Rezension: Mashup – Das vernünftige Manifest

Bild: Suhrkamp/InselIm Internet hilft es häufig, laut zu schreien. Wer gehört werden will im Wust von Status Updates, Tweets, Blogposts und suchmaschinenoptimierten Artikeln, dem kann es selten schaden, seine Position vielleicht noch ein bisschen mehr zuzuspitzen, sich selbst ein paar Zentimeter mehr in Richtung Boulevard zu schieben. Kein Artikel ohne Bild, keine Überschrift, die nicht nach Skandal riechen könnte, kein Meinungsartikel ohne durchnummerierte Bullet Points.

Mashup: Lob der Kopie von jetzt.de-Redaktionsleiter Dirk von Gehlen passt in diese Aufzählung nicht hinein. Suhrkamp, der Verlag, in dem von Gehlens Buch erschienen ist, gestaltet seine Buchdeckel so minimalistisch wie möglich und scheint mit seinem anspruchsvollen Selbstverständnis keinen Platz mehr zu haben in der hyperventilierenden Echtzeit-Welt des Netzes. Was also macht ein Buch über Medienwandel, ein Plädoyer für ein nachhaltiges Umdenken im Umgang mit geistigen Gütern im digitalen Zeitalter genau dort?

Es wirkt. Die Konzeption und Veröffentlichtung von Mashup in genau diesem Kontext erscheint fast wie ein Infiltrationsversuch. Die Netzgemeinde selbst jubelt sich ohnehin schon oft genug zu, wenn es um die immer neue und doch immer gleiche Beschreibung ihrer Werte und Visionen geht. Überzeugt werden muss nicht die digitale Bohême, sondern die Frank Schirrmachers und die Suhrkamp-Leser dieser Welt. Und genau dort sollte Mashup vorzüglich wirken.

Dirk von Gehlens Argumente für einen entspannteren und freieren Umgang mit kreativ verwendeten Kopien sind nicht neu. Sie sind zusammengetragen – man möchte sagen: zusammenkopiert. Das Lob der Kopie beschreibt in seinem Titel seine eigene Arbeitsweise, die gleichzeitig seit Jahrhunderten die Arbeitsweise der Wissenschaft ist. Von Gehlen zitiert ausführlich aus Goethe-Memoiren, Standardwerken, Gesetzestexten und wissenschaftlichen Kommentaren. Er beschreibt methodisch und unaufgeregt die Entwicklung des Urheberrechts und wählt die in seinen Augen besten Vorschläge zu dessen Anpassung aus. Er führt Experteninterviews, die eigentlich nur weitere Zitate einzelner Denker sind, seinen eigenen Worten aber zusätzliches Gewicht verleihen. Mashup beginnt bewusst mit einem Beispiel aus der archaischen, ganz und gar nicht hypertextuellen Welt des Fußballs. Und es schließt mit Forderungen, die auch einem Vermittlungsausschuss entspringen könnten: moderat, fundiert und vernünftig. Forderungen nach der Anerkennung der kreativen Kopie als Partizipation an Originalen, die nur wir selbst zu solchen gemacht haben.

Der Clou an Mashup ist, dass es sich für eine Reductio ad Absurdum so gar nicht eignet – ganz anders als die Visionen mancher Netzevangelisten von Cluetrain bis Jarvis, die man je nach Weltsicht vortrefflich lieben oder hassen kann. Stattdessen hat von Gehlen hat eine der elementaren Ideen des digitalen Zeitalters auf genau der Ebene zusammengefasst, die sie auch für Skeptiker überzeugend machen sollte. Die Kategorie “junger Heißsporn”, welche die Altvorderen dazu bringen könnte, das Buch mit einem gnädigen Schmunzeln abzutun, bedient er – mit einer “Playlist zum Buch” etwa – nur gerade soweit, dass sie noch sympathisch und nicht umstürzlerisch wirkt.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Infiltrationsversuch gelingt.


Mashup bei Suhrkamp. Titelabbildung von dort.

Nicht in die Fresse. Die erste deutsche “Wired”

Was ist eigentlich aus dem Ausdruck “Mitten in die Fresse” geworden? Die erste deutsche Ausgabe der Zeitschrift “Wired” sei “deutsch ‘in your face'” hat Chefredakteur Thomas Knüwer stattdessen in einem Interview mit “Horizont” gesagt. Ein widersprüchlicheres Bonmot hat man lange nicht mehr gelesen.

Widersprüchlichkeit findet sich auch in der merkwürdig schizophrenen Haltung des Magazins zu sich selbst. Deutsche In-Your-Facigkeit heißt anscheinend, dass sich schon das Editorial von Knüwer, ehemals Redakteur des “Handelsblatt” und seit Jahren kritischer Beobachter der deutschen Medienlandschaft, wie eine einzige große Rechtfertigung dafür liest, warum “Wired” in Deutschland überhaupt erscheinen sollte. “Kann Deutschland das noch, sich für Fortschritt entflammen?” heißt es dort. Die Argumentation setzt sich in Knüwers Leitartikel fort, in dem das angeblich ausschließlich negativ besetzte Wort “Nerd” dem positiveren “Geek” gegenübergestellt und die Häufigkeit des ersteren als Beweis für Deutschlands Innovationsfeindlichkeit herangezogen wird. Eine Haltung, die in den Reaktionen auf das Magazin im Netz von vielen stolzen Nerds bereits abgelehnt wurde.

Klar – es blinken einem aus dem Design des Magazins von jeder Ecke die Farben Schwarz-Rot-Gold entgegen. Johannes Gutenberg wird (von einem Amerikaner, Jeff Jarvis) als “erster deutscher Geek” bezeichnet und viele der porträtierten Geeks sind Deutsche oder arbeiten hier. Doch so recht wollte in mir bei der Lektüre kein Patriotismus aufkeimen. Und das sicher nicht nur, weil die fotografierten Atommeiler in der zentralen Fotostrecke zur Zeit nach der Energiewende alle in der Schweiz stehen.

“Wired” erscheint seit 1993 in den USA und besitzt bereits Ableger in Großbritannien, Japan und Italien. Die Zeitschrift ist geprägt durch einen visionären, hoffnungsvollen und innovativen Blick auf Technik, Innovation und die Welt, in der wir leben. Sie scheint ständig sagen zu wollen: “Schaut her, wir haben jede Menge Probleme aber wir schaffen das schon.” Die Überbringung dieser Botschaft gelingt ihr in einer Zweiteilung des Magazins in kurze, scharfzüngig-humorvolle Fenster auf die verdrahtete Erde und lange, analytische Artikel aus der aktuellen Forschungs- und Kulturlandschaft.

In der deutschen “Wired” hingegen scheint dieser Haltung oft eine Art Sicherheitsnetz vorgeschaltet zu sein, das sich nicht nur in Knüwers Selbstgeißelung sondern auch im eher moderaten Tonfall der Kurzrubriken und der deutlich kürzeren und damit zwangsweise oberflächlicheren Artikel niederschlägt. Thomas Knüwer hat die mögliche Reaktionen darauf im anfangs zitierten Interview sogar vorhergesehen, bleibt aber bei seinem Standpunkt, die amerikanische Machart sei in Deutschland “so nicht brauchbar”.

Am besten sollte man die deutsche “Wired” mit dem Auge von “Wired” selbst betrachten. Das kühne Design loben, die liebevoll gestalteten Infografiken, die starken Meinungskolumnen von Vertretern der deutschen Netzgemeinde und die Spaßrubrik “FAQ”, die tatsächlich Spuren der gewohnten “Wired”-Rotzigkeit besitzt. Vor allem aber anerkennen, dass es Erstausgaben ohne feste Zusage auf Fortsetzung in ihrer Selbstbehauptung immer schwer haben, eben weil ihnen die Aufenthaltsgenehmigung erst noch ausgestellt werden muss. Und man darf, wie es “Wired” tun würde, die Hoffnung nicht aufgeben, dass gute Absichten belohnt werden. Dass die deutsche “Wired” kein Einzelexperiment bleibt, in Serie geht und es sich in Zukunft dann vielleicht auch leisten kann, noch ein bisschen mehr in die Fresse zu schlagen – und ein bisschen weniger schief in your Face zu grinsen.

erschienen in epd medien 37/2011

Von der Seitenlinie

Am 16. August beginne ich eine neue Arbeitsstelle. Ich werde (fester freier) Redakteur in der Filmredaktion eines Fernsehsenders. Ich bin mit der Stadt vertraut, in der ich arbeiten werde, ich liebe Filme und ich kenne das Team der Redaktion von einer früheren Begegnung – ich freue mich sehr auf diesen Job.

Und doch war das Ganze ursprünglich nicht ganz so geplant.

Im Herbst 2009 arbeitete ich in Frankfurt im Redaktionsteam von epd medien mit einem Vertrag, der zum Ende des Jahres auslief. Ich hatte gerade ein knappes Jahr damit verbracht, fast jeden Tag darüber zu berichten, wie miserabel es um die Printmedien in der Bundesrepublik steht und mir war klar, dass mein nächster Job nur online stattfinden konnte.

Meine Bewerbungen bei diversen Onlineredaktionen, große und kleine, wurden alle abgelehnt. Einmal bekam ich die Begründung geliefert, ich habe zu wenig Online-Erfahrung. Ich habe 1996 meine erste eigene Website online gehabt, blogge seit 2003 und hatte mich zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr intensiv mit Onlinemedien beschäftigt. Zudem war ich bei einer Nachrichtenagentur beschäftigt, einem Medium, dass es gewohnt ist, seine Geschichten mehrmals täglich zu aktualisieren. Die reine Tatsache, dass ich noch nie hauptberuflich für ein primär online erscheinendes Medium gearbeitet hatte, reichte anscheinend aus, um mir mangelnde Online-Erfahrung zu attestieren.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag, der es sich zum Prinzip gemacht hat, Menschen außerhalb ihrer Komfortzone einzustellen, gab mir die Chance, die andere mir verwehren wollten. Seit Anfang 2010 bin ich dort alleine verantwortlich für den Inhalt der kompletten Website. Ich habe eine blühende Facebook-Seite und einen funktionierenden Twitterkanal aufgebaut und im Juni die (relativ konservative) Berichterstattung einer vierzigköpfigen Onlineredaktion geleitet. Natürlich habe ich beim Kirchentag keinen Journalismus gemacht. Aber ich habe mehr Online-Erfahrung gesammelt, als mir wohl jemals in einer deutschen Onlineredaktion zugetraut worden wäre.

Da immer klar war, dass der Kirchentag nur ein Projekt sein würde, hatte ich mir ursprünglich mal überlegt, danach irgendwie an die vorderste Front des Onlinejournalismus in Deutschland zu wechseln. Mittendrin zu sein in diesem Mahlstrom des Medienwechsels, der sich gerade vollzieht; mit anderen gemeinsam Geschichte zu schreiben, während die Neuen Medien endlich ihre volle Reife erlangen.

Das werde ich jetzt nicht tun und ich bin eigentlich froh darüber. So spannend ich all das finde, was derzeit in der Medienlandschaft passiert, so nervenaufreibend finde ich es doch, die immer gleichen Debatten zwischen verstockten Apologeten und arroganten Avantgardisten lesen und hören zu müssen. Ständig zu sehen, wie große Medienhäuser ebenso große Töne spucken und selbst das Gegenteil ihrer Reden umsetzen. Zu beobachten, wie Journalisten immer schlechter bezahlt werden, während gleichzeitig von ihnen verlangt wird, immer mehr Inhalte zu generieren, bei deren Anblick das Wort “Qualitätsjournalismus” regelmäßig in hohl widerhallendes Gelächter ausbricht.

Filme haben nach wie vor eine, um den aktuellen Bildersturm von Jeff Jarvis aufzugreifen, recht orthodoxe Form. Und auch ihre Präsentation im Fernsehen folgt dieser Form, was sollte sie auch sonst tun. Dass ich mich auch im Filmbereich für Technologien wie Stereoskopie interessiere, die die althergebrachten Formen “stören”, ist sicherlich kein Zufall. Aber wenigstens muss ich nicht mehr mittendrin stecken, wenn wieder mal jemand schreibt oder sagt, das Internet wäre oder mache dumm, Google sei der Teufel oder mein Video sei nicht viral genug.

Ich beschäftige mich lieber mit etwas, was ich liebe: mit Filmen. Übrigens auch weiterhin an dieser Stelle. Währenddessen beobachte ich den Medienwechsel von der Seitenlinie und lasse sich die Ewiggestrigen und die Ewigmorgigen auf dem Spielfeld die Köpfe einschlagen. So bleibt mein eigener Kopf heil – und vielleicht kann ich dann eines Tages zurück aufs Spielfeld kommen, ein paar Wunden versorgen, und mir von den erschöpften Mannschaften, die beide verloren haben, zeigen lassen, wo ich helfen kann, den kaputten Rasen zu flicken (Nebenbei werden sie mir wahrscheinlich beibringen, Metaphern nicht überzustrapazieren).

Auf die Zukunft!

In eigener Sache: Onlineredaktion von kirchentag.de

Heute mittag um 12 Uhr beginnt das bisher größte journalistische Projekt meiner beruflichen Laufbahn. Ich leite die Onlineredaktion, die über den 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden berichten wird. Diese besteht aus rund 30 Schülern von drei verschiedenen Journalistenschulen und acht ehrenamtlichen Redakteuren, die das ganze im Griff halten sollen. Wir haben eine eigene Agentur, die Nachrichtenredaktion des Kirchentages, mit der wir auch direkt zusammenarbeiten, und wir haben die Möglichkeit, in unserer Online-Berichterstattung alles zu machen, was wir wollen.

Das Ergebnis kann man ab heute Nachmittag auf www.kirchentag.de studieren.

P.S.: Und wie es sich anfühlt, zitiert zu werden, ohne ein Interview gegeben zu haben, zeigte mir der Artikel von DNN online gestern, in dem einer meiner Tweets zitiert wurde.

Nachtrag, 6. Juni: Hier stellt sich die Redaktion vor.

Stuff I learned this week – #10/11

Stuff I learned this week – #7/11

Stuff I learned this Week – #5/11

Stuff I learned this week – #4/11

Stuff I learned this week – #3/11

Auf der Datenautobahn

Blogger sein ist ja mehr so meine Superhelden-Identität. Im Hauptberuf bin ich derzeit Internetredakteur für den 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. In dieser Funktion wurde ich gestern in einem Artikel von dpa, den die “Dresdner Neuesten Nachrichten” in ihr Online-Angebot übernahmen erwähnt. Dort heißt es:

Je näher der Kirchentag rückt, umso präsenter wird er auch in der Öffentlichkeit. „Das deutsche und internationale Interesse wächst“, sagt [Pressereferent Hubertus] Grass. Dies zeige sich auch im Internet . „Mehr als 2300 Freunde bei Facebook , fast 500 Follower bei Twitter und zahlreiche Freunde bei VZ “, zeigt Alexander Gajic (27) auf den großen Bildschirm auf seinem Schreibtisch. Dafür zwitschert und bloggt der „Mann auf der Datenautobahn“.

Als ich diese Titulierung meines Berufs las, musste ich doch deutlich schlucken. “Datenautobahn” – dass man diesen Begriff im heutigen Zeitalter als Journalist noch ungestraft verwenden darf, verwunderte mich doch sehr.

Selbst der dazugehörige Wikipedia-Eintrag führt auf, dass der Begriff immer schon, auch in den 1990ern, als er geprägt wurde, als “falsche Metapher” kritisiert wurde, weil er Ordnung statt Freiheit suggerierte. Inzwischen aber könnte doch das Bild des Internets als “Autobahn” gar nicht mehr falscher sein. In einer Zeit, in der das Netz so groß geworden ist, dass man sich kaum einigen kann, wie man es quantifizieren soll, lässt mich das Wort Datenautobahn eigentlich nur noch an Neal Stephensons frühe Vision des “Metaverse” als kreisförmige Straße mit Gebäuden am Straßenrand in Snow Crash denken.

Ich finde, dass hier immer wieder klar wird, dass der gesamte Ursprungsgeist des World Wide Web im Hypertext – eine kaum überschaubare Anzahl von einzelnen Elementen, die unendlich verstrickt sind, weil sie beliebig aufeinander verweisen können und bei denen der Weg von A nach B immer nur einen Link-Klick entfernt ist – bei ziemlich vielen Menschen immer noch nicht angekommen ist. Schade eigentlich.