Piq: Die besten deutschen Filme der letzten 16 Jahre?

Die BBC hat 177 Filmkritikerinnen und Filmkritiker aus der ganzen Welt gefragt, was die besten Filme des jungen 21. Jahrhunderts sind und das Ergebnis als Liste veröffentlicht. Solche Listen sind immer genauso sinnlos wie faszinierend. Sie spiegeln einen scheinbaren Konsens des Kunstvergleichs wieder, den niemand braucht, sind aber auch ein sehr einfacher und effektiver Weg, um Diskussionen anzuregen. Gehört Mulholland Drive von David Lynch wirklich auf Platz 1? Und Maren Ades noch nicht einmal sechs Monate alter Film Toni Erdmann auf Platz 100?

Man konnte förmlich zusehen, wer sich alles bemühte, in den letzten Tagen die BBC-Liste einzuordnen, zu kommentieren – und natürlich auch “weiterzudrehen”. Das Berliner Stadtmagazin “Tip” hat das BBC-Experiment kurzerhand wiederholt und auf Deutschland reduziert. Ihre Liste der zehn “Besten deutschsprachigen Filme des 21. Jahrhunderts”, ebenfalls von einer Gruppe Filmkenner gewählt, ist genau so vor allem Diskussionsstoff und Zeitbild.

Toni Erdmann, noch frisch im Gedächtnis, steht hier plötzlich viel weiter oben. Christian Petzold ist gleich dreimal in der Top 10 vertreten. Und keiner der großen deutschen Publikumshits der letzten 16 Jahre, nicht Good Bye Lenin, nicht Das Leben der Anderen, hat auch nur einen Cameo-Auftritt. Die Gruppe der befragten Kritiker ist sehr feuilletonslastig und (zumindest von den genannten) zu hundert Prozent männlich – was wäre wohl rausgekommen, wenn man das Feld etwas mehr diversifiziert hätte?

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Die neue Optimismuslobby und ihre Probleme

© 20th Century Fox

(Kann grobe, unspezifische Spoiler für The Martian und Tomorrowland enthalten)

Mark Watney hat es geschafft. Er hat sich (und Kartoffeln) mit seinen Botanik-Skills aus dem Dreck gezogen und so lange alleine auf dem Mars überlebt, dass er gerettet werden konnte. Heute ist er Ausbilder und er erklärt seinen jungen Zöglingen seine Philosophie:

At some point, everything’s gonna go south on you and you’re going to say, this is it. This is how I end. Now you can either accept that, or you can get to work. That’s all it is. You just begin. You do the math. You solve one problem and you solve the next one, and then the next. And If you solve enough problems, you get to come home.

Die Schlussworte aus Ridley Scotts Film The Martian stehen stellvertretend für einen amerikanischen Traum, der auch im Weltraum zu gelten scheint. Wir Menschen können unser eigenes Glück schmieden, wenn wir nur hart genug daran arbeiten und unsere Probleme eines nach dem anderen lösen. Aufgeben ist keine Option, das gilt auf dem Arbeitsmarkt genau wie auf dem Mars. Die Worte sind aber auch Teil einer neuen Stoßrichtung in der Science-Fiction, zu der The Martian (der Film genau wie Andy Weirs gleichnamiger Roman) zumindest am Rande gehört. Ziel ist es, Wissenschafts- und Ideenmenschen wieder mehr in den Fokus zu rücken, und den Zukunftsgeschichten wieder einen optimistischeren Drall zu geben.

Ganz explizit, wahrscheinlich sogar zu explizit, machte das im Frühjahr Brad Birds zweiter Realfilm Tomorrowland (“deutscher” Titel: A World Beyond). Ein idealistisches junges Mädchen namens Casey, deren Vater mal Raketen gebaut hat, wird von einer jungen Androidin in die Parallelwelt Tomorrowland geführt – eine Art Paradies für Erfinder, in der alles so aussieht, wie die Zukunftsvisionen der New Yorker Weltausstellung von 1964. Doch Tomorrowland hat seinen Glanz verloren, stattdessen warten dort alle darauf, dass die Welt untergeht, wie es ihnen eine gigantische Tachyonen-Kristallkugel vorhersagt. Casey stellt fest, dass die Vorhersagen einen Self-Fulfilling-Prophecy-Effekt haben – sie sind nur deswegen so negativ, weil unsere Phantasie so negativ geworden ist. Nach viel hin und her kann sie die Maschine zerstören und der Hoffnung eine neue Chance geben. (Diese Plotzusammenfassung wird der konfusen Erzählweise und damit der riesengroßen Schwäche des Films nicht gerecht, aber darum soll es hier ja auch nicht gehen.)

Innovation Starvation

Doch Tomorrowland schlägt nur in eine Kerbe, die bereits vorher existierte. Neal Stephenson beschwerte sich in seinem Essay “Innovation Starvation” darüber, dass der technische Optimismus aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, in dem ein besseres Leben durch Erfindungen und große menschliche Leistungen möglich schien, einer Stimmung gewichen ist, in der sich niemand mehr traut, groß zu träumen.

Most people who work in corporations or academia have witnessed something like the following: A number of engineers are sitting together in a room, bouncing ideas off each other. Out of the discussion emerges a new concept that seems promising. Then some laptop-wielding person in the corner, having performed a quick Google search, announces that this “new” idea is, in fact, an old one—or at least vaguely similar—and has already been tried. Either it failed, or it succeeded. If it failed, then no manager who wants to keep his or her job will approve spending money trying to revive it. If it succeeded, then it’s patented and entry to the market is presumed to be unattainable, since the first people who thought of it will have “first-mover advantage” and will have created “barriers to entry.” The number of seemingly promising ideas that have been crushed in this way must number in the millions.

Stephensons These: Es fehlt den Erfinderinnen und Erfindern an Inspiration, weil auch die Science Fiction sich nur noch in apokalyptischen und post-apokalyptischen Szenarien suhlt. (Meine Gedanken zu diesem Zeitgeist) Gute Science Fiction böte “Hieroglyphen”, “fully thought-out picture[s] of an alternate reality in which some sort of compelling innovation has taken place”. Ein neues Tomorrowland, quasi. Den Gedanken fand die Arizona State University so gut, dass sie daraus mit Stephenson gemeinsam das Project Hieroglyph aus der Taufe hob – eine Plattform für den Austausch zwischen fiktionalen Denkerinnen und Denkern und Menschen, die Ideen in der echten Welt umsetzen. Erstes Teilprojekt: Eine Kurzgeschichtensammlung voller “Visions of a better future”.

Irgendwie bewundernswert, dieser Wille, sich mitten in einer Zeit, in der wir vielleicht mehr denn je das Gefühl haben, alles ginge den Bach runter, und in der sogar Deutschlands führender Techno-Optimist Sascha Lobo seine Zuversicht verloren hat, gegen den Trend zu stellen. Self-Fulfilling-Prophecies und Erlernte Hilflosigkeit sind natürlich sehr reale Phänomene und eine positive Grundhaltung kann manchmal schon viel bewirken.

© Disney

Hurra Zukunft!

Die Frage ist, ob sich die Advokaten dieses Science-Fiction-Optimismus für ihre gute Sache immer unbedingt die richtigen Beispiele rausgepickt haben. Tasha Robinson hat bei “The Dissolve” mit wenigen Beispielen gezeigt, dass die fünfziger und sechziger Jahre, zumal im Kino, mitnichten eine dauerhafte Hurra-Zukunft-Stimmung verbreiteten, sondern eher schon mit der Glorifizierung der Vergangenheit begannen. Rachel E. Gross weist auf “Slate” darauf hin, dass Wissenschaft in der echten Welt nicht so heurekahaft funktioniert wie in The Martian. Und Damien Walter kritisiert Project Hieroglyph (das ich, full disclosure, nicht gelesen habe) für seine Hymnen auf kapitalistische (männliche!) Unternehmer und die Unterschlagung von deren Rolle in der überhaupt nicht utopischen Ausbeutung ihrer Mitmenschen: “These optimistic futures may well be better for those occupying the top floors of our unequal society, but they offer less hope for those stuck in the lower levels.”

Brad Bird wurden bereits ähnliche Vorwürfe gemacht, nicht erst seit Tomorrowland (die ganze Debatte findet man mit einer Google-Suche). Seine Visionen seien objektivistisch und betonten die Außerordentlichkeit Einzelner, die auf irgendeine Weise “besser” sind als die Masse, aber von dieser klein gehalten werden. Tatsächlich ist das titelgebende Land, das ja außerhalb der Fiktion ein Themenbereich im kalifornischen Disneyland ist, im Film von Menschen gegründet worden, die sich selbst “Plus Ultras” nennen, was doch sehr elitär und mit dem Gedanken an Aldous Huxley auch ein bisschen eugenisch klingt. Die jüngere Wissenschaft neigt ja eher dazu, zu glauben, dass Kooperation wertvoller ist als das einsame Brüten und Entscheiden von “Great Men”.

The Cyberpunk Moment

Viel wichtiger als diese Gegenargumente finde ich aber, dass Bird, Scott, und leider auch Stephenson allesamt am Ziel vorbeischießen. Sie sind selbst zu alten weißen Männern geworden, die sich (wie viele von uns irgendwann) eine naivere Zeit zurückwünschen. Ihre Plädoyers für Optimismus und Pioniergeist sind fast schon eher rückwärts als vorwärts gewandt und gehen im Ansatz vielleicht sogar von einem falschen Begriff von Science Fiction aus. Henry Jenkins hat vor kurzem einen hervorragenden Essay über den “Cyberpunkt-Moment” in den 80ern geschrieben, in dem er aufregend darlegt, wie verkehrt es sei, von der Science Fiction immer eine Vorhersage der Zukunft zu erwarten. Science Fiction, meint Jenkins, schafft Bezugssysteme für die Gegenwart, aus denen man eine Zukunft ableiten kann. Zum Geburtsmoment des Cyberpunk in den Achtzigern schreibt er: “The technological changes which were hitting American society were so transformative that we needed our best writers and thinkers to help us make sense of what was happening right then and now.”

Was Cyberpunk “punk” gemacht hätte, meint Jenkins, war sein Wille, das Genre aufzubrechen und neu zusammenzusetzen (unbedingt den ganzen Artikel lesen, den ich hier auf zwei kleine Aspekte reduziere). Insofern scheint es nur logisch, dass die beste Science Fiction, die heute entsteht, nicht die Great-Men-Ideen der Vergangenheit neu aufwärmt, sondern sich den Veränderungen in unserer Welt auf andere Weise entgegenstellt, zum Beispiel indem sie Diversität neuen Ausdruck verleiht. Ann Leckies Roman Ancillary Justice (um nur ein Beispiel zu nennen, das ich selbst gelesen habe) spielt gekonnt mit Vorstellungen von Gender und singulärer Identität – und die neue Autorengeneration ist so international und vielfältig, wie man sich das nur wünschen kann. Die wichtigsten Impulse für die Zukunft kommen eben nicht immer aus der Richtung, aus der man sie erwartet.

Brad Birds A World Beyond ist vor einem Monat im Heimkino erschienen. The Martian läuft vielleicht noch in einem Kino in eurer Nähe.

Warum uns Mockingjay mehr in Erinnerung bleiben wird als Interstellar

© Warner, StudioCanal

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in unbeobachteten Momenten ist es, vorherzusagen, an was wir uns als typisch erinnern werden, wenn wir in zwanzig Jahren auf unsere jetzige Zeit zurückblicken (übrigens auch einer der Gründe, warum ich unbedingt beim Techniktagebuch mitmachen wollte). Wenn man beobachtet, wie zurzeit auf die 90er zurückgeblickt wird, ob mit Liedern oder “Buzzfeed”-Listen merkt man doch, dass nicht unbedingt die Dinge im Gedächtnis bleiben, die man damals für wichtig hielt.

Lenkt man die Zeitgeistforschung auf die aktuelle Kinolandschaft und dort spezieller auf die Blockbuster der letzten Wochen, fallen einem zwei Filme auf. Christopher Nolans Interstellar hat alles, was es für einen “großen Film” braucht: einen visionären Regisseur von solchem Kaliber, dass sein Name ausreicht, um Zuschauer ins Kino zu ziehen, ein massives Kinoereignis, ein Originalstoff und mindestens einige Effekt-Oscars am Horizont. Auf der anderen Seite erscheint Mockingjay – Part 1 wie der typische massenproduzierte Plastikblockbuster von der Art, wie sie Hollywood inzwischen am laufenden Band raushaut. Die letzte gedrehte Performance von Philip Seymour Hoffman genügt mit Sicherheit nicht, um ihn zu etwas Besonderem zu machen.

Und doch ist Interstellar aus Zeitgeist-Sicht ein Film, der genau wegen seiner Alleinstellungsmerkmale überhaupt nicht in unsere Zeit passt. Fast schon ein Relikt ist er, mit seiner Fetischisierung von Filmmaterial und seiner Besinnung auf konservative Werte wie die Kernfamilie und den einzelnen “Great Man“, den Pionier, der die Menschheit ins neue gelobte Land führt. Mockingjay – Part 1 hingegen ist voll und ganz ein Produkt seiner Zeit und wird in zwanzig Jahren als so typisch für die erste Hälfte der 2010er gelten können, wie kaum ein anderer Film. Warum? Ich bin froh, dass ihr fragt.

1. Er spielt in einer dystopischen Zukunft

Ja, Interstellar auch. Aber während Nolans Film seine vage und wenig erklärte Öko-Katastrophe nur als Mittel zum Zweck nutzt, um seine Hauptfiguren auf den Weg zu einer neuen Frontier zu schicken, ziehen die “Hunger Games”-Verfilmungen ihre graumelierte Zukunftsvision knallhart durch. Und eine gesellschaftliche Spaltung in Haber und Nicht-Haber, bei der die Nicht-Haber zu einem Leben in Staub und Knechtschaft verdammt sind, ist nicht nur in Panem Programm, sondern in großen Teilen der Mainstream-Science-Fiction – auch im Kino, von Elysium bis Snowpiercer. Die Arizona State University hat sogar ein Programm namens “Hieroglyph” aus der Taufe gehoben, um wieder hoffnungsvollere Visionen zu produzieren, die die Forscher der Zukunft inspirieren sollen. So gut es uns teilweise im Moment noch geht, wir blicken alle in den Abgrund, der sich vor uns auftut.

2. Er ist Teil eines Franchises

Genau die Eigenschaft, die Mockingjay – Part 1 zu einem generischen Stücken Hollywood-Schlock zu machen scheint, macht ihn auch zu einem typischen Produkt unserer Zeit. Die 2010er-Jahre werden die Dekade der Franchises und des seriellen Erzöhlens sein. Seit Harry Potter und die Lord of the Rings-Filme bewiesen haben, dass ein treues Publikum brav alle paar Jahre wieder in die Kinos schlappt, um der Weitererzählung einer nicht abgeschlossenen Geschichte beizuwohnen – die oft nicht viel mehr ist als die Bebilderung eines ohnehin erfolgreichen Buches – gibt es bei der Franchisisierung in Hollywood kein Halten mehr. Nicht nur durch den Aufbau von Shared Universes wie bei Marvel und Co, sondern durch das Auswalzen einer Story auf mehrere Filme. Mockingjay – Part 1 ist nur das jüngste Beispiel dieser merkwürdigen “Penultification” (Dan Kois), die durch den Erfolg von seriellen Fernseherzählungen (und jetzt auch Podcasts) nur befeuert wird. Ich gehe schwer davon aus, dass diese Welle in zwanzig Jahren ein wenig abgeflaut ist.

3. Es geht um Medien

Interstellar ist ein altmodisches Forscherabenteuer – es zählt nur, was man mit den Händen berühren kann. Zentrale Plotpunkte des Films basieren darauf, dass Pioniere und Heimatbasis nur eingeschränkt miteinander kommunizieren können und natürlich muss die Raumfähre auf jedem Planeten, den es zu erforschen gilt, landen, statt aus der Luft zu sehen, dass es da unten nur Wasser und turmhohe Wellen gibt. In Mockingjay und den anderen “Hunger Games”-Filmen spielt Kommunikation eine der Hauptrollen. Vom zentralen Plotpunkt der Reihe, den titelgebenden Hungerspielen, die im Grunde eine Weiterentwicklung von Reality Shows wie “Survivor” oder “Big Brother” sind – bis hin zu den Propaganda-Videos, die Katniss im jüngsten Teil drehen muss: Medien und mediale Inszenierung stehen im Mittelpunkt der Handlung. Was könnte besser passen zu unserem Informationszeitalter voller Selfies und sozialer Netzwerke, voller YouTube-Stars, die aus dem Nichts geboren werden, und Überwachungsstrukturen, die uns vielleicht schon bald dazu zwingen, unser tägliches Leben noch mehr zu inszenieren, um nicht unter Verdacht zu geraten? Mockingjay mag eine “Young Adult”-Version der Zukunft sein, in der die wichtigste Bezugsperson der eigene Kostüm- und Makeup-Designer ist, aber der Film trift damit genau die brachliegenden Nerven unserer Zeit.

© StudioCanal

4. Die Hauptfigur ist eine Frau

Fuck yeah! Die 2010er werden hoffentlich die Dekade sein, an die wir uns erinnern, wenn es darum geht, dass 150 Jahre Feminismus endlich soweit im Mainstream angekommen sind, dass selbst der dümmste Studioboss einsehen muss, dass die wichtigsten Mover und Shaker einer Welt, auch einer fiktionalen Welt, nicht Männer sein müssen. Katniss Everdeen ist der weibliche Superheld, der Hollywood auf den Pfad von Wonder Woman, Frozen und Captain Marvel geführt hat, die Anti-Bella, die ihr verdammtes Schicksal selbst in die Hand nimmt. Als zu großen Triumph sollte man das jetzt noch nicht feiern, dafür ist noch zu viel zu tun, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Zum Vergleich: Interstellar

5. Es geht um eine Revolution

Hiermit schließt sich der Kreis zu Punkt 1. Auch wenn Occupy Wall Street und der arabische Frühling schon wieder verebbt scheinen, erreichen uns auch 2014 immer wieder Nachrichten von Aufständen und Protesten auf der ganzen Welt, von Hong Kong über Ferguson bis Bangkok, wo Mockingjay nicht gezeigt wurde, weil Protestierer den Drei-Finger-Gruß des Films als Zeichen annahmen. Revolution liegt in der Luft – vielleicht nicht in Deutschland, dafür geht es uns noch zu gut, aber im globalen Zeitgeist definitiv. In zwanzig Jahren werden wir wissen, ob diese Stimmung der Anfang einer großen Umwälzung war oder doch nur ein Blip auf dem Radar des großen Weiter-als-wäre-nichts-gewesen.

Lege ich Mockingjay eine Last auf, die der Film nie im Leben tragen kann? Ist Interstellar vielleicht doch kein Relikt sondern nur seiner Zeit voraus? In die Kommentare, bitte.

Zeitgeist: Escape (The Piña Colada Song)

Irgendwas muss dran sein an Rupert Holmes’ Hit von 1979, dass er plötzlich innerhalb eines Jahres in zwei Filmen wieder auftaucht. Da der Song seit dreißig Jahren nicht nur Leitmotiv der Creme-Cocktail- sondern auch der Partnervermittlungs-Industrie ist, scheint es fast schon logisch, dass er im überdimensionierten eHarmony-Werbespot The Secret Life of Walter Mitty auftaucht, wenn auch in einer gelungenen Coverversion von Jack Johnson. Aber auch im neuen Marvel-Film Guardians of the Galaxy ist der Song als Teil des ominösen Mixtapes zu hören, das Peter Quill immer bei sich trägt.

Was fällt auf an dem Song, der laut Wikipedia die letzte Nummer Eins der Siebziger war?

1. Der Titel. Wer auch immer den Song hört, dürfte danach erstmal ziemlich sicher sein, dass er “If you like Piña Coladas” heißt – oder so ähnlich, zumindest irgendwas mit “Piña Colada” im Titel. “Escape (The Piña Colada Song)” teilt sich insofern ein Schicksal mit dem ein oder anderen Hit durch die Jahrzehnte, dem in Klammern ein zusätzlicher Titel angehängt werden musste, damit der Pöbel ihn auch erkennt, wenn er ihn sieht (spontan fällt mir als weiteres Beispiel nur “Sweat (A la la la la long)” ein, aber zum Glück gibt es ja das Internet – wie sind Nirvana bloß damals mit “Smells like Teen Spirit” durchgekommen?).

2. Die Story. Wer den Song oberflächlich hört, kennt schon bald den Refrain auswendig und ahnt, dass es irgendwie um Partnerschaftsanzeigen geht. Aber in Wirklichkeit geht es um einen Mann, dessen langjährige Beziehung ihn nicht mehr erfüllt (“like a worn-out recording of my favourite song”) und der deshalb heimlich auf eine Anzeige in der Zeitung antwortet (weil er Piña Coladas mag). Doch das Blind Date endet unverhofft: die Anzeigenschreiberin ist seine eigene Frau und beide stellen plötzlich fest, dass es eine Menge gibt, was sie noch nicht voneinander wussten. Zum Beispiel ihre Vorliebe für Dünensex zur Geisterstunde.

3. Der Zeitgeist. Die beiden vielsagendsten Zeilen von “Escape” drehen sich um das, was Rupert Holmes und seine Frau nicht mögen. Sie sind “not into Yoga” und “not into health food”. Ich finde es irgendwie ganz wunderbar, wie sich hier die New Age Trends der 70er widerspiegeln, denen man damals wahrscheinlich kaum entkommen konnte. Die Figuren des Songs hingegen sind echte Genießer, süffeln lieber Cocktails und Champagner, statt auf der Selbstverbesserungs-Welle mitzureiten. Wahrscheinlich sehen sie sich selbst als die letzten normalen Menschen. Heute sind Yoga und gesundes Essen Mainstream, also was würde wohl an Stelle dieser Textzeilen treten, wenn der Song heute geschrieben würde? Wovon sagen “normale” Leute gerne, dass sie es nicht nötig haben? Vielleicht Social Media? “If you’re not into Facebook …?”

Something Big is about to Happen: Zeitgeist and Imminent Threat in July, Von Trier and Cahill


“Another Earth”

It is never easy to analyse the time you live in at the moment. It’s much easier to look back in time to see cultural and societal threads developing and culminating. But sometimes that elusive contemporary sensibility that German thinkers once named the “zeitgeist” can be felt, especially in the cultural artifacts a society produces. The current zeitgeist seems to be that while technological progress is moving ever faster, cultural progress has come to a standstill, which in turn creates high expectations for the times to come. This is not my idea, of course. It has been written and talked about a lot recently. Someone who summarised it, about two months ago, in a way I could relate to a lot, was “Generation X” author Douglas Coupland. In an interview with a Swiss radio station, he said:

What I find exciting about the zeitgeist right now is that something big is about to happen. We all know that. We grew up with the idea that the future was something that was still down the road and we still just live in the present. But today we live in the future. Every day feels futuristic. (This is mostly a re-translation of the German translation of Coupland, so these are not exactly his words.)

Part of the zeitgeist being that “We live in the future now” felt familiar to me. I had even blogged about it before with respect to SF-films like Tron: Legacy and The Book of Eli. I had heard it before from authors like William Gibson, who have stopped setting their novels in the future because the present has caught up with them, and it ties right in with the discussion about “Retromania” in popular culture.

“Something big is about to happen”, however, is something that I heard for the first time in Coupland’s interview. It rang very true for me and I noticed that I had also encountered it in other films this year. Films that don’t necessarily count as science fiction, even though they might have some fantastic elements in them.

(The following paragraphs contain inevitable spoilers for all three movies discussed)


“The Future”

Miranda July’s second feature film is even called The Future, but it’s a long way from being science fiction. Instead, it tells the story of two thirtysomethings who exist in a relationship that has reached its peak after only four years. The protagonists, played by July and Hamish Linklater, have nothing to say to each other, because they don’t progress. All high hopes for their own development have failed to come to fruition and so they spend their days in a sort of melancholy hipster stupor (a fact that made both characters extremly annoying to me). When they decide to adopt a cat a month from now, they suddenly realize that they should use the remaining days to follow their impulses. Both quit their jobs and decide to do something meaningful. July’s character Sophie wants to express herself through dancing and Jason (Linklater) joins a climate-saving iniative that sells reforestation door-to-door.

But their efforts fail yet again. Sophie begins an affair and Jason starts spending time with an old man who has been married for 60 years. Even though there is some hope for reconciliation at the end of the film, the general feeling that remains is: There is no future for Sophie and Jason. They have already used it up and have only the eternal present left to them. This manifests itself in the second half of the film, where Jason literally tries to stop time. However, while he feels that time has stopped, the moon in the sky outside his window (who has the voice of the old man), constantly informs him that time is actually still creeping forward and that Jason can’t stay in his cocoon forever.

The last time people felt they were living in the future, in the 80s, “We live in the future” quickly turned into “No Future”. The only way out, it seemed, was through the self-destruction of mankind. And indeed, Jason says something to the same effect in July’s film: “The wrecking ball has already struck”, he tells a potential reforestation customer. “This is just the moment before it all falls down.”

That big thing that is about to happen, then, is it an apocalypse?


“Melancholia”

If you believe Lars von Trier, it is. While his latest film Melancholia is mostly a reflection on depression, it also confronts humanity with a doomsday scenario that can easily keep up with Armageddon and similar films whose plot centers around the imminent destruction of earth. In Melancholia, the titular planet is about to come close to earth and most scientists believe that it will safely pass by. Only conspiracy theorists and the main character Justine (Kirsten Dunst), who suffers from depression, are convinced that Melancholia will destroy earth instead. Which, as even the opening scenes promise, it will by the end of the movie.

Von Trier spends a good two thirds of his film setting up and the last third portraying their reactions to the impending doom. Justine is content with this notion, even literally bathes in Melancholia’s light. As a depressive, she “knows” things will always turn out for the worst. Her sister Claire is filled with fear but eventually gives in to her inevitable fate. And Claire’s husband John, a capitalist conservative and a believer in science and mankind’s ability to prevail, commits suicide as soon as he learns he was wrong.

It’s easy to read those reactions as – or compare them to – interpretations of the zeitgeist mentioned earlier. We can accept it, we can fear it or we can try to hide from it. What von Trier makes clear, though, is that the Big Thing, which in his movie is a threat, will happen, no matter what. So it might be best to side with the depressives.


“Another Earth”

One other movie was released this year, which shares the feeling of anticipation I have described in Melancholia and The Future. It also shares Melancholia‘s key image of an uncanny new heavenly body in the sky above us. But Mike Cahill’s Another Earth also offers a more hopeful prospect of the time after the metaphorical wrecking ball has struck.

Cahill’s main character Rhoda is in a “no future” situation as well, although her reasons are quite different. As a teenager, she was responsible for a car crash that took the lives of a young woman and her child. The child’s father John, who was also in the car, has survived. When Rhoda is released from prison after a number of years, she has lost all ambition and instead starts a cleaning job at her old high school. Then, she seeks out John and without revealing her identity to him, offers to regularly clean his house. He agrees and she slowly brings both the house and him back to life. He eventually falls in love with her but casts her out when she tells him why she came to him in the first place.

The catalyst for the car crash, which leads to all the events that follow it, is the appearance of a second earth in the sky. Rhoda gazes at this other earth when the crash happens and she later wins a spot on the first flight to what turns out to be an exact mirror image of our planet, people and all. Because the parallel timelines have started diverging when the two mirror planets became visible to each other, there is hope that John’s family might be alive on the other earth. Rhoda eventually gives her space on the flight to John.

In Cahill’s thought experiment, the big change that society faces is not a destructive wrecking ball at all, it might even offer a chance to begin again. This general sentiment has been a trope of post-apocalyptic scenarios for ages, but in Another Earth there is no major scale apocalypse, only a personal one. A Big Thing wakes mankind from its futureless existence and offers new perspectives on how to continue.

Personal postscript: I was too young in the 80s to understand any societal notions of Future or No Future. The very fact that I spent my earliest childhood in exactly those days (without older siblings) has made it hard for me to understand or appreciate 80s pop culture at all, while I find everything that came before or after much more accessible. But as far as I am concerned, there was a Big Change at the end of the decade. While the collapse of the Soviet Union and the reunification of the country I live in might have robbed the western world of a clear antagonist (at least until 9/11) and lead the world at large into the global economic meltdown it is facing right now, culture and society in general, at least the way I see it, have benefitted from that change. If only to prove to us now that the world, and thus: the future and the zeitgeist, very probably will continue to exist.