Mit dem Brechen brechen

Wer sich schon einmal mit einer schwangeren Frau im ersten Trimester unterhalten hat, weiß, dass „Morgenübelkeit” ein gemeiner Marketing-Euphemismus der Schwangerschaftsratgeber-Industrie ist. In den ersten Monaten der Schwangerschaft ist einem nicht nur morgens ein bisschen übel, sondern die kleinsten Trigger reichen aus, um das dringende Bedürfnis zu verspüren, die nächste Toilettenschüssel aufzusuchen. So war es zumindest bei meiner Frau im vergangenen September, weshalb wir regelmäßig Zuflucht im Kino suchten.

Dort fing das Elend aber erst an. Kaum saßen wir in The Party, läuft eine der Figuren auf der Leinwand aufs Klo, um sich dort genüsslich zu übergeben. Meine Frau war in diesem Moment froh, am Rand zu sitzen, denn sie musste ebenfalls spontan den Saal verlassen. Nur wenige Tage später in Atomic Blonde das gleiche. Die stark gebeutelte Heldin verschafft sich im Vomitorium Erleichterung.

Danach schien es egal zu sein, in welchem Film wir saßen. Überall wurde gewürgt. In The Circle arbeitet eine Figur so hart, dass ihr der Stress wieder hochkommt. Sogar in Barfuß in Paris wird ein Charakter seekrank. Trauriger Höhepunkt war dann Darren Aronofskys mother!, in dem nicht nur etwas Undefinierbares ausgespien, sondern kurze Zeit später auch noch ein Neugeborenes zerfleischt und gegessen wird (auch nicht so super für Schwangere). Ich konnte irgendwann ein ungläubiges Kichern nicht mehr unterdrücken, aber im Sitz neben mir wurden echte Kämpfe ausgefochten. Erst Victoria & Abdul befreite uns über einen Monat später von der großen Kino-Kotzerei – oder vielleicht ist auch nur meine Erinnerung getrübt.

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Qualityland

Marc-Uwe Kling beherrscht etwas, was ich das “Humor-Sandwich” nenne. Wie bei allen Satirikern steckt unter Szenen, die oberflächlich witzig sind, eine Scheibe Ernst, doch er untergräbt meist auch den Ernst noch einmal mit einer weiteren Scheibe Humor, was ich für wichtig halte.

Spätestens seit dem dritten Känguru-Band hat er außerdem bewiesen, wie gekonnt er mit Genre- und Erzählstrukturen umgehen kann. Daher versucht Qualityland natürlich ein dystopischer Roman zu sein, der sich an alle Regeln von 1984 und Co hält (Heldenreise eines Einzelnen, der gegen das System rebelliert; Liebe als Motor; Lektionen von einem Mentor außerhalb des Systems; Begegnung mit dem Mächtigen; System erweist sich als robust), und sie gleichzeitig unterwandert (zum Beispiel, indem große expositionelle Info-Dumps von den Charakteren selbst als langweilig kommentiert werden, bezeichnend finde ich aber vor allem auch die Sympathie, die Kling den Maschinen entgegenbringt).

Die Ideen, die dabei entstehen, sind alle nicht neu (Maschinen, die menschlicher sind als Menschen, ist seit Frankenstein ja quasi der Urknall der SF), und die Systemkritik ist für eine informierte Internetleserin alles andere als überraschend, aber es gehört schon eine Menge Können dazu, das Ganze so nahtlos und unterhaltsam zu bündeln. Und eben, sich nicht von der Ernsthaftigkeit mancher Gedanken erdrücken zu lassen, sondern noch eine hoffnungsvolle Scheibe Humor drunterzuschieben, wie es vielleicht auch der Shruggie tun würde.

Unentschieden bin ich, ob ich es gut finde, dass Kling nicht auf Querverweise in sein Känguruverse verzichten kann. Aber ich habe meistens gelacht und nicht gestöhnt, was ich mal als gutes Zeichen werte.

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Warum die Online-Kommunikation von Wizards of the Coast so gut ist

Als ich zwölf war, steckte ich knietief in Elfen, Drachen und Zauberern fest. Ich hatte vor etwa etwa zwei Jahren erstmals den Herrn der Ringe verschlungen, und von dort führte mich der Weg geradezu in die ganze Welt der Fantasy und ihrer angeschlossenen Genres. Nichts jedoch nahm mich innerhalb von kürzester Zeit so gefangen wie das Sammelkartenspiel Magic: The Gathering, das es auch erst seit zwei Jahren gab, und dem ich bald darauf sehr große Teile meiner Freizeit widmete.

Natürlich passte die Hintergrundgeschichte des Spiels gut zu meinen Interessen – es geht um mächtige Magier, die sich gegenseitig mit Kreaturen und Sprüchen bekämpfen, die durch die Karten repräsentiert werden – aber dieses erste “Collectible Card Game” seiner Art hatte auch ein cleveres System entdeckt, wie es seine Spieler bei Laune hielt. Alle paar Monate erschienen Erweiterungen, die mit dem gesamten restlichen Spiel kompatibel waren, es komplexer aber auch immer wieder frisch werden ließen. Der Podcast Planet Money hat mal sehr gut erklärt, warum dieses Prinzip so klug ist.

Im Jahresrückblick habe ich bereits erwähnt, dass ich letztes Jahr, nach rund 17 Jahren Pause, wieder angefangen habe, Magic zu spielen – nicht mit solcher Intensität wie in den 90ern, aber erstmals wieder für mehr als ein paar Stunden Nostalgie einmal im Jahr. Schuld daran ist die Firma Wizards of the Coast aus Seattle, die Magic produziert. Wizards ist es im vergangen Sommer gelungen, mich nachhaltig wieder für das Spiel zu begeistern, weil sie in ihrer Online-Kommunikation einfach verdammt viel richtig machen. “Was denn?”, höre ich dich fragen. Gut, dass du fragst.

1. Transmediales Storytelling

Magic hatte von Anfang an eine erzählerische Komponente, die allerdings wie in vielen Spielen eher als eine Art mystisches Hintergrundrauschen diente. Auf den Karten tauchten Namen von Ländern, Stämmen und Personen auf, die sich aber nur schwer zu einer wirklichen Geschichte verdichteten. Bald entstanden Tie-in-Romane, die aber ebenfalls nur vage auf die Karten Bezug nahmen. Das änderte sich Ende der 90er und es hat sich heute vollständig gedreht. Nun ist Magic, wenn man im richtigen Winkel schaut, eine Fortsetzungsgeschichte mit angeschlossenem Spiel. Im Magic Story Bereich auf der Wizards-Website kann ich die Geschichten lesen, während die Erweiterungen erscheinen – und anschließend entdecke ich auf den Karten Momente und Figuren aus den Geschichten, sowohl in den Bildern als auch in den Mechaniken.

Wizards produziert inzwischen sogar Produkte, die auf dieses Erlebnis abzielen. Im aktuellen Erweiterungsblock “Ixalan” zum Beispiel, suchen vier Fraktionen in einer mittelamerikanisch angehauchten Welt nach einem legendären Artefakt. Das Spiel “Explorers of Ixalan” lässt einen diese Suche nachspielen, mit vier Kartendecks, die die vier Fraktionen repräsentieren. Dino-Reiter gegen Vampire gegen Piraten gegen Meermenschen.

Mich erfüllt dieses Erlebnis tatsächlich jedes Mal wieder mit Freude. Erzählung und Spiel sind bei Magic genau richtig aueinander abgestimmt. Die Karten dienen nicht nur der Geschichte, das würde die Spielmechaniken zu sehr einschränken. Die Geschichte wurde auch nicht um die Karten herumgestrickt, was dramaturgisch zum Äquivalent eines schlechten Jukebox-Musicals führen würde. Sondern beide Medien existieren in Einklang und reflektieren einander. Und anders als früher muss ich für das transmediale Erlebnis nicht einmal mehr Romane kaufen – ich lese einfach kostenlos im Netz.

2. Starke Markenbotschafter

Den Begriff der Markenbotschafter habe ich von Kerstin Hoffmann. Sie beschreibt, wie wichtig es ist, dass Menschen aus Unternehmen im Netz sichtbar nach außen auftreten, um anderen die Identifikation zu vereinfachen. Ich glaube: Wizards of the Coast und Magic wären heute nicht wo sie sind ohne Mark Rosewater. Der Head Designer von Magic, der seit 20 Jahren im Unternehmen ist, personifiziert es wie kaum jemand anderes. Er schreibt auf der Magic Website wöchentliche Artikel, er hat einen eigenen Podcast, den er auf der Fahrt zur Arbeit aufnimmt, und er interagiert mit seinen Kunden auf Twitter und Tumblr als wäre das sein einziger Job.

Auch wenn Rosewater nicht die angenehmste Sprechstimme hat (das muss ich leider sagen), ist er enorm gut darin, die Prozesse innerhalb von Wizards transparent und glaubwürdig zu beschreiben und zu erklären ohne zu viele Interna zu verraten. Für diese Transparenz musste Rosewater, wie er sagt, kämpfen, aber für mich macht sie einen großen Teil der Faszination aus. Zu erfahren, welche Prozesse das Unternehmen durchläuft um zu den Produkten zu kommen, die letztendlich beim Kunden landen, lässt mich nicht nur von einem ähnlichen Job träumen, es hilft mir auch, dem Produkt zu vertrauen.

Längst hat sich Rosewater mit einem Team anderer Autoren umgeben, die ebenfalls fast alle nicht nur Pressefuzzis sind, die für die Website möglichst glattpoliert aufschreiben, wie großartig ihr Unternehmen und ihr Produkt ist, sondern zu großen Teilen selbst an der Herstellung von Magic beteiligt sind. Sie berichten von ihrer Arbeit und sind häufig zusätzlich in sozialen Medien ansprechbar. Für das interne Monitoring kennzeichnen sie übrigens alle Tweets, in denen sie für ihr Unternehmen sprechen mit dem Hashtag #WotCStaff. Finde ich eine gute Idee.

3. Die Community regiert

Magic wäre logischerweise nichts ohne seine Spieler, weshalb Wizards sich wie oben beschrieben als sehr ansprechbar und offen präsentiert. (Seitennotiz: Ich denke, dass das Unternehmen aus einem ähnlichen Grund keinen eigenen Onlineshop unterhält. Es will den Läden vor Ort, die für sie eine wichtige Infrastruktur zum Abhalten von Turnieren und für die Kundenbindung darstellen, keine Konkurrenz machen.) Doch was mir dazu sofort auffiel, als ich letztes Jahr anfing, die Website zu endecken: Die verlinken ja ständig auf fremnde Seiten.

In der Tat. Was anderswo undenkbar scheint, gehört bei Wizards zur Kommunikationsstrategie. Das Unternehmen agiert nicht als eingemauerter Compound sondern bezieht Blogs, Podcasts, YouTube-Kanäle etc. aus der Community in ihre eigene Firmenkommunikation mit ein. Zur jüngsten Umgestaltung der “DailyMTG”-Homepage fasste Redakteur Blake Rasmussen die Strategie zusammen:

“We started to recognize that the community’s best content creators are its fans. When DailyMTG was first created, we were, more or less, the only show in town. Most Magic sites were mainly forums (…). These days, there are dozens of high-quality sites, podcasts, and YouTube channels that can teach you about the game, help you explore it, show you how to get better, highlight cool tidbits, and gush about the art. StarCityGames.com, ChannelFireball, and TCGplayer have the literal best players in the world producing strategy content for them on a daily basis. Gathering Magic, The Command Zone, Magic the Amateuring, and MTGGoldfish consistently produce fun, relevant content. Hipsters of the Coast, Magic Mics, and Mana Deprived bring you all the news that’s fit to print, talk about, or record. (…) So our goal, and the philosophy around with the new DailyMTG is built, is that we can show you around the wide, amazing world of Magic content and let those fine folks take it from there.

Eventuell ist dies in der Gaming-Welt normal, aber ich habe es so noch nirgendwo erlebt. Was für ein Ansporn, wenn man sich selbst als Fan-Creator sieht. Ich bekomme nicht nur ab und zu mal ein Tätscheln vom Unternehmen, sondern ich werde als Partner im Informationsdschungel angesehen. Sicher kann man auch eine zynische Sicht einnehmen, dass sich hier ein Unternehmen im typischen Sharing-Econonomy-Stil den Content von Fans umsonst produzieren lässt, aber ich glaube das trifft nicht zu. Die Blogs und Videos würden ohnehin existieren. Sie in die Kommunikationsstrategie einzubinden ist einfach ein sehr gutes Community Management und Kundenbindungs-Werkzeug.

Fazit

Ich beobachte die Kommunikationsarbeit von Wizards of the Coast jetzt seit etwa einem halben Jahr. Sicher ist dort nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Sicher gab es immer wieder auch Strategien, die den Fans sauer aufstoßen, oder Produkte und Regelungen, die als Geldmacherei aufgenommen werden. Im letzten halben Jahr allerdings ist mein Eindruck positiv. Magic ist heute, im Gegensatz zu meiner Anfangszeit vor 20 Jahren, ein erstaunlich holistisches Produkt, in dem Fantasy-Flair, Spielspaß und sportliche Turnierszene (einige Menschen verdienen ihr Geld damit, das Spiel zu spielen) perfekt ineinander greifen. Die Kommunikationsarbeit leistet dazu einen bemerkenswerten Anteil.

Das Politische des Privaten: Nazif und der silberne Bär

Nazif Mujic hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag, in dem es heißt, er sei „ein bosnischer Schauspieler“. Das stimmt zwar irgendwie, ist aber nur ein schmaler Ausschnitt einer viel größeren Geschichte, die 2011 beginnt. Damals stirbt das dritte Kind seiner Frau Senada im Mutterleib. Nazif, der als Angehöriger der Roma-Minderheit in der Nähe der bosnischen Stadt Tuslar lebt und an guten Tagen zehn Euro mit dem Sammeln von Altmetall verdient, bringt Senada ins Krankenhaus. Die Ärzte weigern sich zu operieren, wenn das Paar nicht eine unbezahlbare Geldsumme aufbringt. Nur mit einer falschen Krankenkassenkarte gelingt es in letzter Minute, Senadas Leben zu retten.

Nazif ist wütend, schreibt Leserbriefe. Medienberichte rufen den Filmregisseur Danis Tanovic auf den Plan, der die Mujics ihre eigene Geschichte nachspielen lässt und daraus den Film „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ macht. Auf der Berlinale 2013 prämiert die Jury unter Wong Kar-Wai nicht nur den Film, sondern auch seinen Hauptdarsteller. Inspiriert von ihren Erlebnissen in Berlin entscheiden sich Nazif und Senada, in Deutschland Asyl zu beantragen, kehren aber letztendlich nach Bosnien-Herzegowina zurück, wo es ihnen heute schlechter geht als zuvor.

Es ist erstaunlich, wie viele Parabeln sich aus dieser Geschichte ableiten lassen. Ist sie ein Beispiel dafür, wie viele Menschen, sogar Kriegsveteranen, im reichen Europa in bitterster Armut leben müssen? Wie sehr Roma nicht nur in Bosnien sondern überall in Europa als Minderheit diskriminiert werden? Dass man es Menschen nicht verdenken kann, wenn sie unter solchen Umständen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ nach Deutschland kommen – ohne Aussicht auf Bleiberecht? Und es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, Menschen wie Nazif Mujic ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren und ihnen politisch motivierte Preise zu überreichen, wenn doch zu ahnen ist, dass der Ruhm vergänglich sein wird.

Weiterlesen in epd medien 4/18
Featureserie Nazif und der silberne Bär hören

Kulturindustrie 010 Teil 1 – Japanuary

Eine halbe Folge, für die sich Lucas, Sascha und Alex jeweils einen japanischen Film angesehen haben. Zweite Folge folgt nächste Woche.

Wir bitten um den schlechten Ton bei Alex, der in seinem Soundprogramm die falsche Aufnahmequelle ausgewählt hatte.

Links zur Sendung

Japanuary

The Emperor’s Naked Army Marches On

Prinzessin Mononoke

Die verborgene Festung

Schickt uns eure Empfehlungen per Sprachnachricht an podcast@kulturindustrie.de

Real Virtualitys Lieblingsfilme des Jahres 2017

Ich bin zufrieden mit der Anzahl an Filmen, die ich dieses Jahr gesehen habe. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren herrscht wenig Wehmut über Filme, die ich verpasst habe (obwohl es davon auch ein paar gibt, looking at you A Ghost Story), und auch mit der Gesamtzahl von knapp über 100 Filmen und über 50 Kinobesuchen denke ich, eine ausreichende Bandbreite abgedeckt zu haben. Das ist ein gutes Gefühl, vor allem, weil ich ja weiß, dass ich diesen Schnitt höchstwahrscheinlich im nächsten Jahr nicht werde halten können.

Auch mit der Qualität der Filme bin ich zufrieden. Obwohl die beiden großen Oscar-Gewinner vom Anfang des Jahres (La La Land und Moonlight) beide bei mir nicht hundertprozentig zündeten, gab es über das gesamte Jahr hinweg viel Gutes zu sehen und meinen Favoriten, an dem sich alles andere messen lassen musste, konnte ich sogar schon relativ früh festmachen. Als Beobachter des Franchise-Marktes fand ich nur, dass (fast) alles dort produzierte irgendwo zwischen mittelmäßig und schlecht rangierte. Mich konnten weder War for the Planet of the Apes noch der von vielen geliebte Thor: Ragnarok besonders begeistern – am Angenehmsten fiel mir noch Spider-Man: Homecoming auf, weil er endlich mal wieder eine Geschichte erzählte, in der nicht eine ganze Welt auf dem Spiel stand – ein Problem, an dem sogar der ansonsten gelungene Wonder Woman krankte.

Aus der Kategorie teilweise gut würde ich mich die ersten 20 Minuten von Baby Driver wahrscheinlich gerne öfter ansehen, aber der Rest des Films erschien mir dann doch irgendwann erstaunlich seelenlos. Ich wünschte außerdem, der visuelle Erfindungsreichtum von Valerian and the City of a Thousand Planets hätte auch eine zufriedenstellende, weniger zerstückelte Story dazu gehabt. Der Film ist aber auf jeden Fall noch für Bonusmaterial-Sichtungen markiert, ebenso wie ich mir vorstellen könnte, dass es zu Blade Runner 2049 einen tollen Audiokommentar mit dem visuellen Team geben könnte.

Wer mein gesamtes Filmjahr betrachten will kann das auf Letterboxd tun. Aber nun zu meinen Lieblingsfilmen:

Platz 15 – 11 (Lobende Erwähnungen)

Dieses Jahr habe ich tatsächlich einige Filme gesehen, welche die Top 10 nur knapp verfehlt haben. Dazu gehört dann doch Moonlight, dessen Poesie man sich nicht entziehen kann, auch wenn mich die Geschichte weniger berührt hat als erwartet. Außerdem Lady Macbeth für einen Film, in dem kein Charakter wirklich sympathisch ist, The Big Sick für eine Geschichte von Herzen und eine tolle Holly Hunter, Personal Shopper für generelle Weirdness und ein nachhallendes Ende und Hunt for the Wilderpeople, der in Deutschland nur einen Heimvideo-Start hatte. Allesamt sehenswerte Filme! Aber in einer Top 10 kann es eben doch nur zehn geben:

10. Paddington 2

© Studio Canal
Ist Paddington 2 wirklich der zehntbeste Film des Jahres 2017? Wahrscheinlich nicht, aber es tut einfach Not, dass er (genau wie sein Vorgänger) mal ein bisschen Respekt bekommt. Einen Film zu machen, der so herzerwärmend “gesund” ist und der von der positiven Macht einer anständigen Welt erzählt ohne unangenehm konservativ zu werden (wie Coco), ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Das ganze zweimal zu schaffen ist beachtlich und 2017 dringend nötig. Darüber hinaus liebe ich einfach die Britishness von Paddington, vor allem weil auch sie scheinbar mühelos das “klassische” und das “moderne” Bild Großbritanniens miteinander vereint.

9. Western

© Piffl Medien
Mit meinem Podcast-Kollegen Lucas Barwenczik hatte ich vor kurzem ein Gespräch darüber, dass ich in meinem Kunstgeschmack wohl ein emotionales “Mehr ist Mehr”-Prinzip verfolge und deswegen mit wortkargen, beobachtenden, realistischen Filmen öfter meine Schwierigkeiten habe. Western gehört definitiv nicht dazu. Es hat mich beeindruckt, wie geschickt Valeska Grisebach in den Situationen, die sie schafft, tatsächlich Versatzstücke des klassischen Westerns verarbeitet (Cowboys gegen Ureinwohner, Wasserknappheit, Wildnis und Unabhängigkeit, der Mann ohne Vergangenheit) und gleichzeitig eine wahnsinnig gute Geschichte darüber erzählt, was es bedeutet, fremd zu sein. Allerdings nicht mit hundertprozentiger Empathie: Denn als Zuschauer bekommt man den bulgarischen Dialog untertitelt und kann deswegen mehr sehen und erkennen als Hauptfigur Meinhardt – allein das ist schon ein kleiner Geniestreich.

8. A Monster Calls

© StudioCanal
Mich haben mehrere Filme dieses Jahr im Kino zu Tränen gerührt, aber bei A Monster Calls war ich wohl zwei Drittel des Films am Flennen. Ein Kind und eine krebskranke Mutter, das klingt nach manipulativem Sentimentalitätskitsch. Doch ich mochte die Lektionen, die der Film zu vermitteln versucht: Dass das Leben darin besteht, Widersprüche auszuhalten und überhaupt zu akzeptieren. Dass Menschen nicht gut oder böse sind, sondern dass auch liebende Eltern schlechte Entscheidungen treffen können. Für mich lohnt es sich immer, mich darin zu erinnern, vor allem in einem sich ankeifenden Internet, in dem man von einem Menschen oft nicht mehr als ein paar Tweets zu sehen bekommt.

7. Dunkirk

© Warner Bros.
Dunkirk bekommt von mir den Orden am Bande für den verkopftesten Blockbuster. Im Gegensatz zu Darren Aronofskys Kopf finde ich den von Christopher Nolan nämlich faszinierend genug, um seine Ergebnisse immer wieder zu schätzen. Auch wenn die Gedanken hinter Dunkirk – die Erschlagung durch Eindrücke einerseits, die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeiträume andererseits – ebenso sichtbar und unsubtil sind wie die großen Allegorien hinter mother!, interessieren sie mich einfach mehr. Brutalistisches Kino muss auch mal sein.

6. 120 BPM

© Edition Salzgeber
Das Besondere an Robin Campillos Film finde ich, dass er sich nicht damit begnügt, ein Einzelschicksal der Aidskrise in Frankreich zu erzählen. Es geht ihm explizit auch darum, die Geschichte der Bewegung “Act up” auf die Leinwand zu bringen, sonst würde 120 BPM nicht zu viel Zeit damit verbringen, Diskussionen abzubilden und Aktionen inklusive ihrem Vor- und Nachlauf nachzuzeichnen. So schafft es Campillo, Herz und Kopf gleichermaßen anzusprechen, zur Reflektion anzuregen sowohl über das Persönliche als auch über das Gesellschaftliche und darüber, wie beide zusammenhängen.

5. Manchester By The Sea

© Warner Bros.
Weinen gilt ja als ultimativer Ausdruck von Emotionalität im Kino. Bei Manchester by the Sea habe ich das noch getoppt, indem ich angesichts der Ungeheuerlichkeit dessen, was die Rückschau im Film irgendwann enthüllt, sogar in unkontrolliertes Schluchzen ausgebrochen bin. Ansonsten mochte ich die Beiläufigkeit, mit der Kenneth Lonergan in seinem Film klarmacht, dass das Universum nicht mit Casey Affleck trauert. Als ein Charakter stirbt, ist die betreuende Ärztin gerade im Mutterschutz. Menschen sterben, Menschen werden geboren. Es geht weiter. Irgendwie.

4. Jackie

© Tobis
Es ist fast ein ganzes Jahr her, dass ich Jackie gesehen habe, doch einige Bilder und Sequenzen spuken immer noch in meinem Kopf herum. Was ich an Pablo Larraíns Film besonders mochte, ist, wie geschickt er das Spannungsfeld zwischen Persönlichem und Öffentlichkeit eines extrem öffentlichen Menschen beschreibt. Das ist es, was auch mich an Berühmtheit fasziniert – wie inszenieren Menschen sich nach außen? Wie erleben sie selbst diese Inszenierung in ihren privatesten Augenblicken, vor allem in Zeiten größter öffentlicher Aufmerksamkeit? Welche Fragen stellen sie sich dabei?

3. Silence

© Concorde
Ich bin doch erstaunt, wie sehr Martin Scorseses persönliches Opus unter dem Radar geblieben ist. Wahrscheinlich, weil ihm die großen historischen Gesten fehlen, und er trotz seiner epischen Anmutung am Ende nur sehr viele offene Fragen über Glauben (und eigentlich nicht über Religion) stellen möchte, die wahrscheinlich nur wenige Menschen wirklich interessieren, darunter eben mich. Ich fand die gleichen Fragen schon bei The Last Temptation of Christ sehr bewegend: Was ist “wahrer” Glaube? Welche Macht darf Zweifel bekommen? Was bedeutet Versuchung und worin liegt sie? Wie können wir mit unseren inneren Widersprüchen leben? Was zeigen wir davon nach außen?

2. Star Wars: The Last Jedi

© Disney
Unabhängig von allen Streitereien über diesen Film, die mich nach wie vor erstaunen und auch ein bisschen traurig machen: Ich mochte ihn einfach. Nicht wegen seiner Innovation, nicht wegen seiner progressiven Politik (die nehme ich als gegeben hin), sondern einfach weil er mich als Film und als popkulturelles Produkt voll überzeugt hat. Überladen, streckenweise abwechselnd arkan oder albern, aber dennoch immer wieder auf den richtigen Grundtönen landend, die mich extrem zufriedengestellt haben. Es bedarf immer keiner großen Anstrengung, diese Art Filme auf verschiedenen Ebenen (Plotlogik, Worldbuilding, Franchisetreue, Aufrechterhaltung einer Konzernstrategie) auseinanderzupflücken, wahrscheinlich auch, weil es auf diesem Level unmöglich ist, alle Stakeholder zurfriedenzustellen. Am Ende zählt für mich immer nur, ob der Film mit mir als Zuschauer schwingt oder nicht. Und manchmal passt es eben. Das war damals bei den Avengers so – und bei The Last Jedi eben auch.

1. T2 Trainspotting

© Sony Pictures
Ich habe schon an anderer Stelle viel über meinen Lieblingsfilm des Jahres geschrieben, dessen hoher Platz bei mir zu einem gewissen Grad sicherlich auch der Erleichterung geschuldet ist, dass mein Lieblingsregisseur Danny Boyle es nicht verbockt hat. Daher erlaube ich mir, am Ende dieser filmischen Reise, einfach mal, aus meinem Artikel bei “Kino-Zeit” zu zitieren:

Stattdessen geht es in T2 um die Nostalgie selbst. Es geht um das Zurückblicken auf eine vermeintlich geile Zeit, die bei genauerem Hinsehen gar nicht so geil war. Um die Reflektion dessen, was seither passiert ist und was es mit einem gemacht hat.

In T2 Trainspotting gibt es keinen klassischen Sequel-Moment, in dem plötzlich wieder alles wie beim ersten Mal ist, obwohl der Ursprungsfilm sogar materiell mit seinen Originalbildern immer wieder auftaucht, wie ein alter Sample in einem elektronischen Musiktrack. Renton, Spud und Sick Boy fahren zwar gemeinsam an den Ort in den Highlands, an den sie ihr toter Freund Tommy damals geführt hatte, stellen aber sehr schnell fest, dass es dort vor allem ungemütlich ist und der nächste Zug zurück erst in zwei Stunden fährt. Als Renton gegen den Frust anmahnt, dass sie ja wegen Tommy hier sind, widerspricht Sick Boy: „Nostalgia! That’s why you’re here! You’re a tourist in your own youth!“

Erst beim Zusammenstellen dieser Liste und damit beim erneuten Nachdenken über die Filme in ihr ist mir aufgefallen, wie sehr sie auch ein Spiegel der Themen sind, die mich 2017 beschäftigt haben. “Nostalgie”, “Aushalten von Widersprüchen”, “Anstand ohne Konservatismus”, “Fremdsein”, “Glaube und Zweifel”, “Öffentlichkeit und Privatheit” – das alles sind Dinge, auf denen ich persönlich wie politisch, im Internet wie in direkten Gesprächen, nur im eigenen Kopf und in öffentlichen Äußerungen 2017 herumgekaut habe. Viele dieser Themen beschäftigen mich schon länger, manche haben aber 2017 ein neues Gewicht bekommen. Ich bin gespannt ob 2018 – auch angesichts der bevorstehenden privaten Veränderungen – neue Themen hinzukommen.

Real Virtuality 2017 – Persönliche Höhepunkte

Don’t look back in anger

Ich warte ja noch auf das Jahr, an dessen Ende ich nicht sagen kann, dass es aber mal wieder ein ganz schön aufregendes Jahr war. Wer weiß, ob das überhaupt jemals passieren wird? 2017 war es jedenfalls noch nicht so weit – es war ein Jahr, an dessen Ende ich nicht nur einen anderen Job habe als an seinem Anfang, sondern auch kurz davor stehe, eine neue Lebensrolle anzunehmen.

Dies sind ein paar Dinge, die mich dieses Jahr bewegt oder begeistert haben:

Deutscher Evangelischer Kirchentag

2017, mit einem Land im Luther-Wahn, haben wohl auch Menschen etwas vom Kirchentag mitbekommen, denen er sonst egal ist. Ich steckte mittendrin. Wie schon bei den zwei Kirchentagen zuvor, bei denen ich hauptamtlich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht habe, war es auch diesmal wieder sehr anstrengend (das erste Halbjahr 2017 bestand zu großen Teilen aus Arbeit), aber wegen der involvierten Menschen und Themen auch sehr spannend und schön. Wer kann sonst schon von sich behaupten, dass er sich mal mit Barack Obamas Social-Media-Team abgestimmt hat? Auch der finale Gottesdienst vor den Toren Wittenbergs, bei über 30 Grad ohne einen Hauch von Schatten – das war schon was. Warum ich der Unternehmung, die mir so lange zweites Zuhause war, anschließend trotzdem den Rücken gekehrt habe, habe ich hier im Blog aufgeschrieben.

Yoga with Adriene

Um den Kirchentags-Stress etwas auszugleichen habe ich schon vor zwei Jahren in Stuttgart mal etwas Yoga gemacht. Auch dieses Jahr wollte ich das gerne wieder tun, aber anders als vor zwei Jahren gab es kein vertrauenserweckendes Yoga-Studio in der Nähe meines Büros oder Wohnorts. Also habe ich, was ich sonst viel zu selten mache, einfach mal nach YouTube-Videos gesucht und bin auf den Channel von Adriene Mishler gestoßen. Auf “Yoga with Adriene” bietet die Texanerin Yogastunden zu allen möglichen Themen an, unter anderem mehrere “30-Day-Challenges” für die tägliche Praxis. Ihr Charme, Witz und ihre Empathie für das Publikum hat mich so überzeugt, dass ich immer noch fast täglich mit Adriene Yoga mache, was mein Körpergefühl insgesamt doch ziemlich verbessert hat.

Firth of Forth mit der Forth Rail Bridge

Fife Coastal Path

Im großen Sommerurlaub ging es dieses Jahr zum Wandern nach Schottland, freilich in der Yuppie-Variante ohne Zelt und mit Gepäck, das von Ort zu Ort gebracht wird, während man läuft. Der Fife Coastal Path verläuft zwischen den Forth Bridges und der Tay Bridge, die meisten (wir auch) liefen ihn aber nur bis St. Andrews, mit stetigem Blick auf den Firth of Forth, vorbei an Küstenstädtchen und Robbenpopulationen, dem Elie Chain Walk und steinigen Stränden – insgesamt rund 120 km. Sämtliche Logistik lief absolut reibungslos, die Bed-and-Breakfast-Wirtinnen und -Wirte waren allesamt sehr angenehme Menschen, und dieses Gefühl, jeden Tag woanders einzuschlafen als man aufgewacht ist und die Strecke dazwischen selbst zurückgelegt zu haben, empfand ich als sehr befreiend. Die Buchung über EasyWays kann ich also sehr empfehlen. (Davor und danach waren wir außerdem in meiner alten Erasmus-Stadt Edinburgh zu Gast, was noch einmal eine ganz andere Reihe von Erinnerungen aufwirbelte und mein erstes Filmtourismus-Bild produzierte.)

Kulturindustrie

Ich habe schon genug dazu geschrieben, warum es zu meinem eigenen Podcast ein langer Weg war. Aber ich bin nach wie vor sehr froh und stolz, dass ich ihn zu Ende gegangen bin. Dass ich mich alle zwei Wochen mit Lucas, Mihaela und Sascha, drei klugen Menschen, zum Quatschen treffen kann, und dass das dann regelmäßig über 600 Leute hören, ist ein großes Privileg. Und da wir die Themen, über die wir sprechen, relativ demokratisch gemeinsam überlegen, beschäftige ich auch durch den Podcast immer wieder mit Dingen, die ich ohne ihn vermutlich gar nicht kennengelernt hätte, dieses Jahr zum Beispiel der Roman Menschenwerk von Han Kang, das Rapduo Zugezogen Maskulin oder Bryan Lee O’Malleys Comic Snotgirl. Auch die Videospiel-Software Steam hatte ich tatsächlich vor unserer Sendung über The Last Tree noch nie benutzt. Ich bin sehr dankbar für die ständige Horizonterweiterung und gespannt, wohin wir Kulturindustrie nächstes Jahr noch führen können.

Magic: The Gathering

In meinen Entwürfen schlummert ein halbfertiger Artikel über meine Wiederentdeckung des Kartenspiels, das meine Jugend dominiert hat, den ich vielleicht in den nächsten Tagen noch beenden kann. Nur so viel: Es ist vor allem die verdammt gute Medienarbeit von Wizards of the Coast auf ihrer Website, durch die ich festgestellt habe: Ja, es ist möglich, dieses Spiel nicht auf Turnierlevel zu spielen und trotzdem am Ball zu bleiben, auch oder gerade wenn man ein Vorthos ist, wie ich. So viel Spaß wie beim Prerelease von Ixalan hatte ich mit Magic seit langem nicht mehr und ich bin wirklich glücklich, dass die lange Geschichte der Entfremdung mit etwas, was ich mal sehr geliebt habe, 2017 ein gutes Ende genommen hat.

© Wizard of the Coast

Dinosaurier-Reiter, Piraten und eine Gorgonin mit einer Mission: Ixalan | © Wizard of the Coast

Babylon Berlin

Der Nationalstolz-Aspekt des ganzen Diskussions-Phänomens “deutsche Serie” lässt mich kalt, aber ich finde es natürlich trotzdem immer spannend, die Dynamik der Medienlandschaft zu beobachten. Schon bei der Bekanntgabe des Projekts vor anderthalb Jahren hatte ich die Hoffnung, dass die Mischung der beteiligten Player und Ideen tatsächlich zu einem guten Ergebnis führen könnte, und ich wurde nicht enttäuscht. “Babylon Berlin” ist definitiv mein Serienhighlight des Jahres, obwohl ich noch nicht einmal die zweite Staffel gesehen habe. Ich freue mich schon, noch einmal dafür zu trommeln, wenn es nächsten Herbst im Free-TV zu sehen ist.

Star Wars: From a Certain Point of View

Während die “Kontroverse” um The Last Jedi noch tobt, möchte ich ein anderes Star-Wars-Produkt preisen. Star Wars: From a Certain Point of View, in dem Ereignisse aus dem ursprünglichen Star-Wars-Film aus der Perspektive von Hintergrundfiguren erzählt werden, war eins der besten Lese-Erlebnisse meines Jahres – wahrscheinlich irgendwie logisch für jemanden, dem operationelle Ästhetik nach wie vor einen Kick gibt. Ganz abgesehen davon, dass die einzelnen Geschichten teilweise richtig gut und herzerwärmend waren, hat es mich auch begeistert, zu sehen, dass das Star-Wars-Universum gleichzeitig so gut ausdefiniert und so offen ist, dass es diese Art von Projekt erlaubt. Alle Autor*innen können sich individuell austoben und am Ende passt trotzdem alles zusammen, weil die Grundregeln der Welt klar sind. Spannend war es auch, zu beobachten, wie schnell die Ereignisse aus Rogue One in den Kanon übergegangen sind, so regelmäßig wie auf sie Bezug genommen wurde. Ich muss mich nicht genieren, dass ich solche Dinge nach wie vor wahnsinnig faszinierend finde, oder?

Doch noch Kritiker

Gegen die Bezeichnung “Kritiker” habe ich mich lange aus unterschiedlichen Gründen gewehrt. Zum Einen fühle ich mich wirklich mit dem, was ich so tue, immer noch mehr als Journalist, der analysiert und erzählt, denn als Kritiker, der zu einem gewissen Grad auch immer bewertet. Das obwohl die Unterscheidung im Kulturjournalismus kaum zu treffen ist. Zum anderen bin ich vor einigen Jahren mit dem Versuch, Filmkritiken zu schreiben mal ziemlich schmerzhaft gescheitert, was mich zu dem vielleicht etwas feigen Schluss gebracht hat, dass die klassische Form der Kritik einfach “nichts für mich ist”. Über die Jahre habe ich allerdings im Blog immer wieder mit Formen experimentiert und habe dabei anscheinend irgendwie doch eine kritische Stimme gefunden, mit der ich selbst zufrieden bin, und die auch andere Menschen gerne lesen. Ich schreibe inzwischen regelmäßig Hörfunk-Kritiken für epd medien und im Oktober habe ich sogar seit langem mal wieder eine bezahlte Filmkritik geschrieben und darauf viele positive Rückmeldungen bekommen (es hat eher logistische Gründe, dass es bisher bei der einen geblieben ist). Am Ende des Jahres 2017 kann ich also nicht nur nicht mehr so tun, als wäre ich kein Kritiker. Ich habe auch gelernt, dass es manchmal nicht an “können” oder “nicht können” liegt, sondern auch am eigenen Ansatz, und dass es sich lohnt, verschiedene Ansätze zu versuchen.

Cinematic Smash Champion

Als mich Henning im Sommer anschrieb und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mal bei seinem filmischen Debattier-Podcast mitzumachen, habe ich natürlich ja gesagt. Inzwischen aber sind die Cinematic Smash Bros so viel mehr als nur ein Podcast. Daran hängt eine Gemeinschaft von interessanten, filmverliebten Menschen hier aus Berlin und jede Menge Herzblut des Moderators und Organisators. Ein Highlight war deswegen auf jeden Fall das Cinematic Deathmatch Ende November, in dem alle Kandidaten noch einmal zusammenkamen, um gegeneinander zu spielen. Und obwohl ich es selbst nicht für möglich gehalten hätte, ich habe das “Goldene Flaschenmikrofon” mit nach Hause nehmen können. Ein bombastisches Erlebnis.

© Cinematic Smash Bros

Puffling

Eins der Highlights des Urlaubs in Schottland war der Besuch der Isle of May, einer kleinen Insel im Firth of Forth, die vor allem von Vögeln und den Menschen, die sie studieren, bewohnt ist. Unter anderem brüten dort, ähnlich wie auf Skellig Michael, Papageientaucher, englisch Puffins, die sich mit ihren scheinbar viel zu kurzen Flügeln von den Klippen stürzen und wie Hummeln durch die Luft schwirren. Ihre Nester bauen sie in Höhlen dicht unter der Erdoberfläche und nachdem ihre Küken diese Nester verlassen haben, leben diese drei Jahre auf dem Meer und beginnen erst danach selbst zu nisten. Eins dieser fast ausgewachsenen Küken hatte der begleitende Ornithologe auf der Rückfahrt mit ins Schiff gebracht, eine kleinere, grauere Version seiner Eltern. Jeder durfte mal einen Blick drauf werfen und dann entließ er den Puffling in die Winde.

Drei Tage vorher hatten meine Frau und ich festgestellt, dass sie schwanger ist. Nach diesem Erlebnis war klar, wie wir unser ungeborenes Kind fortan nennen würden. Inzwischen ist unser Puffling schon über sechs Monate alt, wir kennen auch schon ihr (zugewiesenes) Geschlecht und blicken gespannt auf den Geburtstermin im April. Eins dürfte damit aber klar sein: Auch 2018 wird wahrscheinlich wieder ein aufregendes Jahr.

Was mache ich nur mit so viel Aufregung? Am liebsten stecke ich sie in Dankbarkeit, denn wie immer wären alle genannten Highlights ohne die Hilfe von sehr vielen tollen Menschen gar nicht möglich gewesen. Ich hoffe, euch geht es am Ende dieses Jahres so gut wie mir und wenn nicht, dann wünsche ich euch, dass es euch bald besser geht. Frohe Weihnachten und alles Gute für 2018!

Mixtape 2017

Wir fangen mit Musik an. So will es die Tradition. Viel Spaß mit meinen Lieblingssongs des Jahres. Die Reihenfolge ist keine Rangfolge, die Songs lassen sich so aber gut hintereinanderweg hören.

SEITE A

1. Selena Gomez – Bad Liar

Der Podcast “Switched on Pop” hat dieses Jahr wieder ganze Arbeit bei mir geleistet. Auch wenn die generellen Theorien über die Poplandschaft weniger geworden sind (ich vermisse Termini-Neuschöpfungen wie den “Pop Drop”), hilft er mir dabei, die Perlen der Charts, die ich nicht verfolge, zu entdecken. “Bad Liar” gehört definitiv dazu. Nicht, weil er wohl auf dem “Psycho Killer”-Riff der Talking Heads basiert (ich finde die Verwandschaft minimal), sondern wegen dieses tollen synkopischen Refrains, dem pling! auf der eins und dem schicken B-Teil, der mit “Oh Baby let’s make …” beginnt.

2. Dan Auerbach – Shine on Me

Ich musste ein Interview mit Auerbach hören, um zu kapieren, dass Mark Knopfler himself hier die Gitarre spielt. Wenn man es weißt, leuchtet es sofort ein. Aber auch ohne das Dire-Straits-Riff macht dieser Song einfach wahnsinnig Laune und eignet sich viel zu gut, um ihn an Sommernachmittagen zu singen, während man durch das Wohngebiet spaziert. Leider konnte mich nicht das ganze Album “Waiting on a song” überzeugen.

3. Judith Holofernes – Charlotte Atlas

Insgesamt konnte mich Judith Holofernes’ zweites Soloalbum nicht ganz so überzeugen wie ihr erstes, aber einige Songs liefen trotzdem bei mir in Dauerschleife. “Analogpunk” natürlich (mit einigen der besten Reime des Jahres wie “Ich Firewall / du Thor Heyerdahl”), der Titeltrack “Ich bin das Chaos” und eben “Charlotte Atlas”, in dem Judith (die ich auch live sehen durfte) aus vollem Rohren “Walk like an Egyptian” channelt, um zu mehr Gelassenheit beim Tragen unserer Sorgen aufzurufen.

4. Satchmode – State of Mind

Einige der Einträge aus dieser Liste stammen aus den “New Music for You”-Playlists von Apple Music, darunter dieser Track. Apple hat anscheinend meine merkwürdige Schwäche für 70s/80s Soft Rock durchschaut und einen Song gefunden, der wie im Labor für mich gezüchtet wirkt. Schummrige Synthies, klimpernde Gitarren, elektronisches Schlagzeug und ein hymnischer, bittersüßer Refrain. “You just keep breaking my heart / It’s only making me love you more” – du Dummkopf!

5. Henry Jamison – If You Could Read My Mind

Coverversionen sind ja im Streamingzeitalter a dime a dozen und viele von ihnen sind das mehrmalige Anhören gar nicht wert. Was Henry Jamison allerdings aus Gordon Lightfoots Song gemacht hat, gefiel mir irgendwie von Anfang an. Er behält den selbstmitleidigen Pathos in der Stimme bei, aber entschlackt das Bett darunter etwas und gibt ihm etwas mehr rhythmischen Umpf. Henry Jamisons Album “The Wilds” ist auch gar nicht verkehrt (insbesondere der Titelsong), aber ihm fehlt die songschreiberische Stärke von “If you could read my mind”.

6. Eddie Berman . You Can Call Me Al

Ein Cover noch, dann kehren wir zu den Originalen zurück. Eddie Berman gelingt es in seiner Gitarrenpicking-Interpretation Paul Simons Klassiker, der ja eigentlich von seinem Synthieriff und seinen stampfenden Drums lebt, eine neue Melancholie zu verleihen. So kommt die ganze Selbstreflektion des Originals ganz anders zum Vorschein.

7. K.Flay – Blood in the Cut

A propos stampfende Drums. Die kommen hier irgendwann dazu und bilden die Grundlage für einen immer größeren Aufbau von Drohkulisse bis zum finalen Refrain, den man dann endgültig mitgröhlen möchte. Ein Song, den ich beinahe selbst gerne mal covern würde.

8. The National – The System Only dreams in Darkness

Zeichen und Wunder! Ähnlich wie auch Arcade Fire und Radiohead gingen The National trotz großer Beliebtheit bei allen musikinteressierten Freunden über all die Jahre nicht an mich. Dieser Song hat das geändert. Ob es an dieser coolen Sologitarre liegt? An dem wunderbar aufrüttelnden Schlagzeug? Oder an “I can’t explain it / any other / any other way”? Erinnert mich jedes Mal daran, dass ich mir auch den Rest des neuen Albums in Ruhe anhören möchte.

9. alt-J – 3WW

Nicht alles, was alt-J auf ihrem dritten Album ausprobieren, gefällt mir. Im Gegensatz zu den beiden Vorgängerscheiben kann ich es nicht immer wieder durchhören. Aber die erste Vorabsingle hat sich in mein Hirn gebrannt. Vom langsamen Intro, über die ersten volksliedartigen Strophen bis zum Einsatz von Ellie Rowsell im letzten Drittel des Songs fließt der Song einfach wunderbar von Stimmung zu Stimmung, anscheinend um eine Outdoor-Liebesgeschichte zu erzählen.

10. Severija – Zu Asche, zu Staub (Psycho Nikoros)

Zu Babylon Berlin wird in diesem Blog dieses Jahr noch etwas mehr zu lesen sein, denn ich mochte die Serie wirklich. Die Musik, und vor allem dieser Track, der in einer fulminanten Szene in Folge 2 für den ersten Höhepunkt sorgt, haben daran auch einen Anteil. Dieses unbeirrbar pulsierende Jazzschlagzeug, über dem sich irgendwann die schwelgenden Tanzorchester-Klänge entfalten, hat einfach was. Es fängt tatsächlich ganz gelungen den Tanz auf dem Vulkan ein, den die Serie aus der Zeit macht, in der sie spielt. Da kann man bei “das bloße Haschen nach dem Wind” schon mal eine Gänsehaut bekommen.

SEITE B

11. Charlie Puth – Attention

Noch eine “Switched on Pop”-Perle. Kein besonders gehaltvoller Song, besonders vom Text, der aber irgendwie meinen R&B-Sweetspot trifft, nicht zuletzt wegen dieser enorm lässigen Bassgitarre im Refrain. Naja und dann ist da noch mein leichter Falsett-Fetisch. Aber darüber rede ich wahrscheinlich besser mit meinem Therapeuten. ;-)

12. Beck – Square One

Beck ist auch einer dieser gefeierten Künstler, dessen Oeuvre mir nie besonders zugesagt hat. Dass er auf seiner neuen Platte das Credo “Full Pop” ausgegeben hat, was einigen Fans weniger gefiel, scheint aber genau für mich gepasst zu haben. “Colors” ist insgesamt ein gut gelauntes, fett produziertes Popalbum, dass sich lohnt. “Square One” hat die schönsten Akkordfolgen, insbesondere im Refrain.

13. Jonathan Coulton – Don’t Feed the Trolls

Trotz mehreren Versuchen konnte ich aus Coultons Konzeptalbum “Solid State” nicht wirklich viel mehr ziehen als diesen Song, der textlich auf englischen Abzählreimen basiert, diese dann aber immer dreht, um irgendwas (ich weiß nicht genau was) über Internetkultur auszusagen. Bleibt locker? Lasst euch nicht fertigmachen? Ruhm vergeht? Egal. Ich mag die paranoide Zeile “Dance like they’re watching you / cause they are watching you”.

14. Julia Michaels – Issues

In Momenten emotionaler Verletzlichkeit hat mich dieser ebenfalls nicht gerade tiefgründige Popsong trotzdem regelmäßig sehr gerührt. Ich mag dieses Narrativ von zwei Menschen, die beide akzeptieren, dass sie Probleme haben und anstrengend seinen können, aber sich lieben und sich miteinander durchschlagen, wahrscheinlich weil es auch meine Philosophie ist. Vor sieben Jahren, beim ersten Date mit meiner Frau, haben wir uns beide unsere größten Schwächen erzählt und damit eine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Beziehung geschaffen. “I’ve got issues, you’ve got ’em too / so give them all to me and I’ll give mine to you. / Bask in the glory of all our problems / cause we’ve got the kind of love it takes to solve them.”

15. 2raumwohnung – Ich bin die Bass Drum (Nacht)

Auch diese Nummer tauchte irgendwann in meiner Apple-Music-Liste auf und natürlich kenne ich 2raumwohnung irgendwie, aber eigentlich auch nicht. Der Track hat mich bisher noch nicht dazu verführt, den Rest des “Nacht und Tag”-Albums zu entdecken, aber seine futuristische Melancholie mag ich einfach.

16. Farin Urlaub – The Power of Blöd

Über Farins Album voller unveröffentlichter Demos gab es ein Radiofeature, über das ich wiederum eine Kritik geschrieben habe. Keiner der Songs blieb wirklich bei mir hängen, bis auf diesen großartigen Nonsens-Song, von dem ich mich wirklich frage, warum er nie auf einem Ärzte-Album gelandet ist und – wie geplant – in endlosen neuen Iterationen live gespielt wird. Enthält die Textzeile des Jahres: “Aber ich muss es singen, weil es hier steht / ich bin nur der Interpret / es ist dermaßen blöd.”

17. Caro – Eyes on the Ground

In einem Jahr, in dem mich das neue Everything Everything-Album doch irgendwie kalt zurückgelassen hat, muss ich mir irgendwie zappeligen Indiepop-Ersatz suchen und das Caro mit diesem Song noch am besten geschafft. War lange der größte Wackelkandidat für diese Liste, hat aber dann doch diese schönen Momente zwischendrin, vor allem diese Gitarrenfigur kurz vor dem Refrain.

18. Steven Wilson – Pariah

In prognahen Medien war zu lesen, dass Wilson mit seinem Album “To the Bone” auf besonders graziöse Weise den Brückenschlag zwischen Art Rock und Pop geschafft habe. Das finde ich nicht, ich finde “To the Bone” klingt halt wie Wilson immer klingt, was immer solide ist, aber immer auch sehr unterschiedlich bei mir hängenbleibt (“Insurgentes”, “Hand. Cannot. Erase.”) oder nicht (“Grace for Drowning”, “The Raven”). In “Pariah” findet er die richtige Kombination aus Harmonien, Sounds, Dramaturgie und Stimmen, um mir zu gefallen. Aber ich spreche trotzdem eine Hörempfehlung aus für alle, die diesen Ausnahmemusiker noch nicht kennen.

19. Lo Moon – This is it

Lo Moon hätten das Potenzial, in Wilsons Jagdgebiet irgendwann mal Teilpächter zu werden. Ihre Songs, von denen es leider immer noch nicht viele gibt, haben auch diese schwelgerische, überzeugte Epik, die gelingen oder albern klingen kann. Noch lieber als “This is it” hätte ich wahrscheinlich die erste Single “Loveless” in die Liste aufgenommen, aber die stammt von Herbst 2016. Dafür klingt “This is it” noch etwas mehr nach 80s Peter Gabriel und das ist doch auch was. Hoffentlich kommt von den Kaliforniern, die sich schon in ihrer Twitterbio als “3 song Band” bezeichnen, bald ein Album.

20. Iron & Wine – Call it Dreaming

Der letzte Song, der sich am Ende des Jahres noch auf die Liste gerettet hat. Einfach weil er trotz seiner sommerigen Stimmung auch perfekt in den kalten dunklen Winter passt. Ich weiß nicht genau, worum es in dem Song geht, ich glaube Vergänglichkeit, aber “Where we drift and call it dreaming / we can weep and call it singing” klingt trotzdem toll. Vor allem in der Stimme von Sam Beam.

21. Sufjan Stevens, Bryce Dessner, Nico Muhly & James McAlister – Jupiter

Es fällt mir durch das Streaming-Zeitalter zunehmend schwerer, mich für ganze Alben zu begeistern, aber dieses Jahr hat es eins geschafft: “Planetarium”, diese merkwürdige Kollaboration aus zwei Indie-Darlings, einem New-Music-Komponisten und einem Drummer, ist dank dieser Menschenkombination dann auch irgendwie ein Gesamtkunstwerk geworden, das vielleicht noch am ehesten mit Sufjan Stevens’ “Age of Adz” vergleichbar ist. “Jupiter” ist das Herzstück des Albums und enthält alle seine Merkmale. Stevensige sanft lullende Melodielinien, plötzlich hämmernde Elektronik, verzerrte Stimmen und weirde Harmoniefolgen und am Ende dieser verdammte Bläsereinsatz, mit dem man die Mauern von Jericho aufs neue zum Einstürzen bringen könnte. Nicht für jeden was, aber voll was für mich.

22. Per Gessle – Känn dej som hemma

Nach über 30 Jahren muss man von einem Songwriter mit so viel Output wie Per Gessle nichts Überraschendes mehr erwarten, und so klangen dann ja auch die letzten Roxette-Alben. Aber solo und auf Schwedisch hat Gessle diese eine Schiene, die er in seiner englischen Popmusik selten erforscht, außer auf “Song of a Plumber”, das zu meinen Lieblingsalben gehört. In diesem Modus denkt er in Instrumentierung und Gefühl an den Folk-Popm seiner Kindheit in den 70ern zurück und lässt sie neu entstehen mit sanften Songs wie “Känn dej som hemma” (Fühl dich Zuhause), mit gleitendem E-Piano, Fiedel, Maultrommel, gedämpfter Gitarre und einem heimeligen Text über jemand, der für seine geliebte Person zu Hause alles so herrichtet, dass sie sich wohlfühlt. Das ganze Album “En vacker dag” (Ein schöner Tag) ist so gefällig – da braucht es keine Hygge-Manuals mehr.

Knapp am Mixtape vorbeigeschrammt, aber dennoch hörenswert: A Perfect Circle – The Doomed, Ibeyi – I wanna be like you, Mew – Carry me to safety, Partner – Everybody Knows, LUWTEN – Difference, Ride – Home is a Feeling, Portugal. The Man – Feel it Still, Charlie Bliss – Black Hole, The Building – Have to Forgive, Set and Setting – The Mirrored Self

Dieses Jahr sehr viel gehört, aber leider nicht 2017 erschienen: Von Wegen Lisbeth – Wenn du tanzt, Aoife O’Donovan – Turn Me On, I’m a Radio, Pyur – Epoch Sinus, The Pineapple Thief – No Man’s Land, Things of Stone and Wood – Happy Birthday Helen, Neal Morse – The Ways of a Fool, St. Vincent – New York

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Die nervige Nostalgiewelle und der einzige Film, der sie begriffen hat

Die zweite Staffel von Stranger Things habe ich schon gar nicht mehr geschaut. Ich kann sie nicht mehr sehen, diese elende Nostalgie in vergangenen Perioden bewegter Bilder. Egal, ob es die Sehnsucht nach der eigenen Kindheit und ihrer Steven-Spielberg-Magie wie in der Serie der Duffer-Brüder oder nach der Zeit der vertikalen Integration von Hollywood wie in La La Land ist. Egal, ob die Nostalgie als geradliniger Geldmacher-Reboot wie Baywatch oder als halb ironisches, halb sehnsüchtiges Spiel mit einer vergangenen Ästhetik wie in Guardians of the Galaxy Vol. 2 daherkommt.

Und egal, ob die Bevölkerung des Internets, gefügig gemacht mit einer Unzahl von Listicles mit Gegenständen, die man nur versteht, wenn man die 1980er erlebt hat, danach verlangt und das Resultat abfeiert: Nostalgie kann nicht für sich alleine stehen. Wer sich von ihr einlullen lässt und das Heute vergisst, läuft Gefahr (in der Terminologie von Literaturwissenschaftlerin Svetlana Boym) von der „reflektiven“ in die „restaurative“ Nostalgie zu wechseln. Er oder sie ruft plötzlich nicht mehr „Hach, früher war auch schön“ sondern „Make America Great Again“.

Der einzige Film, der das 2017 so richtig begriffen hat, ist …

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