Für mein polemisches
Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.
Das Beste zum Schluss, oder auch: Ente gut, alles gut. Als ich Sidney Scherings Blog “Sir Donnerbolds Bagatellen” gefunden hatte, wusste ich, dass ich dort (vielleicht abgesehen vom Blogdesign-Geschmack) auf einen Gleichgesinnten gestoßen war. Sir Donnerbold bloggt über Filme, aber er weiß, welche Filme er sich aussucht, und seine Artikel speisen sich zu großen Teilen aus einem enzyklopädischen Wissen über diese Filme, vor allem über Disney, über Animation und das Hollywood-System. Es hat mich also gar nicht gewundert, dass Sidney die gleichen Dinge in der deutschen Blogosphäre vermisst, wie ich.
Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was du bei “Sir Donnerbolds Bagatellen” machst, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?
In meinem Blog fasse ich, so weit es mir zeitlich möglich ist, meine Gedanken zu Filmneuigkeiten und anderen Dingen aus der Welt der medialen Unterhaltung zusammen, außerdem bespreche ich einige Filme – leider nicht alle, die ich sehe, denn dann hätte ich keine Zeit mehr, welche zu gucken. Ich mache das seit Dezember 2007, als mich mein innerer Schreibdrang überwältigte und mir meine alten Stammforen nicht mehr für meine langen Lamenti geeignet schienen.
Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu “dürfen”?
Ich denke, dass man für einen lesenswerten Blog generell nur Passion für das gewählte Thema und eine halbwegs interessante Schreibe benötigt. Ein professioneller Hintergrund kann spannende Einsichten gewähren, aber ebenso kann ein „amateurhafter Blick“ für reizvolle Artikel herhalten.
Dein Blog beschränkt sich thematisch hauptsächlich auf deine Disney-Leidenschaft, aber du weichst gelegentlich auch davon ab und schreibst zum Beispiel über Musik – wonach wählst du aus, worüber du schreibst?
Die faszinierende Welt Disneys ist meine größte Passion in der Welt der Medien und der Unterhaltungskunst, so dass es sich irgendwie von selbst ergibt, dass ich darüber am häufigsten schreibe. Disney lässt es am schnellsten unter meinen Nägeln brennen – jedoch sah ich meinen Blog nie als semi-professionelle Disney-Seite, sondern stets als virtuelle Auslagerung meines Schreibdrangs. Deshalb thematisiere ich in meinem Blog, wonach es mir steht, also auch Filme, die niemals unter dem Disney-Label erscheinen würden oder Metalalben. Das ist gewiss keine thematische Ausrichtung, wie man sie in einem Seminar über Medienpublikationen erlernen würde, doch das schert mich nicht – ich will mich ausdrücken und kein werbefähiges Produkt liefern. Mein Blog ist ein Hobby, kein Job. Zudem hoffe ich, durch den Themenmix beweisen zu können: Solche Interessen schließen einander nicht aus.
Mehrere Serien in deinem Blog werden von Gastautoren geschrieben. Wer sind sie und wie funktioniert diese Kollaboration?
“Aku Ankka” (aka Kevin, einem Administrator der Duckipedia) und ich lamentierten eines Tages im ICQ, dass die deutsche (digitale) Disney-Fangemeinde in zwei Extreme verfällt: Diejenigen, die ihr Disneywissen scheinbar über ihre Passion stellen, und jene, die ihre Lieblingsfilme und -figuren haben, doch über Wissen erstaunt sind, das auf englischsprachigen Disney-Seiten als Allgemeinwissen durchginge. Natürlich gibt es Ausnahmen, dennoch fanden wir, dass der typische US-Mix aus Wissen und Passion im deutschen Web untergeht. Deshalb liebäugelten wir mit einem neuen Fanprojekt, das mit feurigem Eifer seine Liebe zu Disney erklärt, und dies auf informative Weise. Also eben nicht noch ein Fanlexikon, nicht noch eine “Wow, ist das toll!”-Seite (die allesamt ihre Berechtigung haben!), sondern ein Mittelding. Um “Im Schatten der Maus” zu erproben und bekannt zu machen, startete es als “Programm” innerhalb meines Blogs, zu Beginn rekrutierte ich noch Ananke Ro, eine enge, langjährige Freundin von mir, die ebenfalls ein echter Disney-Crack ist. Mit “Case” (aka Jan) stieß Ende 2012 noch ein Arbeitskollege von mir hinzu – für die Zukunft hoffe ich, weitere Autoren zu finden und eine eigenständige Seite zum Thema starten zu können.
Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?
Ich habe den Eindruck, dass es eine locker verknüpfte deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt. Private (Hobby-)Blogs mit Schwerpunkt Film scheinen sich schnell anzufreunden und auch mal Stöckchen, Fragebögen oder ähnliches auszutauschen, aber man könnte sie genauso gut als Teil der “normalen” Blogosphäre bezeichnen, da sie auch über persönliche Interessen tratschen. Reine Filmblogs, noch dazu professionelle oder semiprofessionelle, scheinen mir im deutschsprachigen Raum doch giftiger zueinander zu stehen als US-Seiten. Ich denke da schwärmend an Comic-Con-Videologs, in denen Autoren von “/Film”, “Collider”, “First Showing”, “Joblo” und “Cinema Blend” wie Kumpels zusammenhängen. Das scheint es hier nicht zu geben.
Du erwähnst zwei der Dinge, die mir auch in US-Blogs aufgefallen sind, und die ich hier vermisse. Die Mischung aus Passion und Information einerseits und andererseits das große Gemeinschaftsgefühl zwischen den Blogs, die auch regelmäßig beieinander zu Gast sind. Was meinst du, woran liegt es, dass das hier nicht so ist? Und: Müssen wir den Amerikanern überhaupt alles nachmachen?
Natürlich muss man den Amerikanern nicht alles nachmachen, aber was ist schon gegen etwas Freundschaft unter Leuten, die der selben Passion nachgehen, auszusetzen? Dass die “Tagesschau” nicht täglich zwei Minuten einräumt, in denen via Liveschalte Witze mit den Moderatoren von “heute” gemacht werden, ist ja selbstredend, schließlich geht es da um Information über Weltpolitik. Aber wenn Onlinemedien zu Film und Fernsehen, die auch aus Liebe zum Thema geführt werden, sich wie Todfeinde ankeifen, was hat man schon davon?
Was die Mischung aus Passion und Information angeht: Ich freue mich über rein passionierte und rein informative Webseiten, doch es braucht meiner Meinung nach halt auch die Hybriden. Um es am Beispiel Disney zu erklären, wo mich dieser Mangel ja so stört: Ich denke, dass eine Mischung aus beiden Herangehensweisen wieder passionierte, doch auch fundierte Webdiskussionen anstoßen und zudem Gelegenheitszuschauer zu Fans machen kann. Wer hie und da einen Disney-Film guckt, wird sich keine Faktensammlungen zu Herzen nehmen und über liebessüchtige Blogeinträge lachen. Der Mittelweg reicht ihm die Hand (“Och, das ist ja interessant, so genau habe ich bei Disney nie hingeguckt. Ah, nun verstehe ich dieses laute Fangejubel”), während Fans vergnügliches Lesematerial erhalten.
Weshalb es im deutschsprachigen Web so viel Konkurrenzdenken bei Onlinemedien gibt? Vielleicht ist es das Erbe unserer journalistischen Vergangenheit – grob vereinfacht und stark verallgemeinert entstanden professionelle US-Filmblogs aus Zuneigung zum Thema, während sich professionelle deutsche Webseiten zu Themen abseits des üblichen Nachrichten-Themenmix als Ergänzung des klassischen Journalismus verstehen. Dass “Wir lieben Filme und denken viel drüber nach” aber nunmal nicht “Tagesthemen online” ist, wird da leicht übersehen. Ich verlange ja keine Aufweichung der Nachrichtenkriterien, sondern nur ein weniger steifes Selbstbild. Und was die passioniert informierenden Hobbyblogs angeht? Keine Ahnung. In englischer Sprache sind Publikum und potenzielle Autorenschaft größer, vielleicht sind deshalb die Chancen größer, dass sowas entsteht und besteht.
Ist dir “Erfolg” beim Bloggen wichtig? Bist du in deinen Augen mit deinem Blog erfolgreich?
Sagen wir so: Verschwindender Erfolg schmerzt mehr, als dass mich steigender Erfolg freut. Wenn die Leserzahlen nur ein bisschen sinken, jammere ich, wenn sie steigen, müssen sie deutlich steigen, damit ich mich freue, weil ich bei kleinen Anstiegszahlen nur denke “Och, joah, ist nur ein Hobby, aber schön, dass es gefällt.” Mich würden mehr Kommentare freuen, da mir die Interaktion wichtiger ist als bloße Zahlenprahlerei. Doch auch bei so vielen stillen Lesern fühle ich mich erfolgreich genug, um nicht mehr zu denken, dass ich allein für mich selbst blogge. Ich fühle mich seit einigen Jahren gegenüber meinen Leserinnen und Lesern in der Pflicht, weshalb ich bei Durststrecken ein mieses gewissen bekomme. Zur Oscarsaision 2012/13 etwa war die Zeit für Oscar-Prognosen zu knapp, aber weil die Oscar-Artikel beliebt sind, habe ich mich da durchgebissen.
Welche Blogs (über Film und drumherum) liest du selbst? Zu welchem Zweck?
Die großen US-Blogs meiner Linkliste lese ich, um auf dem Laufenden zu bleiben, den Rest aus Interesse und zum Zeitvertreib.
Gibt es nach deiner Ansicht im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?
Uff, da bin ich überfragt. Jeder, mit dem ich spreche, hast seine eigenen Favoriten, also scheint der Konsens für ein Leitmedium zu fehlen. Oder ich kenne die falschen Leute.
Wie würde die Netz-Film-Sphäre in einer perfekten Welt aussehen?
Ich ahne, dass ich zu einer riesigen Antwort fähig bin – derzeit fehlt mir dazu aber die Kreativität. Sorry. In einer perfekten Welt würde jedenfalls der Link-, Kommentar- und Leserneid wegbrechen. Und das dauernde “Hey, 10 Seiten in meinem Reader haben das schon gepostet, hört auf damit, es auch zu posten!”-Gemecker. Denn nicht jeder User liest zig Seiten.