Kritiker bei der Arbeit

Ich mag es ja, wenn Filmkritiker zwischendurch in ihren Artikeln mal von ihrer Arbeit berichten, weil es meine beiden Hauptinteressenfelder, Film und Medien, so schön zusammenführt. Ich fand schon Peter Bradshaws Artikel über kreative Zwischenrufe sehr amüsant. Und diese Woche ließ sich “Guardian”-Kritiker Jason Solomons in meinem Pflichthörprogramm Film Weekly ebenfalls zu einem kleinen Exkurs hinreißen. Es ging um die kritische Rezeption von Jacques Audiards Film Un Prophète. Jason erzählt (bei 19:15 im Podcast):

I was sitting in Brothers this week, the press screening of Brothers. Mark Lawson, “Front Row”, was, in fact, behind me in the back row, and Chris Tookey the critic of the “Mail” wandered in and went: “Oh, I see…” And then he said to Henry Fitzherbert of the “Daily Express” and Cosmo Landesman of the “Sunday Times”: “Well, it’s only us three, who don’t like A Prophet, then.” Henry said: “Yes, it’s a bit overrated…” And Chris said: “Yeah, it just doesn’t make any sense.The screenplay makes no sense.” And I just put down my notes and said: “Chris, what are you on about? In what way does the screenplay of this not make any sense?” “Well, you never knew why he was doing, what he was doing…” “It’s perfectly clear. I’ve seen the film three times and I knew from the off that he’s doing it for…” such and such reasons, don’t want to spoil it for the listeners. I nearly stabbed the man with my biro!

Seit ich meinen day job bei epd medien begonnen habe, war ich leider nicht mehr auf vielen Pressevorführungen (und um ehrlich zu sein auch davor nicht so wahnsinnig oft, denn Kritiker bin ich ja eher in zweiter Linie), aber man konnte auch hier schon immer erkennen, dass ein Teil der Anwesenden ein ziemlich eingeschworener Club ist, dessen Mitglieder sich kannten und vermutlich auch teilweise gegenseitig lasen (die Pressereferenten der Verleiher gehörten natürlich auch zu diesem Club).

Nach den Vorstellungen unterhielten sich die Clubmitglieder gerne mal über ihre Eindrücke vom Film, aber jeder war immer vorsichtig, nicht zu viel zu erzählen, um den anderen keine zu guten Ideen zu geben. Ich fand es immer faszinierend, zuzusehen, was für eine inzestuöse Branche die große demokratische Welt der Medien dann im Endeffekt doch ist – das muss wohl doch in allen Branchen so sein, wo man eben gleichzeitig Konkurrent und Kollege sein kann. Und Medienjournalisten sind natürlich noch viel schlimmer. Wer ein Jahr lang den Tagungs-Circuit mitgemacht hat, trifft eigentlich kaum noch neue Gesichter.

Amüsant können solche Geschichten aus dem Hinterzimmer natürlich trotzdem sein, weil sie jene ungekannte, mondäne Seite eines Berufs zeigen, der darin besteht, der Welt eine wohlgeformte Version der eigenen Erfahrungen zu präsentieren

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Kino Global

Als Lord of the Rings: The Return of the KIng bei der Oscarverleihung 2004 (für 2003) seinen etwa achten Oscar bekam, von 11, die es noch werden sollten, witzelte Moderator Billy Crystal: “I don’t think, there’s anyone in New Zealand left to thank.” Damit sprach er ein wahres Wort gelassen aus. Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie war der erste “Heavy Hitter” einer Dekade, in der das, was weltweit als “Hollywood-Kino” wahrgenommen wird – nämlich das, was bei US-Awardzeremonien gerne belobigt wird – zunehmend gar nicht mehr nur aus Hollywood stammte.

Denn die Trilogie entstand zwar mit amerikanischem Geld, ansonsten wurde sie aber vollständig in Neuseeland produziert und gefertigt, über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg, der aus dem kleinen Land am Ende der Welt plötzlich eine neue Filmnation machte. Nicht nur die Trickspezialisten vom Weta Workshop und Weta Digital durften sich in den kommenden Jahren nicht über zu wenig Arbeit beklagen – am Ende der Dekade drehte auch “König der Welt” James Cameron den Film, der auf dem Weg ist, seinen eigenen Titanic-Rekord einzustellen, Avatar, in den Wellingtoner Studios.

Doch Neuseeland war nicht die einzige Nation, der es in den Noughties gelang, den USA als Weltfilmland einen Teil ihres Wassers abzugraben. Auch wenn die amerikanische Dominanz im Weltkino immer noch ungebrochen ist: Auch die Filmwelt erlebte im 3. Jahrtausend, dem Zeitalter der G20-Gipfel, eine Globalisierung wie nie zuvor.

Die Gründe sind diverser Natur. Da ist zum einen, wie immer, die digitale Technologie, die durch die Möglichkeit, große Datenmengen problemlos auch von Kontinent zu Kontinent zu transportieren, ein neues globales Zusammenwirken möglich macht und es Peter Jackson (ich bleibe leider doch immer wieder an ihm hängen) beispielsweise erlaubte, in den Abbey Road Studios in London die Musik für seine Trilogie aufzunehmen und täglich per Videokonferenz in Neuseeland weiterhin Hand an Schnitt und Effektshots zu legen.

Zweiter Faktor ist der Boom, den die sogenannten Schwellenstaaten auch im Kino hinterlassen haben. Dass nicht Hollywood, sondern Bollywood, also Indien, die größte Filmnation der Welt ist, ist mittlerweile zur Binsensweisheit geworden, der Einfluss darf aber nicht unterschätzt werden. Aus Teilen der Welt, die bisher nur wenig auf dem Radar des internationalen Kinos waren, gingen in den Noughties wichtige Impulse auch für das westliche Mainstream-Kino aus. Am besten sah man das 2006, als drei mexikanische Regisseure, Alfonso Cuaron, Guillermo del Toro und Alexander Gonzalez Inarritu, Oscars und co mit drei herausragenden Filmen (Children of Men, Pans Labyrinth und Babel) Hollywood im Sturm eroberten.

Babel vor allem, mit seiner Verhandlung von globalem Verständnis und Unverständnis, zeigt die neue Weltläufigkeit des Mainstreamkinos sehr gut. Der Golden Globe-Gewinner ist zu zwei Dritteln untertitelt – eigentlich in den USA kaum vorstellbar. 2009 gelang dem britischen Regisseur Danny Boyle mit Slumdog Millionaire etwas ähnliches: Ein Film, der in Indien spielt und viel (zumindest von der populären Variante des Landes) aufgesogen hat, und ebenfalls viele Untertitel einsetzt, wurde der erfolgreichste Film der Awards Season.

Der dritte Impuls schließlich stammt, wie in Neuseeland, von Staaten überall auf der Welt, die ihr bestes tun, um Hollywoodfilme aus Hollywood abzuziehen. Wie eine fortlaufende Studie des Center for Entertainment Industry Data and Research (CEIDR) zeigt, werden seit den neunziger Jahren immer mehr und immer größere Teile der amerikanischen Filmproduktion ins Ausland verlagert.

Über 45.000 Jobs und rund 23 Milliarden Dollar an Einnahmen pro Jahr soll der Trend zur sogenannten Runaway Production die US-Wirtschaft seit dem Jahr 2000 schon gekostet haben. Zwar sind die Gesamtausgaben für Kinoproduktionen von 1998 bis 2005 von jährlich 5,5 Millarden um rund dreißig Prozent auf 7,2 Millarden Dollar gestiegen. In der gleichen Zeit jedoch erlebte die Summe der in den Vereinigten Staaten ausgegebenen Budgets einen Einbruch von 14 Prozent. Wurden 1998 noch 29 Prozent aller Filme außerhalb Hollywoods produziert, waren es 2005 schon 53 Prozent.

Quentin Tarantino beispielsweise, dem Weltkino ohnehin sehr verpflichtet, setzte schon bei Kill Bill auf Drehs in China, Inglourious Basterds entstand dann sogar fast vollständig in Deutschland und ist mit seinen langen Passagen in deutsch, italienisch und französisch ebenfalls ein gutes Beispiel für das neue globale Kino.

Will man einmal nicht so sehr von den USA ausgehen, braucht man sich nur Deutschland anzusehen, um einen Blick darauf zu erhaschen, wie viele nationale Kinos in den Noughties ihr “Wir sind wieder wer”-Erlebnis hatten. Der Anteil deutscher Filme am gesamten Verleihumsatz lag stetig um die 20 Prozent, in Erfolgsjahren deutlich mehr, die Anzahl der produzierten Filme stieg deutlich (mehr Statistiken sind leider nicht online). Auch in Europa ist kaum mehr ein Film wirklich ein rein nationales Projekt: Dank der EU und ihrer mannigfaltigen Förderprogramme überschreiten auch hier immer mehr Filme die Ländergrenzen und werden im großen Stil international produziert.

Wie bereits weiter oben erwähnt: Das heißt alles nicht, dass die kulturelle Dominanz der USA auf dem Weltkinomarkt plötzlich nicht mehr vorhanden wäre und sicherlich sind einige der oben geschilderten Eindrücke auch wirklich eher Befindlichkeiten (man muss sich nur den Inhalt von neueren Blockbustern wie Avatar und Transformers 2 ansehen, um zu merken, dass nicht-westliche Länder ideologisch noch immer eher belächelt werden), aber allein als wirtschaftlicher Faktor ist die Globalität von Hollywood längst ein Fakt, der sich sicherlich in den Teens auch noch ausweiten wird.

Anmerkung: Ich habe im Februar 2008 für epd film über die Globalisierung der Produktion geschrieben. Die anderen Faktoren kann man auch anders sehen. Für Kommentare bin ich wie immer dankbar.

Dieser Beitrag ist Teil 14 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

“Guten Morgen, Haiti”

Bei Frederic Dupoux verwandelte sich Twitter innerhalb einer Stunde von einem Spielzeug des sozialen Webs in einen Nachrichtenkanal. Noch um zehn vor vier Uhr Ortszeit alberte er mit Freunden herum, mit denen er über das Mikroblogging-Netzwerk verbunden war. Doch dann, um kurz vor fünf am 12. Januar, drei Minuten nach Beginn des Erdbebens, schrieb er plötzlich: “Oh, Mist. Schweres Erdbeben gerade! In Haiti!” Eine halbe Stunde später: “Der Mist bebt immer noch! Großes Erdbeben in Haiti!”

Weiterlesen

Unheimliches Potenzial

Wenn man immer über die 3,4 Milliarden Euro redet, tut man so, als sei der ideale Schuldenstand null”, hat ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling in einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” im September gesagt. Es braucht schon eine gehörige Manager-Denke, um solch einen Satz aussprechen zu können. Nur wer es gewohnt ist, seine Geschäfte auf Pump (womöglich im Milliardenbereich) zu betreiben, kann davon ausgehen, dass es normal ist, im Minus zu leben. Sehr große Konzerne also. Oder Staaten.

Dass der ideale Schuldenstand nicht null ist, hat sich diese Woche auch bei Sat.1-Geschäftstführer Guido Bolten gezeigt. Dessen Schuldenstand, wenn man das so nennen kann, ist nämlich null: Der Marktanteil von Sat.1 bei der werberelevanten Zielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren lag 2009 im Schnitt bei 10,8 Prozent – genauso hoch wie vor einem Jahr, als Bolten das Ruder übernahm. Die offizielle Sprachregelung nach Pressemitteilung dafür lautet “stabil”. Das kann nicht genügen, dachte sich Bolten wohl, und nahm seinen Hut.

Weiterlesen…

Worte zum Wochenende

Ungefähr die Hälfte aller WDR2-Songs klingt so ähnlich, dass man sich beim Zählen ständig vertut: Eine junge Frau singt ein bisschen soulig über einen Typen, der sie schlecht behandelt, den sie aber trotzdem liebt. Sie bleibt eine tapfere, eigenständige Frau, während im Hintergrund das von den 1960er-Jahren inspirierte Arrangement mit Bläsern und Chören schunkelt. Mark Ronson hat das Tor zur Hölle aufgestoßen, als er Amy Winehouse und Lily Allen produzierte.

Lukas Heinser , Coffee and TV
// Ich, WDR 2

Moment mal, zwischen Troisdorf und Brandherden wie Karystos liegen laut Distance Calculator 1970,9 Kilometer – und das ist so rund ein halber Kontinent? Solche Argumente ziehen nicht, wenn Sie deutscher Journalist sind.

Thomas Knüwer , Indiskretion Ehrensache
// In einem Land weitab von deutschen Redaktionen

My hope is that NBC and I can resolve this quickly so that my staff, crew, and I can do a show we can be proud of, for a company that values our work.
Have a great day and, for the record, I am truly sorry about my hair; it’s always been that way.

Conan O Brien , The Tonight Show
// Conan O’Brien Says He Won’t Host ‘Tonight Show’ After Leno

Es ist eine Sauerei, unsere Musik niederzumachen! Sie wissen weder was von unserer Geschichte, noch von unseren Fans. Sie haben überhaupt kein Vorwissen und schreiben trotzdem brutal negativ!

Bernd Ulrich, Amigos , im Interview mit der Frankfurter Rundschau
// “Sauerei, unsere Musik niederzumachen”

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Die Renaissance des Animationsfilms

Der digitale Animationsfilm konnte in den Noughties so richtig zeigen, was er drauf hat. Der daraus entstehende Boom dieser Art Film nach dem Rezept, das Pixar in den Neunzigern entwickelt hatte, übertrug sich dann bis zum Ende der Dekade schließlich auch auf die anderen Spielarten der Animation, so dass 2009 nach Meinung einiger sogar das beste Jahr aller Zeiten für Animationsfilme wurde.

Diese letzte Behauptung kann man gut und gerne als überhöht vom Tisch wischen, aber fest steht, dass in den Jahren 2000 bis 2009 vermutlich so viele qualitativ hochwertige und weltweit Eindruck schindende animierte Langfilme entstanden wie seit den Vierzigern nicht mehr. Die Oscar-Academy würdigte diesen aufkommenden Trend bereits 2001, als sie einen neuen Award für “Best Animated Feature Film” auslobte.

Zu diesem Zeitpunkt (Shrek gewann den ersten Award gegen Monsters Inc.) war das Feld der animierten Filme noch relativ übersichtlich. Es gab Disney, den Disney-Kooperationspartner Pixar und DreamWorks PDI, die bereits seit Mitte der Neunziger Jahre versucht hatten, beiden Firmen auf ihrem Home Turf Konkurrenz zu machen. Im Konkurrenzkampf mit Pixar ging das sogar so weit, dass beide Firmen irgendwann immer scheinbar direkt vergleichbare Filme über Insekten (Antz/A Bug’s Life), Monster (Shrek/Monster’s Inc.), Fische (Finding Nemo/Shark Tale) und Roboter (Robots/WALL*E) produzierten – einen Kampf den DreamWorks außer bei Shrek immer verlor.

In den darauffolgenden Jahren strömten jedoch immer mehr Player, beauftragt von den großen Studios, ins Feld, mit denen man rechnen musste. 2002 traten die Blue Sky Studios (20th Century Fox) von Chris Wedge mit dem phänomenal erfolgreichen Ice Age auf den Plan, Imageworks (Sony) versuchte sich (nicht sehr erfolgreich) an Hunting Season, Animal Logic (Warner) (erfolgreich) an Happy Feet. Hinzu kamen die bereits 2001 für Jimmy Neutron: Boy Genius nominierten Nickelodeon Pictures (The Barnyard) sowie einzelne Player, die auf der neuen Woge in den internationalen Markt zurückströmten, wie Hayao Miyazaki, Aardman (Wallace and Gromit), die sogar einen Deal mit DreamWorks schlossen, und Henry Selick (Coraline).

Nicht zu vergessen ist auch das Feld “Performance Capturing”, in dem vor allem Robert Zemeckis die Speerspitze bildete, meist als Regisseur (Polar Express, Beowulf, Christmas Carol) aber auch als Executive Producer (Monster House). Als 2006 Monster House und Happy Feet, die beide zu (unterschiedlich großen) Teilen auf Performance Capturing zurückgegriffen hatten, neben Pixars Cars nominiert waren und Happy Feet auch noch gewann, ging ein Raunen durch die Branche. Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion interessant, ob Avatar theoretisch einen solchen Oscar gewinnen könnte.

Doch nicht nur im Oscar-Rennen machte sich der Animationsfilm in den Noughties wieder breit. So wählten die LA Film Critics WALL*E, der ohne berühmte Stimmen und generell mit sehr wenig Dialog auskommt, 2008 zum Film des Jahres und 2009 eröffnete mit Pixars Up erstmals ein Animationsfilm die Filmfestspiele von Cannes, nachdem im Jahren zuvor mit Waltz with Bashir schon ein Animationsfilm im Rennen ganz vorne gelegen hatte.

Woher stammt dieser neuerliche Erfolg einer Gattung, die selbst im großen Family-Entertainment-Land USA in den Achtzigern und Neunzigern in Fernseh-Cartoons für Kids einerseits und Erwachsene (Simpsons, Beavis and Butthead) anderseits und Disney-Geputzel zu Weihnachten zerfallen war? Abgesehen davon, dass wegen des immer höheren Bedarfs an Special Effects computergenerierte Bilder generell akzeptierter geworden sind?

Ende der Neunziger hatten Pixar und DreamWorks eine Formel entwickelt, die einzuschlagen schien. Sie entwickelten originäre Stories, die nicht auf bekannten Vorlagen basierten, besetzten die Hauptrollen mit bekannten Hollywood-Darstellern – was die Publicity für den Film deutlich erleichterte – kickten das über Jahre bewährte Musical-Konzept über Bord, und wurden wieder etwas “edgier”, indem sie den Erwachsenen genauso etwas zu lachen gaben wie den Kids. Außerdem trieben sie mit jedem Film den technischen “sense of wonder” wieder ein Stück voran – waren die Menschlichen Charaktere in Toy Story (1995) noch sehr krude geformt, sah das in Toy Story 2 (1999) schon viel besser aus.

In den Noughties drifteten die Studios in ihrem Grundverständnis wieder weiter auseinander, aber der Rest von Hollywood hatte Blut geleckt (und Geld gerochen) und sich längst in eigene Produktionen gestürzt. Pixar setzte weiterhin auf künstlerische Konzepte, definierte sich als Director’s Studio (z. B. indem sie Brad Bird zu sich holten) und nahm sich bald auch schon wieder den Mut zur Abstraktion im Design heraus. DreamWorks prügelte, zumal nach dem Erfolg von Shrek das Prominenten-Stimmen-Konzept zu Tode und versuchte, mit jedem Film noch ein bisschen hipper und zeitgemäßer zu sein (trauriger Tiefpunkt dieser Entwicklung war Shark Tale) – Sony und Nickelodeon gingen in die gleiche Richtung.

Nachdem die erste Welle an Wahnsinn aber vorbei war (2005/06 war so ziemlich das übelste Jahr in der Hinsicht) kam die ganze Branche in Schwung und traute sich richtig was; merkte, dass Animationsfilm die Ideale Form für filmische Experimente ist. Surf’s Up, zum Beispiel, ist ein Mockumentary über surfende Pinguine, das bei allen Schwächen, die der Film hat, zumindest ein paar Märkchen für Originalität verdient hat. Und ob für Persepolis, Marjane Sartrapis persönlichen Memoiren über ihre Kindheit im Iran, und Waltz with Bashir, Ari Folmans unheimliche Rekonstruktion seiner Kriegserfahrungen, vorher überhaupt Geld dagewesen wäre, ist fraglich.

Auch Regisseure, die aus dem Live-Action-Fach kamen, sahen in Animation plötzlich neue Chancen. George Miller (Babe) machte Happy Feet, Wes Anderson “drehte” Fantastic Mr. Fox – die Herkunft aus einer anderen Gattung ist in beiden Fällen durchaus zu sehen. Auch die Abenteuer von Tintin werden derzeit per Motion-Capture verfilmt, Regisseure/Produzenten sind Steven Spielberg und Peter Jackson. Und umgekehrt funktioniert es auch: Pixar-Regisseur Andrew Stanton (Nemo, WALL*E) dreht jetzt John Carter of Mars.

Selbst Disneys Stern geht langsam, nach dem Kauf von Pixar und John Lasseters Verpflichtung als Chefkreativem, wieder auf. 2009 kam fünf Jahre nach dem abgrundtief furchtbaren Home on the Range wieder ein 2D-animierter Film (The Princess and the Frog) in die Kinos, der zumindest manchen Kritikern auch gefiel.

Last but not least waren animierte Filme ein wichtiger Triebmotor für die langsame Etablierung von 3D, was sich besonders in Deutschland sehr gut daran festmachen lässt, dass die CineStar-Kette sich erst mit dem Start von Ice Age 3 entschied, eine größere Menge Säle auf 3D umzurüsten. Und nach wie vor sind es computeranimierte Filme, die sich eben am einfachsten in 3D umsetzen lassen.

Der Animationsfilm, besonders der computeranimierte Animationsfilm aber auch seine handanimierten Geschwister, hat sich in den Noughties als eine neue feste Größe etabliert, mit der man auf jeden Fall auch weiterhin rechnen muss. Das Medium Animationsfilm wird von immer mehr Seiten wirklich als Medium und nicht als Genre wahrgenommen, mit dem man auch andere Geschichten als Märchen für Kinder erzählen kann. Mit dem zusehenden Verschwimmen von Live-Action und Animation kann man also erwarten, dass es in den Zehner Jahren noch von viel mehr Regisseuren für sich entdeckt wird und eventuell noch wesentlich mehr Erfolg haben wird.

Dieser Beitrag ist Teil 13 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Worte zum Wochenende

There hasn’t been this much hype about a tablet since Moses came down from the mountain

David Carr, New York Times
// A Savior in the Form of a Tablet

One of our more charming American sayings is that a time comes when you have to shit or get off the pot. We can only hope that moment has arrived in the debate over paid content online, and that in 2010, Rupert Murdoch and company will charge or not, and succeed or fail, and we can be done with this tiresome topic.

Jeff Jarvis, The Guardian
// USA: Internet media continue to evolve, old media flirt with extinction

Selbstironie war traditionell die Waffe der Guten, eine Fähigkeit, die wie ein Ausschlussmechanismus zwischen uns und den anderen funktionierte. Die Grenze, die sicherstellte, dass Oliver Pocher nicht Harald Schmidt gefährlich werden konnte. Und jetzt plötzlich macht einer wie Kerner auf selbstironisch. Und Kai Diekmann auch.

Mikael Krogerus, der freitag
// Man darf ja wohl noch fragen dürfen
[via BildBlog]

I’ve re-read this one over and over, and I’m still not exactly sure why they chose to print that sentence. I just can’t figure out what purpose it ever could’ve served.

Sam Greenspan, 11points.com
// 11 Most Painfully Obvious Newspaper Articles Ever

[via BildBlog (das sich allerdings nicht die Mühe gemacht hat, den Namen des Autors auf der About-Page nachzugucken)]

Der “Guardian” hat den Irrsinn von Clash of the Titans auch bemerkt.

Does Clash of the Titans have the worst ever film tagline? fragt Stuart Heritage heute in einem Artikel auf guardian.co.uk. Die Antwort lautet natürlich “Ja!” – aber die Frage ist nicht neu. Real Virtuality hat sich schon im November über die alberne Tagline TITANS WILL CLASH amüsiert und sogar vorgeschlagen, das Konzept auf sämtliche Hollywoodproduktionen zu übertragen – genau wie Heritage es macht.

Zwei Seelen, ein Gedanke? Oder ganz klares Plagiat? Das muss die Weltgeschichte entscheiden.

Heritages Artikel ist natürlich trotzdem sehr lesenswert und schmunzelerzeugend.

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Das digitale Kino trumpft auf

Ich widme mich in der zweiten Staffel von “Zehn zu Null” zuerst meinem Lieblingsthema, dem digitalen Kino. Zurecht, wie ich finde, denn nicht umsonst wurden die Noughties auch die digitale Dekade genannt. Natürlich trifft das nicht nur auf unseren Lebensalltag und unsere Mediennutzung zu, sondern eben auch auf das Kino.

Rekapitulieren wir kurz: Dass das Kino auf dem Weg in die Digitalität war, ist vermutlich bereits seit Ende der achtziger Jahre klar, als die New Age Adventisten vom Cyberspace zu schwärmen begannen. Nonlinearer Schnitt machte seine ersten Schritte ebenso wie digitale Effekte und digitale Animationsfilme. In den Neunzigern nahm diese Tendenz zu: Dogma95-Filme wurden auf digitalem Material gedreht, der digitale nonlineare Schnitt führte zu Intensified Continuity und die fantastischen und/oder bildgewaltigen Genres erlebten eine erste kleine Renaissance durch digitale Effekte.

Doch so richtig gut, groß und regelmäßig trat das digitale Kino erst in den Noughties auf und zeigte deutlich, dass es die Hauptgrundlage des Kinos der Zukunft sein wird. Weil das Thema sehr umfangreich und komplex ist, versuche ich mal, es hier ein wenig aufzudröseln und gehe dabei in der Reihenfolge der Produktionsschritte eines typischen Films vor.

Pre-Production: Sicherlich eins der wichtigsten Werkzeuge, dass sich für Regisseure großer Effektfilme in den Noughties entwickelt hat und immer genauer wird ist die Vor-visualisierung (“Pre-Viz”), die nächste Stufe des Storyboards und des Animatics/Pencil Tests. Zu den größten Fans gehören Peter Jackson und George Lucas, die in ihren respektiven Trilogien (und natürlich auch in King Kong) auf diese Art Sequenzen, die später viel Rechenpower beanspruchen werden, sehr präzise vorplanen können. Aber auch bei kleineren Projekten ist diese Art der Vorplanung zum neuen Storyboard geworden, mit dem sich problemlos Kamerapositionen, Linsen und Co ausprobieren lassen.

Produktion: Wie oben schon erwähnt gab es auch vor 2000 schon Filme, die auf Digitalkameras gedreht wurden und trotzdem ins Kino kamen. Aber erstens waren es nicht so viele und zweitens sahen sie nicht so gut aus. Mit Kameras wie der Genesis oder der Red entstehen Bilder, die – vor allem wenn sie nochmal durch einen Digital Intermediate laufen (s.u.) – eigentlich nicht mehr von normalen 35mm-Bildern zu unterscheiden sind (achtet mal in Abspännen drauf). Aber auch die nicht auf 35mm getrimmte Ästhetik ist in den Nullern salonfähig geworden, weshalb Filme wie Land of Plenty oder Michael Manns Miami Vice und Public Enemies digital gedreht werden und später mitsamt ihrem Look ins Kino kommen können. Für die Wiedergeburt des Dokumentarfilms in den Noughties ist digitale Produktionstechnik ebenfalls ein entscheidender Faktor: Man kann einfach viel problemloser Stunden um Stunden an Material filmen (was man ja manchmal braucht), weil es billiger und leichter zu transportieren ist. Digitales Filmen bedeutet außerdem ein einfacheres und präziseres Video Assist und eine schnellere Koordination mit den Leuten in der Postproduktion, die die Daten direkt weiterverarbeiten können.

Postproduktion: Das ist natürlich der Bereich, in dem sich die digitale Technik am deutlichsten niedergeschlagen hat. Ich versuche, kurz, aber umfassend zu bleiben.

  • Nonlinearer digitaler Schnitt führt zu höheren Schnittfrequenzen, einer neuen Vorliebe für nichtlineares erzählen (Memento, 21 Grams, City of God, (500) Days of Summer) und einer neuen Form der Raumaufspaltung, beispielsweise in Actionsequenzen wie bei The Bourne Supremacy oder Batman Begins.
  • Der Digital Intermediate Process, bei dem Farben, Töne und Körnung des Films digital nachbearbeitet werden (der Film wird eingescannt, bearbeitet und wieder “ausgedruckt”), wird zu einem der wichtigsten Werkzeuge für jede Art von Film. So erscheinen Himmel blauer, vergangene Szenen älter, trostlose Tage deprimierender. Dinge wie Dunkelheit werden völlig neu definiert. Anschlussfehler und Beleuchtungsprobleme können leichter ausgeglichen werden. Die Möglichkeiten sind endlos – und in SF- und anderen Effektfilmen werden sie irgendwann auch gerne übertrieben.
  • Visuelle Effekte werden ein Standard, je mehr der Film wummst umso mehr, aber auch in weniger krachigen Filmen, gehören digitale Set Extensions oder komplett virtuelle Sets, Wire Removal und andere digitale Bildretuschen und das Einfügen von digitalen Objekten (Autos, Häuser, Explosionen, Komparsen) einfach zum Handwerk. Die Königsklasse sind natürlich digitale Charaktere, die immer realistischer werden und schließlich sogar tragende Rollen übernehmen können (Lord of the Rings: The Two Towers, Avatar).
  • Auch im Sound Design und Mixing bringen digitale Pulte und vor allem riesengroße Archive mit Soundfiles das Handwerk zu neuer Größe (WALL*E).

Am wichtigsten ist aber – um damit das Feld der Filmproduktion abzuschließen – dass viele dieser Schritte (Kamera, Schnitt, Effekte) immer mehr zusammenfließen und parallel passieren. In den Noughties wird immer unklarer, wo eine Kamerafahrt, ein Schnitt, eine Ausleuchtung, gar eine Perfomance (Motion Capturing) aufhört und ein digitaler Effekt anfängt.

Vorführung: Der “digitale Roll-Out” ist immer noch weit von seinen “Filme werden per Satellit in die Kinos gebeamt”-Visionen entfernt, aber digitale Projektoren setzen sich immer weiter durch und werden in Deutschland sogar staatlich gefördert. Das Ergebnis: Schärfere Bilder, Opern im Kino und die vermutlich wichtigste Entwicklung: Eine neue Chance für 3D. Die Teens könnten die 3D-Dekade werden.

Ästhetik: Einiges habe ich oben bereits erwähnt, beispielsweise zum Schnitt, aber ich möchte hier doch nochmal etwas genauer werden. Das Kino der Noughties zeichnet sich ästhetisch durch einen Hang zur Hybridität aus. Formate (Film, HDV) werden häufiger gemischt und kombiniert, manchmal sichtbarer manchmal unsichtbarer (Collateral liegt irgendwo dazwischen, um mal ein Beispiel zu nennen). Die Grenzen zwischen digitalen und realen Bildern verschwimmen durch Effekte und virtuelle Sets: Reale Bilder werden unwirklicher (Colour Grading, DI), “falsche” Bilder werden realer (immer bessere Simulationsalgorithmen, Motion Capturing, 3D). Ist man ein Anhänger von Lev Manovich heißt das, dass das Kino zu einer neuen Form von Animation zurückfindet, in der Realfilm nur eins der Materialien ist: Bewusst hybride Experimente wie Waking Life oder Sin City führen das am stärksten vor Augen.

Fakt ist, dass das Kino sich in den Noughties mit seinen digitalen Aspekten versöhnt und verschränkt hat. Sie sind zwar immer noch ein großer Schauwert, aber gleichzeitig auch einfach ein integraler Teil jedes Prozesses. Die Jahre 2000 bis 2009 sind die Zeit der Emanzipation des digitalen Films.

Gegen Ende der Dekade habe ich allerdings das Gefühl, das bei manchen Trends auch schon wieder gegengesteuert wird. So ist (nicht zuletzt durch 3D) beispielsweise wieder ein Hang zu längeren Einstellungen und Innerer Montage zu bemerken (dazu vielleicht demnächst mal mehr).

Ich habe bestimmt Aspekte vergessen. Auf Ergänzungen gehe ich gerne ein

Dieser Beitrag ist Teil 12 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Zweite Staffel

Inzwischen sind die Nuller Jahre, die Noughties, wie ich sie lieber nenne, vorbei und wir sind in den Zehnern (hier ist mein Lieblingsausdruck aus dem englischen “Teens”). Das heißt aber für Real Virtuality noch lange nicht, dass die Auseinandersetzung mit dem vergangenen Jahrzehnt ein Ende gefunden hat. Zu sehr hat mich diese Dekade geprägt, als dass ich mich so schnell von ihr verabschieden möchte.

Daher werde ich in den kommenden Wochen in regelmäßiger Folge Donnerstags eine weitere “Staffel” von Beiträgen unter dem Serienlabel “Zehn zu Null” (was zwar dann nicht mehr so passt, sich aber jetzt etabliert hat) veröffentlichen, die sich nicht mehr mit einzelnen Filmen beschäftigen, sondern versuchen, sich mit wichtigen Trends und Tendenzen des Kinos in den letzten zehn Jahren auseinanderzusetzen. Wie schon bei den Filmvorstellungen wird das ganze natürlich einen Drall in die Richtung haben, in der ich mich am besten auskenne.

Ich gebe ja die Hoffnung nicht auf, dass sich in diesem Blog auch irgendwann mal Diskussionen entspinnen. Über Antworten freue ich mich also. Und falls jemand sich inspiriert fühlt, auch andere Aspekte der Noughties Revue passieren zu lassen, die mir vielleicht bisher entgangen sind, bin ich für Gastbeiträge sehr zu haben.

Irgendwann wird es auch einen krönenden Abschluss geben, nämlich eine Rangliste der besten Noughties-Filme. Aber bis dahin kann über das Thema noch einiges geschrieben werden.

Dieser Beitrag ist Teil 11 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)