Als ich vergangene Woche meine persönlichen Podcast-Vorlieben gepostet habe, dachte ich, mir würde weitgehende Zustimmung entgegenschallen. Eine vereinte Front gegen die mäandernden, schlecht zu verstehenden Laber-Runden da draußen – doch weit gefehlt. Obwohl einige Leser gnädig nickten – deutlich vokaler waren diejenigen, die unter dem Beitrag kommentierten und mir freundlich aber direkt sagten, dass ich keine Ahnung habe. Weil ihnen nämlich die chaotischsten und längsten Podcasts die liebsten sind. “Nie wieder habe ich so guten Stoff bekommen”, schrieb LeXLuther über die bis zu acht (!) Stunden dauernden Podcasts von “GameOne”.
Ich fühlte mich erinnert an meinen unrühmlichsten Moment in der ganzen Film-Blogosphäre-Diskussion Anfang des Jahres erinnert, als ich nämlich zwischen “denjenigen, die Film oder Medien ‘gelernt’ haben, und denen, die einfach gerne Filme sehen” unterschied und dafür – wahrscheinlich zu recht – von einigen Menschen Gegenwind erhielt. Es stimmt natürlich: Gerade im Bereich Film muss man diese Unterscheidung in der Regel nicht machen. Es geht mir im Grunde auch um etwas anderes, nämlich um Journalismus.
Wann immer ich mit jemandem die Diskussion um den Niedergang der Printmedien, sogenannten Qualitätsjournalismus und die Rolle von Blogs, Twitter und Co führen muss, hole ich – wie viele andere auch – die gleiche Argumentation hervor. Journalismus ist nicht an ein Medium gebunden. Er kann auch in Blogs stattfinden. Beispiele dafür gibt es genug. Ich würde aber noch weiter gehen. Journalismus ist auch nicht unbedingt an einen Beruf gebunden.
Minimaldistanz und Aufbereitung
Die Berufsbezeichnung “Journalist” ist in Deutschland nicht geschützt und obwohl das manchmal bemängelt wird, weil sich dann jeder Journalist nennen kann, halte ich es für richtig. Denn man muss eben nicht gelernter, diplomierter Journalist sein, um Journalismus zu betreiben. Journalismus ist eine Geisteshaltung, und diese Geisteshaltung besteht für mich aus zwei Komponenten: Dass man sich erstens bemüht, zu den Themen, mit denen man sich beschäftigt, eine Art Minimaldistanz zu bewahren, und zweitens, diese Themen so aufzubereiten, dass auch ein Publikum, das sich weniger mit ihnen beschäftigt hat, als man selbst, einen Zugang dazu findet.
Nur zwei kurze Erläuterungen dazu: “Neutrale” Berichterstattung ist in der Regel ein Mythos, genauso wie der Anspruch, sich “mit keiner Sache gemein zu machen”, vor allem außerhalb von reinen Nachrichtenkontexten. Wir sind alle nur Menschen. Aber wenn man sich journalistisch mit einem Thema beschäftigen will, sollte man sich zumindest bemühen, einen Sachverhalt nicht nur von einer Seite zu betrachten und seine Quellen realistisch einzuschätzen – mit anderen Worten: Recherche zu betreiben. Und was die Aufbereitung angeht: Nicht jeder Artikel muss für einen absoluten Neuling verständlich sein, sonst gäbe es keinen Fachjournalismus. Aber ein Autor mit journalistischem Anspruch sollte, darauf läuft es eigentlich nur hinaus, sein Publikum im Hinterkopf haben.
Eine Art Code
Beides ist mir immer wichtig gewesen und deswegen bezeichne und fühle ich mich auch weiterhin als Journalist, auch wenn die meisten Einträge in diesem Blog klar eine Meinung vertreten (zu der ich aber in der Regel gekommen bin, nachdem ich ein Thema von mehreren Seiten betrachtet habe) und auch wenn ich – zumindest ab Januar – im Hauptberuf nicht mehr im Journalismus tätig bin (auch wenn ich wahrscheinlich weiterhin ab und zu für Geld Artikel schreiben werde). Für mich ist es einfach selbstverständlich, meine Blogposts, Podcasts etc., so aufzubereiten, dass sie lesbar und hoffentlich auch informativ sind, strukturiert, möglichst auf den Punkt und unter Einbeziehung mehrerer Sichtweisen. Ich bemühe mich zumindest darum.
Und weil das mein Anspruch an mich selbst ist, erhoffe ich ihn mir auch von anderen. Ich liebe einfach guten Journalismus. Auch wenn journalistisch aufbereitete Inhalte zum Teil eine Art Code geworden sind, den man als medienkompetenter Mensch dekodieren kann. Wenn ich Inhalte mit journalistischem Gestus vermittelt bekomme, weiß ich, zum Beispiel, dass ich hier nur einen Ausschnitt aus den Recherchen und aus dem Wissen des Autoren oder der Autorin präsentiert bekomme, der dazu dient, einen bestimmten Sachverhalt zu erläutern. Oder eine bestimmte Geschichte zu erzählen. Nachrichten, Berichte, Artikel lassen sich lesen. Und wenn sie allzu formelhaft geworden ist, lassen sie sich auch persiflieren. Dann ist es meist Zeit für ein Umdenken.
Das Gerede von den Prosumenten
Ich schreibe das alles auf, weil es – wie mich die Podcast-Erfahrung lehrt – anscheinend eine gewisse Zahl an Menschen gibt, die genau das nicht mehr wollen. In Bereichen, in denen sie sich selbst auszukennen glauben, möchten sie Inhalte nicht mehr nach journalistischen Aspekten aufbereitet bekommen, sondern lieber die ungefilterte Unterhaltung genießen. Bei all dem Gerede von “Prosumenten” und dem aufbrechen der Barrieren zwischen Medien und “The people formerly known as the audience” wird dieser Aspekt häufig darauf reduziert, dass das Publikum selbst Inhalte produziert. Genauso oft scheint es aber gar nicht darum zu gehen, selbst etwas beizutragen, sondern einfach nur gleichwertig zu rezipieren.
Nehmen wir das Beispiel Filmpodcasts, weil das ganze damit anfing. Ich mag die “Guardian Film Show” in der drei Filmkritiker des “Guardian” kurz und knackig die Neustarts der Woche durchsprechen, manchmal garniert mit kurzen Interviews. Oder “Scriptnotes”, bei dem es schon in der Begrüßung heißt, es sei ein Podcast “about screenwriting and things that are interesting to screenwriters”, nicht mehr. Mit den “Celluleuten” kann ich, so leid es mir tut, nichts anfangen, obwohl ich es mehrfach versucht habe – dort fühle ich mich immer, als würde ich auf einer Party, bei der ich zwar eingeladen wurde aber niemanden kenne, in der Ecke stehen. Andere scheinen den Podcast aber genau deswegen zu mögen. Weil er ungeschönt ist und nicht darauf aus ist, zwanghaft “nützlich” zu sein.
Das Internet verändert den Zugang zu Informationen so sehr, dass es für jeden Menschen inzwischen Bereiche geben dürfte, wo er Journalisten nicht mehr unbedingt braucht. Egal wie sehr man darauf pochen mag, dass Journalisten wichtig für die Einordnung und Aufbereitung von Themen sind – es war noch nie so einfach, die Journalisten zu umgehen und direkt zum Quellcode vorzudringen. In diesem Fall scheint es so zu sein, dass man gerne mit seinen Kumpels über Filme quatschen will. Man hat aber vielleicht den Film noch nicht gesehen oder die Kumpels haben keine Lust drauf. Warum sollte man sich also eine in, eventuell hochtrabenden, Filmjournalismus gegossene Meinung anhören, wenn man stattdessen einfach seinen Podcast-Kumpels beim Quatschen zuhören kann. Und anschließend in Kommentaren oder sozialen Medien sogar dem Gespräch beitreten kann.
Das Bedienen der Verweigerungshaltung
Neue Content-Transporteure im Netz, Seiten wie “Buzzfeed”, bedienen genau diese – durchaus legitime – Verweigerungshaltung. Sie präsentieren ihre Inhalte zum Teil in Formen, die mehr als alles andere Zugehörigkeitsgefühl und Augenhöhe vermitteln, beispielsweise in Listen. Das heißt nicht, dass sie nicht trotzdem lehrreich sein können, aber sie entstehen völlig ohne journalistischen Impetus – ohne Minimaldistanz und ohne wirkliche Neuaufbereitung und Kontextualisierung der Quellen.
Antje Schrupp definierte vor kurzem in einem Artikel namens “Brauchen wir noch Journalismus?” wie ich die Recherche als den Schlüsselaspekt, der das eine vom anderen trennt. Journalismus entsteht ihrer Meinung nach dann, wenn der Autor nicht nur das weitergibt, was er ohnehin weiß, sondern sich zusätzlich schlau macht. Ich stehe drauf, wenn ich das Gefühl habe, dass Leute sich zusätzlich schlau gemacht haben, um mir ein möglichst vollständiges Bild eines Sachverhalts zu vermitteln. Aber ich muss irgendwie auch verstehen können, dass man das vielleicht nicht immer will. Auch wenn es mir schwer fällt, das zu akzeptieren, aber: Journalismus ist halt nicht für jeden was.
(Bild: Library of Congress/Flickr Commons)