“Arschbombe” außer Kontext: Wenn Blogs zu Büchern werden

Ich habe “Sehr gerne Mama, du Arschbombe” von Patricia “Das Nuf” Cammarata gelesen. Ich mochte es und habe ihm auf Goodreads vier Sterne gegeben. Ich hab beim Lesen gelacht, gekichert, geschmunzelt und manchmal sogar nachgedacht. Ich würde “Arschbombe” weiterempfehlen und werde es vermutlich in Zukunft noch öfter verschenken, wenn in meinem Freundeskreis Nachwuchs ansteht.

Ich fand es trotzdem nicht perfekt und ich glaube, dieses Empfinden kommt vor allem daher, dass ich auch seit ein paar Jahren schon Patricias Blog und ihren Twitter-Account verfolge. (Ich habe Patricia auch schon dreimal persönlich getroffen, aber das ist hier gar nicht so wichtig.) “Arschbombe” ist eine Zusammenstellung der besten Geschichten aus Patricias Blog, in dem es vor allem um das Leben mit Kindern geht. Diese zerfallen grob in zwei Kategorien. Manche sind wirklich beinahe direkte Wiedergaben von Erlebtem, pointiert aufgeschrieben, zum Beispiel “U8” über einen Besuch beim Kinderarzt. Andere, zum Beispiel die Geschichte vom vom Furby (die nicht im Buch ist), nehmen ein Erlebnis nur als Ausgangssituation, um es dann zu übertreiben und eine Art Kishonsche Satire draus zu machen.

Keine Chronologie, keine Übergänge

Im Blog, klar, tauchen diese Geschichten in chronologischer Reihenfolge auf, zwischen anderen Posts zu Themen, die Patricia interessieren, zum Beispiel geschlechtergetrennte Produkte, Ausflugsziele für Kinder und Bloggen. Im Buch sind sie grob nach Kategorien sortiert wie “Familienalltag”, “Peinlichkeiten” oder “Andere Eltern”. Es gibt keine Chronologie, keine Übergänge, eine Geschichte folgt einfach nach der anderen. Im ersten Moment gibt es das dritte Kind noch gar nicht, im nächsten ist es im Kindergarten. Aber noch viel merkwürdiger: Auch Patricia, die Ich-Erzählerin und sozusagen die halbfiktionale Hauptfigur des Buchs, ändert sich von Geschichte zu Geschichte. Manchmal ist sie mit Situationen überfordert, mit denen sie beim nächsten Mal schon klarkommt.

Mich hat das verwirrt und ich halte es für einen der größten Fehler bei “Büchern mit Texten aus dem Internet”, die anscheinend recht erfolgreich sind, die Texte ohne Bearbeitung aus ihrem Kontext zu entfernen. Dirk von Gehlen interessiert sich gerade auch sehr für das Thema und natürlich ist es wegen Blendle gerade in aller Medienmenschen-Munde. Die “Arschbombe” hat mir gezeigt warum. Im Buch fehlen die Hyperlinks, es fehlen die anderen Aspekte von Patricias Persönlichkeit, die man im Blog in der Regel mitkonsumiert. Es fehlt das Gesamtbild, das die einzelnen Texte besser wirken lässt.

Geschichten aus 1001 Arschbombe

Damit will ich nicht sagen, dass man aus Blogtexten keine sehr guten Bücher machen kann. Aber ich glaube, gerade in diesem Fall hätte ein bisschen zusätzliche Arbeit sich gelohnt. Die lustigen Episoden hätten nach meinem Dafürhalten eingebettet werden sollen in eine Rahmen-Erzählung, einfach aus der Ich-Perspektive eines Sachbuchs, in der man die Autorin bzw. ihre Erzähler-Persona Stück für Stück besser kennenlernt, während sie immer wieder ins Geschichtenerzählen abschweift. So hätte man dem Buch eine Spannungslinie verpassen können, eine Dramaturgie, die auch dem Durchlesen von vorne nach hinten einen Mehrwert verpasst, unabhängig von den einzelnen Geschichten. Beispiele für diese Art Bücher gibt es genug, von “1001 Nacht” über “Gullivers Reisen” bis “What would Google do”. Klar, ist natürlich auch Arbeit, aber es lohnt sich.

Ich habe Patricia jedenfalls gebeten, im nächsten Buch mehr und unterschiedlichere Seiten von sich selbst zu verarbeiten, unabhängig von lustigen Mini-Episoden. Ich will diesen Teil ihres Blogs einfach nicht missen, wenn ich ihr Buch lese. Mal gucken, ob das klappt.

Essentialismus ist die falsche Waffe gegen YouTube

Erinnert sich noch jemand an Fappygate? Ein völlig bescheuerter und unnötig eskalierter Netzstreit von vor einem Jahr, in dem Sascha Pallenberg und Yasmina Banaszczuk auf Twitter aneinander gerieten und der darin endete, dass Yasmina sich vollständig aus Twitter zurückzog?

Weil der ausufernde, ätzende Sexismus am Ende das wahre Problem war, kann sich wahrscheinlich kaum noch jemand erinnern, worüber die beiden gestritten hatten. Banaszczuk hatte vermutet, dass sich Andreas Rickmann in einem Blogpost an einer ihrer Thesen bedient hatte, ohne sie zu erwähnen. Die These: Bei YouTube passiert Personality-Zeugs, das wir als erste Netzgeneration gar nicht wirklich mitbekommen und das wir nicht ernst genug nehmen.

LeFloid ist ihr Sascha Lobo

Das war vor einem Jahr. Seitdem ist viel passiert. Eine größere Gruppe YouTuber hat sich von ihrem Management losgesagt. Der YouTuber LeFloid hat die Kanzlerin interviewt und bekommt eine eigene Fernsehsendung. YouTube fährt derzeit eine riesige Werbekampagne in Deutschland, in der zwei Gesichter im Vordergrund stehen und nicht das Medium. Kurz: Was Rickmann und Banaszczuk vor einem Jahr noch beklagt haben, dürfte im kollektiven Gedächtnis angekommen sein. YouTuber sind die neuen Blogger. LeFloid ist ihr Sascha Lobo.

Lucas Barwenczik hat auf kino-zeit.de gerade darüber geschrieben, wie YouTuber Filmkritik machen. So, wie sie alles andere auch machen. Sie setzen sich vor eine Kamera und reden drauflos. Und weil Filmkritik für die meisten Menschen nicht gerade Kulturpraxis ist, wie Lucas kurz zuvor in einem anderen Artikel beschrieben hat, besteht diese Kritik vor allem aus der heiligen Dreifaltigkeit Inhaltsangabe, Bewertung, Konsumempfehlung.

Lucas kritisiert, dass die Kritiker auf YouTube ihr Medium nicht besser nutzen. Da haben sie schon Video zur Verfügung, könnten den Film zeigen, statt ihn wie wir Textknechte nur zu beschreiben, und sie machen es nicht. Stattdessen filmen sie sich beim Labern, ergeben zusammen ein “visuelles Vuvuzela-Konzert” – Flachheit, wo Tiefe möglich wäre. (Ich spare den Punkt, dass es in Deutschland keine Fair use-Gesetzgebung gibt und daher das Arbeiten mit Ausschnitten, zum Beispiel für Essay-Kritiken, immer mit deutlich mehr Abmahn-Risiko verbunden ist als anderswo, hier mal bewusst aus.)

Ich kann doch auch nichts damit anfangen

Es ist nicht so, dass ich Lucas’ Sorgen nicht nachvollziehen könnte. Nicht nur, was die Qualität der Filmkritik angeht, obwohl er dort ja nur in einen Chor einstimmt, dem ich als Wiederholer des Mantras “Wenn ihr gute Filmkritik wollt, macht sie selber, aber erhebt keinen Anspruch darauf, dass euch jemand dafür bezahlt” nur bedingt zuhören möchte. Aber ich kann mit YouTube-Vlogging auch überhaupt nichts anfangen.

Und zwar ebenfalls, weil ich es für eine schrecklich inneffiziente Nutzung eines visuellen Mediums halte, sich selbst beim Reden zu filmen. Einen Blogpost kann ich auf dem Handy lesen, während ich im Bus sitze. Einen Podcast kann ich hören, während ich zur Bushaltestelle laufe. Aber um ein YouTube-Video zu sehen, brauche ich sowohl eine Internetverbindung als auch ungeteilte Aufmerksamkeit. Und wenn der Informationsgehalt dann der gleiche wie bei einem Audio- oder Textformat ist, frage auch ich mich: Lesen geht schneller, Hören erlaubt Multitasking. Wann und warum soll ich das gucken?

Beautiful Faces statt Beautiful Minds

Mal ganz abgesehen davon, dass ich alter Sack natürlich keinen Bezug zu den Personen habe, die da reden. Aber in mir glüht auch noch dieser Funke des Blogzeitalters, der mir sagt: Ja ja, damals, als Blogs noch die Revolution waren, da standen noch die Texte im Vordergrund und eben nicht die Persönlichkeiten. Ich lese Blogtexte von Leuten, zu denen ich auch keinen vorherigen Bezug habe oder die hinter einem Pseudonym verschwinden, und ich finde sie trotzdem interessant, weil mich die Argumentation oder der Schreibstil überzeugt. Auf YouTube muss man jetzt plötzlich doch wieder irgendwie attraktiv sein. Statt “beautiful minds” sind jetzt doch wieder oberflächliche “beautiful faces” ein Kriterium.

Doch zum Glück hat das Altesacktum auch Vorteile. Zum Beispiel, dass es einen hoffentlich vor bestimmten Fallstricken bewahrt, über die man zuvor schon mal gestolpert ist. Und es sind diese Fallstricke, die in meinem Denken über YouTube plötzlich in meiner Erinnerung wieder laute Signaltöne abgeben und mich bitten, sie zu beachten.

Kids these Days

Da wäre einmal das “Kids these days”-Phänomen. Jede Generation beschwert sich über diejenige, die ihr nachfolgt. Jede ist der Meinung, dass sie alles selbst besser konnte und dass das, was nachkommt eine verwässerte/pervertierte Version dessen ist, wofür sie noch kämpfen musste/das hart Erarbeitete wieder zunichte macht/die Dinge, die bei uns ja noch einen Sinn hatten, jetzt ins Absurde weiterentwickelt. Manchmal reichen schon zehn Jahre Altersunterschied, um sich so zu fühlen – wie ich immer wieder feststelle, wenn ich Menschen Anfang 20 gegenüberstehe (Als Jahrgang 1983 gehöre ich zu denen, die als letzte in Deutschland noch einen Magister-Abschluss machen konnten, zum Beispiel).

Aber eben weil es ausnahmslos jeder Generation so geht, ist es Quatsch zu denken, dass es genau dieses Mal anders ist (obwohl es immer wieder auch gute Argumente genau dafür gibt). Wer bin ich, dass ich heutigen Jugendlichen vorwerfen darf, dass sie ihr ureigenstens Medium nicht so nutzen, wie ich das gerne hätte? Was unterscheidet mich von den Leuten, die zehn, zwanzig Jahre älter sind als ich und behaupten, Filmkritik in Blogs wäre keine echte Filmkritik? Leuten, die ich gerne zum Ice Bucket Challenge zwangsnachverpflichten würde.

Der zweite Fallstrick ist die Gefahr des Essentialismus. Ich habe eine Magisterarbeit darüber geschrieben, dass manche Filme, die im Computer erschaffene und bearbeitete Bilder nutzen, irgendwie interessanter sind als andere, weil sie die Möglichkeiten der Technologie stärker ausnutzen. Ich persönlich finde diese Filme auch heute noch interessanter, weil ich mich an den Beziehungen zwischen Kunst, Welt und Technik totfaszinieren könnte, aber ich würde nie wieder behaupten, dass sie anderen Filmen überlegen sind. Wenn man einmal damit anfängt, zu glauben, dass man weiß, welche essenziellem Eigenschaften ein Medium, eine Technik, ein Mensch, eine Nation hat, ist man ganz schnell am Rand von sehr tiefen normativen Abgründen, manche von ihnen durchaus gefährlich.

Eigenschaften, die wir gar nicht sehen

Könnte es nicht zum Beispiel sein, dass die Abgefilmter-Rant-Filmkritiken auf YouTube eine Eigenschaft aufweisen, die andere Medien nicht haben? Nämlich dass ich demjeningen, der mir da etwas erzählt, dabei in die Augen sehen kann? “Authentisch” ist das schlimme Wort, das jeder benutzt, wenn er über diese neue Generation von Nischenstars spricht oder schreibt, aber es muss irgendwas dran sein.

In einer wahnsinnig tollen Kritik eines Helene-Fischer-Konzertes tauchte mir mal dieser Gedanke auf, dass die Art von neuartiger Authentizität dazu führt, dass wir als Kulturkritiker diese Gebilde nicht mehr dekonstruieren können. Sie sind so echt und so roh, dass sie sich eigentlich jeder Kritik entziehen. Jede Kritik der Inszenierung wäre eine unfaire Ad-Hominem-Kritik. Und vielleicht ist genau das, was uns so unruhig macht, was uns sagen lässt “Was tun die da eigentlich und warum finden wir keine Maßstäbe dafür?” genau jenes, was ihre Fans mögen. Wir sind nicht diese Fans. Das müssen wir aber auch nicht sein.

Bild via Wikimedia Commons

In eigener Sache: Berlin

Ich wohne jetzt in Berlin. Kann das selbst noch gar nicht so richtig glauben, aber der Unglaube ist auf jeden Fall eher ein freudiger als ein ängstlicher. Ich freue mich darauf, der blühenden Film-Community hier beizutreten und mich unauffällig unter die vielen bereits anwesenden HauptstadtbloggerInnen zu mischen (sie sind hier wirklich überall, es ist eine Plage). Liebe Agenturen, ihr dürft mir ab sofort gerne öfter Einladungen zu Berliner Veranstaltungen schicken – die Möglichkeit, dass ich kommen kann, ist gerade exponentiell gestiegen.

Was der Umzug auch bedeutet, ist, dass dieses Blog jetzt eine Weile still war und vermutlich auch noch ein bisschen sein wird, während Frau Matzkeit und ich dafür sorgen, dass wir endlich wieder Internet in der Wohnung haben und die Fernbedienung für den Fernseher suchen.

Was die Weiterentwicklung des Blogs angeht, wird es wohl auf eine Mischung aus mehreren Faktoren rauslaufen. Den Aggregator spare ich mir, mit Ausnahme meiner Nachhaltigkeit, die mal eine neue Ausgabe vertragen könnte. Aber ich werde versuchen, einen Podcast zu machen (und vielleicht in der Zeit etwas weniger bloggen) und ich werde versuchen, Strukturen zu schaffen, um in diesem Blog noch öfter andere Stimmen vorkommen zu lassen (quasi als Ausgleich).

All das dann bald an dieser Stelle, aber erstmal muss ich mich in der neuen Stadt ein bisschen eingewöhnen. Wer jetzt schon Ideen für Gastbeiträge hat, möge mir schreiben.

Podgast (IX) – “Star Wars: Identities”

Letzte Woche habe ich es geschafft, die Star Wars-Ausstellung “Identities” zu besuchen. Ich fand es toll, so viele Requisiten aus dem Film mal im Original zu sehen, aber die Ausstellung hatte darüber hinaus noch einiges mehr zu bieten. Sie ist Teil einer neuen amerikanischen Event-Museumskultur, die nahe an der Grenze zum Theme Park Ride ist – ähnlich wie Harry Potter: The Exhibition, über deren Mischung aus Fakt und Fiktion ich hier im Blog auch schon geschrieben habe (und die in Deutschland ebenfalls im Odysseum gastiert hat).

Bei “Identities” gab es eine hohe technische Komponente, die ich für das “Techniktagebuch” dokumentiert habe.

Zufälligerweise war mein Blogbro und Star Wars-Überfan Sascha von “Pew Pew Pew” eine Woche nach mir in der Ausstellung – also haben wir uns auf Skype getroffen, um über unsere Erfahrungen zu reden und haben das Ganze in einem Podcast festgehalten.


Der Podcast bei “Pew Pew Pew”.

“Star Wars: Identities” ist noch bis 17. November im Odysseum in Köln zu sehen

In eigener Sache: So kann es mit “Real Virtuality” nicht weitergehen

Es gibt drei Gründe, warum ich blogge.

1. Weil ich muss

Wenn ich viele Dinge lese oder anderweitig aufnehme, die mich interessieren, bekomme ich irgendwann den Drang, sie zu verarbeiten. Seit ich mit dem Studium fertig bin, habe ich nicht mehr so viele Bekannte, mit denen ich auf einem hohen Nerdlevel über Filme reden kann, also ist dieses Blog für mich das beste Ventil. Wenn ich einen Gedanken aufgeschrieben habe, auch wenn es manchmal nur ein kleiner Gedanke ist oder eine leichte Variante von einem Gedanken, den ich schon mal aufgeschrieben habe, geht es mir in der Regel danach direkt besser.

2. Weil ich kann

Dieses Blog gibt mir die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, die mich in einem professionellen Kontext niemand einfach mal so ausprobieren lassen würde. In diesem Blog hat alles Platz. Kurze Gedanken und ellenlange Stücke, Ausflüge in andere Medien und Themen, die eigentlich nur am Rande etwas mit “Film, Medien und Zukunft” zu tun haben. Ich habe auf “Real Virtuality” Podcasts gemacht, Videos veröffentlicht, mich an TV-Recaps versucht, eine sehr krude Infografik gebastelt und und und. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Was klappt und Spaß macht, mache ich öfter. Was nicht so gut klappt, lasse ich lieber.

3. Weil es mir etwas bringt

Ich habe dieses Blog begonnen, als ich noch einen festen Job als Journalist hatte. Ich konnte sowieso jeden Tag schreiben und ins Blog wanderten nur die Sachen, die mir außerdem noch einfielen. Inzwischen schreibe ich deutlich weniger für Geld, aber das Blog trainiert meine Schreibmuskeln nebenher weiter. Das ein oder andere Mal habe ich auch im Blog schon Themen erforscht, für die ich später anderswo bezahlt wurde – manchmal mit einem Artikel und manchmal mit einem Vortrag. Und natürlich gibt es inzwischen einige Leute, die mich wegen meines Blogs kennen. Dieses Blog ist Aushängeschild meiner Persönlichkeit im Netz, meine Visitenkarte, viel mehr als es vielleicht ein Arbeitszeugnis wäre.

Warum schreibe ich diese drei Punkte noch einmal auf? Weil ich eigentlich rekapitulieren will, wieviel mir mittlerweile sechseinhalb Jahre “Real Virtuality” gebracht haben. Denn zurzeit habe ich das Gefühl, ich habe damit eigentlich alles erreicht, was ich erreichen wollte. An einem durchschnittlichen Tag hat “Real Virtuality” zwar nur etwa 80 bis 100 Page Impressions, aber ich weiß, dass das hauptsächlich daran liegt, dass ich nur etwa einmal die Woche blogge.

Das, was ich schreibe hat aber unter anderem dazu geführt, dass ich auf der re:publica auftreten durfte, auf dem Radar von einigen Leuten landete, die ich bewundere, von Seiten verlinkt wurde, nach deren Empfehlungen ich mich sonst selbst richte, und sogar einen echten viralen Hit landen konnte. In diesem undurchsichtigen Blogranking, auf das man nicht zu viel geben sollte, das mir aber trotzdem irgendwo aus Egogründen nicht egal ist, war ich zwischendurch mal auf Platz 5 aller Film- und Fernsehblogs. Völlig absurd. (#humblebrag)

Und ich habe auch das Gefühl, dass sich etwas geändert hat. Als ich angefangen habe, meine kleinen Thinkpieces über aktuelle Mainstreamfilme zu schreiben (die Form, in der ich mich immer noch am wohlsten fühle) gab es im deutschen Netz außer Rajko quasi niemanden, der das gemacht hat. Inzwischen sehe ich, was Lucas Barwenczik drüben bei “kino-zeit” fabriziert oder was Sophie aus ihrer feministischen Perspektive bei “Filmlöwin” macht und ich sehe: ich bin überholt worden.

So kann das nicht weitergehen.

Ich habe den dringenden Wunsch, mich weiterzuentwickeln. Genau wie David Chen bin ich ein bisschen vom New, Different or Best-Gedanken getrieben. Und da ich in zwei Wochen sowieso nach Berlin ziehe, ist jetzt die beste Zeit für einen Neuanfang. Mein Problem ist nur: Ich kann mich nicht entscheiden. Also habe ich mal drei Varianten aufgeschrieben und würde euch, liebe Leser, um eure ehrliche Meinung bitten.

1. Das Medium wechseln

Ich flirte seit Jahren mit Audio. Ich habe einzelne Podcasts gemacht, die ich auch ganz okay fand. Ich war zu Gast in anderen Podcasts. Ich habe über Podcasts geschrieben. Ich höre sehr viele Podcasts. Und ich wollte immer schon Radio machen, auch wenn es dafür professionell nie gereicht hat. Vielleicht sollte ich endlich den Sprung wagen, und vom schreibende ins quatschende Fach wechseln.

Die naheliegendste Idee wäre natürlich, endlich jenen Film-Podcast zu machen, den ich selber gerne hören würde. Der journalistische Herangehensweise, Veröffentlichungsdisziplin und ordentliche Produktion miteinander verbindet. Aber ich weiß nicht, ob außer mir diesen Podcast wirklich jemand hören will.

Ich habe aber auch noch ein paar andere Ideen, die eher in Richtung Interview- und Reportagepodcast gehen. Wie klingt das?

2. Aggregator sein

Es gibt Marcos “Das Bloggen der Anderen” und es gibt den täglichen Pressespiegel bei “Film-Zeit“. Es gibt die Facebookseiten von “Revolver” und “crew united“, um einen guten Überblick über lesenswerte, auch deutschsprachige Filminhalte im Netz zu bekommen. Aber ich träume nach wie vor davon, ein “6 vor 9” für Film zu bauen. Jeden Tag, oder vielleicht auch jeden zweiten Tag, eine gut sortierte Auswahl von wirklich interessanten oder anderen Webinhalten über Film.

Ich weiß, dass das wahnsinnig viel Aufwand ist. Man muss ja erstmal alles lesen, bevor man es empfehlen kann. Jeden Tag! Ich glaube, ich könnte es nur umsetzen, wenn ich mich für meine Zeit irgendwie bezahlen lassen würde, zum Beispiel über Crowdfunding oder einen Sponsor, damit ich im Zweifelsfall auch jemanden als Vertretung oder Unterstützung engagieren könnte. Denn für einen Aggregator gilt das gleiche wie für Facebook: “If those servers are down for even a day, our entire reputation is irreversibly destroyed!”

3. “Real Virtuality” öffnen

Eins der Dinge, die ich an der Arbeit in meinem Feld schätze, ist die Zusammenarbeit mit anderen. Das ist der Grund, warum ich diese ganze Filmblogosphären-Kiste angezettelt habe und es ist auch der Grund, warum ich öfter sage, dass ich mich persönlich eigentlich eher als Redakteur denn als Autor sehe. Eine “Edelfeder” war ich noch nie, aber ich kommuniziere und organisiere gerne, identifiziere Themen und weise dann andere darauf hin, die viel besser damit umgehen können als ich.

Auf “Real Virtuality” habe ich schon ab und zu mit diesem Gedanken gespielt. Ich hatte Gastbeiträge und habe mich mit Leuten schriftlich zum Gespräch getroffen. Ich fände es cool, wenn “Real Virtuality” noch mehr zu einer Adresse werden würde, wo nicht nur ich sondern auch andere Leute sich ausprobieren können. Kein eigenes Blog? Veröffentliche hier. Unsicher ob bloggen was für dich ist? Ich bin dein Redakteur und helfe dir da durch, gemeinsam schaffen wir Großartiges. Oder willst du mal von mir ein Thema verpasst bekommen, als Inspirationshilfe? Auch kein Problem. Stärker in die Redakteursrolle zu gehen, Menschen zu fordern und zu fördern, fände ich irgendwie ziemlich cool. Wenn es klappt und irgendjemand das will. Geld habe ich natürlich keins, die Redaktion wäre die Bezahlung.


Wie soll es weitergehen? Helft mir beim Nachdenken, bitte. Ich bin für jede Rückmeldung dankbar. Wenn ihr euch nicht in den Kommentaren verewigen wollt, schreibt mir einfach eine Mail. Aber ich mache das eben nicht nur für mich, sondern inzwischen auch für euch. Und deswegen schätze ich eure Meinung sehr.

Wie Cloud Atlas das “Ende der Erzählungen” beendet

Screenshot © Warner Bros./X-Filme

Ein Gastbeitrag von Kilian Hauptmann

Kilian hat auf Twitter mal geschrieben, dass er was zum “Ende der Erzählungen” gemacht hat. “Klingt interessant”, meinte ich, “möchtest du einen Gastbeitrag schreiben?”. Und nur sechs Monate später schreibe ich diese Einleitung.

Kurze Warnung: Das hier ist wissenschaftlicher als der reguläre Tenor meines Blogs und Kilian ist Kultursemiotiker, eine Disziplin, um die ich normalerweise einen großen Bogen mache (Weiche, Christian Metz!). Kilians These vom Ende des Endes aber finde ich interessant, wie mich überhaupt die ganze Idee einer Post-Postmoderne fasziniert. Lesen lohnt sich also. Und folgt dem klugen Mann auf Twitter.

Film ist für mich ein Modus kultureller Selbstreproduktion: Eine Kultur kann immer nur das hervorbringen, was auch in ihr angelegt ist – sei es technisches Wissen, Ideologie, Machtstrukturen, Normen oder Werte. Filme reproduzieren dieses kulturelle Wissen. Sie stellen somit Artefakte einer Kultur dar, die sich untersuchen lassen, Speicher für kulturelles Wissen.

Mein Artefakt für diesen Artikel ist der Film Cloud Atlas von Tom Tykwer und den Wachowskis. Homosexualität, Transsexualität, Umwelt, Klone, Sklaverei, Medien, Macht(strukturen) – es gibt kaum etwas, das der Film nicht aufgreift. Das sind zwar alles Themen, die ganz und gar nicht neu sind und schon gar nicht revolutionär. Trotzdem finde ich etwas an diesem Film irritierend, etwas, das sich schlecht einordnen lässt, und genau das macht ihn für die Forschung interessant.

Das Ende der (großen) Erzählungen

Jean-François Lyotard postulierte 1979 in Das postmoderne Wissen das Ende der „großen Erzählungen“. Lyotard fasste unter diesen „Erzählungen“ Welterklärungsmodelle wie die Bibel oder die Systemtheorie auf, die in der Postmoderne mit einer zunehmenden Skepsis bedacht werden. Auch im Film lässt sich beobachten, wie sich sowohl diese Welterklärungsmodelle, als auch die Erzählungen selbst auflösen. Sie weisen unauflösbare oder unaufgelöste Rätselstrukturen auf, werden fragmentiert und verweigern jeden Sinn oder dekonstruieren „Sinn“ ganz offensiv.

Auch kulturelle Narrative, wie Familie, Ehe oder Liebe werden offen dekonstruiert. Die Texte (auch „Filmtexte“) sind in hohem Maße geprägt von intertextuellen Verweisen auf andere Texte und sind häufig selbstreferentiell, indem sie auf ihre eigene Konstruktion als „(Film)Text“ hinweisen. Filme und andere Kulturerzeugnisse wie die Beat-Literatur in den USA oder die Popliteratur der 60er Jahre in Deutschland werden so zu stark zeichenhaften Texten, die den Rezipient_innen einiges an kulturellem Wissen abverlangen.

Diese postmoderne Ästhetik hängt eng mit der ideologischen Konstruktion der Filme zusammen, ihrem Modell von „Welt“. Große Erzählungen weisen semiotisch betrachtet ein „transzendentales Signifikat“ auf, also eine Konzept, welches die Erzählung in ihrer inneren Logik konstituiert. Im Falle von Love Actually wäre dieses transzendentale Signifikat zum Beispiel „Liebe“ oder in Cloud Atlas „Schicksal“. Postmoderne Filme hingegen verweigern eine solche übergeordnete, die Welt gliedernde Struktur, was sie unter anderem durch die Fragmentierung ihrer Erzählung vermitteln. Auch haben die Protagonist_innen ein starkes Bewusstsein dafür, dass alles auch anders sein könnte (“Kontingenzbewusstsein”). Beinah scheint es, als würde das postmoderne Subjekt wissen, dass es nicht weiß, und ließe gerade deshalb klassische Verfahren der Sinnstiftung nicht zu.

Short-Cuts-Erzählung als „ideologische Hülle“

Als Erzählmodell dient dem postmodernen Film gerne die sogenannte “Short-Cuts-Erzählung”, bei der unabhängige Geschichten oder Handlungsstränge in kurze Segmente zerteilt, montiert und an bestimmten Knotenpunkten des Geschehens temporär zusammengeführt werden. Aus diesen Knotenpunkten kann wiederum weitere Handlung entstehen.

Ein Beispiel für einen postmodernen Short-Cuts-Film wäre natürlich der namensgebende Film Short Cuts von Robert Altman aus dem Jahr 1994, aber auch der viel bekanntere Pulp Fiction. Bei letzterem haben wir drei Erzählstränge, die miteinander nicht direkt verbunden sind, sondern jeweils eigenständige Geschichten erzählen, gleichwohl sie untereinander Ereignisse motivieren. Diese Ereignisse wiederum spielen für die einzelnen Erzählstränge keine weitere Rolle, sondern stellen nur eine oberflächliche Verbindung zwischen den Erzählungen her.

Pulp Fiction als postmoderner Film leitet aus der Kohärenz dieser Geschichten nun gerade keine sinnhafte, schicksalhafte Verbindung ab, sondern präsentiert sie als funktionslose Selbstreferenz auf die eigene Diegese. Gleichzeitig lässt sich auf der Ebene dessen, was erzählt wird, eine Dekonstruktion der „großen Erzählung“ beobachten. Die vermeintliche Bibelstelle Jules Winfields ist kein wirklicher Vers, sondern vielmehr ein kunstvolles Mashup verschiedener Bibelstellen, die sich Jules entgegen seiner Aussage vielleicht nicht ganz so exakt eingeprägt hat. Durch diesen Zynismus, eine Bibelstelle als Rechtfertigung für die Hinrichtung eines Kleinkriminellen zu verwenden, wird die Funktion der Bibel als sinnstiftende, moralische Leitlinie pervertiert und negiert.

Ästhetik ohne Ideologie

Während nun also die Short-Cuts-Erzählung für diese Filme dazu dient, eine fragmentierte, nicht sinnhafte Ordnung zu repräsentieren, verwenden andere Filme dieselbe Form um genau das Gegenteil in ihr Modell von Welt zu integrieren. Diese Filme übernehmen die postmoderne Ästhetik der 90er Jahre ohne ihre ideologischen Grundlagen – die Verweigerung von Sinn und die Annahme eines dissozierten Subjekts – zu übernehmen. Ein Film wie Love Actually weist eine im narratologischen Sinne fragmentierte Oberfläche nach dem Short-Cuts-Verfahren auf, besitzt aber im Gegensatz zu postmodernen Filmen ein transzendentales Signifikat („Liebe“), das die Fragmentierung durch eine den Film konstituierende Ordnung kohärent auflöst.

Ästhetische Verfahren der Postmoderne werden also für Filme benutzt, deren ideologische Grundlage durchweg konservativ ist. So zeigt etwa Michel Gondrys Film Eternal Sunshine of the Spotless Mind in jenen Sequenzen, in denen die Hauptfigur Joel Barish sich durch ihre eigenen Erinnerungen bewegt, eine auf mehreren Ebenen unklare Erzählsituation, in der Unsicherheit darüber besteht, ob das Erzählte der Wahrheit entspricht, oder ob eine Erzählinstanz, zum Beispiel Joels Psyche, das Erzählte manipuliert. Die eine oder andere Erzählinstanz greift sozusagen regelwidrig in die andere über – die für die Postmoderne so typische “Metalepse”. Hinzu kommt, dass der Film gerade auf Ebene der Binnenhandlung nicht chronologisch erzählt wird, sondern scheinbar willkürlich.

Der Film präsentiert also eine im wesentlichen postmoderne Ästhetik, installiert insgesamt aber ein kohärentes Weltbild. Denn die Fragmentierung der Oberfläche wird letztlich aufgelöst: Die naturalisierte, orts- und zeitunabhängige Liebe von Joel und Clementine führt die beiden am Ende des Films wieder zusammen. Trotz der vergessenen gemeinsamen Vergangenheit verlieben sich die beiden erneut: „Liebe“ dient in Gondrys Film also als transzendentale, übergeordnete Struktur, durch die das postmoderne Subjekt die Fragmentierung aufheben kann.

Medialität als Sinnstiftung

Cloud Atlas treibt diese Entwicklung auf die Spitze. Auf filmtechnisch und narratologisch bewundernswerte Weise nutzt der Film alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um eine übergeordnete, das Modell von Welt konstituierende Ordnung zu etablieren. In Cloud Atlas dient die Fragmentierung der Erzählung nicht mehr der Ästhetik einer fragmentierten Wirklichkeit, wie dies in der Postmoderne der Fall ist. Vielmehr dient das Short-Cuts-Verfahren selbst der Sinnstiftung: Erst durch die Medialität des Films wird den Zuschauer_innen eine kontingente Repräsentation einer Wirklichkeit, also eine andere mögliche Sicht der Dinge offengelegt. Die Erzähloberfläche, also das, wie erzählt wird (discours), ist so strukturiert, dass es die Geschichte selbst überlagert, also das, was erzählt wird (histoire). Anders gesagt: Erst durch das Erzählverfahren wird die Erzählung überhaupt erst möglich.

Eine Schlüsselszene in der Mitte des Films zeigt, wie die Struktur der Erzählung selbst eine erzählerische Funktion einnimmt. In dieser Szene verlässt die Kamera das einzige Mal vollständig die Hauptfigur der Episode, Luisa Rey, und zeigt den Protagonisten einer anderen Zeitebene, Isaac Sachs, wie er Notizen verfasst, die gleichzeitig von ihm vorgelesen aus dem Off zu hören sind. Das Bild führt Währenddessen entweder die Handlung der Episode fort oder stellt die Aussage des Off-Sprechers in einen Sinnkontext. Es greifen also auditiver und visueller Kanal ineinander über und erweitern den Informationsgehalt beider Kanäle. Die Kooperation von Text und Bild führt dazu, dass die einzelnen Kanäle mehr Bedeutung erhalten, als sie für sich alleine eigentlich transportieren würden. In der Zeichenlehre spricht man hier von einer „sekundären Semiotisierung“, also einer zweiten Bedeutung, die zur ersten hinzugefügt wird. Dadurch wird es möglich, dass in Cloud Atlas durch die Erzählform die eigentlich völlig unabhängigen Geschichten wieder kohärent zusammengefügt werden.

Die primären Vermittlungsfunktionen der einzelnen Kanäle, welche die primäre Semiotisierung und Bedeutungskonstitution übernehmen, werden durch die Auflösung der bisherigen Erzählinstanzen zueinander in Bezug gesetzt und auf diese Weise sekundär semiotisiert. Im konkreten Fall kooperieren gleich vier verschiedene auditive Kanäle miteinander; (a) der diegetische on-track Ton, also beispielsweise die Flugzeuggeräusche, (b) Off-Filmmusik, die (c) in eine an einem Flügel gespielte on-track „Filmmusik“ transformiert und anschließend mit dem diegetischen Ton in Kongruenz gebracht wird, sowie (d) ein per voice-over aus den Off präsentierter innerer Monolog, also der von Isaac Sachs verlesene Tagebucheintrag.

Diese auditive Ebene, die in sich selbst schon verwoben ist, eine zusätzlich zeichenhaft analysierbare Struktur aufbaut und damit auch erzählend ist, kooperiert nun mit der visuellen Ebene und versieht die einzelnen Episoden über ihre klassische filmische Bedeutungskonstituierung hinaus mit zusätzlicher Bedeutung. Wenn der Off-Sprecher Isaac Sachs sagt: „Kräfte, die Zeit und Raum neu definieren“ und dabei Robert Frobisher beim Komponieren gezeigt wird, setzt der Film natürlich eine Verbindung zwischen diesen Kräften und Frobishers Komposition. Es findet also eine „regelwidrige“ Überschreitung einzelner Kanäle statt. Sachs sagt durch seinen Monolog nicht mehr nur etwas über sich und seine Welt aus, sondern gleichzeitig auch etwas über die von Robert Frobisher, Son-Mi 451 und die anderen Charaktere, die zu sehen sind.

Die ideologische Grundidee des Films, nämlich dass alles zusammenhängt, kann also nur durch die Erzählform zustande kommen. Filmwissenschaftlich interessant ist dabei, dass die Medialität des Films es durch die Montage erlaubt, den discours als Sinnstiftungsinstanz zu installieren. Der Schnitt dient als Modus des tertium comparationis – „Alles ist verbunden“ (was auch der Untertitel der deutschen Fassung des Films ist). Dies wird entweder dadurch realisiert, dass ähnliche Erzählungen, etwa über Sklaverei, ähnliche Erzählstrukturen (Gefangenschaft-Freiheit) und ähnliche (diegetische) Orte hintereinander geschnitten werden oder sich Informationskanäle überlappen.

Die Struktur wird selbst erzählend

Zusammengefasst heißt das also: Durch die medienspezifische Montage der verschiedenen Kanäle sowie auf narrativer Ebene durch die Erzählstruktur, wird die Struktur selbst erzählend. Im Gegensatz zur Romanvorlage ist die Form der Erzählung für den Film sehr viel wichtiger: Die Geschichte entwickelt sich nicht nur dadurch, was erzählt wird, sondern auch wie sie erzählt wird. Es ist für den Film also wichtig, dass er ein Film ist: Das Nach- und Voreinander von Szenen, sich überlagernde Episoden, ist für die Geschichte des Films entscheidend. Er führt den Zuschauer_innen durch seine durchaus auch totalitäre Form eine mögliche Realität vor.

Verabsolutiert der Film also nur eine mögliche Wahrnehmung der Wirklichkeit und stellt einen Zusammenhang zwischen zwei Dingen her, die nicht zwangsläufig gegeben sein müssen? Diese Frage lässt sich schnell mit „Ja“ beantworten, indem man zu den großen Erzählungen zurückkehrt: Denn Cloud Atlas propagiert eine solche große Erzählung, er stellt ein Welterklärungsmodell für scheinbar zufällige Ereignisse zur Verfügung.

Im Gegensatz zu Cloud Atlas weist Pulp Fiction durch seine ästhetischen Verfahren ständig auf die eigene Konstruktion als Film hin und unterläuft die oberflächliche Verbindung der Segmente, sodass der Gesamtfilm keine kohärente Erzählung darstellt.

Bei Cloud Atlas ist diese Verbindung der einzelnen Episoden sowohl durch das Erzählverfahren als auch durch das zugrunde liegende transzendentale Konzept des „Schicksals“ gewährleistet. Auf diese Weise wird die postmoderne Ästhetik der 1980er und 1990er Jahre metaphysisch gewendet und beendet das Ende der großen Erzählung, indem sie das Narrativ des Schicksals wieder aufgreift. Das ist nun insofern bemerkenswert, als dass sich hier vielleicht eine Rückwendung zu den „großen Erzählungen“ erkennen lässt. Die „großen Erzählungen“ werden in Cloud Atlas dabei durchaus in aktualisierter Form wiedergegeben, indem wir ein buntes Potpourri an religiösen Vermischungen wie etwa der klassischen Erlöserfigur Son-Mi 451 (Christentum) und Reinkarnationsglauben (Hinduismus) wiederfinden.

Daraus lässt sich ableiten, dass der Mensch in Cloud Atlas und anderen Filmen wieder nach Antworten auf die fragmentierte Welt sucht und die Sinnlosigkeit des postmodernen Menschen nicht akzeptieren möchte. Cloud Atlas ist dabei ein paradigmatischer Film, der die Fragmentierung selbst auf allen Ebenen thematisiert und gleichzeitig eine – ideologisch sicherlich nicht immer unproblematische – Lösung für das postmoderne Subjekt anbietet.

Es wird Zeit, diese ätzende Presse-Junket-Kultur zu beenden. Aber wie?

Die Schauspielerin Cara Delevigne hat ein Interview gegeben, in dem sie sich nicht mehr zurückhalten konnte. Die Tatsache, dass die Moderatoren und die Moderatorin einer stets-fröhlichen Morgenshow aus Sacramento sie nicht nur fragten, ob sie denn auch das Buch gelesen habe, auf dem der Film Paper Towns (deutsch: Margos Spuren) basiert, sondern auch, ob sie sich schlecht konzentrieren kann, weil sie so viel arbeitet, muss ihr am Ende des Promotion-Zyklusses für den Film einfach den Rest gegeben haben. Sie antwortet mit einer sarkastischen Anti-Antwort auf jede der Fragen ihrer Gegenüber, bevor sie dann gelangweilt die Antworten gibt, die sie immer gibt. “A few months ago, you seemed to be more excited about the film”, kommentieren Delevignes Gegenüber diese Haltung, bevor sie sie mit “We’ll let you go and take a nap” nach zweieinhalb unangenehmen Minuten hinauskomplimentiert wird. “Man, she was in a mood”, lautet die Bilanz, als das Liveschalten-Bild endet.

Vor zwei Jahren hatte ich meine erste und bisher einzige Begegnung mit der Art und Weise, wie heutzutage Filme vermarktet werden. Für “Close up” durfte ich Charlotte Roche interviewen, die dabei half, die Verfilmung ihres Romans “Feuchtgebiete” zu promoten. In einer Hotelsuite in Berlin wartete ich eine Weile auf dem Gang, während sich um mich herum aufgeregte junge Frauen mit Bussi begrüßten, und wurde dann schließlich in einen abgedunkelten Raum geführt, in dem bereits sämtliche Technik aufgebaut war. Ich hatte das große Glück, nicht nur das erste Interview der gesamten Pressetour zu führen, sondern mit Charlotte Roche auch noch eine “Gastkritik” zu machen, in der sie über einen persönlichen Lieblingsfilm (Harold and Maude) sprechen konnte.

Feuchte Küsse von Charlotte

Anschließend habe ich ihr natürlich trotzdem noch ein paar Standardfragen zu Feuchtgebiete gestellt, aber sie war freundlich, frisch und charmant und signierte mir meine Ausgabe ihres Romans mit ein paar “Feuchten Küssen“. Für mich war das Ganze eine tolle Erfahrung, aber ich wusste: Wenn ich jetzt gehe, muss sie den Rest des Tages in diesem Raum noch ein Interview nach dem anderen geben. Die meisten wahrscheinlich kaum länger als zehn Minuten, in denen sie immer und immer wieder die gleichen Fragen gestellt bekommt.

Das Modell ist heute absoluter Standard geworden. Verschiedene Akteure haben bereits vonseiten der Interviewten beschrieben, wie bescheuert sich der Prozess anfühlt und wie sehr man nach ein paar Tagen Pressetour beginnt, in einer Parallelwelt zu leben. Zum Nachlesen ist vielleicht die Perspektive von C. Robert Cargill am interessantesten, dem Drehbuchautor von Sinister, der zuvor selbst Filmjournalist bei “Ain’t it Cool News” war. Zum Hören hat zuletzt Ian McKellen im Nerdist-Podcast hörbar geseufzt. Man wird eine Woche lang von Hotel zu Hotel gekarrt und gibt hunderte Interviews – manche davon one-on-one, andere im “Roundtable”-Format mit mehreren Journalisten gleichzeitig; wenige mit Leuten, die sich wirklich für Film interessieren (die sind für die PR-Agentur auch am unwichtigsten), dafür umso mehr mit Klatschreporter_innen und Allround-Dilletanten wie den Morning Show-Moderator_innen aus dem Delevigne-Interview. Die wenigsten Fragen sind durchdacht, viele drehen sich um das eigene Privatleben. Man ist ein menschliches Konsumgut. Mittel zum Zweck des Filmverkaufs.

My Miracle Is My Wife

John Green, der Autor des Buchs “Paper Towns”, ist Cara Delevigne auf “Medium” zur Seite gesprungen. Ihr männlicher Schauspielerkollege Nat Wolff werde nie nicht so oft gefragt, ob er das Buch gelesen habe, meint Green, nur wann. Auch er beschreibt, wie behämmert man sich irgendwann vorkommt. Dass man nur noch seinen Text herunterleiert und irgendwann schon gar nicht mehr weiß, ob das, was man gerade sagt, eigentlich noch die Wahrheit ist. Er beschreibt auch, dass er irgendwann aufgegeben hat, auf dumme Fragen differenzierte Antworten zu geben.

Like, there’s a line in the beginning of the novel: “Everyone gets a miracle.” The male narrator of the story believes his miracle is Margo Roth Spiegelman, the character Cara plays in the movie. Later in the book, the boy realizes that Margo is not a miracle, that she is just a person, and that his imagining her as a miracle has been terribly hurtful to them both. But still, I was asked over a hundred times, “Who’s your miracle?” At first, I tried to fight it, tried to argue that we must see people as people, that we must learn to imagine them complexly instead of idealizing them, that the romantic male gaze is limiting and destructive to women. That’s the whole point of the story to me.

But eventually, I just started to say, “My miracle is my wife.” (And then Nat would deadpan, “My miracle is also John’s wife. She’s great.”) In the end, rather than fight, I stuck to the script.

Pressejunkets sind entmenschlichend

Kein Wunder also, dass es immer mal wieder Vorfälle gibt, in denen die völlig kaputten Filmleute im besten Fall die Routine dekonstruieren und im schlimmsten Fall genervt abwinken, wie Cara Delevigne bei “Good Day Sacramento”. Wie Mila Kunis in der Promo zu Oz – The Great and Powerful. Wie Samuel L. Jackson, als der Interviewer ihn mit dem Namen eines anderen schwarzen Schauspielers anspricht. Wie Bruce Willis oder Harrison Ford in beinahe jedem Interview. Kein Wunder auch, dass es einige Filmemacherinnen und Schauspieler gibt, die sich vertraglich zusichern lassen, dass sie keine Interviews geben müssen. Dass sich Chris Pratt im Vorfeld für die Dinge entschuldigt, die er eventuell sagen könnte und die dann im Internet rauf und runter laufen werden.

Pressejunkets sind eine entmenschlichende Praxis und sie gehören abgeschafft. Für jeden Film wird ohnehin ein Pressekit angefertigt, in dem die Antworten auf die Standardfragen abgedruckt und auf Video aufgezeichnet sind. Sollen all die Medien, die bei den Junkets Schlange stehen, einfach die nutzen? Man möchte meinen, das Ergebnis ist das gleiche. Bei schriftlichen Interviews passiert das eh längst. (Mal ganz abgesehen davon, dass die Junkets schweineteuer und Teil des ganzen Problems sind, dass die gleiche Summe für die Vermarktung eines Films ausgegeben wird wie für seine Produktion.)

Ihr könnt euch ruhig mal anstrengen

Es gibt zwei Arten, wie in der Regel auf diese Argumentation reagiert wird. Die erste kann man auch am Ende des Cara-Delevigne-Videos hören. “You make $5 Million for six weeks worth of work, you can pretend to talk to ‘Good Day Sacramento’ with some oomph”, sagt der Sonnyboy-Moderator ganz links. Das ist in etwa die Reaktion, die ich auch bekam, als ich hier im Blog mal ein Video geteilt habe, in dem sich Zac Efron für einen deutschen YouTuber zum Affen machen musste. Diese Menschen verdienen viel Geld. Die Promotion ist Teil des Jobs. Hört mal auf, sie zu bemitleiden.

Ehrlich gesagt ist das nicht weit entfernt von der berüchtigten “Fahrstuhl”-Metapher, die “Bild” mal für den Medienzirkus geprägt hat. Wir helfen euch, euer Produkt zu promoten, dafür müsst ihr auch ein bisschen Erniedrigung über euch ergehen lassen. Aber diese Argumentation ist Schwachsinn. Ich würde behaupten es sind nur sehr wenige Schauspieler, die das, was sie tun, wegen der Berühmtheit und dem Geld gewählt haben. Natürlich gehört Eitelkeit und Glamour immer dazu, aber im Endeffekt höre ich immer wieder, dass die meisten von ihnen nur ihren Beruf ausüben wollen. Filmpromotion ist eben eigentlich nicht Teil dieses Berufs (auch wenn sie Teil des Vertrags sein mag) und Schauspielerinnen und sonstige Filmemacher helfen damit auch in den wenigsten Fällen sich selbst, sondern meistens vor allem ihrem Studio.

Was hinter dieser Gegenargumentation steckt ist nichts anderes als Neid. Wir wollen, dass diese Menschen, die für scheinbar so wenig Arbeit so viel bekommen – nicht nur das Geld, sondern auch den Ruhm und den Glamour – wenigstens auch ein bisschen leiden müssen. Unser Leben macht schließlich auch nicht immer nur Spaß. Es mag naiv wirken, aber ich möchte mich diesem Gedankengang nicht anschließen. Lasst Filmemacher Filme machen. Den Medienzirkus haben wir aufgebaut, nicht sie.

Diese Interviews sind Scripted Reality

Die zweite Gegenargumentation ist die wichtigere. Pressejunkets sind heutzutage oft die einzige Möglichkeit, eine Persönlichkeit aus der Filmbranche überhaupt zu interviewen. Gebietet nicht die Pressefreiheit, dass wir diese Praxis aufrecht erhalten, damit wenigstens ein paar Journalistinnen die Möglichkeit bekommen, auch mal gute Fragen zu stellen? In meiner Filterbubble erlebe ich immer wieder, wie sehr Kolleginnen und Kollegen sich darauf freuen, zehn Minuten mit einer Person zu verbringen, deren Arbeit sie bewundern. Und Paul Wolinski, der allerdings Musiker ist und kein Filmmensch, hat mir gesagt, dass Interviews ihm helfen, seine eigene Arbeit zu reflektieren. Ist es das nicht wert?

Leider entspricht diese Vorstellung auch nur in sehr seltenen Fällen der Wahrheit. “I don’t get the feeling that the journalists asking the same questions over and over particularly savor the experience, either”, schreibt John Green in seiner Verteidigung. Sie wissen, dass sie auch nur Teil einer Marketing-Maschine sind, genau wie im Gerangel um die Pressevorführungen. Auch für Journalisten gibt es genau genommen ein Skript, von dem sie nicht abweichen dürfen. Wer denkt, er könne die zehn Minuten nutzen, um Fragen zu stellen, die nicht mit der Promotion des Films zu tun haben, wird im ersten Schritt von der anwesenden PR-Person ermahnt. Im zweiten bricht der Star dann das Interview ab, wie vor kurzem Robert Downey Jr bei Channel 4. Die sogenannten Interviews sind eigentlich gar keine. Sie sind Scripted Reality.

Geben und Nehmen

Krishnan Guru-Murthy, der Moderator, der das Interview mit Downey führte, hat für den “Guardian” eine ähnliche Reflektion geschrieben wie ich gerade. Sein Fazit:

Maybe, like a bad relationship, this just isn’t working. We want different things out of it. I want something serious and illuminating, they just want publicity. Maybe we and the movie stars should just go our separate ways, and find people more suited to our needs. But I think that would be a shame. There’s an easy marriage to be worked out here with a bit of give and take. And some intelligent casting by the PR companies. If a movie star has no interest in engaging, maybe don’t offer them up to the news. Find one of the cast who does.

Guru-Murthy plädiert dafür, den Zirkus weiterlaufen zu lassen, als Tanz, in dem beide Seiten zusammenarbeiten, um ein Ergebnis zu erzielen, das für alle zufriedenstellend ist. Und wer nicht will, der muss nicht. Es gibt Momente, in denen ich – als jemand, der sowohl im Journalismus als auch in der PR (wenn auch in einem völlig anderen Feld) gearbeitet hat – das auch denke. Es wäre sicher die einfachste Lösung. Für die schwierige Lösung müssten sich sowohl Interviewte als auch Interviewer gegen das gesamte Konstrukt wehren, sie müssten sich sowohl der Filmbranche als auch der Medienbranche als Ganzes in den Weg stellen. Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, dass so etwas jemals passiert.

Aber vielleicht tragen Interviews wie das von Cara Delevigne ja dazu bei, dass dank der Transparenz des Internets Stück für Stück eine Art “awareness” für diesen Irrsinn aufgebaut wird, auch außerhalb der beteiligten Zirkel. Vielleicht wird es immer mehr Filmemacherinnen geben, die sich dem Promotion-Zirkus einfach verweigern (und stattdessen nur noch “richtige” Interviews geben) oder den ein oder anderen Journalisten, der auf sein Honorar und die Begegnung mit einem Star verzichtet, um sich nicht zu einem Zahnrad in der Marketingmaschine verbiegen zu lassen. Mir ist bewusst, dass das im Großen und Ganzen absolut nichts ändern wird und es außerdem in der Unterhaltungsbranche immer genug Eitelkeit auf beiden Seiten geben wird, um die Maschine auf ewig am Leben zu erhalten, aber Fatalismus hat noch nie jemanden weitergebracht. Stattdessen glaube ich mal John Green. Everyone gets a miracle.

Quotes of Quotes (XXVIII) – J. J. Abrams on the Fan Director’s Dilemma

When I recently wrote about modern franchise movies showing signs of fan fiction, Star Wars, of course, weighed heavily on my mind. About a year ago, I had already expressed my fear that The Force Awakens might end up a sort of Star Wars simulacrum, but J. J. Abrams’ answer to an audience question at San Diego Comic Con a few weeks ago appeased me somewhat. Here’s what he said:

I watched Star Wars with my parents, too. It means very much to me as it means to many of you, so I feel like the only answer I can give you is: We love it, we care about it so much. Our job is to not be blinded by that, meaning you can’t just be a fan and then make a movie because you’re a fan. It’s not enough, you gotta really say: What’s the story? I’m gonna tell you from personal experience, when you’re directing a scene on the Millennium Falcon, it doesn’t make the scene good. Now, it’s bitchin’ that it’s on the Millennium Falcon, you want scenes on the Millennium Falcon. If I can make a suggestion, direct scenes on the Millennium Falcon, it’s hugely helpful. But it doesn’t make the scene automatically good. So you have to ask – it’s literally Storytelling 101 – what do the characters want? Who are they? What makes this interesting? What’s unexpected? It has to be fun, it has to be scary. The power of what has come before is so infectious and so deep that you have to harness it, but you can’t be blinded by it. And it’s a constant thing, working with [screenwriter] Larry [Kasdan] and [producer] Kathleen [Kennedy], there were always checks and balances, saying, “That’s really cool, but what does it mean?” You know? Why are we doing this?

The Sharing Economy Was Born Innocent

Es ist ungefähr 1999. Das Online-Auktionshaus eBay ist in Deutschland noch sehr neu. Ich bin 16 Jahre alt, internetinteressiert und suche nach Möglichkeiten, günstig meine Musiksammlung zu erweitern. Auf eBay ersteigere ich Highlights – The Very Best of Yes von einem Nutzer namens “Cabriojoe”. In den Überweisungsträger schreibe ich in das Feld “Empfänger” seinen bürgerlichen Namen und seinen Nutzernamen wie einen zweiten Vornamen. Als die CD ankommt, freue ich mich auch darüber, dass ich einen – wenn auch sehr minimalen – persönlichen Austausch mit jemand anderem hatte, der augenscheinlich einen ähnlichen Musikgeschmack hat (oder hatte) wie ich. eBay erfüllt für mich zu diesem Zeitpunkt noch das Bild des virtuellen Flohmarkts, auf dem sich hauptsächlich Privatleute herumtreiben.

Nur ein Jahr später, vielleicht sogar nur ein paar Monate später, ersteigere ich eine weitere CD bei eBay. In der Abwicklung wird schnell klar, dass es sich beim Verkäufer nicht um eine Privatperson handelt. In meiner Bewertung kritisiere ich das und es entsteht ein Austausch, die mir noch 15 Jahre später im Kopf herumspuken wird. Meine Bewertung: 4 von 5 Sternen. “Einwandfreier Zustand. Schnelle Lieferung. Kritik: Unpersönliches Massengeschäft.” Die Antwort des Verkäufers: “Was ist denn das für ein Spinner? Internet ist nunmal unpersönlich.” Ich bekomme eine Negativ-Bewertung mit der Begründung “vergibt ungerechtfertigt schlechte Bewertungen”. Ich bin gekränkt, aber dass das Internet unpersönlich ist, entspricht nun einmal nicht meiner Wahrnehmung. Ich habe dort jeden Tag sehr persönlich in Foren und Messengers mit Menschen zu tun und ich schätze das.

Der Althippie in Boston

2011 ist eBay längst ein gigantisches Warenhaus geworden, aber Airbnb ist ganz neu. In unserem ersten gemeinsamen Urlaub nisten meine Frau und ich uns über Airbnb im Gästezimmer einer mittelalten Dame in Amsterdam ein, die mit uns morgens gemeinsam frühstückt. Einige Wochen später wohne ich in Boston dank Airbnb bei einem netten Althippie, der mich vom Flughafen abholt, weil mein Flug verspätet ist, mir an seinem Küchentisch ein Bier anbietet, sich mit mir über deutsch-amerikanische Kulturunterschiede unterhält und mich an einem Abend mit seinen Kumpels zusammen in einen Irish Pub mitnimmt.

2015 kennt jeder Airbnb. Als meine Frau und ich in Berlin auf Wohnungssuche gehen, mieten wir über das Portal eine Wohnung, in der eindeutig nie jemand wohnt außer Touristen. Die Vermieterin taucht für die Schlüsselübergabe nicht einmal persönlich auf – sie ist in Italien – sondern schickt einen Freund, in dessen E-Mail-Signatur “Apartment Manager” steht.

Es gibt auf eBay immer noch Privatleute, die Sachen verkaufen. Auch auf Airbnb bieten immer noch Menschen private Gästezimmer an oder Häuser, bei denen man die Kaninchen füttern muss. Sie sind nur seltener geworden. Der Unschuldsverlust eines Internetportals, bei dem der menschliche Faktor ursprünglich mal Teil des Erlebnisses war, wird mich trotzdem jedes Mal wieder schmerzen.

Dieser Beitrag entstand ursprünglich für das Techniktagebuch, aber da es darin im Grunde um Real Virtuality geht, dachte ich, er passt hier auch ganz gut hin.

Das große Wunschkonzert – Sind Filme wie Terminator: Genisys Fanfiction?

© Paramount

Spätestens seit dem Erfolg von 50 Shades of Grey sollte Fanfiction vielen Menschen ein Begriff sein. Der Roman, der sein Leben als Fanfiction zur Buch- und Filmserie Twilight begann und dann zum Bestseller wurde, war der lebendige Beweis dafür, dass das überwiegend von weiblichen Fans betriebene Hobby, neue Geschichten für ihre Lieblingscharaktere aus Film, Fernsehen und Literatur zu erfinden, Mainstream-Appeal haben kann. Fanfiction ist längst das Objekt einer ganzen geisteswissenschaftlichen Forschungsrichtung, es gilt als interessantes Instrument des Empowerments von Fans wie von Frauen und es ist in vielen Fällen auch viel mehr als die reine Beschreibung erotischer Szenarien, selbst wenn die Unterabteilung “Slash” recht groß ist.

Nicht nur wegen des Slash-Faktors hat Fanfiction dennoch nicht den besten Ruf. Die Fanfic-Schreiber_innen wissen das. Sie diskutieren ihre Werke selbstkritisch und selbstironisch im Internet und haben längst ein ganzes Vokabular erschaffen, um die Probleme zu benennen, die ihr Hobby mit sich bringt. “Schlechte” Fanfiction – das Wort steht bewusst in Anführungszeichen, denn manche Autor_innen schreiben diese Geschichten auch in vollem Bewusstsein darüber, was sie gerade tun – fügt dem Originaltext wenig hinzu außer der persönlichen Wunscherfüllung der oder des Schreibenden. Sie reflektiert weder die Regeln der fiktionalen Welt, die sie erschafft, noch die unserer eigenen und spielt einfach Situationen durch, die der Autor oder die Autorin gerne erleben wollen. Das beliebteste Instrument dafür, nach dem inzwischen sogar eine feministische Popkultur-Seite benannt ist, ist die “Mary Sue“, ein allgemeiner Terminus für einen Charakter, der das nur schwach verklausulierte Idealbild der Autorin darstellt und dann stellvertretend die Abenteuer erleben darf, die ihr verwehrt bleiben.

Die Irren leiten das Irrenhaus

Diese lange Einleitung soll nur Hintergrund sein für eine Situation, die in der Popkultur längst überall gang und gäbe ist. Fans sind nicht nur die Autorinnen und Autoren der inoffiziellen Fortschreibungen von Serien, Comics und Filmen in Internetforen. Sie sind auch die offiziellen Autoren, Regisseure und Künstler, die sie am Laufen halten. Das Wiki “TV Tropes” nennt diesen Zustand “Running The Asylum“. Die Irren leiten das Irrenhaus. Popkultur-Franchises sind so alt und langlebig, dass sie heute von Menschen fortgeschrieben werden, die in ihrer eigenen Kindheit als Fans mit ihnen aufgewachsen sind. Meistens ist das gar kein Problem, denn natürlich sind diese Menschen inzwischen erwachsen und in der Lage, ihre eigenen Befangenheiten zu reflektieren. Aber manchmal ist es eben doch eins.

Jeff Cannata hat es im “/Filmcast” zum neuesten Ableger der Terminator-Reihe, Genisys, ganz gut auf den Punkt gebracht (bei 44:31).

Here’s the thing about this and Jurassic World for me. (…) The people who are making these movies, these properties that are 20 or more years old, were kids when those movies were out and they remember them fondly. And these movies feel like the kids got the keys to the kingdom and they get to write some fun fan fiction that is really reverent to the souce material, sort of like: what we always wished it could be. We sat around and thought: Well, if they had access to a time machine, why didn’t they just do X, Y or Z? And I feel like both this and Jurassic World are like the best fan fiction version of these franchises.

Was Cannata sagt, spiegelt in seinen beiden Kernpunkten den Konflikt des Fandoms an sich wieder. Menschen, die plötzlich ans Ruder einer von ihnen früher vergleichsweise unreflektiert geliebten Operation gelassen werden, fühlen sich hin- und hergerissen zwischen der Verehrung ihres Idols und dem Wunsch, daraus das zu machen, was sie sich immer erträumt hatten. Wer versucht, beiden Extremen gerecht zu werden, kann wahrscheinlich nur ein minderwertiges Ergebnis abzuliefern.

Veränderung des Mythos

Terminator: Genisys bietet einem Fanfiction-Autor mehr als jedes andere Franchise die Mittel dafür, den Spagat dennoch zu versuchen. Weil es im Terminator-Universum Zeitreisen gibt, bekommen Regisseur Alan Taylor und seine Drehbuchautor_innen Laeta Kalogridis und Patrick Lussier im Wortsinn die Möglichkeit, die Historie des Terminator-Mythos zu verändern. Genisys inszeniert tatsächlich einige Szenen des Original-Terminator von 1984 nach und verändert sie dann im neuen Zeitstrahl des Films, der – wie wir später erfahren – daraus entstanden ist, dass der “gute” T-800 bereits in eine Zeit vor dem ersten Film zurückgeschickt wurde.

In seinem weiteren Verlauf pickt Genisys sich wahllos alle coolen Ideen und Momente aus den bisherigen Terminator-Filmen zusammen, von Arnolds One-Linern bis zu den Flüssigmetall-Moves des T-1000, dessen Präsenz im Film tatsächlich nur dadurch gerechtfertigt zu sein scheint, dass es geil war, ihn mal wieder in Aktion zu erleben. Gleichzeitig besteht Genisys in seinem zentralen Mantra, der T-800 sei “alt, aber nicht veraltet” (“old, but not obsolete”) immer wieder darauf, dass halt doch Nichts über das Original geht. Damit untergräbt er seine eigene Existenz und insbesondere seinen ziemlich dämlichen dritten Akt. Genisys will eben nichts Neues versuchen, wie der spektakulär gescheiterte vierte Teil Terminator: Salvation, der zu einer ganz anderen Zeit spielte. Er will eigentlich nur das Gleiche noch einmal erzählen, die besten Stücke raussuchen und ein bisschen größer und spektakulärer erneut erleben.

Owen Grady ist die perfekte Mary Sue

Jurassic World ähnelt Genisys in dieser Hinsicht tatsächlich. Wie der Terminator-Film ist auch Colin Trevorrows Mega-Erfolg ein selektives Sequel, das nur die Teile des Mythos weiterentwickelt und aufgreift, die den Autoren gut gefallen haben. Und genau wie das Schwarzenegger-Vehikel ist auch Jurassic World hin- und hergerissen zwischen absurden Erfüllungsphantasien (“Was wenn der Park tatsächlich geöffnet hätte?”, “Wie geil wäre es denn bitte, wenn man Raptoren trainieren könnte?”) und einer lähmenden Ehrfurcht gegenüber dem Originalwerk, dessen T-Rex natürlich allein schon deswegen cooler ist als seine jüngeren Epigonen, weil er das Original ist. Chris Pratts Charakter Owen Grady ist in alledem die perfekte Mary Sue oder – wie man bei Kerlen sagt – Mary Stu.

Auch die Erschaffer_innen von popkulturellen Erfolgen geben manchmal den Fan-Impulsen nach, was im Fachjargon gerne “Fanservice” genannt wird. Es ist an sich nichts Schlechtes, sich ab und an einen Wunsch zu erfüllen. Zudem gehören “Was wäre wenn”-Szenarien fest zu den Merkmalen des modernen Franchising und sie sind einer seiner interessantesten Aspekte, egal ob es um einen alternativen Zeitstrahl von Star Trek geht oder darum, was passiert, wenn Thors Hammer und Captain Americas Schild aufeinandertreffen.

Doch die Fans, die den Schlüssel zum Königreich bekommen haben, müssen dennoch aufpassen, dass sie nicht zu tief in den Fanfiction-Strudel hineingerissen werden. Für die Außenwirkung eines Franchises ist es nämlich doch irgendwie wichtig, ob seine Fanfiction nur unter Fans geteilt wird, oder ob sie zu einem neuen Teil des Kanons wird und damit auch auf das Original zurückreflektiert. Für zukünftige Sequels sollte es wichtiger sein, den generellen Geist des Originals zu behalten, sich zu besinnen, welche zentralen Ideen es groß gemacht haben und ruhig mit allem anderen in eine radikal andere Richtung zu gehen und dort Originelles zu schaffen – Beispiel Mad Max: Fury Road. Die gegenteilige Möglichkeit, ein Derivat des Originals zu schaffen, das seine Verwandschaft aber nur an Äußerlichkeiten festmacht und sich ansonsten in wilden Wunschkonzerten verliert, kann langfristig nur in die Bedeutungslosigkeit führen.