Das Raygun-Dilemma

Ich bin so fasziniert wie überfordert vom Fall der olympischen Breakdancerin Rachael “Raygun” Gunn aus Australien. 

Falls irgendjemand nicht online genug ist, um es mitbekommen zu haben: Raygun hat beim olympischen Breakdance-Wettbewerb der Frauen am vergangenen Freitag eine eigenwillige Performance hingelegt, in der sie im Gegensatz zu ihren Gegnerinnen kaum klassische Breakdance-Moves zeigte. Stattdessen glich ihr Auftritt einer merkwürdigen Parodie von Breakdance, in der Gunn zeitweise ungelenk auf dem Boden herumrutschte und wie ein Känguru durch die Gegend hüpfte. Sie erhielt für ihre Darbietung nachvollziehbarerweise keine Punkte der Richter:innen und schied in der Vorrunde aus.

Die Reaktion auf Social Media ließ nicht lange auf sich warten. Rayguns Moves wurden nach einem kurzen WTF-Moment quasi sofort zum Meme. Ihre Boden-Bewegungen dienten als Bebilderung für alles Zappelige, etwa “Wenn ich denke, mein Kind würde ruhig in seinem Bett schlafen”. Ein Move, der vor allem deutsche Zuschauer eventuell auch an Otto Waalkes’ klassische Gangart erinnern dürfte, in dem Gunn die Hände wie Pfoten in die Höhe reißt und große Schritte macht, ließ sich hervorragend mit Labels wie “Ich, wenn das Buffet eröffnet wird” versehen. Soweit, so normal. Siehe auch: Schießwettbewerb

Interessant und verwirrend wurde es für mich in der zweiten Diskussionsrunde, die im Internet ja immer folgt. Vor allem in Kommentaren unter den ersten Posts, aber dann auch in späteren Beiträgen, in denen Gunn ihren “Main Character”-Status bereits angenommen hatte, schälten sich zwei Narrative heraus, die meiner Ansicht nach beide eine gewisse Validität für sich beanspruchen können.

Narrativ 1: “Dabei sein ist alles”

In dieser Version der Geschichte ist Raygun eine Art positive Ikonoklastin, die sich nicht scheut, anders zu sein und damit die Herzen der Menschen erobert hat. Gunn selbst hat diese Botschaft nach dem Wettbewerb auf ihrem Instagram-Kanal geteilt. In einem Interview sagte sie sinngemäß: Sie wusste vorher, dass sie in Sachen Athletik nicht mit ihren deutlich jüngeren Konkurrentinnen mithalten konnte, daher habe sie versucht, originell zu sein. Der oberste Preisrichter Martin Gillian hat in einem Statement nach dem Wettbewerb gesagt, Originalität wäre eins der Kriterien beim Breakdance, Rayguns Auftritt wäre nicht schlecht gewesen, aber halt nicht so gut, wie die der anderen Breakdancer. 

Unterm Strich also: Schön, dass sie dabei war und das Feld ein bisschen aufgemischt hat. Sie hat sich ordnungsgemäß für den Wettkampf qualifiziert, ist dort aber auf bessere Athleten gestoßen und entsprechend auch ausgeschieden. Aber wie cool, dass jemand den olympischen Gedanken des “Dabei sein ist alles” so selbstbewusst vertritt. Wir brauchen mehr Rachael Gunns.

Aber Moment: “Dabei sein ist alles” ist, wenn man Wikipedia glaubt, nur der zweitbeste olympische Gedanke. An dieser Stelle setzt das zweite Narrativ an.

Narrativ 2: “Eine Schande für den Sport”

Das olympische Motto nämlich lautet nicht “For the Memes!”, sondern “Höher, schneller, weiter”. Es geht darum, sportliche Exzellenz zu feiern und athletische Höchstleistung zu bieten. Raygun habe mit ihrer Interpretation von Breakdance dieses Motto verraten, sich durch eine merkwürdige Mischung aus Glück, Status und Selbstüberschätzung einen Platz erschlichen, der anderen Menschen zugestanden hätte, und die Disziplin, in der sie angetreten ist, zum Gespött gemacht, lautet die Aussage.

Diesem Narrativ spielt die Tatsache in die Hände, dass die 38jährige Gunn hauptberuflich promovierte Cultural-Studies-Dozentin ist, die sich neben ihrer sportlichen Betätigung auch aus theoretischer Sicht mit Breakdance beschäftigt hat. Ihre Biografie scheint geradezu prädestiniert dafür, als Paradebeispiel für Weißes Privileg und kulturelle Aneignung herzuhalten. Eine Weiße Theoretikerin, die den von Marginalisierten entwickelten Tanzsport vor allem aus Büchern kennt, stolpert Forrest-Gump-mäßig irgendwie in die olympischen Spiele, gewinnt dort natürlich nicht, bietet aber anderen Weißen eine willkommene Projektionsfläche, so die Lesart. Cool Runnings, aber auf den Kopf gestellt.

Muss man sich für eine der beiden Erzählungen entscheiden? Können beide ein bisschen wahr sein? Liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen? 

Die merkwürdige Qualifikation

Ich habe versucht, mir durch viel Lesen ein Bild zu machen, bin aber nach wie vor nicht sicher, wo ich stehe. Kaum ein Artikel scheint mir wirklich fundiert Stellung zu beziehen, selbst die australischen Medien lassen sich nur zu einem sehr langen “Einerseits, andererseits” in Stellvertreter-Gesprächen hinreißen.

Wichtig finde ich zunächst, die Sache mit Gunns Qualifikation klarzustellen. Sie scheint sich den Platz tatsächlich ordentlich erkämpft zu haben. Der Breaker Lucas Marie, der auch ein Paper mit Rachael Gunn geschrieben hat, wird von der australischen ABC folgendermaßen zitiert:

“There was an Oceania qualifier in which any B-boy or B-girl from Australia [or] New Zealand could enter, and that was in Sydney in October 2023,” he told ABC News.

“And leading up to that, there were a lot of other events in which breakers were competing. “She won those battles fair and square and won the qualification in Sydney. And it wasn’t really a surprise to anyone. She’s been fairly consistent, winning or coming second or third at a lot of breaking events in Australia for the last five to 10 years.”

Klingt eindeutig. Die Gegenstimmen, etwa der deutsche Breaking-Pionier Niels Robitzky im “Spiegel”, halten entgegen, dass dieses Qualifikationsturnier es unbekannten und weniger privilegierten Talenten nicht unbedingt leicht gemacht hat, teilzunehmen:

Der [Tanz-]Weltverband hat einerseits ein sehr undurchsichtiges Punktesystem zur Qualifikation geschaffen und andererseits Kontinentalmeisterschaften in Afrika, Europa, Asien, Amerika und Ozeanien organisiert. Hier konnten sich die Gewinner direkt einen Platz in Paris bei Olympia sichern. Aber um an diesen teilzunehmen, musste man auf eigene Kosten anreisen und übernachten, was in ärmeren Gegenden eine große Hürde ist. In Afrika gibt es zum Beispiel herausragende Tänzerinnen und Tänzer im Breaking. Besonders in Kamerun und im Senegal. Aber weil der Qualifikationswettbewerb für Afrika in letzter Sekunde nach Marokko verlegt wurde, haben viele daran gar nicht teilgenommen. Ozeanien ist riesig. Dass bei dem Qualifikationswettbewerb in Sydney niemand besser war als Raygun, heißt nicht, dass sie die beste Tänzerin aus ganz Ozeanien ist.

Auch das klingt für mich einleuchtend, aber nicht als Argument gegen Rachael Gunn, sondern eher gegen die sportliche Organisation einer so undergroundigen Disziplin wie Breakdance. Ich befürchte aber, dass es einfach der Realität des Sport nicht nur im Vereinswesen sondern auch im Kapitalismus entspricht.

Taugt Breakdance als Sport?

Dahinter steckt, soweit ich das sehe, eine größere Debatte, inwiefern Breaking sich überhaupt als olympische Sportart eignet. Es war in Paris das erste Mal überhaupt Teil der Olympischen Spiele und Los Angeles hat für 2028 bereits letztes Jahr dankend abgelehnt. 

Ausgerechnet Planet Money hat dazu vergangene Woche eine hervorragende Episode veröffentlicht, in der sie (völlig unabhängig von Raygun) den langen Weg nachzeichnen, den Breaking nehmen musste, um überhaupt mal ein (in der Szene sehr umstrittenes) einheitliches Bewertungssystem zu bekommen, das nicht auf reiner Subjektivität beruht. Heute wird eine Performance nach fünf Kriterien beurteilt (Technik, Vokabular, Ausführung, Musikalität und Originalität). Hier stehen also sportliche Meriten relativ gleichberechtigt neben künstlerischen – es braucht aber auf jeden Fall beides, um gut zu sein. Bisher hat sich Breaking noch einem Punktesystem verweigert, in dem es für bestimmte Moves feste Punktzahlen gibt.

Denn, und das macht der Planet Money-Beitrag besonders gut klar, andere künstlerisch und kreativ geprägte Sportarten wie Synchronschwimmen und Eiskunstlauf sind diesen Weg gegangen, und es hat sie nachhaltig verändert. Sobald es ein Zahlensystem gibt, gibt es auch Wege, es auszunutzen. Die Wertungen, die man durch gezieltes Punktesammeln erzielen kann,  lassen sich mit den künstlerischen Wertungen – die es auch im Synchronschwimmen zum Beispiel noch gibt – nicht mehr ausgleichen. Daher sind all diese Sportarten in den letzten Jahrzehnten deutlich athletischer geworden. Vielleicht besser vergleichbar für Wettkämpfe, aber schlecht für alle, die eine Sportart vor allem wegen ihrer kreativen Komponente geschätzt haben.

Merkwürdige Linienverläufe

Ob die “Versportung” von Breakdance also so eine gute Idee war, steht allgemein zur Debatte. Was mir im Diskurs um Raygun aber die meisten Kopfschmerzen bereitet, ist die merkwürdige Art, wie dort die Linien verlaufen. Denn die gleiche Seite, die die Seele des Breakdance als Underground-Kunstform ohne Sportverbände bewahren will, argumentiert damit, dass Rachael Gunn nicht athletisch genug performt und die Kunstform somit beschädigt hat. Obwohl genau die mangelnde Athletik sie ja knallhart aus dem Turnier gekegelt hat, das “versportete” System also funktioniert hat, wie es soll.

Ironischerweise ist genau diese Spannung Teil von Gunns akademischer Arbeit. Das Paper, das sie mit dem oben erwähnten Lucas Marie geschrieben hat spricht von den “Möglichkeiten und der Politik der sportification” speziell in der australischen Breaking-Szene. Zitat aus dem Abstract:

While some breakers see the Olympics as an opportunity and space for wider recognition, many have expressed concerns with the growing influence (and embrace) of transnational commercial organizations and institutional governing bodies in shaping and managing breaking’s future. Alongside concerns of an increasing sportification of breaking, this trajectory points towards an increasing loss of self-determination, agency and spontaneity for local Australian breakers (…). Australia’s breaking scene is marked by distinct, self-determined localized scenes separated from each other by the geographic expansiveness of this island-continent. Here, breaking is a space for those ‘othered’ by Australian institutions to express themselves and engage in new hierarchies of respect. We argue that breaking’s institutionalization via the Olympics will place breaking more firmly within this sporting nation’s hegemonic settler-colonial structures that rely upon racialized and gendered hierarchies. (Meine Hervorhebungen)

Es scheint mir also stark so, als würde die Debatte eigentlich entlang zwei separater Achsen geführt, die aber typischer Internet-Öffentlichkeit miteinander vermischt werden.

Hiphop-Alphabetisierung

Da ist einmal die Diskussion um Breaking als Sport versus Breaking als selbstbestimmte Ausdrucksform. Hier ist klar, auf welche Seite Rachael Gunn steht, und sie hat nach allem, was ich inzwischen erfahren konnte, nicht nur selbstverständlich das Recht dazu, sondern steht so auch in der Tradition des Breakdance als Kunstform außerhalb der Institutionen. Dass sie das Ansehen des Breakings durch ihren Auftritt beschädigt hat, halte ich für Quatsch. 

Den Vergleich mit einer Breakdance-Sendung des ZDF von 1984 den Niels Robitzky im “Spiegel”-Interview bringt, nach der sich angeblich “niemand mehr getraut [hat], Breaking auf dem Dancefloor zu zeigen, weil die Sendung den Tanzstil peinlich gemacht hat”, finde ich sehr weit hergeholt. Denn: Aller Spott, den das Internet verlässlich ausgoss, richtete sich genau nicht gegen Breakdance als olympischen Sport, sondern nur gegen Gunn als Person. Mit anderen Worten: Das Publikum ist 40 Jahre nach der ZDF-Sendung Hiphop-alphabetisiert genug, um gutes von schlechtem Breaking zu unterscheiden.

Die andere, wahrscheinlich wichtigere, Diskussion ist die um Sichtbarkeit. Robitzky sagt weiter: “Jetzt ist überall in den sozialen Medien Breaking zu sehen – aber nur der eigenartige Auftritt von Raygun und nicht die Performances von Ami und Nicka, den beiden Finalistinnen, die wirklich herausragend getanzt haben.” Damit hat er Recht und ich kann den Frust derjenigen, die sich vielleicht seit Jahrzehnten für die Sichtbarkeit von Breaking einsetzen, verstehen. 

Robitzky sagt weiter: “Tanz ist eine Körpersprache, und die des Breaking ist seit 50 Jahren gewachsen. Um mitreden zu können, muss man diese Körpersprache beherrschen, man muss gewissermaßen die Grammatik und das Vokabular kennen. Erst dann kann man etwas Neues hinzufügen.” Das kann man auch anders sehen, aber ich kann seine Haltung zumindest nachvollziehen.

Mehr Sensibilität

Es ist also die Frage, ob ein aus marginalisierter Kultur gewachsener, künstlerischer Sport, der zum ersten Mal auf diese Art auf der Weltbühne präsentiert wird, wirklich sofort auch Ikonoklast:innen braucht, die selbst tendenziell aus dem “Außen” stammen und allem Anschein nach mal zeigen wollen, dass es “auch anders geht”. Und damit ähnlich wie selbsternannte “white saviors” selbstverständlich viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. 

Hier hätte man von Rachael Gunn mehr Sensibilität erwarten können, insbesondere in der Nachbetrachtung ihres Auftritts. Statt das Narrativ weiter um sich selbst und ihren individuellen Weg kreisen zu lassen, hätte sie ihren Fame mit ihren Konkurrentinnen teilen und im Sinne einer Ethik der Appropriation auf die Wurzeln ihres Sports verweisen können, mit dem sie sich ja bestens auskennt. Dass sie es nicht getan hat und sich stattdessen für ihren Auftritt hat feiern lassen, ist menschlich vielleicht verständlich, aber eben nicht sachdienlich. Das Gebot des Privilegien-Checkens endet halt leider nie, selbst wenn man gleichzeitig für sein Verhalten in der Luft zerrissen wird.

Nachtrag, 15.8.: Aja Romano hat auf Vox.com gestern nachmittag einen Artikel veröffentlicht, der gerade die Themen Qualifikationsprozess, Punktewertungen und Breaking-Szene in Australien noch einmal ziemlich genau unter die Lupe nimmt. Er behandelt auch das Thema, welche Absicht Raygun mit ihrer Technik eventuell verfolgt, zu der man sicher geteilter Meinung sein kann. Lohnt sich auf jeden Fall, ihn zu lesen. Auf diese Art von Analyse hatte ich die ganze Zeit noch gewartet.

Foto von Ilja Tulit auf Unsplash

Thüringen 2024, Shell Game, Judging Amanda Knox, 130 Liter: Vier Podcast-Kurzkritiken

Eigentlich wollte ich im Sommer keine Höreindrücke schreiben, aber dann kamen doch ein paar neue Produktionen des Wegs. Heute geht es um Explainer, KI und True Crime.

Thüringen 2024: Was wäre, wenn? (Hauseins/Verfassungsblog)

Ein brennendes Thema. Eine sehr gute Herangehensweise, die Gefahren in Thüringen über Bedrohungsszenarien greifbar zu machen. Mit Steffi Groth eine erfahrene und sehr sympathische Host. Klingt aber trotzdem hart nach Hausaufgaben. Ich sehe zwei Gründe: Erstens geskriptete Interviews mit den Co-Hosts vom Verfassungsblog, die dadurch, dass sie Ablesen, leicht ins Leiern kommen (Mein Vorschlag: Entweder echte Co-Moderation oder echte Interviews). Zweitens sehr lange O-Töne von Expert:innen (oft dazu noch im Konjunktiv!) ohne einordnende oder zusammenfassende Einschübe. Alles keine Dealbreaker, erhöht aber die Komplexität und Trockenheit.

Shell Game (Evan Ratliff)

Indieproduktion des Journalisten (Wired, Longform), in dem er seine eigene Stimme klont, in diversen Experimenten auf die Welt (bisher: Kundenservice, Scammer, Selbstgespräche) loslässt und laut über seine Beobachtungen nachdenkt. Dicht und unterhaltsam erzählt. Hat die persönliche Komponente, die ich für solche Formate unerlässlich finde, wie schon öfter an dieser Stelle erwähnt. Vergegenwärtigt noch mal, wie weit KI im Audio-Bereich schon gekommen ist.

Judging Amanda Knox (Undone/Der Spiegel)

Ich habe Khesrau Behroz ja letzte Woche für LÄUFT interviewt, und alles was in dem Gespräch steckt, ist im Grunde auch mein Eindruck. “Judging Amanda Knox” ist, wie immer bei Undone, erzählerisch auf höchstem Niveau. Khesrau und Alexandra Berlin ergänzen sich auch sehr gut. Die Musik ist diesmal wirklich ein deutlicher Charakter. Aber ich finde diese Meta-Reflexion (diese Woche erscheint Episode 4, in der über True Crime reflektiert wird, in den freien Feeds) nicht so tugendhaft, wie sie tut, weil mir eine klare These oder ein Richtungsvorschlag an ihrem Ende fehlt. Khesrau hat Großes für den Schluss in Episode 8 angekündigt. Ich werde auf jeden Fall noch dranbleiben.

130 Liter: Streit um unser Trinkwasser (DLF)

Ein großes Thema mit moderner Haltung aber zeitlosen Mitteln erklärjournalistisch heruntergebrochen. Mir haben vor allem die Reportage-Elemente gefallen, in denen Protagonist:innen vor Ort zu Wort kommen und Reporter:innen auch DInge berichten können, die sie sehen oder erleben. Das macht alles viel greifbarer, gibt einem dieses Radio-Gefühl und hat bei mir viele positive Erinnerungen etwa an “Planet Money” geweckt. Ein bisschen traurig finde ich das allgemeine Musik- und Sounddesign, aber so isses halt: Deutschlandfunk’s gonna deutschlandfunk.

Wild Crimes, Animal, Weird Animals, Die Anschlags – vier kurze Podcastkritiken

Für die Höreindrücke habe ich diese Woche drei Podcasts gehört, die mit Tieren zu tun haben, und einen über Spionage.

Wild Crimes (ARD)

Ich finde, dass hier ein journalistisch gut aufbereitetes und spannend genug erzähltes Thema völlig dadurch ruiniert wird, dass es unnötigerweise in den True-Crime-Frame gestellt wird. Mir hätte es völlig gereicht, zu erfahren, wie schwierig die Abwägung zwischen Tierschutz, Menschenschutz und Wirtschaftsschutz in einer Welt ist, in der die Zivilisation die Wildnis fast völlig zurückgedrängt hat. Als zentrales Mysterium zu postieren, wer einen Bären tatsächlich erschossen hat, fand ich ein zu großes Zugeständnis an ein ohnehin überstrapaziertes Genre, auch wenn ich vor der Marketing-Idee dahinter knirschenden Respekt habe.

Wild Crimes in der Audiothek

Animal (New York Times)

Ich wiederhole mich, aber von solchen Podcasts wünsche ich mir auch in Deutschland viel mehr – das Personal dafür gäbe es im Feature-Bereich auf jeden Fall. Einzelne Personen, die auf eine persönliche Erkenntnmission gehen und die Geschichte auch durch ihre Brille erzählen. Hier: Was verbindet uns mit Tieren, was trennt uns? Die erste Episode ist nur 15 Minuten lang und erzählt die Geschichte von zwei Haustieren des Autors, in Folge 2 geht es 45 Minuten nach Island, um Papageientauchern beim Erwachsenwerden zu helfen. Das geht zusammen und es klingt toll. Podcasts sind ein sehr gutes Medium für den Personal Essay.

Animal hören

Weird Animals (Undone/ARD)

Uff. Ich glaube, das Format kann funktionieren, wenn es sich ein bisschen eingegroovt hat. Die Hosts sind auf jeden Fall die richtigen (auch wenn ich Robinga Schnögelrögel persönlich nicht sympathisch finde) und die größeren Themen, die sich andeuten, klingen relevant. Aber mir hat das Gespräch in Folge 1 noch zu viel Mischung aus Trockenheit, gequältem Humor und “Das habe ich leider auch nicht rausfinden können”. Die Chemie und der Rhythmus passt noch nicht ganz. Das kann man als “authentisch” feiern, aber ich finde immer noch, dass ein (auch komisches) Wissensvermittlungsformat die Zeit seines Publikums wertschätzen sollte.

Weird Animals in der Audiothek

Die Anschlags (WDR)

Mir sind zwei Dinge aufgefallen: Erstens, wie gekonnt die Doku mit verschiedenen Zeit- und Erläuterungsebenen jongliert, ohne dass man den Faden verliert (auch wenn es zwischendurch wirklich recht kompliziert ist). Zweitens, dass sie ihre Geschichte fast konsequent linear erzählt und man nur deswegen dranbleibt, weil man wissen will, wie es weitergeht, auch ohne dass ständig lautstarke Ankündigungen gemacht werden, wie krass diese Recherche ist – das merkt man nämlich von selber. Habe ich abonniert und werde ich fertighören.

Die Anschlags in der Audiothek

Row Zero, Feuerzone, 15 Minuten, Fur and Loathing: Vier Podcast-Kurzkritiken

Zweimal Rammstein, ein neuer Daily-Podcast der Tagesschau und ein True-Crime-Fall im Furry-Milieu. Höreindrücke sind schnelle Meinungen von mir zu vier neuen Podcasts nach dem Anhören weniger Episoden. Alle zwei Wochen (meistens) neu, hier und auf LinkedIn.

Rammstein – Row Zero (NDR) und Feuerzone: Das System Rammstein (SZ)

Kulturelle Artefakte wie dieses sind ein Geschenk: Zwei Medien recherchieren gemeinsam, veröffentlichen gemeinsam, gehen dann aber auseinander und bereiten ihr Rohmaterial, angereichert durch zusätzlichen Kontext, noch einmal separat als Podcast auf. Als Kritiker kann man sich so zwischen zwei alternativen Universen der Rammstein-Podcasts bewegen und feststellen: Beide sind in ihrer Unterschiedlichkeit gut geworden. An Row Zero fand ich beeindruckend, wie konsequent der Podcast in der Perspektive der mutmaßlichen Opfer bleibt und ihr auch Erläuterungen (etwa des Rechtssystems oder der Historie von Rammstein) gegenübergestellt, die Synthese beider Elemente aber den Hörenden überlässt. Von Feuerzone habe ich bisher erst eine Folge gehört und ich finde den Ansatz interessant, auch einen kulturjournalistischen Rundumschlag zu wagen und die Rolle der Medien zu beleuchten. Eine ausführlichere Kritik und hoffentlich ein paar Hintergründe gibt es dann in der nächsten Ausgabe von Läuft.

Row Zero

Feuerzone

15 Minuten (Tagesschau)

What if Nachrichten but angekumpelt. Dass hier “Tagesschau” draufsteht ist eigentlich irreführend, denn 15 Minuten ist mit seiner Mischung aus eher weichen News, Servicejournalismus und Anekdotenanreicherung durch die Hosts eigentlich viel eher ein “Morgenmagazin” in Podcastform als eine “harte” Nachrichtensendung. Für alle, die sowas gerne als täglichen Begleiter haben möchten, ist es solide gemacht, vor allem in seiner Auswertung der restlichen ARD-Berichterstattung. Aber ich finde nicht, dass es einen Mehrwert zu ähnlichen Formaten oder einfach gegenüber morgendlichem Radiohören bietet.

15 Minuten

Fur and Loathing (Brazen)

2014 gab es einen mutmaßlichen Giftgasanschlag auf eine Convention der Furry-Subkultur in den USA, der nie ordentlich aufgeklärt wurde. Klingt nach einer guten Mischung für einen Podcast. Ist es auch. Ich sehe allerdings Probleme mit der journalistischen Haltung des Reporters, der von Anfang an klarmacht, dass er hier vor allem den Marginalisierten zur Seite springen will. Das führt gelegentlich zu Verzerrungen in der Perspektive und Formulierungen, wie sie öfter im “aktivistischen” Journalismus zu erleben sind, etwa das wiederholte Betonen der Wichtigkeit des eigenen Falls im Vergleich zu anderen Themen. Die Geschichte hat mich aber genug gehookt, dass ich wissen will, wie es weitergeht. Noch eine interessante Formatbeobachtung: Ein Interview mit dem Verantwortlichen vor dem Start des Podcasts in den Feed zu packen, das die Mission erklärt und den Inhalt teast, finde ich eine super Idee.

Fur and Loathing

Wer? Wie? Buzz?, I Will Survive, Systemeinstellungen, Milli Vanilli – Vier Podcast-Kurzkritiken

Ein neuer Kinderpodcasts. Drei neue Dokus aus ganz unterschiedlichen Häusern.

Wer? Wie? Buzz! (Spiegel)

Total super finde ich die Idee, die Zielgruppe (Kinder im Mittelschulalter) selbst an den Drücker zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Themen abzuwählen oder Nachfragen zu stellen. Merkwürdiger finde ich den Wettstreit zwischen den Moderator:innen um Redezeit (mit reinrufendem Schiedsrichter und sehr dehnbaren, unsichtbaren Regeln) – aber eventuell ist genau sowas ein Feature, was langfristig die parasoziale Beziehung zum Podcast sicherstellt. Wer gewinnt wohl diese Woche? Was ist der Wetteinsatz? Zu lernen gibt es, wie immer, auch viel für Erwachsene. In meinem Fall hat es außerdem zwei Tage gedauert, bis ich das Wortspiel im Titel kapiert habe.

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I Will Survive – Der Kampf gegen die AIDS-Krise (BR)

Was gibt es hier noch zu erzählen, möchte man meinen. Doch das Team hat mehrere sehr gute Protagonisten gefunden, einen starken, sogar regionalen Hook (Freundschaft mit Freddie Mercury in seiner Münchner Zeit) für den Anfang und eine klar formulierte Haltung des Hosts Phillip Syvarth, der selbst zu wenig weiß und erfahren will, auf wessen Schultern er als schwuler Mann heute steht. Durch die persönlichen Geschichten wird das ganze Grauen und die Angst der Zeit gut erlebbar ohne in übermäßige Betroffenheit abzudriften. 

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Systemeinstellungen (netzpolitik.org)

Grundsätzlich erstmal genial, dass auch ein Indiemedium wie Netzpolitik.org einen solchen Podcast produzieren kann. Die Fälle sind gut strukturiert und lebendig geschildert, dabei bordet das Scoring vielleicht manchmal ein bisschen über, aber das kann auch Geschmackssache sein. Was ich mich frage: Führt die Beschreibung der Fälle am Ende noch irgendwohin? Gibt es Lösungsvorschläge oder einen klaren Appell, etwas zu ändern? Oder bleibt es bei der reinen Benennung von (aus Sicht der Autoren) Missständen?

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Milli Vanilli: Ein Popskandal/Blame It On The Fame (Wondery)

Wenn ich eine Dokumentation auf einem Privatsender sehe, erwarte ich etwas anderes, als im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und im Podcast dividiert es sich langsam ähnlich aus. “Blame it on the Fame” ist gewissermaßen die Podcast-Version einer RTL-Doku. Viel Drive, viel Production Value (nicht zuletzt: zwei Sprachen), aber auch viel Oberfläche. Auf keinen Fall schlecht, aber auch nichts für Nerds. Und: Was es für einen Unterschied in der Wirkung macht, ob eine Reporterin mit einer Mission ihre eigene Recherche hostet, wie in der Originalfassung, oder eine dazugeholte Person, die zwar vom Profil her passt, aber halt doch mit der Geschichte nichts zu tun hat. Mutig und gut finde ich die Entscheidung, in der deutschen Fassung alle englischen O-Töne stehenzulassen und nur zusammenfassend zu übersetzen.

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Rest in Exzess, Diagnose: Unangepasst, Vollkontakt, Wir Weltmeister – Vier Podcast-Kurzkritiken

Die Höreindrücke sind zurück. Hier wieder eine erste Meinung zu vier neuen Podcasts, in die ich reingehört habe.

Rest in Exzess – Das kurze Leben von Techno-Legende Mark Spoon (HR/ARD Kultur)

Ich habe an anderer Stelle bereits darüber gesprochen, warum ich denke, dass hier eine Geschichte ohne genug dramatische Kraft auf fünf Folgen gestreckt wurde und sich im Ergebnis erschreckend dünn anfühlt. Außerdem das krampfhafte Installieren einer Co-Host, das eindeutig nicht funktioniert. Meine Vermutung: Ich glaube, hier wurde schlecht geplant. Es gab halt Geld für einen Podcast mit fünf Folgen, also musste es dann auch einer werden. Immer wieder faszinierend, wie Formatierungsdiktate auch in zunächst scheinbar unformatierten Medien ankommen.

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Diagnose: Unangepasst – Der Albtraum Tripperburg (MDR)

Ich hatte noch nie das Gefühl, dass in einem Projekt das Beste und das Schlimmste von Doku-Podcasts so sehr aufeinandertreffen. Einerseits haben die Autorinnen hier eindeutig ein unterberichtetes Thema aufgetan und es sehr sorgfältig recherchiert. Die Aussagen ihrer Interviewpartnerinnen sind schockierend und berührend. Es war höchste Zeit, dass dieser DDR-Abscheulichkeit und ihren Opfern größere Aufmerksamkeit zuteil wird. Andererseits muss es doch möglich sein, bei solchen Projekten einfach der Kraft einer journalistischen Recherche zu vertrauen, statt in der Präsentation alles mit Sounddesign, (beeindruckend eingespielter) Musik und vor allem mit völlig überflüssigen Ich-Bezügen der Hosts (“Ich stelle mir vor, mir würde das passieren, total krass”) emotional “aufzufüllen”. Sehe nur ich das so?

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Vollkontakt (ACB Stories)

Ich hatte mich schon darauf eingestellt, mal wieder einen “Ich bin alt und hier eindeutig nicht die Zielgruppe”-Beitrag zu schreiben. Aber die Kombi aus sehr albernem Quatsch und tieferen, von eigenen Erfahrungen und Gedanken geprägten Diskussionen von Don Pablo Mulemba (den ich ja aus “Springerstiefel” kannte) und Hakan Halaç hat mir wirklich gut gefallen. Laberpodcasts darf man wirklich endlos iterieren, bis für jeden einer gefunden ist.

Wir Weltmeister – Auf der Suche nach 2014 (NDR)

Als jemand, der sich wenig (aber immer mal wieder) für Fußball interessiert, war ich hier erstaunlich schnell an Bord. Tiefer Zugang zu den Protagonisten trifft auf eine klare Fragestellung. Der Ton pendelt zwischen leicht und ernst, verliert aber die zentrale Frage (Wie war das damals und was ist passiert?) nicht aus den Augen. Dazu gibt es immer die richtigen Töne aus dem Archiv. Dass “Wir Weltmeister” ein TV/Podcast-Hybridprodukt ist, merkt man manchmal ein bisschen, aber der Podcast kommt einem nicht wie eine Zweitverwertung vor. (Nachtrag: Hab mich gefreut, dass Marc Krüger parallel die gleichen Gedanken hatte.)

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Ein Bonus-Höreindruck: Durch das Interview von Su holder mit Anne Will habe ich angefangen, ihren Podcast “Politik mit Anne Will” zu hören. Ich finde ihn gut und fokussiert und habe ihn aktuell in meine Wochen-Rotation aufgenommen.

Meine Newsletter-Roll

Nachdem ich zuletzt mal aufgeschrieben habe, welche Podcasts ich so höre, dachte ich, ich mache das gleiche mal mit Newslettern. Newsletter haben bei mir zunehmend die Rolle eingenommen, die früher Blogs hatten, sowohl für die Meinung spezifischer Autor:innen, als auch für Linkempfehlungen. 

Ich habe vor vielen Jahren aus Zeitgründen aufgehört einen Feedreader (mein bevorzugter war Netvibes) zu benutzen bzw. regelmäßig aufzurufen, und einzeln steuere ich Blogs nicht mehr an. Newsletter aber liegen in meinem Postfach, so lange bis ich sie gelesen habe, und das ist gut so. Es ergänzt sich auch gut mit meinem Artikel-Speicher Pocket, da ich alles Relevante so in zwei Apps auf meinem Telefon lesen kann.

Ich habe versucht, ein paar Überkategorien zu definieren, aber über manche Newsletter bin ich auch einfach unabhängig vom Thema gestolpert. Besonders empfehlenswerte habe ich mit einem 🚀 markiert. Über weitere gute Tipps freue ich mich in den Kommentaren. Außerdem frage ich mich natürlich, ob ich selbst einen schreiben sollte – oder ob es reicht, regelmäßig darauf hinzuweisen, das man dieses Blog per E-Mail abonnieren kann (linke Seitenleiste).

Podcasts

Beifahrersitz (Denise Fernholz) 🚀

  • Ich mag Denise’ Ehrlichkeit beim Erfahrungen sammeln mit ihrem eigenen Podcast “Sind wir schon da” (den ich ironischerweise nicht höre).

Hören/Sagen (Sandro Schroeder)

Mixdown Weekly (Podstars)

Oh My Pod (Anna Scholz & Carolina Torres)

Narrative Beat (Karen Given) 🚀

  • Karen schreibt ihren Newsletter nicht regelmäßig, aber wenn er mal erscheint ist er immer voll mit richtig guten Ratschlägen und Gedanken rund um narratives Podcasting.

Die Podcast-Entdecker (Bayern 2)

Podcast Hacks (David Streit) 🚀

  • David und ich kennen uns schon sehr lange, und auch wenn ich seinen marketing-gesättigten Stil in diesem Newsletter nicht immer gut finde (das weiß er auch), liefert er mir regelmäßig neue Ideen, was ich in der Podcast-Vermarktung mal ausprobieren könnte.

Podcast Update (RBB)

Medien und Innovation

Blaupause (Sebastian Esser)

Gregor Schmalzried 🚀

  • Gregor denkt über KI mit dem Kopf eines Kulturjournalisten nach. Seine Texte sind sehr konkret und trotzdem voller origineller Gedanken. Dazu gibt es gute Links.

Let’s Push Things Forward (Kevin Schramm) 🚀

  • Ein Mikronewsletter mit einer kleinen, fast-täglichen Dosis Blick auf interessante Dinge irgendwo in der Medienwelt.

Plaintext (WIRED/Steven Levy)

Technologieoffen (Jens Stoewhase)

TextHacks (Anne-Kathrin Gerstlauer) 🚀

  • Der vermutlich nützlichste Newsletter in dieser Liste, auch wenn ich mich frage, wie lange Anne-Kathrin das Thema noch durchhalten kann.

Übermedien 🚀

  • Der Newsletter für Abonnent:innen enthält immer eine Story, die nicht auf der Website zu finden ist, aber in etwas plauderigerem Ton.

Wandel gestalten (Julia Junge) 🚀

  • Julia ist eine Kollegin und gute Freundin von mir und berät NGOs zu (unter anderem) KI. Ich empfehle sie wärmstens!

WIRED Weekly

Kultur

Culture Study (Anne Helen Petersen)

The Future, Now and Then (Dave Karpf) 🚀

  • Ein Politikwissenschaftler, der sich momentan schwerpunktmäßig mit dem Technologie-Optimismus der 90er beschäftigt. Immer sehr gut argumentiert und fundiert.

The Komoy Dispatch (Paul Wolinski)

Pop Culture Happy Hour (Linda Holmes) 🚀

  • Ein kleiner Nachdenktext meist zu aktuellem Fernsehen und manchmal noch gute Linktipps. Ich lese den Newsletter, obwohl ich den Podcast seit langem nicht mehr höre.

Post vom Einheinser (Lukas Heinser)

So Here’s A Thing (Michael Marshall Smith) 🚀

  • Einer meiner Lieblingsautoren mit relativ beliebigen Gedanken zu Leben und Kultur. Ich nehme immer interessante Ideen mit.

Sonstiges

Planet Money (Greg Rosalsky)

Schicht im Schacht (Moritz Hoffmann) 🚀

  • Politik und Geschichte. Sehr gute Einordnungen aktueller Debatten.

ungefiltert (Martin Fehrensen)

Unsnackable (Folu)

Wittkamps Woche (Peter Wittkamp)

Bild: Midjourney/Alex Matzkeit

Mein Podcast-Plan

Ich habe vor kurzem, inspiriert durch einen LinkedIn-Post zu einem verwandten Thema, den “Stundenplan” meiner wöchentlichen Podcasts auf Threads gepostet und ein bisschen Resonanz darauf bekommen. Deswegen wollte ich das hier noch einmal machen und ein bisschen mehr erläutern.

Das hier sind die Podcasts, die ich wöchentlich oder zweiwöchentlich regelmäßig höre, den Tagen zugeordnet, an denen sie erscheinen.

Kursiv geschriebene Podcasts erscheinen zweiwöchentlich.

Dazu kommen monatlich und unregelmäßig erscheinende Podcasts wie Auf Weltempfang, Fashion the Gaze, Imaginary Worlds, Sound School, Tasty MTG, Über Podcast, MKL – Mit Kindern Leben und Abweichendes Verhalten.

Außerdem gibt es Podcasts, die ich abonniert habe, aber meistens nicht höre, außer mich interessieren Thema/Gäst:in besonders oder ich habe gerade mehr Zeit als üblich, zum Beispiel Spreepolitik, Too Many Tabs, The Command Zone, Death, Sex & Money, Longform, Cuts, The Q&A with Jeff Goldsmith, Alles gesagt?, Lakonisch Elegant, Töne Texte Bilder, Brave New World und Quoted.

Zudem gibt es einige Podcasts, die abgeschlossen sind oder nur in Staffeln erscheinen. Je nach Zeitbudget höre ich davon meist auch noch zwei oder drei. Aktuell sind das etwa Justitias Wille und Serial Staffel 4. Neue Staffeln von You Must Remember This, Land of the Giants und Decoder Ring kommen bestimmt demnächst.

Und irgendwie habe ich es in letzter Zeit geschafft, auch noch einzelne Folgen von Neuerscheinungen für meine Höreindrücke zu hören.

Ich weiß, dass das ganz schön viel ist, auch wenn ich zum Glück feststellen konnte, dass ich nicht der einzige mit einem solchen Plan bin. Deswegen hier ein paar Antworten auf eventuell naheliegende Fragen:

Wie schaffst du das?

Zunächst höre ich englischsprachige Podcasts und deutschsprachige Storytelling-Podcasts auf 1,5-facher Geschwindigkeit. Deutschsprachige Gesprächspodcasts höre ich auf 2-facher Geschwindigkeit. Das spart schon mal viel Zeit.

Dann habe ich relativ feste Zeiten am Tag, zu denen ich Podcasts höre. Morgens im Bad (ca. 20 Minuten), auf dem Hin- oder Rückweg zur Kita (20 Minuten), abends beim Aufräumen der Küche (30 Minuten) und meist in der Mittagspause, bei Hausarbeiten oder anderen Wegen (30-45 Minuten). Das sind also meist etwas mehr als zwei Stunden am Tag, und das reicht.

Hörst du wirklich alles?

Nein. Bei This American Life zum Beispiel ist jede dritte Folge eine Wiederholung, die ich in der Regel ignoriere. Ähnlich streng gehe ich mit vielen anderen Formaten um, die ich zwar mag, aber bei denen man auch nichts verpasst, wenn man mal eine Folge auslässt. Ich versuche schon immer die meisten Sachen innerhalb weniger Tage zu hören. Wenn etwas zu lange meinen Queue verstopft und ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr dazu komme, weil immer wieder Neues nachkommt, lösche ich es.

Und das hörst du alles zusätzlich zu deinem restlichen Medienkonsum?

Jein. Diese Podcasts sind mein primärer Medienkonsum. Ich lese zusätzlich viele Newsletter (vielleicht dazu bald mal ein eigener Post) und einige Artikel, die mir über Social Media begegnen, aber ich lese keine Tageszeitung, keine Nachrichtenseiten, gucke keine aktuellen Nachrichtensendungen oder Talkshows und ignoriere tagesaktuelles Nachrchtengeschehen voller Pseudoereignisse meist generell zugunsten von tieferen Analysen mit längerem Horizont. Auch das spart sehr viel Zeit.

Warum sind die Podcasts fast alle amerikanisch?

Als ich vor etwa 15 Jahren verstärkt mit dem Podcast hören angefangen habe, waren Podcasts wie This American Life, Planet Money und Radiolab meine Einstiegsdrogen. Wenn man sich einmal in diesem Ökosystem befindet, stößt man immer wieder auf neue Podcasts aus ihrem jeweiligen Umfeld, und wenn man dann erstmal einen Podcast liebgewonnen hat, fällt es schwer, ihn irgendwann aufzugeben. Aber dann ist der Stundenplan eben auch schnell voll und es ist für neue (deutsche) Podcasts schwieriger, sich einen festen Platz zu erstreiten.

Was sind das für Podcasts?

Ich bin Kultur- und Medienjournalist, daher stammen auch viele Podcasts aus diesem Bereich, etwa das Culture Gabfest, das die Inspiration für meinen eigenen Podcast Kulturindustrie war, Good One (Comedy), All Songs Considered, Switched on Pop und Hit Parade (Musik), 50 MPH (Film), Übermedien und Übers Podcasten (Medien) und Our Opinions Are Correct (Science-Fiction). Dazu kommen einige Informationspodcast auf dem genannten übergeordneten Niveau wie This American Life, Planet Money, Die Wochendämmerung und die Ezra Klein Show. Und einige Podcasts zu meinem Hobby, dem Kartenspiel Magic: The Gathering.

Was fehlt?

Ich vermisse immer noch einen echten Hangout-Podcast, der genau zu mir passt. Was für andere die Drinnies oder Gästeliste Geisterbahn sind – einfach Leute, die über alles und nichts labern und die man als Pseudo-Freunde haben kann. Vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch, aber vielleicht ist dieser Podcast ja auch irgendwo da draußen. Also gerne in den Kommentaren empfehlen.

Juice, NDA – Die Akte Kasia Lenhardt, Phänomenal Paranormal – Drei Podcast-Kurzkritiken

Schon wieder neue Höreindrücke. Kleine Erinnerung: Ich habe von diesen Podcasts meist nur 1-3 Folgen gehört und schildere hier wirklich nur meinen ersten Eindruck.

JUICE (Kugel und Niere)

“Juice” bekommt von mir auf jeden Fall schon mal den Preis für das beste Podcastcover seit langem. Die beiden Hosts haben echte Chemie, und ich mag es, wie sie die Geschichten, die sie sich erzählen, spontan ausschmücken und ihnen eine eigene Note geben. Ändert nur nichts daran, dass ich milde peinliche Geschichten, die anonymisierten Leuten passiert sind, die ich nicht kenne, einfach gar nicht interessant finde. Entsteht die Saftigkeit von solchem Gossip nicht dadurch, dass man sein eigenes Bild der Person mit der Handlung der Geschichte abgleicht? (Wertfreies Alter-Mann-PS: Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, welche Menge an scheinbar beliebigen deutschen Wörtern Gen Z beim freien Reden durch ihr englisches Äquivalent replaced.)

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NDA – Die Akte Kasia Lenhardt (Der Spiegel)

Die beiden Hosts thematisieren es am Ende der ersten Folge selbst: Dieser Podcast ist ein Drahtseilakt. Einerseits hat man mit Original-Sprachnachrichten eines mutmaßlichen Gewaltopfers ein wertvolles Audio-Artefakt, das man gerne präsentieren möchte. Andererseits bewegen sich große Teile der Reportage zwischen banalen Fakten (Orten, Zeiten) und unprüfbaren Verdachtssituationen, um die das Format daher ständig umständliche sprachliche Volten schlagen muss, damit es juristisch sauber bleibt. Schließlich ist da auch noch der Widerstreit jeder Investigativrecherche in prominenten Milieus, zwischen einem ernsthaften Wunsch nach Aufklärung und dem Gefühl, nah dran am True-Crime-Sensationalismus zu sein. Insbesondere wenn man auch noch eine spannende Geschichte erzählen will, die über mehrere Folgen trägt. Ich finde den Weg in der ersten Episode professionell, aber noch holprig. Mal gelingt der Spagat, mal nicht.

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Phänomenal Paranormal (BosePark/Podimo)

Manchmal denke ich, ich sollte aufhören Podcasts zu hören, für die ich nicht zur Zielgruppe gehöre. Allerdings kann ich die hier auch nicht eindeutig identifizieren. 15-Jährige, die sich zum ersten Mal mit dem “Paranormalen” beschäftigen? Gelangweilte Erwachsene, die Gruselgeschichten erzählt bekommen wollen? Menschen, die psychologische Erklärungen für Urban Legends suchen? Das Presenter-Duo soll anscheinend alle Quadranten abdecken, passt aber nicht so wirklich gut zusammen. Vor allem hatte ich den Eindruck, Marc Augustat hätte das Format lieber alleine gemacht. Er bekam aber aus Reichweitengründen einen jungen, lustigen Sidekick zur Seite gestellt, den er zähneknirschend akzeptiert hat, weil man das halt heute so macht – und weil es sonst vielleicht gar keinen Podcast gegeben hätte.

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Soll ich in deinen neuen Podcast mal reinhören? Oder (Hybris!) willst du mich gleich für eine Neuentwicklung dazuholen? Schreib mir.

11 Leben Staffel 2, Fuck You Very, Very Much, Kakadu bei euch – Drei Podcast-Kurzkritiken

Es sind Markus-Kavka-Wochen bei den Höreindrücken. Das ist aber Zufall.

11 Leben – Die Welt von Lothar Matthäus (WakeWord/RTL+)

Es gibt nur ein’ Max-Jakob Ost, aber ich verstehe den Wunsch von RTL, einen erfolgreichen Podcastfeed nicht verwaisen zu lassen. Ich finde auch, dass Markus Kavka eine gute idee für einen Host ist, als ähnlicher Jahrgang und Co-Franke von Matthäus. Und natürlich klingt das Ergebnis anders als bei der Kulturgeschichte des deutschen Fußballs, die Max mit hoher persönlicher Motivation vor drei Jahren geboren hat. Weniger verkopft, mit einem etwas onkeligen Kavka, der wahllos seine eigene Biografie als Vergleichspunkt heranzieht und sich sehr oft vorstellt, wie es denn wohl gewesen sein könnte (mein unliebstes Podcast-Stilmittel, insbesondere wenn es wie hier mit Captain-Obvious-Sounddesign gepaart wird). “11 Leben: Das Sequel” ist nicht verkehrt, aber es ist eher Infotainment und dürfte anders als Staffel 1 wenig Menschen ansprechen, die sich nicht sowieso für Fußball-Legenden interessieren. Passt wahrscheinlich ganz gut zur Marke RTL.

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Fuck You Very, Very Much! (Kugel und Niere/ARDKultur)

Kugel und Niere hat das Format des “Umgekehrten Interviews” (eine Person hat Infos mitgebracht, die andere reagiert) raus, und “Fuck You” ist keine Ausnahme. Das Host-Duo Markus Kavka und Jennifer Weist ist gut gecastet. Die eine bringt Musikindustrie-Erfahrung von innen, der andere von außen mit, und die persönlichen Anekdoten bereichern die Erzählungen von berühmten Pop-Fehden nicht immer gehaltvoll aber meist unterhaltsam. Alles in allem ist das Format vor allem fluffig und dürfte Musiknerds wenige neue Erkenntnisse bieten, aber so ist es vermutlich auch gedacht. Geiler Titel.

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Kakadu bei euch (Deutschlandfunk)

Neues Format innerhalb des “Kakadu”-Podcast-Feeds, in dem Kinder sich und ihre Welt vorstellen. Die zwei ersten Folgen porträtieren einen Autoschrauber und eine Jüdin am Schabbat. Mein Kind ist noch einen Hauch zu jung dafür, aber es würde ihm sicher gefallen. Besonders schön ist, wie die Kinder und ihre Sicht auf die Dinge im Zentrum steht. Ich war erstaunt von der schieren Menge an Sound Design, die eingesetzt wird, um die Stücke auszuschmücken. Manchmal fast etwas zu viel für meinen Geschmack. In Folge eins wird zudem gleich mal ein Tipp gegeben, wie man mit minderjährigem Autofahren davonkommt (“Meine Mama wusste nichts davon!”). Der Kakadu hat also eine gewisse Anarcho-Kraft und fungiert gleichzeitig mit seinen Zwischenrufen wie eine Art griechischer Chor – ein Stilmittel, das man sich auch mal für erwachsene Podcasts abschauen könnte.

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In zwei Wochen gibt es keine Höreindrücke, dafür geht es dann los mit dem Podcapril, für den ich ich dieses Jahr das Konzept etwas verändere. Meinungen zu Podcasts wird es also auf jeden Fall trotzdem zu lesen geben.