In eigener Sache: Gestatten, Matzkeit.

Der Vater meines Vaters kam kurz vor oder während des Zweiten Weltkriegs – so genau weiß ich das gar nicht – als junger Mann von Serbien nach Deutschland. Er hat seinen Namen an seinen Sohn weitergegeben, und der hat ihn an mich weitergegeben. Seit 30 Jahren heiße ich Gajic, ein Name, der von den meisten Leuten weder richtig ausgesprochen (“Gadschick” ist die häufigste Form – ich habe dazu eine komplizierte Theorie, die ich auf Parties gerne erkläre) noch richtig geschrieben wird, obwohl ich ihn immer freundlich buchstabiere (“Gayic” ist sehr häufig, aber am besten war der Brief, der an Herrn Geahjottizeh addressiert war).

Ich will gar nicht jammern. Es gibt wahrlich schlimmere Namen und schlimmere Schicksale, aber ich habe meinen Namen nie geliebt. Ich habe keinen Bezug zu Sprache, Land und Leuten dahinter (er bedeutet übrigens “Wäldchen”), selbst zu meinem Großvater hatte ich nie eine enge Beziehung. Die Buchstabiererei geht mir auf den Wecker, ich mag das Schriftbild nicht (J und I direkt nebeneinander, bäh) und auf Englisch ist der Name noch anstrengender als auf Deutsch – die Assoziationen reichen von Gay bis Garlic.

Am Freitag heirate ich Katharina Matzkeit und ich habe mich entschieden, ihren Namen anzunehmen. “Matzkeit” muss man zwar auch buchstabieren, wenn ihn jemand anders aufschreiben soll, aber wenn ein Deutsch sprechender ihn liest, spricht er ihn in der Regel richtig aus. Ich werde mich in Zukunft nicht mehr rechtfertigen müssen, warum ich nie Kontakt mit meinen serbischen Wurzeln gesucht habe und auf Google nie wieder mit dem amerikanischen Lacrosse-Spieler verwechselt werden (Alexander Matzkeit gibt es nämlich noch nicht). Das Ganze lohnt sich allein schon für jedes Gespräch, das ich geführt habe, in dem ich erklären konnte, warum es keineswegs ein Gott gegebener Standard ist, dass Frauen sich dem Mann angleichen und nicht umgekehrt.

Allerdings veröffentliche ich als Alexander Gajic auch seit guten 14 Jahren Texte. In meinem kleinen, bescheidenen Rahmen ist mir die Markenbildung, von der im Internet immer alle reden, geglückt. Inzwischen kann ich mich Leuten in meiner Branche vorstellen, und der ein oder andere hat schon einmal was von mir gehört (“Sind Sie der Alex Gajic?”). Es kommt für mich trotzdem nicht infrage, meinen Namen einfach zu behalten, denn ich möchte, dass die Eltern meiner zukünftigen Kinder den gleichen Namen haben (das ist noch einmal eine ganz andere Diskussion).

Ich frage mich nur, ob ich ihn vielleicht als Autorennamen behalten sollte. Hier im Blog und auf Twitter, in Artikeln, die mit Film und Medien zu tun haben und in Vorträgen. Alles, was ich beruflich neben meinem Hauptberuf mache, um meine Konsumlust zu stillen. Das würde eine klare Trennung der Sphären bedeuten und eine Kontinuität wahren.

Oder ist es sinnvoller, jetzt einmal den Wandel zu vollziehen und dann nie wieder zurückzublicken? Beziehungsweise, höchstens, um die Geschichte “Wie ich meinen Namen änderte, und warum es bescheuert ist, dass das bei Frauen normal und bei Männern immer noch etwas Besonderes ist” noch ein paar Mal zu erzählen?

Ich habe noch keine gute Antwort auf diese Frage gefunden, aber vielleicht haben das ja andere. Deswegen habe ich mich zu diesem Blogpost entschieden und ich hoffe auf Erfahrungsberichte, Reaktionen, Ratschläge und Gedanken in den Kommentaren. Danke schon mal.

“Mexiko Real” – Bernal, Reygadas, Escalante und mehr im Interview

ZDF/Thilo Stock

“Mexiko Real” heißt unsere kurze aber feine Filmreihe bei 3sat diese Woche. Neben dem rohen Mittendrin-Dokumentarfilm Mitote von Eugenio Polgovsky, der das Treiben auf dem Zócalo vor dem Eröffnungsspiel der WM 2010 einfängt, zeigen wir die Filme La Misma Luna und La Zona, die sich jeweils mit Immigration und sozialer Ungerechtigkeit beschäftigen, sowie – als deutsche TV-Premiere – das Thrillerdrama El Traspatio (unter seinem etwas reißerischen deutschen DVD-Titel Das Paradies der Mörder).

Mein persönlicher Höhepunkt ist aber der Eröffnungstanz der Reihe, eine “Kennwort Kino”-Doku, die so heißt wie die Reihe und für die mein Kollege Maik Platzen (der ja dieses Jahr auch schon David Cronenberg treffen durfte, wie ich natürlich völlig ohne Neid bemerke *gnarf*) eine Woche in Mexiko unterwegs war, um dort mit vielen interessanten aktuellen Akteuren des mexikanischen Kinos zu sprechen.

Und weil von einem so langen Dreh am Ende immer nur ein kleiner Fetzen tatsächlich im Fernsehen landen kann, haben wir auch diesmal wieder keine Kosten und Mühen gescheut und insgesamt fünf vollständige Interviews online gestellt. Gael Garcia Bernal spricht über seine Karriere und das “Ambulante”-Dokfilmfestival, das er mitbegründet hat. Carlos Reygadas, der selten Interviews gibt, erzählt unter anderem von seinem jüngsten Kunstwerk Post Tenebras Lux. Amat Escalante, der mit Heli dieses Jahr nicht nur in Cannes Preise gewonnen hat, kommt ebenso zu Wort wie Laura Santullo, Drehbuchautorin von La Zona. Ergänzend gibt es ein Interview, das in der Doku gar nicht auftaucht, mit Paula Astorga, der Direktorin der “Cineteca Nacional”.

“Mexiko Real” startet am Dienstag, 20. August, mit der gleichnamigen “Kennwort Kino”-Sendung, die anschließend auch in der Mediathek abrufbar sein wird, ebenso wie der Auftaktfilm Mitote. Die Interviews sind bereits jetzt online.

Der Herr der Geeks – Ein Treffen mit Markus Rohde

© Sebastian Lorenz

Zuerst einmal: Markus Rohde sieht in Farbe und 3D ganz anders aus als auf dem Bild, das in jeder Ausgabe die erste Seite schmückt. Er wirkt jünger, schlanker und tatsächlich auch ein bisschen nerdiger als sein gravitätisches editoriales Ich. Letzteres mag daran liegen, dass die rot umrandete Brille von Angesicht zu Angesicht anders strahlt. Vielleicht auch daran, dass natürlich ein “Star Trek”-T-Shirt unter seinem karierten Hemd hervorlugt, als ich mich an einem warmen Mainzer Nachmittag zu ihm und seinem Redakteur Christian Humberg an den Tisch setze. Für einen Chefredakteur, dessen Name seit kurzem auch einen eigenen Verlag schmückt, könnte das in jedem anderen Zusammenhang schräg wirken. Andererseits heißt die Zeitschrift, die er leitet, ja auch “Geek!”

“Ich kann echt nicht meckern”, sagt er, auf den Erfolg dieser Zeitschrift angesprochen. In Zeiten, in denen immer mehr Gedrucktes den Dinosauriern in den dauerhaften Tod folgt, ist in Nischen noch Platz für Wachstum. Seit seinem Debüt auf der FedCon 2012, vor einem guten Jahr, hat das Sci-Fi-Fantasy-Film-Serien-Comic-Bücher-Magazin sogar an Auflage zugelegt. Das Experiment, das der Panini-Verlag zunächst auf ein Jahr angelegt hatte, wurde inzwischen auf unbestimmte Zeit verlängert. Wenn man Markus Glauben schenken darf, ist “Geek!” sogar der Liebling der Anzeigenkunden.

Lernen aus der “SpaceView”

Bevor er Chefredakteur der “Geek!” wurde, stand Markus Rohde schon einmal an der Spitze einer Zeitschrift. Die “Space View” war um die Jahrtausendwende noch eins der wichtigsten Organe des Science-Fiction-Fandoms in Deutschland, verwässerte aber zusehends in Konzept und Fokus und wurde Ende 2011 schließlich eingestellt. Am Anfang von “Geek!” habe auch die Frage “Was können wir aus der ‘SpaceView’ lernen?” gestanden, sagt Markus. Man entschied sich, das Themenspektrum offener, die Ansprache aber gezielter zu formulieren. “Geek!” gibt sich nicht nur mit Science-Fiction zufrieden, versucht aber auch eindeutig nicht, ein Massenpublikum zu erreichen.

Die “Szene”, die er ansprechen will, sei “nicht homogen”, sagt Markus. Filmfans, Computerspielerinnen, LARPer, Online-Rollenspielerinnen, Romanverschlinger und Serienjunkies gehören alle irgendwie dazu. Das sei im Zeitschriftenmarkt schwer zu fassen und man müsse sich immer wieder die Frage stellen: “An wen wendet man sich wirklich?”

So bunt wie möglich

Die Lösung? “Wir versuchen jetzt so bunt wie möglich zu sein.” Ziel sei es, dass ein Artikel die Leserin auch mal nicht in ihren Kerninteressen trifft, dafür aber ein anderer umso mehr. “Umgekehrt kann der erste Artikel aber trotzdem Interesse wecken, so dass sie vielleicht einfach mal reinliest in die Sache.” Ansonsten sei es aber auch das Schöne, dass man sich in vielen Bereichen austoben könne.

Den Ausgleich zur thematischen Vielfalt bietet der Ton des Magazins. “Wir sind ein Fachblatt”, sagt Markus ganz klar, “wie die ‘Welt der Wissenschaft’ oder der ‘Kicker’. Und der ‘Kicker’ erklärt auch nicht jedem Artikel neu, wie Abseits funktioniert.” “Geek!” setzt auf Expertenwissen und Interesse an den detaillierteren Aspekten eines Themas. Der ideale Leser sei das, was man als den “fortgeschrittenen Fan” bezeichnen könne. Jemand, der sich mit seinem speziellen Fandom schon länger und intensiver auseinandergesetzt hat, aber auch offen dafür ist, über den Tellerrand zu blicken. “Er sollte auch schon mal einen Film aus den Siebzigern gesehen haben oder zumindest wissen, dass es da was gibt. Oder von Méliès’ Reise zum Mond mal gehört haben, auch wenn er ihn vielleicht nicht gesehen hat.”

Verbesserte Infrastruktur

Ist die Fan-Szene denn heute anders als noch vor zehn oder zwanzig Jahren? “Mitte der 90er ist einiges in der Fandom-Kultur passiert, weil sich die Infrastruktur verbessert hat. Man kann die Leute heute viel besser erreichen. Früher war man Rollenspieler, konnte den Leuten in seinem Gymnasium davon erzählen, dann konnten die damit nichts anfangen.” Ich nicke eifrig. “Dann gab’s vielleicht noch irgendwelche Clubs, die man über Briefe erreichen konnte – dieses Sich-Zusammenschließen war viel schwieriger. Heute kann man sich alles viel besser zusammenstellen aus den Interessen, die man hat.”

Damit meine er aber nicht nur das Internet. “Es gibt auch generell eine gewisse Professionalisierung. Bei ein paar alten Recken ruft es zwar manchmal Naserümpfen hervor, dass jemand wie Dirk Bartholomä etwa mit FedCon und RingCon auch Geld verdient, in Veranstaltungen mit zigtausend Leuten. Trotzdem ist er Fan und kommt aus dieser Fan-Ecke und macht das aus Leidenschaft. Der sitzt abends auf den Partys, die Schauspieler um ihn rum, und er hat ein Glitzern in den Augen.”

Aus derselben Motivation funktioniert auch die “Geek!” und die Person Markus Rohde. “Ich mache diese ganzen Sachen beruflich, aber auch aus der Leidenschaft heraus, aus dem Fantum heraus. Deswegen habe ich auch schon Anfeindungen bekommen: Ich könnte mich ja zu Star Trek-Romanen eh nicht mehr äußern, weil ich die jetzt beruflich produziere.” Markus ist auch Lektor und Übersetzer beim Verlag Cross Cult. “Das ist aber auch daraus erwachsen, dass ich damals in den 90ern immer als erster im Laden stand und sie gekauft habe.”

Professionelle Fans

Markus, der irgendwann mal Germanistik und Philosophie studiert, das Studium aber nie abgeschlossen hat, steht gewissermaßen an exponierter Stelle inmitten einer Gruppe von “professionellen Fans”, die sich auch alle gegenseitig kennen und füreinander arbeiten. Wer für “Geek!” schreibt, ist immer nur auch Journalist und außerdem in der Regel Autorin, Übersetzer oder Lektorin von Comics und Genreromanen. “Es sind doch immer wieder dieselben, über die man stolpert in der ganzen Szene”, meint Markus. “Einmal in dem Sinne, dass zuverlässige Leute, die ordentliches Zeug abliefern immer wieder dieselben sind. Und weil es eben die Szene ist, die alles macht. Die Romane schreibt, Sachbücher schreibt und sich einfach auskennt.” Im SciFi/Fantasy-Segment müsse man Allrounder sein und “wie ein Krake zig Sachen am Laufen halten.” Christian Humberg, der nach wie vor am Tisch sitzt, stimmt zu. Er ist ein klassischer Fall.

Die Überschaubarkeit der Szene führt auch dazu, dass “Geek!”, wie inzwischen wahrscheinlich mindestens zwei Drittel aller Zeitschriften, keine Redaktion als solche hat. Markus sitzt in Sankt Augustin, sein Team ist über die gesamte Republik verstreut. Die Zeitschrift wird online und per Telefon zusammengesetzt – in E-Mails, Gesprächen und Facebook-Chats. Selbst das Layout wird ohne anwesenden Redakteur in Ludwigsburg gesetzt. Nur alle paar Ausgaben trifft man sich mal persönlich. Der Chefredakteur vermisst nichts. “Wenn man drei Büros auseinandersitzt, ist man auch nicht viel schneller.”

Kein Fanzine?

Doch obwohl die Profi-Fans bei “Geek!” am Ruder sitzen und die Verquickung mit den Verlagen, über deren Produkte das Magazin berichtet, mannigfaltig ist, betont Markus, dass die Zeitschrift nicht nur ein besonders buntes Fanzine ist. Schlechte Produkte würden auch verrissen, Anzeigenkunden hin oder her. Die Schwierigkeit liegt für alle darin, die Leidenschaft zu bewahren, aber nicht in die Verklärung abzudriften. “Mit Leuten, die das nicht können, kann ich nicht längerfristig zusammenarbeiten”, sagt Markus. Er habe sich aus diesem Grund auch schon von Autoren trennen müssen.

Doch nicht nur die Autoren sind Teil des Problems, auch die Leser können ein Hindernis sein. So würde immer wieder diskutiert, ob man es sich leisten könne, Fans zu verprellen, weil man ihre Lieblinge kritisiert. Doch die Linie ist klar: “Das muss sein, sonst macht man sich unglaubwürdig.” Und schließlich gehört das leidenschaftliche Diskutieren über die Qualität eines bestimmten Kulturprodukts ja auch zu den Pfeilern des Geek-Daseins. “Das sollte eigentlich noch viel viel stärker der Fall sein, dass es noch nerdiger, noch geekiger ist”, sagt Markus.

Weil’s geil ist

Die pressierendste Frage habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Warum, beim Barte von Spocks bösem Zwilling, erscheint ausgerechnet eine Science-Fiction-Zeitschrift – egal wie erfolgreich – noch immer als zweimonatliches, gedrucktes Heft? Die Antwort ist eigentlich wenig überraschend und kommt aus den tiefsten Tiefen des versteckten Konservatismus, der die SF/Fantasy-Szene mit ihren fantastischen Legendenwelten schon immer im Herzen regiert – im Gegensatz etwa zur Lebenswelt der Tech-Geeks: “Weil’s geil ist!”

Echt, das ist der Grund? “Das ist der Grund. Wir alle machen das nicht nur als Job, um Geld zu verdienen oder weil wir uns zu den Themen nirgendwo anders äußern könnten, das könnten wir ja. Aber wir sind alle überzeugte Print-Leute, die es cool finden, ein Heft in den Händen zu haben und es am Strand oder auf der Toilette zu lesen. Und das sagen wir als diejenigen, die auch im Internet unterwegs sind. Es ist kein Massenmarkt mehr, aber es gibt noch Leute, die es haben wollen. Und es ist redaktionell zusammengestellt und ich lese vielleicht auch mal Dinge, an die ich selber nicht gedacht hätte.”

Das erklärt auch, warum hinter der URL geek-mag.de eigentlich keine richtige Website steht. Man wollte lieber ein gutes Heft machen und “nichts Halbes” im Netz. Das bevorzugte Netz-Organ der “Geek!”-Gemeinde ist das Onlineportal “Robots and Dragons”. Die Impressumslisten der beiden Medien teilen sich eine Menge Namen.

96 Seiten sind nicht genug

Eine Veränderung dieser Taktik ist für die Zukunft auch vorerst nicht angedacht. Stattdessen erhofft Markus sich irgendwann mehr nicht-virtuelle Seiten zum Bedrucken. Denn inzwischen hat jede Ausgabe ein gewisses Spektrum an Filmen, Serien, Comics und Romanen, das abgedeckt werden muss und Werbekunden anzieht. Bei 96 Seiten bleibt häufig wenig Platz für die Kür, vor allem wenn große Geek-Ereignisse anstehen, wie etwa ein neuer Star-Trek-Film. Mit mehr Papier könnte nicht nur das enge Layout etwas luftiger werden, auch die “würzenden Artikel”, wir Markus sie nennt, könnten mehr Raum bekommen.

Science-Fiction könnte man gemeinhin als die Fortschreibung aktueller, gesellschaftlicher Tendenzen in einem fantastischen zukünftigen Kontext beschreiben. Was also wünscht sich der Chefredakteur eines in seiner Nische erfreulich erfolgreichen gedruckten Science-Fiction-Magazins für die Zukunft? Eine Revolution? Einen großen Sprung nach vorne? Nein. Die erste Antwort, die dem “Kraken” Markus Rohde über die Lippen kommt, sagt dann doch, und das denke ich mir wertfrei – ohne Gehässigkeit oder übeflüssiges Mitleid, alles aus über den Zustand einer geschüttelten Branche und eines Kultursegments, das in den letzten zehn Jahren ohne viel eigenes Zutun von den Kellerkind-Tiefen in die Strudel des Mainstreams gespült wurde. “Beständigkeit.”

Ausgabe 8 von “Geek!” erscheint am 20. August 2013.

Quotes of Quotes (XV) – The Licensing Company

Sie müssen so’n Produkt im Handel auch immer frisch halten. […]. Es wird immer weiterentwickelt, neue Inhalte, neue Geschichten, neue Produkte. Wir wechseln zum Beispiel bei Star Wars jedes Jahr das Artwork. […]. Sie dürfen ihre Produkte auch nicht länger als zwei Jahre im Handel haben. Sie müssen also permanent an den Designs arbeiten, damit das Programm frisch ist. Das ist ‘ne richtige Maschinerie, die dahinter steckt.
– Marlies Rasel, The Licensing Company über Star Wars

Christian Schiffers “Zündfunk Generator”-Podcast “Masters of the Universe” (Link führt direkt zum mp3, einen Permalink zur Episode gibt es nicht, nur die Übersicht) ist schon einen Monat alt, doch reinhören lohnt sich. In 50 Minuten schlägt er geschickt den Bogen vom wissenschaftlich-erzählerischen Blick auf die Erschaffung von Story-Universen zur geschäftlichen Seite des Ganzen und wieder zurück. Highlight sind dabei eindeutig die oben angerissenen, recht offenherzigen Äußerungen der Geschäftsführerin eines Münchner Lizenzunternehmens. Und der Boba-Fett-Song.

Gefühlte Gemische II

In “Gefühlte Gemische” erzähle ich, basierend auf einer Idee von Christoph Hochhäusler, von meiner Filmsozialisation und von Filmsichtungen, die mein späteres Leben geprägt haben. Im ersten Teil habe ich mich mit meiner Kindheit befasst. Die Resonanz war so positiv, dass ich mich entschieden habe, eine Fortsetzung zu schreiben.

Mit ungefähr 15 Jahren, ich lebte inzwischen wieder in Deutschland und besuchte ein Gymnasium in Wiesbaden, veränderte sich etwas in meinem Selbstbild. In den Jahren zuvor hatte ich automatisch gefolgert, dass ich – weil ich Computer spannend fand – irgendwann Informatik studieren würde. Doch irgendwann sah auch ich ein, dass ich mit Sprache wesentlich besser umgehen konnte als mit logischen Operatoren. Schließlich hatte ich meine BASIC und Turbo-Pascal-Kenntnisse auch bisher hauptsächlich dafür genutzt, Textadventures und ähnliche narrative Programme zu erschaffen. Als in der elften Klasse die Wahl der Leistungskurse anstand, entschied ich mich sehr bewusst für Deutsch und Englisch. Und wo immer ich konnte, begann ich zu schreiben.

copy; Kinowelt

Meine erste veröffentliche Filmkritik erschien in einer kurzlebigen Schülerzeitung. Der besprochene Film hieß Lost in Space, ein wohl fast vergessenes Remake der gleichnamigen Fernsehserie mit William Hurt, Gary Oldman und Matt LeBlanc in den Hauptrollen, und er kam bei mir nicht gut weg. Die Kritik endet mit dem denkwürdigen Satz: “Wer eine effektlastige Space Opera mit mäßiger Story sehen will, für den ist ‘Lost in Space’ das Richtige. Wer anspruchsvolle Science-fiction gewöhnt ist sollte meiner Meinung nach lieber auf ‘Star Wars: Episode 1’ warten.” Wie das dann ausging, ist ja bekannt. Weitere Kritiken veröffentlichte ich auf meiner ersten eigenen Internetseite, lange bevor es Blogs gab.

Ungefähr zur gleichen Zeit veränderte sich auch mein Verhältnis zu Filmen. Meine Freizeit verbrachte ich zwar immer noch hauptsächlich mit Karten- und Rollenspielen wie “Magic: The Gathering”, doch zum Glück verschlang ich auch die dazugehörige Fachliteratur. Die inzwischen eingestellte Zeitschrift InQuest, die ich mit religiöser Anbetung las, hatte eine Liste mit den 100 besten fantastischen Filmen veröffentlicht und ich machte mich immer stärker systematisch, in Bibliotheken und der Fernsehzeitschrift, auf die Suche nach den dort erwähnten Klassikern. Inzwischen hatte ich sogar einen eigenen Fernseher im Zimmer. Ich sah Escape from New York und Jason and the Argonauts, Zardoz und Metropolis, Planet of the Apes, Conan the Barbarian und einiges mehr. Bis heute habe ich noch nicht alle Filme der Liste gesehen, hole aber immer noch nach.

Screenshot: DVD "2001: A Space Odyssey"

Mein Fernseher hatte etwa eine Bilddiagonale von 30 Zentimetern. Meistens machte mir das nichts aus, doch die erste gespannte Sichtung von 2001: A Space Odyssey endete im Disaster. Als ich völlig entnervt am “Beyond the Infinite”-Punkt angelangt war, griff ich zur Fernbedienung und spulte die gesamte Sequenz vor. Zusätzlich hatte die VHS-Aufnahme aus dem Fernsehen etwas zu früh aufgehört, so dass das finale Bild von “Star Child” fehlte. Ich war, gelinde gesagt, sehr verwirrt. Zum Glück kam der Film im Jahr 2001 noch einmal ins Kino – und dann begriff ich ihn. Inzwischen ist 2001 der Film, bei dem ich mit dem besten Gewissen sagen kann, dass er mein Lieblingsfilm ist.

Parallel zu Zeitschriften und Büchern nahm auch das Internet eine immer dominantere Rolle in meinem Leben ein. Ich baute weitere eigene Webseiten zu Bands und Fantasy-Welten, trat Mailinglisten bei und traf mich mit Gleichgesinnten aus ganz Deutschland. Parallel dazu bekam ich einen Job in unserem örtlichen Kino. Mein großartiger Chef ließ mich nicht nur kostenlos in aktuelle Vorstellungen, er nahm mich sogar mit auf Branchen-Tradeshows, wo ich erstmals Filme sah, die noch gar nicht im Kino liefen.

© New Line Cinema

Die Kombination aus beiden Faktoren habe ich wohl nie wieder so intensiv erlebt wie im Vorfeld von The Fellowship of the Ring. Auf Stefan Servos’ Seite verfolgte ich jeden Nachrichtenschnipsel zur Verfilmung meines damaligen Lieblingsbuchs. Den ersten Teaser-Trailer habe ich sicherlich 20 Mal gesehen. Und dann konnte ich auf einer Tradeshow ganze drei Monate vor Kinostart die 20-minütige Sizzle Reel sehen, die Peter Jackson für Cannes zusammengestellt hatte. Ich war begeistert. Und noch heute sind die Herr-der-Ringe-Filme die einzigen Filme, die ich in regelmäßigen Abständen immer wieder sehen muss.

In der zwölften Klasse, im Jahr 2000, hatte ich die Gelegenheit, an der Uni Mainz einen ausführlichen Informationstag zum Filmwissenschaftsstudium zu besuchen. Marcus Stiglegger, damals noch mit langen Dreadlocks, setzte sich vor einen Raum voller Schüler und bat jeden, einen Film zu nennen, der ihn in jüngerer Zeit beeindruckt hatte. Er ordnete den Film dann historisch und phänomenologisch ein. Die Gruppe besuchte eine Vorlesung zum deutschen Film und Norbert Grob sagte, es gäbe eigentlich keine großen deutschen Autorenfilmer mehr. Ich dachte: “Und was ist mit Tom Tykwer?”. Jemand meldete sich und fragte: “Und was ist mit Tom Tykwer?” Zähneknirschend gab Grob zu, dass Tykwer sich wohl qualifizierte. Ich wusste, dass ich dieses Fach studieren würde.

Screenshot: Blu-ray "The Apartment"

An The Apartment habe ich im ersten Semester Filmanalyse gelernt. All den Dingen, die ich bisher nur unterbewusst wahrgenommen hatte – Einstellungsgrößen, Kamerawinkel, Schnittfolgen – konnte ich nun plötzlich Namen geben. Billy Wilders bittersüße Komödie, mit ihren klaren Bildern und präzisen Kadrierungen und Charakterzeichnungen, eignete sich perfekt als Anschauungsobjekt. Mein Blick auf Filme änderte sich für immer und ich wusste, dass ich das richtige Fach gewählt hatte. Zuletzt habe ich The Apartment vor zwei Jahren im “Babylon” in Berlin gesehen – ich musste ihn einfach mit der Frau sehen, die ich in zwei Wochen heiraten werde.

Wenn man Filme durch ein Studienfach – und später durch die Wahl des Arbeitsplatzes – zum Beruf macht, bekommen sie einen anderen Platz im Leben. Sie werden manchmal Mittel zum Zweck, manchmal Ware, manchmal Notwendigkeit. Obwohl einen gute Filme noch immer sehr beeindrucken können – das naive Staunen früher, “ungelernter” Filmerfahrungen kehrt leider nicht mehr zurück. Wer weiß, vielleicht ist aber doch noch irgendwann Raum für eine dritte Folge. In diesem Sinne:

Fortsetzung folgt – vielleicht

From The Vault: Alexander Gajic (16) über Star Wars – Episode I: The Phantom Menace

© Disney

Ich arbeite gerade an der Fortsetzung des Gefühlte Gemische-Posts vom Mai über prägende Filmerfahrungen und habe mich dafür in die Untiefen meiner Internetvergangenheit aufgemacht. Seit etwa 1996 hatte ich eine eigene Webseite auf dem T-Online-Webspace meiner Eltern, auf der ich alles veröffentlich habe, was mich interessiert hat – unter anderem auch einige meiner ersten Filmkritiken. Diese waren damals noch sehr stark geprägt, von dem, was ich sonst so als Filmkritik wahrgenommen habe – und das waren hauptsächlich Wertungen in Fernsehzeitschriften.

Star Wars – Episode I ist eines der großen Phänomene der Filmgeschichte. Ein Film, der mit so viel Erwartung beladen war, die Vorfreude bis zum Schluss aufrecht erhalten hat (der Original-Teaser Trailer ist ein kleines Meisterwerk), dann sehr viele Menschen sehr enttäuscht hat und trotzdem Unmengen an Geld generiert und ein multimediales Franchise von unbeschreiblichen Ausmaßen errichtet hat. Sogar einen Meta-Film hat Phantom Menace erschaffen – es gibt nicht viele Filme, die das von sich behaupten können.

Ich war 1999, mit 16 Jahren, sehr privilegiert. Ein Urlaub in den USA erlaubte es mir, den Film vor meinen Schulfreunden zu sehen, und natürlich musste ich darüber schreiben. Ich denke, meine Reaktion ist sehr typisch für die eines Teenagers der Zeit. Der Film hat mich so weggepustet und die Hypemaschine, gepaart mit dem Gefühl des besonderen Privillegs, hat dazu geführt, dass ich The Phantom Menace einfach toll finden musste. Ich hatte die “Special Edition” in den Jahren davor im Kino gesehen und ich habe mich sehr für Science-fiction und Tricktechnik interessiert – Episode I konnte nur großartig sein.

Dass man der Kritik – insbesondere im letzten Satz – dennoch ansieht, dass der Film mich nicht auf einem tiefer gehenden Niveau befriedigt hat, wie andere Filme des Sommers, etwa The Matrix, spricht hoffentlich für mich. Wirklich auf seinen Instinkt zu hören ist eben etwas, was man als Journalist erst lernen muss – genau wie man als Kritiker lernen muss, seine eigene Stimme zu finden. Letzteres hatte ich zu diesem Zeitpunkt sicherlich auch noch nicht, stattdessen schrieb ich in einer Mischung aus Phrasen, Anspielungen und sehr naiven Beobachtungen.

Aber genug der Vorrede. Als kleiner Vorgeschmack auf “Gefühlte Gemische II”, hier ist meine Original-Kritik zu Episode 1 vom Sommer 1999.

In Deutschland läuft der Film erst in ein paar Wochen an, aber der Rummel der bereits vorher darum gemacht wurde und wird sucht seinesgleichen. Endlich ist sie da: die langerwartete Fortsetzung (Fortsetzung? Nein, Vorgeschichte) zum besten Science Fiction Epos aller Zeiten. Star Wars: Episode 1: The Phantom Menace, oder zu Deutsch: Die dunkle Bedrohung.

Ich hatte die Möglichkeit den Film zu sehen, weil ich in den USA im Urlaub war und hier folgt meine ganz persönliche Kritik:
Die Story ist allen eh schon bekannt, aber ich fasse sie trotzdem noch mal kurz zusammen, viel Inhalt darf man ja gemäss der Star Wars Tradition eh nicht erwarten. Der kleine Planet Naboo wird von den bösen Leuten der Trade Federation (das Imperium gibt es ja noch nicht) zum Unterzeichnen eines Vertrages gezwungen. Königin Amidala (Natalie Portman – verdammt, die Frau sieht gut aus!) steht allerdings noch immer dagegen an. Die Botschafter von Naboo, die Jedis Qui-Gon Jinn (Liam Neeson) und Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) entkommen einer bösartigen Falle und helfen der Königin, von Naboo zu entkommen. Dabei stolpern sie über die einheimische Laberbacke Jar Jar Binks (Viele Viele Schnelle Rechner, von denen PC-User nur träumen können), der ihnen von nun an nicht mehr von der Seite weicht. Bei einer Notlandung auf Tattooine treffen die Jedis ausserdem Anakin Skywalker (Jake Lloyd). Qui-Gon spürt, dass der Junge etwas besonderes ist, und unterstützt sein waghalsiges POD-Racer Rennen gegen den Fiesling Sebulba (Noch mehr schnelle Rechner)…

Das ist nur ein Bruchteil der komplexen Beziehungen im neuen alten Star Wars Film, der von allen Kritikern verissen wurde und viele Fans enttäuschte. Auch ich war nicht gerade überwältigt, fand ihn aber nicht schlecht. Die Hauptkritikpunkte meinerseits waren:

  • Jar Jar Binks! Er verwandelt den Film zeitweise in Seamstrasse: Der Film und geht allen tierisch auf die Nerven. Seine Computeranimation ist zwar fantastisch, aber er trägt nicht umbedingt zum Star Wars Geist bei – die Welt, die alle durch die ersten Filme lieben gelernt haben.
  • Keine richtige Story. Der Film dient in erster Linie der Erklärung der alten Filme, und das merkt man. Er tut meistens wirklich nichts anderes und ist wahnsinnig vorhersehbar. Zu viel passiert durch “dumme Zufälle”.
  • Charaktere sind Abklatsche von alten Lieblingen. Jar Jar kommt nur leider nicht an Chewie heran, und auch wenn Amidala meiner Ansicht nach besser aussieht als Leia, ist die “Prinzessin in Not” Idee doch wirklich ein bisschen alt.
  • Die Verschmelzung von Computeranimation und Film ist noch nicht überall ganz perfekt.
  • Alles sieht zu neu, glänzend und schön aus. Irgendwie hat mir das alte Star Wars Flair besser gefallen.

    Es gibt aber auch viele positive Sachen zu vermerken:

  • Charaktere mit coolen Looks. Darth Maul sieht wirklich böse aus, auch wenn er kaum auftritt. Sebulba ist genial und Amidalas Haartrachten lassen jeden Erdenfriseur erblassen. Auch Wattoo ist nicht von schlechten Eltern. Man nimmt ihm das Flattern wirklich ab.
  • Die genialsten Lichtschwertkämpfe der Weltgeschichte!
  • Das beste Rennen seit Ben Hur [*]
  • Viele Insider-Witze. So sagt Qui-Gon ganz am Anfang “I have a vey bad feeling about this!”, die einzigen Jawas im ganzen Film sagen nur ein Wort: “Uttini!”, Greedo taucht als Kind auf, Im republikanischen Rat sitzen E.T.’s, Anakin’s Musikthema zitiert aus dem Imperialen Marsch und noch einiges anderes, was ich übersehen habe.
  • Die Computereffekte sind schlicht unbeschreiblich. Noch nie ist dieses System so gut gelungen wie in Episode 1.
  • John Williams hat einen genialen Soundtrack geschrieben!

    Alles in allem ein guter bis sehr guter Film, man darf ihn nur nicht mit den alten Filmen vergleichen, denn dann ist er schlecht.

  • Blogosphären-Hinweis (II): Mr. Vincent Vegas Filmecke

    Wer mein Blog liest, weiß, dass ich eine bestimmte Form von Filmjournalismus besonders goutiere, vielleicht auch, weil sie mir selbst am besten liegt. Statt jeden Film zu “kritisieren”, zu zerlegen und zu deuten, picke ich mir lieber einzelne Aspekte von Filmen heraus, forme sie zu einer These, spitze diese noch ein bisschen zu, und schreibe von dort aus los – auf der Suche nach Trends, Merkwürdigkeiten und Besonderheiten.

    Der einzige andere Autor der deutschen Film-Blogosphäre, der mir bisher mit einer ähnlichen Taktik untergekommen ist, ist Rajko Burchardt. Er ist nicht nur nachgerücktes Mitglied der Fünf Filmfreunde und betreibt sein eigenes Blog namens “From Beyond”, sondern er veröffentlicht auch eine regelmäßige Kolumne auf “moviepilot.de” unter dem Künstlernamen “Mr. Vincent Vega” (die Alteren erinnern sich, das ist der Name von John Travoltas Charakter in Pulp Fiction).

    Hier pickt sich Rajko jede Woche ein Thema heraus, und philosophiert dann fröhlich eine Weile darüber. Besonders viel Spaß macht es ihm dabei, bewusst gegen den Mainstream- oder Geek-Konsens zu argumentieren: Grown ups 2 ist der beste Film des Sommers, Ziemlich beste Freunde ist Mist, und Hans Zimmer bedeutet das Ende der Filmmusik. Man spürt richtiggehend die diebische Freude, die der Autor dabei hat, so zu provozieren – und der Entrüstungssturm, der unter jedem Artikel in den Kommentaren losbricht, dürfte Belohnung genug sein.

    Doch dahinter steckt keine Provokation um des Masochismus willen. Wenn man ein paar der Kolumnen gelesen hat, merkt man auch, dass viele der vertretenen Thesen eindeutig aus einem Bedürfnis entstehen, der Hypemaschine des modernen Filmmarketings und der daraus erwachsenden Nerd-Monokultur etwas entgegenzusetzen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Rajko Grown Ups 2 wirklich für den besten Film des Sommers hielt, aber seine Argumentationslogik führt zumindest dazu, dass man mal ein paar Gedanken über die moderne amerikanische Komödie verliert, und merkt, wie überwältigend doch die Macht eines Kritikerkonsens im Zeitalter von “Rotten Tomatoes” sein kann. Die Artikel entstammen immer einem Wahrheitsfunken, der dann von Rajko kunstvoll zu einer mutigen Behauptung aufgeblasen wird, damit er auch so richtig wirkt.

    Ich selber bin für so etwas zu harmoniebedürftig. Aber ich finde es super, dass andere auf diese Art die Diskussion in einer Branche fördern, die sich viel zu oft auf ein “Agree to Disagree” für einzelne Filme geeinigt hat. Ich persönlich würde so etwas gerne viel öfter lesen.

    Hier geht es zu “Mr. Vincent Vegas Filmecke”

    P.S. Ein Interview mit Rajko gibt es hier.

    The Rising ist jetzt auch in Gänze online

    Den postapokalyptischen Kurzfilm The Rising habe ich schon einmal hier im Blog erwähnt und Regisseur Sebastian Mattukat hat einen Gastbeitrag über die Parallelen zu Oblivion geschrieben. Jetzt haben sich die Filmemacher entschieden, den kompletten Kurzfilm online zu veröffentlichen, so dass ihr euch selbst davon überzeugen könnt. Viel Spaß!

    Unser vernetztes Leben ist im Kino nur eine Randnotiz

    © Concorde Filmverleih

    The Company You Keep

    In Robert Redfords neuem Film The Company you Keep kommt das Internet exakt viermal vor. Zweimal als lakonischer Kommentar auf unsere Zeit. Nachdem Shia LaBeoufs junger Journalist seine Ex-Flamme (Anna Kendrick) nach Informationen gefragt hat, sagt sie “Why don’t you go home and tweet about it?” Und als Robert Redford einen alten Weggefährten, der mittlerweile Collegeprofessor ist, fragt, wie seine Studenten und Studentinnen reagieren, wenn er Plädoyers für Freiheit und Aktivismus hält, sagt dieser, sinngemäß: “Sie hören aufmerksam zu, doch dann aktualisieren sie ihren Facebook-Status und alles ist vergessen.”

    The Company You Keep ist durchzogen von ähnlichen Abgesängen auf das Jetzt und Beschwörungen des Damals. Die knapp Siebzigjährigen, die den einen Handlungsstrang des Politthrillers bevölkern, erweisen sich ein ums andere Mal als besser vernetzt und ideologisch wahrhaftiger als ihre Verfolger beim FBI – obwohl in ihrer Mitte ein Mord steht. In der Parallelhandlung entdeckt Shia LaBeouf, was harte Recherche der alten Schule bedeutet, nachdem zuvor mehrfach mehr oder weniger subtil darauf hingewiesen wird, dass der Journalismus im Sterben liegt. (Chefredakteur Stanley Tucci: “Ich musste gerade die ganze Sportabteilung feuern!”)

    Google statt Telefonbuch

    Im Rahmen von LaBeoufs Recherche finden auch die anderen zwei Internetnutzungen des Films statt. Einmal googelt der junge Besserwisser den Namen einer Figur, um deren Adresse zu erfahren, ein anderes Mal lässt er sich von Google Maps eine Route berechnen. Beides also Dinge, die er theoretisch auch mit nichtdigitalen Werkzeugen (Telefonbuch und Routenatlas) hätte erledigen können. Die Aussage scheint klar: Das Internet kann ein nützliches Werkzeug sein, ein wertvoller Beitrag zu unserer Kultur ist es nicht.

    Nun mag The Company You Keep ein schlechtes Beispiel sein, weil das explizite Thema des Films die Aufarbeitung von Vergangenheit ist und seine Protagonisten in ebenjener leben. Doch fragen wir uns mal ernsthaft: Wann haben wir im Kino zuletzt einen Film gesehen, in dem das vernetzte Leben, das für viele Menschen Realität ist, tatsächlich eine Rolle gespielt hat? Ich rede eben nicht von Adressen oder Begriffen googeln, wie man es immer wieder sieht, wenn Charaktere mal einen Computer benutzen. Sondern von andauernder Kommunikation mit einem Haufen Menschen auf der ganzen Welt via Instant Messenger oder WhatsApp, von “Ich guck kurz in Wikipedia nach”, wenn man sich bei einer Sache nicht sicher ist (ich habe dafür den wunderbaren Begriff “wikifizieren” gelernt), von Neuigkeiten, die man über Facebook erfährt, von Skype-Unterhaltungen und Farmville, von Cloud Backups und Instagram-Fotos, Foursquare-Checkins und viraler Verbreitung von Blogposts und Katzenvideos.

    (Dieses Blog heißt übrigens “Real Virtuality”, weil ich Virtualität eben für etwas völlig Reales halte, und nicht für etwas Ungreifbares, Flüchtiges, wie es Medien und Meinungsmacher immer wieder gerne behaupten.)

    © Sony Pictures

    Skyfall

    Bildschirmleute sind langweilig

    Der ideologische Impetus, den man im Film von Redford (*1936) und seinem Autor Lem Dobbs (*1959) spüren kann, kann nur ein Grund dafür sein, dass all die oben genannten Nichtigkeiten, die inzwischen unser Leben bestimmen, im Kino in der Regel nur eine Randnotiz sind. Der andere Grund ist, dass das Internet so erschreckend un-cinematisch ist. Menschen, die über längere Zeiträume vor Computern sitzen, abgefilmte Bildschirme – es gibt kaum etwas Langweiligeres. Deswegen denken sich Filmemacher als Repräsentation der vernetzten Welt noch immer visuelle Sperenzchen aus, von Kommandozentralen voller blinkender Lichter und Gizmos wie Ben Whishaws peinlicher digitaler Wollknäuel-Entwirrung in Skyfall bis hin zu vollsimulierten virtuellen Welten in den diversen Ablegern von Tron. Alternativ lassen sich Filme über die Akteure des Internets machen, von The Social Network und The Fifth Estate bis hin zu The Internship.

    Jochen Jan Distelmeyer stellte 2007 schon Ähnliches in einem “epd Film”-Artikel über Handys im Film fest: “Wer […] vom klassischen Horror der Verlorenheit und des Ausgeliefertseins erzählen will, muss nun in Drehbüchern Handys verschwinden lassen, Akkus den Saft abdrehen oder – besonders beliebt – irgendwen ‘Scheiße, kein Netz!’ rufen lassen.”

    Handys sind inzwischen im Kino allgegenwärtig geworden und werden fest in die Handlung mit eingebacken. War das Jederzeit-Erreichbar-Sein früher ein Graus für Drehbuchautoren, die Charaktere im Unwissen übereinander lassen wollten, ist heute die Handykultur, inklusive Nebeneffekten wie der Tatsache, dass jeder Mensch immer einen Fotoapparat dabei hat, fest in Krimis, Thrillern, RomComs und Horrorfilmen verankert und wird sehr kreativ ausgeschöpft. Ein Film wie Rodrigo Cortés’ Buried handelt auch von einem Mann, der 90 Minuten lang telefoniert. Im Finale von Chronicle entsteht der Wow-Faktor durch das Nutzen der unzähligen Handykameras, die auf den Showdown gerichtet sind.

    Mobiltelefone gibt es jetzt schon eine ganze Weile. Braucht das Kino einfach nur noch ein bisschen Zeit, um die alltägliche Internetvernetztheit in seine Plots zu integrieren? Oder werden wir noch lange mit Movie OS-Varianten leben müssen?

    Das Fernsehen als Pionier

    Es geht auch anders: Distelmeyer betont in seinem Handyartikel, dass das Fernsehen als Pionier in der Ubiquitarisierung (hui, großes Wort) eine wichtige Rolle gespielt hat. Serien wie “The Wire” und “24” hätten geholfen, Mobiltelefone zu Playern statt Hindernissen beim Plotten von spannenden Geschichten zu machen. “’24’ könnte ohne Mobiltelefon nicht existieren, sein Tempo baut auf die von Marshall McLuhan postulierte Weltvernetzung (und hat gleichzeitig Angst davor) und gibt ihr mit dem Handy ihr Symbol beziehungsweise ihre Waffe”, schreibt Distelmeyer.

    Mike Case hat in seinem Artikel “House of SIM Cards” etwas Ähnliches für das Schreiben von Textnachrichten und anderen Smartphone-Aktionen in “House of Cards” festgestellt:

    These people — politicians, journalists, artists — are tied to their mobile devices for work and play, and the show doesn’t try to gloss over it. No generic devices, no imaginary apps. These are iPhones and BlackBerrys and the characters use them just as incessantly as us. […] Technology drives the plot in House of Cards, bringing the characters together when they couldn’t otherwise be, allowing them to communicate in dangerously casual ways, and reinforcing hierarchy in the setting.

    © CBS

    “Community”

    Hashtags als Nebenbei-Gags

    Und tatsächlich scheint das Fernsehen dem Kino hier ein bisschen voraus zu sein. Auch Comedy-Serien über meine Generation, wie “The Big Bang Theory” oder “New Girl” haben – bei aller komödiantischen Übertreibung – das Internet fest in die Leben ihrer Charaktere integriert. Manchmal als Motor des Plots, wie wenn Sheldon “Words with Frieds” gegen Stephen Hawking spielt, manchmal aber auch nur als Nebensächlichkeit, etwa wenn Nick durch typische Online-Prokrastination davon abgehalten wird, seinen Zombieroman zu schreiben. Den Comedy-Orden in dieser Hinsicht hat sicherlich “Community” verdient, wo sogar Hashtags in Nebenbei-Gags verbraten werden. Eine wunderbar liebenswerte Karikatur eines modernen Anhängers von Internet-Eitelkeit findet sich auch bei “Parks and Recreation” – in Gestalt von Aziz Ansaris Tom Haverford, der eine Technik-Krise bekommt, nachdem ihm ein Richter das Handy wegnimmt, weil Tom sogar seinen eigenen Autounfall live per Twitter kommentiert hat.

    Neal Stephenson hat in seinem jüngsten Roman “REAMDE” ausgetestet, wie das Internet einen großen Teil einer Thrillerhandlung beherrschen kann. Der Roman spielt zum Teil in einem Online-Rollenspiel, doch das ist beinahe nur eine Nebensache für einen Plot, in dem die ständige Vernetzung der Charaktere untereinander eine entscheidende Rolle spielt. Die Hauptfiguren werden im Laufe der Ereignisse von den USA nach China und zurück gespült, es fehlt “REAMDE” nicht an kinetischer Energie in der stofflichen Welt, aber dennoch spielen viele Szenen in Internet-Cafés oder an Laptops. “REAMDE” wird, wen wundert’s, für’s Fernsehen adaptiert (zum Glück, der Schinken hat 1000 Seiten).

    “Throughout House of Cards, we are reminded that how we communicate and how we consume information is part of who we are”, heißt es zum Abschluss in Cases Artikel. Es wird Zeit, dass diese Weisheit auch im Kino Fuß fasst. Wir brauchen Filme, in denen das Internet genau die Rolle spielt, die es auch in unserem Leben inzwischen spielt. Und nicht nur Mittel zum Zweck für abfällige Bemerkungen über die schneller und (angeblich) dümmer werdende Welt ist. Nur ob Shia LaBeouf dafür als Gallionsfigur taugt, das ist fraglich.

    Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

    Close up – Juli 2013

    In der aktuellen “Close up”-Sendung, die gestern abend in ZDFkultur Premiere hatte, habe ich mal wieder alle Beiträge gestaltet. Wer also meine Einschätzung zu Lone Ranger und Frances Ha sehen will, und interessiert daran ist, was Sung-Hyung Cho über Detlev Bucks Wir können auch anders sagt, sollte sich die Sendung anschauen. Hier geht’s direkt zur Mediathek. Alternativ wird die Sendung am Dienstag um 21.45 Uhr in 3sat wiederholt.