Fêtes Galantes

Antoine Watteau, Die Einschiffung nach Kythera (Ausschnitt), 1717

Der Besuch vom Potsdamer Schloss Sanssouci brachte für mich zwei Erkenntnisse mit sich. Erstens, Friedrich der Große hatte seine Kernbibliothek von gut 100 Lieblingsbüchern identisch gebunden in jedem seiner Schlösser und Dienstsitze stehen. Schön zu sehen, dass schon im 18. Jahrhundert Menschen das Bedürfnis nach einer Cloud hatten.

Zweitens, es gibt ein Malerei-Genre des Rokoko namens “Fête Galante”, von dem mehrere Vertreter in der Galerie der Königswohnung auf Sanssouci hängen. Fête-Galante-Bilder zeigen Menschen der höfischen Gesellschaft dabei, wie sie sich in Parks und Wäldern bei Freizeitaktivitäten wie Tanz, Picknick und Blinde-Kuh-Spiel amüsieren. Laut der englischsprachigen Wikipedia entstand die Gattung als Kompromiss zwischen den als Hohe Schule geltenden bildlichen Darstellungen mythologischer Szenen und den bei Auftraggebern gerne gesehenen Gesellschaftsbildern. Die dargestellten Gruppen sollen an das naturverbundene Leben im sagenhaften Arkadien erinnern.

Mir haben die Bilder vor Augen geführt, dass ich in der aktuellen Malerei oder Fotografie auch mal wieder Lust hätte auf diese arrangierten Szenentableaus. Und dringend sollte jemand “Fête Galante”-Bilder aktueller Freizeitaktivitäten schaffen. Ein paar Motivvorschläge wären: Pokémons jagen im Park, Netflix and Chill, Gemeinsames Urlaubsfotobetrachten auf dem Tablet, Affenfelsen auf der re:publica oder Einträchtiges Beisammensein mit Smartphones.

Ich meine das nicht ironisch. Obwohl dies sehr beliebt ist, bin ich dagegen, Menschen wegen ihrer Techniknutzung zu Beschämen. Ich finde viel mehr, dass es wichtig ist, unser Freizeitverhalten mal auf ähnlich galante Weise zu verewigen, wie es im 18. Jahrhundert üblich war. Leben, in harmonischem Einklang mit der Technik.

Marc weist mich auf Facebook darauf hin, dass Stockphoto-Bibliotheken solche Bilder zuhauf anbieten. Stimmt irgendwie. Aber es erfreut mein Herz nicht.

“Affenfelsen auf der re:publica” war eine Idee von Angela Heider-Willms.

Im Fan-Dilemma – Wie sich Filme wie Warcraft von ihrer Authentizität zerstören lassen

© Legendary Pictures

Es wird viel magisch gereist in Warcraft. Weltentore transportieren ganze Armeen von A nach B, Greifen tragen Krieger auf ihrem Rücken von Stadt zu Stadt, Teleportationssprüche erlauben Einzelpersonen oder kleinen Gruppen in einem Lidschlag von einem Hotspot zum anderen zu wechseln. Das leuchtet ein, nicht nur weil Fantasy-Narrative generell häufig die Fernreise als Plotmotor nutzen. Sondern auch weil die schnelle Bewegung von Ort zu Ort eine wichtige Mechanik eines Massive Multiplayer Online Roleplaying Games ist.

Die dort bespielten Welten sind so groß, dass sie Millionen von spielenden Menschen Platz bieten und jedem von ihnen eine echte Wahl lassen, was er als nächstes tun will. Wer möchte, kann die immensen Distanzen in Echtzeit laufend zurücklegen (und manch einer tut dies auch), aber für viele Spieler kommt diese Art von langweiliger Freizeitgestaltung nicht in Frage. Ein Greifenritt, ein magisches Portal, das dürfte vielen World of Warcraft-Spielern bekannt vorkommen. Genauso die äußere Form der gewirkten Zaubersprüche oder der exakte Aufbau von Locations wie Stormwind oder Karazhan, die seit Jahren als quasireale Räume im digitalen Äther existieren. Warcraft, der Film, ist durch und durch authentisch. Es ist das Werk eines Fans.

Textual Poachers

Fans stehen im popkulturellen Diskurs zurzeit häufig im Rampenlicht. Waren sie früher als überambitionierte Minderheit verlacht, zu denen man als Schöpfer_in zwar nett sein sollte, die aber für den großen Erfolg eines künstlerischen Produkts nur eingeschränkt wichtig sind, haben Produzenten und Marketingabteilungen heute erkannt, dass Fans im Internetzeitalter einflussreiche Meinungsführer_innen sein können. Wer ihre Unterstützung hat, kann damit im Fluss kultureller Gespräche viel bewegen. Wissenschaftler_innen wie Henry Jenkins haben darüber hinaus in Büchern wie Textual Poachers dargelegt, wie aktiv Fans inzwischen daran teilhaben, den Kosmos des verehrten Werkes positiv mitzugestalten und neu zu interpretieren, oft entlang ungeahnter ideologischer Linien.

Auf der anderen Seite haben gerade die vergangenen Jahre immer wieder die dunkle Seite von Fantum hervorgekehrt. Erst letzte Woche brodelte es wieder in der Popkultur-Filterbubble, als der kontroverse US-Blogger Devin Faraci, bezugnehmend auf einen anderen Artikel, das Fantum mal wieder als “kaputt” bezeichnete, weil es sich kampagnenmäßig organisiert, um Filmemachern die eigene Sichtweise aufzuzwingen. Faraci vergleicht Hashtag-Kampagnen wie #GiveElsaAGirlfriend – Disney soll der Frozen-Heldin ein Coming Out schenken – und die lautstarke Wutwelle gegen das bald startende Ghostbusters-Remake mit der Figur Annie Wilkes aus Stephen Kings Roman Misery. Wilkes kidnappt dort einen Autor, um ihn zu zwingen, eine Geschichte nach ihren Wünschen fortzuschreiben.

Die Linie ist unscharf

Was die Forschung von Autor_innen wie Jenkins zwar andeutet, aber was im allgemeinen Diskurs gerne verloren geht, ist allerdings, dass die Trennlinie zwischen Fans und Schöpfern in den letzten zwanzig Jahren zunehmend unschärfer geworden ist. Seit die Kulturindustrie endgültig dahinter gekommen ist, dass es lukrativer ist, bekannte kreative Marken endlos fortzusetzen, als neue zu erfinden, sind auch immer mehr Menschen, die ihre Beziehung mit diesen Marken als (minderjährige) Fans begonnen haben, heute selbst in einer Position, wo sie schöpfend tätig werden. (Ja, das ist ein Thema, das mich fasziniert – ich habe es schon öfter hier im Blog beleuchtet.)

Dieser Aufstieg vom einstigen Fan zum heutigen Schöpfer ist an sich überhaupt nichts Neues. Die Autoren der Nouvelle Vague waren Fans von Filmemachern wie Alfred Hitchcock, bevor sie selbst zu Filmemachern wurden. Kevin Smith und Quentin Tarantino haben auf ihrer Identität als Fans große Teile ihrer Karriere aufgebaut. In den großen US-Comicverlagen übernahmen bereits in den 1980er Jahren ehemalige Fans das Ruder bei Superheldenserien und schufen einige der ikonischsten Inkarnationen.

Fantum als Rechtfertigung

Der Unterschied zu heute ist, dass diese Identität als Schöpfer-Fan lange Zeit noch kein Qualitätsmerkmal für sich darstellte. Ambitionierte Fans wagten irgendwann den Schritt auf die andere Seite des Schreibtisches und gut. Es gab, zumindest im breiten Diskurs, kein Narrativ, das besagte, dass Fans am besten wissen, wie mit ihren Held_innen umgegangen werden sollte. Es gab noch keine Notwendigkeit, sich gegenüber denjenigen, deren Ränge man verließ, anschließend mit der eigenen Ahnentafel als Fan zu rechtfertigen, als “einer von uns”, der ganz sicher die richtigen Entscheidungen treffen wird. Es gab noch keine Star Wars-Prequels, die einer Nation von Fans scheinbar vor Augen führten, dass ursprüngliche Schöpfer eben nicht wissen, welche Fortschreibung ein geliebter Parakosmos “verdient” hat.

Bei Warcraft wurde sichergestellt, dass nur die richtigen Leute das Sagen hatten. Die Vergangenheit warnt durch absurde Freakprojekte wie Super Mario Brothers zu genüge davor, was passiert, wenn Videospielfirmen ihre Welten in die Hände derer geben, die keinen Gamer-Stammbaum vorweisen können. Duncan Jones, der Regisseur, betont in jedem Interview, wie viel Zeit er selbst mit den verschiedenen Warcraft-Inkarnationen verbracht hat. Die Spielefirma Blizzard war eng an der Produktion des Films beteiligt – vier von zwölf im Abspann genannten Produzenten (Nicholas S. Carpenter, Chris Metzen, Michael Morhaime und Paul W. Sams) sind Blizzard-Funktionäre.

Mythische Authentizität

Marvel Studios hat einen großen Teil seines Images darauf aufgebaut, dass dort die Menschen die Filme machen, die auch schon die Comics gemacht haben. Und diese gleiche mythische Authentizität umgibt auch Warcraft – jedoch mit einem katastrophalen Ergebnis. Dem Film scheint genau jene Distanz zu fehlen, die Fans häufig nicht haben. Er ist nicht nur eine schamlose, reverse-engineerte Hommage an einen Urtext und versucht, dessen Effekt zu replizieren, wie es die verspäteten Fortsetzungen des letzten Jahres – von Jurassic World bis Star Wars VII – taten. Warcraft ist ein Werk, das außerhalb eines Reenactment-Kontextes nicht funktioniert. Seine Locations, Charaktere und Effekte mögen noch so genau ihren Dependancen aus den Videospielen entsprechen, sie besitzen dennoch kaum nachvollziehbaren Motive oder Handlungsbögen. Das Drehbuch beginnt mit einer Geschichte, die ganz am Anfang des Warcraft-Kanons steht, als sei es vor allem darum gegangen, eine bebilderte Enzyklopädie herzustellen und keinen unterhaltenden Film, der für sich stehen kann.

Zum Vergleich lohnt es sich durchaus, einen Blick auf einen anderen Film zu werfen, der dieses Jahr von der Kritik in Grund und Boden geschrieben wurde und um den ebenfalls Fan-Diskurse kreisen. Hinter Batman v Superman: Dawn of Justice (und davor hinter Man of Steel) steckt der bewusste Versuch, einen Film außerhalb der landläufigen Wahrnehmung der Titelcharaktere zu gestalten. Weil das vielen Fans nicht gefiel, hat Regisseur Zack Snyder im Laufe der Zeit einen erstaunlichen Wandel durchgemacht, von einem “Ich wollte gerne mal was anderes probieren” hin zu einem “Ich bin ein viel besserer Fan als ihr alle”. Die Glaubwürdigkeitsdebatte scheint in diesem Bereich irgendwann jeden in die Knie zu zwingen.

Von der Werktreue erdrückt

Batman v Superman ist aus diversen Gründen ein ähnlich schlechter Film wie Warcraft, aber man kann ihm immerhin nicht vorwerfen, keine eigene Persönlichkeit zu haben. Der Stilwille von Snyder und seinem Drehbuchautor David Goyer ist in jedem seiner über-epischen Bilder und Plotwendungen erkennbar. Batman v Superman läuft sehenden Auges in das Fan-Fegefeuer, aber er nimmt dabei jeden seiner titanischen Schritte mit stolzgeschwellter Brust.

Warcraft hingegen wirkt wie das Bauprojekt eines Fürsten, der sich auf seinen Reisen in einem fernen Land in ein wunderschönes Schloss verliebt hat. Nachdem er wieder zu Hause ist, befiehlt er seinem Hofstaat, den Steinbruch ausfindig zu machen, aus dem die Steine des geliebten Schlosses stammten. Er lässt Straßen bauen, damit Arbeiter von dort zu ihm reisen können. Er liest alles, was er finden kann über die Geschichte und Kultur des Landes, in dem er zu Gast war. Doch als er mit dem Bau beginnen will, hat er nicht nur vergessen, wie das Schloss aussah. Er hat auch vergessen, warum es ihm eigentlich gefiel. Mich lässt der Eindruck nicht los, dass in Warcraft irgendwo ein interessanter Film verborgen liegt, der allerdings vom Wunsch seiner Fans nach Werktreue zerdrückt wurde.

Der sichere Kern

Disney scheint in diesem Wechselspiel aus Fan-Authentizität und Umformung für ein neues Medium und ein anderes Publikum den Dreh raus zu haben. Die Marvel Studios-Filme, zuletzt Civil War, gefallen en gros sowohl Hardcore Fans als auch der breiten Zuschauerschaft. Sie scheinen das aber vor allem dadurch zu tun, dass sie eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden haben, der weder auf stilistischer noch auf Plot-Ebene große Risiken eingeht. Auf keinen Fall darf der sichere “Kern” verloren gehen, der das Franchise groß gemacht hat: ein leichtfüßiger Ton und ein Reigen gut identifizierbarer Helden. Bei der frisch wieder aufgenommenen Star Wars-Serie sieht es genauso aus. Die größte Meldung, die in der vergangenen Woche durch die Geek-Blogosphäre geisterte, lautete, dass größere Teile von Rogue One, den ersten für sich stehenden Star Wars-Film von Regisseur Gareth Edwards, neu gedreht werden sollen. Angeblich sollte der Film dadurch stärker an die gewohnte Star Wars-Gußform angepasst werden, aus der sich ja auch J. J. Abrams mit The Force Awakens nur sehr wenig gelöst hatte. (Diverse Quellen haben diese Lesart dementiert.)

Die Frage ist, wie lange ein solcher Selbstbezug noch aufrechterhalten werden kann. Zynische Menschen könnten an dieser Stelle sicher sagen, dass es doch genau unserer Natur entspricht, immer wieder den gleichen, anspruchslose Brei vorgesetzt zu bekommen. Und in der Tat hat Warcraft zum Beispiel in China, wo das MMORPG besonders beliebt ist, diverse Rekorde gebrochen (vielleicht nicht ganz selbstverschuldet). Aber langfristig kann das nicht die gesamte Zukunft des populären Kinos sein. Es scheint sie ja zu geben, jene Filmemacher_innen, die genug Distanz zu ihrem eigenen Fantum besitzen, um zu wissen, dass Authentizität alleine nicht reicht, um einen Film gut zu machen. Wenn von denen jetzt noch ein oder zwei ihren bisherigen Erfolg nutzen würden, um auch mal ein paar mutigere Schritte zu wagen, wäre das ja schon ein Anfang.

How Much of the Message Is Actually in the Medium?

Jan Böhmermann und Olli Schulz wechseln vom Radio zu Spotify. Was natürlich die mit prophetischer Rede begabte Menschen zu der Frage verleitet, ob uns mit dieser Entscheidung nun auch in Deutschland der kleine aber feine Podcast-Durchbruch (klingt nach Darmdurchbruch) bevorsteht, der in den USA schon mancherorts Fuß gefasst hat. Ich glaube nicht, aber darum soll es jetzt nicht gehen.

Mich interessiert viel eher die andere fast schon kniereflexartige Reaktion, die in solchen Momenten aus der digitalen Meinungslandschaft zu hören ist, zum Beispiel bei Felix Schwenzel:

diese nachricht erschüttert mich jetzt relativ wenig, ich habe die sendung nämlich nie freiwillig gehört (…). ich habe nichts gegen zielloses herumlabern und meckern, das mute ich hier schließlich auch seit 14 jahren meinen lesern zu – aber ich tue es seit 14 jahren skip-freundlich, mit texten, die sich leicht überspringen und überfliegen lassen.

Felix ist nicht der einzige Mensch, den ich kenne, der mit Podcasts nichts anfangen kann. Immer wieder höre ich das Argument, dass dieses Medium, dem ich seit gut zehn Jahren als Konsument und Kritiker verfallen bin, so schrecklich ineffizent sei. Man kann es nicht überfliegen, man kann es nicht gut zitieren. Es ist schwer, Informationen wiederzufinden, die man dort gehört hat. Es dauert viel länger, diese Informationen zu hören, als sie zu lesen.

Die Gegenargumente sind bekannt

Die Gegenargumente, die sich zum Beispiel schnell unter Felix‘ Facebookpost zu sammeln begannen, sind genauso hinreichend bekannt. Podcasts lassen sich hören, während man andere Dinge tut – spazieren, Auto fahren, putzen, Sport – sie transportieren über Klänge und Musikuntermalung weit mehr als ein Text, genau wie das Radio seit gut 100 Jahren. Die Tatsache, dass Podcasts meistens über Kopfhörer gehört werden, führt zusätzlich zu einer erhöhten Intimität und Empathie gegenüber den Sprechenden; die persönliche Art, in der gerade viele Gesprächspodcasts aufgebaut sind, lässt über die Zeit ein merkwürdiges Vertrauensverhältnis zwischen Hörenden und Sendenden entstehen.

Und doch haben auch die Menschen, die Podcasts produzieren, längst erkannt, dass genau diese intime Verbindung auch satte Nachteile hat, zum Beispiel in der „Sharing Economy“ des Netzes. „To Attract New Listeners, Podcasts Need to Move Beyond Audio“ war der Titel eines „Wired“-Artikels, den ich vor einiger Zeit hier im Blog verlinkt habe, und der beschrieb, wie etwa Serial seine zweite Staffel durch „Shareables“ auf der Website unterfüttert hat, da die Episoden selbst sich so schlecht für virale Verbreitung eignen. Als Gimlet, die Podcast-Firma von This American Life-Alumnus Alex Blumberg, noch in der Findungsphase war, stand lange im Raum (wie im Podcast Startup dokumentiert), ob sie überhaupt eine Content-Firma werden soll – oder nicht vielleicht lieber „Instagram for Audio“. Wer weiß, ob Gimlet diese Pläne wirklich aufgegeben hat? Audible hat gerade damit begonnen, Ausschnitte aus Hörbüchern teilbar zu machen.

Würden Transkripte alles besser machen?

Es ist klar, dass es Podcast-Hörenden beim Hören nicht nur um reine Informationsaufnahme geht, aber ich habe ja schon öfter davor gewarnt, Medien allzu essentialistisch zu betrachten. Es ist zu einfach, sie auf das zu reduzieren, was sie besonders macht. Wie also wäre es, wenn man Podcasts stattdessen oder ergänzend als Text konsumieren könnte? Würde das alles besser machen?

Zum Glück gibt es für diese Frage ein Fallbeispiel. Scriptnotes, ein Podcast, in dem sich zwei Hollywood-Drehbuchautoren über Handwerk und Business (und ab und zu auch Kunst) des Drehbuchschreibens austauschen, erscheint seit Jahr und Tag jede Woche mit einem Transkript der Sendung. Ab und zu habe ich das als hilfreich empfunden, wenn ich wirklich mal etwas zitieren wollte, oder nach längerer Zeit eine Referenz gesucht habe. Transkripte sind, anders als Audioaufnahmen, googlebar.

Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, die Podcasts zu lesen statt sie zu hören – auch nicht, nachdem ich irgendwann mein Scriptnotes-Abo ausgesetzt hatte. Das Motto „Ich investiere keine Stunde pro Woche mehr, um zwei Typen quatschen zu hören, aber ich kann ja in zehn Minuten überfliegen, was sie gesagt haben“ kam mir nicht in den Sinn. Gespräche bleiben Gespräche. Es macht keinen Spaß, sie zu lesen, auch wenn es effizienter ist.

Von Drehbüchern und Dramen

Und weil es so schön passt: John August und Craig Mazin, die Moderatoren von Scriptnotes, betonen in ihrer Sendung immer wieder, vor allem als Ratschlag an junge Schreiberlinge, dass Drehbücher keine Texte sind, die dafür gedacht sind, gelesen zu werden. Sie sind ein Arbeitsdokument, aus dem ein Film entstehen soll. Es kann Drehbücher geben, die sich gut lesen lassen, aber das ist nicht ihr Zweck, denn sie sind kein Film. Genau wie Transkripte keine Podcasts sind.

Aber, könnte ein Anti-Essentialist wiederum einwenden, wir haben uns auch daran gewöhnt, Dramen zu lesen, wenn sie gerade nicht in unserer Nähe auf dem Spielplan eines Theaters stehen. Allerdings könnte eine Anhängerin von „The Medium is the Message“ auch dagegenhalten, dass bei Dramen der Bezug zwischen geschriebenem Text und „vollständigem“ Endprodukt loser ist. Damit steht das schriftliche Drama stärker für sich selbst, denn es gibt viele verschiedene Inszenierungen davon, aber logischerweise nur einen Podcast zu jedem Transkript und in der Regel auch nur einen Film zu jedem Drehbuch. (Interessanterweise entsteht aber derzeit in den USA die Tradition der „Live Reads“, in der neue Schauspieler alte Drehbücher neu „aufführen“.)

Executive Summary

Als mein Bloggerkollege Matthias den Auftrag bekam, sich mit Buffy the Vampire Slayer zu befassen, wusste er, dass er keine Zeit haben würde, sich durch alle sieben Staffeln zu gucken. Also wählte er einen anderen Weg und las stattdessen die ausführlichen Plotzusammenfassungen jeder Folge in der englischen Wikipedia. Würde ihn allerdings jemand fragen, ob er die Serie kennt, würde er nur „Jein“ antworten, sagt er. Inzwischen habe er sogar die erste Staffel gesehen und könne sich darauf basierend den Rest ausmalen. „Aber vorher kannte ich nur das Geschriebene, keine Stimmen und nur bedingt Gesichter von Figuren.“ Zu einem Kenner der Serie hat ihn das scheinbar nicht gemacht.

Ich habe schon öfter mit dem Gedanken gespielt, diese Methode anzuwenden, wann immer mir eine Serie zum Gucken zu langwierig geworden ist, ich aber dennoch wissen möchte, wie die Geschichte weitergeht. Bei Lost war ich sehr versucht, bei Battlestar Galactica stehe ich kurz davor. Bei der dritten Staffel von Agents of S.H.I.E.L.D. habe ich es jetzt einfach mal gemacht – natürlich weil mich interessiert, wie die Serie die Geschehnisse von Captain America: Civil War einarbeitet. Das Ergebnis: Als „Executive Summary“ taugen die Texte ganz gut – vor allem, wenn man die Serie schon kennt. Aber sie sind auch schrecklich unübersichtlich, vor allem in einer Serie wie S.H.I.E.L.D., wo die meisten Charaktere relativ flache Typen sind, deren Rolle man sich eher über äußere Merkmale als über Namen merkt.

Ergebnisse einer Umfrage

Ich habe dann noch eine völlig unrepräsentative Umfrage zum Thema in der ständigen „Techniktagebuch“-Redaktionskonferenz gemacht, immerhin eine Gruppe von Menschen, die sich gerne und viel mit solchen Themen auseinandersetzt. Das kam raus: Wenn Schrifttexte in audiovisuelle Medien übertragen werden, geht das nicht einfach so. Kathrin Passig erzählt, dass das Übersetzen von eigenen, geschriebenen Texten in Vorträge für sie immer bedeutet, noch einmal ganz vorn, bei etwa fünf Prozent, anfangen zu müssen. Anne Schüßler und Thomas Jungbluth berichten, dass sie die Entscheidung „Buch oder Hörbuch“ sowohl nach Art des Buchs als auch nach Sprechenden treffen.

Wenn es also bei so vielen anderen Medien schon so klar ist, dass die Verschriftlichung des Audiovisuellen oder die Audiovisualisierung des Schriftlichen definitiv eine Veränderung mit sich bringt, warum wird dann gerade Podcasts immer wieder vorgeworfen, dass man die darin enthaltenen Informationen doch viel einfacher oder besser lesen könnte? Zumal gerade allerorts interessante Artikel dazu aufploppen, dass die Zukunft des Internets eventuell nicht so textbasiert sein könnte, wie sie sich im Moment noch darstellt (siehe auch Snapchat).

Eine gute Antwort auf diese Frage ist mir auch nach einigem Grübeln noch nicht eingefallen. Aber ich möchte gerne weitere Erfahrungen mit Vertextlichung sammeln. Sogar schriftlich. In den Kommentaren dieses Posts.

The Seven Year Itch

Heute vor sieben (SIEBEN!) Jahren habe ich den ersten Post auf “Real Virtuality” veröffentlicht. Es wird 2016 also Zeit für den “Seven Year Itch”, denn angeblich wird es nach sieben Jahren in einer Ehe oder Beziehung schwieriger, alles stabil und frisch zu halten. Wenn ich mir anschaue, wie laut ich schon vor einem halben Jahr darüber nachgedacht habe, “Real Virtuality” zu verändern (und hey! es gibt jetzt immerhin die “Real Virtualinks”), könnte das sogar stimmen. Bisher habe ich es noch nicht geschafft, meinen Hintern für ein ordentliches Podcast-Projekt hochzukriegen, aber vielleicht wird es ja doch noch was.

The Seven Year Itch ist natürlich auch der Titel eines schönen Films mit Marylin Monroe, der auf deutsch Das verflixte 7. Jahr heißt und das Titelbild dieses Posts inspiriert hat. Eine Million Dankeschöns an Owley, der mir dieses Bild gezaubert hat!

Andererseits wird 2016 aber allen Anzeichen nach auch das Jahr, in dem der Namensursprung meines Blogs, Virtual Reality, seinen großen Durchbruch haben könnte. Warum mich das vor allem im Filmbereich begeistert, habe ich an verschiedenen Stellen schon aufgeschrieben. Und gerade heute habe ich mir Tickets für ein VR-Event in Berlin gesichert, es wird also auch noch viel zu schreiben geben.

Wir werden sehen, was das nächste Jahr bereit hält. Bis dahin bin ich sehr dankbar, dass ich dieses Blog seit sieben Jahren führen kann, dass sich immer wieder Leute für meine Inhalte interessieren und dass es mir die Tür zu vielen tollen Begegnungen, Bekanntschaften und Freundschaften geöffnet hat. Dafür allein hoffe ich, dass es mindestens noch sieben Jahre so weiter geht.

Falls irgendjemand seit Jahren nach einer Möglichkeit sucht, mir etwas Gutes zu tun (am Mittwoch habe ich übrigens auch selbst Geburtstag), verlinke ich an dieser Stelle ausnahmsweise zusätzlich meinen Amazon-Wunschzettel.

Vielen Dank für sieben Jahre Treue, Kommentare und Kontakte. Auf bald!

Die kleinen Preise

Im Booklet von Michael Jacksons Greatest-Hits-Album mit dem so genial hybrisschwangeren Titel HIStory – Past, Present and Future, Book 1 (zu dem es nie ein Book 2 geben würde) findet sich eine Auflistung aller Preise, die der King of Pop jemals gewonnen hat. Und schon damals 1995, als ich die Liste in meinem Kinderzimmer ehrfurchtsvoll durchlas, wunderte ich mich, dass dort auch mehrere “Bravo Otto: Gold Award” verzeichnet sind. “Wirklich”, dachte ich, “dafür interessiert sich Michael Jackson? Dass er einen goldenen Bravo-Otto gewonnen hat?”

Preise sind so eine Art notwendiges und manchmal auch amüsantes Übel im Zirkus der Kulturproduktion. Sie sind Richtschnur für die Außenstehenden, Marketinginstrument und möglicherweise wichtige Booster für die Karriere einzelner Künstler. Sie sind Anerkennung der eigenen Branchengenossinnen und Anlass für aufwändige Galas und rauschende Feste.

Wie bei den Bambi-Galas

Wenn man als Künstler relativ am Anfang steht und kein reinster “l’Art pour l’Art”-Mensch ist, freut man sich mit Sicherheit über jeden Preis, den man gewinnt. Genug Eindruck gemacht zu haben, dass andere Menschen einen dafür ehren wollen, das ist schon was. Aber wie ist es, wenn man etwa als Filmstar schon auf Oscar-Niveau angekommen ist? Freut man sich dann eventuell noch über einen Gilden-Award, weil dort nur die eigene Branche wählt? Freut man sich über eine Auszeichnung in einem Gebiet, wo man vermeintlich noch nicht bekannt war, zum Beispiel in Asien? Oder könnte einem das eigentlich nicht egaler sein, wo man überall in Abwesenheit kleine Preise verliehen bekommt, in jeder mickrigen Filmzeitschrift der Welt beispielsweise. Undotierte Preise natürlich.

Ich veröffentliche jedes Jahr meine persönliche Bestenliste, weil ich weiß, dass sie manche Leute interessiert aber hauptsächlich, weil ich selbst gerne dokumentiere, welche Dinge mich beeindruckt haben. Aber einen Preis für den besten Film vergeben? Wem soll das nützen? Ist das dann so wie bei den Bambi-Galas, wo erstmal geguckt wird, wen man alles als Gast buchen könnte und sich dann einen Preis ausdenkt, den man ihm geben könnte?

Schreibt man “Badass” nicht zusammen?

In nicht ganz so vielen Worten habe ich das alles Micha Scharsig geschrieben, als er mich gefragt hat, ob ich dieses Jahr in der Jury des “Filmtipp-Award” dabei sein wollte, bei dem Micha jedes Jahr eine Gruppe von Bloggerinnen und Bloggern koordiniert, um eine Reihe von Preisen zu vergeben. In den letzten Wochen habe ich mich also durch eine Liste von 33 mehr oder weniger abstrusen Kategorien geschnauft (schreibt man “Badass” nicht zusammen?), einem Nominierungsprozess beigewohnt, der im besten Fall schwierig war, weil die wenigsten Teilnehmerinnen der Jury überhaupt genug Filme gesehen hatten (inklusive mir), um sich nicht einfach nur an dem zu orientieren, was alle anderen machen. Zu guter Letzt habe ich mich noch heftig darüber gestritten, ob es chauvinistisch ist, Alicia Vikander für Ex Machina nur in der Kategorie “Beste Nebenrolle” zu nominieren, obwohl sie die wichtigste Figur des ganzen Films ist.

Niemand von denen, die hier am Ende gewinnen werden, wird sich dafür interessieren, dass ihnen eine beliebige Runde deutscher Filmblogger den Filmtipp-Award verliehen haben. Wenn also zum Beispiel Leonardo DiCaprio “Bester Schauspieler” werden sollte, kratzt ihn das vermutlich noch weniger als die Auszeichnung der Utah Film Critics Association.

Also: Für wen machen wir das? Die Antwort ist klar: für uns. Micha veranstaltet das Ganze vermutlich, weil er das Gefühl einer Preisverleihung mag. Ich mache mit, weil alles, was die Filmblogosphäre zusammenbringt, gut ist. Die Diskussionen, egal wie sinnlos sie waren, haben die Community gestärkt und Micha hat sich die Mühe gemacht, diese Communitystärkungsaktion mit 29 Filmblogmenschen zu veranstalten. Vielleicht sollte man dafür lieber ihm einen Preis geben. Michael Jackson, Gott hab ihn selig, hat bestimmt noch irgendwo einen goldenen Bravo-Otto herumstehen.

Hier geht es zu den Nominierungen des Filmtipp-Award

Meet the Bloggers – Berlinale 2016

Letztes Jahr konnte ich leider nicht dabei sein, aber dafür dieses Jahr umso mehr! Zum vierten Mal gibt es während der Berlinale ein Treffen für alle, die irgendwas mit Film und Internet machen. Das Haus der 100 Biere/Mommsen-Eck liegt günstig in der Nähe der Festivalkinos am Potsdamer Platz und bietet genug Raum für einige Blogger_innen, Podcaster_innen, YouTuber_innen und alle anderen, die bei einem Getränk Freundschaften für’s Leben schließen wollen.

Am 13. Februar 2016 ist ab 17 Uhr ein Tisch auf den Namen “Peschel” reserviert. Hier könnt ihr auf Facebook euer Kommen ankündigen.

Sollten Agenturen oder sonstige professionelle Blogger-Kontaktmenschen Interesse haben, zu diesem Treffen zu kommen oder etwas dazu beizutragen, dürfen Sie sich gerne bei mir melden.

Das erneute Ende des großen Büffets

Im Sommer 2015 habe ich mich entschieden, Musikstreamingdiensten endlich eine faire Chance zu geben. Ausschlaggebend war nicht zuletzt ein Gespräch mit einer zehn Jahre jüngeren Kollegin, deren Musikgeschmack ich schätzte und die mir fröhlich und selbstverständlich davon erzählte, wie sie ständig neue Bands entdeckt und eine innige Beziehung zu Musik entwickelt, auch ohne eine Repräsentation dieser Musik zu kaufen. Ich testete Spotify erst einen kostenlosen Monat und blieb dann noch zwei weitere, weil ich mich sehr schnell an diese neue bequeme Art, Musik zu hören, gewöhnte. Im September entschied ich, der Konkurrenz eine Chance zu geben (und ein bisschen Geld zu sparen), und testete drei weitere Monate Apple Music.

Ich fand Apple Music etwas umständlicher zu bedienen als Spotify und ihm fehlte der geniale “Discover Weekly”-Algorithmus, aber am Ende siegte vor allem die Bequemlichkeit. Apple Music dient als Erweiterung meiner bisherigen mp3-Musiksammlung in iTunes, ich kann im gleichen Ökosystem bleiben. Praktisch. Es gab aber einen weiteren Grund. Im Dezember entdeckte ich auf Apple Music ein Album, das ich toll fand, aber auf Spotify nie gefunden hätte. Gavin Harrisons “Cheating the Polygraph”, ein furioser Big-Band-Jazz-Remix seiner besten Porcupine-Tree-Performances, ist aus irgendeinem Grund nicht in den 30.000.000 Songs auf Spotify enthalten, in denen von Apple Music aber schon.

Eine mächtige Kombination

Klar, ich hätte trotzdem bei Spotify bleiben und mir “Cheating the Polygraph” einfach kaufen können – aber es ist ätzend anstrengend bis unmöglich, “externe” Songs ins Spotify-System einzuschleusen. Im Endeffekt hätte ich das Album also mit Sicherheit seltener gehört. Apples Exklusivbesitz des Assets “Cheating the Polygraph” hat mich an den Dienst gebunden. Irgendwo hat ein Content Marketing-Experte seine Flügel bekommen.

Die Kombination von Abonnements und exklusiven Inhalten ist nichts Neues, sie fällt mir aber in diesem neuen Streaming-Zeitalter gerade mal wieder enorm auf, weil sie so mächtig ist. Netflix hat 2015 mit (guten) Exklusivinhalten richtig auf die Kacke gehauen und plant, die Menge an “Original Programming” 2016 zu verdoppeln. Amazon steht derzeit ungefähr so da wie Netflix vor einem Jahr – mit einer frischgebackenen besten TV-Serie des Jahres und schon einigen weiteren Hits im Sack oder in Petto.

Opfer der Bequemlichkeit

Will man einen dieser Hits genießen hat man keine Wahl, außer sich gleich auf das ganze Paket einzulassen. Und je mehr exklusive Inhalte ein Anbieter hat, umso schwächer wird unser Wille, ihn zu verlassen. Abos, selbst monatlich kündbare, sind clever, weil sie garantierten Umsatz bedeuten, egal ob die Abonnenten den Dienst nutzen oder nicht. Und Bequemlichkeit sorgt dafür, dass wir Abos viel länger behalten, als wir müssten. Ich habe mein GMX-ProMail Abo, das ich mal abgeschlossen habe, weil ich ein IMAP-Postfach wollte, ungefähr zwei Jahre gekündigt nachdem ich das erste mal dachte “Könnteste eigentlich mal kündigen”. Meine erste Domain läuft immer noch bei einem anderen Provider als mein Blog, weil ich einfach zu faul bin, mich mal eine Stunde hinzusetzen und den ganzen Schlonz zu tranferieren.

Es mag Leute geben, die in den USA ihr HBO-Abo immer nur während der aktuellen Game of Thrones-Staffel laufen lassen und es danach wieder kündigen, aber das wäre mir zu viel Arbeit. Ich bin zwar Fürsprecher entspannter Mediennutzung angesichts des Überflusses, aber ich möchte selbst entscheiden können, welche Optionen ich ignoriere. Ich gehe gerne mal in ein Restaurant mit kleiner Karte, weil eine reduzierte Auswahl entspannen kann, aber ich würde mich ärgern, wenn ich dieses Restaurant dann immer auch dann bezahlen müsste, wenn ich dort nicht esse.

Entbündelung und vertikale Integration

Als Kultur noch an Trägermedien gebunden war, war der freie Markt unser großes Büffet. Wir konnten einfach so losgehen und uns die Kultur kaufen und dann hatten wir sie zu Hause. Das Internet hat diesen Prozess, Stichwort “Entbündelung“, auf noch kleinere Teile heruntergebrochen – Songs statt Alben, Artikel statt Zeitungen. Streamingdienste, mit ihrer Emulation des HBO-Modells im Digitalen, kehren zu einer vertikalen Integration zurück, wie sie im US-Kinomarkt beispielsweise in den 50er Jahren verboten wurde: Produktion, Bereitstellung und Auslieferung aus einer Hand.

Überdramatisiere ich? Mit Sicherheit. Will ich eigentlich nur nicht dauerhaft mehrere Abos abschließen, um alles sehen/hören/lesen zu können, was andere mir empfehlen? Genau. Ist das ein luxuriöses First World Problem? Auf jeden Fall! Aber ich denke doch, dass es auch ein paar ernstzunehmende Folgen haben könnte. Zum Beispiel hat das Internet die große kulturelle Unterhaltung demokratisiert, exklusive Angebote aber schaffen wieder Filterbubbles, die jene ausschließen, die sich (beispielsweise) kein Netflix-Abo leisten können. Darüber darf man ruhig mal nachdenken. Das moderne Unterhaltungsparadigma bedient nicht nur die Nische, es schafft sie auch selbst.

Nachgedanke, 22:09 Uhr: Exklusivinhalte sind das Gegenteil von guter Kuration, womit Netflix zum Beispiel ja mal angefangen hat. Kuration sucht dir aus der Masse der Angebote die besten an einem Ort zusammen. Exklusivinhalte bedeuten, dass es mehrere Orte gibt, von denen jeder behauptet, er habe selbst das Beste.

Die Lieblingsfilme der Filmblogosphäre 2015

Ab dem dritten Mal ist es eine Tradition! Wie schon in den vergangenen zwei Jahren habe ich die Tage seit Neujahr damit zugebracht, knapp 50 deutschsprachige Filmblogs nach Top 10-Listen für das vergangene Jahr zu durchsuchen und daraus in einer großen Tabelle eine gemeinsame Hitliste zusammenzurechnen. Details zur Wertung und ein Link zur Tabelle am Ende des Artikels.

Ich muss zugeben, dass die Liste nur wenige Überraschungen bereit hält. Am weitesten oben sind wie immer Filme platziert, die einfach zu sehen waren und den nötigen “Buzz” mitbrachten, um den geneigten Filmfreund oder die geneigte Filmfreundin auch ins Kino zu treiben. Wie schon im vergangenen Jahr schwebt ein Film gottgleich mit großem Abstand über dem Rest: Mad Max: Fury Road hat es geschafft, Genrefans, Blockbuster-Sympathisantinnen und Filmkunst-Liebhaber gleichermaßen anzusprechen. Es gab kaum eine Liste, auf der George Millers Actionballett nicht unter den ersten zehn Filmen auftauchte.

Auf den restlichen Plätzen der Top 10 zeigt sich der tendenzielle Hang der Blogosphäre zum Genre- und Effektkino, auch bei Victoria oder Birdman, wo der ganze Film ein Special Effect ist. Beachtlich ist die hohe Platzierung von Star Wars: The Force Awakens – die Freude über die Rückkehr der Reihe scheint über die Ähnlichkeit des Films mit seinen Vorgängern triumphiert zu haben. Der “Geheimtipp”, weil einzige nicht “High Concept”-Film in der Top 10 ist sicher das Indie-Gruselett It Follows, das anscheinend auch viele überzeugt hat, die nicht regelmäßig Horrorfilme konsumieren.

Der große Konsens an der Spitze sollte übrigens auch dieses Jahr nicht davon ablenken, dass in der Blogosphäre durchaus ein breites Spektrum des Filmgeschmacks zu Hause ist. Insgesamt landeten immerhin 156 verschiedene Filme in den 49 Top Tens, die in die Wertung einflossen – und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die das Jahr sowieso lieber unquantifizierbar Revue passieren lassen, etwa Lena oder die Autoren von “Cargo“.

1. Mad Max: Fury Road

© Warner Bros.

2. Victoria

copy; Senator

3. Ex Machina

© Warner Bros.

4. Star Wars: The Force Awakens

© Disney

5. Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance)

© 20th Century Fox></p>
<h3>6. Whiplash</h3>
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7. It Follows

© UFA

8. Inside Out

© Disney

9. The Martian

© 20th Century Fox

10. Carol

© DCM

11. Sicario
12. Kingsman: The Secret Service
13. Inherent Vice
14. Steve Jobs
15. 45 Years
16. Leviathan
17. The Look of Silence
18. Love
19. Bande de filles
20. Youth und Ich seh, Ich seh

Zur Methode: Datengrundlage sind insgesamt 49 Listen oder Lieblingsfilm-Nennungen aus deutschsprachigen Filmblogs. Grundlage waren das grandiose Filmblogverzeichnis auf “SchönerDenken” und einige Ergänzungen, die dort noch fehlten. Bei mehreren Listen pro Blog von verschiedenen Autor_innen wurde jede Liste einzeln gezählt.

Die Filme wurden nach einem Punktesystem geordnet. Bei nummerierten Top-10-Listen bekam der erste Platz 10 Punkte und so weiter bis zum 10. Platz, der 1 Punkt bekam (gesamt: 55 Punkte). Bei nicht nummerierten Listen bekam jeder Film 5,5 Punkte (gesamt: 55 Punkte). Bei weniger als 10 genannten Filmen bekam der erste Platz 10 Punkte und so weiter absteigend, fehlende Plätze wurden ignoriert. Bei mehr als 10 genannten Filmen wurden nur die ersten 10 gewertet.

Die ganze Tabelle ist als Google-Doc einsehbar. Falls jemand seine Liste vermisst, schickt mir gerne einen Hinweis per Mail oder auf Twitter.

Real Virtuality 2015 – Persönliche Höhepunkte

Baptism by Fur: Mit Äffle und Pferdle bei einem Termin zur Privatquartierkampagne in Stuttgart, März 2015

Das Jahr neigt sich dem Ende. Ich habe schon Musik und Bücher Revue passieren lassen. Bevor ich zur großen Filmliste komme, möchte ich wie in den vergangenen Jahren auch noch auf ein paar weitere Highlights des Jahres zurückblicken, die eher persönlicher, wenn auch nicht unbedingt privater Natur sind. Dinge, die ich erlebt oder beobachtet habe.

#rp15

Eigentlich habe ich zur diesjährigen re:publica schon alles geschrieben. Sie war eine Druckbetankung an Eindrücken, Begegnungen und Gefühlen, die es eben nur dort gibt (weil ich weder zum Zündfunk Netzkongress noch zum Chaos Communication Congress fahren konnte). Ein gutes halbes Jahr später sind mir vor allem drei Dinge in Erinnerung geblieben: Das Zusammensitzen mit der Redaktionskonferenz des “Techniktagebuch”, der Adrenalinrausch nach meinem eigenen Talk und ein gesprächiger Abend mit einer tollen Person. Für die #rpTEN habe ich erneut einen Vorschlag eingereicht.

Mad Men

Seit dem Beginn des neuen TV-Booms hat mich keine Serie so gefangen genommen wie Mad Men. Nicht The Wire, nicht Breaking Bad (bisher nur den Piloten gesehen) und schon gar nicht Lost (nach der ersten Staffel entnervt aufgegeben). Vielleicht liegt es daran, dass Mad Men grob in “meiner” Branche spielt, dass ich so schnell Zugang zu ihr gefunden habe. Aber viel mehr als den Werbekram habe ich es geliebt, an der Serie den Wandel der kulturellen Landschaft in den USA in der vielleicht wichtigsten Dekade des 20. Jahrhunhderts zu verfolgen. Obwohl Mad Men zwischenzeitlich etwas durchhing – ich war sowohl tieftraurig als auch erleichtert, als Matthew Weiners Magnum Opus im Mai endgültig zu Ende ging. Noch hat keine neue Serie ihren Platz einnehmen können.

35. Deutscher Evangelischer Kirchentag

Mein Brotjob erreichte seinen Höhepunkt vom 3. bis 7. Juni. Wieder einmal saß ich von einem Tag auf den anderen plötzlich mit 50 Leuten in einem Raum, die alle auf mein Kommando hörten. Das Tolle: Die “mittlere Management”-Ebene der sogenannten Multimediaredaktion, darunter Jens Albers, Ralf Peter Reimann, Christian De Zottis und Katharina Matzkeit (um nur mal die Leute mit eigener Webpräsenz zu promoten), funktioniert inzwischen so gut zusammen, dass ich mich aus dem operativen Geschäft fast völlig zurückziehen konnte/musste, was manchmal auch etwas einsam war. Vom Kirchentag selbst habe ich trotzdem wie immer nichts mitbekommen – außer durch die vielen tollen Artikel, Videos und Social-Media-Aktionen, die auch dieses Jahr wieder entstanden sind. Kaum zu glauben, dass ich jetzt schon wieder auf den nächsten hinarbeite, bei dem hoffentlich auch die Berliner Digitalszene eine Rolle spielen kann.

“Fortsetzung Folgt”

Mein Freund Martin musste eine Weile an mich hinreden, bis ich zugestimmt habe, mit ihm gemeinsam ein viertägiges Seminar zum Thema “Serielles Erzählen” für die Sommeruni des Evangelischen Studienwerks Villigst zu geben, und in meinem stressigen Sommer zwischen Kirchentag, Wohnungssuche und Umzug wäre ich noch mehrfach am liebsten abgesprungen. Am Ende war es den Stress aber doch wert. Wir wurden belohnt mit äußerst aufmerksamen und inquisitiven Studierenden, die auch selbst ein paar ganz ordentliche Serienideen entwickelt haben. Wenn also wieder mal jemand einen Seminarleiter braucht – ich bin zu haben.

Berlin

1999, auf Klassenfahrt in der elften Klasse, war ich das erste Mal in Berlin und ich war sofort wie verzaubert von dieser Stadt. Das nächste Mal war ich 2007 dort, zu einem Vorstellungsgespräch, und ich wäre gerne dort geblieben. Drei Jahre später dann erstmals zur Berlinale. Im Dezember 2010 habe ich eine Berlinerin kennengelernt und sie eine Weile fast jedes Wochenende in Berlin besucht, nur um sie dann im Sommer 2011 nach Mainz zu entführen. Irgendwie war uns aber insgeheim immer klar, dass wir irgendwann nach Berlin zurückkehren würden, und dieses Jahr war es dann so weit.

Ich staune immer noch jeden dritten Tag darüber, dass ich jetzt hier wohne. Manchmal – wenn ich in einem Supermarkt oder einem Kaufhaus bin, das auch sonstwo stehen könnte – vergesse ich, dass ich in Berlin bin und erst beim Verlassen des Ladens trifft mich die Erkenntnis wieder mit voller Wucht und ich jubiliere ein bisschen. Nicht nur dass ich jetzt in Deutschlands Film- und Medienhauptstadt wohne (suck it, München! ?), ich bin auch immer wieder tief bewegt von der Geschichte dieser Metropole, die einem von jeder Ecke entgegenleuchtet, egal ob ich durch Grunewald jogge oder in Friedrichshain mit meiner neuen Band probe. Ich mag die Menschen hier, diese merkwürdige Mischung aus Treibholzwesen aus der ganzen Welt und alteingesessenen Nörglern mit weichem Kern. Ich bade so gut es geht im Kulturangebot, den Kinos, den Theatern, den Ausstellungen, den Konzerten – manchmal reicht es schon, nur zu wissen, dass man hingehen könnte, um sich daran zu erfreuen. Ich liebe die Tatsache, dass hier nirgendwo Berge sind und dafür überall Seen.

Nach einem knappen Monat Anfangshoch hatte ich durchaus ein paar Wochen Großstadtdepression und Heimweh. Lässt sich wohl nie vermeiden. Jetzt aber bin ich angekommen und wenn es nach mir geht, bleibe ich noch lange hier.

Volunteer Planner

Im Sommer hatte ich noch genug Gründe, um vor mir selbst zu rechtfertigen, warum ich gerade nichts für geflüchtete Menschen tun kann. Spätestens im Oktober war Schluss damit, ich war umgezogen und angekommen und hatte genug freie Zeit. Den letztendlichen Ausschlag hat aber der Volunteer Planner gegeben, mit dem man sich einfach und unkompliziert für Helferschichten in den Flüchtlingsunterkünften eintragen kann. Die Website eliminiert die letzte Hürde für jeden, der irgendwie vielleicht ja doch gerne helfen würde, aber Angst vor dem ersten Kontakt hat. Ich gebe zu, dass ich die Seite im Endeffekt nicht so oft genutzt habe, wie ich mir vorgenommen hatte, aber die Tatsache, dass ich jetzt überhaupt mehrfach Kontakt mit Geflüchteten und Helfenden hatte, hilft mir zusätzlich in Gesprächen mit alljenen, die noch Ängste und Vorurteile mit sich herumtragen. Ich kann jedem nur empfehlen, die Seite (und vergleichbare Seiten) zu nutzen – ich werde es 2016 auch wieder tun.

© Netflix

Master of None

Master of None

Was das reine Zeitinvestment angeht, hat Fernsehen bei mir das Kino derzeit endgültig überholt. Ich habe 2015 neue Staffeln von The Good Wife, Downton Abbey, Mad Men, Brooklyn Nine-Nine, Modern Family, Game of Thrones, Transparent, Agents of SHIELD und New Girl gesehen sowie endlich Sherlock nachgeholt und mit Battlestar Galactica angefangen. Aber nichts hat mich von Anfang an so begeistert wie Aziz Anzaris Master of None. Ich kannte Anzari aus Parks and Recreation, und Master of None ist am Ende auch nicht viel mehr als die Auserzählung von Gedanken, die er in seinen Standup-Specials schon öfter hatte, aber dass es möglich ist, diese Art von freundlicher und leiser Comedy zu machen, die sich gleichzeitig einiger kontroverser Themen annimmt, ist trotzdem etwas besonderes. Master of None ist eine Serie, wie sie nur 2015 entstehen konnte. Die Folgen hängen mal lose, mal eng zusammmen. Sie sind aufwändig produziert, funktionieren ohne Werbepausen und eignen sich perfekt, um sie an einem Wochenende zu verschlingen (wie wir es gemacht haben). Leider kann man sie auch nur sehen, wenn man ein Netflix-Abo hat. Dazu bald mehr in diesem Blog.

Peak Marvel

Ich habe jede Menge Respekt vor Age of Ultron, ich fand Ant-Man streckenweise sehr unterhaltsam. Aber ich gebe zu: Mit meiner Marvel-Begeisterung hat es so langsam ein Ende. Bei Daredevil kam ich nicht über zwei Folgen hinaus, Jessica Jones (derzeit Folge 6) werde ich wohl zu Ende gucken, aber ich weiß noch nicht wann. Zum Weiterschauen von Agents of SHIELD konnte ich mich bisher noch nicht durchringen und 2016 freue ich mich fast mehr auf Batman v Superman (wegen der Hybris) als auf Civil War. Ich finde es nach wie vor erzählerisch spannend, was da passiert (und wie jeder versucht, es zu kopieren), aber die echte Fanboy-Begeisterung, die ich noch während The Avengers gespürt habe, ist 2015 endgültig ausgelaufen – spätestens als mein Lieblings-“Wired”-Autor Adam Rogers über das neue Franchisezeitalter einen Feature-Artikel geschrieben und darin die meisten Aspekte auf den Punkt gebracht hat, an denen ich mich an dieser Stelle seit fünf Jahren abarbeite. Marvel-Produkte fühlen sich immer mehr wie eine Pflicht und immer weniger wie etwas Besonderes an. Dass Joss Whedon sich verabschiedet hat, macht es nicht besser. Es könnte also gut sein, dass ich mir bald eine neue Obsession suche.

“Kommerzkacke”

Ich schreibe ja inzwischen seit einigen Jahren regelmäßig-unregelmäßig für epd film und epd medien, die ich gemeinsam so ein bisschen als meine berufliche Alma Mater betrachte. Ich habe mich sehr gefreut, als ich dieses Jahr aus dem Nichts bei einer weiteren Publikation in den Autorenstamm aufgenommen wurde. Für “kino-zeit.de” habe ich ja schon zuvor ab und zu kleinere Geschichten geschrieben, aber jetzt habe ich dort eine regelmäßige Kolumne, die das nächste Mal Anfang Januar erscheinen wird. Ich fühle mich sehr geehrt, zur Kino-Zeit-Truppe zu gehören, und ein bisschen stolz bin ich auch.

Vielen Dank allen, die mich 2015 gefördert und herausgefordert, gelesen und verlinkt haben. Danke an jeden, der hier im Blog oder auf anderen Plattformen kommentiert, favorisiert und auf “Like” geklickt hat. Danke an alle Kolleginnen, Kollegen und Netzgemeindeglieder, die meine Arbeit verfolgen, auch wenn mich viele von ihnen nicht persönlich kennen. Ihr könnt nicht ahnen, wie viel mir das bedeutet. Ich hoffe, euer 2015 hatte auch ein paar Highlights zu bieten und euer 2016 wird noch besser.

Blick in die Blogosphäre: Andrea David schreibt über Filmreisen

Bitte mal Handzeichen, wer im Urlaub schon einmal einen Umweg gemacht hat, um bei einem Filmdrehort vorbeizufahren? Oder sogar einen Urlaub nur gebucht hat, weil er den Ort im Film gesehen hat. Andrea David hat daraus ihren Beruf gemacht, sie nennt es “Setjetting”. Mit ihrem Blog Filmtourismus.de, in dem sie Drehorte und deren touristische Erschließung sammelt, hat sie eine echte Nische entdeckt und ist damit – irgendwo zwischen Geek-Journalismus und Reise-PR – recht erfolgreich. Diese völlig andere Herangehensweise ans “Filmbloggen” fand ich von Anfang an so faszinierend, dass ich Andrea unbedingt ein paar Fragen stellen wollte. Per E-Mail hat sie mir erzählt, wie sie zu dem Projekt kam, wie sie sich vorbereitet und wo sie noch hinmöchte.

Kannst du erzählen, wie du zum Bloggen gekommen bist und dann dazu, dich genau so zu spezialisieren, wie du es getan hast?

Als ich auf das Thema Filmtourismus kam, hatte ich mit Bloggen noch überhaupt nichts am Hut. Ich habe Tourismusmanagement studiert und war auf der Suche nach einem spannenden Thema für meine Diplomarbeit. Inspiriert wurde ich durch eine Reise nach Schottland, bei der ich eher zufällig auf bekannte Filmdrehorte aus Highlander, Braveheart und Ritter der Kokosnuss stieß. Zur gleichen Zeit warb auch Neuseeland für sich als “Mittelerde”. Mich faszinierte vor allem, wie die Filmbilder den Orten eine neue Story und damit auch Bedeutung gaben. In Deutschland gab es dazu fast keinen wissenschaftlichen Stoff und so entschied ich mich, in meiner Arbeit den Einfluss von Filmen und Serien auf unsere Reiseentscheidungen untersuchen, machte Umfragen im Kino usw.

Während ich meine Diplomarbeit schrieb und Beispiele dazu sammelte, kam ich schließlich selbst auf den Geschmack, hin und wieder gezielt Filmdrehorte zu besuchen. Im Laufe der Zeit haben sich durch mein neues Hobby sehr viele Infos angehäuft, die ich irgendwann online mit anderen Filmfans teilen wollte. So entstand bereits vor einigen Jahren unter filmtourismus.de eine kleine Datenbank mit Drehortinfos. Erst seit anderthalb Jahren berichte ich auf der Seite auch über meine Reisen.

Du bist ja eher Reisebloggerin mit Filmschwerpunkt als umgekehrt. Bedeutet das was? Wie sehr siehst du dich überhaupt als Filmgeek?

So hundertprozentig passt mein Blog wohl in keine Schublade. Aber das ist auch nicht so wichtig. Ich mache keine klassischen Filmbesprechungen, da die Leute sich auf der Seite vordergründig für die Drehorte interessieren. Auch unter den Reisebloggern habe ich meine eigene Nische, da ich einen Ort auf eine ganz andere Art und Weise erkunde und beschreibe. Da ich lange in der Tourismusbranche gearbeitet habe, setze ich diese Brille vermutlich einfach etwas öfter auf. Ich bin jedoch auch absoluter Filmgeek!

Wie läuft deine Arbeit typischerweise ab. Wirst du meistens eingeladen? Unternimmst du Reisen selbstständig? Machst du das nur in deiner Freizeit oder kannst du das auch manchmal refinanzieren?

Früher waren das alles private Reisen in meiner Freizeit. Seit ich selbständig arbeite, bin ich auch öfter mal auf Pressereisen oder gebe Workshops zum Thema Filmtourismus. Wo immer ich gerade unterwegs bin, strecke ich meine Fühler auch nach Filmschauplätzen aus.

Wie bereitest du dich auf deine Filmreisen vor? Ich sehe später immer die Fotos, wo du die Filmbilder in die Szenerie hältst. Ist das immer so einfach?

Im Idealfall sehe ich mir alle Filme, die am Reiseziel gedreht wurden, noch kurz vorher an, um die einzelnen Szenen leichter zuordnen zu können. Zur besseren Wiedererkennung mache ich mir dann ein paar Screenshots, die ich ausgedruckt mit auf Reisen nehme. Sie helfen auch dabei, vor Ort konkret danach fragen zu können. Gerade wenn es sonst keinerlei Hinweise auf den Drehort von Seiten des Filmverleihs und des Tourismusamtes gibt. Irgendwann kam ich auf die Idee die Fotos entsprechend in die Szenerie zu halten und davon wiederum Bilder zu machen. Es klappt aber nicht immer, da man manchmal den ursprünglichen Kamerawinkel nicht einnehmen kann. Aber es macht Spaß und man sorgt damit vor Ort öfter mal für Aufsehen. In Kambodscha hatte ich zum Beispiel plötzlich ein paar Touristen aus Korea um mich herum versammelt, die sich plötzlich alle für den “Tomb-Raider-Baum” in Angkor interessierten.

Interessieren dich Filme mit interessanten Drehorten mehr bzw. ist das die Hauptbrille geworden, durch die du Filme betrachtest?

Nein, das kann man so nicht sagen. Ich mag auch viele Filme, die bezüglich ihrer Drehorte weniger interessant sind. Und es gibt natürlich Filme mit großartigen Drehorten, die leider ziemlich schlecht sind, wie bspw. The Tourist … Allerdings ertappe ich mich vor Bildschirm und Leinwand hin und wieder dabei, wie ich mich frage, wo eine bestimmte Szene aufgenommen wurde. Vor allem, wenn sehr viel von der Landschaft zu sehen ist oder die Skyline einer Großstadt eingeblendet wird. Filme, deren Drehorte ich schon besucht habe, wirken später wie eine Art Reiseerinnerung auf mich.

Was geht in dir vor, wenn die Reiselocation vielleicht mal interessanter ist als der Film (oder warst du großer Fan von Hangover 2)?

Bei den Hangover-Locations hat mich insbesondere interessiert, wie die Filme, die ja super erfolgreich waren, wiederum die Schauplätze beeinflusst haben. Also insbesondere die Hotels und ob diese sich trauen, es für ihr Marketing zu nutzen oder eben nicht. Fast unabhängig vom Film, macht es jedoch immer wieder Spaß, die Drehorte aufzuspüren. Es hat so ein bisschen was von Geocaching.

Sammelst und liest du auch andere Beiträge zu Drehorten und Dreharbeiten, um informiert zu sein?

Ja, eigentlich laufend. Ich kann nicht immer und überall vor Ort recherchieren und von Jahr zu Jahr ändert sich auch recht viel. Mittlerweile helfen auch die Nutzer selbst mit, die Inhalte up to date zu halten und schicken mir hin und wieder sogar aktuelle Fotos zur Verwendung. Das hilft mir sehr, die Seite aktuell zu halten.

Wie sind die Reiseblogger so drauf, wie funktioniert deren Vernetzung untereinander? Trifft man sich dann ständig am anderen Ende der Welt?

Es gibt in der Reiseblogger-Szene eine sehr gute Vernetzung und ein reger Austausch an Gastbeiträgen, Round-Up-Posts, etc. Auf Reisen trifft man sich leider eher selten, dafür auf Netzwerk-Veranstaltungen, Seminaren und Messen.

Hast du auch das Gefühl, dass Filmtourismus so eine Sparte ist, die erst vor kurzem so richtig als Tourismusinstrument entdeckt wurde? Verstärken die entsprechenden Firmen da jetzt ihre Bemühungen?

Für den deutschen Markt trifft das auf jeden Fall zu. Da ich selbst mit Fachvorträgen und Workshops viel Lobbyarbeit für das Thema mache, freue ich mich natürlich über diese Entwicklung.

Was sind deine nächsten Ziele? Wo willst du unbedingt noch hin, wo du noch nicht warst?

Ich komme gerade aus Sölden zurück, wo der neue James-Bond-Film Spectre gedreht wurde. Meine nächsten Ziele in diesem Jahr sind die Warner Bros. Studio Tour in London (Harry Potter) sowie Malta (Game of Thrones, By the Sea und viele andere). Meine Sehnsuchtsziele in Sachen Filmschauplätze sind Island und Hawaii. Zumindest an eines der beiden werde ich es nächstes Jahr hoffentlich schaffen.

Bonusfrage: Mir ist aufgefallen, dass in deiner „Andere Blogger erzählen ihre Lieblingsdrehorte“-Liste mehrfach The Beach auftauchte. Das hat mich doch etwas gewundert, denn The Beach handelt ja gerade davon, wie genau die ultimative Utopie vom Reisen sich in einen Alptraum verwandelt. Schräg, dass so viele „Traveler“ den Film so mögen, oder?

Ich denke, dass liegt einfach daran, dass der Strand durch The Beach, einer der wohl bekanntesten Backpacker-Filme, sehr berühmt wurde. Ob die Story negativ oder positiv ist, spielt dabei meist keine Rolle für den Filmtourismus. Ein Beispiel: Auch das Hotel aus The Shining ist immer noch Ziel vieler Filmtouristen, obwohl es im Film ein Ort des Alptraums wird. Der Strand ist übrigens, abgesehen von den Menschenmassen, wirklich paradiesisch.

Alle Bilder: © Andrea David. Der einfachste Weg, Andreas Projekte zu verfolgen ist über ihre Facebookseite oder ihren Instagram-Account. Dort gibt es auch noch mehr Screenshot-Fotos. Aber man wird auch sehr schnell neidisch.