Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Children of Men (2006)

Ich glaube, dass Children of Men einer der unterschätztesten Filme des Jahrzehnts ist, vor allem aber des Jahres 2006 – auch wenn viele Kritiker ihn mochten und lobten, war der Film sowohl an den Kinokassen als auch in der Award Season wenig erfolgreich, und das obwohl er auf so vielen Ebenen begeistert.

Alfonso Cuarons Film enthält einige ewig lange Kameraeinstellungen, deren perfekte Ausführung jedes Filmformalistenherz höher schlagen lassen. Hinzu kommt eine Menge angenehm subtiler Visual Effects und ein so behutsames Design, dass diese Zukunftsvision einfach sehr glaubhaft ist. Man füge außerdem eine Szene mit “In the Court of the Crimson King” hinzu, und man hat mich schon gewonnen.

Viel wichtiger ist aber, dass Children of Men einfach ein verdammt guter Science-Fiction-Film ist, weil er die eigene Gegenwart so gekonnt in die Zukunft spinnt. Aktuelle Probleme wie Terrorismus, Flüchtlinge und rückläufige Geburtenraten greift er (basierend auf dem Buch von P. D. James) auf und schöpft daraus ein Szenario, das er mit großartigen Schauspielern (Clive Owen, Julianne Moore, Michael Caine, Chiwetel Ejiofor, Peter Mullan) bevölkert und das, weil es so realistisch wirkt, sehr beklemmend ist. Sein Realismus zeichnet den Film aus: Die Kampfszenen im Flüchtlingscamp zum Ende des Films hin scheinen eher wie heutige Kriegsszenen vom Balkan oder aus Bagdad. Eingebettet in ein SF-Szenario können sie aber auf eine andere Weise wirken, die nicht so stark die “Von Krieg will ich nichts wissen”-Reflexe triggert.

Zugegeben, der Film krankt stellenweise an den üblichen Problemen: Exposition über die imaginierte Vergangenheit muss möglichst beiläufig in Dialoge eingeflochten werden, was nicht immer gelingt. Manchmal ist seine Bildsprache ein wenig zu symbolträchtig. In der hervorragenden Gesamtheit seiner künstlerischen Vision jedoch kann man darüber hinwegsehen. Ich würde ihn jederzeit wieder zum Film des Jahres ernennen.

2006 war das Jahr der Mexikaner. Neben Cuarons Children of Men begeisterte auch El Laberinto del Fauno von Guillermo del Toro die Menschen (inklusive mir) und Babel kam auch sehr gut an (ich fand ihn etwas zu betulich bemüht). Es war außerdem das Jahr von Martin Scorsese, der nach all seinen großen Historienschinken mit The Departed mal wieder einen geschliffenen, spannenden Thriller hinlegte. The Last King of Scotland gefiel mir ebenfalls vor allem in seiner Drehbuchkonstruktion sehr gut.

Christopher Nolan machte zwischen seinen beiden Batmans ein kleines Meisterwerk: The Prestige, ein gerne übersehener Geheimtipp. Und wo wir gerade bei Geheimtipps sind, Richard Linklaters A Scanner Darkly ist zwar nicht ganz einfach zugänglich – wenn man ihn aber durchdringt, kann man ihn als Freund guter SF eigentlich nur mögen. Ich mochte auch Michel Gondrys Science of Sleep, auch wenn er die Rafinesse seines Vorgängers Eternal Sunshine vermissen ließ. Und ich fand, dass Das Parfum eine solide, gute Arbeit von Tom Tykwer war, die das Buch angemessen auf den Bildschirm übertrug.

V for Vendetta mochte ich damals auch, ich bezweifle allerdings, dass der Film einer zweiten Sichtung standhält – wo wir allerdings gerade bei Explosionen sind: Mission: Impossible III von JJ Abrams wusste dank Philipp Seymour Hoffmann als guilty Pleasure auch zu begeistern ebenso wie der neue Bond Casino Royale wegen seiner vielen frischen Ideen.

2006 bot auch zwei gute Komödien: Little Miss Sunshine und Thank You For Smoking und viel zu viele – und dafür in der Summe umso enttäuschendere – Animationsfilme, allen voran der schwächste Pixar-Film Cars. Auf den Hype um Borat konnte ich dank mangelnder Witzigfindung leider nicht aufspringen und werde es wohl auch nicht mehr.

Half Nelson mit einem tollen Ryan Gosling und einem sehr atmosphärischen Soundtrack von Broken Social Scene bekam ebenso die verdiente Aufmerksamkeit der Academy wie The Queen, dessen eher zurückgenommener Inszenierungsstil ihm allerdings ein wenig das Kinoformat nahm. Und schließlich war da noch der Doppelschuss von Clint Eastwood, Flags of our Fathers und der hochgelobte Letters from Iwo Jima, den ich allerdings leider noch nicht gesehen habe. Das ist dann etwas fürs nächste Jahrzehnt.

Dieser Beitrag ist Teil 7 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Aus den Schatten – Ninja Assassin

USA 2009 Regie: James McTeigue. Buch: Matthew Sand und J. Michael Straczyski. Kamera: Karl Walter Lindenlaub. Produktion: Joel Silver, Andy Wachowski, Larry Wachowski, Grant Hill.
Mit: Rain, Naomie Harris, Ben Miles, Shô Kosugi, Randall Duk Kim.
Länge: 99 Minuten.
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 10.12.2009

Bei manchen Filmen ist sie schwer zu erkennen, die Grenze zwischen „schlecht“ und „so schlecht, dass es wieder gut ist“. Der neueste Streich aus der Talentschmiede der Wachowskis, NINJA ASSASSIN, scheint jeweils einen Fuß fest auf jeder Seite dieser Grenze zu haben. Da gibt es angenehm selbstironische Szenen, in denen eindeutig klar wird, dass Regisseur James McTeigue (V FOR VENDETTA) gar nicht versucht hat, einen ernsthaften Film abzuliefern, die dann allerdings im allgemeinen Chaos der leider nicht immer guten Kampfszenen wieder in Vergessenheit geraten.

Der im Internet gerne ausgetragene Kampf, wer jetzt eigentlich mehr „Awesomeness“ auf dem Kasten hat, Piraten oder Ninjas, wird in NINJA ASSASSIN jedenfalls klar zugunsten der Ninjas entschieden: Ninjas sind im Schatten grundsätzlich unsichtbar und so schnell, dass ihre Opfer gar nicht wissen wie ihnen geschieht, bevor sie in Scheiben zerschnetzelt werden. Das ist natürlich ziemlich „awesome“, vor allem wenn dazu noch eine gehörige Dosis computeranimiertes Blut in hübschen Rorschach-Tests auf den Fußböden der Kampfplätze verteilt wird. Überhaupt versucht McTeigue die Effekte seiner trashigen Vorbilder quasi nahtlos ins Computerzeitalter zu übertragen, was ihm über weite Strecken auch recht gut gelingt. Das Videospiel zum Film ist darüberhinaus, wie so häufig im modernen Actionfilm, schon 1:1 in den Kampfszenen-Levels angelegt, so dass eine Übertragung auf Konsolen und PCs nicht schwerfallen dürfte.

Das Spektakel bestreiten diverse Mitglieder aus der Wachowski-Film-Familie, darunter der japanische Popstar Rain in seiner ersten englischsprachigen Hauptrolle (vorher schon in SPEED RACER zu verorten) und Ben Miles als zwielichtiger Europol-Agent, der McTeigue-Fans auch schon aus V FOR VENDETTA bekannt vorkommen dürfte. Als taffe Frau darf zusätzlich Naomie Harris (28 DAYS LATER, PIRATES OF THE CARIBBEAN) antreten. Das Trio jagt vom Fördergelder-Standort Berlin aus einem martialischen Auftragskiller-Ninja-Clan nach, der seine Zöglinge klaut und mit brutalen Methoden zu den perfekten Todesmaschinen ausbildet, was in Rückblenden ausführlich gezeigt wird. Die Geschwindigkeit der Ninjas diktiert dabei einen schnellen Schnittrhythmus, der dadurch dem Martial-Arts-Gefuchtel natürlich manchmal auch ein wenig seine Wirkungskraft nimmt.

NINJA ASSASSIN lässt während seiner Handlung wenige Klischees aus, auch für unheilsschwangere Sätze wie „Diese Untersuchung ist reine Routine“ und „Du kannst ihm vertrauen, er ist einer von den Guten“ ist er sich nicht zu schade. Weil das aber eigentlich nur gewollt sein kann, fällt es schwer, sich darüber wirklich zu ärgern. Enttäuschend ist eigentlich lediglich das Finale, dem es nicht gelingt, der vorher aufgebauten Erwartungshaltung für den klassischen Kampf zwischen Meister und Schüler gerecht zu werden. Vor allem dann, wenn der Meister von 80er-Ninjalegende Shô Kosugi gespielt wird. So gelingt der Generationenwechsel im Genre leider nicht ganz.

erschien zuerst bei Screenshot Online

Worte zum Wochenende

Der Streit um Brender bestätigt, wie froh wir sein können, große private Medienunternehmen als Korrektiv zu den öffentlich-rechtlichen Medien zu haben.

Bernd Buchholz , im Interview mit der Rheinischen Post
// “Für Online-Medien zahlen”

The DVD box set is the newest and most terrifying form of ritualistic abuse we inflict on one another. In the past, a sick person received unwanted hardback books, but these days when someone is laid up with an illness, they are buried beneath an avalanche of DVD box sets containing hundreds of hours of television series.

Grady Hendrix , Slate
// Boxed InGiving someone a TV series on DVD is like giving them a life sentence

Unter den taz-Leserinnenbriefen ragte dieser Tage das Schreiben von Monika Krause aus Neuss hervor. Sie regte an, “journalisten zu motivieren, den vakanten chefredakteursposten von herrn brender beim zdf nicht zu besetzen”. Na, das nenn ich doch mal eine Idee! Und eine Haltung! Und weil es in diesen Tagen so wenig davon gibt, gehe ich jetzt mal mit gutem Beispiel voran und solidarisiere mich: Ich verzichte auf den Posten.

Silke Burmester , taz
// Wie ein wildes “Stierchen” oder: Die Hessen sind schuld

Ist das nicht lustig? Wieviele “Plattformen” die ARD noch braucht, um dort dann doch keine Nachwuchsförderung zu betreiben?

Peer Schader , Fernsehblog
// Einsfestival? Das liegt hier noch so rum

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: King Kong (2005)

King Kong war der lang erwartete Nachfolger von Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie, auf den die Fans zwei Jahre warten mussten (das Jahr dazwischen wurde zum Glück durch die Extended Edition von Return of the King überbrückt. Und wie schon seine Vorgänger-Epen kam auch dieses 165-Minuten-Werk kurz vor Weihnachten in die Kinos. Angesteckt vom positiven Hype durch die Production Diaries im Web und nicht zuletzt wegen der Empfehlung eines Freundes kürte ich diesen gerade gesehenen Film dann am 30. Dezember zum Film des Jahres.

Vier Jahre später ist die Vorstellung schwer, dass King Kong dieses Schicksal noch einmal ereilen könnte. Im Gegensatz zur vorausgehenden Fantasy-Trilogie ist der Film über den großen Affen eher untergegangen, die Kritik warf ihm hauptsächlich vor, für sein Thema zu lang zu sein und sie hat recht. Schaut man sich King Kong heute noch einmal an (wie ich es vor kurzem getan habe), fällt überdeutlich auf, wie sehr sich Peter Jackson in seinem Epos über eine eigentlich sehr simple Story in Nebenhandlungssträngen und Action-Setpieces versteigt. Die 1933er-Version der Geschichte, auf die der Film basiert, glänzt wahrscheinlich gerade dadurch, dass sie die ganzen Monsterszenen auf Skull Island eher im Hintergrund andeutet, statt sie auf gefühlt halbstündige Sequenzen auszudehnen. Und auch, dass man nicht jedes Kindheitstrauma der Crew des Schiffes erfährt, muss nicht unbedingt ein Nachteil sein.

King Kong ist zu sehr ein “Schau mal was wir können”-Film, und so gerät seine wahre Größe etwas in den Hintergrund. Die ist nämlich nach wie vor vorhanden: Jackson gelingt es, wie schon mit Gollum, einen emotionalen Bezug zu einer computergenerierten, hier sogar sprachunfähigen, Kreatur aufzubauen, der die Zuschauer wirklich packt. Besonders die Abschlusssequenz auf dem Empire-State-Building hat trotz ihres artifiziellen Charakters eine enorme emotionale Wucht, die auch am Ende der Dekade noch sehr rührend ist. Hätte sich der Film mehr darauf konzentriert, statt sich endlos mit Dinosauriern und ekligem Wurmvieh herumzuschlagen, wäre er vielleicht auch insgesamt besser weggekommen.

Insgesamt gesehen war 2005 kein ganz so starkes Jahr für die “großen” Filme, wie das Jahr zuvor. Bei den Oscars dominierten gute, aber auf lange Sicht vermutlich auch vernachlässigbare Biopics wie Walk the Line und Capote und Filme mit Indie-Anmutung, die in den Wogen der Zeit vermutlich eher Geheimtippstatus behalten werden. Zwei meiner Favoriten, die King Kong dann in einer späteren Phase auch noch vom Thron stießen waren George Clooneys Good Night and Good Luck, der durch seine sachliche Erzählweise und seine bestechende Ästhetik zugleich fesselt und bezaubert und der kaum bekannte The Squid and the Whale von Noah Baumbach, der mich im Kino tief bewegte – und nicht nur, weil ein Pink Floyd Song darin vorkommt.

Was die Sommerblockbuster angeht, so begeisterte Spielbergs War of the Worlds zwar mit tollen Bildern, erschien aber in seiner Inkonsequenz am Schluss doch etwas zu weichgespült. The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy war lustig und schräg, kam aber wie schon so oft zuvor nicht an das Buch heran, Harry Potter and the Goblet of Fire kam einfach an seinen Vorgänger nicht heran, und Batman Begins war zwar gut, aber noch meilenweit vom letztendlichen Einschlag seiner Fortsetzung entfernt.

Neben Tim Burtons guter aber nicht großartiger Adaption von Roald Dahls Charlie and the Chocolate Factory war es vor allem noch ein Film, der 2005 einen nachdrücklichen Eindruck bei mir hinterließ und bei dem ich mich nach wie vor nicht mit mir einigen kann, ob er faszinierend oder abstoßend ist. Robert Rodriguez’ Sin City gelang es, einen neuen ästhetischen Stil zu schaffen, die Live-Action-Graphic-Novel in vollkommen synthetischen Sets, der später von 300 perfektioniert wurde. Die beeindruckende Ästhetik des Films wird allerdings konterkariert durch eine Orgie an sinnloser Gewalt, faschistoider Grundhaltung, Misogy- und Zynismus, der ich bis heute nicht viel abgewinnen kann. Interessanterweise wurde Sin City auch in der breiten Masse weniger wahrgenommen als zwei Jahre später 300, der allerdings (da er auch auf einer Frank-Miller-Vorlage basiert) natürlich die gleichen Probleme hat.

Dieser Beitrag ist Teil 6 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Schön Schief (1)

Aus einer Pressemitteilung von Mediareports und Prognos zur Entwicklung des Digitalradios im deutschsprachigen Raum:

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass langfristig die technische Konvergenz ein eigenes Radioübertragungssystem obsolet macht – Radio wäre dann wie auch das Fernsehen mit IPTV einfach internetbasiert. Teilen der Branche mag es deshalb verlockend erscheinen, die Phase der “Digitalen Eigenständigkeit” einfach zu überspringen und dann sozusagen erst am Endbahnhof des Zuges zuzusteigen.

(Quelle, Hervorhebung von mir)

Als ich das letzte Mal am Endbahnhof in einen Zug zusteigen wollte, wurde ich grummelig vom Zugführer angemotzt. Denn schließlich fuhr der Zug dann nicht mehr weiter (und sollte gereinigt werden) – aber irgendwie habe ich das Gefühl, das ist es nicht, was die Studienautoren meinen.

Meine Kollegin erinnerte das Bild auch hieran.

Hyperantrieb

Andy Newman, der Autor des “About”-Artikels bei “The Local”, nennt sein Projekt liebevoll “unser großes kleines Experiment”. Er schreibt: “The Local wird ein ruhmreicher, wenn auch kakophoner Chor eurer Stimmen sein, die das Lied des Lebens in diesen erstaunlich abwechslungsreichen und lebhaften Vierteln singen.”

Eine großspurig anmutende Prophezeiung, die man aber nicht vollständig als Spinnerei abtun sollte. Mit den “Local”-Blogs, eins für die kulturell vielfältigen Bezirke Fort Greene und Clinton Hill im New Yorker Stadtteil Brooklyn und eins für die drei Bezirke Maplewood, Millburn und South Orange auf der anderen Seite des Hudson River in New Jersey, hat die altehrwürdige “New York Times” zwei mutige Schritte gleichzeitig in die vernetzte Zukunft gemacht. Weiterlesen…

erschienen in epd medien 92/09

Kreative Zeichensetzung mit Radio Energy

Eben erreicht mich eine Pressemitteilung mit der Überschrift “Detlef D! Soost äußert sich erstmals zu Sidos Anschuldigungen im ENERGY Berlin Interview”. Hui, hab ich mir gedacht. Da geht’s heiß her bei den Topjurys der Republik.

Nach dem Lesen der ganzen Meldung weiß ich auch, was vorgefallen ist. Sido hat in der “Bravo” über D! gesagt: “Er ist ein Vollidiot und privat genauso abgebrüht wie in der Sendung”. Hammer!

Interessant ist, was D! laut dem Radiosender Energy dem entgegnet:

“Also das ist jetzt das einzige Mal, wo ich sarkastisch werde, wenn mir 20 Jahre nach dem Mauerfall zum Jubiläum, erst einfällt, nur weil meine Single vom Osten handelt, das ich ja eigentlich aus dem Osten bin und erst später ins Märkische Viertel gekommen bin, spätestens mal dann muss ich sagen wie hoch ist die Glaubwürdigkeit Sido”, so Detlef D! Soost gegenüber ENERGY Berlin.

Ja, sprechen Sie ruhig mit: WAS?! Lesen Sie es nochmal. Jetzt klar? Mhm, das kommt dabei raus, wenn man wörtliche Äußerungen im Radio transkribiert und alle Zeichen außer dem Komma klemmen.

An anderen Stellen hätte dann vielleicht auch ein Komma ganz gut getan. Wobei, “die Glaubwürdigkeit Sido” ist vielleicht analog gebildet zu “das Leiden Jesu” – klingt ja auch ähnlich.

Worte zum Wochenende

Wenn nicht mehr die Inhalte, sondern die Links die Grundlage der Medienökonomie bilden (wie Jeff Jarvis behauptet), dann werden die Verlage in Zukunft Geld für Links verlangen. Und am Ende schickt jeder, der mit uns kommuniziert, eine Rechnung.

Wolfgang Michal , Carta
// Die innere Logik der Link-Ökonomie

Vielleicht ist das die gravierendste Veränderung, die der Journalismus in den letzten zehn Jahren mitgemacht hat: Seine Grundhaltung ist inzwischen eine andere, oder sagen wir besser, sie sollte es sein. Wenn man sich nicht gerade verzweifelt an die Überreste und Relikte analoger Tage klammert, dann sollte es inzwischen selbstverständlich sein, Journalismus nicht einfach nur als eine künftig irgendwie mehrkanalige Veranstaltung zu begreifen, bei der es auch dazu gehört zu twittern oder ein Edelprofil bei Facebook zu pflegen. Im Journalismus von heute hat sich nicht nur die Zahl der Kanäle verändert bzw. vervielfacht, sondern auch die Art und Weise, wie wir als Journalisten und Medienmacher mit unserem Publikum kommunizieren.

Christian Jakubetz , Jakblog
// 1999 – 2009

Das klingt nicht unmöglich zu wuppen, werte Herren!

Markus Beckedahl , Netzpolitik
// Warum die Verleger zum Internet einfach schweigen sollten

Es ist wie bei Hypochondern – kaum hustet ein Blogger, ziehen sich die anderen schon Schals um den Hals und legen sich zum Sterben hin.

Malte Welding , Netzeitung
// Das deutsche Problem

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004)

Ich weiß noch, dass ich aus dem Kino kam, nachdem ich Eternal Sunshine of the Spotless Mind gesehen habe, und wusste, dass ich gerade Zeuge der Vorführung eines perfekten Films gewesen war. Es gibt diese Filme, bei denen einfach alles stimmt, bei denen alle Aspekte des Filmemachens perfekt ineinander greifen — auf der visuellen, der schauspielerischen und der Story-Ebene. Diese Perfektion muss nicht unbedingt bedeuten, dass der Film einem auch gefällt, aber man kann nicht anders, als sich vor einer Meisterleistung zu verbeugen.

Eternal Sunshine kombiniert die Vorstellungskraft von zwei erstaunlichen Individuen der Noughties, Drehbuchautor Charlie Kaufmann und Regisseur Michel Gondry. Die zwei hatten vorher schon einen Film gemacht (den vergessbaren Human Nature) und sie haben später alleine Filme gemacht, aber bei Eternal Sunshine schien einfach alles zu klappen: Jim Carrey spielt seine beste ernste Rolle, Kate Winslet scheint wie ein Stern, in den Nebenrollen brillieren Kirsten Dunst, Tom Wilkinson und Mark Ruffalo, die Visuellen Effekte sind einfallsreich und nahtlos, die Musik von Jon Brion traumhaft.

Dazu kommt eine Geschichte, die jeden Menschen, der schon einmal über Liebe und Schicksal nachgedacht hat, packen muss. Können zwei Menschen füreinander geschaffen sein, gar zum ewigen Scheitern geschaffen?
Wachsen oder zerbrechen wir an unseren Erinnerungen? Und wieviel ist “wahre” Liebe wirklich wert? Solange diese Fragen weiter gestellt werden, wird Eternal Sunshine of the Spotless Mind seine Wirkung behalten.

Über Gondry-Kaufmann hinaus war 2004 vor allem ein gutes Jahr für erstaunlich gute Fortsetzungen. Spider-Man 2, mit Alfred Molina als Doc Ock, ist mit Abstand der Beste der Reihe (und The Incredibles nahm das ganze Genre gut auf die Schippe). Kill Bill Vol. 2 gab dem wahnwitzigen Schlachtfest aus Folge 1 plötzlich einen psychologischen Sinn und gefiel mir sehr gut. The Bourne Supremacy prägte deutlicher als sein Vorgänger einen neuen Typ von Actionfilm — die Häcksel-Action mit gebrochenem Held.

Phantastik mit guten Bildern würde ich als einen weiteren Trend des Jahres nennen, das definitiv zu meinen Lieblingsfilmjahren der Noughties gehört. Mit Hellboy und Harry Potter and the Prisoner of Azkaban adaptierten zwei mexikanische Regisseure, Guillermo del Toro und Alfonso Cuaron, fantastische Welten mit einem faszinierenden Gespür für Bild und Herz. Und Brad Silberling kochte in Lemony Snicket’s A Series of Unfortunate Events eine Suppe, die Tim Burton sicher auch gefallen hätte. Einer meiner Lieblingsfilme des Jahres wird allerdings wohl kaum in die Geschichte eingehen: Sky Captain and the World of Tomorrow gefiel mir mit seiner Pulp-Attitüde dennoch sehr gut.

Shaun of the Dead ist vielleicht die beste Komödie des Jahrzehnts, gerade weil sie ihr Parodieobjekt so ernst nimmt. Aber 2004 war auch das Jahr von Team America: World Police, dem wohl besten und bösesten Film über den neuen amerikanischen Post-9/11-Imperialismus-Traum. I Heart Huckabees hingegen geht von seiner Stimmung eher in eine ähnliche Richtung wie Eternal Sunshine.

Die Tatsache, dass ich die großen Oscar-Filme des Jahres, Million Dollar Baby und Finding Neverland beispielsweise, jetzt erst erwähne, zeigt, dass 2004 einfach ein verdammt gutes Jahr für Mainstream-Kino war, abseits der großen Gefühle. Der Oscar für Million Dollar Baby ist verdient — der Film war sehr gut — aber ich bezweifle, dass er in den Köpfen so lange überleben wird. Den Auslandsoscar gewann Alexandro Amenabars Mar Adentro, ebenfalls verdient (vor allem gegen den Untergang).

Dieser Beitrag ist Teil 5 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

FILMZ 09 – Planlos in der Wüste

Etwa dreiviertelvoll war das Kino am Mittwoch, als Kronos gezeigt wurde. Kronos ist Olav F. Wehlings Diplomfilm von der Filmakademie Baden-Württemberg, laut Etikett eine Reflektion über den griechischen Mythos des Titanen Kronos, der seine Schwester heiratete, seinen Vater kastrierte und seine Kinder fraß, in Wirklichkeit aber ein Film über Menschen, die durch die Wüste gehen und versuchen, dabei möglichst wenig zu reden und möglichst wirr zu handeln.

Kronos ist europäisch-prätentiöser Kunstblödsinn in Reinform. Das an sich ist noch kein wertendes Urteil, denn es gibt jede Menge ziemlich guten prätentiösen Kunstblödsinn aus Europa – l’Art pour l’Art ist durchaus ein erlaubtes Kriterium auch für Filmemacher. Bei Kronos sind dabei aber gerade noch Armin Franzens gut geschossenen Bilder der marokkanischen Wüste positiv erwähnenswert, leider erscheint aber der Rest des Films genauso flach wie die unwirklichen Hintergründe. Ein bisschen so, als hätte Lars von Trier sich eine Überdosis Pasolini gespritzt und wäre als Zombie wieder dem Grab entstiegen.

Um tiefgründig wirken zu wollen reicht es einfach nicht, Dialoge in Wackelkamera-Closeups mit einem „Was ist?“ beginnen zu lassen und darauf zehn Minuten Schweigen folgen zu lassen, und eine gutaussehende dunkelhaarige Hauptdarstellerin zu casten. Mit Kronos lässt sich vielmehr Kunstblödsinn-Bullshit-Bingo spielen: Tötungsszene mit Industrial-Soundtrack, check. Unangenehme Vergewaltigung, check. Bedeutungsschwangeres Cello-Solostück, check. Ein metaphorisch-verheißungsvoll gegrabener Brunnen wird zum Grab, check. Kronos fehlt die ansprechende Reflektionsebene, er stellt nur dar und so läuft alles irgendwie ins Leere und es bleibt am Ende nur Langeweile und ein arg verhaltener Pflichtapplaus des Publikums übrig. Dass der Film eine Koproduktion mit dem ZDF Theaterkanal und also entsprechend theatralisch ist, ist leider auch nur eine mangelhafte Erklärung dafür, dass die Figuren losgelöst von ihrem mythologischen Kontext seltsam motivations- und aussagelos bleiben.

Alexander Pohls Vorfilm Trickster, in dem ein Clown versucht, seinem kulturindustriellen Gefängnis zu entfliehen, war insofern vom FILMZ-Team gut programmiert: Der Film bietet schöne, eindrucksvolle, unheimliche Bilder, ist aber in seinen drei Permutationen doch irgendwie planlos. Das gab der sympathische Regisseur im Nachfilm-Gespräch mit den typischen Ausführungen eines Animationsstudenten eigentlich auch offen zu, als er von seinen vagen Inspirationen zwischen Beckett und der tragischen Figur des Clowns berichtete. Trickster lässt immerhin eine der Prätention des Films durchaus gerecht werdende „Cinema will eat itself“-Interpretation zu: Wenn ambitionierte Schauspieler für das gaffende Publikum zunehmend in kargen Motion-Capture und Green Screen Bühnen ins Leere agieren müssen und hinterher von der Traumfabrik zur Unkenntlichkeit aufgehübscht werden, bleibt ihnen wohl nichts anderes übrig, als zum Gegenangriff überzugehen.

Derzeit findet in Mainz das FILMZ-Festival des deutschen Kinos statt. Dieser Beitrag erschien zuerst im FILMZ-Blog von Screenshot Online