9 Jahre Real Virtuality

In dieser Woche wird Real Virtuality neun Jahre alt. Ich wollte das nur kurz erwähnen, für mehr ist keine Zeit. Ich weiß, dass das Blog, abgesehen von einem Post über die Kommunikationsarbeit von Magic: The Gathering seit etwa einem halben Jahr nur noch aus Verweisen auf Dinge besteht, die ich anderswo schreibe oder aufnehme. Das tut mir selbst ein bisschen leid. Aber vielleicht kommen ja auch wieder andere Zeiten (sagte er sechs Wochen vor der Geburt seines ersten Kindes).

Kulturindustrie 011 – Der seidene Faden, Olympus Mons, The End of the F***ing World

Themen: “Der seidene Faden”, Paul Thomas Andersons Film über einen Schneider und seine Frau, “Olympus Mons”, der neue Science-Fiction-Comic des Autors und Zeichners Christophe Bec, und “The End of the F*ing World”, eine Ausreißer-Serie aus Großbritannien.

Der seidene Faden – 1:27
Olympus Mons – 25:39
The End of the F*ing World – 40:27
Empfehlungen: 54:33

Mit dem Brechen brechen

Wer sich schon einmal mit einer schwangeren Frau im ersten Trimester unterhalten hat, weiß, dass „Morgenübelkeit” ein gemeiner Marketing-Euphemismus der Schwangerschaftsratgeber-Industrie ist. In den ersten Monaten der Schwangerschaft ist einem nicht nur morgens ein bisschen übel, sondern die kleinsten Trigger reichen aus, um das dringende Bedürfnis zu verspüren, die nächste Toilettenschüssel aufzusuchen. So war es zumindest bei meiner Frau im vergangenen September, weshalb wir regelmäßig Zuflucht im Kino suchten.

Dort fing das Elend aber erst an. Kaum saßen wir in The Party, läuft eine der Figuren auf der Leinwand aufs Klo, um sich dort genüsslich zu übergeben. Meine Frau war in diesem Moment froh, am Rand zu sitzen, denn sie musste ebenfalls spontan den Saal verlassen. Nur wenige Tage später in Atomic Blonde das gleiche. Die stark gebeutelte Heldin verschafft sich im Vomitorium Erleichterung.

Danach schien es egal zu sein, in welchem Film wir saßen. Überall wurde gewürgt. In The Circle arbeitet eine Figur so hart, dass ihr der Stress wieder hochkommt. Sogar in Barfuß in Paris wird ein Charakter seekrank. Trauriger Höhepunkt war dann Darren Aronofskys mother!, in dem nicht nur etwas Undefinierbares ausgespien, sondern kurze Zeit später auch noch ein Neugeborenes zerfleischt und gegessen wird (auch nicht so super für Schwangere). Ich konnte irgendwann ein ungläubiges Kichern nicht mehr unterdrücken, aber im Sitz neben mir wurden echte Kämpfe ausgefochten. Erst Victoria & Abdul befreite uns über einen Monat später von der großen Kino-Kotzerei – oder vielleicht ist auch nur meine Erinnerung getrübt.

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Qualityland

Marc-Uwe Kling beherrscht etwas, was ich das “Humor-Sandwich” nenne. Wie bei allen Satirikern steckt unter Szenen, die oberflächlich witzig sind, eine Scheibe Ernst, doch er untergräbt meist auch den Ernst noch einmal mit einer weiteren Scheibe Humor, was ich für wichtig halte.

Spätestens seit dem dritten Känguru-Band hat er außerdem bewiesen, wie gekonnt er mit Genre- und Erzählstrukturen umgehen kann. Daher versucht Qualityland natürlich ein dystopischer Roman zu sein, der sich an alle Regeln von 1984 und Co hält (Heldenreise eines Einzelnen, der gegen das System rebelliert; Liebe als Motor; Lektionen von einem Mentor außerhalb des Systems; Begegnung mit dem Mächtigen; System erweist sich als robust), und sie gleichzeitig unterwandert (zum Beispiel, indem große expositionelle Info-Dumps von den Charakteren selbst als langweilig kommentiert werden, bezeichnend finde ich aber vor allem auch die Sympathie, die Kling den Maschinen entgegenbringt).

Die Ideen, die dabei entstehen, sind alle nicht neu (Maschinen, die menschlicher sind als Menschen, ist seit Frankenstein ja quasi der Urknall der SF), und die Systemkritik ist für eine informierte Internetleserin alles andere als überraschend, aber es gehört schon eine Menge Können dazu, das Ganze so nahtlos und unterhaltsam zu bündeln. Und eben, sich nicht von der Ernsthaftigkeit mancher Gedanken erdrücken zu lassen, sondern noch eine hoffnungsvolle Scheibe Humor drunterzuschieben, wie es vielleicht auch der Shruggie tun würde.

Unentschieden bin ich, ob ich es gut finde, dass Kling nicht auf Querverweise in sein Känguruverse verzichten kann. Aber ich habe meistens gelacht und nicht gestöhnt, was ich mal als gutes Zeichen werte.

Dieser Text auf “Goodreads”

Warum die Online-Kommunikation von Wizards of the Coast so gut ist

Als ich zwölf war, steckte ich knietief in Elfen, Drachen und Zauberern fest. Ich hatte vor etwa etwa zwei Jahren erstmals den Herrn der Ringe verschlungen, und von dort führte mich der Weg geradezu in die ganze Welt der Fantasy und ihrer angeschlossenen Genres. Nichts jedoch nahm mich innerhalb von kürzester Zeit so gefangen wie das Sammelkartenspiel Magic: The Gathering, das es auch erst seit zwei Jahren gab, und dem ich bald darauf sehr große Teile meiner Freizeit widmete.

Natürlich passte die Hintergrundgeschichte des Spiels gut zu meinen Interessen – es geht um mächtige Magier, die sich gegenseitig mit Kreaturen und Sprüchen bekämpfen, die durch die Karten repräsentiert werden – aber dieses erste “Collectible Card Game” seiner Art hatte auch ein cleveres System entdeckt, wie es seine Spieler bei Laune hielt. Alle paar Monate erschienen Erweiterungen, die mit dem gesamten restlichen Spiel kompatibel waren, es komplexer aber auch immer wieder frisch werden ließen. Der Podcast Planet Money hat mal sehr gut erklärt, warum dieses Prinzip so klug ist.

Im Jahresrückblick habe ich bereits erwähnt, dass ich letztes Jahr, nach rund 17 Jahren Pause, wieder angefangen habe, Magic zu spielen – nicht mit solcher Intensität wie in den 90ern, aber erstmals wieder für mehr als ein paar Stunden Nostalgie einmal im Jahr. Schuld daran ist die Firma Wizards of the Coast aus Seattle, die Magic produziert. Wizards ist es im vergangen Sommer gelungen, mich nachhaltig wieder für das Spiel zu begeistern, weil sie in ihrer Online-Kommunikation einfach verdammt viel richtig machen. “Was denn?”, höre ich dich fragen. Gut, dass du fragst.

1. Transmediales Storytelling

Magic hatte von Anfang an eine erzählerische Komponente, die allerdings wie in vielen Spielen eher als eine Art mystisches Hintergrundrauschen diente. Auf den Karten tauchten Namen von Ländern, Stämmen und Personen auf, die sich aber nur schwer zu einer wirklichen Geschichte verdichteten. Bald entstanden Tie-in-Romane, die aber ebenfalls nur vage auf die Karten Bezug nahmen. Das änderte sich Ende der 90er und es hat sich heute vollständig gedreht. Nun ist Magic, wenn man im richtigen Winkel schaut, eine Fortsetzungsgeschichte mit angeschlossenem Spiel. Im Magic Story Bereich auf der Wizards-Website kann ich die Geschichten lesen, während die Erweiterungen erscheinen – und anschließend entdecke ich auf den Karten Momente und Figuren aus den Geschichten, sowohl in den Bildern als auch in den Mechaniken.

Wizards produziert inzwischen sogar Produkte, die auf dieses Erlebnis abzielen. Im aktuellen Erweiterungsblock “Ixalan” zum Beispiel, suchen vier Fraktionen in einer mittelamerikanisch angehauchten Welt nach einem legendären Artefakt. Das Spiel “Explorers of Ixalan” lässt einen diese Suche nachspielen, mit vier Kartendecks, die die vier Fraktionen repräsentieren. Dino-Reiter gegen Vampire gegen Piraten gegen Meermenschen.

Mich erfüllt dieses Erlebnis tatsächlich jedes Mal wieder mit Freude. Erzählung und Spiel sind bei Magic genau richtig aueinander abgestimmt. Die Karten dienen nicht nur der Geschichte, das würde die Spielmechaniken zu sehr einschränken. Die Geschichte wurde auch nicht um die Karten herumgestrickt, was dramaturgisch zum Äquivalent eines schlechten Jukebox-Musicals führen würde. Sondern beide Medien existieren in Einklang und reflektieren einander. Und anders als früher muss ich für das transmediale Erlebnis nicht einmal mehr Romane kaufen – ich lese einfach kostenlos im Netz.

2. Starke Markenbotschafter

Den Begriff der Markenbotschafter habe ich von Kerstin Hoffmann. Sie beschreibt, wie wichtig es ist, dass Menschen aus Unternehmen im Netz sichtbar nach außen auftreten, um anderen die Identifikation zu vereinfachen. Ich glaube: Wizards of the Coast und Magic wären heute nicht wo sie sind ohne Mark Rosewater. Der Head Designer von Magic, der seit 20 Jahren im Unternehmen ist, personifiziert es wie kaum jemand anderes. Er schreibt auf der Magic Website wöchentliche Artikel, er hat einen eigenen Podcast, den er auf der Fahrt zur Arbeit aufnimmt, und er interagiert mit seinen Kunden auf Twitter und Tumblr als wäre das sein einziger Job.

Auch wenn Rosewater nicht die angenehmste Sprechstimme hat (das muss ich leider sagen), ist er enorm gut darin, die Prozesse innerhalb von Wizards transparent und glaubwürdig zu beschreiben und zu erklären ohne zu viele Interna zu verraten. Für diese Transparenz musste Rosewater, wie er sagt, kämpfen, aber für mich macht sie einen großen Teil der Faszination aus. Zu erfahren, welche Prozesse das Unternehmen durchläuft um zu den Produkten zu kommen, die letztendlich beim Kunden landen, lässt mich nicht nur von einem ähnlichen Job träumen, es hilft mir auch, dem Produkt zu vertrauen.

Längst hat sich Rosewater mit einem Team anderer Autoren umgeben, die ebenfalls fast alle nicht nur Pressefuzzis sind, die für die Website möglichst glattpoliert aufschreiben, wie großartig ihr Unternehmen und ihr Produkt ist, sondern zu großen Teilen selbst an der Herstellung von Magic beteiligt sind. Sie berichten von ihrer Arbeit und sind häufig zusätzlich in sozialen Medien ansprechbar. Für das interne Monitoring kennzeichnen sie übrigens alle Tweets, in denen sie für ihr Unternehmen sprechen mit dem Hashtag #WotCStaff. Finde ich eine gute Idee.

3. Die Community regiert

Magic wäre logischerweise nichts ohne seine Spieler, weshalb Wizards sich wie oben beschrieben als sehr ansprechbar und offen präsentiert. (Seitennotiz: Ich denke, dass das Unternehmen aus einem ähnlichen Grund keinen eigenen Onlineshop unterhält. Es will den Läden vor Ort, die für sie eine wichtige Infrastruktur zum Abhalten von Turnieren und für die Kundenbindung darstellen, keine Konkurrenz machen.) Doch was mir dazu sofort auffiel, als ich letztes Jahr anfing, die Website zu endecken: Die verlinken ja ständig auf fremnde Seiten.

In der Tat. Was anderswo undenkbar scheint, gehört bei Wizards zur Kommunikationsstrategie. Das Unternehmen agiert nicht als eingemauerter Compound sondern bezieht Blogs, Podcasts, YouTube-Kanäle etc. aus der Community in ihre eigene Firmenkommunikation mit ein. Zur jüngsten Umgestaltung der “DailyMTG”-Homepage fasste Redakteur Blake Rasmussen die Strategie zusammen:

“We started to recognize that the community’s best content creators are its fans. When DailyMTG was first created, we were, more or less, the only show in town. Most Magic sites were mainly forums (…). These days, there are dozens of high-quality sites, podcasts, and YouTube channels that can teach you about the game, help you explore it, show you how to get better, highlight cool tidbits, and gush about the art. StarCityGames.com, ChannelFireball, and TCGplayer have the literal best players in the world producing strategy content for them on a daily basis. Gathering Magic, The Command Zone, Magic the Amateuring, and MTGGoldfish consistently produce fun, relevant content. Hipsters of the Coast, Magic Mics, and Mana Deprived bring you all the news that’s fit to print, talk about, or record. (…) So our goal, and the philosophy around with the new DailyMTG is built, is that we can show you around the wide, amazing world of Magic content and let those fine folks take it from there.

Eventuell ist dies in der Gaming-Welt normal, aber ich habe es so noch nirgendwo erlebt. Was für ein Ansporn, wenn man sich selbst als Fan-Creator sieht. Ich bekomme nicht nur ab und zu mal ein Tätscheln vom Unternehmen, sondern ich werde als Partner im Informationsdschungel angesehen. Sicher kann man auch eine zynische Sicht einnehmen, dass sich hier ein Unternehmen im typischen Sharing-Econonomy-Stil den Content von Fans umsonst produzieren lässt, aber ich glaube das trifft nicht zu. Die Blogs und Videos würden ohnehin existieren. Sie in die Kommunikationsstrategie einzubinden ist einfach ein sehr gutes Community Management und Kundenbindungs-Werkzeug.

Fazit

Ich beobachte die Kommunikationsarbeit von Wizards of the Coast jetzt seit etwa einem halben Jahr. Sicher ist dort nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Sicher gab es immer wieder auch Strategien, die den Fans sauer aufstoßen, oder Produkte und Regelungen, die als Geldmacherei aufgenommen werden. Im letzten halben Jahr allerdings ist mein Eindruck positiv. Magic ist heute, im Gegensatz zu meiner Anfangszeit vor 20 Jahren, ein erstaunlich holistisches Produkt, in dem Fantasy-Flair, Spielspaß und sportliche Turnierszene (einige Menschen verdienen ihr Geld damit, das Spiel zu spielen) perfekt ineinander greifen. Die Kommunikationsarbeit leistet dazu einen bemerkenswerten Anteil.

Das Politische des Privaten: Nazif und der silberne Bär

Nazif Mujic hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag, in dem es heißt, er sei „ein bosnischer Schauspieler“. Das stimmt zwar irgendwie, ist aber nur ein schmaler Ausschnitt einer viel größeren Geschichte, die 2011 beginnt. Damals stirbt das dritte Kind seiner Frau Senada im Mutterleib. Nazif, der als Angehöriger der Roma-Minderheit in der Nähe der bosnischen Stadt Tuslar lebt und an guten Tagen zehn Euro mit dem Sammeln von Altmetall verdient, bringt Senada ins Krankenhaus. Die Ärzte weigern sich zu operieren, wenn das Paar nicht eine unbezahlbare Geldsumme aufbringt. Nur mit einer falschen Krankenkassenkarte gelingt es in letzter Minute, Senadas Leben zu retten.

Nazif ist wütend, schreibt Leserbriefe. Medienberichte rufen den Filmregisseur Danis Tanovic auf den Plan, der die Mujics ihre eigene Geschichte nachspielen lässt und daraus den Film „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ macht. Auf der Berlinale 2013 prämiert die Jury unter Wong Kar-Wai nicht nur den Film, sondern auch seinen Hauptdarsteller. Inspiriert von ihren Erlebnissen in Berlin entscheiden sich Nazif und Senada, in Deutschland Asyl zu beantragen, kehren aber letztendlich nach Bosnien-Herzegowina zurück, wo es ihnen heute schlechter geht als zuvor.

Es ist erstaunlich, wie viele Parabeln sich aus dieser Geschichte ableiten lassen. Ist sie ein Beispiel dafür, wie viele Menschen, sogar Kriegsveteranen, im reichen Europa in bitterster Armut leben müssen? Wie sehr Roma nicht nur in Bosnien sondern überall in Europa als Minderheit diskriminiert werden? Dass man es Menschen nicht verdenken kann, wenn sie unter solchen Umständen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ nach Deutschland kommen – ohne Aussicht auf Bleiberecht? Und es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, Menschen wie Nazif Mujic ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren und ihnen politisch motivierte Preise zu überreichen, wenn doch zu ahnen ist, dass der Ruhm vergänglich sein wird.

Weiterlesen in epd medien 4/18
Featureserie Nazif und der silberne Bär hören

Kulturindustrie 010 Teil 1 – Japanuary

Eine halbe Folge, für die sich Lucas, Sascha und Alex jeweils einen japanischen Film angesehen haben. Zweite Folge folgt nächste Woche.

Wir bitten um den schlechten Ton bei Alex, der in seinem Soundprogramm die falsche Aufnahmequelle ausgewählt hatte.

Links zur Sendung

Japanuary

The Emperor’s Naked Army Marches On

Prinzessin Mononoke

Die verborgene Festung

Schickt uns eure Empfehlungen per Sprachnachricht an podcast@kulturindustrie.de

Real Virtualitys Lieblingsfilme des Jahres 2017

Ich bin zufrieden mit der Anzahl an Filmen, die ich dieses Jahr gesehen habe. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren herrscht wenig Wehmut über Filme, die ich verpasst habe (obwohl es davon auch ein paar gibt, looking at you A Ghost Story), und auch mit der Gesamtzahl von knapp über 100 Filmen und über 50 Kinobesuchen denke ich, eine ausreichende Bandbreite abgedeckt zu haben. Das ist ein gutes Gefühl, vor allem, weil ich ja weiß, dass ich diesen Schnitt höchstwahrscheinlich im nächsten Jahr nicht werde halten können.

Auch mit der Qualität der Filme bin ich zufrieden. Obwohl die beiden großen Oscar-Gewinner vom Anfang des Jahres (La La Land und Moonlight) beide bei mir nicht hundertprozentig zündeten, gab es über das gesamte Jahr hinweg viel Gutes zu sehen und meinen Favoriten, an dem sich alles andere messen lassen musste, konnte ich sogar schon relativ früh festmachen. Als Beobachter des Franchise-Marktes fand ich nur, dass (fast) alles dort produzierte irgendwo zwischen mittelmäßig und schlecht rangierte. Mich konnten weder War for the Planet of the Apes noch der von vielen geliebte Thor: Ragnarok besonders begeistern – am Angenehmsten fiel mir noch Spider-Man: Homecoming auf, weil er endlich mal wieder eine Geschichte erzählte, in der nicht eine ganze Welt auf dem Spiel stand – ein Problem, an dem sogar der ansonsten gelungene Wonder Woman krankte.

Aus der Kategorie teilweise gut würde ich mich die ersten 20 Minuten von Baby Driver wahrscheinlich gerne öfter ansehen, aber der Rest des Films erschien mir dann doch irgendwann erstaunlich seelenlos. Ich wünschte außerdem, der visuelle Erfindungsreichtum von Valerian and the City of a Thousand Planets hätte auch eine zufriedenstellende, weniger zerstückelte Story dazu gehabt. Der Film ist aber auf jeden Fall noch für Bonusmaterial-Sichtungen markiert, ebenso wie ich mir vorstellen könnte, dass es zu Blade Runner 2049 einen tollen Audiokommentar mit dem visuellen Team geben könnte.

Wer mein gesamtes Filmjahr betrachten will kann das auf Letterboxd tun. Aber nun zu meinen Lieblingsfilmen:

Platz 15 – 11 (Lobende Erwähnungen)

Dieses Jahr habe ich tatsächlich einige Filme gesehen, welche die Top 10 nur knapp verfehlt haben. Dazu gehört dann doch Moonlight, dessen Poesie man sich nicht entziehen kann, auch wenn mich die Geschichte weniger berührt hat als erwartet. Außerdem Lady Macbeth für einen Film, in dem kein Charakter wirklich sympathisch ist, The Big Sick für eine Geschichte von Herzen und eine tolle Holly Hunter, Personal Shopper für generelle Weirdness und ein nachhallendes Ende und Hunt for the Wilderpeople, der in Deutschland nur einen Heimvideo-Start hatte. Allesamt sehenswerte Filme! Aber in einer Top 10 kann es eben doch nur zehn geben:

10. Paddington 2

© Studio Canal
Ist Paddington 2 wirklich der zehntbeste Film des Jahres 2017? Wahrscheinlich nicht, aber es tut einfach Not, dass er (genau wie sein Vorgänger) mal ein bisschen Respekt bekommt. Einen Film zu machen, der so herzerwärmend “gesund” ist und der von der positiven Macht einer anständigen Welt erzählt ohne unangenehm konservativ zu werden (wie Coco), ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Das ganze zweimal zu schaffen ist beachtlich und 2017 dringend nötig. Darüber hinaus liebe ich einfach die Britishness von Paddington, vor allem weil auch sie scheinbar mühelos das “klassische” und das “moderne” Bild Großbritanniens miteinander vereint.

9. Western

© Piffl Medien
Mit meinem Podcast-Kollegen Lucas Barwenczik hatte ich vor kurzem ein Gespräch darüber, dass ich in meinem Kunstgeschmack wohl ein emotionales “Mehr ist Mehr”-Prinzip verfolge und deswegen mit wortkargen, beobachtenden, realistischen Filmen öfter meine Schwierigkeiten habe. Western gehört definitiv nicht dazu. Es hat mich beeindruckt, wie geschickt Valeska Grisebach in den Situationen, die sie schafft, tatsächlich Versatzstücke des klassischen Westerns verarbeitet (Cowboys gegen Ureinwohner, Wasserknappheit, Wildnis und Unabhängigkeit, der Mann ohne Vergangenheit) und gleichzeitig eine wahnsinnig gute Geschichte darüber erzählt, was es bedeutet, fremd zu sein. Allerdings nicht mit hundertprozentiger Empathie: Denn als Zuschauer bekommt man den bulgarischen Dialog untertitelt und kann deswegen mehr sehen und erkennen als Hauptfigur Meinhardt – allein das ist schon ein kleiner Geniestreich.

8. A Monster Calls

© StudioCanal
Mich haben mehrere Filme dieses Jahr im Kino zu Tränen gerührt, aber bei A Monster Calls war ich wohl zwei Drittel des Films am Flennen. Ein Kind und eine krebskranke Mutter, das klingt nach manipulativem Sentimentalitätskitsch. Doch ich mochte die Lektionen, die der Film zu vermitteln versucht: Dass das Leben darin besteht, Widersprüche auszuhalten und überhaupt zu akzeptieren. Dass Menschen nicht gut oder böse sind, sondern dass auch liebende Eltern schlechte Entscheidungen treffen können. Für mich lohnt es sich immer, mich darin zu erinnern, vor allem in einem sich ankeifenden Internet, in dem man von einem Menschen oft nicht mehr als ein paar Tweets zu sehen bekommt.

7. Dunkirk

© Warner Bros.
Dunkirk bekommt von mir den Orden am Bande für den verkopftesten Blockbuster. Im Gegensatz zu Darren Aronofskys Kopf finde ich den von Christopher Nolan nämlich faszinierend genug, um seine Ergebnisse immer wieder zu schätzen. Auch wenn die Gedanken hinter Dunkirk – die Erschlagung durch Eindrücke einerseits, die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeiträume andererseits – ebenso sichtbar und unsubtil sind wie die großen Allegorien hinter mother!, interessieren sie mich einfach mehr. Brutalistisches Kino muss auch mal sein.

6. 120 BPM

© Edition Salzgeber
Das Besondere an Robin Campillos Film finde ich, dass er sich nicht damit begnügt, ein Einzelschicksal der Aidskrise in Frankreich zu erzählen. Es geht ihm explizit auch darum, die Geschichte der Bewegung “Act up” auf die Leinwand zu bringen, sonst würde 120 BPM nicht zu viel Zeit damit verbringen, Diskussionen abzubilden und Aktionen inklusive ihrem Vor- und Nachlauf nachzuzeichnen. So schafft es Campillo, Herz und Kopf gleichermaßen anzusprechen, zur Reflektion anzuregen sowohl über das Persönliche als auch über das Gesellschaftliche und darüber, wie beide zusammenhängen.

5. Manchester By The Sea

© Warner Bros.
Weinen gilt ja als ultimativer Ausdruck von Emotionalität im Kino. Bei Manchester by the Sea habe ich das noch getoppt, indem ich angesichts der Ungeheuerlichkeit dessen, was die Rückschau im Film irgendwann enthüllt, sogar in unkontrolliertes Schluchzen ausgebrochen bin. Ansonsten mochte ich die Beiläufigkeit, mit der Kenneth Lonergan in seinem Film klarmacht, dass das Universum nicht mit Casey Affleck trauert. Als ein Charakter stirbt, ist die betreuende Ärztin gerade im Mutterschutz. Menschen sterben, Menschen werden geboren. Es geht weiter. Irgendwie.

4. Jackie

© Tobis
Es ist fast ein ganzes Jahr her, dass ich Jackie gesehen habe, doch einige Bilder und Sequenzen spuken immer noch in meinem Kopf herum. Was ich an Pablo Larraíns Film besonders mochte, ist, wie geschickt er das Spannungsfeld zwischen Persönlichem und Öffentlichkeit eines extrem öffentlichen Menschen beschreibt. Das ist es, was auch mich an Berühmtheit fasziniert – wie inszenieren Menschen sich nach außen? Wie erleben sie selbst diese Inszenierung in ihren privatesten Augenblicken, vor allem in Zeiten größter öffentlicher Aufmerksamkeit? Welche Fragen stellen sie sich dabei?

3. Silence

© Concorde
Ich bin doch erstaunt, wie sehr Martin Scorseses persönliches Opus unter dem Radar geblieben ist. Wahrscheinlich, weil ihm die großen historischen Gesten fehlen, und er trotz seiner epischen Anmutung am Ende nur sehr viele offene Fragen über Glauben (und eigentlich nicht über Religion) stellen möchte, die wahrscheinlich nur wenige Menschen wirklich interessieren, darunter eben mich. Ich fand die gleichen Fragen schon bei The Last Temptation of Christ sehr bewegend: Was ist “wahrer” Glaube? Welche Macht darf Zweifel bekommen? Was bedeutet Versuchung und worin liegt sie? Wie können wir mit unseren inneren Widersprüchen leben? Was zeigen wir davon nach außen?

2. Star Wars: The Last Jedi

© Disney
Unabhängig von allen Streitereien über diesen Film, die mich nach wie vor erstaunen und auch ein bisschen traurig machen: Ich mochte ihn einfach. Nicht wegen seiner Innovation, nicht wegen seiner progressiven Politik (die nehme ich als gegeben hin), sondern einfach weil er mich als Film und als popkulturelles Produkt voll überzeugt hat. Überladen, streckenweise abwechselnd arkan oder albern, aber dennoch immer wieder auf den richtigen Grundtönen landend, die mich extrem zufriedengestellt haben. Es bedarf immer keiner großen Anstrengung, diese Art Filme auf verschiedenen Ebenen (Plotlogik, Worldbuilding, Franchisetreue, Aufrechterhaltung einer Konzernstrategie) auseinanderzupflücken, wahrscheinlich auch, weil es auf diesem Level unmöglich ist, alle Stakeholder zurfriedenzustellen. Am Ende zählt für mich immer nur, ob der Film mit mir als Zuschauer schwingt oder nicht. Und manchmal passt es eben. Das war damals bei den Avengers so – und bei The Last Jedi eben auch.

1. T2 Trainspotting

© Sony Pictures
Ich habe schon an anderer Stelle viel über meinen Lieblingsfilm des Jahres geschrieben, dessen hoher Platz bei mir zu einem gewissen Grad sicherlich auch der Erleichterung geschuldet ist, dass mein Lieblingsregisseur Danny Boyle es nicht verbockt hat. Daher erlaube ich mir, am Ende dieser filmischen Reise, einfach mal, aus meinem Artikel bei “Kino-Zeit” zu zitieren:

Stattdessen geht es in T2 um die Nostalgie selbst. Es geht um das Zurückblicken auf eine vermeintlich geile Zeit, die bei genauerem Hinsehen gar nicht so geil war. Um die Reflektion dessen, was seither passiert ist und was es mit einem gemacht hat.

In T2 Trainspotting gibt es keinen klassischen Sequel-Moment, in dem plötzlich wieder alles wie beim ersten Mal ist, obwohl der Ursprungsfilm sogar materiell mit seinen Originalbildern immer wieder auftaucht, wie ein alter Sample in einem elektronischen Musiktrack. Renton, Spud und Sick Boy fahren zwar gemeinsam an den Ort in den Highlands, an den sie ihr toter Freund Tommy damals geführt hatte, stellen aber sehr schnell fest, dass es dort vor allem ungemütlich ist und der nächste Zug zurück erst in zwei Stunden fährt. Als Renton gegen den Frust anmahnt, dass sie ja wegen Tommy hier sind, widerspricht Sick Boy: „Nostalgia! That’s why you’re here! You’re a tourist in your own youth!“

Erst beim Zusammenstellen dieser Liste und damit beim erneuten Nachdenken über die Filme in ihr ist mir aufgefallen, wie sehr sie auch ein Spiegel der Themen sind, die mich 2017 beschäftigt haben. “Nostalgie”, “Aushalten von Widersprüchen”, “Anstand ohne Konservatismus”, “Fremdsein”, “Glaube und Zweifel”, “Öffentlichkeit und Privatheit” – das alles sind Dinge, auf denen ich persönlich wie politisch, im Internet wie in direkten Gesprächen, nur im eigenen Kopf und in öffentlichen Äußerungen 2017 herumgekaut habe. Viele dieser Themen beschäftigen mich schon länger, manche haben aber 2017 ein neues Gewicht bekommen. Ich bin gespannt ob 2018 – auch angesichts der bevorstehenden privaten Veränderungen – neue Themen hinzukommen.