Grimmification – Märchenboom in Hollywood

“Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.” Schon so mancher Filmproduzent mag beim Lesen dieses Satzes am Ende eines Märchens über sein Schicksal in einem Business nachgedacht haben, in dem es vom traumhaften Erfolg zum Megaflop nur ein kleiner Schritt ust, das von Orakelsprüchen und Einflüsterungen – Du bist der Schönste! – lebt und in dem nichts so richtig kalkulierbar ist. Außer dem hier: Wenn am Ende des Monats Snow White and the Huntsman durch den Zauberspiegel sprechen, ist das der Kamm einer ganzen Welle von Neuinterpretationen klassischer Märchen und märchenhafter Geschichten made in Hollywood.

Erst im April hat Regisseur Tarsem Singh eine alternative Version des Grimm’schen Märchens inms Rennen geschickt: Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen mit Julia Roberts in der Rolle der bösen Stiefmutter. Bereits 2011 durfte Amanda Seyfried als Red Riding Hood ihre Großmutter fragen, warum sie so große Zähne hat. Und im im amerikanischen Fernsehen laufen derzeit zusätzlich erfolgreich die märchenhaften Serien “Grimm” und “Once Upon a Time”, die im Herbst auch in Deutschland bei Vox und RTL ausgestrahlt werden sollen. Weitere Filme warten am Horizont. Um die Ursachen des Booms zu ergründen, benötigt man keinen Zauberspiegel – sie sind so eindeutig wie messbar. Die großen Studios setzen in Zeiten der noch immer nicht überwundenen ökonomischen Krise eben gerne auf bewährte und vermeintlich zeitlose Stoffe, zu denen die klassischen Märchensammlungen von Charles Perrault, den Brüdern Grimm und von Joseph Jacobs zweifelsohne gehören, Auch hat die Umsiedelung der klassischen Moralgeschichten in düstere oder humorvolle Kontexte durchaus Tradition – nicht nur im US-Mainstreamkino. Neil Jordans psychoanalytische “Rotkäppchen”-Fabel Zeit der Wölfe von 1984 könnte man zum Beweis ebenso anführen wie die jüngsten “Auf einen Streich”-Neuauflagen im Weihnachtsprogramm der ARD.

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oder epd Film 6/2012 (unter dem Titel “Grimmtomatisch”)

Sie haben immerhin die Datenautobahn gebaut

Ein Stimmungsbild der deutschen Filmlandschaft angesichts der Digitalisierung

Ich arbeite derzeit an einem Text-Beitrag für ein noch nicht näher definiertes Projekt zur Digitalisierung des deutschen Kinos, dessen Entwicklung ich hier dokumentiere und auf Feedback hoffe. Dies ist der erste Schritt: ein Kurzpitch.

Es braucht inzwischen weder Wissenschaftler noch Journalisten, um festzustellen, dass die über die Welt hereinbrechende Digitalisierung alles verändert – auch die Filmbranche. Wenn Animationsfilme heutzutage fast nur noch im Computer entstehen, man im Kino immer öfter 3D-Brillen aufsetzen muss, jeder Trailer mit drei Klicks auf YouTube zu sehen ist und das analoge Satellitensignal für den heimischen Flachbildfernseher abgeschaltet wird, dürfte die digitale Film-Revolution auch für den Konsumenten unübersehbar sein. Doch was passiert hinter den Kulissen, bei denen, die in Deutschland tagtäglich mit dem Medium Film zu tun haben? Ist die Digitalisierung auch bei ihnen angekommen? In Filmschulen und Redaktionen, in Produktionsfirmen, Kinos und Filmfestival, bei Filmkünstlern und Filmtechnikern? Wie bemisst sich der Hype gegen die Realität und was verändert die Digitalisierung wirklich? Ich versuche, den strukturellen Veränderungen nachzugehen und Stimmungen einzufangen, nicht zuletzt durch selbst geführte Interviews, die als Fallstudien fungieren und dabei letztendlich diese Frage beantworten: Ist die Digitalisierung im deutschen Film angekommen und wird sie mit offenen Armen empfangen? Oder ist sie ein notwendiges Übel, eine Naturgewalt, der man sich nur anpasst, weil man nicht untergehen will?

5 Dinge, die Rock of Ages nicht hat

Tom Cruise als Stacee Jaxx in Rock of Ages

Bild: Warner Bros.

Rock. Man möchte meinen, mit einem Soundtrack von Bon Jovi bis Foreigner und dem Wort “Rock” im Titel, habe Adam Shankmans 80er-Jahre-Revival genug Fels um die Pyramiden von Gizeh in Lebensgröße neu aufzuschütten. Doch neu arrangiert im bombastischen “Night of the Proms”-Stil, überschüttet mit Synthesizern und Kompression, dargeboten von Stimmen der Castingshow-Generation, scheint jede noch so kleine Scharte der Originalsongs abgewetzt. “Wanted: Dead or Alive” ist damit eindeutig nur noch eins: dead.

Musical-Feeling. Gar nicht so dumm wäre es, zu hoffen, dass dieser zuckrige Überzug wenigstens für eine ordentliche Portion Broadway-Glamour sorgt. Aber irgendwann muss jemand mal festgestellt haben, dass man selbst auf ein Mashup von “I love Rock and Roll” und “Hit me with your best shot” nur schwer tanzen kann. Die Folge: Lahme bis nicht vorhandene Choreografien, die im Schnittchaos verdient untergehen. Wenn Busby Berkeley das noch erleben könnte …

Sex. Regelmäßig fällt dieses Wort in “Rock of Ages”. Als Anklagepunkt der von Catherine Zeta-Jones angeführten Protesttruppe, als Essenz seines Erfolgs aus dem Mund von Tom Cruises Tyler-Rose-Jovi-Amalgam Stacee Jaxx.* Doch selbst in der explizitesten Beischlafszene des Films muss die von Malin Akerman gespielte Rockjournalistin ihren BH anlassen. Das Spießertum, das Shankman noch im John-Waters-Musical Hairspray so treffend wie komisch anprangerte, hat in Rock of Ages obsiegt. Mothers, no need to hide your daughters, es ist nur eine weitere, mit Retropaste überzogene Franchisefolge von High School Musical. Typisch dafür, wie wenig ernst der Film Sex überhaupt nimmt, auch dieser Dialog: “Ich arbeite als Stripperin in einer Bar.” – “Ich bin Mitglied einer Boyband.” – “Okay, du hast gewonnen.”

Nostalgie. Die Haare, die Klamotten, die backsteingroßen Telefone, die Songs: Wie Archäologen, die versuchen, eine untergegangene Zivilisation aus deren Artefakten zu rekonstruieren, haben die Filmemacher alles zusammengetragen, was vermeintlich die Ära ausmachte, in deren überhöhter Version ihre Geschichte spielt. Die Aura dieser Ära jedoch – dreckiger, düsterer und dennnoch irgendwie schöner – haben sie irgendwo am Wegesrand vergessen. Übrig bleibt nur das übliche Zeichen ohne Bezeichnetes und ein ebenso leeres Gefühl in den limbischen Systemen der Zuschauer.

Eine Seele. Journeys “Don’t stop believing” ist gewissermaßen Drehbuchgrundlage (“Just a small town girl …”) und zentrale Hymne dieses Films, der sich anschickt, die wahre Religion des Rock vor den dunklen Mächten des Pop zu bewahren. Doch woran soll man noch glauben, wenn die selbsternannten Priester längst selbst einen Deal mit dem vermeintlichen Teufel geschlossen haben und eine unverhohlene filmische Manifestation von “The Man” als Neues Testament darreichen. Dann lieber zum zehnten Mal This is Spinal Tap gucken. Dort wird der bizarre Pomp und Circumstance jener Spätauswüchse des Rock ‘n’ Roll auch lächerlich gemacht, aber er wird wenigstens ernst genommen. Wie heißt es in “Don’t stop believing”? “Some were born to sing the blues.” Ja, und andere halt nicht.

*Cruise, der als reale Persönlichkeit mindestens genauso umstritten ist wie seine Filmfigur Stacee Jaxx, ist das einzig Sehenswerte an Rock of Ages. In seinen Szenen schillert manchmal für Sekundenbruchteile etwas von der Hassliebe durch, die man zu 80s-Bombastorock gefälligst zu pflegen hat.

Work in Progress: Wie digital ist der deutsche Film?

Hell

Hell, gedreht mit der Red One MX Kamera – Bild: Paramount

Mein Kollege und Freund Bernd Zywietz (Blog) hat mich angeheuert, um einen längeren Beitrag für ein Projekt zum aktuellen deutschen Film zu schreiben, das demnächst das Licht der Welt erblicken soll (Details nenne ich sicherheitshalber hier vorerst nicht).

Mein Thema wurde mir grob mit “Digitalisierung” umrissen. Wie genau ich an dieses Thema herantreten will, ist mir überlassen. Da ich hauptsächlich wegen des erwarteten Ruhms zugesagt habe, habe ich mich entschieden, diesmal einen etwas anderen Weg zu gehen, als den gewohnten.

Ich bevorzuge es in der Regel, Struktur und Inhalt eines Artikels gänzlich mit mir selbst auszumachen und daran im stillen Kämmerlein meines Köpfchens so lange herumzuschrauben, bis das Werk “fertig” ist, also bereit ist, in Buchstaben gegossen zu werden.

Herausgefordert durch Menschen wie Jeff Jarvis will ich dieses Mal einen etwas offeneren Prozess versuchen, in dem ich meine Ideen und meinen Fortschritt in diesem Blog offenlege und zur Diskussion freigebe.

Mir ist klar, dass – mit den wenigen Lesern, die mein Blog hat – und angesichts der 90-9-1-Pyramide, das Feedback wahrscheinlich eher klein ausfallen wird, aber man kann es ja mal versuchen. Wer weiß, was passiert. Vielleicht passiert auch nichts.

Mein momentanter Stand ist, dass ich mir überlegt habe, den Weg eines Films von der Produktion bis zur Kinoauswertung zu verfolgen und auf jedem Schritt des Weges zu überprüfen, wie stark die digitale Technik dort bereits dominiert (oder nicht) – in einer Mischung aus Interviewstatements und Fakten, die ich aus anderen Veröffentlichungen zum Thema ziehen will. Als sehr inspirierend empfand ich in dieser Hinsicht David Bordwells Blogserie Pandora’s Digital Box, die einen ähnlichen Weg wählt.

Ich fange mit der Produktionsseite an. Heute habe ich mehrere Filmschulen, die deutsche Produzentenallianz und zwei Dokumentarfilmer angeschrieben und um Interviews gebeten. Diese Woche nehme ich mir die letzten zwei Jahrgänge des “Filmecho” vor und suche Artikel zum Thema. Wenn ich mich auf dem Produktionsterrain sicher fühle, ist die Postproduktion und Auswertung dran.

Klingt das sinnvoll? Ich werde (hoffentlich) in Blogeinträgen von meinem Fortschritt berichten, gesammelte Ideen in den Raum werfen und auf Feedback hoffen (das dann später im Artikel durch Nennung gedankt wird). Wenn jemand jetzt schon etwas beitragen will, immer her damit. Was immer hilft ist auch: weitererzählen, vielleicht landet das work in progress so bei jemandem, der etwas dazu beitragen möchte.