In 50 Jahren um die Welt – Sammys Abenteuer

“Sammy’s Avonturen: De geheime doorgang”
Belgien 2010. Regie: Ben Stassen. Buch: Domonic Paris. Musik: Ramin Djawadi. Produktion: Gina Gallo, Mimi Maynard, Domonic Paris, Ben Stassen, Caroline van Iseghem.
Sprecher (deutsche Fassung): Matthias Schweighöfer (Sammy), Lena Meyer-Landrut (Shelly), Axel Stein (Ray), Achim Reichel (Slim), Thomas Fritsch (Erzähler).
Länge: 88 min.
Verleih: Kinowelt.
Kinostart: 28.10.2010

Sammy ist so etwas wie der Forrest Gump unter den Meeresschildkröten. Er schlüpft 1950 aus dem Ei und ist von Anfang an ein bisschen langsamer als seine Geschwister. So wird er schnell zum Einzelgänger, entwickelt aber gleichzeitig eine magische Anziehungskraft für schicksalhafte Begegnungen. Erst wenige Minuten alt rettet er seiner zukünftigen großen Liebe Shelly (auch als Synchronsprecherin enorm knuffig: Lena Meyer-Landrut) das Leben, hinaus aufs große Meer treibt er ebenso zufällig wie er später seinen besten Freund (Axel Stein) kennenlernt, wieder verliert und einer Gruppe von Hippies in die Arme schwimmt. Deren Lektüre von “In 80 Tagen um die Welt” weckt in ihm die große Abenteuerlust, die er erst in Richtung Südpol und dann auf der Suche nach der geheimen Passage in den Atlantik – dem Panamakanal – auslebt.

Der belgische Regisseur Ben Stassen ist eine der treibenden Kräfte hinter dreidimensionaler Computeranimation im europäischen Raum, sein erster Langfilm FLY ME TO THE MOON kam etwas zu früh in die Kinos, um den großen 3D-Hype im vergangenen Jahr wirklich mitzunehmen. Stassen stammt aus der IMAX-Tradition des 3D-Kinos, und auch SAMMYS ABENTEUER ist an vielen Stellen noch sichtbar von “old school”-3D-Denken geprägt. Der Film verlässt sich statt auf eine stringente Story und glaubhafte Charaktere lieber auf effektreiche 3D-Inszenierung mit Pop-Out-Effekten und Flugsimulationen, pendelt im Design allerdings trotzdem merkwürdig unentschlossen zwischen Realismus und Abstraktion (beispielsweise in der Animation von Wasser und Sand). Die Handlung kommt indes ähnlich sperrig daher wie der umständliche und irreführende Titel. Die Suche nach dem Weg in die Karibik ist eben nur eins der vielen Abenteuer, die Sammy im Laufe seines 50-jährigen Lebens mitnimmt. Charaktere und Schauplätze wechseln im Zehnminutentakt, viele von ihnen haben keine andere Funktion, als dem merkwürdig eigenschaftslosen Hauptcharakter (passenderweise gesprochen von Matthias Schweighöfer) einen Schubs in die richtige Richtung zu versetzen.

Dass es diesem Hauptcharakter ein wenig an Motivation fehlt, erklärt vielleicht auch den überflüssigen Voiceover-Kommentar des alten Sammy, der auf sein Leben zurückblickt und das gerade Gesehene regelmäßig zusammenfasst und kommentiert. Eigentlich besitzen die ökologisch-pädagogischen Motive des Films rund um Erderwärmung und Artenschutz eine angenehme Ambivalenz – denn die menschlichen Spuren in der Natur helfen Sammy und seinen Freunden fast genauso oft wie sie ihnen schaden. Statt jedoch auch den jüngeren Zuschauern des Films ein wenig eigenes Urteilsbewusstsein zuzutrauen, verlassen sich die Filmemacher lieber darauf, diese Ambivalenz immer wieder in ungelenken Formulierungen hinauszuposaunen. Als hätte nicht gerade der Animationsfilm in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass Filme, die Kindern gefallen ohne Erwachsenen auf die Nerven zu gehen, kein Widerspruch in sich sind.

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Alice in den Städten – Resident Evil: Afterlife

Deutschland/Großbritannien/USA 2010. Regie und Buch: Paul W. S. Anderson (basierend auf Capcoms Videospiel „Resident Evil“). Kamera: Glen MacPherson. Visual Effects Supervisor: Dennis Berardi. Musik: tomandandy. Produktion: Jeremy Bolt, Paul W. S. Anderson, Robert Kulzer, Don Carmody, Bernd Eichinger, Samuel Hadida.
Darsteller: Milla Jovovich (Alice), Ali Larter (Claire), Wentworth Miller (Chris), Kim Coates (Bennett), Shawn Roberts (Wesker), Boris Kodjoe (Luther), Spencer Locke (K-Mart).
Verleih: Constantin.
Laufzeit: 97 Min.
Kinostart Deutschland: 16. September 2010.

Der vierte Teil der Resident Evil-Saga ist vermutlich der erste Film überhaupt, der primär mit einem Kamerasystem beworben wird. Nicht Hauptdarstellerin Milla Jovovich, nicht Autor/Regisseur/Ehemann Paul W. S. Anderson stehen hier im Vordergrund, erklären uns Trailer und Plakate, sondern die Cameron/Pace Fusion 3D-Kamera, mit der auch Avatar gefilmt wurde, ist der wahre Star von Afterlife, wie Resident Evil 4 betitelt wurde.

Der Film bestätigt diese Annahme auf ganzer Länge. Schon die Eröffnungssequenz in der Jovovichs Alice, nahtlos anknüpfend an das Finale des Vorläuferfilms Extinction, mit einer Horde von Klonen das Hauptquartier der finsteren Umbrella Corporation stürmt, macht sehr schnell klar, dass es völlig egal ist, wer hier lebt oder stirbt, solange es cool aussieht. Wenn zentrale Charaktere verwundet oder scheinbar getötet werden, hat das keinerlei Relevanz. Ganz wie in der Videospielserie, auf der die Filmreihe basiert, steht fast jeder nach kurzer Zeit bestimmt wieder auf, um sich fröhlich in 3D weiter von Level zu Level zu ballern und zu metzeln.

Man möchte das fast „konsequent“ nennen. Afterlife ist Exploitation-Kino der reinsten Natur. Genau wie Zombiefilme der Kategorie Resident Evil immer schon die Standards des Horrorgenres ausgeschlachtet haben, so schlachtet Afterlife in seiner kompletten Konzeption auch die Standards des 3D-Kinos aus. Es gibt zwar nur wenige ausgesuchte Pop-Out-Effekte, dafür aber genug große Hallen, Flure mit starken Fluchten, Flüge durch weite Landschaften, Kämpfe in Zeitlupe und jede Menge regnendes Wasser, notfalls halt in einem Duschraum. Keine Angst: Milla Jovovichs Mascara kann auch unter solch widrigen Umständen nicht verschmieren.


Positiv zugutehalten kann man der ganzen Resident Evil-Reihe immerhin, dass sie ihr Geschehen tatsächlich seriell fortschreibt statt in die Fortsetzungsfalle zu treten und immer nur die Handlung des Ur-Films zu wiederholen. Ähnlich wie schon Extinction zeigt auch der neue Film eine kontinuierliche Vision der Welt im titelgebenden Afterlife der Zombie-Apokalypse. Gelegentlich bringt er dafür sogar eine Portion Humor auf, wenn etwa das Trüppchen Überlebender, das sich in Los Angeles auf das Dach eines Gefängnisses geflohen hat, aus Hollywood-Stereotypen besteht, inklusive einem windigen Verräter, der verächtlich als ehemaliger Produzent von Blockbusterfilmen charakterisiert wird.

Solche Lichtblicke können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Resident Evil:Afterlife insgesamt nicht mehr als ein matschiges Etwas von aneinandergereihten Schlachtfesten ist, das von Dialogzeilen zusammengehalten wird, die ebenso dumpf daherpochen wie der Steroiden-Soundtrack des Komponisten-Duos tomandandy. Alice und ihre neuen und alten Kumpanen kämpfen in einem großen Teil der 97 Filmminuten mitnichten nur gegen Zombies, sondern vor allem gegen merkwürdige Mutantenmonster, über deren Identität und Sinn man am Ende ebensowenig weiß wie über die mäandernde Handlung, die sich schließlich auf ein hanebüchenes Finale kapriziert. Nicht ohne dass dann eine kurze Sequenz nach dem Abspann noch einen draufsetzt und eine kaum weniger sinnentleerte Weiterschreibung ankündigt, die Jovovich in Interviews auch bereits bestätigt hat. Es gibt eben noch viel zu töten da draußen.

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Spiel’s noch einmal – Toy Story 3

USA 2010. Regie: Lee Unkrich. Buch: Michael Arndt, nach einer Geschichte von John Lasseter, Andrew Stanton und Lee Unkrich. Musik: Randy Newman. Produktion: Darla K. Anderson, John Lasseter.
Sprecher: Tom Hanks (Woody, deutsch: Michael Herbig), Tim Allen (Buzz, deutsch: Walter von Hauff), Joan Cusack (Jessie), Rex (Wallace Shawn, deutsch: Rick Kavanian), Michael Keaton (Ken, deutsch: Christian Tramitz), Ned Beatty (Lotso)
Länge: 103 min.
Verleih: Walt Disney Pictures.
Kinostart: 29.7.2010

Gibt es ein Rezept für gute Fortsetzungen, für gute und erfolgreiche Fortsetzungen gar? Noch dazu, wenn der Urschlamm, auf dem man aufbaut, ein echter “game changer” von einem Film ist, der mehr oder weniger im Alleingang eine ganze Industrie auf den Kopf gestellt hat? Pixar hat es mit TOY STORY 2 einmal vorgemacht, und mit TOY STORY 3 machen sie es gerade ein weiteres Mal. Das Geheimnis: Beliebte Charaktere und Grundstil beibehalten, aber ansonsten eine wirklich neue Geschichte erzählen, die nicht nur höher-schneller-weiter geht als beim letzten Mal, sondern uns wirklich etwas Neues über unsere liebgewonnenen Freunde erfahren lässt.

Manchmal kann es dafür auch vonnöten sein, mal ordentlich in der Zeit zu springen. Wenn man nicht alternde Protagonisten hat, geht das umso besser: Die Welt dreht sich weiter (elf Jahre seit dem letzten Abenteuer), aber die Helden bleiben gleich, schon hat man ganz organisch den ersten Konflikt hergestellt, auf den man aufbauen kann. In TOY STORY 3 ist es Andy, ehemals so spielbegeisterter Eigentümer von Woody, Buzz, Jessie, Rex und Co, der quasi über Nacht erwachsen geworden scheint und kurz davor ist, aufs College zu gehen. Ausgemustert finden sich die Plastikfreunde in einem Kindergarten wieder, der sie zwar auf den ersten Blick wieder ihrem Lebenszweck zuführt – jemand spielt mit ihnen – sich auf den zweiten aber als ein albtraumhaftes Gefängnis entpuppt, in dessen schwarzweißer Welt der zweigesichtige Plüschbär Lotso und sein Gehilfe Ken (“Ich bin kein Mädchenspielzeug!”) die Fäden in der Hand halten.

Was folgt ist, wie schon in den ersten beiden Teilen, eine emotionale Reise, clever gefiltert durch ein wohl kuratiertes Arsenal an Actionszenen, Gags und originellen Einfällen. In TOY STORY war es Buzz, der eine Identitätskrise durchmachte, in TOY STORY 2 folgte ihm Woody, diesmal ist es die ganze Gang, die sich im Grunde mit Beruf und Berufung in einer Welt auseinandersetzen muss, die sich unaufhaltsam weiterdreht. Die Tatsache, dass sich alles schlechter an einer einzelnen Figur festmachen lässt, gleicht der Film durch mehr Aktion aus, channelt unter anderem sehr effektiv diverse Heistfilme und Psychothriller für gewohnt genialen Popcornspaß, der eigentlich nur durch ein etwas schal wirkendes Bösewichtspsychogramm zeitweise getrübt wird. Zum Ausgleich gibt es beispielsweise ein alterndes Fisher-Price-Telefon als Fluchthelfer und – auch das sollte erwähnt sein – 3D-Inszenierung auf höchstem Niveau.

Als Sahnehäubchen drehen die Pixaristen zum Ende des Films den Spiegel in die Richtung des Teils des Publikums, das alt genug ist, um schon den ersten TOY STORY-Film (vor immerhin 15 Jahren!) im Kino gesehen zu haben. Denn letztendlich ist TOY STORY 3 nicht nur ein Film über die wahre Bestimmung von Spielzeug, sondern auch über das Kind in jedem von uns. Ein wenig Sentimentalität ist da schon erlaubt, vor allem wenn sie so makellos umgesetzt wurde.

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Drei Tage Berlinale

Durch den Umzug nach Dresden erschien es mir in diesem Jahr zum ersten Mal praktisch genug, für ein Wochenende auf die Berlinale zu fahren. Trotz Filmwissenschaftsstudium hatte ich es nämlich bis in diesem Jahr noch immer nicht geschafft, das große deutsche Filmfestival einmal zu besuchen. Besser spät als nie.

Bei bitterlicher Kälte und matschigem Untergrund mit wenig Ortskenntnis durch Berlin zu stapfen, macht leider nicht so viel Spaß, aber zum Glück sind diese kurzen verwirrten Spaziergänge ja nur die Unterbrechung zwischen den Kinobesuchen. Derer gab es insgesamt fünf, von Freitagabend bis Sonntagnachmittag.

Sex & Drugs & Rock & Roll (GB 2010)

Ian Dury? Noch nie gehört, ist wahrscheinlich ein Generationending. Doch wenn er wirklich so war, wie er im Film dargestellt wird, dann macht Andy Serkis auf jeden Fall einen guten Job. Auch Naomie Harris liefert eine klasse Vorstellung ab, Olivia Williams läuft eher ein bisschen auf Autopilot. Aber allen Beteuerungen des Gegenteils von Regisseur und Drehbuchautor zum Trotz: Sex & Drugs & Rock & Roll ist ein typisches Biopic: Der Musiker ringt mit Kindheitstrauma, Vaterkomplex und Behinderung, stürzt ab und steigt auf, benimmt sich arschlochhaft, ist aber genial. Damit leider trotz vieler Knalleffekte eher durchschnittlich.

The Ghost Writer (D, F, GB 2010)

Roman Polanski wieder in der Spur und Ewan McGregor endlich mal wieder in einer unpeinlichen Hauptrolle. Polanski verknüpft unwirklich-schöne Bilder mit Polit-Thriller und erstaunlicher Weise auch jeder Menge gutem, trockenem Humor. Mit einem banalen und vorhersehbaren Twist-Payoff bleibt das Polit-Thriller-Element leider in den letzten zwanzig Minuten etwas auf der Strecke, der Rest des Films, über die unsichtbaren Fäden und Geister hinter den Figuren der Macht, ist aber äußerst sehenswert. Selbst in den erschreckend ungemütlichen Sitzen des Friedrichsstadtpalasts.

Portrait of the Fighter as a Young man (RO 2010)

Selbst der Regisseur hat vor dem Film gewarnt: “Mein Film ist lang und er kann zwischendurch auch mal nervig sein.” Und es stimmt. 163 Minuten lang wohnt man visualisierten Tagebucheinträgen von rumänischen Partisanen bei, die in den Bergen mit wenig Essen und automatischen Waffen in den Fünfzigern für ihre Freiheit kämpfen und auf die Befreiung durch die Amerikaner warten. Auf 90 Minuten gekürzt wäre das spannender gewesen, aber vielleicht gehört gerade die schiere Endlosigkeit und Wiederholung der Erfahrung dazu, um die Zermürbung der Kämpfer auch im Kinosaal zu spüren.

El Mal Ajeno (E 2010)

Oskar Santos’ Film ist von Alejandro Amenábar produziert und wird auch mit dessen Namen beworben. Doch er erreicht nicht die Dichte und Tiefgründigkeit von Amenábars Werk, bleibt mit seiner sich irgendwie bekannt anfühlenden Handlung von einem Arzt, der sich zwischen einer Heilsgabe und dem persönlichen Wohlergehen seiner Familie entscheiden muss, inhaltlich und auch filmisch eher an der Oberfläche. Immerhin gelingt es Santos, den Zuschauer zum Nachdenken über das Leid zu bringen, das Menschen mit unheilbaren Krankheiten ertragen müssen.

Kawasakiho ruze (CZE 2009)

Für mich der beste meiner fünf Filme. Eine in sanften aber durchdringenden Bildern festgehaltene Verhandlung von Schuld und Sühne, voller starker Charaktere und brillanter Dialoge. Die mediale Aufbereitung der Vergangenheit eines fiktionalen Dissidenten, der für sein Lebenswerk geehrt werden soll, hat teilweise Anklänge an gute Dokumentarfilme und bleibt auf der emotionalen und der Handlungsebene genauso spannend und herausfordernd. Dabei gelingt es Regisseur Jan Hrebejk zum Schluss sogar, alle Fäden zu entwirren und dennoch alle Fragen offen zu lassen.

Aus den Schatten – Ninja Assassin

USA 2009 Regie: James McTeigue. Buch: Matthew Sand und J. Michael Straczyski. Kamera: Karl Walter Lindenlaub. Produktion: Joel Silver, Andy Wachowski, Larry Wachowski, Grant Hill.
Mit: Rain, Naomie Harris, Ben Miles, Shô Kosugi, Randall Duk Kim.
Länge: 99 Minuten.
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 10.12.2009

Bei manchen Filmen ist sie schwer zu erkennen, die Grenze zwischen „schlecht“ und „so schlecht, dass es wieder gut ist“. Der neueste Streich aus der Talentschmiede der Wachowskis, NINJA ASSASSIN, scheint jeweils einen Fuß fest auf jeder Seite dieser Grenze zu haben. Da gibt es angenehm selbstironische Szenen, in denen eindeutig klar wird, dass Regisseur James McTeigue (V FOR VENDETTA) gar nicht versucht hat, einen ernsthaften Film abzuliefern, die dann allerdings im allgemeinen Chaos der leider nicht immer guten Kampfszenen wieder in Vergessenheit geraten.

Der im Internet gerne ausgetragene Kampf, wer jetzt eigentlich mehr „Awesomeness“ auf dem Kasten hat, Piraten oder Ninjas, wird in NINJA ASSASSIN jedenfalls klar zugunsten der Ninjas entschieden: Ninjas sind im Schatten grundsätzlich unsichtbar und so schnell, dass ihre Opfer gar nicht wissen wie ihnen geschieht, bevor sie in Scheiben zerschnetzelt werden. Das ist natürlich ziemlich „awesome“, vor allem wenn dazu noch eine gehörige Dosis computeranimiertes Blut in hübschen Rorschach-Tests auf den Fußböden der Kampfplätze verteilt wird. Überhaupt versucht McTeigue die Effekte seiner trashigen Vorbilder quasi nahtlos ins Computerzeitalter zu übertragen, was ihm über weite Strecken auch recht gut gelingt. Das Videospiel zum Film ist darüberhinaus, wie so häufig im modernen Actionfilm, schon 1:1 in den Kampfszenen-Levels angelegt, so dass eine Übertragung auf Konsolen und PCs nicht schwerfallen dürfte.

Das Spektakel bestreiten diverse Mitglieder aus der Wachowski-Film-Familie, darunter der japanische Popstar Rain in seiner ersten englischsprachigen Hauptrolle (vorher schon in SPEED RACER zu verorten) und Ben Miles als zwielichtiger Europol-Agent, der McTeigue-Fans auch schon aus V FOR VENDETTA bekannt vorkommen dürfte. Als taffe Frau darf zusätzlich Naomie Harris (28 DAYS LATER, PIRATES OF THE CARIBBEAN) antreten. Das Trio jagt vom Fördergelder-Standort Berlin aus einem martialischen Auftragskiller-Ninja-Clan nach, der seine Zöglinge klaut und mit brutalen Methoden zu den perfekten Todesmaschinen ausbildet, was in Rückblenden ausführlich gezeigt wird. Die Geschwindigkeit der Ninjas diktiert dabei einen schnellen Schnittrhythmus, der dadurch dem Martial-Arts-Gefuchtel natürlich manchmal auch ein wenig seine Wirkungskraft nimmt.

NINJA ASSASSIN lässt während seiner Handlung wenige Klischees aus, auch für unheilsschwangere Sätze wie „Diese Untersuchung ist reine Routine“ und „Du kannst ihm vertrauen, er ist einer von den Guten“ ist er sich nicht zu schade. Weil das aber eigentlich nur gewollt sein kann, fällt es schwer, sich darüber wirklich zu ärgern. Enttäuschend ist eigentlich lediglich das Finale, dem es nicht gelingt, der vorher aufgebauten Erwartungshaltung für den klassischen Kampf zwischen Meister und Schüler gerecht zu werden. Vor allem dann, wenn der Meister von 80er-Ninjalegende Shô Kosugi gespielt wird. So gelingt der Generationenwechsel im Genre leider nicht ganz.

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FILMZ 09 – Planlos in der Wüste

Etwa dreiviertelvoll war das Kino am Mittwoch, als Kronos gezeigt wurde. Kronos ist Olav F. Wehlings Diplomfilm von der Filmakademie Baden-Württemberg, laut Etikett eine Reflektion über den griechischen Mythos des Titanen Kronos, der seine Schwester heiratete, seinen Vater kastrierte und seine Kinder fraß, in Wirklichkeit aber ein Film über Menschen, die durch die Wüste gehen und versuchen, dabei möglichst wenig zu reden und möglichst wirr zu handeln.

Kronos ist europäisch-prätentiöser Kunstblödsinn in Reinform. Das an sich ist noch kein wertendes Urteil, denn es gibt jede Menge ziemlich guten prätentiösen Kunstblödsinn aus Europa – l’Art pour l’Art ist durchaus ein erlaubtes Kriterium auch für Filmemacher. Bei Kronos sind dabei aber gerade noch Armin Franzens gut geschossenen Bilder der marokkanischen Wüste positiv erwähnenswert, leider erscheint aber der Rest des Films genauso flach wie die unwirklichen Hintergründe. Ein bisschen so, als hätte Lars von Trier sich eine Überdosis Pasolini gespritzt und wäre als Zombie wieder dem Grab entstiegen.

Um tiefgründig wirken zu wollen reicht es einfach nicht, Dialoge in Wackelkamera-Closeups mit einem „Was ist?“ beginnen zu lassen und darauf zehn Minuten Schweigen folgen zu lassen, und eine gutaussehende dunkelhaarige Hauptdarstellerin zu casten. Mit Kronos lässt sich vielmehr Kunstblödsinn-Bullshit-Bingo spielen: Tötungsszene mit Industrial-Soundtrack, check. Unangenehme Vergewaltigung, check. Bedeutungsschwangeres Cello-Solostück, check. Ein metaphorisch-verheißungsvoll gegrabener Brunnen wird zum Grab, check. Kronos fehlt die ansprechende Reflektionsebene, er stellt nur dar und so läuft alles irgendwie ins Leere und es bleibt am Ende nur Langeweile und ein arg verhaltener Pflichtapplaus des Publikums übrig. Dass der Film eine Koproduktion mit dem ZDF Theaterkanal und also entsprechend theatralisch ist, ist leider auch nur eine mangelhafte Erklärung dafür, dass die Figuren losgelöst von ihrem mythologischen Kontext seltsam motivations- und aussagelos bleiben.

Alexander Pohls Vorfilm Trickster, in dem ein Clown versucht, seinem kulturindustriellen Gefängnis zu entfliehen, war insofern vom FILMZ-Team gut programmiert: Der Film bietet schöne, eindrucksvolle, unheimliche Bilder, ist aber in seinen drei Permutationen doch irgendwie planlos. Das gab der sympathische Regisseur im Nachfilm-Gespräch mit den typischen Ausführungen eines Animationsstudenten eigentlich auch offen zu, als er von seinen vagen Inspirationen zwischen Beckett und der tragischen Figur des Clowns berichtete. Trickster lässt immerhin eine der Prätention des Films durchaus gerecht werdende „Cinema will eat itself“-Interpretation zu: Wenn ambitionierte Schauspieler für das gaffende Publikum zunehmend in kargen Motion-Capture und Green Screen Bühnen ins Leere agieren müssen und hinterher von der Traumfabrik zur Unkenntlichkeit aufgehübscht werden, bleibt ihnen wohl nichts anderes übrig, als zum Gegenangriff überzugehen.

Derzeit findet in Mainz das FILMZ-Festival des deutschen Kinos statt. Dieser Beitrag erschien zuerst im FILMZ-Blog von Screenshot Online

Rezension: Mathias J. Ringler, Die Digitalisierung Hollywoods

Mathias J. Ringler: Die Digitalisierung Hollywoods: Zu Kohärenz von Ökonomie-, Technik- und Ästhetikgeschichte und der Rolle von Industrial Light & Magic. Konstanz: UVK, 2009. 187 Seiten, € 24,00

Ein hehres Ziel hat sich Mathias J. Ringler mit seiner Doktorarbeit gesetzt: Er will die Digitalisierung Hollywoods beschreiben, in der Kohärenz von Ökonomie-, Technik- und Ästhetikgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Rolle der wohl bekanntesten Visual-Effects-Schmiede Hollywoods, Industrial Light & Magic (ILM). Die “Trias”, wie er sie nennt, von Wirtschaft, Technik und Ästhetik, die er aus dem Standardwerk “Film History” von Robert C. Allen und Douglas Gomery zieht, ist ihm extrem wichtig: immer wieder weist er darauf hin und bezieht die Begriffe in seine Kapitelüberschriften mit ein. Und sie ist mit Sicherheit der richtige Ansatz, denn anders als in der Zusammenwirkung dieser drei Faktoren lässt sich nichts in der Kunst-Industrie des Films ausreichend erklären. Umso tragischer ist es, dass Ringler mit seinem Buch, einer Doktorarbeit an der Uni Erlangen-Nürnberg, keinem der drei Faktoren gerecht wird.

“Die Digitalisierung Hollywoods” scheitert maßgeblich auf zwei Ebenen. Ihr erstes Scheitern besteht darin, dass sie ihrem akademischen Anspruch kaum gerecht wird. Ringler schlägt einen weiten Bogen, will seine Ausführungen über Digitalisierung bis in die Anfänge Hollywoods zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen, doch er bleibt dabei stets so nah an der Oberfläche, dass sich seine Arbeit zeitweise eher liest wie ein Sprechzettel für einen Politiker, der gebeten wurde, eine Rede zur Digitalisierung zu halten.

Entschuldigungen dafür gibt es auf gerade mal 161 Seiten (ohne Anhänge) genug: Immer wieder weist Ringler darauf hin, dass es den Rahmen seiner Arbeit sprengen würde, wenn er tiefer in ein Thema einsteigen würde. Die Entschuldigungen können jedoch keine Erklärung dafür sein, dass er für viele Themenbereiche mit nur wenigen Quellen arbeitet und bevorzugt diejenigen zitiert, die allenfalls einen groben Überblick über das Thema bieten, beispielsweise Röwekamps “Schnellkurs Hollywood” zum Thema “New Hollywood”. Einen Abriss über die ökonomische Funktionsweise des klassischen Hollywoodkinos geben zu wollen, sogar mit Bezug auf die von Allen und Gomery beschriebene “Great-Man-Theory”, ohne Thomas Schatzens wegweisendes Werk “The Genius of the System” auch nur zu erwähnen, scheint schlicht unmöglich, Ringler macht es trotzdem. Das New Hollywood besteht in seinem Buch maßgeblich aus dessen Anfängen (Bonnie und Clyde, The Graduate) und dann aus Spielberg und Lucas. Dass es weniger die späteren Blockbuster-Erfinder Spielberg und Lucas waren, die der wichtigsten Erneuerungswelle des amerikanischen Kinos ihren Stempel aufdrückten, als vielmehr Francis Ford Coppolas Firma Zoetrope (Immerhin: Der Pate wird erwähnt) und Regisseure wie Martin Scorsese, Peter Bogdanovich und Hal Ashby, scheint Ringler keine Erwähnung wert.

Bei der Beschreibung der Auswirkungen der Digitalisierung des Films lässt der Autor bahnbrechende Techniken außen vor. Den “Digital Intermediate Process” (DI) des Color Gradings beispielsweise, den inzwischen fast jeder Film durchläuft, erwähnt er ebenso nur im Vorbeigehen, wie die Demokratisierung von Produktionsprozessen und die neue Qualität des Dokumentarfilms durch HDV und die Veränderungen in der Schnittästhetik durch nonlinearen digitalen Schnitt. Für eine Doktorarbeit, die sich einen so umfassendes Ziel setzt, kann das nicht genügen. Das von Ringler ausgiebig zitierte Buch Film und Computer von Almuth Hoberg, obwohl inzwischen zehn Jahre alt, bietet nach wie vor einen wesentlich fundierteren Überblick über das Thema in seiner Gesamtheit.

Den Werdegang und den Einfluss von ILM, den Ringler als eine Art Fallstudie in den Kern seiner Ausführungen stellt, beschreibt das Buch noch am besten, doch auch hier hat es klare Defizite. Dies wird vor allem dadurch begründet, dass als Quellen über die Arbeit des Unternehmens aufgrund dessen Kommunikationsstrategie eigentlich nur Propagandamaterial und kaum “objektive” Quellen zur Verfügung stehen. Doch auch hier können DVD-Dokumentationen, Audiokommentare und der Rest des Panoptikums, der inzwischen an Material über Visual Effects – gerade zu wichtigen ILM-Filmen wie Terminator II oder die Star Wars-Saga – zur Verfügung steht, Anhaltspunkte zumindest für die ästhetische Analyse bilden. Bei der Lektüre des Buchs entsteht der Eindruck, dass der Autor eigentlich nicht weiß, wie die Arbeit an Visual Effects wirklich vonstatten geht – stattdessen lässt er sich allzu oft von der zuvor kritisierten Propaganda blenden, schreibt bewundernd über Rechnerkapazitäten und die tolle Arbeitsatmosphäre auf der Skywalker Ranch.

Das zweite Problem des Buchs ist seine Struktur. Obwohl sich Ringler Mühe gibt, seine Kapitel jeweils unter einem der Aspekte seiner Trias zu subsummieren, gelingt das in den seltensten Fällen. Die Abschnitte handeln oft erstaunlich unstringent von dem, wovon sie handeln sollen, stattdessen werden große Teile des Textes darauf verwandt, auf vorhergehende oder noch folgende Ausführungen zu verweisen, was den Leser unnötig verwirrt. Eine klarere Struktur, die alle Aspekte eines Themas Stück für Stück abarbeitet, hätte deutlicher machen können, worauf der Autor eigentlich wirklich hinaus will.

Allein, auch das wird bei der Lektüre von Ringlers Arbeit nur äußerst unzureichend klar. Seine Schlussfolgerungen bestehen häufig aus einem unglaublich vagen “Alles verändert sich”. Was sich konkret verändert hat seit 1975 – und was sich noch verändern könnte – bleibt gerade innerhalb der Trias sehr nebulös, zu handfesten Zahlen und Statistiken, die die Veränderungen beispielhaft beziffern könnten, greift der Autor nur selten.

Schließlich und endlich ist “Die Digitalisierung Hollywoods” anscheinend nur notdürftig lektoriert worden. Einige Teile des Buchs scheinen aus dem Jahr 2004 zu stammen und wurden nur flüchtig aktualisiert, so ist an einer Stelle von den “fünf bisher produzierten ‘Star Wars’-Filmen” (es sind seit 2007 sechs) die Rede. Hinzu kommen Erbsenzähler-Fehler wie eine falsche Schreibweise von Jar Jar Binks und eine manchmal etwas kreative Zeichensetzung, die aber auch dazu beitragen, dass der Gesamteindruck des Buches sich nicht verbessert. Schade eigentlich, denn von einem gerade in der Filmwissenschaft oft herausragenden Verlag wie UVK ist man eigentlich Besseres gewohnt.

Diese Kritik erschien erstmals bei Screenshot – Texte zum Film. Als Anmerkung sei gestattet, dass Mathias J. Ringler mich in seinem Buch zitiert und meine Meinung als “treffend” bezeichnet. Dadurch fühlte ich mich geschmeichelt, aber leider nicht besänftigt.