Rückblick auf das Podcast-Jahr 2025

Der große Knall für die Podcast-Branche ereignete sich dieses Jahr im August. Amazon gab bekannt, dass es die Podcastfirma Wondery, die es 2020 für 300 Millionen Dollar gekauft hatte, dicht macht. 110 Personen wurden entlassen, einige davon auch in Deutschland. Wie bei amerikanischen Unternehmen üblich, ging das ganze recht schnell. Nur wenige Wochen nach der Nachricht sah ich auf LinkedIn die Posts von deutschen Wondery-Mitarbeiter:innen, die sich verabschiedeten. Auch anderswo wurde gespart. Die “Goldgräberstimmung” sei endgültig vorbei, hieß es. Also irgendwie: kein gutes Jahr für Podcasts.

Für mich, der ich nach wie vor nicht wirklich selbst tiefer Teil der Branche bin und vor allem die nach außen sichtbaren Ergebnisse begutachte, ging in der allgemeinen Trauer der zweite Teil der Wondery-Meldung etwas unter: Nicht alle Podcasts von Wondery wurden eingestellt. Amazon verabschiedet sich nicht aus dem Podcast-Business. Es sah vor allem keinen Grund mehr dafür, die sehr unterschiedlichen Produkte, die Wondery produziert hat, in einer eigenen Einheit mit der Überschrift “Podcasts” zu organisieren. Von einer “klaren Zweiteilung” (“clear bifurcation”) des Outputs sprach Steve Boom, Amazons Audio-Chef, in einem Interview mit Variety: “Many of the platform’s most popular titles fell into one of two broad categories: narrative-driven and personality-centric.”

Amazon reorganisierte die erfolgreicheren Podcasts aus diesen zwei Sparten: Für die Personality-Podcasts, die zunehmend auch als Videoformate reüssieren, gründete das Unternehmen eine neue Einheit namens “Creator Services Team”. Die narrativen Podcasts wanderten zur abofinanzierten Hörbuch-Division von Amazon, Audible.

What even is a podcast?

Es ist nicht so, dass niemand diese neue Aufteilung bemerkt hätte. Denise Fernholz’ bester Podcast-Newsletter Beifahrersitz griff das Thema auf und löste viele der Gedanken aus, die ihr im Folgenden lesen werdet. Und auch Eric Bensons Artikel “Who killed the narrative Podcast?” wurde geteilt und besprochen. Benson schreibt treffend, dass sich im Bereich narrative Podcasts immer schon sehr verschiedene Charaktere getummelt hatten, die aber auch sehr unterschiedliche Ziele damit verfolgt hätten:

[I]t had always been a little unclear what the goal of making these shows really was. Were they entertainment or journalism? Should their success be measured in awards and social impact, or by their ability to turn a buck? (…) The different segments of the industry always had different answers to these questions, but for a time, while the money was flowing, it felt like podcasts could be everything to everyone.

Das also ist für mich die Frage, die im Zentrum des Podcastjahres stand: 2025 haben wir uns “janz domm” gefragt: Was sind Podcasts eigentlich? Gibt es eine Art ontologisches Ideal, nach dem Podcasts streben sollten? Wenn man sich die Wondery-Entscheidung anschaut, lautet die Antwort eindeutig: Nein. “Podcasts” sind wie “Fernsehen” eine breite Kategorie, der man mit einem einzelnen Begriff kaum noch habhaft wird. Sie sind Unterhaltung und Journalismus, Talkshow und Doku, Video und Audio, themengetrieben und personengetrieben, “always on” und abgeschlossen.

In seinem Buch Die Zukunft des Lesens, das ich im September mit Lucas Barwenczik in seinem Literaturpodcast Gelesen. besprochen habe, benutzt der Kulturwissenschaftler Christoph Engemann das Wort “Podcast” als “Container-Begriff” für alles, was er “Plattform-Oralität” nennt, und in dem er einen Nachfolger der Schrifttradition sieht: Audio-Only-Podcasts, lange YouTube-Essays, kurze TikToks und Reels, aufgezeichnete Interviews. Alles, in dem Menschen mit dem Publikum reden, wo sie vielleicht früher geschrieben hätten. Der Begriff “Podcast” bedeutet also längst für jeden etwas anderes.

Kein einheitlicher Qualitätsmaßstab

Und so ist es dann auch kein Wunder, dass Cathrin Jacob, die in der ARD Chefin der 2025 neu gegründeten Podcast Unit ist, mir diese Woche im Interview erzählt, dass es für ein Format wie Musste durch mit den Video-Creators Levi Penell und Fabian Rashagai, das sowohl als Audio- als auch als Videoformat verteilt wird, “überhaupt keine Frage”, war 

dass da auch ein Video-Element mit drin ist (…) wenn die visuell groß geworden sind und jetzt einen Podcast machen, dass wir dem auch Rechnung tragen und das mit anbieten. Das war, glaube ich, keine große Diskussion (…).

(Dass der Begriff “Fernsehen” ähnlich schwammig geworden ist, sieht man unter anderem daran, dass mein Auftraggeber bei LÄUFT, das Grimme-Institut, mit seinem prestigeträchtigen Fernsehpreis schon seit einigen Jahren nicht nur Streaming-, sondern auch YouTube- und TikTok-Formate (etwa Smypathisch) auszeichnet.)

Das alles ist nichts Neues, aber ich fand, dass es sich lohnt, es noch einmal festzuhalten. Wir sind nicht nur schon lange aus der Zeit raus, in der “Podcast” irgendwas mit RSS-Feeds bedeutete. Inzwischen hat sich das Feld der Angebote, die immer noch unter dem Begriff “Podcast” zusammengefasst werden, so diversifiziert, dass es völliger Quatsch ist, immer noch so zu tun, als ließen sich Podcasts irgendwie mit einem einzigen Qualitätsmaßstab bewerten.

Eine Studie mit drei Säulen

Hilfreich finde ich in diesem Zusammenhang übrigens die an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften entstandene Studie “Designing Podcasts” (hat tip an den NAPS-Newsletter für den Hinweis). Diese versucht, Podcasts aus Hörenden- wie aus Produktionsperspektive zu kategorisieren, und landet bei einem Drei-Säulen-Modell mit den Kategorien “Story”, “Talk” und “Factual” (in Anlehnung an ein ähnliches Fernseh-Modell von Jennifer Mival, das von story-, talent- und format-driven ausgeht). Für jede der drei Kategorien trägt sie Best Practices zusammen.

Ich will mich hier nicht im Detail mit der Studie auseinandersetzen, und ich gehe davon aus, dass diese Art der Rubrizierung an den Orten, wo Podcasts produziert werden, längst Gang und Gäbe ist. Aber ich pflege ja, wie erwähnt, vor allem den kritischen Blick von außen. Und damit will ich endlich zu dem dieses Artikels kommen, der sich auf Basis dieser Grundsatz-Beobachtungen mit dem inhaltlichen Ergebnis des vergangenen Podcast-Jahrs beschäftigt.

Es gibt immer mehr Mittelmaß als Mut

Denn mein Kern-Betrachtungsfeld, die narrativen Podcasts, werden vor allem dann beachtenswert, wenn sie sich nicht nur in ihren gewohnten Bahnen bewegen, sondern Formen und Inhalte finden, die darüber hinausgehen. Wenn also ein Podcast eine journalistische Story erzählt und eine besondere Persönlichkeit als Erzähler:in vorweisen kann. Oder ein Factual-Format (was am ehesten noch den Geist des Radios atmet), sich nicht auf die reine Informationsvermittlung beschränkt, sondern auch dramaturgisch oder beim Sound Design auffällt.

Dieser Wunsch nach “mehr Mut” und “Experimentierfreude” wird immer wieder und überall gefordert. Sandro Schroeder hat sich im Hören/Sagen-Newsletter in seiner “Podcast State of the Union” dieses Jahr damit auseinandergesetzt, warum er glaubt, dass dieser heilige Gral in Deutschland gleichzeitig so aufgeladen ist und so schlecht erreichbar scheint. Bei der “So Many Voices”-Konferenz von hauseins in München war “Warum wir mehr spinnen sollten” dieses Jahr das Thema der Keynote. Ich war leider nicht vor Ort, aber jemand, der da war, drückte mir gegenüber privat hinterher seine Enttäuschung so aus: “Außer ‘Hey, macht doch mal crazy Moderation/Sounddesign/Struktur …’ und ein paar Beispielen aus US-Podcasts war da für mich zu wenig Substanz drin.”

Für mich als Kritiker ist das nicht verwunderlich. Ein großer Teil dessen, was medial produziert wird, ist selten schlecht, sondern Mittelmaß (darüber habe ich vor zehn Jahren mal mit Blick auf Filme geschrieben). Es ist passabel, erfüllt im Zweifelsfall seinen Zweck, lässt einen aber auch nicht aufhorchen. Und: Das ist okay.

Medienjournalistische True-Crime-Dramaturgie

Auch für narrative Podcasts hat sich – so ist das, wenn sich ein Format etabliert – eine Art Ideal-Formel herausgebildet, der die meisten heute folgen. Letztes Jahr hat das BR-Story-Team auf der “So Many Voices” sein dramaturgisches Template aus Erzählelementen und Wendepunkten vorgestellt, das verlässlich funktioniert, aber eben auch irgendwann abgegriffen wirkt, wenn man nach Neuem sucht. 

Im Kern steckt dahinter eine “True Crime Dramaturgie” wie Regisseur Leonhard Koppelmann das im Interview mit mir in LÄUFT ausgedrückt hat: Im Zentrum steht ein Mysterium, dem ein:e Ermittler:innen-Host durch ihre Recherche versucht, auf die Spur zu kommen. Die Recherche (und nicht etwa die freigelegte Information) ist der Bogen, der die Handlung strukturiert und dramaturgische Umschwünge möglich macht. Erzählt wird nicht nur von der Geschichte, die recherchiert wird, sondern auch vom Arbeiten der Rechercheurin. Inwiefern das schon Medienjournalismus ist (wofür ich lange plädiert habe), habe ich ebenfalls dieses Jahr in LÄUFT diskutiert.

Man kann es auch gut machen: Meine Highlights

Wenn diese Dramaturgie mittelmäßig bis schlecht verwendet wird, habe ich als Hörer häufig das Gefühl, ich werde unnötig lange hingehalten oder sogar betrogen. Aber genauso kann man es auch einfach gut machen – und manchmal reicht das. Mein Lieblingspodcast des Jahres ist so ein Fall. Obsessed: Döner Papers (BR/Kugel und Niere) geht dem Mysterium des Logos auf der Döner-Tüte nach – und seine Lösung stand bereits am Tag der Veröffentlichung in der Pressemitteilung und auf Social Media. Aber der Podcast ist trotzdem toll zu hören, weil Host Aylin Doğan auf ihrer Suche so viel mehr mit den Hörenden teilt: Die Geschichte des Döners in Deutschland, ihre eigene Identität als Gastarbeiter-Nachkommin, die auch in ihren Interviews spürbar wird, und historisches Wissen zu alten Druck- und Designtechniken.

Mir persönlich hat diese Form des Podcasts als Gefäß für “Personal Essays”, wie sie im US-Magazinjournalismus deutlich verbreiteter sind als in Deutschland, immer schon am besten gefallen. Ich schreibe deswegen etwas Ähnliches quasi jedes Jahr: Nicht nur die Recherchearbeit des Hosts sollte im Podcast hörbar werden, sondern auch seine Persönlichkeit, die die Recherche prägt. Das war auch in zwei weiteren narrativen Podcasts dieses Jahr der Fall, die mir gut gefallen haben: Azizam – die Revolution meiner Mama (funk/SWR/acb stories, Kritik in LÄUFT) mit Host Aida Amini und Greta – Die Geschichte eine Eskalation (SZ, Kritik in LÄUFT) von Vera Schroeder. Beide beleuchten im Kern Sachthemen – eigentlich auch ohne eine besonders bemerkenswerte “Story” mit Cliffhangern – aber wertvoll werden sie durch die persönlichen Reflexionen der Personen, die einen durch diese Themen hindurchführen.

Diese Verbindung von Informationsvermittlung und Gedanken des Hosts funktioniert auch episodisch. Das kann identitätspolitische Züge haben, wie in Alexander/Ali Gutsfelds Nicht mehr mein Land (BR), in dem er versucht, in einzelnen Begegnungen den Spuren des sogenannten Rechtsrucks in Deutschland nachzugehen. Es kann aber auch wissenschaftlich funktionieren, wie in Die vielleicht letzten Tage der Menschheit (Radio Bremen), in dem Host Jannis Funk, ausgehend von der Geburt seines eigenen Kindes, darüber nachdenkt, auf welche verschiedenen Arten unsere Spezies ausgelöscht werden könnte.

Wenn die Host nicht im Zentrum stehen soll

Wenn es nüchterner sein soll, wenn die persönliche Ebene des Hosts also keine so große Rolle spielt, finde ich immer wieder entscheidend, dass der Podcast sein Thema gut erklärt. Er muss die ausführliche Länge, die er zur Verfügung hat, nutzen, um wirklich die verschiedenen Ebenen freizulegen, die jeden Sachverhalt ausmachen, wenn er einen ganzen Podcast rechtfertigen soll. Als herausragende Beispiele dieser Bauart habe ich 2025 Teurer Fahren (detektor.fm/RBB/SWR), Durchgefallen (SWR) und Wolf of Cannabis (1LIVE, Kritik in LÄUFT) gehört. Alle drei Podcasts schaffen es, zu zeigen, dass ihre Themen – Bahnsanierung, Schulsystem, Cannabis-Legalisierung – kompliziert und vertrackt sind, dass es keine einfachen Lösungen gibt, aber dass es dennoch möglich ist, sich einen Weg durch das Dickicht zu bahnen und hinterher schlauer zu sein.

Aber nichts davon ist gesetzt. Im Zweifel braucht es gar keinen Host, es reicht auch eine fähige Sprecherin oder ein fähiger Sprecher. Tech Bro Topia (DLF) ist im Grunde ein sechsteiliges Feature, erzählt aus neutraler Perspektive, ohne Reporter:in im Feld, aber gut strukturiert und mit kernigem Sound- und Musikdesign angereichert. Auch der episodische Podcast Unfassbar (Simplicissmus) hat diese Form meiner Ansicht nach gut gemeistert, auch wenn er manchmal etwas zu grandios daherkommt. Dass es auch ganz ohne Erzählstimme geht, haben sehr eindrücklich die Leftovers (Kugel und Niere) bewiesen.

Ich habe bei weitem nicht alle Podcasts gehört, die dieses Jahr in Deutschland erschienen sind, geschweige denn in allen Sprachen, die ich spreche (gerne Empfehlungen für tolle niederländische Podcasts in die Kommentare!). Deswegen ist das alles natürlich nur ein Blick durch das Schlüsselloch auf die weite, breite Podcastlandschaft. Wenn ich es schaffe, im Dezember noch ein paar gelobte Podcasts nachzuholen (DNA des Ostens, zum Beispiel, interessiert mich sehr), werde ich darüber wie gewohnt in den “Höreindrücken” berichten.

Sind Podcasts Hörbücher?

Aber lasst mich die Klammer von vor 11.000 Zeichen am Anfang dieses Posts mit Bezug auf narrative Podcasts noch zumachen: Amazon hat die verbliebenen narrativen Podcasts zu Audible geschoben. Für mich klang das wie ein erstaunlich logischer Schritt. Audible vertreibt Hörbücher. Und Podcasts und narrative Sach-Hörbücher sind einander sehr nah. Die US-Podcastfirma Pushkin Industries vertreibt, zum einzeln kaufen, seit Jahren unter dem Namen “Audiobooks”, was man genauso gut Podcast nennen könnte (ich habe dieses Jahr eins über Douglas Adams gehört, was ich aber nicht gut fand). Das oben erwähnte “Tech Bro Topia” ließe sich wahrscheinlich problemlos auch als Buch lesen.

Aber Sachbücher sind natürlich auch nicht gleich Sachbücher. Auch dort gibt es persönliche und unpersönliche Varianten, story- und erklärgetriebene Stoffe. Ähnlich sieht es im anderen Medium aus, das dem narrativen Podcast verwandt ist, dem Dokumentarfilm. Auch hier gibt es Filme, in denen die Filmemacherin eine tragende Rolle spielt und solche, in denen sie nur “Fly on the Wall” sind. Es gibt Filme mit Voiceover und ohne, und dieser Voiceover kann von der Autorin oder von Morgan Freeman stammen. Und natürlich gibt es in beiden Medien gute und schlechte Exemplare in allen Formen. Ein platonisches Ideal gibt es nicht.

Viele kleine gute Dinge

Zu guter Letzt möchte ich noch einige weitere Formate und Ideen aufzählen, die mir positiv aufgefallen sind, aber oben nicht reingepasst haben. PJ Vogts Search Engine ist mir über die Jahre erstaunlich ans Herz gewachsen. Viele Folgen sind inzwischen nur noch Gespräche mit anderen Journalist:innen, in denen diese ihre Recherchen nacherzählen, aber Vogt fügt auch immer noch seine eigenen Gedanken dazu, unabhängig vom Interview. Diese Art von Analyse, gestärkt durch die parasoziale Beziehung zum Host, finde ich herausragend. Ein bisschen habe ich mich davon in der LÄUFT-Episode zu Pen&Paper in der ARD inspirieren lassen. Und ich finde auch, dass Marina Weisband das in ihren Audio-Essays Wind und Wurzeln gut macht (wenn auch ohne Interview, Kritik in LÄUFT).

Wie Susan Burton die zweite Staffel von The Retrievals wie ein Drehbuch für eine Krankenhaus-Serie strukturiert hat, inklusive Beschreibung der Kamerafahrten, wurde ausführlich gelobt und besprochen, aber es ist auch tatsächlich einzigartig. Der Podcast War da was? von der Zeit ist im Grunde zwei Podcasts in einem, kurze Chronik-Folgen und lange Interviews, was ich ebenfalls eine richtig gute Idee fand (Kritik in LÄUFT). SWF3 – Das Phänomen ist Podcast als Archivarbeit, ein oft eher unterbeleuchteter Aspekt des Mediums. Wild Card, ein NPR-Podcast, den es schon seit 2023 gibt und in dem Promis die Fragen, die ihnen gestellt werden, per Zufall bestimmen, ist ebenfalls ein gutes Format – was aber auch und vor allem an der charismatischen Host Rachel Martin liegt. Shell Game ist auch in Staffel 2 bisher sehr hörenswert – was ebenfalls vor allem an Autor Evan Ratliff liegen dürfte. Our Ancestors Were Messy schließlich ist eine sehr gelungene Mischung aus Geschichtsstunde und Gossip-Unterhaltung.

Ergänzung: Wer tiefer in die “Designing Podcasts”-Studie aus Praxis-Sicht einsteigen möchte, dem empfehle ich dieses Interview von Valerie Wagner mit Cheyenne Mackay, die als “Praxispartnerin” die Studie begleitet hat.

Foto von Luke Jernejcic auf Unsplash

Lieblingsfilme 2024

Mich beschleicht das Gefühl, dass Film eine immer geringere Rolle in meinem Leben einnimmt. Klar, ich würde immer noch jederzeit einen guten Film einer mittelmäßigen Serie vorziehen. Aber meine berufliche Hinwendung zu Fernsehen und Podcasts, und einfach die Zeitsituation in unserer Familie, machen es immer schwieriger, dem Medium die Aufmerksamkeit zu widmen, die es verdienen würde.

Insbesondere das Zuhause-Nachholen von Filmen, die ich im Kino verpasst habe, ist schwierig geworden. Mein Kind schläft inzwischen so spät ein, dass meistens gerade noch Zeit für eine Serienfolge bleibt, wenn ich meine 7,5 Stunden Schlaf bekommen will. Es ist aber noch nicht alt genug, um viele Filme mit ihm zu gucken, und wenn doch, guckt es am liebsten die gleichen Filme immer wieder.

Letterboxd zeigt mir für dieses Jahr 44 eingetragene Filme. Das sind weniger als letztes Jahr (51), aber mehr als in allen Jahren davor seit Geburt meines Kindes (zwischen 22 und 40). Ich war satte 29 Mal im Kino. Also vielleicht ist meine Gefühls-Beschleichung doch ein Trugschluss, und ich habe mich eigentlich auf einem ganz guten Niveau eingepegelt, dass mir einfach im Vergleich zu meinen besten Filmjahren immer noch mager vorkommt.

Trotzdem ist diese Liste natürlich, wie immer, mit entsprechender Vorsicht zu genießen, da sie eben doch aus einem nicht so tiefen Brunnen schöpft. Verpasst habe ich unter anderem The Wild Robot, Perfect Days, Emilia Perez, Konklave, The Substance, Inside Out 2, May December und La Chimera. Ein paar Filme gab es auch, die bei vielen Kritiker:innen beliebt waren, mich aber nicht begeistern konnten, darunter The Zone of Interest und Poor Things.

Was soll ich sagen? Ich kann mit einer etwas ausufernden Endzeit-Saga anscheinend doch mehr anfangen als mit einem manierierten Lehrstück zur Aussage “Nazis waren kleinbürgerlich”. Alle meine Wertungen kann man auf meiner Letterboxd-Statistik-Seite für 2024 nachschauen.

Challengers hat mich begeistert, weil er so offensiv ist. Sport als Metapher für Sex, das ist nichts Neues, aber das clevere Drehbuch passt wie die Faust aufs Auge zu Luca Guadagnino. Wenn dazu noch die aktuell vielleicht schönste Frau der Welt und mein nicht so heimlicher Celebrity Crush Mike Faist mitspielen, hat man mich einfach. Der Junge und der Reiher hat mich ganz stark an Bücher aus meiner Kindheit erinnert, in denen Kinder in Anderswelten reisen, von Joan Aiken über Michael Ende bis Die Brüder Löwenherz, und war allein deswegen ein bewegendes Kinoerlebnis. An Furiosa mochte ich das auswuchernde Worldbuilding, an Love Lies Bleeding die Körperlichkeit. The Bikeriders fand ich ein unterschätztes Dokument über Männlichkeit und Zeitgeist.

Wicked ist ein Film mit vielen Schwächen – nicht zuletzt, dass er das Musical mit seinem papierdünnen Plot viel zu treu adaptiert, statt etwas Eigenständiges und Filmisches zu schaffen. Aber die Begeisterung, die ich dafür dieses Jahr mit meinem Kind teilen konnte, und die starke Präsenz der beiden Hauptdarstellerinnen (ich bin insbesondere Fan von Ariana Grandes marionettenhafter Glinda) haben ihn für mich trotzdem zu etwas Besonderem gemacht, und ich werde ihn sicher noch diverse Male sehen.

Das war es an Gedanken. Hier (oder hier) ist die Liste.

  1. Challengers
  2. Der Junge und der Reiher
  3. Furiosa: A Mad Max Saga
  4. Love Lies Bleeding
  5. The Bikeriders
  6. Wicked
  7. Dune: Part II
  8. The Outrun
  9. All of Us Strangers
  10. Dídí

Bild: Amazon

Playlist 2024 (und noch mehr Gedanken zu Empfehlungsalgorithmen)

Ich denke immer noch über den Algorithmus nach. Also, über das, was ich im September zum Entdecken neuer Musik geschrieben habe. Deswegen habe ich bei meiner diesjährigen Jahresplaylist mal geschaut, wie die 31 Lieder darauf eigentlich ihren Weg zu mir gefunden haben.

Und siehe da: für ganze sieben Tracks ist alleine der Algorithmus verantwortlich. Also: Das sind Songs und Künstler, von denen ich noch nie gehört hatte, bevor sie mir von Apple Music vorgeschlagen wurden. Darunter ist auch mein Lieblingssong des Jahres, “Wall St.” von Boys Go To Jupiter, einer saucoolen queer-forward New Yorker Band, von der ich dringend hoffe, dass sie bald berühmt genug sind, um auf Europatour zu gehen – vielleicht, wenn ihr erstes Album fertig ist. Außerdem mein zweiter Lieblingstrack des Jahres, “Echoes” vom Berliner DJ Redshapewie bereits erwähnt taste ich mich dank PJ Vogt seit Mitte des Jahres langsam wieder an elektronische Musik heran und der Algo hat mir sehr dabei geholfen, auszusortieren, was mir gefällt und was nicht.

Seit Jahren unverändert

Von insgesamt zehn Songs habe ich allerdings auch durch klassischen Musikjournalismus erfahren. In meinem Fall sind das (seit Jahren unverändert) die Podcasts All Songs Considered von NPR, Song Exploder und Switched On Pop von Vox. Dort erfahre ich nicht nur von aktuellen Pop-Trends, die sich manchmal auch nur durch ihre reine Zeitgeist-Penetranz in mein Herz fressen (“Girl, so confusing”). Sondern ich entdecke auch einfach immer wieder neue Künstler:innen innerhalb (Bad Moves, Lainey Wilson) und außerhalb (Carlos Arres, Tyla) meines typischen musikalischen Horizonts.

Und genau aus diesem Vorgang speist sich die dritte Herkunfts-Kategorie dieser Liste: Zwölf Songs stammen schlicht von Künstler:innen, die ich schon kannte, und die 2024 neues Material veröffentlicht haben. Darunter solche, denen ich schon lange folge, wie Everything Everything und Gavin Castleton (der sich dieses Jahr sehr überraschend und erfreulich nach langer Zeit zurückmeldet hat). Aber auch solche, die ich vor ein paar Jahren über einen der ersten beiden Wege entdeckt habe, zum Beispiel Another Sky (fantastisches neues Album Beach Day) oder Hippo Campus (die mir erstaunlich gut dieses Frühe-2000er Indiepop/Garden State Soundtrack Gefühl zurückgeben).

Ein goldener Schnitt

Wenn man also ein bisschen Plusminus zulässt – natürlich kenne ich Billy Joel, aber hätte ich ohne meine Podcasts von seinem neuen Song erfahren? John Mark Nelsons viertes Album vor neun Jahren fand ich gut, aber ohne den Algo hätte ich nicht mitbekommen, dass er eine 70er-Softrock EP veröffentlich hat  – sind wir also für eine solche Liste bei jeweils einem groben Drittel aus Bekanntem, Gelerntem und algorithmisch Empfohlenen. Es scheint quasi eine Art goldenen Schnitt beim Umgang mit Empfehlungsalgorithmen zu geben (oder es ist Zufall).

Einen weiteren Song muss ich vor diesem Hintergrund noch hervorheben, denn dieses Jahr gesellt sich in dieser Liste erstmals eine neue Herkunftsform hinzu: Auf Tebeys Country-Coverversion von The Weeknds “Blinding Lights” bin ich durch Instagram Reels gestoßen (ich bin nach wie vor zu faul, meinen Tiktok-Algorithmus zu trainieren und Instagram kennt mich halt schon seit 12 Jahren). Das ist für mich neu, auch wenn ich natürlich weiß, dass es für viele Menschen inzwischen sogar die dominante Form der Musikentdeckung geworden ist. Für mich ist das nächste Äquivalent davon, dass man einen Song aufschnappt, der zufällig irgendwo im Radio läuft.

Beinahe transzendent

Ich habe es dieses Jahr auf drei Konzerte geschafft, auch wenn ich öfter wollte. Jacob Colliers fantastisches viertes “Djesse”-Album hatte mich das Jahr über begleitet, das Konzert hat mich dann aber ein bisschen weniger begeistert als (vielleicht überhypt) erwartet. Das intime Konzert von Emily King solo allerdings war eine beinahe transzendente Erfahrung und ich habe einen wunderschönen Song über Kinder und Väter mitgenommen, der sich ebenfalls in dieser Liste findet. 

Mit dem Eurovision Song Contest habe ich mich dieses Jahr (anders als 2023) nur am Rande beschäftigt, aber Kaleens “We will Rave” hat bei mir alle meine Eurodance-Knöpfe gedrückt. Und “Girl, so confusing” hat mich als vermutlich einziger Song dieses Jahr zuerst mit seiner Story gewonnen, bevor ich dann irgendwann auch musikalisch nachgegeben habe. Shoutout dafür an meine ehemalige Kulturindustrie-Kollegin Mihaela.

Die Liste mit ein paar ausgewählten Lieblingstextzeilen

  1. Super Sport – Room for Cream
  2. Boys Go To Jupiter – Wall St.

“Come on over. We’re at the part of this where you become my lover.”

  1. Redshape – Echoes
  2. Everything Everything – The Mad Stone
  3. Quiet Houses – What My Heart Is For
  4. Pouty – Bridge Burner
  5. Paramore – Burning Down the House
  6. Kacey Musgraves – Jade Green
  7. Billy Joel – Turn the Lights Back On
  8. Another Sky – Burn the Way
  9. Kaleen – We Will Rave
  10. Tyla – Safer
  11. Charli xcx & Lorde – Girl, so confusing featuring Lorde

“Let’s work it out on the remix.”

  1. Conan Gray – Lonely Dancers
  2. GIFT – Wish Me Away
  3. Emily King – Anyway I love you (Acoustic)
  4. Don’t Thank Me, Spank Me! – Dance
  5. Tebey – Blinding Lights (Country Version)
  6. Remi Wolf – Soup
  7. Hippo Campus – Tooth Fairy
  8. John Mark Nelson – Wishes
  9. Gavin Castleton – Layoffs

    “I take full responsibility. We may not agree on what that means.”
  10. fantasy of a broken heart – Ur Heart Stops
  11. Wunderhorse – Midas
  12. Carlos Arres – Cigarra
  13. Lainey Wilson – Hang Tight Honey
  14. Bad Moves – A Lapse In the Emptiness
  15. Beyoncé – Texas Hold ‘Em
  16. SOPHIE & Bibi Boureilly – Exhilirate
  17. Jacob Collier – Little Blue (feat. Brandi Carlile)

“Don’t be afraid of the dark. In your heart you’re gonna find a way to carry the weight of the world on your shoulders.”

  1. Beatenberg – Bath Towels

“I don’t know, she said, how you bear to live without flowers in your living room. It’s not so bad, I said. I see them, when I walk outside. Anyway, I get hay fever.”

Playlist auf SpotifyPlaylist auf Apple Music

Lieblingsfilme 2023

Machen wir es kurz und schmerzlos: Mein Filmjahr war nicht sehr ergiebig (Letterboxd verzeichnet 51 Filme), aber es waren schon genug Filme dabei, die mir gefallen haben. An der folgenden Liste finde ich erfreulich, dass drei Filme in der Top 4 von Regisseurinnen stammen. Killers of the Flower Moon ist der Film, den ich direkt nach dem Ansehen am kritischsten bewertet habe, der aber durch weiteres Nachdenken und drüber reden gewachsen ist. Dungeons and Dragons ist sicher filmisch nicht wirklich viel großartiger als einige Filme, die weiter unten auf der Liste stehen, aber er hat mir einfach sehr viel Spaß gemacht, und ich freue mich darauf, ihn mit anderen Leuten erneut zu sehen.

Dass Banshees of Inisherin und Past Lives mich bewegt haben, sagt ein bisschen was darüber aus, dass Freundschaft für mich ein wichtiges Thema bleibt. Über diese Filme denke ich auch immer wieder nach, insbesondere Past Lives. Hingegen sind Asteroid City (Podcast) und The Fabelmans (Podcast) Filme, die ich mochte, aber die nicht mehr wirklich nachhallen. Dass Across the Spider-Verse es nicht schafft, seine Geschichte innerhalb eines sehr langen Films zu Ende zu erzählen, spricht nicht für den Film, aber irgendwie fand ich das Ding trotz aller Kritik doch irgendwie beachtlich (Podcast).

Eine weitere große Freude des Filmjahres: Immer mehr Kinobesuche und Heimvideonachmittage mit Kind (5). Man schaut zwar auch Quatsch wie Elemental oder sogar PAW Patrol: The Mighty Movie, aber wer weiß, wann ich sonst endlich mal den fantastischen Kikis kleiner Lieferservice nachgeholt hätte. Ich freue mich drauf, in den nächsten Jahren meinen Filmkonsum einfach mit Kind langsam wieder hochzufahren.

Hier ist die Liste:

  1. Anatomie d’une chute
  2. The Banshees of Inisherin
  3. Saint Omer
  4. Past Lives
  5. Dungeons and Dragons: Honor among Thieves
  6. Asteroid City
  7. The Fabelmans
  8. Killers of the Flower Moon
  9. Spider Man: Across The Spider-Verse
  10. As Bestas

Bild: Plaion Pictures

Gedanken zu Podcasts im Jahr 2023

Ich habe lange überlegt, was die beste Form für diesen Text sein sollte. In den vergangenen Jahren stand an dieser Stelle oft eine kommentierte Liste. Das wäre sicher auch wieder eine Möglichkeit gewesen. Aber ich hatte noch einige weitere Dinge, die mir im Kopf herumschwirren, und die in der Liste nur schwer Platz gefunden hätten. Also ist es ein persönlicher, mäandernder Fließtext geworden. Naja.

Ich fange mit dem Persönlichsten an. 2023 war das Jahr, in dem ich selbst zum professionellen Podcaster geworden bin. Nach einigen Jahren mit Kulturindustrie als Gesprächspodcast und Ausflügen ins Podcast-Als-Blogersatz-Business mit dem Lexpod darf ich seit Januar mit LÄUFT einen Podcast im Auftrag von epd medien und Grimme-Institut hosten und produzieren, in dem ich Interviews zu Medienthemen führe und seit der zweiten Jahreshälfte auch kleine eigene Kritiken einspreche. 

Ich bin auf LÄUFT sehr stolz und ich lerne mit jeder Folge neue Dinge dazu, nicht zuletzt natürlich mit meiner ersten narrativen Folge zur ZDF-Sendung X-Base, die ich zum Ende des Jahres produziert habe. Dazu schreibe ich mal einen eigenen Post, wenn die zweite Folge veröffentlicht ist. Allgemein möchte ich zur Arbeit an LÄUFT vielleicht zwei Dinge zusammenfassend sagen: 1. Mit LÄUFT ist mir erst so richtig klargeworden, wie umkämpft der Podcastmarkt wirklich ist, aber auch, welche unterschiedlichen Metriken man anlegen kann, um seinen eigenen Erfolg zu messen (Gruß an David). 2. Mit das Beste am Podcast ist, dass ich eine Redaktion habe, die mir für viele Folgen das eigene Themen finden und recherchieren abnimmt und mich vorab auf die wichtigsten Aspekte für ein Interview stößt und brieft. Hinterher schaut sie dann kritisch drauf und sagt mir, wenn ich Fehler gemacht habe. Kurzum: Durch redaktionelle Arbeit wird alles besser, auch Podcasts. 

Damit genug von mir, kommen wir zum Rest der Landschaft.

Als ich vor ein paar Tagen versucht habe, eine Liste zusammenzustellen, habe ich erst gemerkt, wieviele Podcasts ich nicht gehört habe. Dieses Phänomen kenne ich natürlich aus anderen Jahren, vor allem im Bereich Filme, aber diesmal hat es mich schon etwas geärgert. Ich habe nach wie vor keine gute Routine dafür gefunden, wie ich alle meine regulären Podcasts hören kann und Zeit dafür finde, aktuelle Produktionen zu entdecken, außer sie irgendwie dazwischenzuschieben und eventuell mal auf ein paar Folgen meiner geliebten Comfort Foods zu verzichten.

Zu wenig Podcasts habe ich demnach nicht gehört (Pocket Casts sagt: 33 Tage), aber dennoch fehlen in meinen Betrachtungen leider solche gelobten Produktionen wie 344 Minuten, Zugunglück Eschede – 25 Jahre danach, Grenzgänger und SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden, aber ich hoffe, dass ich zumindest einige davon noch nachholen werde.

Mein Lieblingspodcast: Scambit

Grundsätzlich ist es, finde ich, ziemlich gut, dass die ARD 2023 größer als zuvor ins Auftrags- und Koproduktions-Spiel eingestiegen ist, um Podcast-Content für die Audiothek zu generieren. Diese Strategie schafft Raum für unterschiedliche Produktionsarten und Tonfälle auf hohem Niveau (weil: Geld). Mein Lieblingspodcast des Jahres, Scambit, ist so entstanden, beauftragt vom WDR und Funk, produziert von der Berliner Produktionsfirma ACB Stories. 

Scambit erzählt dem Pitch nach die Geschichte des angeblichen Schachbetrugs von Hans Niemann im Duell mit Magnus Carlsen, der durch die Spekulation um Analkugen Internet-Notoriety erlangt hat. 

Eigentlich ist der Podcast, der angenehm kurze vier Folgen hat, aber ein allgemeiner Überblick darüber, wie sich die Schachwelt in den letzten Jahren unter dem Einfluss von Online-Gaming, Pandemie und The Queen’s Gambit verändert hat. Das ist nicht nur interessant, weil es ein nerdiges Rabbit-Hole ist, sondern auch, weil Yves Bellinghausen es einfach verdammt unterhaltsam erzählt, inklusive Selbstversuchen und Gastauftritten. Scambit ist Podcast unter dem Einfluss von YouTube-Kultur. Was für manche abschreckend wirken mag, finde ich genau richtig – und ich wünsche mir mehr davon.

Auch einige andere Produktionen, die ich mochte, sind in solchen ARD-Modellen entstanden, zum Beispiel Dark Matters (RBB/SWR/BosePark), dessen hervorstechendstes Merkmal sicher die Doppelfolgen sind – eine liefert klassisches journalistisches Storytelling, die andere ein Hintergrund-Interview dazu. Oder auch das Hörspiel Mia Insomnia von Gregor Schmalzried, in dem die Hauptfigur Podcasterin und Fan von alten Kassetten-Hörspielen ist, also maximale Audio-Liebhaberei mitbringt.

Teurer Wohnen: Explaining Is Not A Crime

Teurer Wohnen, dieses Jahr bereits mit mehreren Preisen dekoriert, ist ebenfalls eine RBB-Koproduktion mit detektor.fm, aber begeistert hat mich daran etwas anderes. Teurer Wohnen ist richtig guter Erklärjournalismus, und es gibt kaum etwas was ich besser finde. Immer wieder kommen auf dem Podcast-Markt Produktionen breitbeinig daher und brüsten sich mit ihrer investigativen Haltung. Sie wollen Skandale aufdecken oder zum Kern von Sachverhalten vordringen, aber scheitern dabei oft an ihrem eigenen Anspruch.

Das trifft meiner Ansicht nach auch auf die beiden Produktionen der neuen Tamtam-Firma TRZ Media aus diesem Jahr zu. Sowohl Boys Club (über Axel Springer, produziert mit Spotify) als auch Hitze (über die Letzte Generation, produziert mit dem RBB) versprechen in gewisser Weise, richtig nah an ein ohnehin brisantes Thema ranzugehen, um seine Signifikanz besser zu verstehen, eiern aber am Ende in vagen Conclusios herum. 

Teurer Wohnen hingegen investiert sehr viel Zeit, um seinen Hörer:innen ein scheinbar unfassbar dröges Thema, den deutschen Immobilienmarkt, sehr genau zu erklären. Das Ergebnis: Man ist hinterher allgemein schlauer und hat anhand der konkreten Beispiele gelernt, welche Auswirkungen eben dieses dröge Thema jeden Tag auf das Leben vieler Menschen hat – vielleicht sogar auf mich selbst. Wenn ich mir einen Podcast mit dem entsprechenden Budget für mich selbst backen könnte, würde er jedenfalls mit Sicherheit irgendwas erklären. 

Diese Art von Explainer Journalism macht Planet Money ja seit Jahren sehr erfolgreich. Der Dreiteiler, in dem das Team eine Episode von generativer KI schreiben und produzieren lässt, gehört deswegen auch zu den besten Stücken zu KI, die ich dieses Jahr gehört habe. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk 2023 nicht nur zwei, sondern drei fast identisch formatierte Podcasts zum Thema Künstlche Intelligenz gelauncht hat. Da kann man die Gebührenfeinde manchmal doch verstehen.

Storytelling: Falle und Werkzeug

Ich glaube, dass sich in der Gegenüberstellung von den TRZ-Podcasts und Produktionen wie Teurer Wohnen oder Scambit ein zentrales Problem der momentanen Podcastlandschaft manifestiert. Viele Journalist:innen wollen Storytelling nach einem bestimmten Modell machen, egal ob das Thema, das sie sich ausgesucht haben, wirklich eine dafür geeignete Story hat. Wenn sich keine Dramaturgie mit Wendepunkten und immer neuen Überraschungen stricken lässt, ist man mit einer reportagenhaften oder erklärenden Erzählhaltung manchmal besser dran.

Dann kann man sich als journalistische Erzähler:innen-Figur aber natürlich auch leider nicht so in den Mittelpunkt stellen, das ist aber ohnehin etwas, wovon ich nächstes Jahr weniger hören möchte. Dark Avenger habe ich unter anderem deswegen abgebroche. Liebe Kolleg:innen, ich möchte eure alten Nachdenk-Meetings und Sprachnachrichten nicht in meinem Podcast, wenn sie nichts zur Geschichte beitragen. Davon habe ich jeden Tag auch so schon genug im Büro.

Dafür lohnt auch der Blick in die USA, die übrigens in Sachen Podcasts meiner Ansicht nach nicht mehr das leuchtende Vorbild sind, das sie mal waren, was sicher auch am Podcast-Blutbad liegt. The Retrievals (Serial Productions) gehört nicht zu meinen Lieblingspodcasts des Jahres, aber er ist natürlich trotzdem hervorragend produziert. Eine erschreckende, aber eigentlich einfache Geschichte (Frauen erleiden in einer Kinderwunsch-Klinik bei der Ei-Entnahme schreckliche Schmerzen, weil eine der Krankenschwestern Betäubungsmittel stiehlt) wird in einer Art Rashomon-Prinzip aus immer wieder neuen Blickwinkeln betrachtet, vor- und zurückgespult, um eine zentrale These zu erörtern: Der Gesellschaft sind Leiden von Frauen im Wesentlichen egal. Diese These steht bereits am Ende der ersten Folge, aber sie wird durch die Dramaturgie immer wieder neu zementiert – wenn etwa die Hintergrundgeschichte der Krankenschwester oder das Urteil der Richterin enthüllt wird. Das Große entsteht aus dem Kleinen, ohne dass es immer wieder behauptet werden muss.

Ghost Story (Wondery) ist im Kern ebenfalls keine riesige Geschichte. Ein Mordfall aus den 1930er Jahren und eine Reihe von Spukgeschichten über ein Haus in London stehen am Anfang des Podcasts, größere Gedanken über die Geschichten, die wir über unsere Familien erzählen, an seinem Ende. Vieles von dem, was dazwischen passiert, ist völlig aufgeblasener Quatsch – vor allem an den Spukgeschichten wird viel zu lange festgehalten (angeblich, weil sie auch als Metapher fungieren, aber das wäre auch ohne Séance möglich gewesen). Das Entscheidende ist: Der Podcast ist so gut erzählt, dass er einen wie ein guter Page Turner einfach durchgängig am Haken hält. Das ist mir noch einmal klarer geworden, als ich die diese Woche erschienene Bonus-Episode gehört habe, in der die Macher:innen ein stückweit berichten, was sie alles weggelassen haben, um ihre Story besser zu formen.

Weitere Gedanken

  • Schönster neuer Laberpodcast des Jahres war für mich Anja Rützels Verbrechen am Fernsehen (Studio Bummens, mein Interview mit Anja). Er beweist für mich einerseits, dass man erfolgreich und unterhaltsam Medienkritik als Podcast betreiben kann, und, dass Promi-Interviews einfach viel interessanter sind, wenn man etwas hat, worüber man redet, was nicht die Promis selbst sind.
  • Den PodcastPodcast (detektor.fm) als tägliches Podcast-Entdeckungsformat finde ich eine tolle Idee (nicht nur, weil ich selbst dafür geschrieben habe), die meinen Horizont sehr erweitert hat. Der Über Podcast (DLF) steckt hingegen trotz einiger guter Folgen mit Podcast-Profis leider etwas in einer Krise, aus der er sich hoffentlich wieder befreien kann. Nicht zu verwechseln übrigens auch mit Übers Podcasten, dessen Inhalt ich wertvoll finde, aber mit dessen Machart ich nach wie vor etwas kämpfe.
  • 50 MPH ist die Art Projekt, in das ich mich beinahe gegen meinen Willen, verlieben musste, einfach weil ich detaillierte Oral Historys über die Entstehung von Filmen so mag und Speed für mich, wie für Host Kris Tapley, einfach ein wichtiger Aufwachs-Film war. Große Inspiration für die LÄUFT-Folge zu X-Base.
  • Da ich immer auch auf die formelle Seite von Podcasts schaue: Future Tense Fiction fand ich ein schönes Experiment von Slate, Fiction und Non-Fiction in einem Podcast zu verbinden. Und das Audiobuch The Best Audio Storytelling 2022 (Pushkin) war ein tapferer neuer Versuch, Audio-Kuration zu betreiben. Ich bin gespannt, ob es erfolgreich genug war, dass sie es nächstes Jahr wieder machen.
  • Schließlich habe ich, wie fast immer, eine This American Life Folge, die ich besonders mochte: Math or Magic. Es geht um Liebe. Eine perfekte Folge für einen Winterspaziergang zwischen den Jahren.

LÄUFT geht übrigens 2024 weiter, und wer weiß: vielleicht schaffe ich es sogar, beruflich noch mehr mit Podcasts zu tun zu haben. Ich war dieses Jahr schon einmal knapp davor, am Ende hat es aber leider nicht geklappt. Aber falls da draußen jemand einen Podcast-Redakteur mit Hosting- und Producing-Erfahrung sucht: You know where to find me.

Titelbild: DALL-E

Playlist 2023

Alle Jahre wieder kommen die Jahresrückblicke auf das Blog nieder. Wie jedes Jahr blicke ich zuerst auf Musik. Und wie die letzten Jahre habe ich, ehrlich gesagt, weder Zeit noch Lust, viel zu schreiben. Es gibt eine Playlist. Wer Interesse an meinem Musikgeschmack hat, kann sie sich anhören. Ich habe sie extra auf Spotify geklont, damit auch Menschen, die nicht bei Apple Music sind, reinhören können.

In der Liste findet man wie immer meine typische Mischung aus Pop und Indierock nebst zweier Soundtrack-Queues – obwohl nämlich The Super Mario Bros. Movie sonst nicht viel hatte, was für ihn sprach, zumindest Bryan Tylers Verwebung der alten Videospiel-Musik mit einem symphonischen Score hat meinen Respekt verdient. Im April habe ich mich außerdem für LÄUFT durch die Beiträge zum Eurovision Song Contest gehört und dabei zwei Schmachteballaden gefunden, die mir gefallen. Prog ist wie schon in den letzten Jahren kaum noch Teil meines täglichen Musikmixes, wenn ich nicht gerade gezielt in bestimmten Phasen in das Werk einer meiner früheren Favoriten abtauche – dieses Jahr habe ich immerhin eine Band entdeckt, deren Sound mir gefällt: Dream the Electric Sleep, die man aber auch Problemos einfach als Heavy Rock labeln könnte.

Hervorheben muss ich, dass 2023 erstaunlicherweise mal wieder ein Jahr war, in dem ich ganze Alben liebgewonnen und gehört habe. Die Band KNOWER, ein Duo aus Louis Cole (Schlagzeug) und Genevieve Artadi (Gesang), war meine große Neuentdeckung des Jahres. Ich habe mich auch durch ihren gesamten Back-Catalogue gehört, aber keins ihrer bisherigen Alben ist so großartig wie das diesjährige KNOWER FOREVER, das deswegen auch ausnahmsweise zweimal auf der Playlist vertreten ist. Durch meinen übermäßigen Knower-Konsum hat mir Apple Music auch mal wieder regelmäßig diverse Jazz-Künstler vorgeschlagen, von denen ich auch einige ganz gerne gehört habe. Yussef Dayes’ Black Classical Music will ich in den nächsten Wochen noch mal in Ruhe von Anfang bis Ende hören.

Auch die britische Supergroup FIZZ und ihr Debütalbum The Secret of Life fand ich absolut großartig. Da ich zwei der Mitglieder, Dodie und Orla Gartland, eh schon mochte, haben die FIZZes bei mir natürlich offene Türen eingerannt, aber der ganze Sound der Band lebendig, stark und macht Bock, das Album immer wieder zu hören. Die Secret Sauce ist meiner Ansicht nach übrigens Drummer Matthew Swales, dessen ausladender Stil die Songs einfach immer noch einen Hauch interessanter macht (ähnlich wie Zac Farro bei Paramore). RAYEs Album My 21st Century Blues (und die dazugehörige Live-Fassung mit Orchester) muss man vermutlich an dieser Stelle nicht extra promoten, ähnlich wie Peter Fox’ Love Songs, dessen bester Track ja schon letztes Jahr auf meiner Bestenliste war.

Schließlich haben noch zwei Künstler beeindruckende Alterswerk-Alben hingelegt, die ich beide sicher auch noch viele Male hören werde. Einmal Paul Simon mit seinem ruhigen und reflektiven Seven Psalms, dessen Tracks es auch in Streamingdiensten nur am Stück zu hören gibt, und dass das ideale Album für dunkle Abendstunden ist. 

Und dann Peter Gabriel mit I/O – der dabei auch wieder mal ausprobiert hat, wie man Musik neu denken kann. Einen Track pro Monat über ein ganzes Jahr zu releasen gibt einem als Hörer die Möglichkeit, sich dem Album langsam zu nähern, bevor man es als Ganzes wahrnimmt (was ich auch an der “Waterfall” Release-Strategie anderer Künstler sehr mag). Und zwei Mixe des gleichen Albums zu veröffentlichen (Bright Side und Dark Side) ist natürlich für jene, die Gabriels ohnehin immer interessante Produktion schätzen, reinste Katzenminze. Musikalisch ist I/O gar nicht so besonders und klingt genau wie Gabriel auch sonst seit So oder spätestens Us geklungen hat, aber da es die erste wirklich neue Musik des Musikers seit über 20 Jahren ist, ist es ein sehr willkommenes Wiedersehen, für mich vor allem in den etwas treibenderen Songs.

Hier ist die ganze Liste:

  1. RAYE – Oscar Winning Tears
  2. FIZZ – High in Brighton
  3. KNOWER – I’m the President
  4. Paramore – This is Why
  5. Quiet Houses – Hot and Clumsy
  6. The Beths – Watching the Credits

I spend all night cutting up edits
Watching the credits to find direction in my existence

The Beths – Watching the Credits
  1. Polinski – Distant Friend, I love you
  2. Brian Tyler – Press Start
  3. Marco Mengoni – Due Vite
  4. Mia Nicolai & Dion Cooper – Burning Daylight
  5. Gracie Adams – Amelie
  6. The Heavy Heavy – Desert Raven
  7. CVC – Sophie
  8. Ratboys – Black Earth, Wi (bestes Gitarrensolo des Jahres)
  9. Emily King – Medal
  10. Asake – Lonely At the Top
  11. Peter Gabriel – I/O (Dark-Side Mix)

Stuff coming out, stuff going in
I’m just a part of everything

Peter Gabriel – I/O
  1. Miss Grit – Syncing
  2. Yes – Circles of Time
  3. Daniel Pemberton – Spider-Woman (Gwen Stacy)
  4. Dream the Electric Sleep – Beyond Repair
  5. Miya Folick – So Clear
  6. Alfredo Rodriguez – La Bilirrubina
  7. Peter Fox – Toscana Fanboys (feat. Adriano Celentano)
  8. Beatenberg – Don’t Call Her Over to You
  9. OK Go – This
  10. Cory Wong – Call Me Wild (feat. dodie)
  11. KNOWER – It’s All Nothing Until It’s Everything

Everything will lead to everything

Doing what I can

Starting where I am

It’s all nothing ’til it’s everything

Moments don’t forget

Start end back again

KNOWER – It’s All Nothing Until It’s Everything

  1. Paul Simon – Seven Psalms

Zur Playlist bei Apple MusicZur Playlist bei Spotify

Film- und TV-Highlights 2022

(c) Disney

Letztes Jahr habe ich die Grenzen schon aufgeweicht, dieses Jahr packe ich einfach alles in eine Liste. Ich will ja schließlich auch einen Pool haben, der groß genug ist, dass ich daraus überhaupt eine Top 10 auswählen kann. Warum ich hier ein Ranking vornehme und bei Podcasts nicht? Keine Ahnung.

Insgesamt merke ich mehr und mehr, wie sich mein Blick verschiebt und ich eigentlich weder den Anspruch noch den Willen habe, möglichst viel Wichtiges gesehen zu haben, um diese Liste mit der gebotenen Sorgfalt erstellen zu können. Sie ist ein Schnappschuss von Bewegtbild-Erlebnissen, die bei mir dieses Jahr hängengeblieben sind – mehr kann sie gar nicht sein.

Mein “Absatz of Shame” der Filme, die ich 2022 nicht gesehen habe: Drive My Car, The Batman, Cyrano, Aftersun, Athena, Memoria, The Menu, RRR, Bones and All und viele viele mehr.

Nun denn:

1. Andor (Season 1)

In der Kulturindustrie-Highlightsendung, die am 1.1. erscheint, habe ich auch bereits erzählt, was mich an Andor so begeistert hat. Abgesehen von einem relativ tighten Drehbuch, gute Regie, schickem Design und gutem Casting, fand ich bemerkenswert, dass hier die Tiefe des Worldbuildings von Star Wars genutzt wurde, um eine Geschichte zu erzählen, die gar nicht zwangsläufig im Star-Wars-Universum spielen müsste, sondern auch in unserer Welt stattfinden könnte. Das zeigt, wie vielseitig sekundäre Welten sein können, wenn man sich zur Abwechslung mal nicht auf ihre populärsten Tropes lehnt, sondern sie als Hintergrund nutzt für Geschichten nutzt, die es wert sind, erzählt zu werden. Ich liebte das an den From a Certain Point of View-Anthologien und ich liebe es hier. Ein echter Home Run.

2. Petite Maman

Unsere Eltern waren auch mal Kinder. Und auch als Erwachsene sind sie nicht nur Eltern. Indem Céline Sciamma erzählt, wie ein Mädchen seiner eigenen Mutter als Kind begegnet und sich mit ihr anfreundet, erforscht sie diese Gedanken märchenhaft und dennoch in ihrer Einfachheit erstaunlich klar. Ich war schon lange nicht mehr so berührt im Kino.

3. Irma Vep

Irma Vep

In Olivier Assayas’ Filmen finde ich immer wieder eine leichtfüßige Verhandlung der Beziehung zwischen dem Besonderen und dem Mondänen – hier am Beispiel eines Filmdrehs. Mit seiner Meta-Miniserie über die Entstehung eines fiktiven Remakes sowohl eines Stummfilmklassikers als auch seines eigenen Films aus den 90ern erforscht Assayas alles, was an Film frustierend und bezaubernd zugleich ist – am Ende aber landet er ganz klar auf der Seite des Zaubers.

4. Nope

Ich feiere Nope dafür, dass er es schafft, innerhalb seines Genre-Korsetts etwas Neues zu erzählen. Vielleicht nicht sehr eindeutig, vielleicht nicht so politisch, wie einige es gerne hätten, aber sehr eigenständig, originell und visuell überraschend.

5. Three Thousand Years of Longing

Es ist leicht, diesem Film vorzuwerfen, dass er sein Thema exotisiert, aber davon abgesehen ist es ein fantastisches Märchen voller Wendungen und Kurven, wie immer bombastisch verpackt und mit einer großen Dosis Kinomagie.

6. Crimes of the Future

Ein Film, der in mir gewachsen ist wie ein neues Organ. An seiner Cronenbergigkeit in Design und Inszenierung werde ich mich wahrscheinlich immer reiben, aber er verhandelt so viele interessante Ideen auf ungewöhnliche Weise, dass er gewürdigt gehört.

7. Glass Onion: A Knives Out Mystery

Meine Kulturindustrie-Kolleg*innen hätten mich fast davon abgebracht, diesen Film zu mögen, weil er als Zeitgeist-Spiegel vielleicht wirklich ein bisschen zu wohlfeil ist. Aber das ändert nichts daran, dass er sehr unterhaltsam, erneut sehr gut konstruiert und von Charakteren bevölkert ist, die im Gedächtnis bleiben. Ich bleibe gespannt, was Rian Johnson sonst noch einfällt.

8. The Lord of the Rings: The Rings of Power (Season 1)

(c) Prime Video

Ich komme immer wieder gerne nach Mittelerde zurück. Und wenn es nicht ganz so ein langatmig-sinnloses Geschlachte wie im dritten Hobbit-Film ist, sondern kompetent erzählt und wunderschön designt ist wie hier, macht es mir auch nichts aus, dass erstmal wenig passiert und eine gewisse generische Well-Madeness nicht von der Hand zu weisen ist. Für die erste Verfilmung, die sich stärker von Tolkiens Worten löst als je zuvor, fand ich Rings of Power doch sehr gelungen.

9. Avatar: The Way of Water

Spätestens jetzt merke ich, dass das Leitmotiv dieses Jahr “Handschrift im System” zu sein scheint. So schwach The Way of Water in seinem platten Plot ist, so einmalig ist er doch, wenn er sich zwischendurch 40 Minuten Zeit nimmt um einfach in seinen fantastischen Bildern zu schwelgen und am Ende eine weitere Stunde für eine auslandende Actionsequenz, wie sie nur James Cameron inszenieren könnte. Kein Meisterwerk, aber ein bemerkenswerter Film.

10. Red Rocket / Der schlimmste Mensch der Welt

Am Ende bleiben zwei Filme, die ich alle nach dem Ansehen erstmal sehr gut fand, aber deren Eindruck bei mir etwas verblasst ist. Daher kann ich mich auch nicht entscheiden, welcher am Ende doch länger in meinem Gedächtnis bleiben wird: die Geschichte eines genialen Hustlers im Nirgendwo oder das verspielt-vignettenhafte Porträt einer Person aus einer Generation, der ich mich noch entfernt verwandt fühle. Die Zeit wird es zeigen.

Lobende Erwähnung: Encanto

Lin-Manuel Mirandas Disney-Musical kam schon Ende 2021 raus, deswegen gehört er nicht offiziell auf diese Liste. Aber er hat in meinem Haushalt auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Noch hat ihn mein bald fünfjähriges Kind nicht gesehen, aber es kennt die Geschichte aus einem Buch und die Musik läuft auch heute noch bei uns (und auch bei mir) rauf und runter. Das Ende finde ich nach wie vor etwas zu einfach, aber die zentrale Metapher, die Charaktere und die verhandelten Gefühle haben mich doch sehr berührt. Als Gesamtwerk prophezeie ich Encanto ein verdient langes Leben. Der Film ist zigmal besser als der elende aber nicht totzukriegende Frozen.

Playlist 2022

Meistgehört: Re: M Field.

Wie jedes Jahr folgt eine Liste der Songs, die mir in den vergangenen zwölf Monaten so gut gefallen haben, dass ich sie nicht nur gerne gehört habe, wenn sie zufällig im Shuffle kamen, sondern aktiv aufgesucht oder beim Durchskippen immer drauf hängen geblieben bin. Das qualifizierte sie dann irgendwann dafür, auf eine “Best of 2022” Playlist zu wandern, auf der ich in den letzten zwei Wochen noch einmal etwas ausgesiebt habe.

Diese Vorgehensweise ist ein interessanter Pattern des digitalen Zeitalters, aber es erleichtert auch ein wenig, sie inzwischen so kodifiziert zu haben. Genauso wie die Tatsache, dass ich ab 1. Dezember aufhöre, meine “Neue Musik für dich”-Listen zu hören, um mich ganz auf Rückschau und Genuss (z. B. ganze Alben durchhören) konzentrieren zu können.

1. The Beths – Silence Is Golden

NPRs “All Songs Considered” hat mich dieses Jahr auf diese coole neuseeländische Rockband gestoßen. “Silence is Golden” ist der Über-Banger des Albums “Expert in a Dying Field”, aber auch der Titelsong und der Rest der Platte lohnen sich.

2. Everything Everything – Bad Friday

Das Album, mit dem sich Everything Everything dieses Jahr zurückgemeldet haben, hat mich viel viel besser gefallen als die zwei davor. Die Lyrics wurden mit Hilfe einer KI geschrieben, aber was heißt das schon. Die Lead Single “Bad Friday” erinnert auf beste Art an ihren ersten Hit “MY KZ YR BF”, der in der Top 10 meiner Lieblingssongs aller Zeiten stehen dürfte.

I’m wondering: how did I get this battle over me?
I got the pictures here on my phone.

Everything Everything

3. Fickle Friends – Love You To Death

Ich freue mich wirklich über diesen Strom an knalligen Pop-Formationen mit weiblichem Leadgesang. Fickle Friends war ziemlich sicher eine algorithmische Empfehlung, aber der Song (und Teile des Albums) macht auch einfach Laune.

4. Kae Tempest – More Pressure (feat. Kevin Abstract)

Rap ist nicht die Musik, die mir am natürlichsten zufällt. Es braucht schon irgendeinen Vibe, der mich über Beats und Text (den ich meistens erst spät wahrnehme) hinaus anspricht und bei “More Pressure” war das dieses Jahr der Fall. Kae war mir schon vorher ein Begriff und ich feierte bereits den Albumtitel “The Beigeness” vor acht Jahren, aber hier treten Flow und Musikalität noch einmal auf eine besonders gute Art heraus. Und natürlich könnte man sich “More pressure, more release, more relief, more belief” auch problemlos tätowieren lassen.

More pressure, more release, more relief, more belief

Kae Tempest

5. M Field – House and Leisure

Es gibt keinen Musiker, der mich in den letzten zwei Jahren mehr begeistert hat als Matthew Field. Vor allem mit seinen Soloplatten, aber auch mit seiner Band Beatenberg, die ich dieses Jahr live sehen durfte. Hier drückt einfach alles meine Knöpfe: die versteckt-komplexen Instrumentierungen und Grooves, die Stimme, die Harmonien, die Texte, die oft tongue-in-cheek von alltäglichem Kram und den daraus erwachsenen “großen” Gedanken erzählen.

And as the Amazon burns
I water my little fern
I bought on Amazon Prime

M Field

6. Aoife O’Donovan – Age of Apathy

Die Vorab-Single “Phoenix” war letztes Jahr schon auf meiner Playlist, aber auch der Titelsong des Albums ist einfach toll. Ich bleibe dabei: Aoife hat eine der schönsten Stimmen der Musikwelt überhaupt und ihre Songs verbreiten genau die richtige Melancholie.

Oh, to be born in the age of apathy
When nothing’s got a hold on you, if you need someone to hold
You can hold me

Aoife O’Donovan

7. Stromae – L’enfer

Ich habe dieses Jahr aufs Neue gemerkt, dass ich eine besondere Schwäche für Französisch als gesungene Sprache habe und bei Stromae verbindet sich diese merkwürdige Liebe mit dem vielleicht genialsten Stotter-Beat des Jahres. Das ganze Album “Multitude” ist ein großartiges Erlebnis – “Mon Amour” hätte ich am liebsten auch noch auf die Liste genommen. (Der wäre auch etwas weniger depri gewesen.)

8. Midlake – Bethel Woods

Teile von Midlakes Album haben etwas an sich, das mich auf einer subkutanen Ebene an 70er Genesis erinnert (“Feast of Carrion”). Das kommt in diesem Song nicht so deutlich raus, aber dafür hat es dieses treibende Schlagzeug, bei dem ich einfach nicht widerstehen kann.

9. Robert Glasper – Why We Speak (feat. Q-Tip & Esperanza Spalding)

Da auch R&B ein Genre ist, zu dem ich mich nicht so sehr von selbst hingezogen fühle, bin ich auch hier dankbar für “All Songs Considered”, die manchmal Titel anspielen, die auch für mich anschlussfähig sind. Ich kann zu dem Song trotzdem nicht viel sagen, außer dass ich ihn mag und die Mischung – auch in der Bilingualität und der Stimme von Esperanza Spalding – irgendwie stimmt.

10. Nilüfer Yanya – the dealer

Weckt bei mir Erinnerungen an Rocktitel aus den 90ern, aber mit einem moderneren Beat. Einfach ne gute Nummer.

11. And So I Watch You From Afar – Dive Pt 2

Meine großen Post-Rock-Zeiten liegen hinter mir, aber manchmal gelingt es Bands, mich doch noch mal hinter dem Ofen hervorzulocken. ASIWYFA haben das mit den Arrangements und der Dramaturgie des Albums “Jettison” dieses Jahr geschafft.

12. Gang of Youths – in the wake of your leave

Noch ein Album (“angel in realtime”), das sich in Gänze lohnt. Also, wenn man auf dramatischen Indierock mit großen Refrains steht.

13. half*alive – Move Me

Die Veröffentlichungspolitik von half*alive gibt mir zwar Rätsel auf (dieses Jahr erschien zunächst eine EP auf der Songs drauf waren, die zum Teil schon 2021 veröffentlich wurden, dann eine LP, auf der zum Teil noch mal die gleichen Songs waren), aber ihre Songs bleiben konstant gut und ungewöhnlich. “Move Me” ist der schönste der neuesten Charge.

14. Sergey Golovin – Factory

Sergey Golovin ist ein israelischer Gitarren-Wizard, der mich seit Jahren mit seinen Instrumentals erfreut. Seine ersten Alben klangen nach Dream Theater Anno 1992, “Factory” und die anderen Singles, die er dieses Jahr veröffentlicht hat, erinnern eher an Fitness-Motivations-Rocknummern aus den 80ern. Aber in geil.

15. Weezer – All this Love

Mein Sommer-Song 2022. Weezer im vollen Pop-Modus mit einem herzerwärmenden Post-Pandemie-Text. Hoffen wir, dass er sich nächstes Jahr endlich bewahrheiten kann.

I’ve got all this love that I’ve been saving up
Let me let it out, let me let it out!

Weezer

16. MUNA – What I Want

MUNA begeistern mich bereits seit ihrem zweiten Album, aber hier ist mein dunkles Geheimnis: “Silk Chiffon” fand ich ziemlich langweilig. Gilt zum Glück nicht für den Rest des neuen Albums, und “What I Want” ist eine geniale Empowerment-Hymne, zu der ich hoffentlich irgendwann auch mal öffentlich tanzen kann. (Dieses Jahr beschränkte sich Tanzen auf die Firmenweihnachtsfeier und ich trug Maske dabei, worum ich aber im Nachhinein dankbar bin, denn die Menge an Corona-Meldungen vier Tage später machte keinen Spaß.)

17. Porcupine Tree – Rats Return

Was für ein Glück, dass sich diese drei Männer entschieden haben, doch noch ein Album zusammen zu machen. Bei “Closure / Continuation” ist der Name Programm, es bildet einen Abschluss eines erfolgreichen Albumzyklus, knüpft aber auch deutlich an alles an, was seit “In Absentia” kam. Und dazu gehören geniale Rhythmus-Riffs wie das in “Rats Return”. Instant Classic!

18. The Mars Volta – No Case Gain

Ich finde es gut, dass sich The Mars Volta mit dem unerwarteten neuen Album noch einmal auf neues, weniger proggiges Terrain gewagt haben. Nicht alle Songs sind bei mir hängengeblieben, aber dieser schon.

19. Remi Wolf – Sugar

Noch eine luftige Sommernummer. Für die gute Laune zwischendurch.

20. Regina Spektor – Becoming All Alone

Bei all dem Gerede über Interpolation, das dieses Jahr die Popmusik beherrschte, wundert es mich, dass niemand mal diesen Song und Aimee Manns “Wise Up” nebeneinandergelegt hat. Der Vibe ist schon sehr ähnlich, aber mich stört es definitiv auch nicht, zwei Lieder mit ihm zu haben.

And we wouldn’t even have to pay
‘Cause You Are God and You’re revered

Regina Spektor

21. Hans Zimmer & Andrew James Christie – Prehistoric Planet Theme

Serie nicht geguckt. Theme trotzdem immer wieder gerne gehört. So kann es gehen.

22. Von Wegen Lisbeth – Auf Eis

Sollte ich Von Wegen Lisbeth sauer sein, weil sie ein Lied gemacht haben, dessen Refrain lautet “Mach bitte, bitte, bitte keinen Podcast”? Kann ich nicht, weil sie gleichzeitig auch dieses Lied geschrieben haben, in dem sich der Protagonist mit der im Kreis fahrenden Claudia Pechstein identifiziert. Alberne Melancholie, sign me up. Bonuspunkte für den Reim von “Skaten” auf “Relaten”.

Ich interessier mich nicht für Skaten
Und schon gar nicht auf dem Eis
Doch ich kann gut mit ihr relaten
Denn sie fährt die ganze Zeit im Kreis

Von Wegen Lisbeth

23. Peter Fox – Zukunft Pink (feat. Inéz)

Der Song, an dem man diesen Herbst nicht vorbeikam. Aber er ist auch einfach so gut. Ich hoffe es schreibt irgendwann jemand mal eine gute Analyse darüber, wie der Ragaton-Rhythmus zum dominanten Stilmittel der letzten zehn Jahre wurde.

24. Eule – Kapitänin der Band

Die “Eule findet den Beat”-Kinder-Hörspiele sind über die letzten Alben immer weniger kindermäßig geworden und enthalten einfach objektiv gute Songs (Hier mein Interview mit Schöpferin Nina Addin). Klar, der Text ist hier immer noch ein bisschen drauf gemünzt, das Instrument zu erklären (auf der ganzen Platte geht es darum, die Welt der Instrumente zu entdecken) – aber ich wünschte ich hätte als Mini-Schlagzeuger diesen Song gehabt. “Overdrive” vom gleichen Album steht “Kapitänin der Band” übrigens in nichts nach.

Jetzt spiel ich richtig laut
Wenn sich der Song aufbaut

Eule

25. The Mountain Goats – Training Montage

Als jemand, der Musik selten wegen der Texte hört, dringen die Mountain Goats immer nur dann zu mir durch, wenn sie auch mal wieder einen Ohrwurm geschrieben haben. “Training Montage” vom Actionfilm-Konzeptalbum “Bleed Out” ist so ein Fall. “I’m doing this for revenge!” ist aber auch eine Textzeile, die sich sehr gut mitrufen lässt (mit Fistpump versteht sich).

26. Beatenberg & Msaki – White Shadow

Bitte noch einmal zu M Field (5.) zurückspringen und alles noch mal lesen. Diese Nummer ist dazu noch ein tolles Duett.

27. Harry Styles – Music For a Sushi Restaurant

Noch so ein Lied, dem man dieses Jahr nicht ausweichen konnte. Und immer Props für Songs, deren Refrain nur ein Bläser-Einsatz ist.

28. King Princess – Cursed

“Cursed” ist die Art Song, bei der ich erst nicht so sicher war, wie gut er mir gefällt, der mir dann aber immer wieder in den Kopf kam.

29. APRE – Submarine

Wie jedes Jahr haben sich auch 2022 die zwei Jungs von APRE mit einer ihrer Pop-Rock-Hymnen in meine Gehörgänge gewurmt und sind deswegen in dieser Liste vertreten.

30. Fergus McCreadle – The Unfurrowed Field

Mein Geheimtipp seit Jahren: Beim Mercury Prize gucken, welches Jazz-Album nominiert wurde. Dort finden sich häufig sehr mainstream-anschlussfähige Acts wie GoGo Penguin oder Moses Boyd. Dieses Jahr Fergus McCreadle, der einfache Themen am Piano über mehrere Minuten mit Trio variiert und immer weiter aufbaut. Sehr hörbar.

31. Roxette – Never Is A Long Time (EMI Demo May 26-30, 1987)

Marie Fredriksson ist vor drei Jahren gestorben, was mich immer noch jedes Mal traurig macht, wenn ich dran denke. Ihr musikalischer Partner Per Gessle veröffentlicht fröhlich weiter, sowohl neues Material (solo und als PG Roxette) als auch immer wieder ungewöhnliche Archiv-Funde, wie diese Version des Songs, der schließlich auf “Joyride” landen sollte und hier noch sehr nach 1987 und nach New Wave klingt. Faszinierend, wenn eine Band so regelmäßig Einblicke in ihren Produktionsprozess erlaubt.

Links zum Selbsthören: Apple MusicSpotify

Film-Highlights 2021

Don’t get me down from this roof. Bild: Disney

Letztes Jahr hat es nicht für eine Liste gereicht. Dieses Jahr komme ich mit großzügigem Einbeziehen von zwei Streaming-Miniserien auf eine Top 9. Viel dazu schreiben will ich aber dennoch nicht – zu fast allen Einträgen gibt es eine Folge von Kulturindustrie, die ich verlinke.

Zwei “Runner-ups” gibt es auch, und beide haben etwas gemeinsam, aus dem ich fast einen eigenen Blogpost gemacht hätte. Matrix: Resurrections ist immerhin ein Film, der sich getraut hat, einen ungewöhnlichen Weg einzuschlagen und seine Vorgänger auf einer Metaebene zu spiegeln. Dune versucht sich daran, ernsthafte und brüterische Literaturverfilmung zu sein. Beide Filme aber schlagen sich ihren Kopf an den Zellenwänden des Blockbusters wund, der verlangt, das spätestens im dritten Akt alles affirmiert werden muss, was vorher infrage gestellt wurde: ohne massive Actionszenen und gro´ßgestiges Ende geht es nicht. Deswegen konnte ich mich auch nicht dazu durchringen, einen der beiden Filme in die Liste aufzunehmen.

1. The Beatles: Get Back

Nach dem Ende der acht Stunden hätte ich noch endlos weiterschauen können, wie den Gesichtern dieser jungen Musiker alles wiederspiegelt, was ich selbst beim Musikmachen empfunden habe. Die endlosen Verhandlungen im Probenraum, das Herumalbern zwischendurch, die Wiederholungen der immer gleichen Songs und die absolute Erhabenheit eines Liveauftritts. Und dann sind es aber auch noch die Beatles – es ist völlig verrückt.

2. Nomadland

Mehr dazu in Kulturindustrie 29 vom Juli.

3. West Side Story

Mehr dazu in meinem Blogeintrag.

4. The French Dispatch

Wes Anderson versucht sich an Short Fiction oder an einem von diesen neuen Romanen, die aus Kurzgeschichten bestehen und von einer Rahmenhandlung zusammengehalten. Dabei huldigt er dem amerikanischen Magazinjournalismus und ist witzig, nachdenklich und sehr sehr genau, wie immer.

5. The Green Knight

Ich liebe es, wenn ein Kinofilm mich auf einen Trip mitnimmt. Dieser hier ist schwer, düster und wahnsinnig Emo, aber das macht ihn auch sehr verführerisch, wie ein betörendes Parfüm oder eine weihrauchgeschwängerte, mittelalterliche Kirche.

The Green Knight, Bild: A24

6. We are who we are

Mehr dazu im Kulturindustrie Jahresrückblick.

7. Titane

Mehr dazu in Kulturindustrie 33.

8. Fabian

Mehr dazu in Kulturindustrie 31 – Dominik Grafs Film finde ich Kästners Geschichte nach wie vor stark überlegen.

9. In the Heights

Das not so guilty pleasure für dieses Jahr – mehr dazu in Kulturindustrie 30.

Wie immer habe ich einige Filme (noch) nicht sehen können, von denen ich glaube, das sie mir hätten gefallen können, darunter Drive My Car, Last Night in Soho, House of Gucci, The Power of the Dog, The Last Duel, Promising Young Woman und Minari. Aber so ist das halt.

Persönliche Highlights 2021

Lyra Belacqua’s got nothing on me

Wisst ihr noch, wie vor einem Jahr alle darauf gehofft haben, dass das Jahr endlich vorbeigeht? Sie sind in eine sehr alte Falle getappt, der man jedes Jahr wieder begegnen kann. Denn am 31. Dezember ist zwar der Dezember und das alte Jahr vorbei, der Winter hat sich aber gerade erst warm … äh … kaltgelaufen. Die mieseste Zeit kommt erst noch: graue, dunkle, kalte Tage, nur diesmal ohne Adventsbeleuchtung – und 2021 auch ohne ohne Berlinale, ohne Museen, ohne Hallenbäder und vor allem ohne Kinderbetreuung.

Meine Partnerin, mein damals fast dreijähriges Kind und ich haben ein gutes erstes Drittel des Jahres 2021 im Lockdown miteinander verbracht – mit Fast-Vollzeitjobs, versteht sich und ohne Anspruch auf Notbetreuung. In einem wechselnden Modell aus Vor- und Nachmittagsschichten, ganzen Tagen mit Kind und Kindkrank-Tagen. Meine Lebensretter waren der Berliner Zoo und der See mit dem Hundeauslaufstrand in der Nähe, sonst hätte es außer den immer gleichen Spielplätzen auch nichts zu sehen gegeben. Das war eine ziemlich beschissene Zeit, und doch erinnere ich mich zum Glück vor allem an die eine Woche, in der Berlin plötzlich zugeschneit war, wir Schneemenschen gebaut und auf dem Rodelhügel Schlitten bei anderen Kindern geschnorrt haben.

Dieser Tweet bescheinigt der Corona-Pandemie eine “unglaubwürdige” Dramaturgie, aber ich finde diese Ansicht könnte gar nicht falscher sein. Im Gegenteil: Covid folgt vielmehr der klassischen Dramaturgie unserer serialisierten Zeit, in der nichts jemals wirklich zu Ende ist, und nach jedem dramatischen Drittakt-Finale (Weihnachtslockdown, Impfung) noch eine Post-Credits-Szene namens Alpha, Delta oder Omikron kommt. Und irgendwo steht Christian Drosten und sagt: “You have just become part of a bigger universe.”

Im Februar 2021 fand ich das zum ersten Mal so richtig deutlich spürbar. Der Winter neigte sich so langsam dem Ende zu, die Politik diskutierte bereits über Lockerungen, und dann kam B.117 (aka Alpha) um die Ecke, und riss alles wieder ein. Natürlich wurden die Beschränkungen in die steigenden Zahlen hinein trotzdem gelockert und die Scheiße dadurch erst so richtig losgetreten. Und obwohl ich viel Missmanagement wegen Überforderung mit einer nie vorher gesehenen Situation verzeihen kann – an diese gewissenlose Aktion werde ich noch lange denken.

Ich wollte mich eigentlich gar nicht in einen Corona-Rant reinschreiben, davon gibt es auf Twitter wirklich genug. Eigentlich wollte ich ein paar persönliche Dinge aufschreiben, die 2021 (das mir – alles in allem – trotz dreier Impfungen in diesem Moment gerade blöder vorkommt als 2020, aber das kann auch Verklärung sein) trotz allem gut waren. Immerhin habe ich dieses Jahr wieder Zeit dafür. Sie stammen übrigens alle aus der zweiten Jahreshälfte.

Sommer in Berlin

Es gab ungefähr acht Wochen, von der zweiten Impfung + 14 Tage Ende Juli, bis zum endgültigen Anstieg der Zahlen Ende September, als die Welt ein bisschen okay schien. Wir haben diesen Berliner Sommer, der immer das beste an Berlin ist, hemmungslos ausgenutzt. Ich war jede Woche im Kino, zweimal die Woche im Freibad oder im Strandbad, hab Freunde getroffen, Magic gespielt, in Restaurants gegessen, meine Familie besucht, ein LARP besucht und mir generell die Sonne aufs Gesicht brettern lassen. Natürlich hat diese Zeit nicht gereicht, um sich zu erholen. Aber schön war sie doch.

Hier bleiben

Manchmal sind es kleine Dinge, die im Nachhinein einen wichtigen Unterschied machen. Meine Partnerin und ich, und damit indirekt die ganze Familie, haben seit einem guten Jahr hin- und herüberlegt, ob wir noch einmal umziehen sollten, zurück nach Wiesbaden, wo wir schon einmal gewohnt haben und wo noch viele Freunde und ein paar Familienmitglieder wohnen. Im August haben wir einen Schlussstrich gezogen: Nein, wir bleiben in Berlin. Wir motzen lieber unsere Wohnung ein bisschen auf (Hochebene!) und investieren in das Leben hier, statt das Gras auf der anderen Seite des Zauns zu beäugen.

Das Bilderbuch-Projekt

Ich mag Jahresprojekte, und dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, alle Bücher, die ich meinem Kind vorlese, auf der Plattform Goodreads zu bewerten und mit Kurzkritiken zu versehen. Das habe ich getan. Es sind 100 Stück geworden, und ich habe durch diese bewusste Betrachtung ein paar Lehren über die Beschaffenheit von Bilderbüchern gezogen, die ich auch demnächst noch aufschreiben werde. Entweder hier im Blog, oder, wenn sie mich lassen, bei 54books.

Mein erstes Tattoo

Im Sommer habe ich mich entschieden, mich nach vielen Jahren des Überlegens doch endlich tätowieren zu lassen. Anny hat mir im Oktober die fünf Manasymbole aus Magic: The Gathering auf meine Wade gestochen, und ich freue mich immer noch jeden Tag, wenn ich sie sehe. Wie ich auch in meinem Instagram-Post zum Thema geschrieben habe, musste ich lange überlegen, ob dieses Tattoo ein Zeichen von Midlife-Crisis ist, und bin zum gegenteiligen Schluss gekommen, den ich “Midlife Satisfaction” genannt habe. Ich habe nicht mehr das Gefühl, mir die Möglichkeit offen halten zu müssen, mich als Mensch neu zu erfinden. Sondern ich kann auch nach außen und permanent zeigen, wo ich innen sowieso angekommen bin. Das zweite Motiv ist bereits in Planung.

WUBRG

Magic: The Gathering

Und weil es sonst keinen Ort gibt, an dem ich das erwähnen kann, will ich an dieser Stelle auch noch einmal kurz insgesamt auf mein einziges Hobby zurückblicken, das nicht gleichzeitig Nebenjob ist. Ich bin nicht nur dankbar, dass ich zu Magic zurückgefunden habe, weil es ein verlässlicher Komfort-Hafen in der Pandemie ist – vor allem Commander über Webcam – sondern auch, weil ich dort wirklich das Gefühl habe, andere mentale Muskeln trainieren zu können. 2021 bin ich auch noch mal echt ein Level aufgestiegen: Ich habe meine Sammlung online katalogisiert, bin durch Arena deutlich besser im Draften geworden und habe meine ersten ganz eigenen Commander Decks gebaut (Hamza, Galazeth und Ferrous), die sogar Spiele gewinnen. Dem Gegenüber standen allerdings Sets, die mich (bis auf Kaldheim ganz zu Anfang des Jahres und Modern Horizons II, das ich allerdings aus Pandemiegründen nie spielen konnte) eher nicht so begeistern wollten. Das beste am Magic-Jahr war somit der Ausblick auf das erste Set von 2022, Kamigawa: Neon Dynasty, in dem sich Magic an Cyberpunk versucht. Cyberpunk hat einen sehr besonderen Platz in meinem Herzen, über den ich nächstes Jahr sicher noch schreiben werde.

Ein neuer Arbeitsmodus

Die größte und wichtigste Entscheidung aus dem Jahr 2021 habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Kurz gesagt: Ich habe mich nach Jahren des Rumdrucksens (und manchmal auch Rummeckerns) endlich entschieden, der Freiberuflichkeit mal eine faire Chance zu geben. Natürlich, ich bleibe ich, mit minimalem Risiko. Also: Ab Januar reduzieren sich meine Stunden bei meinem Hauptarbeitgeber so, dass ich einen bis anderthalb Tage die Woche die Möglichkeit habe, andere Aufträge anzunehmen. Mal gucken, wie ich mit diesem Mischmodell finanziell, zeitlich und zufriedenheitstechnisch fahre.

Eine äußerst schöne Erfahrung waren auf jeden Fall die Reaktionen auf diese Entscheidung. Die Welt hat nicht drauf gewartet, dass Alexander Matzkeit sich auf den freien Kommunikationsmarkt wirft, war mein inneres Mantra. Aber: Andere Freelancer, von denen ich erwartet hatte, dass sie “Bist du sicher? Du hast doch einen guten Job!” rufen, haben mich klatschend in ihre Reihen aufgenommen. Und potenzielle Auftraggeber, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte, haben angeklopft und gefragt, ob ich für sie mal was machen kann. Das hat mich natürlich bestärkt. Bei epd medien, meinem ersten Arbeitgeber nach dem Studium, dem ich über die Jahre vor allem durch Hörfunkkritiken treu geblieben bin, habe ich bereits ein paar Tage wieder im Newsroom gearbeitet. Andere Aufträge kann ich hoffentlich enthüllen, wenn man ihre Ergebnisse sieht. Ich freue mich jedenfalls, endlich diesen Schritt gewagt zu haben und bin gespannt, ob er hält, was er verspricht.

Zwischen den Jahren werde ich an dieser Stelle noch irgendeine Art von Film/TV-Topliste veröffentlichen. Ansonsten bleibe ich bei meinem vor kurzem begonnenen Plan, hier wieder öfter kleinere Gedanken und Ideen zu notieren, im Geist von Kathrin Passigs “Leichtem Schreiben“. Ich wünsche allen, die dies lesen, eine entspannte Zeit und wenig Ansteckungen. Möge diese Welle dann doch vielleicht die letzte sein.