Superheld:innengeschichten für kleinere Kinder

Ich weiß nicht mehr wirklich, womit es ursprünglich anfing. Mit meinem Hulk T-Shirt, vielleicht, oder mit den Erzählungen eines älteren Kindes aus der Kita, aber irgendwann im letzten Sommer wurde mein Kind, damals gerade vier Jahre alt, Fan von Superheld:innen. Es wollte alles darüber wissen, vor allem natürlich, welche Superkräfte sie haben. Damit konnte ich als MCU-Gucker und gelegentlicher Comicleser einigermaßen dienen.

Das größere Problem: Mein Kind wollte Geschichten erzählt bekommen. Darin bin ich sehr schlecht. Nachdem ich also die stark vereinfachten Versionen der Avengers-Filme mehrfach erzählt hatte, stand ich ein bisschen verloren da und sah mich nach anderen Möglichkeiten um.

Bücher

Es zeigt sich: Ich bin zum Glück nicht der erste Mensch, der sich überlegt hat, wie man Superheld:innengeschichten auch schon für kleinere Kinder aufbereiten kann. Das Motiv wird in diversen Kinderbüchern aufgegriffen, die mich allerdings immer ein bisschen an das Meme “Did a printer write this Tweet” erinnern. In Büchern wie Max und die Superhelden oder Meine Mama ist ein Superheld schreiben Erwachsene für Kinder darüber, dass Erwachsene ja eigentlich auch Superhelden sind. Ich kann nur immer wieder davor warnen, diese Art von plumper Didaktik bei Kindern zu versuchen. Sie sind dafür viel zu clever, und in diesem Fall wollte mein Kind nicht Superhelden, die Eltern sind, sondern echte Superhelden.

Doppelseite aus “Max und die Superhelden” von Rocio Bonilla © Jumbo

Besser funktionierte da schon ein Buch aus der SUPERLESER! Reihe des DK-Verlags (Marvel Avengers – Die Superhelden retten die Welt). Eigentlich zum Selbstlesen für Grundschüler:innen, griff es etwas auf, was schon Jonas Lübkert vor kurzem in seinem Newsletter angemerkt hat: Lexika kommen gut an. Sie enthalten kurze, kompakte Informationsblöcke mit Bildern dazu, die den Wissensdurst stillen. Viele Wörter im Buch waren für mein vierjähriges Kind noch zu kompliziert, aber es entstand ein erster Eindruck vom Superhero Industrial Complex.

Noch besser fand ich aber kurze Zeit später die Spider-Man-Bücher von MacKenzie Cadenhead. Sie richten sich auch eigentlich an Erstleser:innen, eignen sich daher aber auch wirklich gut als Vorlesebücher. Sie erzählen “echte” Superheldengeschichten, haben ein angenehm emanzipiertes und augenzwinkerndes Weltbild dabei und kommen ohne viel Gewalt aus. Gibt’s auch als Hörbuch, gelesen von Tom Hollands deutscher Synchronstimme Christian Zeiger.

“Squirrel Girl? Heißt das, du hast die Fähigkeiten eines Eichhörnchens?” – “Und die Fähigkeiten eines Mädchens! Problem damit?”

aus “Spider-Man gegen Sandman
Screenshot © Random House

Fernsehen

Wir mussten uns selbst etwas überwinden, aber als der viereinhalbte Geburtstag dann irgendwann vorbei war, haben wir unser Kind auch Spidey und seine Super-Freunde (Disney+) gucken lassen. Hier ist die Zielgruppe eindeutig Kinder, die jünger sind als Schulalter, mit allem was seit Paw Patrol dazugehört. Endlose Wiederholungen hirnloser Catchphrases (“Lasst uns Spidey-schwingen!”), identische Suit-Up-Sequenzen in jeder Folge, kostengünstig produzierte Animation in sterilen Umgebungen, die bei allen, die keine Maske tragen, schnell gruselig aussieht.

Dennoch lohnt es sich, auch festzuhalten, was die Serie richtig macht. Eines hat sie nämlich begriffen, das auch mir erst im Laufe der Zeit klar wurde. Kinder im Vorschulalter sehen Superheld:innen vor ihrem inneren Auge ebenfalls als kinder-ähnlich. Sie haben noch nicht die mentale Kapazität, um sich wirklich in die Lebenswelt von Erwachsenen hineinzudenken. Daher sind bei Spidey eigentlich alle Charaktere entweder Kinder oder Eltern.

Das gilt nicht nur für die drei Protagonist:innen. Auch Nebenfiguren wie Hulk und vor allem die Schurken, etwa Rhino, Green Goblin und Doc Ock, sehen nicht nur in ihren Formen aus wie Kinder, sie handeln auch aus sehr einfachen Motivationen heraus, die Kinder verstehen können. Ihre bösen Pläne drehen sich immer entweder darum, andere Menschen zu ärgern oder etwas zu klauen. Warum genau oder was damit später passieren soll, ist egal. Hauptsache, es gibt ein einfaches Problem, was Spidey, Spin und Ghost Spider mit ein paar geschickten Netzwürfen lösen können. Dabei wird immer wieder betont, das sie haben, was den Schurken fehlt: Sie arbeiten zusammen und stehen füreinander ein.

Die Bösewichte in Spidey and His Amazing Friends sehen aus wie etwas ältere Kinder © Disney

Das Ergebnis ist nicht besonders sophisticated, aber in seiner Einfachheit auch ganz spaßig. Zumal man anerkennen muss, dass Disney sich in Sachen Diversity wirklich bemüht. Doc Ock und Electro etwa sind entgegen dem Kanon weibliche Figuren, Gwen/Ghost Spiders Mutter (statt, wie in den Comics normalerweise, ihr Vater) ist Polizistin. Ms. Marvel/Kamala Khan und Black Panther haben regelmäßige Gastauftritte. Kann man also (manchmal) gucken.

And Beyond

Die allerbeste Idee für immer neue Superhelden-Geschichten kam aber letzte Woche von der Programmiererin April King, die darüber twitterte, dass Eltern vorgeschlagen hätten, diese Art von “Erzählst du mir eine Geschichte?”-Geschichten einfach von ChatGPT generieren zu lassen. Und, was soll ich sagen: das funktioniert sehr gut. Man kann ChatGPT ziemlich einfach genau die manchmal etwas abstrusen Plot-Wünsche der Kinder präsentieren. Die generative KI strickt eine Dramaturgie drumherum, die man sich sonst mühsam selbst ausdenken müsste, und verpackt das Ganze in der einfachen Form, die das Kind in solchen Momenten ja auch einfach will. (Ich hoffe doch, dass die meisten Eltern mir zustimmen würden, dass in solchen Momenten gar keine psychologisch komplexen Geschichten gewünscht sind.)

Dabei entsteht dann sowas, basierend auf einem echten Wunsch meines Kindes. Wir haben schon zusammen vor dem Computer gesessen und ChatGPT gefüttert und um Änderungen gebeten. Ich denke, das ist die Zukunft.

Eines Tages wurde ein wertvolles Artefakt aus dem Museum gestohlen und die Avengers waren alarmiert. Captain America und Wasp machten sich auf den Weg, um den Dieb zu finden. Unterwegs trafen sie Thor und Hulk, die ihnen bei der Suche helfen wollten. Sie entdeckten bald, dass der Dieb niemand anderer als Loki war. Er hatte das Artefakt gestohlen, um seine eigene Macht zu stärken und die Welt zu unterwerfen.

Die Avengers kämpften tapfer gegen Loki und seine Armee von Schergen, aber sie waren gegen seine List und Täuschungen machtlos. Wasp schlug schließlich vor, dass sie sich auf Ameisengröße schrumpfen und durch ein kleines Loch in Lokis Versteck schlüpfen sollten. Wasp und Captain America schrumpften sich und krochen durch das Loch. Sie fanden sich in einem riesigen Raum wieder, in dem Lokis Geheimnisse und Macht verborgen waren. Aber sie waren nicht allein. Loki bemerkte sie und versuchte, sie zu fangen.

Wasp flog schnell durch den Raum und umkreiste Loki, während Captain America gegen die Schergen kämpfte. Aber Loki war schlau und er verwandelte sich in einen riesigen Drachen. Es schien, als hätten sie keine Chance gegen ihn. Doch Wasp gab nicht auf. Sie flog auf Lokis Augen zu und stach ihn mit ihrem Stachel. Es war ein gewagter Schritt, aber es zahlte sich aus. Loki brüllte vor Schmerz und verwandelte sich zurück in seine menschliche Form.

Die Avengers waren erfolgreich und Loki wurde gefangen genommen. Sie brachten das Artefakt zurück ins Museum und feierten ihren Sieg. Wasp hatte gezeigt, dass sie eine mutige und kluge Heldin war, die eine entscheidende Rolle in dem Kampf gegen Loki gespielt hatte. Die Avengers waren stolz auf sie und schätzten ihre Fähigkeiten und ihren Mut.

Geht Immer

Piq: Ein Superheld mit Hip Hop-Seele

Auf Netflix hat Marvel in den letzten Jahren sein Superhelden-Imperium um eine bodenständige Serien-Kolonie erweitert. Daredevil, Jessica Jones und nun Luke Cage (ab 30. September) sollen einen Kontrast zu den Kino-Materialschlachten von Iron Man und Co bieten, und kämpfen mit härteren Bandagen in den Straßen von New York.

Nebenher rollen sie aber auch das stereotype Bild vom Superhelden neu auf. Kein All-American-Weißbrot in Uniform, keine sexy Hexy im Catsuit. In den Netflix-Serien sind die moralischen Grenzen ambivalenter und die Helden realer. Nach einem Blinden und einer traumatisierten Frau scheint die Netflix-Welt mit Luke Cage nun erstmals auch bereit für einen Superheld of Color in der Hauptrolle (im Kino folgt nächstes Jahr Black Panther).

Obwohl ich persönlich Daredevil nicht mochte und Jessica Jones zu lang fand: nach diesem Artikel von Jason Tanz freue ich mich sehr auf Luke Cage. Tanz trifft Hauptdarsteller Mike Colter, der schon in Jessica Jones eine gute Figur gemacht hat, und Showrunner Cheo Hodari Coker und spricht mit ihnen über ihre Erwartungen und Einflüsse. Allein dass Coker ein hochdiverses Team um sich scharen konnte und die Musik von Ali Shaheed Muhammad stammt, sollte Luke Cage sehenswert machen.

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Comicfilmsprache: Slow-Motion = Splash Page

Im Pewcast habe ich es schon einmal erwähnt: Ich glaube, Joss Whedon versucht in The Avengers: Age of Ultron die Bildsprache von Comics auf eine neue Art in die Bildsprache von Filmen zu übersetzen.

Whedon ist nicht der erste, der sich darum bemüht. Ang Lee hat in Hulk schon einmal versucht, Panels durch ungewöhnliche Schnitttechnik in Filmbildern zu spiegeln. Auch Zack Snyders Watchmen mit seinem “Motion Poster”-Vorspann und seinen snydertypischen Speed Ramps kann als ein Vorläufer gelten.

Eine der Techniken, mit denen Comics Handlung in Bilder übersetzen, sind die sogenannten Splash Pages und Spreads, in denen gerade in Action-Situationen der Leserin ein Gesamtüberblick über das Geschehen gegeben wird. Wie in einer Art Wimmelbild hat dabei meist jede Figur die Gelegenheit, ihre eigene kleine Aktion auszuführen oder sich zumindest gut in Pose zu werfen. Splash Pages findet man häufig am Anfang und am Ende von Heften, Spreads in der Mitte.

Whedon versucht nun in Age of Ultron mindestens zweimal, das Prinzip dieser Splash Pages, in denen man als Leser ein Festmahl für die Augen geboten bekommmt, in die Filmwelt zu übertragen, indem er komplexe Einstellungen montiert und diese in Zeitlupe ablaufen lässt. Nur durch die Zeitlupe hat man als Zuschauerin die Gelegenheit, alle Einzelposen und das Gesamtbild wahrzunehmen.

Der erste der beiden Shots war auch im Trailer zu sehen, stammt aus der Eröffnungssequenz und liegt glücklicherweise bereits als GIF vor.

Das Bild ist eindeutig aus mehreren Shots zusammenkomponiert – wenn es nicht sogar komplett digital ist. Im entscheidenden Moment verlangsamt es sich enorm, so dass man perfekt die unterschiedlichen Angriffsposen von Black Widow, Thor und Hawkeye im Hintergrund sowie Iron Man, Cap und Hulk im Vordergrund studieren kann (diese Reihenfolge sagt natürlich auch etwas über die Hierarchie der Avengers aus).

Das kann man jetzt zum Beispiel vergleichen mit diesem Spread aus dem “Infinity Gauntlet”-Comic, dessen Verfilmung uns ja noch bevorsteht.

© Marvel

Ein zweites Mal nutzt Whedon die Taktik im Endkampf gegen Ultron, als (SPOILER) die Avengers gemeinsam das zentrale Kontrollpanel gegen Ultrons Schergen verteidigen. Auch hier verlangsamt sich das Geschehen plötzlich und wir bekommen zu sehen, dass jeder der Avengers in seinem Quadranten gerade eine Kampfdrohne auf seine typische Weise ins Nirwana schickt.

[Nachtrag, 19.11 Uhr, Marvel hat den Shot für eine Promo auf Instagram genutzt]

Vergleichbar etwa mit diesem großen Panel aus “Age of Ultron”, dem Comic.

© Marvel

In gewisser Weise entwickelt Whedon damit auch seine berühmte Kreisfahrt aus dem ersten Teil weiter.

Wie immer, wenn ich Theorien über Comics habe, frage ich meinen befreundeten Comic-Experten Jochen Ecke um Rat. Der antwortete mir in mehreren Tweets:

Yep! Reveling in objects and bodies and their meaning and the emotions they evoke: sure is very splash pagey. Not the same, but close enough. Has its own advantages because it’s (occasionally) real bodies, real people. Impossible to replicate certain compositions and the complete lack of fixed duration in comics, though.

Für die Zukunft würde es mir völlig reichen, einen großen Kampf in fünf bis zehn solcher bewegten Panels zusammengefasst bekommen, statt ewig dabei zuzuschauen, wie Pixel aufeinanderprallen.

Sind euch ähnliche Techniken in anderen Filmen aufgefallen?

Podgast (VIII)

Mit Sascha habe ich über Age of Ultron gesprochen.

Mit dem Kinostart von Marvels Avengers: Age of Ultron hat die diesjährige Blockbustersaison endgültig begonnen. Iron Man, Captain America, Hulk, Thor und eine ganze Reihe an alten und neuen Helden müssen sich dieses Mal der künstlichen Intelligenz Ultron stellen, die die Menschheit auslöschen will, um den Planeten zu retten. Zusammen mit Pew-Freund Alex Matzkeit von Real Virtuality streite ich mich im neuen PewCast ganz gemäßg dem kommenden Civil War darüber, ob Joss Whedons One-Liner noch zeitgemäß sind, ob der Film einen Plot hat, wieso das CGI trotz der hohen Produktionskosten in seiner Qualität so schwankt und ob es eine Rolle spielt, dass die Avengers am Ende gewinnen.

Auf zum Pewcast.

Film-Franchising: Bilanz und Ausblick

© Disney

Avengers: Age of Ultron

Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle eine Vorschau auf die Franchise-Entwicklungen des kommenden Jahres veröffentlicht. Das möchte ich dieses Jahr wieder tun. Doch es lohnt sich, zunächst einen längeren Blick zurückzuwerfen, denn 2014 war in vielerlei Hinsicht ein entscheidendes Jahr in Sachen Film-Franchising. Wie immer: vage SPOILER für alle Entwicklungen bis heute.

Ich muss am Anfang doch erst noch einmal die Avengers erwähnen. Film-Franchising ist in Hollywood nun wirklich nichts Neues, aber Joss Whedons Film hat 2012 einfach der ganzen Industrie bewiesen, dass es nicht nur grundsätzlich funktioniert, dass Prinzip des Crossover-Comics auf die Welt der Big-Budget-Filme zu übertragen, sondern dass man damit auch unfassbar viel Geld verdienen kann. Wieviel Geld? Dritterfolgreichster-Film-aller-Zeiten-viel.

Die Ergebnisse dieser Erkenntnis im Jahr 2012 konnte man 2014 im Kino sehen. Jene Studios, die sich schon länger im Spiel befinden, fühlten sich in ihrem bisherigen Tun bestärkt und lieferten vergleichsweise erzählerisch mutige Filme ab. Die beiden Disney/Marvel-Filme etwa: Captain America: The Winter Soldier, in dem die Grundordnung des filmischen Universums auf den Kopf gestellt wird und Guardians of the Galaxy, dessen Franchise-Fäden ihn nur sehr dünn mit dem Rest dieses Universums verbinden, und der sich trotzdem voll auf die Marke Marvel lehnen konnte. Dito Fox mit X-Men: Days of Future Past, der voller Verve zwei filmische Universen miteinander verschmolz, um so die bisher erzählten Geschichten quasi ohne Abzusetzen weiterführen zu können.

Nachrüsten mit Marvelsaft

Auf der anderen Seite konnte man den anderen Studios dabei zusehen, wie sie sich mehr schlecht als Recht bemühten, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, indem sie bereits in Entwicklung befindliche oder sogar bereits abgedrehte Filme mühsam mit Marvelsaft nachrüsteten. The Amazing Spider-Man 2 ist das wahrscheinlich beste Beispiel für einen Film, der bei der Kritik vor allem deswegen durchfiel, weil man ihm ansah, wie das ursprüngliche Drehbuch durch diverse Anbauten im Nachhinein franchise-tauglicher gemacht wurde. Universal machte das gleiche mit Dracula Untold, aus dem sie mit einem End-Credits-Tag nachträglich den ersten Akt eines Monster-Universums schufen.

© Universal

Dracula Untold

Ich fühlte mich extrem an den Postkonvertierungs-3D-Boom von 2011 erinnert, und an die Wut die sich über Filme wie Clash of the Titans im Nachgang von Avatar ergoss, als “Marvel-Style Shared Universes” im Herbst 2014 auf der generellen Hassliste selbst von Nerd-Kritikern ganz oben landete. Es half sicher nicht, dass sowohl Warner/DC als auch Disney/Marvel sich in ihrem Erfolg so bestätigt fühlten, dass sie auf großen Events ihre geplanten Filmkalender gleich für die nächsten fünf Jahre vorstellten, was gerade bei jenem Teil der Bevölkerung zu Kopfschmerzen führte, der ins Kino geht, um dort so etwas Ähnliches wie Kunst zu erleben.

Hat Mark Harris recht?

Den besten, weil reflektiertesten, Artikel zum Thema verfasste Mark Harris bei “Grantland”. Harris erkennt die lange Geschichte an, die Hollywood mit Franchises hat und die bis in die Stummfilmzeit zurückreicht. Er weist darauf hin, dass Charakterstudien und ähnliche Formate ins Fernsehen gewandert sind, wo sie mehr Raum haben. Und doch kommt er zu einem bitteren Ergebnis:

The future of Hollywood movies right now — at least, as it lives in the hands of five-year planners — feels somehow small and cautious, a dream dreamed by people whose sugarplum visions of profit maximization depend on the belief that things will never change.

Ich muss sagen, dass auch ich überrascht war, als Marvel im Oktober seinen “Slate” bis 2019 vorstellte. Studiochef Kevin Feige hatte in der Vergangenheit of genug das Mantra wiederholt, dass langfristige Pläne bei Marvel immer hinter der Absicht zurückstecken müssen, den nächsten Film so gut wie möglich zu machen. Mit der Enthüllung ihres Plans vom “Infinity War”, den “Inhumans” und “Captain Marvel” aber legt sich das Studio für die kommenden Jahre extrem fest und schließt – genau wie Harris sagt – eine große Wette darauf ab, dass ihr jetziger Erfolg anhält. Auch der Streit rund um Ant-Man, der sich im Mai entlud, spricht für diese Entwicklung. Der Abspann von 22 Jump Street liefert die passende Parodie dazu.

© 20th Century Fox

Dawn of the Planet of the Apes

Dennoch muss man auch anerkennen, welche interessanten Momente das Jahr 2014 in Sachen Franchising hervorgebracht hat. Von dem bereits erwähnten X-Men: Days of Future Past, der ähnlich wie zuvor Star Trek mithilfe eines Zeitreiseplots einen nahtlosen Übergang von Sequels zu Prequels schaffte, bis zu Dawn of the Planet of the Apes, der gelungen eine Mythologie weiterspinnt und deren weiße Flecken füllt, ohne sich zu sklavisch an seine Vorlage zu ketten. In ihrer Verbindung von erzählerischen Volten und geschickter Marketingpolitik bleiben diese Filme Faszinosa. Anders übrigens als The Hobbit: The Battle of the Five Armies, an dem sich im Dezember die gesamte Enttäuschung über die LotR-fizierung von Jacksons zweiter Trilogie endgültig Bahn brach.

Der größte Coup gelang aber wieder einmal Marvel Studios, die im Frühjahr in Captain America: The Winter Soldier ein Ereignis einbauten, dessen Auswirkungen auf andere Bereiche des Franchise-Universums parallel zum Release des Films im Fernsehen verfolgt werden konnten. Nach dem Charakter-Crossover von The Avengers ist diese Event-Synchronität schon die zweite Comic-Mechanik, die das Studio erfolgreich in die Welt der bewegten Bilder transponiert hat. Man darf ruhig mal anerkennen, dass diese Form der Programmierung Live-Erlebnisse schafft, die im Zeitalter der ständigen Verfügbarkeit von Medieninhalten immer noch etwas besonderes sind.

Auf dem Weg zu den Inhumans

Wohin also führen uns diese Entwicklungen im Jahr 2015? Marvel Studios dominiert wie schon letztes Jahr die erste Jahreshälfte. Agent Carter, die neueste Marvel-Serie läuft in diesen Wochen in der Saisonpause von Agents of S.H.I.E.L.D. und erweitert das Marvel Cinematic Universe um Erzählungen aus der bisher noch nicht beleuchteten Nachkriegszeit. Erwartbar ist, dass Marvel versuchen wird, den Coup des Vorjahres zu wiederholen und sowohl Agent Carter als auch Agents of S.H.I.E.L.D. in irgendeiner Weise mit dem Start von Avengers: Age of Ultron am 1. Mai (in Deutschland am 30. April) zu verschränken. Im Gegensatz dazu steht Daredevil (10. April), der ersten von vier Serien, die Marvel für Netflix produziert hat wohl in einer etwas anderen Ecke des MCU, heißt es.

Age of Ultron selbst wirkt den bisherigen Trailern zufolge wie ein erster Schritt in ein etwas düstereres Marvel-Universum, das sich 2016 mit Captain America: Civil War fortsetzen wird. Der relativ generisch aussehende Ant-Man (23. Juli), der ja eher eine Komödie werden soll (Drehbuch: Adam McKay, Paul Rudd, Edgar Wright, Joe Cornish), mag da gar nicht so richtig reinpassen. Genausowenig wie in den nächsten großen Story-Arc im Marvel Cinematic Universe, das Erwachen der sogenannten “Inhumans”, die Marvel Studios wohl als Alternative zu den X-Men positionieren will, an denen sie keine Rechte haben. Die ersten Samen für die Inhumans-Story wurde im Mid-Season-Finale von Agents of S.H.I.E.L.D. gepflanzt. In Age of Ultron werden dann wohl schon zwei Inhumans mitspielen: Scarlet Witch und Quicksilver.

© Disney

The Force Awakens

Alle Kanonen in Stellung

Es ist kein Wunder, dass bei Marvel Studios im Herbst nichts mehr passiert, denn spätestens ab August wird Mutterschiff Disney alle Kanonen in Stellung bringen, um das größte Blockbuster-Event des Jahres hochzuhypen: Star Wars – Episode VII: The Force Awakens (17. Dezember). Aus Franchising-Sicht sind daran vor allem drei Dinge interessant: Erstens, dass Disney bereits 2014 die Entscheidung getroffen hat, den bisher etablierten Kanon des Story-Universums neu zu sortieren, um sich mehr erzählerische Manövrierfähigkeit zu schaffen. Zweitens, dass wohl noch zu später Stunde in der Pre-Production die Entscheidung fiel, den Soft Reboot des Star-Wars-Universums noch softer zu machen, als zuvor geplant und deutlich mehr Fokus auf bereits etablierte Charaktere zu legen (auch wenn der erste Trailer das Gegenteil suggeriert). Drittens, dass Star Wars in Zukunft auch im Kino zu einem “Shared Universe” wird, bei dem die großen “Episoden” begleitet werden von Spinoff-Filmen auf anderen Zeitstrahlen, von denen der erste bereits 2016 ins Kino kommt.

2016 wird auch das Jahr, in dem es für DC/Warner so richtig in die Vollen geht, wenn sowohl Batman v Superman: Dawn of Justice als auch Suicide Squad starten, die wahrscheinlich in bester Nolan/Snyder-Manier beide sehr düster werden. 2015 hält das Studio noch ein wenig die Füße still und konzentriert sich auf den Erfolg seiner Superhelden-Fernsehserien Arrow, Flash und Gotham. Zumindest Arrow und Flash wurde im Dezember 2014 auch bereits ein Crossover geschenkt. Weitere sollen folgen. (Disclaimer: Ich verfolge die DC-Serien nicht. Vielleicht kann jemand in den Kommentaren ergänzen, was uns dort Tolles erwartet.)

Ein weiterer Superheldenfilm wird uns 2015 noch heimsuchen: der Reboot von The Fantastic Four (6. August), zu dem gerade der erste Trailer veröffentlicht wurde. Da 20th Century Fox (X-Men) produzierendes Studio ist, liegt die Vermutung nahe, dass auch hier ein Crossover geplant ist. Bis auf die Tatsache, dass Drehbuchautor Simon Kinberg gesagt hat, er fände das spannend, gibt es aber noch keine Pläne.

© Paramount

Terminator: Genisys

No Fate

Terminator: Genisys (Paramount, 9. Juli) wird entweder eine brillante Zeitreise-Reflektion à la Back to the Future – Part II oder ein gigantischer Clusterfuck. Das Franchise hat sich schon immer im Kern darum gedreht, ob es so etwas wie Schicksal gibt und während der letzte von James Cameron inszenierte Teil von 1991 darauf noch die eindeutige Antwort “Nein” gab, wurde mit dem Konzept seitdem in der Serie The Sarah Connor Chronicles und dem missglückten Sequel Salvation immer wieder gespielt. Genisys scheint jetzt alles bisher passierte neu verquirlen zu wollen und wirft die Elemente und Zeitebenen wild durcheinander. Bisher ist das Ergebnis eher Ratlosigkeit.

Mit ein paar Ausnahmen sind alle weiteren Franchise-Filme, die für 2015 geplant sind, “reguläre” Fortsetzungen der alten Schule, die einfach nur mehr Geschichte aus etablierten Figuren herausholen, wie man Mark Harris’ Tabelle entnehmen kann. Gut zu erkennen ist das meist an der Zahl im Titel. Sowohl von Pitch Perfect 2 (14. Mai) als auch von Mission:Impossible 5 (14. Januar 2016) sollte man also keine narrativen Zaubertricks erwarten.

Was sind die Ausnahmen? Da ist einmal Jurassic World (11. Juni), der ein totgeglaubtes Franchise mithilfe eines Soft Reboot wieder zum Leben erwecken soll. Soft Reboot deshalb, weil die Bezüge zur Original-Trilogie – über die Idee des Dinoklonens hinaus – wahrscheinlich minimal sein werden – weder spielt der Film zeitlich nahe an Jurassic Park 1 bis 3, noch sind Figuren des Originals involviert. (Ergänzung: Allerdings spielt der Film auf der gleichen Insel wie die Ursprungsverfilmung und getwitterte Bilder lassen vermuten, dass es doch direkte Storybezüge geben könnte.)

Mad Max: Fury Road

Furious 7 (2. April) wird eigentlich nur deswegen interessant, weil der noch nicht abgedrehte Film irgendwie so umgestrickt werden musste, dass er den Tod eines Hauptdarstellers während der Dreharbeiten kaschiert, ebenso wie The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 (19. November). Nachdem die James-Bond-Serie jahrzehntelang mit wenig Zusammenhalt zwischen den Filmen auskam, ist sie seit dem Reboot mit Casino Royale einer konkreten Storyline gefolgt, die in Skyfall mit dem Tod von M ein vorläufiges Ende-im-Anfang gefunden hat. Es wird interessant sein, zu sehen, wo genau Spectre (5. November) jetzt ansetzen wird.

Und dann ist da noch Mad Max: Fury Road (14. Mai), dessen Trailer bei einigen Leuten kleinere Orgasmen ausgelöst hat und mir irgendwie ziemlich egal ist. Bemerkenswert ist er vor allem deswegen, weil hier ein Regisseur 30 (!) Jahre nach dem letzten Film der Serie zu seinem eigenen Franchise zurückkehrt. Da bis heute niemand weiß, worum es in Fury Road eigentlich gehen wird – außer, dass er im Grunde eine einzige lange Verfolgungsjagd ist – kann davon ausgegangen werden, dass die Verwandschaft mit den Vorgängen auch eher in Motiven und Emotionen liegen wird, als in harten Storybezügen Die offizielle Synopsis des Films sagt an, dass der Film, der eine einzige lange Verfolgungsjagd sein soll, direkt nach den Ereignissen von Beyond Thunderdome von 1985 weitergeht.

Das Vermächtnis von Avatar

Ende des letzten Jahres landeten gleich drei Artikel in meinem Feedreader, die sich damit beschäftigten, dass James Camerons Avatar über den 3D-Boom hinaus kaum popkulturelle Fußstapfen hinterlassen hat (1, 2, 3), obwohl er vor fünf Jahren so ein Riesenerfolg war. Ich denke manchmal darüber nach, ob man den Filmen aus dieser jetzigen Spitzenzeit der “Cinematic Universes” in einigen Jahren den gleichen Vorwurf machen wird, eben weil die Franchisifikation von Geschichten auch viele Nachteile mit sich bringt.

Und in der Tat fand ich etwa Captain America: The Winter Soldier und Guardians of the Galaxy in der Zweitsichtung deutlich weniger beeindruckend, als im Mahlstrohm der Hypemaschine zum Kinostart. Die kommenden zwei Jahre werden wahrscheinlich darüber entscheiden, wie ergiebig die Zukunft dieses filmischen Modells noch ist – ob wir uns wirklich auf Franchises bis zum Sanktnimmerleinstag einstellen müssen, oder ob das Publikum gegen die nicht enden wollenden Versprechungen von immer neuen Superlativen irgendwann an der Kinokasse abstimmt. 2016 2017 jedenfalls kommt auch der erste Teil einer neuen Avatar-Trilogie ins Kino und James Cameron gehört zu den wenigen Regisseuren, die wirklich gute Fortsetzungen geschaffen haben. Man wird sehen, ob der Zeitgeist dann immer noch auf seiner Seite ist.

Nachtrag, 1. Februar: Sascha von “Pew Pew Pew” und Gerold von “DigitaleLeinwand” haben mich auf ein paar Fehler im Text hingewiesen, die ich korrigiert habe. Außerdem bin ich, wie Gerold zurecht schimpft, in meinem Rundumschlag am Schluss natürlich über ein paar Franchises hinweggehuscht, über die ich auch noch ausführlicher hätte schreiben können, aber es nicht getan habe, weil ich sie nicht (gut) kenne.

  • Paranormal Activity bekommt 2015 bereits seinen 6. Teil und sogar David Bordwell hat schon einmal darüber geschrieben wie das Franchise seine eigenen Methoden immer wieder interessant variiert, reflektiert und bricht.
  • Disney baut sich unbemerkt von einem großen Teil der Welt ein Imperium mit seinen Tinkerbell-Filmen auf. Tinkerbell und das Nimmerbiest (März in den USA) wird Teil 6 der erfolgreichen Reihe, die ich mir allein aus Forschungsinteresse gerne mal anschauen würde.
  • Despicable Me bekommt mit Minions (2. Juli) ein Spinoff, ähnlich wie es Madagascar 2014 mit The Penguins of Madagascar bekommen hat. Das Thema “Sidekicks sind viel interessanter als Hauptcharaktere und die Industrie nutzt das jetzt auch erzählerisch aus” wäre wahrscheinlich auch mal einen Blogpost wert, wenn ich beide Filme gesehen habe.
  • Ein neuer Asterix-Film startet schon in ein paar Wochen. Dazu arbeite ich bereits an einer Rückschau auf die bisherigen Zeichentrickabenteuer.

Quotes of Quotes (XXVI) – Markus and McFeely on “Agent Carter” within the MCU

How much of the bigger Marvel Universe are you weaving in?

[Screenwriter/Co-Creator Christopher] McFeely: We can’t help but weave in the Marvel Universe. We’ve been at this for a few years now. All of our reference points are within the universe. We need a scientist character. We didn’t go very far to come up with Anton Vanko, just as a very small part scientist character. If you know what he is, or what he goes on to be, that’s interesting. If not, he’s the Russian scientist.

[Screenwriter/Co-Creator Stephen] Markus: Also, working in the past where you already know the future — obviously, we saw ninety-something old Peggy — there are references being made, whether you do them on purpose or not. We know Hydra eventually took over S.H.I.E.L.D. When somebody says something hopeful about the future in Agent Carter, that is going to be tinged with the fact we know the future didn’t work out that well. There are plenty of little indicators of the future going forward, and the legacy of both the S.S.R. and Howard’s technology that will have ramifications later.

It’s almost like the M. Night Shyamalan curse, though. Viewers always expect some crazy twist in his movies. With Marvel, people anticipate all these tie-ins to other projects.

McFeely: I suppose it has the red box on the front. It’s a Marvel project, so they are going to expect something. But we’ve really tried to make the best show, about an interesting character in a world where there are some glowing objects and where a superhero has died.

Markus: We are also slightly freed up from that interconnection by the period. On “Agents of S.H.I.E.L.D.,” Captain America and Iron Man and everybody are running around in that same world and same time period. They could theoretically show up at the door. There’s nobody around during “Agent Carter.” You can’t have an end-of-the-credits tag where Nick Fury shows up and talks to Peggy. He hasn’t been conceived yet. We’re a little cocooned.
– from an Interview at Comicbookresources.com

(vgl.)

Recap: Agents of SHIELD – Season 2, Episode 9 “Ye who enter here”

© ABC

Ich glaube, es war in Folge 16 der ersten Staffel, “The End of the Beginning”, in der Skye offiziell eine SHIELD-Agentin wird, dass Agents of SHIELD das alte Whedon-Prinzip des Teams als Familie (das wiederum auf dem alten Stan-Lee-Prinzip des Teams als Familie beruht) zum ersten Mal so richtig raushängen ließ. Skye, so glaubten wir damals noch, ist Waise, also ist es klar, dass sie sich in Fitz, Simmons, May, Ward und Coulson eine Ersatzfamilie sucht.

Folge neun der zweiten Staffel von Agents of SHIELD beginnt mit einer Albtraumsequenz, in der Skye durch die SHIELD-Bunker läuft, in einem Kleid, dass diese Kleines-Mädchen-Große-Welt-Rolle noch einmal in Erinnerung ruft. Und das, wo sich Skye doch in den letzten Folgen so angestrengt hat, erwachsen, taff und verantwortlich zu sein.

Erweiterte Familie

Inzwischen ist nicht nur klar, dass Skye keine Waise ist, die Serie hat auch vor allem der Familie immer mehr Mitglieder hinzugefügt. Das war auch dringend nötig, denn die dünne Dynamik der Mama-Papa-großer-Bruder-und-die-Zwillinge-Konstellation bewies mehr als einmal, dass sie nicht sonderlich gut trägt und einfach zu viele Klischees auf zu wenig Figuren vereint. Zur Ursprungsmannschaft ist mit Tripplet, dem ehemaligen Ziehsohn des Verräters Garret, eine Art cooler Pflegebruder hinzugekommen; außerdem hat sich die Großfamilie mit dem Team von Lance, Bobbi und Mack (mit ihrer verstorbenen “Mutter” Isabelle Hartley) um eine Runde Cousins und Cousinen erweitert.

Was das Erzählerische angeht, trägt diese Auswahl an Familienmitgliedern einen großen Teil dazu bei, dass die Serie endlich ihren Rhythmus gefunden zu haben scheint. Auch in “… Ye who enter here” (Dantes Inferno, anyone?), der wahrscheinlich vorletzten Folge in diesem Jahr, gibt es genügend Raum für Gespräche in vielen verschiedenen Konstellationen, die in Sachen Interaktionsdynamik eine große Bandbreite zulassen, von albern bis todernst und überall dazwischen.

Kein Fremdschäm-Museum

Endlich scheint die Serie genug Atemluft zu haben, um sowohl richtig kindische Comic-Szenen wie die Verfolgungsjagd von Raina – Agent 33 mit einer kaputten Maske, Koenig mit einem Tarn-Regenschirm – als auch wichtige Charaktermomente wie die erste richtige Aussprache zwischen Fitz, der Simmons liebt, und Simmons, die Tripplet toll findet, zu beherbergen. Und das, ohne dabei zum Fremdschäm-Museum zu werden. Wenn Skye Coulson verlegen umarmt, bevor die beiden auf unterschiedliche Missionen gehen, wirkt das zum ersten Mal nicht mehr wie vom Drehbuch diktiert, sondern von den Charakteren verdient.

So gut sich die Charakterdynamik auch entwickelt, die Production Value-Logik sinkt teilweise sogar wieder unter das Niveau von Staffel eins. Die Folge braucht zwei externe Lokalitäten und entscheidet sich für Vancouver, wo ein Großteil von Hollywood sowieso seine “Runaway Productions” dreht und Puerto Rico, anscheinend das Exotischste, was mit dem Staffelbudget machbar war.

Showdown wie immer drinnen

An beiden Orten gönnt man sich ein paar kleine Außenszenen, kehrt aber möglichst bald wieder in sicheres Backlot- und Soundstage-Territorium zurück. Der Showdown dieser Folge, die plotmäßig im Grunde nicht mehr ist als ein einziger großer Aufbau für das Herbstfinale kommende Woche, findet praktischerweise zum x-ten Mal in einem geschlossenen Raum statt. Okay, es ist eine Höhle, die den Eingang zu einer mystischen unterirdischen Stadt darstellt, aber das wissen wir auch nur, weil sie es uns gesagt haben.

Ach ja, und Raina enthüllt, dass die außerirdische Rasse, die den “Diviner” gebaut hat und deren Blut der Grundstoff für Projekt T.A.H.I.T.I. war, die Kree sind. Jene Kree, die auch in Guardians of the Galaxy auftauchen, am prominentesten in der Person von Ronan the Accuser, dem Levelboss des Blockbusters. Aber was sagt uns das, ohne dass wir bisher irgendetwas von ihrer Stadt zu sehen bekommen oder von ihren Plänen erfahren haben, wirklich? Sie wollen die Erde in Schutt und Asche legen und nur die, die es wert sind, am Leben lassen? Das sagt Raina, aber es könnte auch nur eine Legende sein. Warten wir es ab.

Bester Moment: Schwarzer Bus von links nietet überraschend zwei Hydranten um, die gerade Raina einsacken wollten.

Beste Dialogzeile: “That’s not wood, is it?”

Note: 2

Dieser Recap erscheint auch auf “Serien.Ninja”

Film-Blog-Adventskalender – 1 – Real Virtuality

Ich habe gedacht, ich mache dieses Jahr mal den Anfang und empfehle einfach ganz schnöde ein Buch, das mir in diesem Jahr viel Freude bereitet hat. “Marvel Comics: The Untold Story” von Sean Howe ist die Art journalistisches Sachbuch, die man wegliest wie einen guten Krimi. Man muss sich nicht einmal zwangsläufig mit Comics auskennen (was ich ja auch nur mäßig tue), um an dieser Firmengeschichte durch die Jahrzehnte Spaß zu haben.

Howe hat unzählige Interviews geführt mit so ziemlich jedem, der mal bei Marvel gearbeitet hat. Außerdem hat er sehr tief gegraben, um die Vorläufer heutiger Internetforen und Blogs – Fanzines und andere Amateur-Publikationen – ausfindig zu machen, die im Zeitalter vor dem Mainstream-Boom des Mediums so ziemlich die einzige Quelle zum Thema waren. Aufgeschrieben wird das Ganze zu einer Achterbahnfahrt, welche die turbulente Geschichte des Unternehmens nachzeichnet, von den Anfängen in den Vierzigern, zum Lee/Kirby-Aufstieg in den Sechzigern und den psychedelischen Siebzigern und schließlich zum Totalausverkauf oder der Rettung des Mediums in den Achtzigern und Neunzigern (je nachdem, wen man fragt). Ich hab beim Lesen eine Menge gelernt, gut unterhalten wurde ich auch noch und ab sofort kenne ich beim Entdecken neuer Marvel-Comics wenigstens den historischen Zusammenhang. Also wenn ihr Comicfans kennt – ein todsicherer Tipp.

Dieser Eintrag ist Teil des Filmblog-Adventskalenders 2014. 24 Türchen, 24 Blogs, 24 Geschenke.

Sperrfristen-Spiele, Presse-Privilegien und Marketing-Machenschaften (Update)

© Disney

(Update, 31. Juli, 16:20 Uhr: Per Anruf wurde ich gerade informiert, dass die Sperrfrist für Guardians of the Galaxy auf morgen mittag (1.8. – Startdatum in den USA) verkürzt wurde. Kein Kommentar.)

(Update, 26. Juli, 10:26 Uhr: Ich habe Marvel anscheinend so sehr genervt, dass sie mir gerade doch eine Twitter-Direktnachricht geschrieben haben, in der sie mir mitteilten, dass kurze Eindrücke okay, aber lange Besprechungen nicht erwünscht sind. Das war mir natürlich vorher klar – ich frage mich nur, warum man das nicht einfach öffentlich sagt. Damit nicht gewiefte Journalisten versuchen, wieder Schlupflöcher im System zu finden? Egal. Ich möchte damit nur einmal loswerden, dass ich Guardians of the Galaxy absolut famos fand und mich sicherlich noch viel daran abarbeiten werde. Bei all dem Ärger, der aus diesem Artikel spricht: Ich mag Marvel und Disney doch, sonst würde ich mir nicht so viele Gedanken um sie machen.)


Ich habe heute Abend Marvels neuesten Streich Guardians of the Galaxy gesehen. Zeitgleich mit den Besuchern der Europa-Premiere in London und mit hunderten anderen Menschen in Deutschland. Der Grund: Eine spezielle Preview, veranstaltet von ProSieben und anderen Gewinnspielanbietern, um im Vorfeld eine positive Grundstimmung für den Film zu erzeugen. Wer den Film gesehen hat und ihn gut fand, so die Logik, wird davon seinen Freunden erzählen. Und die werden davon ihren Freunden erzählen, und so weiter. Und dann gehen alle gleich am Eröffnungswochenende ins Kino, weil sie sich so auf den Film freuen. In Deutschland ist dies das Wochenende vom 28. August, also in fünf Wochen.

Allerdings, wenn meine Freunde und Bekannten im Internet zu Hause sind – auf Twitter, Facebook oder als Leser dieses Blogs – darf ich ihnen nicht davon erzählen, wie ich den Film fand. Das darf ich erst ab 15. August, weil “auf den Besprechungen zum Film eine Sperrfrist bis einschließlich 15. August 2014 liegt. Dies gilt für alle Medien (Print, Online, TV, Radio) inkl. Blogs, Sozialer Netzwerke und Webseiten”. Ein Zitat aus der Presse-Einladung zum Film. Klar: Wenn ich jetzt schon aufschreibe, wie ich den Film fand, besteht die Gefahr, dass das hoffentlich positive Summen, das den Film umgibt, zu früh verpufft. Nach dem Sommerurlaub Ende August haben dann schon wieder alle vergessen, was Menschen vor einem Monat über Guardians gesagt haben; und die ganze Mühe, die in das Anfachen des Feuers gesteckt wurde, war umsonst.

In über 40 Ländern

Die Denke dahinter ist verständlich. Nur: Am 15. August werden die Presse und die Gäste der Preview nicht die einzigen sein, die den Film gesehen haben. Bis dahin ist der Film in über 40 Ländern gestartet. Viel wichtiger: In seinem Hauptmarkt USA startet der Film am 1. August, zwei Wochen vorher. Das Internet – dieses globale Medium, das man überall lesen kann – wird voll sein mit Besprechungen. Würde ich meinen Sommerurlaub zufällig in den USA machen und den Film dort regulär im Kino sehen, dürfte ich ihn dann auch nicht besprechen? Was ist, wenn ich nicht in den USA war, aber behaupte, dort gewesen zu sein und ihn dort noch einmal gesehen zu haben? Was ist, wenn ein Freund von mir, der in den USA lebt, den Film dort im Kino sieht und mir anschließend davon erzählt – dürfte ich ihm beipflichten oder widersprechen? Dürfte ich einen Artikel verfassen, der Kritiken aus den USA aggregiert und am Ende schreiben: “Nur aufgrund der hier angegebenen Kritiken und natürlich keinesfalls aufgrund der Tatsache, dass ich den Film schon gesehen habe, denke ich, dass er gut/schlecht ist”?

Genug der Absurditäten.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Filmjournalisten eine privilegierte Beziehung zu Filmen haben. Verleiher stellen uns vorab Zugang zu ihren Filmen zur Verfügung, obwohl sie das in den meisten Fällen – sind wir mal ganz ehrlich – nicht müssten. Gerade die großen Hollywood-Blockbuster brauchen Kritiken so sehr wie eine Katze einen Motorroller. Daher kann es auch ein Til Schweiger sich erlauben, einen Film wie Schutzengel Journalisten erst gar nicht vorab zu zeigen. Die Leute gehen eh rein. Das Ganze ist, wie so oft im Wechselspiel von PR und Journalismus, ein Tanz. Kritiker bekommen alle Filme vorab zu sehen, damit sie alle Filme gleich behandeln. Denn bei kleineren Filmen können gute Kritiken durchaus mal zum Erfolg verhelfen, also wägt man als Verleiher (oder vom Verleiher beauftragte PR-Firma) ab, dass man sich seine Filmkritiker lieber insgesamt warm hält. So läuft das halt im Geschäftsleben.

Merkwürdiger Hilferuf

Dass ich selber Filmjournalismus gerne lese und der Meinung bin, dass Filmkritik durchaus einen Beitrag zur kulturellen Debatte liefert, ändert nichts daran, dass ich finde, Filmkritiker nehmen sich selbst ein bisschen wichtig. Das Flugblatt für aktivistische Filmkritik des VDFK (dem ich immer noch nicht beigetreten bin, obwohl ich einige Male kurz davor war) habe ich nicht unterschrieben, weil es mir wie ein merkwürdiger Hilferuf von jemandem vorkam, der gerne mehr Bedeutung hätte, als er hat. Da wird angeklagt, dass sich viele Filmkritiker der Marketing-Maschine der Verleiher nicht widersetzen und sich mit einer “5 Sterne, unbedingt reingehen”-Kritik zufrieden geben, wenn sie doch Relevantes, “Aktivistisches” schreiben könnten, was kulturelle Bedeutung schafft. Als könnte das in einem freien Markt nicht jeder für sich entscheiden.

Schreibt halt selbst gute Sachen! kann und will ich da immer nur ausrufen. Und beschwert euch nicht über ein System, das euch zurückgelassen hat, weil ihr euch lieber im Geschwurbel versteckt, statt Relevanz zu schaffen. Und wenn ihr eure Sachen für gut haltet und niemand sie drucken oder bezahlen will, dann findet selbst einen Ort dafür. Qualität setzt sich durch. Das Anspruchsdenken, das manchmal aus Institutionen wie dem VDFK trieft, zum Beispiel wenn er fordert, selbst wählen zu können, in welcher Sprachfassung die Pressevorführungen stattfinden oder wie im Schutzengel-Fall behauptet, es wäre Behinderung der Presse, wenn Schweiger keine kostenlosen Vorab-Vorstellungen veanstaltet, ist typisch für den deutschen Kulturbetrieb. Ich beobachte es immer wieder. Gesellschaftliche Relevanz wird nicht erarbeitet. Sie wird einfach postuliert. Aus Tradition oder aus einem Selbstverständnis voller Hybris.

Das Spiel mitspielen – oder nicht

Ich liebe Journalismus, ich sehe mich selbst immer noch als Journalist, obwohl ich das meiste Geld mit PR (allerdings nicht Film PR) verdiene. Und dennoch bricht mich die Selbstgefälligkeit, mit der viele Journalisten die Welt beschreiten immer wieder an. Nicht nur beim “Spiegel”. Man muss sein Rebellentum dann aber meiner Ansicht nicht dadurch demonstrieren, indem man auch von Filmen einen Kritikerspiegel veröffentlicht, die noch nicht ihre Welturaufführung erlebt haben. Als wollte man sich damit dafür rächen, dass man sonst oft am kürzeren Hebel sitzt. Welchen Pyrrhussieg man damit feiern kann, sei dahingestellt. (Ja, Dennis, ich möchte nicht nur in der Echokammer drüber schreiben, sondern auch drüber reden. Ich versuche, zum nächsten Stammtisch zu kommen.)

Aber obwohl ich jetzt drei Absätze lang auf meinen Kollegen herumgedroschen habe, bin ich trotzdem der Meinung, dass die Guardians of the Galaxy-Sperrfrist eine Travestie ist. Sperrfristen haben als freiwillige Vereinbarung im Journalismus den Zweck, etwas als Arbeitserleichterung für alle rechtzeitig zu kommunizieren, aber es nicht zu veröffentlichen, bevor die Betroffenen Bescheid wissen, zum Beispiel bei Preisverleihungen. Hier aber ist die Meinung der Journaille den Verleihern anscheinend noch wichtig genug, um sie vor ihren Karren zu spannen. Aber gleichzeitig wird die eigene Marktmacht durch das absurd späte Datum ausgetestet. (Als Sanktion droht natürlich der Ausschluss von späteren Pressevorführungen.) Und ähnlich wie bei der Scorsese-Vorführung auf der Berlinale wäre das tatsächlich ein Punkt, wo man sich voll rechtschaffenden Zorns weigern kann, das Spiel mitzuspielen.

Wenn ein Film in der Welt ist, nicht nur in internen Pressevorführungen und Premieren für geladene Gäste, sondern in öffentlichen Vorführungen, sollte man darüber berichten können. Im Fall von Guardians wäre das also der 1. August. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das alberne Spiel diesmal mitspielen werde, oder nicht.

Epilog

Nach der Preview wollte Marvel dann plötzlich doch auf Twitter hören, wie die Leute den Film fanden. Auf meine Frage, ob nicht eigentlich Sperrfrist gelte, wurde nicht reagiert konfus reagiert. Kritiker wie Torsten Dewi haben daraufhin das Embargo “gebrochen”. Ich bin kein bisschen schlauer.

Nachtrag (25.7., 0:25 Uhr): In den USA hat Marvel dann doch erste Kritiken zugelassen. In einer früheren Version des Artikels hatte ich Torsten Dewis Vornamen fälschlicherweise “Thorsten” geschrieben.

Edit, 26.7.: Ein Hinweis noch im Zuge der vollständigen Offenlegung: Ich habe es nicht geschafft, Karten in einem Gewinnspiel zu ergattern, stattdessen habe ich bei der sehr freundlichen Presseagentur angerufen, die den Film betreut, und diese hat mir zwei Karten organisiert. Daher weiß ich auch überhaupt nur von der Sperrfrist, auf die ich im Zuge des Austauschs mit der Agentur nachdrücklich hingewiesen wurde. Auf dem Screening selbst wurde nichts dazu gesagt.

Return of “Return of Whatever”

Im Oktober des letzten Jahres habe ich mich voll rechtschaffendem Zorn darüber aufgeregt, dass Disney den neuen Marvel-Film Captain America: The Winter Soldier in Deutschland unter dem marketing-optimierten Titel The Return of the First Avenger ins Kino bringt. Damals schrieb ich unter anderem

Ich bin entsetzt, dass ausgerechnet Disney, eine Firma, die sonst weltweit wie ein Luchs darauf achtet, dass ihre Marken erhalten bleiben – sich sogar als Studio eine eigene Übersetzungs- und Synchro-Division leistet – solche albernen Sperenzchen mitmacht, über die sich in ein paar Jahren noch alle mokieren und ärgern werden. Es wird doch wohl NIEMAND in der Zukunft diesen Film “The Return of the First Avenger” nennen.

Anscheinend sieht Disney die Gefahr schon jetzt. In einer gestern verschickten Pressemitteilung zur heutigen Londoner Premiere heißt es, in dicken roten Buchstaben:

WICHTIGER HINWEIS:

Bitte beachten Sie, dass der Film unter dem Titel THE RETURN OF THE FIRST AVENGER in die deutschen Kinos kommt.

Der englische Titel „The Winter Soldier“ ist in Deutschland nicht bekannt.

Das werden wir ja sehen. Ein bisschen Feixerei konnte ich mir nicht ersparen.

Danke an den Hinweisgeber.