentlich negiert der Film damit seine eigene Rechtfertigung. Wenn die alte Garde noch alles richten kann, braucht man eben keine neuen Aufgüsse.

Dennoch ist genau dieses Motiv zentraler Kern der gesamten Nostalgiewelle von Expendables bis Live Free and Die Hard. Der alternde Cop, der noch zu einem letzten Einsatz aufbricht; der Gangster, der noch einen letzten Coup landen will – das ist klassisches Erzählmaterial, aber es wurde noch nie so sehr über Nostalgie in das kapitalistische Gesamtsystem eingespannt wie heute. Die alten Helden machen durch Erfahrung und Klasse wett, was ihre Nachfolger an Aufmüpfigkeit und Technologie auffahren können. Und jetzt gilt das sogar für Dinos.

Aber: Die Innovation

Neu und auffallend immerhin: Der Film beginnt und endet mit Sequenzen ohne Dialog, die als Vignetten nicht direkt in den Rest der Handlung eingebunden sind. Der “Cold Open” von Jurassic World ist die Szene in der Indominus Rex aus dem Ei schlüpft (prominent verwendet in diesem Trailer). Keine der Hauptfiguren ist dabei vor Ort und das Ereignis wird nie wieder erwähnt, es dient nur als Transportmittel einer allgemeinen Stimmung und Bedrohung, wie es sonst vielleicht ein Vorspann machen würde. Nach Abschluss der menschlichen Handlung des Films sieht man dafür den T-Rex noch einmal auf das Helipad stapfen und brüllen, was ebenfalls keinerlei Aussage über den Plot enthält, sondern auch eher eine Art thematisches Bild zu sein scheint, was den Film abrunden soll.

Gab es solche Momente schon einmal an anderer Stelle?

Was macht eigentlich die Cutterin bei Victoria?

Sebastian Schippers Film Victoria ist nicht zuletzt deswegen bekannt, weil er in einem Take gedreht wurde – ohne Schnitt von Anfang bis Ende (und zwar wirklich, nicht nur simulierend wie Birdman). Auf der IMDB-Seite ist allerdings Ko-Autorin Olivia Neergaard-Holm als Cutterin angegeben. Was macht eine Cutterin bei einem One-Take-Film?

Sebastian Schipper hat auf seiner Kinotour – ich habe ihn im Delphi-Kino in Stuttgart gesehen – die Antwort gegeben: Um den Film zu proben und zu erarbeiten, hatte Schipper das gesamte Drehbuch in zehn- bis zwanzigminütige Brocken aufgeteilt, die er jeweils mehrfach hintereinander drehen konnte. Um zu schauen, ob diese Brocken aneinandergefügt als Film funktionieren, musste Schipper sie sich hintereinanderweg anschauen. Und Olivia Neergaard-Holm war in dieser Phase seine Cutterin.

Die im Abspann aufgeführte Second Unit übrigens, die ebenfalls wie ein Scherz der Filmemacher wirkt, hat die Fernsehszene gedreht, die Sonne zwischendurch im Hotelzimmer sieht.

Victoria startet am 11. Juni (heute) in den deutschen Kinos.

Leiden für die Kunst (III)

I want to make a heartfelt apology for whatever it is I end up accidentally saying during the forthcoming ‪#‎JurassicWorld‬ press tour. I hope you understand it was never my intention to offend anyone and I am truly sorry. I swear. I’m the nicest guy in the world. And I fully regret what I (accidentally will have) said in (the upcoming foreign and domestic) interview(s).
I am not in the business of making excuses. I am just dumb. Plain and simple. I try. I REALLY try! When I do (potentially) commit the offensive act for which I am now (pre) apologizing you must understand I (will likely have been) tired and exhausted when I (potentially) said that thing I (will have had) said that (will have had) crossed the line. Those rooms can get stuffy and the hardworking crews putting these junkets together need some entertainment! (Likely) that is who I was trying to crack up when I (will have had) made that tasteless and unprofessional comment. Trust me. I know you can’t say that anymore. In fact in my opinion it was never right to say the thing I definitely don’t want to but probably will have said. To those I (will have) offended please understand how truly sorry I already am. I am fully aware that the subject matter of my imminent forthcoming mistake, a blunder (possibly to be) dubbed “JurassicGate” is (most likely) in no way a laughing matter. To those I (will likely have had) offended rest assured I will do everything in my power to make sure this doesn’t happen (again).
– Chris Pratt on Facebook

(In der Reihe “Leiden für die Kunst” sammle ich amüsante und anstrengende Episoden aus der Filmpromotion. Hinweise gerne an mich)

Bessere Kommunikation beginnt mit besseren Schildern

Das Netz ist voll mit Seiten, in denen voller Häme über die kleinen Fehler der Schilderwelt gespottet wird. Falsch gesetzte Apostrophen an Kiosk’s. Der falsche Gebrauch von Gänsefüßchen zur “Betonung” von Begriffen. Es ist ziemlich einfach, sich auf diese Weise überlegen zu fühlen. Meiner Meinung nach stürzt man sich damit aber auf die Spatzen der Schilderkultur, während die wahren Raubvögel, die uns wertvolle Lebenszeit rauben, davon kommen.

Das obige Schild habe ich vor einigen Monaten am Frankfurter Flughafen fotografiert. Ich war in Eile, deswegen ist das Foto unscharf, aber es ist das perfekte Beispiel dafür, was man alles auf einem Schild falsch machen kann. Es fängt bei der Benutzung von Fachausdrücken (“Lining”, “Bodenhülsen”) an, geht bei der Erfindung von Wörtern weiter (“Treppenbauwerk”, tatsächlich haben wohl die Architekten das Wort erfunden) und endet bei der Formulierung des Satzes in dieser merkwürdigen Verbform, die keiner auf Anhieb benennen kann. Unter meinen gut studierten Freunden, die ich auf Facebook um Rat gefragt habe, reichten die Vorschläge von Infinitiv-Imperativ über Prädikatives Gerundivum bis zu “erweiterter Infinitiv im Präsens Passiv”. Letzteres ist wahrscheinlich am korrektesten, ersteres dafür am passendsten.

Mein Punkt ist: Der erste Satz lautet “Wir bitten um Beachtung”, aber was zur Hölle soll ich hier eigentlich beachten? Die Verbform vermeidet es, mich direkt anzusprechen, und die Begriffe sind so merkwürdig, dass ich eine Weile brauche, um überhaupt zu verstehen worum es geht. Wahrscheinlich richtet sich das Schild gar nicht an mich, sondern an Arbeitskräfte am Flughafen, die gefälligst die Pfosten da lassen sollen, wo sie sind, aber das ist auch nicht daraus ersichtlich. Kurz: Es ist ein richtig schlechtes Schild.

Ein Fall von Nerdview

Der Linguist Geoffrey K. Pullum hat für die Praxis, Hinweise aus Sicht der Fachleute zu schreiben, statt sie so zu verfassen, dass sie den Menschen am anderen Ende der Kommunikation tatsächlich etwas nutzen, den Begriff Nerdview geprägt, den er zwar selbst nicht ideal findet, den ich aber trotzdem verwenden werden. Nerdview war lange Zeit Usus bei vielen Dingen, von Bedienungsanleitungen bis zu Webformularen. Wann immer man es mit staatlicher Bürokratie zu tun hat, ist es nach meiner Erfahrung immer noch normal. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, meine Steuererklärungsformulare auszufüllen ohne ein Programm, das mir erklärt, was die einzelnen Felder bedeuten. Und Nerdview kann subtile Formen annehmen, wie Pullum erklärt. Aber immer führt es zu Missverständnissen.

Doch Nerdview ist nur ein Teil der Erklärung für schlechte Schilder. Genauso wichtig ist nach meiner küchenpsychologischen Meinung die Angst der Menschen davor, von anderen für dumm gehalten zu werden, wenn sie einfach genau sagen, worum es geht. Schilder sind etwas Offizielles mit großem O und daraus entsteht der Trugschluss, dass sie besser sind, je mehr große Wörter benutzt werden und je umständlicher und indirekter sie formuliert sind. Wo kämen wir hin, wenn wir Menschen direkt ansprechen und zugeben würden, dass wir der Absender einer Bitte oder Anweisung sind?

Stattdessen entstehen solche Schilder, wie im Hausflur meines Hauses.

“Die Wartung ist jährlich durchführen zu lassen” – ich kann nicht einmal sagen, ob das grammatikalisch hundert Prozent Sinn ergibt. Und ich weiß nicht, warum meine Vermieterin nicht einfach schreibt “Bitte lassen Sie Ihre Thermen einmal im Jahr warten” oder “Sie müssen Ihre Thermen einmal im Jahr warten lassen”.

Ein letztes Beispiel noch, an dem George Orwell wahrscheinlich seine helle Freude gehabt hätte. Die Post hatte nicht umsonst lange den dazugehörigen Ruf.

Die Nutzererfahrung

Aus meinen Ausführungen spricht die Überzeugung, die man ja nicht teilen muss, dass Sprache Bewusstsein prägt. Also: Wie wir etwas sagen, beeinflusst mindestens langfristig auch, wie wir zu einem Thema denken. Was einer der Gründe ist, warum ich zum Beispiel für das so unbeliebte und oft verlachte Gender Mainstreaming bin. Dieses Fass will ich hier aber heute gar nicht aufmachen.

Vielmehr ist es so, dass man ja heute zum Glück auch durch Daten nachweisen kann, dass manche Formulierungen bei Hinweisen oder Ge- und Verboten einfach besser funktionieren als andere. Ein Schild wie das am Rückgabeschlitz der Post für falsch eingelegte Sendungen im eigenen Postfach würde ein Experte für “User Experience” (UX), wie ihn heute jede App und Webseite konsultiert, schlicht nicht akzeptieren. Und vermutlich hätte er auch die Zahlen dazu.

Welche Unterschiede Formulierungen machen können, hat der Podcast Radiolab vor einiger Zeit in seiner Folge “The Trust Engineers” deutlich gemacht. Leute, die bei Facebook für Wordings (schlimmer neudeutscher Ausdruck, ich weiß) zuständig sind, teilen darin ihre Erkenntnisse über die Art und Weise, wie man jemand bitten kann, ein ungeliebtes Foto zu entfernen, auf dem man selbst zu sehen ist. “Hey Robert, I don’t like this photo, take it down” führt zu sieben Prozent mehr tatsächlicher Fotoentfernung als eine Ansprache ohne Name. Und “Hey Robert, I don’t like this photo, please take it down” funktioniert noch einmal vier Prozent besser. Wer eine halbe Stunde Zeit hat, sollte den Podcast hören, er fängt mit Wordings an und endet an einem deutlich düstereren Ort.

Auch der Sender fühlt sich besser

In meinem Brotjob habe ich im vergangenen Jahr auch viel an Formulierungen in Webformularen und E-Mails gearbeitet. Und auch wenn ich keine A/B-Testdaten habe, kann ich dennoch sagen, dass eine freundliche, persönliche aber direkte Formulierung sich auch vonseiten des Senders besser anfühlt. Im Zweifelsfall sorgt man damit mindestens dafür, dass mehr Personen verstehen, worum es überhaupt geht.

Wir sollten uns das merken für die Schilder, die wir aufhängen. Weg von indirekten Formulierungen, weg von Nerdspeak und weg vom Verstecken hinter wichtig klingenden Wörtern, die den wahren Zweck eines Schildes nur verschleiern. Ich glaube fest daran, dass bessere Schilder einen ersten Schritt in Richtung besserer Kommunikation allgemein bedeuten können.

Und übrigens muss man kein gelernter UXer, Texter oder sonstwie täglich mit Wörtern umgehender Mensch sein, um verständliche, klare Schilder zu gestalten. Dieses Schild zum Beispiel, was ich am Wochenende in unserer Straße fotografiert habe, fand ich fast perfekt. Man hätte noch spezifizieren können, welcher Hundekot genau gemeint ist, nämlich der hier hinterlassene (und das Bild entspricht weder dem Text noch ist es lizensiert) – aber da hätte auch stehen können “Wir bitten um Beachtung! Die Exkremente vierbeiniger User dieses Straßenbauwerks sind zu entfernen und nicht liegenzulassen.” Es geht voran.

Der Weg der zwölf Macbeths: The Scottish Play in/on Film

© See-Saw-Films

To The Lighthouse” ist eins der wenigen Filmblogs, in dem ich auch die Kritiken lese. Das liegt an seiner Autorin, die es für mich wie kaum jemand anderes in der Blogosphäre schafft, sehr klug und wissend über Filme zu schreiben, ohne dabei zu formelhaft oder versnobt zu werden. Außerdem schätze ich die Systematik, mit der sie sich manchmal durch Filmografien guckt und dann darüber schreibt. Als sie sich mal wieder auf Twitter darüber lustig machte, dass sich außer ihr niemand für Macbeth-Verfilmungen interessiert, habe ich ihr widersprochen und sie gebeten, doch die Bilanz ihrer schottischen Odyssee als Gastbeitrag für “Real Virtuality” umzuschreiben – mit einem Ausblick auf die anstehende Verfilmung von Justin Kurzel, die diese Woche in Cannes Premiere feiert. Das Ergebnis ist wunderbar geworden. Ihr solltet auch “To The Lighthouse” lesen.

Ein Gastbeitrag von Lena Leuchtturm

Shakespeare! Fassbender! Cotillard! Drei Namen, die einzeln genommen schon ein Versprechen sind, deren Kombination aber ein perfektes Zusammenspiel künstlerischer Talente und Stärken erwarten lässt und mir daher bereits seit 2013 feuchte Träume beschert – seit ich von der Existenz eines gewissen Filmprojektes erfuhr. Nun endlich, zwei Jahre später, feiert Regisseur Justin Kurzels Version der Königsmörder-Tragödie Macbeth bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere.

Die Wartezeit vertrieb ich mir allerdings sinnvoll – mit einer Rückschau. Denn eine Frage stellte sich mir: Braucht die Welt tatsächlich eine weitere Inszenierung eines Stücks des meistverfilmten Autors überhaupt? Die IMDb listet eine unüberschaubare Anzahl Film- und Fernsehtitel unter dem Stichwort „Macbeth“. 12 davon sah ich mir an (von Regisseuren wie Orson Welles, Akira Kurosawa, Béla Tarr und Roman Polanski) und kann bereits jetzt mit Gewissheit antworten: Aber selbstverständlich braucht sie sie!

Feingefühl für Gewalt

Jede Verfilmung hat ihren eigenen Wert. Macbeth-Inszenierungen sind seit der Stummfilmzeit in jeglicher Qualität und für verschiedenste Zielgruppen verfügbar, von texttreuen Lebendigwerdungen bis zu freihändigen Modernisierungen, und jede einzelne lehrt uns etwas über Shakespeares Stück, über Welt- und Menschenbilder und über filmische Ausdrucksmittel. Ich habe Shakespeare durch die Augen anderer gesehen und gerade Differenzen brachten neue Erkenntnisse. So bewies etwa die aufgrund ihrer Banalisierung von Gewalt ärgerlichste Verfilmung von Geoffrey Wright mit Sam Worthington durch ihr mangelndes Feingefühl eben jenes Feingefühl bei Shakespeare. Denn sein Macbeth ist eher Gewaltstudie als Metzelfilm.

Geoffrey Wrights Macbeth (2006)

Macbeth (ein Titel, der einem Fluch nach nicht in Theatern ausgesprochen werden soll – Auftritt „The Scottish Play“) ist Shakespeares kürzeste Tragödie. Dadurch ist sie eine sehr kompakte, dichte und auf den ersten Blick eindeutige, die von einer hoffnungslosen, deterministischen, von Krieg, Verrat und Ehrgeiz geplagten Welt erzählt, in der Befreiung durch einen abgeschlagenen Kopf erlangt wird. Inspiriert durch die Prophezeiung dreier Hexen und die Überredungskünste seiner Frau, mordet sich der einfache Krieger Macbeth zum König und Tyrannen hoch, was zunächst den Verstand und schließlich das Leben des Ehepaars Macbeth fordert. Dennoch lässt sich die Aussage nicht auf die Formel “Macht korrumpiert” herunterbrechen. Macbeths Vorgänger Duncan schien ein guter König und dessen Sohn Malcolm verspricht es ebenfalls zu werden. Eindeutiger ist: Wer aus unlauteren Gründen zur Herrschaft kommt, der ist kein guter Herrscher. Nicht Macht selbst korrumpiert, sondern die Mittel, die gewählt werden. Der Mensch ist sein eigenes Verderben, weil er niemals zufrieden ist.

Neben dieser Einsicht entdeckte ich durch die Verfilmungen aber auch noch ganz andere Anlagen in der Geschichte. Besonders umgetrieben hat mich immer wieder die Frage nach dem freien Willen, die sogar ein größerer Antrieb der Handlung zu sein scheint als die der Machtgier. Man darf den Stein des Anstoßes nicht vergessen: die Hexen, die Macbeth erst die Flausen in den Kopf setzen. Wie die einzelnen Macbeths mit diesem gepflanzten Gedanken umgehen, ist stets einer der spannendsten Momente der Verfilmungen. Folgen sie nur einem vermeintlichen Schicksal oder wählen sie ihren Weg selbstbestimmt? Die einen stolpern mehr durch ihren vorherbestimmten Weg, angeleitet von ihren Frauen, die anderen entscheiden bewusst selbst, reflektieren, hadern mit den Konsequenzen und nehmen sie dann doch in Kauf. Davon ableiten lassen sich Weltbilder zwischen Determinismus und einem Recht des Stärkeren.

Schauplätze

Es geht um Individuum und Kollektiv. Macbeth bringt durch sein unrechtmäßiges Tun die natürliche Ordnung durcheinander. Bereits die Schauplätze der Filme vermitteln jedoch unabhängig davon das Bild einer Welt, die chaotisch, mitleidlos, gewalttätig ist und Macbeth gleichgültig gegenübersteht. Sie zeigen kalte, klaustrophobische, dunkle Burgen und manchmal zum Staunen schöne, aber unbeteiligte, gar feindselige oder Macbeths Grausamkeit spiegelnde Natur. Die Regisseure setzen dies geschickt in Genre-Anleihen um: Vom Expressionismus durch harte Winkel und lange Schatten bei Orson Welles (1948), Film Noir in Joe MacBeth von Ken Hughes (1955), Mafiafilm im indischen Maqbool von Vishal Bhardwaj (2003), bis zum überstilisierten Actionfilm in Geoffrey Wrights Macbeth (2006).

Orson Welles als Macbeth, 1948

Die Rettung Schottlands durch Malcolm ist dann auch nur bedingt erleichternd, sie wird mit einem abgeschlagenen Kopf bezahlt und mit einer ungewissen Zukunft – oder bei Polanski (1971) mit dem Beginn eines neuen Kreislaufs von Verführung und blindem Ehrgeiz. Manche Macbeths wirken in ihrer Degeneration zwar monströser als andere, sie bestätigen aber meist nur ihr Umfeld und das, was sie gelernt haben (insbesondere die Gangsterbosse in den modernisierten Thrillern), schließlich beginnt die Handlung mit einem Krieg.

Ausdehnung

Unterschiede zeigen sich besonders in der Ausdehnung der gezeigten Welt. Die Überschaubarkeit des Schauplatzes und der Statisten machen die Verfilmungen zu intimen psychologischen Studien (besonders Philip Cassons Abfilmung einer Theaterinszenierung mit Ian McKellen und Judi Dench von 1979), zu taktischen Kriegsdramen (Kurosawas Das Schloss im Spinnwebwald von 1957) oder zu real durchaus möglichen Thrillern (die schwarze Komödie Scotland, Pa. von Billy Morrissette von 2001). Shakespeares kompaktes Stück konzentriert sich auf essenzielle Entscheidungen und Antriebe. Es lässt viel Spielraum zur Interpretation, wodurch es leicht transponierbar und in verschiedene Kontexte einsetzbar ist.

Akira Kurosawas Interpretation von 1957

Die Modernisierungen spielen dennoch meist im Gangstermilieu (oder kurioserweise im kulinarischen Umfeld – in Scotland, Pa. und in der Fernsehproduktion ShakespeaRe-Told: Macbeth von 2005 mit James McAvoy als Koch), wodurch sie Herrschaft mit Gewalt und Unmoral gleichsetzen. Selbst der edle König wird dann zum Verbrecher (zum führenden sogar) und Macbeth selbst vor allem zum ehrlosen Verräter.

Darsteller

Nicht nur die Textumsetzung bestimmt aber die Aussage, sondern vor allem auch das Schauspiel, die Haltung, die Extraversion, die Dynamik der unterschiedlichen Macbeth-Darsteller. Selbst wenn sie teilweise denselben Text sprechen, sind es doch zwölf völlig eigenständige Macbeths: in sich gekehrte, lebensmüde Macbeths (Orson Welles), patente Krieger (Toshirō Mifune), smarte Emporkömmlinge (Jon Finch), intellektuelle Zweifler (Ian McKellen), etwas dümmliche Tollpatsche (James Le Gros), Wahnsinnige (z.B. James McAvoy), Sadisten (Sam Worthington), Tyrannen (Patrick Stewart). Kaum einer genießt seine teuer bezahlte Macht, doch bei den einen ist das Einschreiten des Gewissens nachvollziehbarer als bei anderen.

Das ist ein weiterer entscheidender Unterschied: Die einen tragen den Anstoß zum Verrat in sich, die anderen müssen mühsam überredet werden. Gegeben ist der Wille zur Macht allen, es ist nur eine Frage der Zugänglichkeit. Am Ausmaß der Grausamkeiten ändert das aber wenig. Dennoch ist natürlich auch das Verhalten nach Machtergreifung nicht uninteressant. Bei manchen schlägt sofort die egoistische Paranoia durch, andere werden zum tyrannischen Machiavelli, wieder andere verlieren gar die Lust am Leben.
Und wir bleiben stets bei ihnen, erleben den wackligen Aufstieg und sicheren Fall direkt an der Seite des unlauteren Herrschers mit, die Gier nach mehr, die Paranoia und Selbstvergewisserung, das Verzweifeln an den eigenen Taten und Ängsten. Der Endkampf mit Macduff wirkt dann meist wie ein letztes Aufbäumen des müden Regenten, der Anhänger und Frau längst verloren hat. Einst ein aufrechter Mann, weichen Güte, Verstand und Lebenslust aus ihm, mit jedem Mord ein wenig mehr.

Roman Polanskis Macbeth (1971)

Frauen

Eine besondere Herausforderung für die Filme ist die schwer umzusetzende Ambivalenz der manipulativen, aber sensiblen, selbst beeinflussbaren Lady Macbeth, welche nicht immer vollständig glaubhaft, aber stets doch sehr komplex dargestellt wird. Sie erlebt Macbeths Zustände wie in gesteigerter Form. Ihr Ehrgeiz und ihre Kälte sind größer, später aber dafür auch ihr Leiden an der eigenen Schuld. Die Darstellerinnen sind meist zarte, elegante Wesen oder Femmes fatales, deren Entschlossenheit überrascht und deren Wahnsinn umso herzzerreißender ist.

In manchen Verfilmungen, besonders in Joe MacBeth, erscheint Lady Macbeth als der geeignetere, patentere, durchsetzungsfähigere Herrscher, durch ihr Geschlecht aber von der Rolle ausgeschlossen, in anderen (bei Rupert Goold mit Patrick Stewart) wird sie Opfer von Macbeths zunehmendem Jähzorn. Das schottische Stück ist auch eine Geschichte über die Geschlechter in einer patriarchalen Gesellschaft, in der das Weibliche mit Schwäche gleichgesetzt wird und ausgetrieben werden muss, zugunsten von Ehrgeiz und Rache. Durch diese Kälte und Herzlosigkeit wird aber nur ständig Gewalt mit Gewalt vergolten. Es gibt keine Barmherzigkeit. Lady Macbeth ist also im falschen Körper geboren, vielleicht aber auch nur zur falschen Zeit (wobei die modernen Ladys es auch nicht leichter haben mit ihren Männern) und deswegen in diesem unauflöslichen inneren Zwiespalt gefangen.

Whither should I fly?
I have done no harm. But I remember now
I am in this earthly world, where to do harm
Is often laudable; to do good sometime
Accounted dangerous folly: why then, alas,
Do I put up that womanly defence,
To say I have done no harm?

Shakespeare Re:Told (2005)

Schein und Sein

Nicht zuletzt sind all diese Filme Reflektionen über des Lebens Bühne, über Schauspiel, Schein und Sein Macbeths, über die Macht von Ideen und Vorstellungen, über Wunsch und Wirklichkeit, das Latente und das Manifeste, das besser nur ein Wunsch geblieben wäre. Macbeth hadert mit den Bildern in seinem Kopf, er halluziniert Dolche und seine blutenden Opfer, wird aber stets von seiner Frau angehalten, eine Maske der Unschuld zu tragen – ideale Anliegen für eine Übertragung ins Schattenspiel Film.

Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury

Der Schöpfer, Shakespeare, die Regisseure und Darsteller sind Spieler, Gaukler, die jeweils einen Macbeth festlegen, nur um vom Nächsten revidiert und vorgeführt zu werden. Es gibt keinen endgültigen Macbeth, nicht mal Shakespeares selbst. Und damit auch keine endgültigen Aussagen über Ehrgeiz, Macht und Vorsehung.

Rupert Goold, 2001

So sehe ich selbst nach einem Dutzend Verfilmungen noch die Lücke, in die Justin Kurzel stoßen kann, um sich einen Platz im Macbeth-Kanon zu sichern. Bereits der Debütfilm des Australiers ist eine Studie über Gewalt und Verführung: In Snowtown lockt ein Serienmörder einen misshandelten Teenager in seine Gewaltspirale – von Kurzel mit einem unnachgiebigen, distanzierten Blick eingefangen.

Und wieder Gewalt

Gewalt spielt natürlich in vielen der bisherigen Macbeth-Inszenierungen eine große Rolle, besonders bei Polanski und Wright, aber eher als Kontext und Schauwert und nicht unter dem so sezierenden Blick, den Kurzel mitzubringen scheint. Sein Macbeth könnte die Machtstudie auf Basis von Gewalt werden, die ich bisher noch vermisst habe. Gewalt befördert Macbeth an seinen erstrebten Platz, erst ihre Maßlosigkeit bringt ihn zu Fall. Der neuste Macbeth spielt dem Stück gemäß im Mittelalter, wurde im rauen Schottland und unter Verwendung der Originalverse gedreht und verspricht nicht nur dadurch eine vergleichsweise realistische, wenig zimperliche Herangehensweise an die sinistren Themen. Gerade auch Hauptdarsteller Michael Fassbender, der meist eine latente, konzentrierte, gequälte Aggression ausstrahlt, bringt dazu die nötige mimische Intensität mit, die auch leicht die bedeutungsschweren Verse tragen kann. Marion Cotillard an seiner Seite wird ihn ohne Frage gekonnt verführen und schließlich wunderschön leidend zugrunde gehen.
So oder so wird Justin Kurzels Film dem Prisma Macbeth eine weitere Fläche und damit einen weiteren Blickwinkel hinzufügen, wodurch das Stück und seine Themen noch vielfältiger brechen, reflektieren und strahlen … signifying (almost) everything!

© See-Saw Films

Ambiguitätstoleranzunterricht – Rückblick auf die re:publica 2015

Eine meiner Geschäftsführerinnen hat mir im Gespräch mal vom “Problem des zweiten Kirchentags” erzählt. Wenn man diesen Wahnwitz, ein Event für 100.000 Menschen mit 2.500 Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, zum ersten Mal macht, ist man in der Vorbereitung irgendwann völlig überfordert. Meist muss man von erfahreneren Kollegen immer wieder daran erinnert werden, dass schon alles gut gehen wird. Was es dann auch tut. Wenn man sich entscheidet, das Ganze ein zweites Mal zu machen, ist man dann allerdings davon überzeugt, dass man jetzt verstanden hat, wie alles funktioniert. Das kann gefährlich sein, denn natürlich ist jeder Kirchentag anders. Andere Stadt, andere Kollegen, andere Zeiten.

Mittendrin im wahrscheinlich größten beruflichen Stress, in dem ich je gesteckt habe – nämlich vier Wochen vor meinem zweiten Kirchentag, setze ich mich in einen Zug und fahre nach Berlin. Dort findet zum neunten Mal der “Kirchentag der Netzgemeinde” statt und obwohl ich letztes Jahr schon einmal dort war, versuche ich auch hier, mich innerlich darauf einzustellen, dass vieles anders sein wird.

Ich mache mir sehr viel Gedanken darüber, wie andere Leute mich wahrnehmen, auch wenn ich weiß, dass ich das nicht sollte. Letztes Jahr war ich nur interessierter Beobachter. Dieses Jahr bin ich selbst Speaker, sogar doppelt. Und auch wenn ich einmal nur zehn Minuten über ein Thema spreche, dessen ich mir ziemlich sicher bin und einmal als Teil eines großartigen Teams auf der Bühne stehe, bin ich deswegen ziemlich aufgeregt. Ich möchte einfach, dass meine Auftritte Erfolge sind.

Damit meine ich nicht nur Bühnenauftritte. 2014 hatte ich nur mit sehr wenigen Menschen diese Situation, die ein bisschen an ein erstes Date erinnert. Man kennt sich aus dem Internet, hat schon miteinander getwittert oder gechattet, aber sich noch nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Dieses Jahr stand mir das mit der kompletten Chatbesetzung des Techniktagebuchs bevor. Menschen, mit denen ich im letzten halben Jahr in einigen Dingen eine gewissee Vertrautheit aufgebaut hatte, die mich aber nur in schriftlicher Form kennen.

Ich glaube, dass es gerade im Internet normal ist, dass Menschen zu anderen Menschen eine stärkere Bindung aufbauen als umgekehrt. Mit anderen Worten: Oft ist einer von beiden erst Fan und so etwas ähnliches wie Freundschaft auf Augenhöhe entsteht erst später. Zum Glück schweben Menschen, die internetberühmt sind, meist nicht in dieser Celebrity-Blase umher, die Stars häufig vergessen lässt, wie das “normale” Leben funktioniert und so dauert es meistens nicht lange, bis das Star-Fan-Verhältnis sich nivelliert hat.

Ich fahre aber trotzdem im vollen Bewusstsein zur re:publica, dass ich Fan einiger Menschen bin, die ich dort mit Sicherheit persönlich treffen werde. Andererseits werde ich dann wiederum vor diesen Menschen auf der Bühne stehen. Ich hoffe also gleichzeitig, dass diese Menschen im persönlichen Kontakt meine Hoffnungen erfüllen und dass ich auf sie so wirke, wie ich mir das wünsche. Gleichzeitig weiß ich, dass es extrem behämmert ist, mir über sowas Sorgen zu machen. Ich tue es aber trotzdem. Sehr verwirrend, das Ganze.

Zum Glück wird natürlich alles viel entspannter als befürchtet. Mit den meisten Techniktagebuch-Menschen treffe ich mich bereits am Sonntagabend abseits der re:publica. Das baut schon mal Hemmungen ab und natürlich sind alle diese Menschen, auf die man im Internet manchmal Dinge projiziert, ganz anders, als man sie sich projiziert hat. Meistens netter.

Und genauso wie mein Telefon das W-LAN in der Station sofort wiedererkennt, erkenne ich auch die re:publica sofort wieder. Die verändert sich eben nicht so stark wie ein Kirchentag und mein Dienstag ist deswegen auch ein rundum guter Tag. Die Keynote von Ethan Zuckerman bietet eine gute Problemanalyse aber sehr schwache Lösungsvorschläge. Ralf Stockmann und Claudia Krell fassen super zusammen, wie auch ich mir die Zukunft des Podcastings wünsche. Maschek und Anne Schüßler bringen mich ordentlich zum Lachen. Ich führe anregende Gespräche, trinke Bier und habe einen schönen Abend.

Der Mittwoch ist dagegen ein Wirbelwind, aber natürlich geht auch hier nichts schief – warum sollte es auch? Ich leide etwas unter Müdigkeit, aber der Talk läuft gut und erntet einige nette Reaktionen, persönlich und auf Twitter. Dass sogar meine Eltern live dabei sind, rührt mich sehr. Danach bin ich so erschöpft, dass ich mir keine weiteren Vorträge wirklich anhören kann, selbst mit Astronauten nicht, aber abends bin ich zur absolut großartigen Techniktagebuch-Session “Wir hatten ja nix! Und das haben wir mitgebracht” wieder einigermaßen fit. Danach noch ein Abschiedsbier und das war’s. Am Donnerstagmorgen sitze ich wieder im Zug.

Und trotzdem. Während ich im ICE Kirchentags-E-Mails beantworte, merke ich, wie schwer es mir fällt, aus der Parallelwelt aufzutauchen, in der ich in den letzten Tagen gesteckt habe. In der man mit Menschen irgendwie anders umgeht, weil man glaubt, sie schon zu kennen. In der vielleicht sogar ich den einen oder anderen Fan habe, von dem ich nichts weiß und auch gar nichts wissen möchte, aber in der man doch spürt, dass man auf eine andere Art und Weise wahrgenommen und wertgeschätzt wird als im Alltag.

Es ist extrem passend, dass Felix Schwenzels Vortrag, den ich leider live verpasst und erst heute morgen nachgeholt habe, davon handelt, dass Realität und Virtualität beides Produkte unseres Bewusstseins und unserer Wahrnehmung sind. Am Ende sagt er, dass wir “Ambiguitätstoleranz” entwickeln müssen, um damit umzugehen, dass nicht immer alles in das Bild passt, was wir uns zurechtgelegt haben. Dass wir Widersprüche – auch zwischen fleischlicher und virtueller Existenz – nicht nur aushalten sondern umarmen müssen.

Dafür ist die re:publica die perfekte Trainingseinheit.

Wie ich ganz alleine die deutsche Filmblogosphäre erschuf (Update: Mit Video)

Handyfoto: Christian Steiner, Second Unit

Den Folgenden “Lightning Talk” habe ich heute auf der re:publica-Konferenz im Rahmen der Media Convention gehalten. Nachhören kann man ihn bereits auf voicerepublic.com (ab Minute 11:30) ungefähr. Video folgt wahrscheinlich/hoffentlich bald gibt es auf YouTube. Gesprochen habe ich manche Sachen ein kleines bisschen anders ausgedrückt. Für die Folien suche ich mir noch einen Weg, sie zur Verfügung zu stellen. Überhaupt werde ich diesen Post in den nächsten Tagen noch “hübsch” machen.

Hallo. Als ich letztes Jahr hier war, hat mir mein Kollege Jannis Kucharz vom „Netzfeuilleton“ gesagt, die Essenz eines guten re:publica-Vortrags sei „Overpromise and Underdeliver“. Am Titel meines Talks könnt ihr sehen: Ich habe mir mindestens mal den ersten Teil zu Herzen genommen. Was den Rest angeht – das dürft ihr dann gleich beurteilen.

Die re:publica ist daran schuld, dass ich heute hier bin. Nicht nur, weil sie mich eingeladen haben, hier zu sprechen. Sondern weil ich in den letzten Jahren immer neidisch drauf geguckt habe. Auch auf die Menschen, die sich hier treffen. Die Netzgemeinde. Die Blogosphäre. Oder wie immer man das nennen will.

Von der re:publica ging immer so ein Gefühl von Gemeinschaft aus, das ich an meinem Ende des Internets nie so richtig gespürt habe. Ich habe in meinem Blog „Real Virtuality“ über Film gebloggt und ich wusste, dass es andere Menschen gibt, die auch über Film bloggen. Aber ich kannte diese Menschen nicht. Und ich fühlte mich nicht als Teil einer Gemeinschaft.

Wenn ich in die USA geschaut habe, hab ich gesehen, wie sich dort die Filmbloggerinnen und Blogger – die natürlich auch allesamt Nerds sind – alle gegenseitig zu kennen schienen. Sie machten Podcasts miteinander. Sie treffen sich auf Festivals. Sie sind sogar Teil einer „Online Film Critics Society“.

Und auch in Deutschland, zum Beispiel bei den Foodbloggerinnen, bei den Elternbloggern oder bei den Medienbloggerinnen, hatte ich immer das Gefühl, dass diese Menschen jeder für sich arbeiten, aber auch Teil einer Gemeinschaft sind. Und zwar einer Gemeinschaft, die sehr netzkulturspezifisch ist – durchaus auch in Abgrenzung von den Printschreibern, worüber ich jetzt hier gar nicht urteilen will.

Ich habe nicht nur Filmwissenschaft, sondern auch Publizistik studiert, also war mir klar, dass ich mich dem ganzen nur über eine Art Studie nähern kann. Ich hab deswegen vor zweieinhalb Jahren zehn Filmblogger interviewt und nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl gefragt. Das ganze habe ich dann in einem Artikel zusammengefasst, der als erste These hatte: Es gibt keine deutsche Filmblogosphäre.

Die Resonanz hat mich völlig überrollt. Am erstaunlichsten fand ich, dass die meisten mir zustimmten. Ich hatte unter anderem behauptet, dass es keine Leitmedien gibt, die von allen gelesen werden. Und dass es keine guten Aggregatoren gibt, mit denen man aufeinander aufmerksam gemacht werden kann. So bleibt jeder in einer sehr kleinen Blase gefangen. Wir interessieren uns nicht genug füreinander. Was auch bedeutet: Es interessiert sich auch sonst keiner für uns.

Unter anderem kam in der Diskussion auch auf, dass Deutschland einfach kein Filmland sei. Ich hatte das etwas anders ausgedrückt, und meine Vermutungen haben sich seitdem eigentlich nur bestätigt. Ich glaube, dass es unter den Menschen, die über Film bloggen, ein paar Grenzlinien gibt, die sie voneinander trennen. Es gibt nämlich manche, die Film sehr ernst nehmen. Die Film eher als Kunst wahrnehmen, die man auch so behandeln sollte. Und die deswegen auch eher abseits vom Mainstream ihr Futter suchen und den Mainstream auch so ein bisschen verachten. Und dann gibt es viele, die Film eher als Unterhaltung sehen. Die gerade den Mainstream feiern und bevorzugt bei großen Blockbustern ihren inneren Geek loslassen. Und denen die erste Gruppe ziemlich versnobt vorkommt.

Auf der anderen Seite gibt es jene, die das Bloggen nur zum Spaß betreiben, weil sie ein Ventil für ihre Gedanken gefunden haben. Und es gibt jene, die mit Film auch irgendwie ihr Geld verdienen und einen entsprechenden Professionalitätsgrad haben. Diese Profi-Amateur-Linie gibt es, glaube ich, nicht nur bei Filmblogs.

Gemeinsam führen die beiden Linien zu einem Koordinatensystem. Und in diesem Koordinatensystem kann man eigentlich jedes Filmblog in Deutschland ganz gut verorten.

Das hier sind nur die Blogs, die ich regelmäßig lese – woran man gut sieht, wo meine Interessen tendenziell liegen. Aber das alles bedeutet auch, dass Film – anders vielleicht als Essen oder Autos oder Social Media – selbst von Menschen, die sich damit befassen, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Einmal bitte Hand heben, wer in seinem Teil der Blogosphäre so ähnliche Linien wahrnimmt.

Foto: Thomas Wiegold, Augengeradeaus, CC-BY-NC 2.0

Jedenfalls: Nachdem ich alle Rückmeldungen gelesen hatte, fiel mir einer meiner Lieblingsaufsätze wieder ein, von dem bestimmt viele hier schon mal gehört haben. „The Strength of Weak Ties“ von Mark Granovetter, in dem im Grunde erklärt wird, warum lose Verbindungen zwischen Menschen für das Entstehen von Netzwerken so wichtig sind. Diese Weak Ties bilden nämlich die Brücke zwischen verschiedenen kleinen Gruppen mit Strong Ties und sorgen dadurch dafür, dass Informationen von außen leichter hineinfließen können.

Und plötzlich wurde mir klar, dass ich jetzt all diese Weak Ties besaß, weil fast jeder und jede meinen Artikel gelesen hatte. Es meldeten sich Menschen bei mir aus Filmblog-Ecken, die ich trotz meiner vorherigen Suche noch gar nicht wahrgenommen hatte.

Einzelne Bloggerinnen und Blogger fingen an, aktiv Orte zu schaffen, an denen sich Über-Film-im-Netz-Schreibende treffen konnten. Und weil persönliche Kontakte Zusammenhalt immer noch mal besser zementieren als Facebook-Gruppen – siehe re:publica – gab es auf der Berlinale 2013 auch das erste Filmblog-Treffen.

Immer wieder bekomme ich auch Rückmeldungen von Leuten die sagen:
„Bäh, Blogosphäre, brauche ich alles nicht.“
„Ich will nicht Teil einer Bewegung sein.“
„Wollt ihr mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“
„Leitmedium? Das klingt irgendwie nach Leitkultur.“
Und dann denke ich immer: Menno – ich will euch doch gar nichts vorschreiben, ich will doch nur, dass eure guten Texte gelesen werden. Aber ich habe auch einige Male ernsthaft daran gezweifelt, ob ich überhaupt das richtige will. Ob meine Vorstellung von Gemeinschaft vielleicht doch etwas zu sehr zu Gleichmacherei führen könnte.

Das geile ist aber, dass es gar nicht mehr an meinen Vorstellungen hängt. Das ganze Projekt hat längst eine Eigendynamik bekommen. Filmblogtreffen werden jetzt auch organisiert, ohne dass ich dabei bin, wie hier unten rechts auf dem Filmfest in München.

Eine Gruppe von Filmbloggern hier aus Berlin hat Themenmonate wie den #Horrorctober ausgerufen, denen sich inzwischen auch ganz viele Leute anschließen. Bei denen sie sogar von größeren Websites wie der VOD-Community MUBI unterstützt werden. Es springen zum Teil neue Aggregatoren aus dem Boden und alte werden neu wahrgenommen.

Trotzdem braucht die Filmblogosphäre weiter Pflege. Es braucht Zeit, bis die Linien nicht mehr als Grenzen verstanden werden, sondern als Achsen dieses Koordinatensystems, in dem wir uns alle bewegen. Ich bemühe mich deswegen, meine Weak Ties weiter zu knüpfen. Ich stelle in meinem Blog regelmäßig andere Ecken der Filmblogosphäre vor. Und an Orten wie hier werbe ich für uns Filmbloggerinnen. In der Hoffnung, dass ihr uns wahrnehmt. Und in der Hoffnung, dass wir uns öfter zusammentun, um mehr Einfluss zu haben.

Für mich hat in alledem aber eine wichtige Erfahrung gesteckt. Wer Gemeinschaft will, darf nicht darauf warten, dass sie von selbst entsteht. Wir müssen selbst diejenigen sein, die in der Blogosphäre, dier Netzgemeinde, wie immer man uns nennen will, die einzelnen Blasen zusammenfügen. Je größer wir unsere Blasen machen, desto besser. Und falls sich einer oder zwei, drei von euch mal in eurer Ecke des Netzes irgendwie isoliert fühlen, kann ich euch auch nur raten, eure eigene Blogosphäre zu schaffen. Für mich war es das beste, was ich bisher gemacht habe.

Und weil ich‘s versprochen habe. Als Finaler Twist hier meine Meinung zu Spoilern. Ja, man kann. Aber man muss nicht, wenn man seine Mitmenschen gern hat.

Ich bitte darum, die Position der einzelnen Blogs im Diagramm nicht überzubewerten. Danke.

Nachtrag, 8.5., 14.30: Mein T-Shirt stammt aus dem Merch-Store der Band 65daysofstatic, die zum Filmklassiker Silent Running vor drei Jahren einen neuen Soundtrack geschrieben haben (daher die Drohne aus dem Film mit der Zahl 65). Ich habe Keyboarder Paul Wolinski zu seiner Beziehung zur Science Ficion letzten Herbst interviewt.