Vom Podcast gelernt: X-Base

Meine LÄUFT-Doppel-Sonderfolge zur fast vergessenen ZDF-Computerspielesendung X-Base war mein erster Ausflug ins narrative Podcasting. Umgesetzt habe ich sie weitgehend als Ein-Personen-Projekt. Was habe ich gelernt?

🕸️ Struktur: Ich habe schon während der Recherchephase immer wieder geplant, und umgeplant, in welcher Reihenfolge ich die Geschichte erzählen will. Das half mir dabei, in Interviews die richtigen Fragen zu stellen und den Gesamtumfang im Auge zu behalten. Je nach Projekt würde ich hier in Zukunft noch offener für Veränderung während des Prozesses sein, aber es sollte dennoch zu jedem Zeitpunkt eine Struktur geben.

So sah die finale Struktur aus – das Endprodukt weicht in einigen Punkten noch davon ab.

🧑‍🤝‍🧑 Interviews: Ich habe halb bewusst, halb durch Zufall, meine sechs Interviews in einer ziemlich guten Reihenfolge geführt. Erst Hintergrund, dann Struktur, dann “Farbe” (Anekdoten) und schließlich “die andere Seite”. Würde ich wieder so machen.

💔 Was fehlt: Ich bin untröstlich, dass so vieles im Podcast nicht zu hören ist. Personen reden minutenlang über Niels Ruf, ohne dass ich seine Seite der Geschichte hören konnte (Er hat auf meine Anfragen nicht reagiert). Und ich beschreibe ständig eine Sendung, ohne dass man Originaltöne dieser Sendung hört (ich hatte Angst vor der Schlangengrube Rechteklärung). Nächstes Mal: Mehr Tonquellen wagen.

⚙️Workflow 1: Ich habe jedes Interview so schnell wie möglich nach dem Führen mit Whisper transkribiert, durchgelesen und die relevantesten Zitate direkt zu verschiedenen Überschriften in ein GoogleDoc sortiert und in verschiedenen Farben markiert. Aus einer Kopie dieses Dokuments wurde später mein Skript. Würde ich wieder so machen.

🎙️ Workflow 2: Ich hatte noch nie so viele Töne in einem Projekt gemanagt. Nach Rücksprache mit Kolleginnen habe ich anhand der Transkripte (mit Timecode) die Töne zunächst pro Spur geschnitten und in der Bay/Library nach dem Schema (SPRECHER – Erste Wörter des Tons) benannt. Dann habe ich meine Narration aufgenommen, ebenfalls zerstückelt und schließlich das Puzzle zusammengesetzt. War okay. Geht aber sicher besser.

🛠️ Tools: Ohne die automatische Transkription von MacWhisper wäre dieses Projekt im gesteckten Zeitrahmen (insgesamt ca. 7 Arbeitstage, aber wild verteilt) nicht möglich gewesen. Und vor dem Horror eines zwar gut ausgesteuerten, aber aus Mangel an Alternativen in einem hallenden, brummenden Raum aufgenommenen Interviews hat mich das Plugin DXREVIVE gerettet. Zweimal sehr gut investiertes Geld!

🧑‍🤝‍🧑 With a little help from my friends: Zwei Freunde, denen ich auch im Abspann danke, haben mir wertvolles Feedback zum Skript gegeben (ich konnte einen ganzen Erzählstrang eliminieren!) und mir die Musik ihrer Band kostenlos zur Verfügung gestellt (so klingen alle Einsätze aus einem Guss). Lektion: Das kann ich nicht jedes Mal machen!

Und schließlich Inhalt: Obwohl ich stolz auf das Ergebnis bin, kann ich auf Basis des erhaltenen Feedbacks klar sagen, dass es mir nicht gelungen ist, die Geschichte mit der Art und Weise, wie ich sie erzähle, für ein breiteres Publikum relevant zu machen. Wer X-Base nicht kennt oder sich ohnehin für die umgebenden, recht speziellen Themen (Kultur und Medien der 90er, Interaktives Fernsehen, Verjüngungsversuche der Öffentlich-Rechtlichen, Aufstieg der Videospiele zum Massenmedium) interessiert, der fragt sich vermutlich nach rund 15 Minuten “Warum soll ich weiterhören – vor allem, wenn ich noch weitere 55 Minuten vor mir habe?” 

Ich habe mich von meiner eigenen Faszination für das Sujet leiten lassen und damit am Ende eine Geschichte für ähnlich gelagerte Nerds erzählt. Das ist an und für sich nichts Schlimmes. Ich würde es aber das nächste Mal entweder das Thema oder den Frame so auswählen, dass sie auf einen breiteren Resonanzboden treffen.

Bild: Alex/DALL-E

Gedanken zu Podcasts im Jahr 2023

Ich habe lange überlegt, was die beste Form für diesen Text sein sollte. In den vergangenen Jahren stand an dieser Stelle oft eine kommentierte Liste. Das wäre sicher auch wieder eine Möglichkeit gewesen. Aber ich hatte noch einige weitere Dinge, die mir im Kopf herumschwirren, und die in der Liste nur schwer Platz gefunden hätten. Also ist es ein persönlicher, mäandernder Fließtext geworden. Naja.

Ich fange mit dem Persönlichsten an. 2023 war das Jahr, in dem ich selbst zum professionellen Podcaster geworden bin. Nach einigen Jahren mit Kulturindustrie als Gesprächspodcast und Ausflügen ins Podcast-Als-Blogersatz-Business mit dem Lexpod darf ich seit Januar mit LÄUFT einen Podcast im Auftrag von epd medien und Grimme-Institut hosten und produzieren, in dem ich Interviews zu Medienthemen führe und seit der zweiten Jahreshälfte auch kleine eigene Kritiken einspreche. 

Ich bin auf LÄUFT sehr stolz und ich lerne mit jeder Folge neue Dinge dazu, nicht zuletzt natürlich mit meiner ersten narrativen Folge zur ZDF-Sendung X-Base, die ich zum Ende des Jahres produziert habe. Dazu schreibe ich mal einen eigenen Post, wenn die zweite Folge veröffentlicht ist. Allgemein möchte ich zur Arbeit an LÄUFT vielleicht zwei Dinge zusammenfassend sagen: 1. Mit LÄUFT ist mir erst so richtig klargeworden, wie umkämpft der Podcastmarkt wirklich ist, aber auch, welche unterschiedlichen Metriken man anlegen kann, um seinen eigenen Erfolg zu messen (Gruß an David). 2. Mit das Beste am Podcast ist, dass ich eine Redaktion habe, die mir für viele Folgen das eigene Themen finden und recherchieren abnimmt und mich vorab auf die wichtigsten Aspekte für ein Interview stößt und brieft. Hinterher schaut sie dann kritisch drauf und sagt mir, wenn ich Fehler gemacht habe. Kurzum: Durch redaktionelle Arbeit wird alles besser, auch Podcasts. 

Damit genug von mir, kommen wir zum Rest der Landschaft.

Als ich vor ein paar Tagen versucht habe, eine Liste zusammenzustellen, habe ich erst gemerkt, wieviele Podcasts ich nicht gehört habe. Dieses Phänomen kenne ich natürlich aus anderen Jahren, vor allem im Bereich Filme, aber diesmal hat es mich schon etwas geärgert. Ich habe nach wie vor keine gute Routine dafür gefunden, wie ich alle meine regulären Podcasts hören kann und Zeit dafür finde, aktuelle Produktionen zu entdecken, außer sie irgendwie dazwischenzuschieben und eventuell mal auf ein paar Folgen meiner geliebten Comfort Foods zu verzichten.

Zu wenig Podcasts habe ich demnach nicht gehört (Pocket Casts sagt: 33 Tage), aber dennoch fehlen in meinen Betrachtungen leider solche gelobten Produktionen wie 344 Minuten, Zugunglück Eschede – 25 Jahre danach, Grenzgänger und SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden, aber ich hoffe, dass ich zumindest einige davon noch nachholen werde.

Mein Lieblingspodcast: Scambit

Grundsätzlich ist es, finde ich, ziemlich gut, dass die ARD 2023 größer als zuvor ins Auftrags- und Koproduktions-Spiel eingestiegen ist, um Podcast-Content für die Audiothek zu generieren. Diese Strategie schafft Raum für unterschiedliche Produktionsarten und Tonfälle auf hohem Niveau (weil: Geld). Mein Lieblingspodcast des Jahres, Scambit, ist so entstanden, beauftragt vom WDR und Funk, produziert von der Berliner Produktionsfirma ACB Stories. 

Scambit erzählt dem Pitch nach die Geschichte des angeblichen Schachbetrugs von Hans Niemann im Duell mit Magnus Carlsen, der durch die Spekulation um Analkugen Internet-Notoriety erlangt hat. 

Eigentlich ist der Podcast, der angenehm kurze vier Folgen hat, aber ein allgemeiner Überblick darüber, wie sich die Schachwelt in den letzten Jahren unter dem Einfluss von Online-Gaming, Pandemie und The Queen’s Gambit verändert hat. Das ist nicht nur interessant, weil es ein nerdiges Rabbit-Hole ist, sondern auch, weil Yves Bellinghausen es einfach verdammt unterhaltsam erzählt, inklusive Selbstversuchen und Gastauftritten. Scambit ist Podcast unter dem Einfluss von YouTube-Kultur. Was für manche abschreckend wirken mag, finde ich genau richtig – und ich wünsche mir mehr davon.

Auch einige andere Produktionen, die ich mochte, sind in solchen ARD-Modellen entstanden, zum Beispiel Dark Matters (RBB/SWR/BosePark), dessen hervorstechendstes Merkmal sicher die Doppelfolgen sind – eine liefert klassisches journalistisches Storytelling, die andere ein Hintergrund-Interview dazu. Oder auch das Hörspiel Mia Insomnia von Gregor Schmalzried, in dem die Hauptfigur Podcasterin und Fan von alten Kassetten-Hörspielen ist, also maximale Audio-Liebhaberei mitbringt.

Teurer Wohnen: Explaining Is Not A Crime

Teurer Wohnen, dieses Jahr bereits mit mehreren Preisen dekoriert, ist ebenfalls eine RBB-Koproduktion mit detektor.fm, aber begeistert hat mich daran etwas anderes. Teurer Wohnen ist richtig guter Erklärjournalismus, und es gibt kaum etwas was ich besser finde. Immer wieder kommen auf dem Podcast-Markt Produktionen breitbeinig daher und brüsten sich mit ihrer investigativen Haltung. Sie wollen Skandale aufdecken oder zum Kern von Sachverhalten vordringen, aber scheitern dabei oft an ihrem eigenen Anspruch.

Das trifft meiner Ansicht nach auch auf die beiden Produktionen der neuen Tamtam-Firma TRZ Media aus diesem Jahr zu. Sowohl Boys Club (über Axel Springer, produziert mit Spotify) als auch Hitze (über die Letzte Generation, produziert mit dem RBB) versprechen in gewisser Weise, richtig nah an ein ohnehin brisantes Thema ranzugehen, um seine Signifikanz besser zu verstehen, eiern aber am Ende in vagen Conclusios herum. 

Teurer Wohnen hingegen investiert sehr viel Zeit, um seinen Hörer:innen ein scheinbar unfassbar dröges Thema, den deutschen Immobilienmarkt, sehr genau zu erklären. Das Ergebnis: Man ist hinterher allgemein schlauer und hat anhand der konkreten Beispiele gelernt, welche Auswirkungen eben dieses dröge Thema jeden Tag auf das Leben vieler Menschen hat – vielleicht sogar auf mich selbst. Wenn ich mir einen Podcast mit dem entsprechenden Budget für mich selbst backen könnte, würde er jedenfalls mit Sicherheit irgendwas erklären. 

Diese Art von Explainer Journalism macht Planet Money ja seit Jahren sehr erfolgreich. Der Dreiteiler, in dem das Team eine Episode von generativer KI schreiben und produzieren lässt, gehört deswegen auch zu den besten Stücken zu KI, die ich dieses Jahr gehört habe. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk 2023 nicht nur zwei, sondern drei fast identisch formatierte Podcasts zum Thema Künstlche Intelligenz gelauncht hat. Da kann man die Gebührenfeinde manchmal doch verstehen.

Storytelling: Falle und Werkzeug

Ich glaube, dass sich in der Gegenüberstellung von den TRZ-Podcasts und Produktionen wie Teurer Wohnen oder Scambit ein zentrales Problem der momentanen Podcastlandschaft manifestiert. Viele Journalist:innen wollen Storytelling nach einem bestimmten Modell machen, egal ob das Thema, das sie sich ausgesucht haben, wirklich eine dafür geeignete Story hat. Wenn sich keine Dramaturgie mit Wendepunkten und immer neuen Überraschungen stricken lässt, ist man mit einer reportagenhaften oder erklärenden Erzählhaltung manchmal besser dran.

Dann kann man sich als journalistische Erzähler:innen-Figur aber natürlich auch leider nicht so in den Mittelpunkt stellen, das ist aber ohnehin etwas, wovon ich nächstes Jahr weniger hören möchte. Dark Avenger habe ich unter anderem deswegen abgebroche. Liebe Kolleg:innen, ich möchte eure alten Nachdenk-Meetings und Sprachnachrichten nicht in meinem Podcast, wenn sie nichts zur Geschichte beitragen. Davon habe ich jeden Tag auch so schon genug im Büro.

Dafür lohnt auch der Blick in die USA, die übrigens in Sachen Podcasts meiner Ansicht nach nicht mehr das leuchtende Vorbild sind, das sie mal waren, was sicher auch am Podcast-Blutbad liegt. The Retrievals (Serial Productions) gehört nicht zu meinen Lieblingspodcasts des Jahres, aber er ist natürlich trotzdem hervorragend produziert. Eine erschreckende, aber eigentlich einfache Geschichte (Frauen erleiden in einer Kinderwunsch-Klinik bei der Ei-Entnahme schreckliche Schmerzen, weil eine der Krankenschwestern Betäubungsmittel stiehlt) wird in einer Art Rashomon-Prinzip aus immer wieder neuen Blickwinkeln betrachtet, vor- und zurückgespult, um eine zentrale These zu erörtern: Der Gesellschaft sind Leiden von Frauen im Wesentlichen egal. Diese These steht bereits am Ende der ersten Folge, aber sie wird durch die Dramaturgie immer wieder neu zementiert – wenn etwa die Hintergrundgeschichte der Krankenschwester oder das Urteil der Richterin enthüllt wird. Das Große entsteht aus dem Kleinen, ohne dass es immer wieder behauptet werden muss.

Ghost Story (Wondery) ist im Kern ebenfalls keine riesige Geschichte. Ein Mordfall aus den 1930er Jahren und eine Reihe von Spukgeschichten über ein Haus in London stehen am Anfang des Podcasts, größere Gedanken über die Geschichten, die wir über unsere Familien erzählen, an seinem Ende. Vieles von dem, was dazwischen passiert, ist völlig aufgeblasener Quatsch – vor allem an den Spukgeschichten wird viel zu lange festgehalten (angeblich, weil sie auch als Metapher fungieren, aber das wäre auch ohne Séance möglich gewesen). Das Entscheidende ist: Der Podcast ist so gut erzählt, dass er einen wie ein guter Page Turner einfach durchgängig am Haken hält. Das ist mir noch einmal klarer geworden, als ich die diese Woche erschienene Bonus-Episode gehört habe, in der die Macher:innen ein stückweit berichten, was sie alles weggelassen haben, um ihre Story besser zu formen.

Weitere Gedanken

  • Schönster neuer Laberpodcast des Jahres war für mich Anja Rützels Verbrechen am Fernsehen (Studio Bummens, mein Interview mit Anja). Er beweist für mich einerseits, dass man erfolgreich und unterhaltsam Medienkritik als Podcast betreiben kann, und, dass Promi-Interviews einfach viel interessanter sind, wenn man etwas hat, worüber man redet, was nicht die Promis selbst sind.
  • Den PodcastPodcast (detektor.fm) als tägliches Podcast-Entdeckungsformat finde ich eine tolle Idee (nicht nur, weil ich selbst dafür geschrieben habe), die meinen Horizont sehr erweitert hat. Der Über Podcast (DLF) steckt hingegen trotz einiger guter Folgen mit Podcast-Profis leider etwas in einer Krise, aus der er sich hoffentlich wieder befreien kann. Nicht zu verwechseln übrigens auch mit Übers Podcasten, dessen Inhalt ich wertvoll finde, aber mit dessen Machart ich nach wie vor etwas kämpfe.
  • 50 MPH ist die Art Projekt, in das ich mich beinahe gegen meinen Willen, verlieben musste, einfach weil ich detaillierte Oral Historys über die Entstehung von Filmen so mag und Speed für mich, wie für Host Kris Tapley, einfach ein wichtiger Aufwachs-Film war. Große Inspiration für die LÄUFT-Folge zu X-Base.
  • Da ich immer auch auf die formelle Seite von Podcasts schaue: Future Tense Fiction fand ich ein schönes Experiment von Slate, Fiction und Non-Fiction in einem Podcast zu verbinden. Und das Audiobuch The Best Audio Storytelling 2022 (Pushkin) war ein tapferer neuer Versuch, Audio-Kuration zu betreiben. Ich bin gespannt, ob es erfolgreich genug war, dass sie es nächstes Jahr wieder machen.
  • Schließlich habe ich, wie fast immer, eine This American Life Folge, die ich besonders mochte: Math or Magic. Es geht um Liebe. Eine perfekte Folge für einen Winterspaziergang zwischen den Jahren.

LÄUFT geht übrigens 2024 weiter, und wer weiß: vielleicht schaffe ich es sogar, beruflich noch mehr mit Podcasts zu tun zu haben. Ich war dieses Jahr schon einmal knapp davor, am Ende hat es aber leider nicht geklappt. Aber falls da draußen jemand einen Podcast-Redakteur mit Hosting- und Producing-Erfahrung sucht: You know where to find me.

Titelbild: DALL-E

Podcasts, Podcasts, Podcasts

Eine kleine Übersicht über vier Podcast-Entwicklungen, die mit mir zu tun haben.

Zu Gast bei Cuts

Den Podcast Cuts – Der kritische Filmpodcast verfolge ich, seit er noch Shots hieß und bei detektor.fm lief. Ich gehöre nicht zum tiefsten Patron-Kreis, der zwölftstündige Specials zum Gesamtwerk von Regisseur:innen hören möchte, aber ich applaudiere und empfehle bei jeder Gelegenheit Christian Eichlers Projekt, das sich von einem Filmpodcast mit kritischem Ansatz zu einer erfolgreichen Community gemausert hat, in der auch immer wieder verschiedene andere Podcaster zu Gast sind.

Nachdem in den letzten Jahren meine drei Kulturindustrie-Kolleg:innen Lucas, Sascha und Mihaela schon mehrfach bei Cuts zu Gast waren, habe ich es jetzt endlich auch geschafft. Zusammen mit Christian und Louis Derfert sprechen wir über die Meriten und Probleme von Across the Spiderverse.

Kulturindustrie im freieren Flow

Wir waren bei Kulturindustrie Anfang des Jahres alle ein bisschen gestresst. Uns jeden Monat auf drei Themen zu einigen, die wir besprechen wollen und sie dann auch noch alle vorzubereiten, wurde einigen von uns (unter anderem mir) langsam ein bisschen zu viel. Alle hatten wir aber weiterhin Lust zu podcasten, deswegen entschieden wir uns, ein neues Konzept auszuprobieren.

Seit der Februar-Ausgabe einigen wir uns fest nur noch auf ein Thema pro Folge, das wir länger besprechen. Anschließend schauen wir aber immer noch, was uns weiter so durch den Kopf geht, was vielleicht auch mehrere von uns gesehen haben. Wir stellen uns gegenseitig Fragen und unterhalten uns einfach ein bisschen. Etwas mehr Laberpodcast, aber dafür auch wieder etwas mehr Spaß für alle bei diesem seit sechs Jahren bestehenden reinen Freizeitprojekt. Ich bin mit der neuen Iteration sehr zufrieden. In der jüngsten Folge hat es dann auch wirklich nur für ein Thema (Beau is Afraid) gereicht, aber das war auch okay. Ende des Monats sprechen wir über Asteroid City, Across the Spider-Verse, Peter Fox’ Album Lovesongs, die neue Staffel Black Mirror und mehr.

LÄUFT häutet sich ein wenig

Das Magazin-Format, mit dem Läuft gestartet ist, war in den vergangenen Ausgaben ein wenig an seine Grenzen gestoßen. Für Hörer:innen bedeutet es ein großes Commitment, sich an einen Podcast zu binden, der nur das vage Versprechen machen kann, jede zweite Woche über ein latent aktuelles Thema und latent aktuelle Programme zu sprechen. Im Redaktionsteam hatten wir schon länger darüber diskutiert, das Grundkonzept etwas zu verschieben.

Mit der letzten Ausgabe hat es sich dann ein wenig von selbst ergeben. Die Kritik musste ausfallen, da das Interview kurzfristig nicht stattfinden konnte. So hatten wir am Ende doch nur ein Gespräch mit einem prominenten Programm-Kritiker (Georg Restle) und am Ende eine Kurzkritik von mir über die Sendung, die wir eigentlich im Dialog besprechen wollten. Nun hatte die Folge einen klareren Fokus und etwas mehr “Fleisch” am Interview – ein Ergebnis, bei dem wir feststellten, das es uns gefiel. Künftig bleiben wir bei dem Format. Ein fokussiertes Thema im Interview und ein kleines bisschen mehr Kritiker-Personality von mir. Ich freue mich drauf.

Lexpod mit Retro-Content (more to come)

Letztes Jahr habe ich den Feed meines pausierten Lexpod wiederentdeckt, um dort gelegentlich Content zu veröffentlichen, den ich lieber in Audio als schriftlich produzieren möchte. Nach dem Mitschnitt vom TXT-Panel letztes Jahr und dem Interview mit Max Ost habe ich dort erneut etwas veröffentlicht, das allerdings noch nischiger ist als meine sonstigen Aktivitäten.

In meinem Scanner-Artikel hatte ich erwähnt, dass ich schon 2010 einen journalistischen Podcast produziert, diesen aber nie außerhalb meines Blogs veröffentlicht habe, obwohl er sogar ein Interview mit dem Avatar Editor Stephen Rivkin enthält. Im Lexpod-Feed hat das ganze Ding, was ich zum eDIT Filmmaker’s Festival 2010 aufgenommen hatte, jetzt ein Zuhause, mit einem neuen, kurzen Intro von mir, in dem ich mich ein wenig über mein 28-jähriges Ich lustig mache.

In Zukunft würde ich den Lexpod gerne öfter – also alle paar Monate – für längere Interviews wie mit Max nutzen. Eins habe ich schon recht fest, ein anderes eher lose verabredet. Abonnieren könnte sich also lohnen.

Titelbild: Mit zwei Kopfhörern hört es sich besser (Midjourney/Alexander Matzkeit)

Der X-Faktor: Über das Arbeiten mit Midjourney

Im April wollte ich wissen, was dran ist am Hype. Ich hatte mit Chat-GPT rumgespielt, aber mich noch nicht so richtig getraut, den Bot im Arbeitsalltag einzusetzen (mit Ausnahme eines Brainstormings hier und da). Aber das, was Chat-GPT kann – Texte synthetisieren – kann ich ja selbst auch, also war es zwar praktisch, hatte aber wenig Wow-Faktor. Deshalb wollte ich dringend auch ausprobieren wie das andere große Generative KI-Ding funktioniert, und kaufte mir Guthaben beim Bildgenerator Midjourney.

Midjourney, da fühle ich mich Michael Marshall Smith sehr verbunden (der ohnehin mit die besten Texte zu diesem Thema aus Kreativensicht schreibt, nachdenklich und abwägend ohne Businessfokus), ist die ideale Technologie für Leute wie mich. Die Engine generiert Bilder aus Textprompts, sie schafft also etwas, was ich nie selbst könnte (beeindruckende Bilder), aus etwas, in dem ich einigermaßen gut bin (die richtigen Worte finden).

Midjourney Schritt für Schritt

Wer noch nie mit Midjourney gearbeitet hat: so läuft es ab. Man meldet sich auf einem Discordserver an, kauft ein gewisses Rechenguthaben (derzeit kosten rund 200 “Prompts” etwa 10 Euro im Monat) und dann kann man entweder in öffentlichen Channels oder in Zwiesprache mit dem Midjourney-Bot mit dem Generieren anfangen. Mit dem Befehl “/imagine” beschreibt man dem Computer, welches Bild man gerne generieren möchte. Nach etwa einer Minute bekommt man vier verschiedene Motive zur Auswahl.

Mit diesen vier Bildern kann man nun weiter arbeiten und hat drei Möglichkeiten: 1) Alles verwerfen und vier neue Bilder generieren. 2) Von einzelnen Bildern Varianten generieren, bei denen Bildkomposition und Stimmung erhalten bleiben aber Details sich ändern. 3) Einzelne Bilder direkt großrechnen (“upscale”), so dass man sie hochaufgelöst herunterladen kann.

Prompt up the Volume

Midjourney-Prompts, das habe ich durch die Beschäftigung mit den Werken anderer gelernt, können viele verschiedene Formen haben, aber die meisten ähneln inzwischen ungefähr dieser Formel:

[Stil/Medium] eines [Motiv], [weitere Deskriptoren zur Anmutung]

Das Titelbild dieses Beitrags, zum Beispiel, hatte folgenden Prompt:

Candid snapshot of a bald man in his 30s, short cropped beard, and a robot working together, smiling, 1990s sitcom vibes

Man sieht dabei schon, dass die KI nicht alle Wörter gleich behandelt. Die 1990s sitcom vibes hat es sehr gut hinbekommen (vor allem am Pullover zu erkennen) und die Figur hat tatsächlich eine Glatze und einen kurz geschnittenen Bart (wie ich, ich finde es höchst amüsant, diese Pseudo-Avatare von mir in den Bildern auftauchen zu lassen). Aber das Bild ist kein “Candid Snapshot”, es wirkt sehr posiert, und der Mann und der Roboter arbeiten auch nicht wirklich zusammen. Es sieht eher aus, als wäre der Mann ein Bastler à la Nummer 5 lebt.

Und das ist das Besondere.

Katzen und Laser

Midjourney kann Worte in Bilder übersetzen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mit Hilfe von Midjourney jedes Bild, die ich vor meinem geistigen Auge sehe und beschreiben kann, generieren könnte. Wann immer ich ein genaues Motiv vor Augen hatte und versucht habe, es in Midjourney zu erschaffen, musste ich irgendwann aufgeben.

Ein simples Beispiel: Mein Blog- und Podcast-Kollege Sascha hatte sich gewünscht, dass ich ihm sein Blog-Keyvisual, eine Katze, die Laser aus den Augen schießt, im Ghibli-Stil generiere. Aber trotz einem Dutzend Prompt-Varianten – das Bild wollte einfach nicht entstehen. Ob wegen der Gewaltfilter von Midjourney oder weil einfach nicht genug Lernmaterial dazu vorhanden war, kann ich nicht sagen. Aber Tatsache war: Midjourney konnte mir viele viele Bilder mit Katzen und Lasern bauen, manche davon erinnerten sogar an Studio Ghibli, aber in keinem der Bilder kamen die Laserstrahlen aus den Augen der Katze.

Klar, die Aufgabe von “Prompt Engineers” wird es in Zukunft sein, so lange an den Prompts und Einstellungen rumzudoktern, bis es eben doch passt. Aber für meine begrenzte Erfahrung galt bisher eher: Midjourney erschafft fast nie die Bilder, die ich erwarte oder mir gar wünsche. Aber das heißt nicht, dass die Bilder nicht interessant sind.

Insofern, wie auch schon neulich geschrieben, halte ich es für viel fruchtbarer, die Arbeit mit Midjourney als eine Zusammenarbeit zu begreifen. Die KI ist nicht meine In-Out-Maschine, die das exakte grafische Äquivalent zu dem auswirft, was ich vorher textlich eingeworfen habe. Sie ist vielmehr ein Partner in einem künstlerischen Prozess. Je mehr ich bereit bin, mich von ihrem X-Faktor überraschen zu lassen, desto produktiver wird die Zusammenarbeit.

(Zu diesem hehren Ziel gehört natürlich eine lange Reihe von Fußnoten. Midjourney ist auch eine Klischeemaschine, von der selten zu erwarten ist, dass sie etwas wirklich neuartig Scheinendes erschafft. Sie hat Ismus-Biases ohne Ende, von der ethischen Debatte über die unentgeltliche Nutzung von Werken anderer zu Trainingszwecken ganz zu schweigen.)

Insofern finde ich auch das unter Designer:innen herumgereichte Meme nach dem Motto “Die KI erwartet, dass der Kunde genau beschreibt, was er will. Wir sind sicher” (selbst ürigens eine Neuauflage eines alten Programmierer:innen-Witzes) zwar witzig, aber auch ein wenig am Ziel vorbei. Gute Zusammenarbeit mit Kreativen jeder Art, egal ob Designer:innen, Illustrator:innen oder Texter:innen, hat noch nie darin bestanden, dass die Auftraggeberin exakt das Ergebnis beschreibt und die Auftragnehmerin diese Beschreibung umsetzt. Genau wie die Zusammenarbeit mit der KI besteht auch jede andere fruchtbare kreative Zusammenarbeit, selbst solche, in der eine Partei die andere bezahlt, aus einem produktiven Geben, Nehmen und Iterieren. Der Unterschied dürfte viel eher sein: Die KI ist (bisher) nicht davon überzeugt, dass ihre Auftraggeberin keine Ahnung hat und sie viel besser weiß, was gut für den Auftrag wäre.

Ich habe meine Prompts entsprechend angepasst. Statt vom Ergebnis zu denken und dann nach den richtigen Worte dazu zu suchen, fange ich gedanklich lieber am Anfang an. Ich denke mir ein Motiv aus, eventuell noch ein paar Stilmerkmale dazu, aber den Rest überlasse ich dann erstmal der KI. Manchmal lasse ich sogar bewusst Deskriptoren weg, um mich stärker überraschen zu lassen. Ein Beispiel wäre ein Bild, das ich vor kurzem zur Bewerbung meiner jüngsten Podcast-Folge generiert habe: “Photograph of a Filmmaker trying to take care of the environment”

Alexander Matzkeit/Midjourney

Auf dieser Weise kann ich meine Stärken einbringen, beispielsweise das Kombinieren von verschiedenen Ideen. Und die KI bringt ihre Stärken ein: das stochastische Kombinieren der Elemente im Prompt zu einem neuen, überraschenden Werk, das weder nur von mir noch von Midjourney stammt.

Sondern von uns zusammen.

55 Podcast-Höreindrücke aus dem Frühjahr 2023

Im #Podcapril habe ich (wie im letzten Jahr auch) einen Monat lang in neue Podcasts reingehört, die mir an verschiedenen Orten empfohlen wurden, um meinen Horizont zu erweitern und mir konzentriert einen unsortierten Überblick zu geben. Ein paar allgemeine Gedanken habe ich schon aufgeschrieben. Dies ist die Extrapolation meines Twitter-Threads aus Höreindrücken. Ich habe von jedem Podcast nur eine Folge gehört – diese kurzen Eindrücke als echte Rezensionen zu verstehen, wäre also unfair und würde zu kurz greifen.

  1. 1plus1 – Heinz Strunk und Cathy Hummels / Das Konzept ist genial und auch wirklich neu, aber wenn es beinhaltet, dass ich zwei Personen zuhören muss, die ich nicht sympathisch finde, steige ich auch aus und habe keine Lust, weiterzuhören.
  2. 1 auf die Ohren – Sido / Gleicher Fall. Eigentlich eine clevere Idee, bei Quizshows rate ich immer gerne mit, aber ich war froh diesen Menschen irgendwann nicht mehr zuhören zu müssen.
  3. The Prince #1 / Erwartungsgemäß sehr gut. Würde ich sofort weiterhören. Aber auch: Die Kombi aus chinesischen und australischen Akzenten mit chinesischen Worteinsprengseln und Namen verlangt einem eine hohe Konzentration ab.
  4. Außer Tresen nichts gewesen #1 / Ich bin überrascht. Von allen “Leute labern über alles und nichts”-Podcasts, in die ich reingehört habe, spricht mich dieser hier mehr an als gewohnt. Muss am Alter liegen. So wirklich Lust, weiterzuhören habe ich trotzdem nicht.
  5. The Town – Video Games / Eigentlich sollte mich diese Art von Filmindustrie-Insidertalk total interessieren, aber obwohl ich den Inhalt tatsächlich ganz spannend fand, geht mir der ganze Swagger dieser Analysten-Typen tierisch auf den Keks.
  6. My Mother Made Me – I can do anything / Personal-Essay-As-Podcast, immer gern gesehen, aber der Tonfall ist nicht meiner und für daa Thema bin gerade nicht empfänglich.
  7. Too Many Tabs – Wachs-Hitler/Toilettengeist / Ja, das würde ich öfter hören, wenn die Zeit es erlaubt. Die Low-Key-Witzigkeit gepaart mit Trivia-Geschichten. Gutes Format, sympathische Menschen. Werde ich mal abonnieren.
  8. Ehrenwort – Graf-Affäre / Variation des Formats, in dem ein Host dem anderen etwas erzählt und dieser darauf reagiert, dadurch lehrreich und unterhaltsam, aber halt auch nicht wirklich anders als „Geschichten aus der Geschichte“ mit Themenfokus. Zeigt aber auch, wie ergiebig die Formatidee ist.
  9. Parlamentsrevue #18 / Wertvolles Format, echter Citizen Journalism, auch Einiges gelernt, wäre mir aber auf Dauer zu kleinteilig und zu ausführlich. Und ich merke: Bei solchen Themen höre ich – allerdings eher aus Effizienz-Gründen – immer noch lieber Expert:innen zu, als selbst-benannten Nicht-Expert:innen.
  10. Edgar Wallace Seine Nachbarn / Ein Eintrag aus dem beliebten Genre “Sehr detailliert nacherzählen und dabei semi-qualifiziert abnerden” – deswegen aber wohl auch nur für Nerds und Kumpels interessant. Ich kenne die Filme ja nur aus “Otto – Die Serie“, Ältere erinnern sich.
  11. Imaginary Advice – The True Crime of Your Frozen Death / Ein fantastisches Experiment mit internationalem Audio-Storytelling. So abgestimmt, dass man sie auch versteht, wenn man die Sprache nicht spricht. Sollte jeder mal hören! Chapeau!
  12. Japan Podcast – Essen gehen / Service-Journalismus als Podcast. Lehrreich und sympathisch. Viel mehr kann ich dazu nicht sagen.
  13. Suchverlaufen – Flix / Ein fröhliches Interview mit einem sehr reflektierten Menschen. Leider kam mir der Aspekt „Recherche“ aus dem Podcast-Titel doch
    deutlich zu kurz.
  14. Geld ganz einfach – Vier Töpfe / Gute, freundliche Ansprache und einleuchtend erklärt. Habe mir selbst auf die Schulter geklopft, weil ich meine Finanzen im Wesentlichen schon so manage. Vielleicht vom Sparkonto mal ein neues Mikro kaufen.
  15. Whovians Assemble #4 – Eventuell mögen Dr.-Who-Fans mit ihrer ultralangen komplexen Serie es enzyklopädisch. Mir war es zu viel Auf- und Nacherzählung, zu wenig Interpretation oder Kommentar.
  16. Futur II – Barbarella/Ice Pirates / Die zwei total netten Hosts retten dieses Format und machen es irgendwie unterhaltsam, obwohl es ebenfalls fast ausschließlich aus Nacherzählungen besteht. Ich hatte in diesem Fall beide Filme nicht gesehen, und habe sie so kennengelernt – kann also nicht sagen, ob ich es auch gut gefunden hätte, wenn ich die Filme gekannt hätte.
  17. Niemand wird verurteilt #5 / Ich finde das Konzept nett und einleuchtend – im Grunde eine Call-In-Show gepaart mit Paargesprächen – aber mir sind die beiden Sprechenden dennoch nicht nah genug, als dass ich über den reinen Voyeurismus hinaus übermäßig Lust hätte, ihnen länger zuzuhören.
  18. Der PodcastPodcast #1 / Hurra, freu mich , dass es dieses Format gibt und bin gespannt, was noch alles kommt.
  19. Klenk und Reiter #12 / Ob ich dieses morbide Rumwitzeln so wirklich gut finde, weiß ich nicht, aber an sich treffen sich hier ein guter Moderator und ein guter Geschichtenerzähler – und ich weiß nicht, wie oft ich noch “lehrreich und unterhaltsam” schreiben kann.
  20. Bosettis Woche #40 mit Jürgen Becker / Charmanter Wochenrückblicks-Podcast aus der Kategorie “öffentlich-rechtlich aber locker”, der mich deswegen in meiner zunehmenden Boomerisierung gut abholt. Könnte ich regelmäßig hören, wenn mein Wochenende nicht mit anderen Podcasts schon so voll wäre. Auf jeden Fall lohnenswert, würde ich auch weiterempfehlen.
  21. Der Bobcast – Aztekenschwert / Hab gedacht, dass ich mich hier als Niemals-???-Hörer durchkämpfen muss, aber tatsächlich ist das spannende Hörspiel- und Synchronsprechgeschichte in Anekdotenform. Tolles Format!
  22. Midlife – Dicker als Wasser / Thematisch interessanter, produktionsmäßig ambitionierter Versuch, lockeres Gespräch und gebauten Beitrag miteinander zu verbinden. Klappt mal so, mal so, Sound leider auch durchwachsen, aber insgesamt Respekt.
  23. Serienpodcast – 3. März / Ich mochte Analysetiefe und Tempo in der Besprechung, vor allem der ersten zwei Serien, im Sweet Spot zwischen Servicejournalismus und eigener Rezeptionsspiegelung. Sehr gelungen.
  24. Science S*heroes – Amrei Bahr / Obwohl ich Gästin und Thema interessant fand, bin ich ins Interview nicht gut reingekommen. Für meinen Geschmack zu viel Insider-Gespräche ohne Erklärung für unbedarfte Zuhörnde, zu viel Koreferat (beides bemerkt und korrigiert, aber trotzdem) und teilw. hackig geschnitten. Evtl. lag die Zugänglichkeitsbarriere am speziellen Thema der Folge.
  25. Risk! – State of Emergency / Lustigerweise der erste Personal-Storytelling-Podcast, den ich jemals gehört habe und ich stelle fest, dass es in so großen Dosen nicht mein Ding ist. Danke fürs Schließen der Lücke,
  26. 3W6 – Ten Candles / Ich hab auf jeden Fall sehr viel Lust bekommen, das Spiel zu spielen, auch wenn es vor lauter Enthusiasmus der Hosts ein wenig durcheinander erklärt wurde. Für den Enthusiasmus gibt es aber auch einen Sympathiebonus.
  27. Spreepolitik – 3. März / Ich habe mich sehr gefreut zu erfahren, dass es diesen Podcast überhaupt gibt. Wenn ich mal wieder eine Einordnung zu den Geschehnissen in meiner Stadt brauche, schalte ich sicher wieder ein. Danke für den Hinweis,
  28. Wüste Texte – 0+1 / Hier fand ich die Idee dahinter deutlich interessanter als die letztendliche Ausführung, aber das mag an der Nähe zu einer bestimmten Szene in der Phantastik-Rezeption liegen, von der ich mich über die Zeit entfremdet habe. Außerdem waren die Hosts leider nicht auf dem neuesten Stand und sowas wurmt mich immer ein bisschen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Neil Gaiman schon länger von Amanda Palmer getrennt und sogar seit einem halben Jahr offiziell geschieden.
  29. Scambit #1 / Scambit macht vieles richtig, allem voran die Mission, Nerdiges unterhaltsam aufzubereiten, selbst wenn es am Ende keine große Enthüllung gibt. Auch in Sachen Dramaturgie und persönlich motivierte, angenehme Abgedrehtheit ganz auf der Höhe und besser als vergleichbare Studio-Bummens-Produktionen.
  30. Bolzer, Bomber, Ballartisten #41 / Quiz-Podcasts machen immer Spaß, und dieser ist keine Ausnahme. Auch wenn ich kaum was weiß, ist die Spannung und der Jubel spürbar. Nur der Sound ist leider stark verbesserungsfähig.
  31. Wrestling Talk Radio #1143 / Hier habe ich nach 30 von 270 Minuten ausgemacht, weil die zwei Hosts auch genausogut Tagalog hätten reden können. Ich weiß, dass es ein liebendes Publikum für diese überlangen, verlaberten Spezial-Podcasts gibt. More Power to them, ich bin es nicht. Ich wäre es auch nicht zu einem Thema, in dem ich ebenfalls Nerd bin.
  32. Hörfehler #163 / Interviewpodcast zu Fußballthemen, die eher ums Spiel herum stattfinden. Entspannt zu hören, freundlich und zugewandt. Etwaige Zwischentöne entgehen mir natürlich völlig.
  33. Viele Leben #1 / Zugang zu einem hochfaszinierenden Thema, das mehr Beachtung verdient hat. Vorschlag: Statt “Die Nullnummer” den ersten Podcast im Feed besser “Bitte vor dem Hören der anderen Folgen hören” nennen, denn darin wird alles erklärt, was mich in #1 irritiert hat. Grundsätzlich finde ich den Ansatz “Wir wollen nicht immer alles erklären, damit die Interviewpartner entspannt sprechen können” total verständlich, aber er ist auch ausschließend, wenn man den Hörenden nicht wenigstens ein paar Hilfsmittel an die Hand gibt – zum Beispiel einen Hinweis auf die Erklärungen und die Philosophie in den Shownotes jeder Ausgabe.
  34. Bibi Blocksberg und das Erbe der Kassettenkinder #35 / Corporate-Sponsored, Fans-für-Fans Feelgood-Podcast, der sich in meiner Folge arg bemühen musste, 30 Minuten Interview aus einem 10 Minuten-Thema herauszupressen. Nicht meins. Ich bin aber eventuell auch vorbelastet.
  35. Woher kennen wir uns? – Katia Kelm / Die Idee, seine Internetbekanntschaften zu interviewen, kam mir auch schon, deswegen mag ich das Konzept. Und Lukas ist ein guter Interviewer.
  36. Trauer und Turnschuh #4 / Hab nicht 100 Prozent kapiert, was genau der Fokus des Podcasts ist und auch die Folge war etwas schlaglichthaft und vage. Obwohl das beides eher negative Punkte sind, wurde ich reingezogen, weil viele kluge Sachen gesagt wurden und ich Naika Foroutan immer zuhören kann
  37. Mother Country Radicals #1 – Fällt voll in mein Schema von persönlicher Geschichte + Zeitgeschichte, aber hookt mich am Ende nicht genug. Das liegt aber an mir, würde ihn anderen durchaus empfehlen.
  38. Basti & Christian & George & Lucas #1-4 – Kein neues, aber auch hier gut aufgehobenes Konzept, in Sprachnachrichten gemeinsam laut nachzudenken (Sprachnachrichtenpodcasts sowieso gut!). Ich persönlich brauche nur gerade nicht noch ein erneutes Durchkauen der Star-Wars-Filme.
  39. Stand Der Dinge 2.0 / Es ist spannend, dem dpa/Podimo Projekt Stand der Dinge beim Iterieren zuzuhören. Zuerst das große Gepose eines Nachrichtenmagazins, dann das Auseinanderziehen der Themen zu zwei wöchentlichen Shows mit Laber-Intro, jetzt bewährtes Doppel-Host-Wochenupdate mit Einspieler. Erscheint mir aber wie die richtige Entscheidung.
  40. 1000 erste Dates #47 / Auf jeden Fall ein Podcast-Konzept, dass ich so noch nicht gehört hatte. Dafür sowieso schon mal ein Hurra. Und dann ist diese spezifische Geschichte auch noch wirklich spannend und gut erzählt.
  41. Jetzt mal kurz OT – Antiasiatischer Rassismus / Wichtiges Thema, ohne Frage, aber mir hier zu laberig aufbereitet. Gerade den LARP-Bezug hätte ich mich deutlicher gewünscht.
  42. Herstory – Hildegard von Bingen / Beeindruckend finde ich, dass man so flüssig erzählen kann ohne abzulesen – oder Skripte so schreiben kann, dass sie so wenig vorgelesen klingen.
  43. GANZSCHÖNLAUT – Was ist schön? / Sehr angenehmes Interview mit Melodie Michelberger und vielen Meta-Tönen, auch die “Spiele” fand ich ein gutes Element, das Sound-Design dazu allerdings direkt aus der Frühstücksfernsehen-Hölle
  44. Kinoshita #12 / Ich habe ein sehr großes Herz für diese supernischigen Projekte und finde es toll, dass es sie gibt. Kompakter und lehrreicher als Thomas Laufersweiler und seine Kompagnons kann man es nicht machen.
  45. We Didn’t Start the Fire – Joe DiMaggio / Noch so ein Konzept, das so einfach wie genial ist und dann auch noch sehr clean umgesetzt. Würde ich sofort bingen, wenn ich die Zeit hätte.
  46. Ostkinder 80/82 #35 / So aufrichtig und so angenehm sprechen Danny und Alex miteinander, da könnte ich ewig zuhören, obwohl ich null direkten Bezug zum Thema habe. Große Empfehlung!
  47. Kino Korea #51 / Kundiges und freundliches Filmgespräch.
  48. Poparazzi – Bela B. / Es gibt Leute, die können interviewen, und dann gibt es andere, die bekommen trotzdem einen Podcast, weil sie vorher schon bekannt waren. Und obwohl Bela B sich echt bemüht hat, war der Erkenntnisgewinn zur Entstehung des Songs über drei Anekdoten hinaus am Ende gleich Null. Hrishikesh Hirway würde das nicht zulassen.
  49. Was Chefinnen wirklich denken #1 / Finde Idee und Konzept interessant, auch mit eingebauter Selbstreflexion. Dem ersten Gespräch hat es noch ein wenig an Ziel und Struktur gefehlt, aber das entwickelt sich sicher noch.
  50. Putins Krieg im Netz #1 / Die Recherche kann noch so interessant und wichtig sein (wie hier), diese Pose von journalistischer Arbeit als Spy Thriller in Tonfall und Musikuntermalung ging und geht mir auf die Nerven, weil sie den Erkenntnisprozess fast schon behindert. Es tut mir leid, dass zu schreiben, weil an der Produktion mehrere Leute beteiligt sind, die ich kenne und schätze. Boys Club, zum Beispiel, obwohl ähnlich gestrickt, bekommt die Tonalität besser hin.
  51. Taiwancast #7 / Auch diesen Podcast gibt es.
  52. Tee mit Warum – Wie sprichst du? / Eigentlich ein ganz schöner Ansatz, aber meiner Ansicht nach zu voll gestopft für 35 Minuten mit zig Rubriken und Einspielern. Da bleibt wenig übrig. Aber ich tue mich mit Philosophie ja sowieso immer schwer.
  53. That’s what He Said #117 / Ich glaube für jede:n Podcasthörer:in gibt es irgendwo eine persönliche Hölle. Das ist meine.
  54. The Sad Millennials #1 / Mir gefällt die Kombi aus Kultur- und Gesellschaftsbetrachtung, die nicht völlig im luftleeren hermeneutischen Raum hängt – und Isabella Caldart mochte ich vorher schon. Schön kompakt auch.
  55. Radio Loophole #84 / Redaktionelles Radio als Podcast bevor es die explizite Funktion dazu gab. Auf jeden Fall eine wilde Zusammenstellung, aber ich habe sogar ein bisschen was gelernt und einen Song mitgenommen. In Sachen Moderation war diese aber wohl nicht die typischste Folge, also insofern schwer zu sagen, wie repräsentativ sie ist.

(Bild: Midjourney & Me / ultrarealist macro photograph of ideas like ghosts emerging from a cellphone lying on a hardwood table –ar 3:2 –v 5.1)

9 Gedanken zum #Podcapril 2023

Wie schon im letzten Jahr habe ich den April damit zugebracht, Podcasts zu hören, die ich noch nicht kannte. Viele wurden mir freundlicherweise von Followern auf Twitter empfohlen, diesmal habe ich mich aber auch an anderen Empfehlungen orientiert, etwa im “Mixdown” der Podstars – und wo immer ich sie finden konnte. Am Ende habe ich 53 neue Podcasts gehört, von denen ich kurze Höreindrücke in einem Thread gesammelt habe. Der Blogpost zum Thread folgt in den nächsten Tagen.

Über die Einzelmeinungen hinaus hatte ich aber natürlich auch wieder allgemeinere Gedanken, die nun folgen. Keine großen Gedanken, aber dennoch Gedanken. Der #Podcapril ist ein bisschen

1. “Irgendwie interessant” ist nicht mehr gut genug

Als ich vor rund 15 Jahren angefangen habe, Podcasts zu hören, habe ich so ziemlich alles gehört, was mir zwischen die Klickfinger kam und vage in mein Interessensgebiet passte. Aber inzwischen gibt es so viele Podcasts zu jedem Thema und in so vielen verschiedenen Variationen, dass ein Podcast wirklich besonders sein muss, um mich zu packen. Themenzuschnitt, Host, Machart, Struktur, Ansprache – es muss möglichst viel dabei sein, bei dem ich das Gefühl habe, es passt entweder genau auf meinen Geschmack oder es ist wirklich neu. Aber zum Beispiel ein Podcast mit einem cleveren Konzept aber einem Host, der mich eher anödet, wird direkt wieder rausgeworfen aus dem Podcatcher. Es gibt ja genug anderes.

2. Es gibt sie noch, die neuen guten Ideen

Manchmal habe ich, allen Beteuerungen von anderen zum Trotz, das Gefühl, dass Podcasts als Geschichte auserzählt sind. Es gibt eine Handvoll Formate und eine Handvoll Host-Typen, alles andere ist Inhalt oder Sympathie. Aber tatsächlich waren auch dieses Jahr wieder einige Formate dabei, die mich überrascht haben. 1plus1 macht Staffeln, die Reihen von Gesprächen zwischen den immer gleichen Menschen sind. Too Many Tabs kombiniert Lo-Fi-Comedy mit Unnützem Wissen. In 1000 Erste Dates lässt sich die Host eine gute Geschichte von einem Hörer oder einer Hörerin erzählen. We Didn’t Start the Fire hängt sein ganzes Konzept an einem Aufzähl-Song auf und macht zu jedem Item eine Folge. Die Innovationen sind klein, aber ich habe mich über jede von ihnen gefreut.

3. Ich kann nicht mehr “lehrreich und unterhaltsam” denken ohne mich vor mir selbst zu ekeln

Sind so viele Podcasts Edutainment oder streben Podcasts aufgrund ihrer persönlichen Ansprache natürlicherweise zu einer Edutainment-ähnlichen Form hin`? Egal was der Grund ist, mir sind dieses Jahr sehr viele Podcasts begegnet, bei denen ich diesen Gedanken hatte: Aha, ich lerne was und ich werde unterhalten. Zack, zwei Relevanzkriterien abgehakt. Aber erst wenn man es so merkwürdig ähnlich aus vielen verschiedenen Richtungen spürt, kommt es einem gruselig vor.

4. Es gibt einen Sweet Spot für Ansprache und Haltung

Ich lege immer wieder (vielleicht unfairerweise) eine bestimmte Haltung und Ansprache an Podcasts als Maßstab an, die ich selbst gut finde. Podcasts sollten zeigen und nicht behaupten, sie sollten sich selbst reflektieren, sich ernst, aber nicht zu ernst nehmen, sie sollten die Hörenden als Publikum mitdenken, dem man gezielt etwas bietet, aber sie nicht für dumm verkaufen. Oft verfehlen Podcasts diesen Anspruch auf die eine oder andere Weise, aber ich freue mich immer wieder, wenn ich auch solche finde, die meiner Ansicht nach genau den Sweet Spot treffen. Was beweist, dass er existiert und kein unlösbarer Anspruch ist.

5. Macht bitte auch weiterhin einfach Podcasts, die scheinbar keinen interessieren

Wie im vergangenen Jahr hatte ich auch diesmal ein buntes Menü aus Indie- und kommerziellen Produktionen. Es waren auch einige dabei, zu denen ich inhaltlich keinen Zugang gefunden habe, weil sie eine andere Nische bedienen als die, in der ich mich bewege, aber gerade für diese würde ich sofort in die Bresche springen. Ich hätte so gerne die Zeit und Ambition, einen Podcast zu machen, den ich in allererster Linie für mein privates Vergnügen mache. Deswegen feiere ich alle, die sich diesen Traum erfüllen.

6. Bitte, erzählt nicht so viel nach

Ich habe mehrere Indie-Podcasts zu Filmen und Serien gehört, die einen großen Teil ihrer Zeit darauf verwenden, Handlungen Stück für Stück nachzuerzählen und zu kommentieren. In einem Fall habe ich das ausgehalten, weil mir die Hosts sehr sympathisch waren, aber sonst fand ich es leider ziemlich hart zu ertragen.

7. Wo sind die Oral Histories?

Noch ein Podcast, der mich überrascht hat, war der Bobcast. Als jemand, der kein “Drei ???”-Fan ist, dachte ich, ich muss mich durch Fan-Diskussionen zu Hörspielen kämpfen, die ich nicht kenne (siehe 6., ich bekam das dann später mit Bibi Blocksberg und das Erbe der Kassettenkinder), aber stattdessen bekam ich Hörspiel-Geschichte in lockeren Anekdoten und nerdigen Nachforschungen von Bastian Pastewka. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich nur zum wiederholten Mal dazu auffordern kann, in Podcasts nicht nur investigative und dramatische Geschichten zu erzählen, sondern mit Hilfe von “Zeitzeugen” und Anekdoten auch popkulturelle Momente in Doku-Interviews wiederaufleben zu lassen. Origins ist ein Podcast, der das erfolgreich gemacht hat. Ich glaube, es könnte sich wirklich lohnen, auch in Sachen Hörerzahlen.

8. Ich bin tatsächlich älter geworden und muss damit klarkommen

Es ist immer schräg, wenn man merkt, dass man eine Zielgruppe ist. Aber ich fühlte mich dieses Jahr von manchen Podcasts mehr angesprochen, die sich eindeutig an Leute/Männer in meinem Alter richteten. Gleichzeitig spürte ich, wie mir einige Produktionen von und für Leute in ihren Zwanzigern ein wenig durch die Finger rannen. Nicht nur wegen der hart anglisierten Sprache (die benutze ich selbst noch genug), sondern auch wegen des eindeutig weniger erfahrenen Blicks, der mir manchmal etwas zu kurz erschien, aber den ich vor 20 Jahren vermutlich genau so gebraucht hätte.

9. Es gibt gute Podcasts, die trotzdem nicht für mich sind

Das schließt an Punkt 8 an. Ich habe ein paar Sachen gehört, die ich sofort und ohne Probleme weiterempfehlen würde, die für mich aber die Relevanzschwelle nicht überschreiten konnten. Das klingt wirklich banal und egozentriert, aber was ich damit meine ist: Das Feld hat sich soweit diversifiziert und es gibt tatsächlich so viel Qualität, dass für jeden etwas dabei ist.

(Bild: Midjourney und ich, Prompt: polaroid of a bald man in his 30s, short cropped beard, listening to podcasts, thoughtful, wistful, smiling to himself –ar 3:2 –v 5.1 // Es ist lustig zu sehen, welche Schauspieler Midjourney jeweils castet, um “mich” darzustellen. Ich weiß auch, dass ich offiziell nicht mehr “in my 30s” bin, aber ein bisschen Eitelkeit wird ja wohl erlaubt sein. Mehr zu Midjourney bald an dieser Stelle.)

Superheld:innengeschichten für kleinere Kinder

Ich weiß nicht mehr wirklich, womit es ursprünglich anfing. Mit meinem Hulk T-Shirt, vielleicht, oder mit den Erzählungen eines älteren Kindes aus der Kita, aber irgendwann im letzten Sommer wurde mein Kind, damals gerade vier Jahre alt, Fan von Superheld:innen. Es wollte alles darüber wissen, vor allem natürlich, welche Superkräfte sie haben. Damit konnte ich als MCU-Gucker und gelegentlicher Comicleser einigermaßen dienen.

Das größere Problem: Mein Kind wollte Geschichten erzählt bekommen. Darin bin ich sehr schlecht. Nachdem ich also die stark vereinfachten Versionen der Avengers-Filme mehrfach erzählt hatte, stand ich ein bisschen verloren da und sah mich nach anderen Möglichkeiten um.

Bücher

Es zeigt sich: Ich bin zum Glück nicht der erste Mensch, der sich überlegt hat, wie man Superheld:innengeschichten auch schon für kleinere Kinder aufbereiten kann. Das Motiv wird in diversen Kinderbüchern aufgegriffen, die mich allerdings immer ein bisschen an das Meme “Did a printer write this Tweet” erinnern. In Büchern wie Max und die Superhelden oder Meine Mama ist ein Superheld schreiben Erwachsene für Kinder darüber, dass Erwachsene ja eigentlich auch Superhelden sind. Ich kann nur immer wieder davor warnen, diese Art von plumper Didaktik bei Kindern zu versuchen. Sie sind dafür viel zu clever, und in diesem Fall wollte mein Kind nicht Superhelden, die Eltern sind, sondern echte Superhelden.

Doppelseite aus “Max und die Superhelden” von Rocio Bonilla © Jumbo

Besser funktionierte da schon ein Buch aus der SUPERLESER! Reihe des DK-Verlags (Marvel Avengers – Die Superhelden retten die Welt). Eigentlich zum Selbstlesen für Grundschüler:innen, griff es etwas auf, was schon Jonas Lübkert vor kurzem in seinem Newsletter angemerkt hat: Lexika kommen gut an. Sie enthalten kurze, kompakte Informationsblöcke mit Bildern dazu, die den Wissensdurst stillen. Viele Wörter im Buch waren für mein vierjähriges Kind noch zu kompliziert, aber es entstand ein erster Eindruck vom Superhero Industrial Complex.

Noch besser fand ich aber kurze Zeit später die Spider-Man-Bücher von MacKenzie Cadenhead. Sie richten sich auch eigentlich an Erstleser:innen, eignen sich daher aber auch wirklich gut als Vorlesebücher. Sie erzählen “echte” Superheldengeschichten, haben ein angenehm emanzipiertes und augenzwinkerndes Weltbild dabei und kommen ohne viel Gewalt aus. Gibt’s auch als Hörbuch, gelesen von Tom Hollands deutscher Synchronstimme Christian Zeiger.

“Squirrel Girl? Heißt das, du hast die Fähigkeiten eines Eichhörnchens?” – “Und die Fähigkeiten eines Mädchens! Problem damit?”

aus “Spider-Man gegen Sandman
Screenshot © Random House

Fernsehen

Wir mussten uns selbst etwas überwinden, aber als der viereinhalbte Geburtstag dann irgendwann vorbei war, haben wir unser Kind auch Spidey und seine Super-Freunde (Disney+) gucken lassen. Hier ist die Zielgruppe eindeutig Kinder, die jünger sind als Schulalter, mit allem was seit Paw Patrol dazugehört. Endlose Wiederholungen hirnloser Catchphrases (“Lasst uns Spidey-schwingen!”), identische Suit-Up-Sequenzen in jeder Folge, kostengünstig produzierte Animation in sterilen Umgebungen, die bei allen, die keine Maske tragen, schnell gruselig aussieht.

Dennoch lohnt es sich, auch festzuhalten, was die Serie richtig macht. Eines hat sie nämlich begriffen, das auch mir erst im Laufe der Zeit klar wurde. Kinder im Vorschulalter sehen Superheld:innen vor ihrem inneren Auge ebenfalls als kinder-ähnlich. Sie haben noch nicht die mentale Kapazität, um sich wirklich in die Lebenswelt von Erwachsenen hineinzudenken. Daher sind bei Spidey eigentlich alle Charaktere entweder Kinder oder Eltern.

Das gilt nicht nur für die drei Protagonist:innen. Auch Nebenfiguren wie Hulk und vor allem die Schurken, etwa Rhino, Green Goblin und Doc Ock, sehen nicht nur in ihren Formen aus wie Kinder, sie handeln auch aus sehr einfachen Motivationen heraus, die Kinder verstehen können. Ihre bösen Pläne drehen sich immer entweder darum, andere Menschen zu ärgern oder etwas zu klauen. Warum genau oder was damit später passieren soll, ist egal. Hauptsache, es gibt ein einfaches Problem, was Spidey, Spin und Ghost Spider mit ein paar geschickten Netzwürfen lösen können. Dabei wird immer wieder betont, das sie haben, was den Schurken fehlt: Sie arbeiten zusammen und stehen füreinander ein.

Die Bösewichte in Spidey and His Amazing Friends sehen aus wie etwas ältere Kinder © Disney

Das Ergebnis ist nicht besonders sophisticated, aber in seiner Einfachheit auch ganz spaßig. Zumal man anerkennen muss, dass Disney sich in Sachen Diversity wirklich bemüht. Doc Ock und Electro etwa sind entgegen dem Kanon weibliche Figuren, Gwen/Ghost Spiders Mutter (statt, wie in den Comics normalerweise, ihr Vater) ist Polizistin. Ms. Marvel/Kamala Khan und Black Panther haben regelmäßige Gastauftritte. Kann man also (manchmal) gucken.

And Beyond

Die allerbeste Idee für immer neue Superhelden-Geschichten kam aber letzte Woche von der Programmiererin April King, die darüber twitterte, dass Eltern vorgeschlagen hätten, diese Art von “Erzählst du mir eine Geschichte?”-Geschichten einfach von ChatGPT generieren zu lassen. Und, was soll ich sagen: das funktioniert sehr gut. Man kann ChatGPT ziemlich einfach genau die manchmal etwas abstrusen Plot-Wünsche der Kinder präsentieren. Die generative KI strickt eine Dramaturgie drumherum, die man sich sonst mühsam selbst ausdenken müsste, und verpackt das Ganze in der einfachen Form, die das Kind in solchen Momenten ja auch einfach will. (Ich hoffe doch, dass die meisten Eltern mir zustimmen würden, dass in solchen Momenten gar keine psychologisch komplexen Geschichten gewünscht sind.)

Dabei entsteht dann sowas, basierend auf einem echten Wunsch meines Kindes. Wir haben schon zusammen vor dem Computer gesessen und ChatGPT gefüttert und um Änderungen gebeten. Ich denke, das ist die Zukunft.

Eines Tages wurde ein wertvolles Artefakt aus dem Museum gestohlen und die Avengers waren alarmiert. Captain America und Wasp machten sich auf den Weg, um den Dieb zu finden. Unterwegs trafen sie Thor und Hulk, die ihnen bei der Suche helfen wollten. Sie entdeckten bald, dass der Dieb niemand anderer als Loki war. Er hatte das Artefakt gestohlen, um seine eigene Macht zu stärken und die Welt zu unterwerfen.

Die Avengers kämpften tapfer gegen Loki und seine Armee von Schergen, aber sie waren gegen seine List und Täuschungen machtlos. Wasp schlug schließlich vor, dass sie sich auf Ameisengröße schrumpfen und durch ein kleines Loch in Lokis Versteck schlüpfen sollten. Wasp und Captain America schrumpften sich und krochen durch das Loch. Sie fanden sich in einem riesigen Raum wieder, in dem Lokis Geheimnisse und Macht verborgen waren. Aber sie waren nicht allein. Loki bemerkte sie und versuchte, sie zu fangen.

Wasp flog schnell durch den Raum und umkreiste Loki, während Captain America gegen die Schergen kämpfte. Aber Loki war schlau und er verwandelte sich in einen riesigen Drachen. Es schien, als hätten sie keine Chance gegen ihn. Doch Wasp gab nicht auf. Sie flog auf Lokis Augen zu und stach ihn mit ihrem Stachel. Es war ein gewagter Schritt, aber es zahlte sich aus. Loki brüllte vor Schmerz und verwandelte sich zurück in seine menschliche Form.

Die Avengers waren erfolgreich und Loki wurde gefangen genommen. Sie brachten das Artefakt zurück ins Museum und feierten ihren Sieg. Wasp hatte gezeigt, dass sie eine mutige und kluge Heldin war, die eine entscheidende Rolle in dem Kampf gegen Loki gespielt hatte. Die Avengers waren stolz auf sie und schätzten ihre Fähigkeiten und ihren Mut.

Geht Immer

Ein für allemal: Paw Patrol ist kaum Copaganda (Es ist viel schlimmer)

© Bandai Namco/Nickelodeon/Spin Master

Vor einem knappen Jahr hat mein Kind angefangen, wie quasi jedes andere Kind ihres (Kindergarten-)Alters, die Serie Paw Patrol zu gucken, die seit einigen Jahren zu den größten Franchises für diese Zielgruppe gehört. Und weil ich, ähnlich wie bei Feen-Einhorn-Glitzerwelten, meinen Geisteswissenschaftler-Nerd-Hut nicht ausziehen kann, wenn ich die Serie gemeinsam mit meinem Kind schaue, äußere ich mich manchmal amüsiert dazu – zum Beispiel weil der Suit-Up-Musiktrack “Paw Patrol on A Roll” mein meistgespielter Song des letzten Jahres war. (Nicht nur mein Kind mag ihn, manchmal mach ich ihn auch als Motivation für’s Ausgehen an, denn dort treffen Pop-Punk-Riffs auf orchestralen Bombast und jemand ruft die ganze Zeit “Go! Go! Go!”).

Fast wie auf Stichwort kommt dabei häufig jemand (meist kinderlos) um die Ecke und kommentiert “Was? Paw Patrol?! Das ist doch Copaganda, würde mir nichts ins Haus kommen.” Und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Augen zu verdrehen. Wer den Begriff nicht kennt: “Copaganda” ist ein Ausdruck aus der Medienkritik, der sich darauf bezieht, dass die Arbeit von Polizist*innen in vielen Medien, vor allem Krimis, als ausschließlich positiv und aufklärerisch dargestellt wird, während kritische Aspekte (Corpsgeist, Gewaltmissbrauch, Racial Profiling etc.) ausgespart werden oder sogar positiv besetzt sind à la “Er spielt nicht nach den Regeln, aber erzielt Resultate”.

Welpe in Uniform

Ich kann es den Kommentatoren kaum verübeln. Die sichtbarste Figur des Paw Patrol-Kosmos ist Chase, ein Hundewelpe in Polizeiuniform. Bevor ich selbst anfing, die Serie zu rezipieren, hatte ich ähnliche Vorwürfe auch schon aufgeschnappt und habe sie deswegen in ähnlicher Weise vorgebracht, wenn ich etwa mit Merchandising-Produkten in Berührung kam. Aber die Wahrheit ist, dass Copaganda bei Paw Patrol wirklich kaum eine Rolle spielt. Was die Show in Wirklichkeit so ätzend macht, ist viel schlimmer.

Wer Paw Patrol bisher aus dem Weg gehen konnte: Die Serie spielt in der fiktiven Abenteuerbucht, in der ein zehnjähriger Junge namens Ryder in einem futuristischen Turm gemeinsam mit sechs Hundewelpen (Marshall, Rocky, Chase, Rubble, Zuma, Skye) zusammenwohnt. Wann immer jemand in der kleinen Stadt ein Problem hat, besonders die trottelige Bürgermeisterin Gutherz oder die Kinder Alex und Kathi, ruft er oder sie Ryder an. Dieser ruft seine Hunde zum Einsatz, die Hunde schwingen sich nach einem Briefing in Anzüge und Fahrzeuge, und retten gemeinsam mit Ryder, was zu retten ist. Und ja, Chase ist allen Äußerlichkeiten nach ein Polizist, aber er ist wirklich nur einer von sechs “Pups” (“Fellfreunde” im Deutschen) zu denen auch ein Feuerwehrmann, ein Müllwerker, ein Bauarbeiter, ein Wasserschützer und eine Helikopterpilotin gehören.

Die Fernsehserie zum Spielzeug

Der Ursprung von Paw Patrol liegt wie bei vielen populären Kinderserien in der Spielzeugindustrie, hier bei der kanadischen Firma Spin Master. Mattel kam in den 1980er Jahren zum ersten Mal auf die Idee, ein Spielzeug (“Masters of the Universe”) mit einer Fernsehserie zu bewerben statt umgekehrt, seitdem ist das Prinzip vor allem in Nordamerika, aber eigentlich überall wo die Genese der Serien nicht öffentlich-rechtlich ist, quasi Standard. Und so liegt der Funke von Paw Patrol nicht in seiner Story. Diese wurde vielmehr erfunden, um ein Verwandelbare-Fahrzeuge-Spielzeug speziell an Kinder im Kindergartenalter zu vermarkten.

Der Serie merkt man das zu hundert Prozent an. Obwohl es auf Plot-Ebene immer um Rettungsmissionen geht (“Rescue Dogs” war die zentrale Inspiration für Schöpfer Keith Chapman), hat die Art und Weise der Rettung fast immer mit dem korrekten Einsatz von (vehikularer) Technik zu tun. Die Hunde kommen selten selbst auf clevere Ideen oder arbeiten auf intelligente Weise zusammen. Sie folgen den Anweisungen ihres Besitzers, der sie immer mit den neuesten Autos, Trucks und Gadgets ausstattet. Die Verwandlungs-Sequenzen der Fahrzeuge werden in jeder Folge in ermüdender Länge gezeigt. Jedes Problem lässt sich mit dem richtigen Knopfdruck, dem richtigen Gefährt lösen. Und natürlich gibt es zu jedem Gefährt im Laden ein Spielzeug zu kaufen. Paw Patrol tropft, vor allem in den frühen Staffeln, bevor die Figuren ein etabliertes Multimillionen-Franchise waren, die Spielwaren-Dauerwerbesendung mit ihrem gruselig technokratischen Weltbild aus jeder Pore.

Das Schlumpfinen-Problem

Natürlich haben die Fellfreunde außerdem beinahe selbstverständlich das Schlumpfinen-Problem, bei dem nur einer von sechs Hunden als Abweichung von der Norm eindeutig weiblich markiert ist. Der größte Bösewicht der Serie hingegen, Bürgermeister Besserwisser aus der Nachbarstadt, kann (wie viele Bösewichter der Vergangenheit) problemlos als queer-coded gelten. Nervig.

Doch als wäre all das nicht genug, ist die Paw Patrol nicht mal besonders gut in ihrem Job. Jay Annelli, der neben seiner Tätigkeit als Autor für Magic: The Gathering im bürgerlichen Leben in der Koordination von Katastrophenmanagement arbeitet, und sich daher mit behördlichen Aufgaben aller Art auskennt, twittert immer wieder halb-ernst darüber, welches merkwürdige Verständnis von Hilfe und Gerechtigkeit Paw Patrol vermittelt.

Privatunternehmer

Seine größte Beschwerde: Die Abenteuerbucht hat überhaupt kein regulär funktionierendes System mit Notfall-Behörden wie Polizei oder Feuerwehr. Die Stadt mit ihrer idiotischen Bürgermeisterin verlässt sich vollständig auf die Dienste eines Privatiers und seiner verkleideten Hunde, die sich natürlich umgekehrt niemals wirklich an Gesetze oder Zuständigkeiten halten. Es ist immer von vornherein klar, wer gut und wer böse ist und wen man deshalb wie behandeln darf. Ein gefährliches Bild von eigentlich staatlichen Aufgaben.

Annelli bemängelt auch, dass Chase deutlich öfter zum Einsatz gerufen wird als andere Mitglieder der Paw Patrol, die für gewisse Aufgaben viel besser geeignet wären. Das kann man natürlich als Pro-Polizei-Haltung deuten, aber: siehe oben, Chase ist gar kein Polizist, nur ein Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes.

Aber selbst wenn man diese Spitzfindigkeit meinerseits auslässt, finde ich nicht, dass Paw Patrol ernsthaft Copaganda betreibt. Das, was die Paw Patrol macht, ist in der Regel keine “echte” Polizeiarbeit, sondern eher Schadensbegrenzung, Rettung und Verhindern von Katastrophen. Chase, der Polizeihund, ist zwar die Hauptfigur, aber er verhält sich niemals so, wie sich ein Polizist – selbst in Kinderaugen – verhalten würde. Er ist beileibe nicht die einzige Identifikationsfigur und in späteren Staffeln kommt die Paw Patrol ohnehin völlig von ihren Ursprüngen ab und wird wahlweise zu Superhelden, Spionen, Dinoforschern und anderen abenteurigen Stereotypen.

Paw Patrol ist wirklich keine gute Serie. Aber die zweifelhafte Geschlechtspolitik, die quasi direkte Anleitung zum Konsumterror und die technokratische Sicht auf Problemlösungen ´- all das finde ich tatsächlich deutlich anstrengender und problematischer als den so leichtfertig herausgeholten Vorwurf der Copaganda. Oder die ziemlich gut gemachte Musik.

Beiseit: Seit (billige) 3D-Animation den Kindermedien-Markt beherrscht, lassen sich insbesondere Fahrzeuge, aber auch Figuren, von vornherein deutlich stärker so modellieren, dass sie bereits in der Serie aussehen wie ihre Spielzeug-Äquivalente. Das verringert natürlich die Transferleistung vom Bildschirm in den Laden. In der 2D-Welt der 80er war das noch anders.

“LÄUFT” – Neuer Podcast von epd medien und Grimme-Institut feat. Yours Truly

Im Oktober 2022 habe ich angefangen, wieder regelmäßig für epd medien als Redakteur vom Dienst und Kritiker zu arbeiten. Im März 2023 fragte mich meine Chefin Diemut Roether, ob ich auch Lust hätte, mal ein Podcast-Konzept zu entwickeln. Ich habe natürlich sofort Ja gesagt. Auf so eine Gelegenheit hatte ich seit Jahren gewartet.

Das Konzept gefiel dem Team und um die Suche nach einem Partner zu erleichtern produzierte ich im Frühsommer eine Dummy-Folge, aus der man ungefähr raushören konnte, wie das Endresultat klingen könnte. Trotzdem hat nur ein kleiner Teil von mir tatsächlich damit gerechnet, dass aus dem Konzept irgendwann Realität wird. Aber mit dem Grimme-Institut hat der epd in Rekordgeschwindigkeit einen super Partner gefunden.

Im Herbst haben wir die redaktionellen Abläufe mit einer Generalproben-Folge geprobt und letzte Scharten ausgewetzt. Und seit heute kann man den Podcast “LÄUFT – Die Programmschau von epd medien und Grimme-Institut” überall hören, wo es Podcasts gibt.

In der ersten Folge spreche ich mit Peter Luley über die ARD Mediathek & Das Erste Produktion “Bonn – Alte Freunde, neue Feinde” und mit Jenni Zylka über Kriegsberichterstattung. Eine neue Episode gibt es ab sofort alle zwei Wochen.

Besonders schön an der Erfahrung ist, dass ich die Sendung zwar als One-Man-Show produziere, aber eine tolle Redaktion im Hintergrund habe, die mir nicht nur sehr viel Hintergrund-Arbeit bei der Auswahl der Gäste und Themen abnimmt, sondern auch einfach allgemein für das Gefühl sorgt, nicht alleine auf weiter Flur zu stehen. In jeder Folge stecken übrigens ungefähr zwei volle Produktionstage.

Bitte reinhören und Rückmeldung geben. Als Kommentar, an mich direkt oder offiziell an medien@epd.de. (Auch positives Feedback wird gerne genommen – ich habe mich schon lange nicht mehr so wie ein Hochstapler gefühlt wie mit diesem Projekt. Leute bezahlen mich für’s Podcast machen? Haben die einen Knall?!)

Zur Podcast-Seite

12 Podcast- und Hörspiel-Highlights 2022 (und mehr)

Ein Teil meines Podcatchers

Nur noch sechs Tage im Jahr und noch einige Listen zu verbloggen. Fangen wir mal mit Audio an. Letztes Jahr habe ich noch über “Podcast-Highlights” gebloggt, aber ich schreibe inzwischen auch so viel über Hörspiele (und es sind auch zwei in der Liste), dass ich sie hier mal mit aufnehme. Alle genannten Produktionen sind aber hoffentlich zumindest noch eine Weile zeitsouverän im Netz abrufbar – und damit sind sie ja im Grunde auch alle Podcasts.

Außer Konkurrenz: #Podcapril

Der #Podcapril, mein Projekt, in dem ich einen Monat lang nur Podcasts gehört habe, die ich nicht kenne, um meinen Horizont konzentriert zu erweitern, hängt mir immer noch positiv nach. Ich habe sehr viel gelernt und freue mich bereits darauf, daraus eine regelmäßige Institution zu machen. Eine Liste für nächstes Jahr habe ich schon begonnen.

Himmelfahrtskommando – Mein Vater und das Olympia-Attentat (Patrizia Schlosser, Bayern 2)

Diese Liste hat bewusst keine Ordnungszahlen, aber als ich Himmelfahrtskommando hörte, dachte ich ziemlich schnell “Das ist der beste Podcast des Jahres bisher” und es kam auch nichts mehr nach, was mich noch mehr begeistert hätte. Patrizia Schlosser nutzt die Polizeivergangenheit ihres Vaters nicht zum ersten Mal, aber es gelingt ihr dennoch, Zeitgeschichte spannend zu erzählen, neue Erkenntnisse und Perspektiven hinzuzufügen und einen persönlichen Redemption Arc obendrauf zu packen. Das ergibt zusammen einfach eine sehr gute Mischung aus Information und Emotion, die es sich in jedem Fall zu hören lohnt.

Erdsee (Judith Adams, Jörg Schlüter, WDR)

Große Prestige-Hörspieladaptionen von Literaturklassikern landen aufgrund des möglichst breiten Appeals, der die Kosten rechtfertigen soll, oft ziemlich im Mittelmaß, aber an Judith Adams’ BBC-Adaption von 2018, die noch in Zusammenarbeit mit Ursula LeGuin begonnen, dieses Jahr auf deutsch übertragen und von Jörg Schlüter für den WDR inszeniert wurde, ist einfach nicht viel auszusetzen. Sie fängt Magie und sense of wonder des Originals gut ein und macht die Geschichte gut hörbar ohne in die typischen (insbesondere expositorischen) Fallen von literarischen Hörspielen zu treten. Dicke Empfehlung, insbesondere für die verbleibenden Wintermonate.

The Best Advice Show (Zak Rosen, Independent/Co-Loop)

So gerne ich lange, erzählte Podcasts höre, so gerne höre ich auch kurze Nugget-Formate, wenn sie einen gewissen Touch habe. Zak Rosen teilt zweimal die Woche einzelne Ratschläge von sehr unterschiedlichen Leuten, die man annehmen kann oder nicht. Die Themengebiete reichen von Self-Help bis Kochen und decken auch alles dazwischen ab. Das Format gibt es seit 2020, aber ich habe es erst dieses Jahr entdeckt. Besonders gevibet habe ich mit “When you’re there, do the thing“.

New Music Update (Miles & Miles, Independent)

Im Herbsturlaub wohnte in der Nebenwohnung eine Familie, mit der wir uns gut verstanden haben. Der Vater ist eigentlich Jazz-Gitarrist, aber auch als Pop-Produzent unterwegs. Und als er einige Wochen später mit seinem Produzenten-Partner einen Podcast startete, habe ich erstmal nur aus persönlicher Sympathie reingehört. Aber die Mischung aus “Blick in die Playlists” und “Diskussion zum aktuellen Musikbusiness-Geschehen” hat mir auch unabhängig davon gut gefallen.

Working Overtime (June Thomas, Karen Han und Isaac Butler, Slate)

Das Schwesterformat (im gleichen Feed) zu Slates Working dreht sich ebenfalls um Ratschläge und Reflexion, vor allem zu kreativer Arbeit. Für mein erstes Jahr als größerer Freiberufler war das nicht nur enorm hilfreich, ich finde auch die Dynamik zwischen den drei Hosts einfach sehr sympathisch und angenehm.

Plötzlich Mächtig – Das erste Jahr im Bundestag (Birthe Sönnichsen, Marcel Heberlein und Vera Wolfskämpf, Studio Jot/1LIVE/rbb24 Inforadio/ARD-Hauptstadtstudio)

Die größte Kritik, die ich an “Plötzlich Mächtig” äußern konnte, ist, dass es zu viel Geschichte in zu wenig Zeit pressen will. Davon abgesehen ist die Langzeitbeobachtung vier junger Bundestagsabgeordneter differenziert erzählt und sehr aufschlussreich. Ich könnte mir vorstellen, dass sich der Podcast gut im Gemeinschaftskunde-Unterricht einsetzen lässt, und ich hoffe, er bekommt irgendwann eine Fortsetzung, denn die Protagonisten sind einfach hervorragend gewählt.

We Were Three (Nancy Updike, Serial)

Niemand beherrscht die Disziplin “große gesellschaftliche Themen durch persönliche Geschichten” so gut wie die Alumni von This American Life und We Were Three ist keine Ausnahme. Eine bittere Geschichte über Familie, Entfremdung und Trauma, gefiltert durch lange Interviews mit einer Protagonistin und viel einordnende Reflexion der Erzählerin. Sehr intensiv und trotz Vertrauens auf gewohnte Stilmittel auf seine eigene Art ungewöhnlich.

Land of the Giants: The Facebook-Meta Disruption (Shirin Ghaffary, Alex Heath, The Verge)

Wenn Podcasts über “Geschichte” sprechen meinen sie fast immer Dinge, die irgendwie abgeschlossen wirken, aber die noch kurze Geschichte von Facebook zeigt, wie viele Sackgassen und Abbiegungen das Unternehmen in den 17 Jahren seines Bestehens bereits irgendwie überstanden hat. Im so kurz-erinnernden Internet, in dem kaum etwas mehr als ein paar Jahre hält, finde ich es sehr wichtig, diese Art von Rückblick gelegentlich zu wagen, um das Jetzt besser zu verstehen. Hier hat The Verge mal wieder sehr gut abgeliefert.

Cautionary Tales: Die Südpol-Trilogie (Tim Harford, Pushkin)

Tim Harfords Format Cautionary Tales, in denen er berüchtigte Fails aus der Geschichte mit sozialwissenschaftlicher Forschung verbindet, bereitet mir schon seit Jahren viel Freude. Dieses Jahr widmete das Format drei Folgen den Polarforschern Roald Amundsen und Robert Scott und beleuchtete ihre Lebensgeschichten und ihr berühmtes Rennen zum Südpol aus verschiedenen Blickwinkeln, die gemeinsam ein Netz aus Thesen weben, das immer wieder Erwartungen unterwandert.

Diese eine Liebe (Marco Seiffert, RBB)

Marco Seiffert beweist in seinem Format zur Berlin-Tour der Band Die Ärzte eindrücklich, dass sich auch offen zur Schau gestelltes Fan- bzw. Nerd-Tum mit journalistischer Haltung zu einem vielleicht nicht unbedingt besonders deepen, aber aber doch unterhaltsamen und immer wieder überraschenden Format zusammenrühren lässt. Gerade die persönliche Haltung und Beziehung zu seinem Thema und seinen Protagonisten ist es, die den Podcast besonders macht. Nur, wenn man Die Ärzte gar nicht ausstehen kann, würde ich nicht zum Hören raten.

Freitagnacht Jews: Jew Noir! Who Framed the Jew? (Daniel Donskoy, WDR)

In einigen gesellschaftlichen Debatten bin ich oft immer noch ziemlich clueless, und bevor ich diese Podcast-Episode im Podcapril empfohlen bekam, kannte ich Daniel Donskoy und sein Fernseh-Format Freitagnacht Jews (das kurze Zeit später einen Grimme-Preis bekam) auch nicht. In dieser Episode des vierteiligen Podcast-Ablegers führt Donskoy die diversen Antisemitismus-Debatten der vergangenen Jahre als ironisch-unterhaltsame Film-Noir-Mystery auf und verbindet Interviews mit einer sehr gut geschriebenen Erzählfigur. Solche genialen Formatbrüche braucht es bitte mehr!

2035 – Die Zukunft beginnt jetzt (Diverse, ARD/Deutschlandradio)

Mein letztes großes Kritikprojekt für dieses Jahr (erscheint erst im Januar) war die große ARD-Omnibus-Hörspielunternehmung zum Jahresende, in der jede ARD-Anstalt und das Deutschlandradio ein Hörspiel zur nahen Zukunft in Auftrag gegeben hat. Nicht alle Hörspiele sind super, aber einige – insbesondere von jüngeren Autor*innen – sind ziemlich gut und obwohl die kritische Auseinandersetzung mir in den letzten Wochen viel Stress verursacht hat, möchte ich sie doch weiterempfehlen. Meine Favoriten: “Landunter” (Wilke Weermann, Radio Bremen) und “Ein Käfer, der Erinnerungen frisst” (Fabian Raith und Sofie Neus, Deutschlandfunk Kultur).

Nicht aus diesem Jahr

Zwei Produktionen, die ich noch empfehlen will, habe ich dieses Jahr nachgehört, der größte Teil ihres Wirkens stammt aber aus zurückliegenden Jahren.

The Turning: The Sisters Who Left (Erika Lantz, Rococo Punch/iHeartMedia, 2021) erzählt von Aussteigerinnen des Ordens von Mutter Teresa. Beeindruckt hat mich daran vor allem die Kombination aus sehr kritischer Berichterstattung bei gleichzeitig großer Empathie. Niemand wird verteufelt, persönlicher Glaube wird sehr ernstgenommen und niemals von außen oder spöttisch beurteilt. Dennoch werden strukturelle Probleme systematisch aufgearbeitet und Grausamkeiten eindeutig als solche benannt. Wie gut The Turning ist, fiel mir vor allem auch im Kontrast zum deutschen Just Love (HR) auf, der irgendwie das gleiche versucht, aber es dabei nicht schafft, über seine Presenter-Investigativ-Pose hinauszuwachsen.

Fall of Civilizations (Paul Cooper, Independent, 2019ff.) ist eine Art Hörbuch-Podcast, der die Geschichte des Zusammenbruchs von Weltreichen auf der Basis historischer Quellen mit Soundkulisse nacherzählt. Mein Interesse an Geschichte wird immer vor allem dann wach, wenn ich glaube, daraus Schlüsse auf die Conditio Humana ziehen zu können (siehe diverse Beispiele oben) und das macht Cooper ganz gut. Für mich war Fall of Civilizations vor allem eine Horizonterweiterung mit Blick auf Zivilisationen außerhalb von Europa, etwa die Maya, die Khmer oder die Songhai in Westafrika. Sicher könnte man diese Geschichten auch weniger stark aus westlicher Perspektive erzählen, die Cooper sicher nie ganz abstreifen kann, aber als Einstieg fand ich seine Erzählung empathisch und sehr lehrreich.

Lobende Erwähnung: Die Wochendämmerung (Holger Klein, Katrin Rönicke, Hauseins)

Die Wochendämmerung höre ich schon eine ganze Weile (mindestens seit 2017 oder 2018) und wie bei jedem langlebigen Format habe ich eine parasoziale Beziehung mit den Hosts entwickelt (wobei ich Katrin immerhin auch einmal persönlich getroffen habe), die aber über die Jahre durchaus auch Höhen und Tiefen hatte. Zwischendurch ging mir das Format, das einmal die Woche Nachrichten aus der persönlichen Perspektive der Hosts zusammenfasst, gerade durch seine persönliche Färbung auch mal etwas auf den Keks, aber bei den dieses Jahr dominanten Themen war ich wieder sehr dankbar dafür. Wer, wie ich, kein News-Junkie ist, dennoch gerne einmal die Woche weiß, was sich in der Welt getan hat, keinen Bock auf den Ton der Lage der Nation hat, und bereit ist, sich an Meinungen auch mal zu reiben, dem empfehle ich die Wochendämmerung aus vollem Herzen.

Mehr Hörempfehlungen gebe ich regelmä´ßig (noch) auf Twitter und vor allem auf Piqd. Meine Kritiken in epd medien sind leider meist nicht online zu lesen, aber ich teile Ausschnitte in unregelmäßigen Abständen auch hier im Blog.

In den nächsten Tagen folgen an dieser Stelle noch Rückblicke zu Film & TV sowie zu meinen persönlichen Jahreshighlights.