Wie komponiert man einen Found-Footage-Film? – Interview mit Earth to Echo Editor Carsten Kurpanek

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Wie knuddelig kann ein Roboter sein? Einige Filme haben über die Jahre versucht, darauf die Antwort “sehr” zu geben – zuletzt und am prominentesten vermutlich Pixars Wall-E. Earth to Echo steht somit in einer lebendigen Tradition, und weil Echo, die eulenähnliche Titelfigur aus Metall, außerdem ein Außerirdischer ist, kann man E.T. gleich noch als zweiten Geburtshelfer dazupacken.

In der Tat folgt der Film, der in Deutschland diese Woche direkt auf Blu-ray und DVD erscheint, dem groben Handlungsmuster von E.T. fast eins zu eins: Kinder finden Außerirdischen, der wieder nach Hause möchte; Regierung jagt Kinder; Außerirdischer setzt “magische” Fähigkeiten ein, um Kindern zu helfen. Wer mag, kann dazu “Alles schon gesehen!” rufen, aber Earth to Echo aktualisiert das Thema gekonnt, indem er den Film zur Abwechslung aus “Found Footage” und Google Earth-Grafiken zusammenklebt und generell Technik eine große Rolle spielen lässt. Herzstück des Films ist eine Schnitzeljagd, die auch dann Spaß macht, wenn alles etwas vertraut erscheint.

Von Mainz nach L.A.

Carsten Kurpanek hat mit mir in Mainz Filmwissenschaft studiert, doch während bei mir immer klar war, dass ich zufrieden damit sein würde, über Filme zu schreiben, statt selbst welche zu machen (Die einzige Kopie meines Kurzfilmversuchs Der Tod hat ein Klemmbrett liegt unvollendet und gut versteckt in einem Bankschließfach in der Schweiz), hat sich Carsten spätestens nach einem Auslandsaufenthalt an der Ball State in Indiana in die Idee verbissen, in die Praxis zu wechseln.

Weil er trotz einiger Erfolge mit Kurzfilmen ahnte, dass er in Deutschland ohne formale Ausbildung nur schwer einen Fuß auf den Boden bekommen würde, entschied er sich, an die Quelle zu gehen und zog nach dem Studium in die USA. Mit Talent und Hartnäckigkeit hat er sich in Hollywood in relativ kurzer Zeit vom Hiwi in einer Produktionsfirma zum Feature Editor hochgearbeitet. Eine Tatsache, die mich immer noch manchmal staunen lässt. Am baffsten war ich sicher, als The Girl with the Dragon Tattoo vor zwei Jahren den Oscar für den besten Schnitt gewann und ich wusste, dass Carsten dort Assistant Editor war.

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Als Carstens Freund verfolge ich seine Arbeit so gut ich kann, und ab und zu muss er dann mal als Interviewpartner herhalten – so wie jetzt. Earth to Echo war Carstens erster Studiofilm, bei dem er tatsächlich als einer von zwei Editoren im Abspann steht. Aus New Orleans, wo er bereits am nächsten Projekt arbeitet, hat er mir per E-Mail auf meine Fragen geantwortet.

Die letzten beiden Male, die ich im Kino gejubelt habe, weil dein Name auf der Leinwand stand, war bei World War Z, wo du Assistant Editor warst. Wie hast du den Weg zu “Earth to Echo” gefunden?

Nach World War Z hatte ich das Glück, meinen ersten Spielfilm als Editor zu schneiden: Squatters vom deutschen Regisseur Martin Weisz. Danach ging es weiter mit ein paar Independent Filmen, Diving Normal und Fort Bliss. Ich hatte also schon ein paar Credits als der Anruf für Earth To Echo kam. Zudem bin ich seit etwa sechs Jahren mit dem Regisseur befreundet und habe einige seiner Kurzprojekte geschnitten (“Zombie Roadkill”, “Ham Sandwich” etc.).

Du bist “Co-Editor” und teilst dir den Credit mit deinem Kollegen Crispin Struthers. Was ist die Geschichte dazu?

Crispin hatte gerade Silver Linings Playbook geschnitten als Earth To Echo in Produktion ging. Earth To Echo war zu Beginn ja eine Disneyproduktion und wurde später an Relativity verkauft, und Studios gehen lieber auf Nummer sicher. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nur Squatters geschnitten. Glücklicherweise für mich wurde Crispin dann angeboten, American Hustle zu schneiden und zu sowas sagt man nicht nein. Er er hat also den Film vorzeitig verlassen und diesmal war der Regisseur Dave Green in der Lage, das Studio und die Produzenten zu überreden, mich einzustellen. Das war im Frühjahr 2013 und ich war bis zum Release in den USA im Juli 2014 am Projekt beteiligt.

Hat es dich angesprochen, dass die Hauptfigur im Grunde auch ein Filmemacher und Editor ist?

Ich wünsche mir oft, wir hätten als Kinder die Möglichkeiten gehabt, Filme zu drehen. Mir wäre das damals nie eingefallen. Und die digitale Revolution hat es Kids heutzutage viel leichter gemacht, audio-visuell kreativ zu sein. Earth To Echo ist definitiv für diese “Generation YouTube”. Einen Filmemacher als Hauptfigur zu haben (Spoiler Alert: der das Ende des Films überlebt), erlaubt einen stilistisch ein paar Freiheiten mit dem Found-Footage-Genre zu haben: wir haben zum Beispiel Voice Over und Score im Film.

Szenen nachdrehen mit dem iPhone

Das Found-Footage-Format hat uns gewissen kreative Freiheiten in der Post ermöglicht, die man in traditionellen Spielfilme nicht hat. Zum Beispiel ist Bildqualität nicht unbedingt ein Faktor. Wir waren in der Lage sehr spontan Szenen nachzudrehen und haben dabei nur ein iPhone verwendet. Da die Kamera oft eine POV ist und man die Kids nicht ständig im Bild sieht, hat man dadurch auch unglaublich viel Freiheit den Dialog im Nachhinein zu verändern. Der Film hat sehr viel ADR (additional dialog recording). Das wichtigste Stilmittel im Schnitt hinsichtlich eines Found-Footage-Films ist der Jump Cut.

Habt ihr euch Regeln aufgestellt, wie ihr diese Stilmittel einsetzen könnt? Man sieht ja zum Beispiel auch Einstellungen aus Echos Perspektive, die die Kids gar nicht als Video haben können. Habt ihr euch dazu eine Erklärung ausgedacht?

Wir hatten gewisse Regeln. Zum Beispiel habe ich vermieden Einstellungen zusammenzuschneiden, die das Gefühl von “Coverage” erwecken, also Aktion-Reaktion im Bild, vor allen in Dialogszenen. In der Diner-Szene haben wir die Regel ein, zwei Mal gebrochen. Das schaut dann fast zu “normal” aus, zu sehr nach Spielfilm – es schadet der Authentizität eines Found-Footage-Films. Ein Problem im Genre ist oft, dass der Kamera normalerweise die Batterie ausgehen würde, der Speicher nach ein paar Stunden Abenteuer voll ist und der Ton sehr mies wäre. Jeder Found-Footage-Film versucht, dieses Problem einfach unter den Tisch zu kehren. Wir sind da keine wirkliche Ausnahme. Wir erklären, dass Echo die Mobiltelefone quasi hijackt. Er gibt ihnen unbegrenzten Strom. Wie er seine persönlichen Videoaufzeichnungen auf den Telefonen der Kids speichern konnte, ist ein Geheimnis, das nur eine Fortsetzung lösen könnte.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Regisseur Dave Green allgemein? War ja sein erster Langfilm.

Dave und ich haben ein halbes Dutzend Kurzprojekte zusammen fertiggestellt. Wir sind schon seit 2008 befreundet und wir verstehen uns sehr gut privat und beruflich. Dave ist sehr involviert im Schnitt. Normalerweise schneide ich eine Version ohne seinen Einfluss, dann probieren wir mehrere Alternativen aus, bis wir entweder etwas Besseres gefunden haben oder überzeugt sind, dass die aktuelle Version die beste ist. Mein Job ist, Daves Ideen und seine Vision umzusetzen, so gut ich kann. Glücklicherweise schätzt er auch meine Meinung und es ist ihm wichtig, dass ich am Ende auch mit dem Schnitt zufrieden bin.

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Am Ende hauptsächlich VFX Reviews

Wie lief die Zusammenarbeit mit dem Visual Effects-Team? Habt ihr die effektlastigen Sequenzen zuerst geschnitten und übergeben? Gab es Storyboards? Ich kann mir so schwer vorstellen, wie man bei so einem Film die VFX plant. Da muss die Zusammenarbeit mit dem Editorial doch bestimmt sehr eng sein.

Wir hatten Storyboards, Pre-Viz [bewegte Prävisualisierung, zum Beispiel mit groben Computeranimationen, -Alex] und auch etwas Post-Viz [Grobe Vorvisualisierung der geplanten Effekte im gedrehten Material -Alex]. Die schwersten Szenen waren der Lastwagen und das Raumschiff. Wir hatten auch zwei tolle Assistant Editors, Matt Sweat und Justin Yates, die in After Effects sehr gut sind und viele “temp” VFX erstellt haben, die dem VFX-Team als gute Vorlage gedient haben. Wir hatten etwa hundert VFX Shots und fast ein halbes Dutzend VFX-Firmen, die für uns sehr, sehr lange Tage und Nächte gearbeitet haben. Gegen Ende eines Projektes, wenn der Schnitt fast fertig ist, besteht der halbe Tag aus VFX Reviews. Wir schauen uns die neuesten Versionen an und geben Feedback.

Was war deine schwierigste Szene als Editor und welche kreative Lösung hast du dafür gefunden?

Die Opening Montage war die Szene an der ich am meisten gearbeitet habe. Um die hundert Versionen habe ich dafür erstellt, wenn auch zum Teil nur leichte Varianten. Wir haben in Testvorführungen oft die Kritik bekommen, dass der Beginn des Films zu langsam ist. Die Lösung war, das Interview mit Munch und Alex voranzustellen. Es hat ein paar humorvolle Momente was den Zuschauern die Erlaubnis gibt zu lachen. Wenn dann die sehr traurige Opening Montage anfängt, fühlt es sich nicht mehr ganz so schwer an.

Ich fand den Film wirklich knuffig. Die Verwandtschaft mit E.T. ist natürlich unübersehbar. Du magst den Film ja sehr gerne, soviel ich weiß. Ist das etwas, worüber ihr im Schneideraum gesprochen habt?

Natürlich. E.T. und Goonies wurden ständig als Referenz herangezogen. Wir lieben diese Filme. Wir sind mit ihnen aufgewachsen. Earth To Echo ist definitiv ein von den Amblin-Filmen der 80er inspirierter Kids-Adventure Film – ein Film, der die Kinder erst nimmt ohne dabei ein ernster Film zu sein. Manche Kritiker sahen nur einen Abklatsch, ich würde es Hommage nennen. Der Film ist zudem stilistisch so anders als .

Was hast du getrieben, seit Earth to Echo fertig ist und was sind deine nächsten Projekte?

Ich habe im Sommer ein paar Kurzfilme gedreht, Werbung und Musikvideos geschnitten – während ich darauf gewartet habe, meinen nächsten Spielfilm zu schneiden: Ich bin gerade in New Orleans, wo das Kickboxer Remake mit Jean Claude Van Damme gedreht wird – und ich habe das Glück, den Film mit meinem Freund und Kollegen Chris A. Peterson zusammen schneiden zu dürfen. Der zwölf Jahre alte Carsten ist überglücklich. Und ich bin es auch.

Earth to Echo ist seit 2. Dezember auf Blu-ray und DVD erhältlich

Warum uns Mockingjay mehr in Erinnerung bleiben wird als Interstellar

© Warner, StudioCanal

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in unbeobachteten Momenten ist es, vorherzusagen, an was wir uns als typisch erinnern werden, wenn wir in zwanzig Jahren auf unsere jetzige Zeit zurückblicken (übrigens auch einer der Gründe, warum ich unbedingt beim Techniktagebuch mitmachen wollte). Wenn man beobachtet, wie zurzeit auf die 90er zurückgeblickt wird, ob mit Liedern oder “Buzzfeed”-Listen merkt man doch, dass nicht unbedingt die Dinge im Gedächtnis bleiben, die man damals für wichtig hielt.

Lenkt man die Zeitgeistforschung auf die aktuelle Kinolandschaft und dort spezieller auf die Blockbuster der letzten Wochen, fallen einem zwei Filme auf. Christopher Nolans Interstellar hat alles, was es für einen “großen Film” braucht: einen visionären Regisseur von solchem Kaliber, dass sein Name ausreicht, um Zuschauer ins Kino zu ziehen, ein massives Kinoereignis, ein Originalstoff und mindestens einige Effekt-Oscars am Horizont. Auf der anderen Seite erscheint Mockingjay – Part 1 wie der typische massenproduzierte Plastikblockbuster von der Art, wie sie Hollywood inzwischen am laufenden Band raushaut. Die letzte gedrehte Performance von Philip Seymour Hoffman genügt mit Sicherheit nicht, um ihn zu etwas Besonderem zu machen.

Und doch ist Interstellar aus Zeitgeist-Sicht ein Film, der genau wegen seiner Alleinstellungsmerkmale überhaupt nicht in unsere Zeit passt. Fast schon ein Relikt ist er, mit seiner Fetischisierung von Filmmaterial und seiner Besinnung auf konservative Werte wie die Kernfamilie und den einzelnen “Great Man“, den Pionier, der die Menschheit ins neue gelobte Land führt. Mockingjay – Part 1 hingegen ist voll und ganz ein Produkt seiner Zeit und wird in zwanzig Jahren als so typisch für die erste Hälfte der 2010er gelten können, wie kaum ein anderer Film. Warum? Ich bin froh, dass ihr fragt.

1. Er spielt in einer dystopischen Zukunft

Ja, Interstellar auch. Aber während Nolans Film seine vage und wenig erklärte Öko-Katastrophe nur als Mittel zum Zweck nutzt, um seine Hauptfiguren auf den Weg zu einer neuen Frontier zu schicken, ziehen die “Hunger Games”-Verfilmungen ihre graumelierte Zukunftsvision knallhart durch. Und eine gesellschaftliche Spaltung in Haber und Nicht-Haber, bei der die Nicht-Haber zu einem Leben in Staub und Knechtschaft verdammt sind, ist nicht nur in Panem Programm, sondern in großen Teilen der Mainstream-Science-Fiction – auch im Kino, von Elysium bis Snowpiercer. Die Arizona State University hat sogar ein Programm namens “Hieroglyph” aus der Taufe gehoben, um wieder hoffnungsvollere Visionen zu produzieren, die die Forscher der Zukunft inspirieren sollen. So gut es uns teilweise im Moment noch geht, wir blicken alle in den Abgrund, der sich vor uns auftut.

2. Er ist Teil eines Franchises

Genau die Eigenschaft, die Mockingjay – Part 1 zu einem generischen Stücken Hollywood-Schlock zu machen scheint, macht ihn auch zu einem typischen Produkt unserer Zeit. Die 2010er-Jahre werden die Dekade der Franchises und des seriellen Erzöhlens sein. Seit Harry Potter und die Lord of the Rings-Filme bewiesen haben, dass ein treues Publikum brav alle paar Jahre wieder in die Kinos schlappt, um der Weitererzählung einer nicht abgeschlossenen Geschichte beizuwohnen – die oft nicht viel mehr ist als die Bebilderung eines ohnehin erfolgreichen Buches – gibt es bei der Franchisisierung in Hollywood kein Halten mehr. Nicht nur durch den Aufbau von Shared Universes wie bei Marvel und Co, sondern durch das Auswalzen einer Story auf mehrere Filme. Mockingjay – Part 1 ist nur das jüngste Beispiel dieser merkwürdigen “Penultification” (Dan Kois), die durch den Erfolg von seriellen Fernseherzählungen (und jetzt auch Podcasts) nur befeuert wird. Ich gehe schwer davon aus, dass diese Welle in zwanzig Jahren ein wenig abgeflaut ist.

3. Es geht um Medien

Interstellar ist ein altmodisches Forscherabenteuer – es zählt nur, was man mit den Händen berühren kann. Zentrale Plotpunkte des Films basieren darauf, dass Pioniere und Heimatbasis nur eingeschränkt miteinander kommunizieren können und natürlich muss die Raumfähre auf jedem Planeten, den es zu erforschen gilt, landen, statt aus der Luft zu sehen, dass es da unten nur Wasser und turmhohe Wellen gibt. In Mockingjay und den anderen “Hunger Games”-Filmen spielt Kommunikation eine der Hauptrollen. Vom zentralen Plotpunkt der Reihe, den titelgebenden Hungerspielen, die im Grunde eine Weiterentwicklung von Reality Shows wie “Survivor” oder “Big Brother” sind – bis hin zu den Propaganda-Videos, die Katniss im jüngsten Teil drehen muss: Medien und mediale Inszenierung stehen im Mittelpunkt der Handlung. Was könnte besser passen zu unserem Informationszeitalter voller Selfies und sozialer Netzwerke, voller YouTube-Stars, die aus dem Nichts geboren werden, und Überwachungsstrukturen, die uns vielleicht schon bald dazu zwingen, unser tägliches Leben noch mehr zu inszenieren, um nicht unter Verdacht zu geraten? Mockingjay mag eine “Young Adult”-Version der Zukunft sein, in der die wichtigste Bezugsperson der eigene Kostüm- und Makeup-Designer ist, aber der Film trift damit genau die brachliegenden Nerven unserer Zeit.

© StudioCanal

4. Die Hauptfigur ist eine Frau

Fuck yeah! Die 2010er werden hoffentlich die Dekade sein, an die wir uns erinnern, wenn es darum geht, dass 150 Jahre Feminismus endlich soweit im Mainstream angekommen sind, dass selbst der dümmste Studioboss einsehen muss, dass die wichtigsten Mover und Shaker einer Welt, auch einer fiktionalen Welt, nicht Männer sein müssen. Katniss Everdeen ist der weibliche Superheld, der Hollywood auf den Pfad von Wonder Woman, Frozen und Captain Marvel geführt hat, die Anti-Bella, die ihr verdammtes Schicksal selbst in die Hand nimmt. Als zu großen Triumph sollte man das jetzt noch nicht feiern, dafür ist noch zu viel zu tun, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Zum Vergleich: Interstellar

5. Es geht um eine Revolution

Hiermit schließt sich der Kreis zu Punkt 1. Auch wenn Occupy Wall Street und der arabische Frühling schon wieder verebbt scheinen, erreichen uns auch 2014 immer wieder Nachrichten von Aufständen und Protesten auf der ganzen Welt, von Hong Kong über Ferguson bis Bangkok, wo Mockingjay nicht gezeigt wurde, weil Protestierer den Drei-Finger-Gruß des Films als Zeichen annahmen. Revolution liegt in der Luft – vielleicht nicht in Deutschland, dafür geht es uns noch zu gut, aber im globalen Zeitgeist definitiv. In zwanzig Jahren werden wir wissen, ob diese Stimmung der Anfang einer großen Umwälzung war oder doch nur ein Blip auf dem Radar des großen Weiter-als-wäre-nichts-gewesen.

Lege ich Mockingjay eine Last auf, die der Film nie im Leben tragen kann? Ist Interstellar vielleicht doch kein Relikt sondern nur seiner Zeit voraus? In die Kommentare, bitte.

65daysofstatic’s Paul Wolinski about Science Fiction, Nostalgia and “No Man’s Sky”

Paul Wolinski explicitly told me he likes doing interviews. After our twenty minutes of sitting together in a dressing room, he walked me back to the backstage area of their show in Wiesbaden and I asked him a question I didn’t think of while my recorder was running. Does he actually think it’s a good thing for a musician to think too much about the music they’re making? I liked his answer. He said it’s really not a good idea to do it while you are writing the music, but it’s quite healthy to reflect on what you did after the fact, which is why he likes giving interviews.

It’s probably also why 65daysoftsatic’s interviews are always worth reading or listening to. For an instrumental band, Paul and his co-founding bandmate Joe Shrewsbury have a lot of interesting things to say, and they talk about their music and the dozen or so years of their career with disarming honesty. Of the two, Paul is probably the McCartney to Shrewsbury’s Lennon, if you really want to search for these dichotomies in every band. Where Joe, somewhat reluctantly it seems, takes a scowling center stage at 65daysofstatic’s shows, Paul is the quietly smiling guy with no beard and less unruly hair on his left, bent over a keyboard and apparently really sinking into the music.

I wanted to interview Paul ever since I bought his solo record “Labyrinths” in 2011, a synthesizer-infused trip through 1980s video games, 1970s science fiction movies and their respective scores. When 65daysofstatic released a new soundtrack to the science fiction classic Silent Running a year later, I wanted to interview him even more. There was a throughline I sensed about the music he was involved with, and I wanted to quiz him about it, especially after I saw what he likes to read.

If you have never heard 65daysofstatic’s music, you probably should give it a spin before (or while) reading the interview. The albums of the Sheffielders sound quite different from each other, but they all share an impressive melange of post rock guitar dramatics, powerful syncopated drumbeats and glitchy electronic fiddlings that is hard to put into any one box. They released a free, career-spanning mixtape called “The Last Dance” on SoundCloud in 2012, which is a good place to start.

What is it that interests you about science fiction?

Well, to begin with, I suppose, when I was a teenager, I used to love reading all kinds of sci-fi books and I think it was just about the pure escapism, really, and the geeky side of me. And I really loved the cyberpunky stuff, people like Neal Stephenson. Bruce Sterling, I was a big fan of. Just that kind of tech, Blade Runner sort of sci-fi. I never really got into Star Trek or anything like that. But the dark stuff, I really enjoyed it. These days, I don’t know. I tried to step away from it in my twenties, because I had this sort of weird … not that it was a guilty pleasure, but I started reading Naomi Klein and people like that and thought: fuck, I need to learn what’s going on in the real world. So I put all that aside for a while and stopped reading it and following it in the same way that I did as a teenager for quite a long time. It’s only in the past few years where I’ve just kind of allowed myself to enjoy it. I think it’s really interesting these days how the reality has overtaken what sci-fi used to be good at.

People like William Gibson have said that they don’t write sci-fi anymore.

Yeah, and Bruce Sterling does these talks and these essays. I think he said something along the lines of “This is a better form for me now than trying to write novels. Deconstructing the present gives more of a clue of what I’m trying to get across than inventing any number of sci-fi worlds.”

I’ve always had the feeling that 65daysofstatic’s music also was about going into the future. Your first album, even in its title was about leaving something behind, “The Fall of Math”, and going to new places. Is that what you are trying to do?

Well, it was always about trying to find a new sound, I suppose, or be original. We’ve always been of the opinion that there’s already more than enough bands and more than enough music. You don’t really need any more. There’s more than you could hope to listen to in your lifetime. Excellent stuff. So, if you’re gonna be that self-indulgent to be in a band, if you’re driven to it anyway, then at the very least, you really need to try and do something useful. Try and be relevant to the world as you exist in it right now. Because there’s plenty of stuff covering the way it used to be, so you need to react to what’s really happening and try to articulate it. We always used to be like that. The last record we approached a little differently in one respect, just because as far a electronic music goes, it does feel like it’s plateaued a little bit, in terms of what’s possible. I just heard the new Aphex Twin album for the first time, today. It’s excellent, amazingly excellent, but it doesn’t sound new in the sense of it being unheard or unthought of music. If you listened to Aphex Twin twenty years ago, it was like nothing that had ever come before it, it was incredible, but it’s getting harder and harder to recreate that in music, I think. I sort of don’t think you can anymore.

You’ve used a science fiction metaphor for that as well, once. You said that, in the solar system, you can still find lots of places where you haven’t been, but you know where everything is.

Yeah, it’s one thing to have mapped a place, but it’s a completely different thing to have fully explored it.

So is that what you were doing with your most recent record, “Wild Light”?

To a point. All of this deconstruction of it comes afterwards, to tell you the truth. We didn’t sit in a room and wrote charts about the ideas behind the record, we just sort of made it and then worked out what we were doing afterwards. In hindsight, even when we did [2010 album] “We Were Exploding Anyway” – in our heads, it was this thing that could be proper pop music in the way that The Prodigy are pop music or The Cure are pop music, but still interesting and different and us. We pushed that as hard as we could and I really stand by that record, I’m proud of it, but it didn’t turn out like that at all. It was still pretty obscure. Maybe not for us, but relative to what we were aiming for. I think it opened with a song that starts in 17/8 or something, it’s crazy. But there was this striving to push forward, somehow, that was the agenda of that record. With “Wild Light”, we didn’t have that. It wasn’t about being lazy at all, it was just more about trying to be really good. Following the songs, whatever they happened to be. Don’t worry if it was something that we had done before or an idea that was a bit predictable in some ways. It was more about almost daring to not hide behind this sort of complexity, but strip everything back to the basics. We didn’t care, if it sounded original. Whatever that word meant, we just wrote until we felt it was good.

In general, this year, you found yourself at the other end of the spectrum, you looked back ten years to your first record and played it as a whole. And also, I think, with your solo record you channeled a lot of people that have been there before you. How do you feel about that? If you’re usually someone who tries to find new places to go and now you’re looking back, going to old places and revisiting them.

For the solo record, it was no masterplan that I was doing. It was just a bunch of material that I had started writing during the “Exploding” process, but that didn’t fit with 65. I just allowed myself to have some fun, I suppose, and not worry if things sounded a bit cheesy or generic in one way or another. I put it together and quite liked it. I have a hard time listening to it now. I find it hard to imagine that it was the kind of stuff I wanted to write. Not that I dislike it, I just find it hard to match me now with me then. I don’t know why. But it was cool and I’m glad I did it. 65 was always more important, but it was nice to do the sci-fi thing, because Caspar Newbolt, who has been the 65 artist for four or five years now, maybe a bit longer – he shares a lot of the same sci-fi landmarks and moments in time that I do. He had a spectrum computer when he was a kid and had all the sci-fi books with the brilliant covers that were evoked in the artwork. The Polinski record was the only thing I made where the artwork was finished before the music, so that actually influenced it. This wasn’t really your question, though.

Nevermind. It’s interesting.

So, that was just a little bracketed thing and it was cool. Doing the “Fall of Math” stuff was very different, because it feels like such a long time ago for us and we still play a lot of those songs live anyway, regularly, every night. And the ones that we don’t play fell away from the live show for a reason, because they didn’t translate as live songs very well. We were a little bit ambivalent about the anniversary thing for a long time. Monotreme records wanted to use it as a reason to finally put out a vinyl, which we thought was a really nice idea, because who doesn’t like vinyl? At some point the anniversary shows were suggested and we were a bit reluctant to do them.

Because you don’t want to be part of a heritage music industry?

That’s one reason. We certainly didn’t want it to seem like we have reached a stage where we do these looking back shows. I still absolutely think that “Wild Light” is our strongest material and we still feel like we ought to be an ongoing concern. Even if that’s not the truth, it’s what we’re aiming for. But biggest of all was: we’re so proud of our live show and everything we’ve done over the past decade has made us learn how significantly different the two disciplines are – writing/recording and then performing. Different songs work in different ways and by the time we go to “Wild Light”, we were developing our songs in parallel, we’d have the album version and we’d have the live version and they wouldn’t necessarily be the same, but they played to the strengths of the form. That’s what it’s all about. Use the form you have chosen, find what’s essential in it and concentrate on that. Having done all of that with “Wild Light” and being so pleased with the results, with the record and the live show – to then have to go back and think about the best way to perform songs that we wrote ten years ago and force them into the live template was a bit strange. Part of us wanted to rework them entirely, but that would have gone against the point of doing it in the first place, because it wouldn’t have sounded like doing the record then. We would have ripped them to shreds. So there were lots of conversations of that nature. Eventually we took the gamble, because Monotreme thought it was a good idea and our management thought it was a good idea.

Did you enjoy it in the end?

Yes, in the end. I don’t think it’s as strong as our normal live show, I have to say that. And we did insist on doing two sets, “The Fall of Math” and then the second full set, which we mostly just played “Wild Light” stuff on. Hopefully to show people, who were big fans of “The Fall of Math” but haven’t necessarily been paying attention to what we’ve been doing since, reminding them that we’ve got all this new stuff too. It was good, the crowd made us realize that we probably think too hard about these things sometimes and that it’s okay, every now and then, to just sort of pause and celebrate a thing that meant a lot to a bunch of people. That was really nice. Even the songs that we never play live anymore – they were weird. Certainly on stage it felt very disjointed to be playing them in that particular order, but it clearly worked, as far as the show went.

If you’re doing two sets like that, you’re also marrying something old to something new in a way … like you did with Silent Running. (we both chuckle at my lame attempt to create a segue) Is that comparable in any way?

Maybe as a metaphor. The processes couldn’t be further apart. I think we do that anyway in our normal show, which flows a lot better, because you can mix and match. I’ve never actually gone to a show, where a band plays a whole record.

I don’t like them, really, because I like to be surprised.

Yeah, exactly. But clearly people do, so, you know …

But do you think we are ever going to see a version of Silent Running with the music? It’s just been released on Blu-ray, so that would have been an opportunity.

No. Recently, we weren’t even allowed to do a live show. There was a really cool venue in England, which would have been perfect to do it. They wanted us to do it. And Universal or maybe it wasn’t even Universal but somebody with the Power said: Actually, no, it’s getting re-released on Blu-ray soon, so it would be inappropriate to have it showing with some other soundtrack. Back when we first did it, we somehow found the e-mail of director Douglas Trumbull and e-mailed him to let him know we’re doing it.

Sound’s great. Because he’s a real geek as well, right?

I think so, yeah. And we got a reply, which was amazing. The reply basically said: “Go for it. That sounds great. I’ve got no control over anything that happens with that film.”

It’s a shame.

Yeah. On the scale of the movie industry, we’re just completely anonymous. They wouldn’t make any money by reissuing Silent Running with our soundtrack.

Are you still involved with the video game “No Man’s Sky”? Can you tell me anything about that?

I cannot. (he grins) I can tell you that they did this trailer, about a year ago now, for some big games conferences and they used “Debutante” and then they used “PX3” for another trailer. It just exploded in the games world and it’s really exciting to be associated with that on that basic level.

Did that register with you at all? Did people actually buy some music?

I don’t know if they bought the music. I don’t think many people do that anymore, but there is a regular stream of people on Twitter or Facebook constantly going “Thanks to Hello Games for introducing me to 65daysofstatic, these guys are great”. That’s trickling in. And it’s really good to be associated with that as a thing, because it’s not a world I follow particularly closely, but everything I’ve seen about that game – as soon as they contacted us about using the music for the trailer, they sent some screenshots through. I went: Ah, that looks like those sci-fi book covers I read as a teenager, and everything I’ve heard them talk about is that they don’t just want to do another shooting game. It’s all about exploring the universe. So I said: Okay. That sounds like something that’s nice for 65 to be associated with.

Thanks a lot for taking the time.


65daysoftsatic’s latest album is called “Wild Light” and was released last year. Buy it here or check out the single “Prisms“. Monotreme Records re-released their 2004 debut “The Fall of Math” in early 2014. It’s also still available. Paul occasionally blogs on his website.

LARP als Transmedia Storytelling

Aus den Aufzeichnungen eines Traumatisierten

Mit meinem Faible für Fantasy und Science-Fiction in Film- und Buchform, dürfte es vermutlich die wenigsten Leser verwundern, dass ich auch dem Rollenspiel und auch dem Live-Rollenspiel (LARP – Live Action Role Playing) nicht abgeneigt bin. Ich bin alles andere als ein Hardcore-Larper, aber ich spiele konstant im Schnitt null- bis zweimal pro Jahr seit ich ungefähr 16 bin. Manchmal auf “traditionellen” Fantasy-Larps mit 50 bis 100 Teilnehmenden, meistens aber auf kleinen, speziell gestalteten Events in dem Freundeskreis, mit dem ich seit Jahren spiele.

In der Regel bin ich nur Spieler, aber in diesem Jahr habe ich nach längerer Zeit mal wieder eine Spiel-Leitung übernommen, die mich in den vergangenen Wochen jede Menge Zeit und Nerven gekostet hat. Irgendwann ist mir aufgegangen, dass sich in einem LARP viele Aspekte wiederfinden, die ich unter dem aktuellen Buzzword “Transmedia Storytelling” schon öfter hier im Blog gestreift habe, weil sie mich sehr interessieren – und die auch in der Filmwelt immer wichtiger werden. Ich dachte mir, es könnte von Interesse sein, ein paar meiner Erkenntnisse hier zu dokumentieren.

Unser LARP

Wer noch nie auf einem LARP war, sich aber für den Rest des Artikels interessiert, für den könnte es sich lohnen, vorher eine Einführung zu lesen. Wer so viel Zeit nicht hat, dem sei gesagt, dass LARP eine Art Mischung aus Schnitzeljagd und Improtheater ist, bei dem die Spieler in Rollen schlüpfen und gemeinsam eine Geschichte erzählen.

Mein Freundeskreis hat sich auf One-Shot-LARPs spezialisiert, bei denen zehn bis 20 Spielende und in der Regel drei Spielleitende (SLs) für ein Wochenende zusammenkommen. Die Charaktere werden – basierend auf groben Persönlichkeitswünschen der Spielenden – von der SL gestaltet. Das Spiel selbst ist in der Regel stark narrativ, wenig kampflastig und kommt mit minimalen Regeln aus.

Vor dem diesjährigen Event stand der Wunsch, ein LARP vor dem Hintergrund des kalten Krieges und der Atombomben-Angst der 80er Jahre zu machen. Die 80er sind lang genug her, dass sich die meisten von uns nur noch vage daran erinnern können, sie lassen sich aber durch ihre hinterlassene Popkultur und die diversen Revivals gut zuspitzen und bieten genug technologische Einschränkungen, um die für ein LARP so wichtige Isolation der Spieler herzustellen.

Der Plot

Das hier ist der Plot des LARPs, wie wir SLs ihn vor dem Spiel konzipiert hatten:

Seit sieben Jahrhunderten schon beobachtet eine Alien-Rasse die Erde als möglichen Planeten für eine Invasion und anschließende Besiedelung. Sie warten auf den richtigen Zeitpunkt, an dem die Atmosphäre und die aufgebaute Infrastruktur ein Leben auf der Erde sinnvoll erscheinen lässt. Dafür haben die Aliens im bayerischen Odenwald einen Signalsender versteckt, allerdings muss dieser in regelmäßigen Abständen händisch gewartet werden. Die Besuche der Aliens zur Wartung des Senders wurden im 14. Jahrhundert als Heiligenerscheinungen gedeutet und haben das Waldstück zu einem nicht offiziell anerkannten Pilgerort gemacht – doch jeder, der sich der Strahlung zu lange aussetzt, wird erst verrückt und stirbt dann einen grausamen Tod. Mit Beginn des Atomzeitalters wurde die besondere Strahlensignatur des Senders auch in anderen Kontexten wahrgenommen. Die Nazis hatten dort, wo heute eine Pilgerherberge ist, eine Forschungsstation – deren Mitglieder sich jedoch irgendwann gegenseitig zerfleischten. In den 1960ern hatte der Luft- und Raumfahrtkonzern Rockwell-Collins eine Expedition vor Ort, die jedoch ähnlich tragisch endete. Im Herbst 1982, die Wartung steht unmittelbar bevor, treffen in der Pilgerherberge drei Wissenschaftler, drei Esoterik/Ufologie-Autorinnen und drei Rockwell-Collins-Leute sowohl auf den einzigen Überlebenden der Expedition aus den 60ern, als auch auf die Alien-Bedrohung selbst. Können sie den Sender rechtzeitig deaktivieren, bevor die Erde der Alien-Invasion zum Opfer fällt?

Unnötig zu sagen, wahrscheinlich, dass die Spieler die Aufgabe natürlich gemeistert haben – auch wenn sie, wie üblich, vorher diverse Abwege beschreiten mussten. Die Invasion der Erde jedenfalls wurde verhindert.

Wie aber funktioniert das Ganze als immersives Transmedia Storytelling? Wenn man mal an das Transmedia Manifest denkt, möchte ich zwei Aspekte herausheben: Die unterschiedlichen Zugänge zur Geschichte und die tatsächliche Transmedialität, das heißt das Arbeiten mit verschiedenen Medien, um die Geschichte zu erzählen.

(Wer sich nicht so stark für die Details und eher für die allgemeine These interessiert, kann direkt zur Überschrift “Conclusio” springen.)

Rabbit Holes

Da wir die Charaktere vorkonzipiert hatten und es eine umfangreiche und vielschichtige Vorgeschichte an Ereignissen gab, die auf die geplanten Ereignisse des eigentlichen Spielwochenendes zuliefen, war es uns möglich, für neun verschiedene Spieler neun verschiedene Eintrittspunkte in den Plot zu schaffen – meiner Ansicht nach bei regulären LARPs, wo die Spieler ihre Charaktere mitbringen, häufig einer der holprigsten Punkte in Sachen narrativer Stringenz. Um alles etwas zu vereinfachen und den Spielern etwas Sicherheit für den Einstieg zu geben (wir hatten auch mehrere Erstspieler in der Gruppe), fassten wir die Spieler zu drei Gruppen zusammen:

Die Spiritistinnen – drei Spielerinnen verkörperten New-Age-Autorinnen unterschiedlichster Prägung, die von ihrem Verlag zusammengebracht wurden, um als eine Art “Dream Team” der New-Age-Literatur probeweise ein bestimmtes Phänomen zu untersuchen. Sie reisen also mit dem Ziel an, ihre bisher vertretenen Theorien an einer neuen Stelle zu testen, müssen sowohl zusammenarbeiten, als auch sich voneinander abgrenzen. Wir entschieden, dass in unserem Story-Universum Geister tatsächlich existieren, so dass die drei auch etwas zu tun bekommen würden.

Die Wissenschaftler – drei Spieler wurden zu Wissenschaftlern der Uni Frankfurt. Einer von ihnen ist Astronom mit Neigung zur Astrologie, der die anderen beiden mitgeschleift hat, die ihm wiederum aus unterschiedlichen Motivationen folgen. Sie wollen die Strahlungsdaten des Ortes mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen. (Die typische Geschlechterverteilung Wissenschaftler – Autorinnen ist übrigens nicht unseren Berufsklischees geschuldet, sondern den uns bekannten thematischen Vorlieben der Spielenden.)

Der Konzern – Zwei Spielerinnen und ein Spieler spielen Mitarbeiter der gehemeien Rüstungsabteilung des Luft- und Raumfahrtkonzerns Rockwell Collins, die als Wandergruppe getarnt herausfinden sollen, ob es ein natürliches Uranvorkommen vor Ort gibt. Sie wissen als einzigeBbescheid, dass es schon einmal eine Exkursion gab und dass diese gescheitert ist.

Für alle drei Gruppen gibt es also unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel. Jede Gruppe bringt ein eigenes skill set mit – und nur in der Kombination aller Fertigkeiten lässt sich das Rätsel im Kern des Plots – Was ist der Signalsender? Wo ist der Signalsender? Wie schalten wir ihn ab? – optimal vorantreiben. Fantasy-LARPs sind häufig ähnlich strukturiert, fassen die Gruppen aber gröber: die Kämpfer müssen Feinde besiegen, die Magier ein Ritual abhalten etc. Für uns war es essenziell, dass jeder Spieler eine Möglichkeit haben sollte, seinen spezifischen Hintergrund, sein durchquertes Kaninchenloch, auszuspielen. Die Spiritistinnen mussten einen Geist beschwören, die Wissenschaftler mit vereinten Kräften ein Gerät bauen, dass sie zu einem Hinweis führte und die Konzernmitarbeiter mussten die Interessen ihres Arbeitgebers wahren und nicht entdeckt werden (was ihnen auch gelang).

Kein Methlab, sondern Zutaten zum Herstellen von “Batteriesäure”

Quer durch die Medien

Ein großer Vorteil des 80er-Jahre-Settings in der Konzeption war für uns, dass wir von vornherein wussten, dass wir mit vielen verschiedenen Medien würden arbeiten können und nicht nur – wie sonst häufig der Fall – mit Textdokumenten. Am Ende reichte leider die Zeit nicht, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, aber auch so konnten wir einiges ausprobieren.

So habe ich beispielsweise für den ersten Abend eine einstündige Radiosendung konzipiert, die die Spieler in das Story-Universum möglichst effektiv einführen sollte. Es fällt schließlich nicht immer ganz leicht, sich vorzustellen, dass man 1982 spielt, wenn man bis vor wenigen Stunden noch 2013 gelebt hat. Die Radiosendung bestand aus einem Nachrichtenblock und einem 50-minütigen Musikprogramm, in dem immer wieder ein DJ dazwischenquatscht. Die Nachrichten waren nicht die echten Nachrichten aus dem Oktober 1982, ich hatte sie vielmehr ungefähr so formuliert, dass sie die bisherigen Ereignisse des Jahres (Falkland-Krieg, Koalitionsbruch etc.) einigermaßen zusammenfassten, um die Spieler zu erinnern, was alles so passiert ist. Die Musik setzte natürlich stark auf die Musik der Zeit. Eingesprochen wurde mir das ganze freundlicherweise von meinem ehemaligen Podcast-Gast Aileen Pinkert und ihrem Kollegen Sebastian Brandt, die Bürgerradio in Thüringen machen.

Am morgen des zweiten Tages ist das Radio auf eine Dauerschleife gesprungen, die immer wieder die gleiche Nachricht wiederholt: eine Atombombe ist in Deutschland explodiert. In Wirklichkeit ist diese Nachricht von den Aliens synthetisiert woden. Sie wollen, dass die Menschen ängstlich in ihren Häusern bleiben. Daher sind jede Menge inhaltliche Fehler im Text.

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Auch das Medium Video kam zum Einsatz. Bei einer Begehung des Geländes, während der wir die Schnitzeljagdpunkte für die Suche nach dem Signalsender festlegten, ließ ich fleißig das iPhone mitlaufen und baute daraus zu Hause einen kurzen Film mit jeder Menge (vielleicht zu viel?) Verfremdungseffekten und einem Soundteppich. Das Video wurde in der ersten Nacht des Spiels als Traum eingesetzt und sollte bei den Spielern allgemein ein ungutes Gefühl über die Präsenz an diesem Ort hervorrufen.

Schließlich gab es noch eine Menge textbasierte Dokumente, die die Spieler im Laufe des Spiels finden, und aus denen sie sich die Hintergrundgeschichte zusammenpuzzlen können. Dazu gehörten das Tagebuch des Traumatisierten von 1961 (eine sehr typische LARP-Dokumentform), aber auch ein Dossier mit Unterlagen aus dem Firmenarchiv von Rockwell-Collins, eine Broschüre zur Pilgerherberge, Geheimdienst-Communiqués, vor dem Haus aufgehängte Pilger-Plaketten, Zeilen aus den Gedichten eines örtlichen Heimatdichters und eine Kurzgeschichte zur Traumabewältigung, die der Traumatisierte im Auftrag einer Psychologin geschrieben hatte. Alle Texte verwiesen sowohl auf konkret für den Plot wichtige Fakten, strickten aber auch diverse weitere Infos und Querverweise mit ein, die wenig direkte Relevanz hatten, aber die gesamte Tragweite des Storyuniversums andeuteten.

Wir hatten uns selten zuvor einen solchen Aufwand mit dem gemacht, was wir – übertragen aus dem Tischrollenspiel-Jargon – intern “Handouts” nennen: also Storyinformationen nicht in Form von Begegnungen mit Charakteren oder Ereignissen sondern in verschiedenen Medien aufbereitete “Texte”. Der Grund ist, dass es ziemlich aufwändig ist, all diese Texte zu konzipieren und zu schreiben. Das Ergebnis aber, bei meiner Vorliebe für Operationale Ästhetik sowieso, ist so dankbar und irgendwie abgefahren, dass sich der Aufwand im Nachhinein auf jeden Fall gelohnt hat.

Conclusio: Was fehlt?

Wenn man sich die Thesen des Transmedia-Manifests anschaut, sieht man, dass ein gut gemachtes LARP fast alle davon erfüllt. Interaktivität, unterschiedliche Zugänge, Erweiterbarkeit und Locationbasiertheit sind alle vorhanden. Da es in Deutschland eine dichte und lebendige LARP-Kultur gibt, könnte man also auch guten Gewissens behaupten, dass dort ein großes ungenutztes Potenzial an Transmedia-Storytellern darauf wartet, angezapft zu werden.

Was allerdings fehlt, ist der Zugang für Außenstehende. Es gibt keine Haupterzählung, die sich in lean back-Haltung konsumieren lässt und dennoch Unterhaltung bietet. LARP bedeutet in der Regel: Wer Teil des Ganzen sein will, muss miterzählen, Teil des Spiels werden.

Dass das jedoch kein absoluter Imperativ ist, haben bisherige Projekte bewiesen. ARTE etwa ließ das Ende eines Films per LARP improvisieren. Aber es wäre auch denkbar, dass LARPs fester und regelmäßiger Bestandteil eines Transmedia-Gesamtkonstrukts werden, in dem die Handlungen der Spieler sogar indirekte Auswirkungen auf die Fortsetzung einer Haupterzählung haben – ein ähnliches Prinzip, wie es im Endeffekt bei MMORPGs wie “World of Warcraft” der Fall ist.

LARP ist Transmedia-Storytelling in Reinform. Jetzt muss es nur noch genutzt werden.

Die Eliminierung des Zufalls: Ein Gespräch über Gravity

© Warner Bros.

Manchmal kann man Filme nach dem Kinogang nicht alleine verarbeiten. Wie gut, dass das Internet einem oft die besten Gesprächspartner zur Verfügung stellt. Nach dem Ansehen von Alfonso Cuarons Gravity habe ich mich mit Filmemacher und “Real Virtuality”-Gastblogger Sebastian Mattukat zusammen hinter den Instant Messenger geklemmt und Gedanken über das Weltraumdrama ausgetauscht. Logischerweise ist das Gespräch voll mit Spoilern.

Alex: Sebastian, du hast gesagt, du hast erhöhten Redebedarf bei “Gravity”. Warum?

Sebastian: Weil ich es furchtbar finde, dass die ersten 30 Minuten mehr oder weniger aus dem Rechner sind und real aussehen. Für mich ist Gravity sowas wie Final Fantasy 2, die komplette Eliminierung des Zufalls und damit dessen, was für mich Film zum großen Teil mit ausmacht. Es ist keine Kunst, einen 15-Minuten-One-Take aus dem Rechner zu erzeugen. Aber eine Plansequenz wie in Joe Wrights Abbitte schon. Und das ist für mich ein großer Punkt, warum der Film so fürchterlich unemotional ist. Man vergleiche ihn nur mit Soderberghs Solaris. Der Film verbreitet eine tiefe Melancholie. Ob man ihn jetzt mag oder nicht, Remake hin oder her, aber er vermittelt wunderbar das Gefühl von Einsamkeit im All.

Alex: Ich habe schon einen interessanten Artikel gelesen, der die Frage stellt, ob Gravity nicht streng genommen sowieso ein animierter Film ist. Und selbst Kameramann Lubezki hat zugegeben, dass es einige Passagen gibt, wo der Film nah dran ist am Uncanny Valley, nämlich dort, wo Bullock durch die Raumstation von Modul zu Modul fliegt – und das war der Punkt, wo ich auch an Final Fantasy denken musste. Aber ich habe das Gefühl, es geht Cuaron gar nicht um das Angeben mit tollen Kameramoves sondern um das Erleben in Echtzeit. Hat das bei dir nicht funktioniert?

Sebastian: Jein. Also ich hatte das Gefühl, dass gerade die Anfangssequenz schon sehr gewollt war. Die hätte auch mit Schnitt funktioniert. Ich hatte letztens ein interessantes Gespräch mit meinem Kameramann, der meinte, bei einem Film, den zum Beispiel Roger Deakins fotografiert, stellt sich dem Betrachter nie die Frage, ob die Kamera auch woanders hätte stehen können. Das fand ich extrem interessant. Es gibt, wenn man drüber nachdenkt, immer wieder Filme, da steht die Kamera perfekt. Gravitys Anfang gehört auf jeden Fall nicht dazu. Der hat mehr den Anschein von einem Videospiel in seiner Ungeschnittenheit. Wie CinemaScope auf Twitter schon meinte: “GRAVITY is like watching someone playing a video game who has mastered all of the levels.” Die Eliminierung des Zufalls ist das, was vielen Blockbustern durch ihre Effektorgien so viel an Sympathie raubt.

© Warner Bros.

Alex: Ich weiß aber nicht, ob es die rein formale Komponente ist, die den Film auch für mich irgendwie unemotional hat erscheinen lassen. Im Grunde besteht der Film ja aus der “Open the Pod Bay Doors, Hal”-Sequenz aus 2001, nur auf 90 Minuten gedehnt. Aber während Dave bei 2001 am Ende seiner Mission in die endlose, spirituelle Weite des Alls entführt wird, “Beyond the infinite”, will Ryan hier nur zur Erde zurück. Dieser ganze Sense of Wonder, von dem George Clooneys Charakter die ganze Zeit redet, kam für mich nicht so recht auf. Wie war das bei dir?

Sebastian: Überhaupt nicht. Dafür hat man aber auch viel zu wenig von der Erde und dem All gesehen. Ständig ist etwas explodiert oder ging schief. Man hat nie in die Tiefe schauen können, hat nie traurig werden können aufgrund der Einsamkeit, hat dadurch nie die Schönheit der Erde gesehen.

Alex: Naja, doch so ein bisschen. Die Momente der Ruhe gab es schon.

Sebastian: Aber die waren alle drinnen. Außer einmal, wenn er sie in Richtung ISS zieht und dann die Musik anschaltet.

Alex: Als Sandra Bullock zum ersten Mal aus dem Raumanzug klettert und da wie ein Fötus in der Luftschleuse hängt, das fand ich schon bewegend. Und auch diese schreckliche Isolation, der einzige Mensch weit und breit in einem riesigen Vakuum zu sein. Das konnte man auch spüren. Aber sonst wurde alles von einer ständigen Anspannung überdeckt. Mir fehlten diese großen Atmer, in denen die Ehrfurcht vor dem All spürbar wird.

© Warner Bros.

Sebastian: Das war mir ein bisschen zu viel 2001. Und dann mit dem Ende und dem Aufstehen als Mensch … Was bei Alien, 2001 und Solaris zum Beispiel anders ist, ist, dass sie das Ruhige nicht totquatschen. Da ist es bei Alien halt gruselig, bei 2001 strange und bei Solaris tieftraurig.

Alex: Und hier?

Sebastian: Der Moment, wo sie da lang fliegen am Anfang, wird über-redet mit dem, was man fühlen soll. Und innen, bei dieser Fötusnummer, sind die Bilder zu symbolisch. Man kann nicht durchatmen, was ja Teil des Konzeptes ist. Aber dann ist man halt auch mehr bei einem normalen Actionfilm, nur eben im Weltraum. Selbst die ruhigen Momente sind mega-aufgeladen. Was zum Beispiel supergut hätte werden können ist, wenn die Szene mit Clooney in der Kapsel länger gewesen wäre. Wenn sie sphärischer gewesen wäre. Das fand ich kurzzeitig richtig stark, aber dann war sie schon wieder wach und zurück in der Realitität. Wie geil wäre es gewesen, wenn am Ende ein Hinweise gegeben worden wäre, dass sie noch da oben ist.

Alex: Stimmt. Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht. Aber ich glaube das entspricht nicht Cuarons Weltbild, so etwas Gemeines.

Sebastian: Das wäre aber so richtig toll gewesen, dann ginge der Pathos auch auf.

© Warner Bros.

Alex: Wie bei jedem 3D-Film hätte ich mir übrigens mehr Close-ups gewünscht. Ich finde, dabei entsteht eine Intimität, die man so im Kino sonst nicht erlebt.

Sebastian: Ja, wobei Gravity ja auch von der Story her nicht wirklich nah dran an den Figuren war. Sie hatte halt ein totes Kind und kann ohne probleme kyrillische Anleitungen lesen. Aber ich weiß, was du meinst. Drinnen fehlte denen einfach die Weite des Raumes und im All gabs oft ja nur die unendlichen Weiten des Films.

Alex: Dieses übermäßige Aufladen der Figuren mit Klischees hat mich auch gestört. Sie ist ganz die emotionale Heldin mit totem Kind, und er ist ein so routinierter Astronaut, dass er sogar beim Sterben nur daran denkt, den Rekord von jemand anderem zu brechen. Ich frage mich, ob man solche Figuren braucht, wenn die Action oder das All die Hauptrolle spielen soll, oder ob man mit Charakteren, die etwas mehr wie echte Menschen gewirkt hätten, vielleicht mehr Emotionalität hätte erreichen können. Hier wirkte die Emotionalität auf mich nur so per Ansage erzeugt. “Sie hat ein totes Kind, fühlt gefälligst mit ihr”.

Sebastian: Ja, er hätte deutlich mehr Profil haben können, gerade wenn er stirbt. Wie wäre es gewesen, wenn sie gelogen hätte vor ihm. Wenn sie irgendwie an dem toten Kind Schuld gehabt hätte, es aber niemanden verraten hat. Aber dann, ganz alleine, erzählt sie es den Chinesen, dass sie es damals verzockt hat.

Alex: Ändert alles übrigens nicht daran, dass ich trotzdem finde, dass “Gravity” ein erstaunlicher Film ist. Bei allem, was ich jetzt hier bekrittelt habe, dieser Stilwille und dieser Mut zum extremen Experiment mitten innerhalb des Mainstreamkinos, davor muss man schon den Hut ziehen. Und langweilig war mir auch nicht im Kino.

Sebastian: Nee, langweilig war es nicht, aber auch nicht besonders doll. Passte in das Kinojahr und war einer der besseren Vertreter. Jetzt muss es Lars mit Nymphomaniac richten.

© Warner Bros.

Alex: Ich interessiere mich ja schon länger für Filme, die an der Grenze zwischen Animation und Realfilm liegen. Mein vorheriges Lieblingsbeispiel war immer 300. Insofern ist Gravity da auf jeden Fall auch ein interessanter neuer Eintrag in die Annalen der VFX-Geschichte. Ich hoffe, dass noch mehr Bildmaterial von den Dreharbeiten auftaucht und ich werde mir das auf der BluRay auf jeden Fall auch noch einmal sehr genau anschauen. Ich finde ja, dass Filme die auf sehr hohem Niveau manchmal in letzter Instanz scheitern (obwohl die Kritiker sich ja größtenteils doch vor Lob überschlagen) häufig historisch gesehen interessanter sein können, als filmische Triumphe, die dadurch entstehen, dass man die letzte Meile sicherheitshalber nicht geht. Für mich ist Gravity ersteres und damit insgesamt dennoch einer der besten Filme des Jahres. Ich überlege die ganze Zeit, ob es sich lohnen könnte, ihn ein zweites Mal zu sehen.

Sebastian: Bei Children of Men gibt es am Ende diese Einstellung wo Clive Owen durch die Straßen rennt, in das Hochhaus, um das Kind zu retten. Die konnten die Einstellung nur drei- oder viermal machen. Dann spritzt Blut an die Optik und Cuaron ruft “Schnitt!”, doch aufgrund einer Explosion hört ihn niemand und der Take läuft weiter. Die ganze Szenerie ist unfassbar real. So etwas fehlt mir bei Gravitiy. Der Film ist zu perfekt.

Warum The Congress auf allen Ebenen gleichzeitig versagt

© Pandora Film

Manchmal können selbst mittelmäßige romantische Komödien einem den Einstieg in einen Artikel erleichtern. In Marc Lawrences Film Music and Lyrics von 2007 spielt Hugh Grant einen alternden, vergessenen Popstar namens Alex Fletcher, der als Songwriter für eine junge, hippe Sängerin arbeiten soll. Zu diesem Zweck bekommt er einen Ausschnitt aus deren jüngster Single vorgespielt, eine Mischung aus überproduziertem Bubblegum-Pop und indischen Harmonien mit dem Titel “Buddha’s Delight”. Fletcher ist angewidert. Sein Kommentar lautet schlicht: “It simultaneously destroyed two musical cultures in under a minute.”

Ari Folmans Film The Congress gelingt auf eine ganz andere Weise, mit weniger Kalkül und dafür umso mehr Streben nach Bedeutsamkeit, im Endeffekt das Gleiche. Er zerstört seine Vorlage, indem er ihr eine zusätzliche Ebene hinzufügt. Doch weil diese Ebene selbst unabhängig von der Vorlage nicht funktionieren würde, zerstört er auch noch sie und alle positiven Effekte, die sie haben könnte.

Doch zunächst ein Disclaimer

(Ich gebe zu, dass diese Sichtweise eine sehr persönliche ist. Ich war von Folmans letztem Film Waltz with Bashir und dessen Einsatz von Animation zur Visualisierung des Unfilmbaren enorm begeistert und ich bin ein ebenso begeisterter Leser Stanislaw Lems, auf dessen Roman Der futurologische Kongress Folmans The Congress basiert. Das Zusammentreffen von beiden verhieß also doppelt Gutes. Und entsprehend war ich vom Ergebnis dann doppelt enttäuscht. So sehr, dass ich mich auf Facebook zu einem Wutausbruch hinreißen ließ, weil ich mich von dem Film so verraten fühlte. Dieser Artikel bemüht sich, die ruhige und gefasste Version dieses Wutausbruchs zu sein.)

Literatur-Adaptionen sind ein Thema, über das Kritiker bis ans Ende der Zeit Debatten führen können und werden. Ich persönlich bin alles andere als ein Verteidiger von “werkgetreuen” Adaptionen, die im Endeffekt nicht mehr sind, als eine Bebilderung des geschriebenen Textes. Eine gute Adaption, so scheint inzwischen der kritische Konsens zu herrschen, muss dem Originalwerk “im Geiste” treu sein. Es muss die Essenz zum Beispiel des Romans erkennen und in ein neues Medium mit eigenen Gesetzen transportieren. Einige der besten Filmadaptionen der Geschichte, von Rebecca bis Blade Runner, adaptieren ihre Vorlage sehr frei, doch wenn man das Buch nach Ansicht des Films liest, sieht man, welchen Kern die Filmemacher darin erkannt und umgesetzt haben.

Ein beliebtes Mittel der Adaption unter gleichzeitiger Modernisierung eines vergangenen Textes ist gerade unter Filmemachern das Verlegen der Erzählung des Urtextes in ein anderes Erzähltes, mit dem Ziel, den “Kern” so noch besser herausarbeiten zu können. Emma im Teenagermilieu ergibt Clueless. Romeo and Juliet in New York, als Musical, ergibt West Side Story. The Congress steckt irgendwo dazwischen. Es entfernt sich inhaltlich streckenweise sehr weit von der Handlung des Romans Der futurologische Kongress, nähert sich ihm dann aber immer wieder in spezifischen Einzelheiten an.

Eine aktuellere Allegorie

Folman beschreibt in einem Interview im Presseheft zum Film genau diesen Prozess: “Ich […] löste mich weitgehend vom Originaltext, kam aber immer wieder darauf zurück. […] Ich finde der Geist des Romans ist sehr präsent im fertigen Film […].” Das ist der Punkt, an dem ich Folman zum ersten Mal nicht zustimme. Der Regisseur sagt weiter:

Ich suchte nach einer neuen, aktuelleren Allegorie für die kommunistische Ära, die das Buch beschreibt. Dei Diktatur aus dem Roman verwandelte sich während des Schreibprozesses in eine Diktatur innerhalb der Unterhaltungsindustrie, insbesondere der Filmindustrie, die von den großen Studios kontrolliert wird.

Stanislaw Lem hat in seiner literarischen Laufbahn so ziemlich alles mit seiner beißenden Satire aufgeschlitzt, was ihm vor’s Messer kam. Der futurologische Kongress ist nicht nur eine Parabel auf den Selbstbetrug der Menschen im Kommunismus und auf das Auseinanderklaffen von Utopie und Realität. Am Anfang des Romans zerschmettert Lems Sprache sowohl die Kongresskultur als solche, als auch deren Hilflosigkeit gegenüber den wachsenden Problemen einer Welt auf dem Weg in den Kollaps. Eine kleine Leseprobe.

Über dem Podium prangte eine bekränzte Tafel mit der Tagesordnung. Den ersten Punkt bildete die urbanistische Weltkatastrophe, den zweiten die ökologische, den dritten die atmosphörische, den vierten die energetische […]. Um das Beratungstempo zu steigern, mußte jeder die Referate selbständig vor der Sitzung durchstudieren; der Vortragende sprach ausschließlich in Ziffern, die auf Kernstücke seiner Arbeit verwiesen. […] Stanley Hazelton aus den USA schockierte sofort das Auditorium, denn er wiederholte nachträglich: 4, 6, 11 und somit 22; 5, 9, ego 22; 3, 7, 2, 11 und demzufolge wiederum 22!!! […] Ich suchte im Text seines Referats den Codeschlüssel und entnahm ihm, daß die Zahl die endgültige Katastrophe bezeichnete. (Übersetzung von Irmtraud Zimmermann-Göllheim)

Das Hauptaugenmerk des Romans jedoch liegt auf der (im Kommunismus anscheinend verbreiteten) Fähigkeit und Bereitwilligkeit der Menschen, sich selbst zu täuschen, um den Realitäten des Lebens nicht ins Auge sehen zu müssen. Und tatsächlich ist dies auch der Aspekt des Buches, der zumindest im Geiste unverändert auch in Folmans Film auftaucht, wenn er schließlich eine Welt beschreibt und zeigt, in der sich Menschen mit Hilfe von Chemikalien einer farbenfrohen Simulation hingeben, obwohl ihre Realität trübselig und grausam ist.

Für Nichts zu schade

Alles andere jedoch, was Ijon Tichys Erlebnisse ausmacht, zerstört Folman rigoros, indem er wie oben beschrieben die diktatorischen Prozesse, die der Roman aufs Korn nimmt, durch die unendlich viel plattere “Diktatur” der Unterhaltungsindustrie ersetzt. Folman ist sich dabei für Nichts zu schade. Den Höhepunkt bildet eine Szene, in dem ein zombiehaftes Publikum der geifernden Brandrede eines Entertainment-Demagogen lauscht, dessen Name “Reeve Bobs” lautet. Die “Amusing ourselves to death”-Karte zu ziehen ist eine Sache – auch wenn sie seit Mitte der 90er ihr Verfallsdatum überschritten hat – aber eine so direkte Namensparodie auf eine reale Persönlichkeit, egal was man von ihr halten mag, sollte unter der Würde eines Regisseurs wie Folman sein.

Doch weil Folman von seinem Gedanken der Umwandlung von kommunistischem Todesterror in hollywoodschen Spaßterror besessen scheint, fügt er der Handlung des Futurologischen Kongress eine komplette zweite Ebene hinzu, in der eine fiktionale Version der Schauspielerin Robin Wright sich nach Jahren der Erfolglosigkeit entscheidet, das Spielen aufzugeben und stattdessen das Angebot ihres Studios Miramount anzunehmen, eine digitale Version ihrer Persönlichkeit erstellen zu lassen, die ewig jung all die Rollen spielt, die Wright über die Jahre abgelehnt hat – insbesondere eine Laserpistolen schwingende Science-Fiction-Superheldin.

Am Thema vorbei

© Pandora Film

Folman beschreibt seine Motivation im Presseheft: “Seit Avatar muss sich jeder Filmemacher bewusst sein, dass die Schauspieler aus Fleisch und Blut, die unsere Phantasie seit Kindesbeinen beflügelt haben, durch computergenerierte 3D Figuren ersetzt werden können.”

Selbst wenn man, wie ich, der Meinung ist, dass Folmans Umdeutung von Lems Analogie nicht ganz stimmig ist, hätte es ja trotzdem noch sein können, dass ihm mit dem Film eine glänzende Satire auf das moderne Hollywood gelungen wäre. (Etwa so wie The Social Network die Essenz von Facebook verkennt, aber dennoch einen faszinierenden Thriller über Ego und die moderne Geschäftswelt abliefert.) Leider ist auch das nicht der Fall, denn Folman argumentiert an der tatsächlichen Situation vorbei, wie schon lange kein europäischer Arthouse-Regisseur mehr.

In seinem Buch Performing Illusions: Cinema, Special Effects and the Virtual Actor von 2008 schreibt Dan North:

The sophistication of a digital face able to convey facial expressions based on instinctive, even subconscious emotional communication rather than broad mimicry is at present far beyond the scope of any animator and is likely to remain so for many years. This is not to say that it will never be possible […], but we have to factor in the possibility that it might never happen, because it might never be necessary or desirable. At present, though, the state in which the synthespian is made manifest is one of fearful but fascinated mythology, rather than an inevitable path towards a future of artificial entertainers.
(S. 153, Hervorhebungen von mir)

Ganz hinten auf der Liste

Die Tatsache, dass die Digitalisierung Hollywood übernimmt, bringt viele Probleme mit sich, aber – Avatar hin oder her – das Ersetzen von Schauspielern durch willenlose, computergenerierte Versionen ihrer selbst, ist ganz sicher eines, das ganz ganz weit hinten auf der Liste steht. Nicht nur, weil es zum jetzigen Zeitpunkt unendlich viel billiger ist, einfach einen neuen Schauspieler zum Star aufzubauen, statt einen alten mit hunderten Animatoren künstlich am Leben zu erhalten, sondern weil auch hinter den Performances von Avatar Schauspieler standen, ohne deren Persönlichkeit und Handwerk der Film niemals funktioniert hätte. Wenn sich seit den Tagen von S1mone und Final Fantasy: The Spirits Within vor nunmehr über zehn Jahren, als das Thema “digitale Schauspieler” virulent war, eine Sache herausgestellt hat, dann, dass die Zuschauer genau auf das echte, menschliche Element nicht verzichten können und wollen.

Folman bestätigt, dass ihn genau das, was North “fearful mythology” nennt, angetrieben hat, wenn er schreibt, sein Film sei ein “Schrei nach Hilfe und eine tief empfeundene Sehnsucht nach dem Vergangenen, nach dem altmodischen Kino, wie wir es kennen und lieben.” Und das in einem Film, in dem er seine Hauptdarstellerin über weite Strecken durch eine animierte Figur ersetzt, um die “unglaubliche Freiheit, die [die Animation] der filmischen Interpretation lässt” ausnutzen zu können.

Ironisches Versagen

Genau darin liegt das ultimative und wohl auch zutiefst ironische Versagen von The Congress. Ein fähiger, wahrscheinlich hochintelligenter Filmemacher, bindet über Jahre hinweg die Fördergelder und kreativen Arbeitskräfte mehrerer Nationen (der zwischen fünf und sechs Millionen Euro teure Film ist eine Sechs-Länder-Produktion, allein in Deutschland hat er Gelder von Film und Medienstiftung NRW, DFFF, Medienboard Berlin-Brandenburg, Filmförderung HSH, FFA und ARD Degeto erhalten), um einen hochambitionierten, besserwisserischen Film über ein Problemthema zu machen, das keins ist.

Aber wie so oft in bestimmten Spielarten des kulturpessimistischen Kunstkinos, ist es ja auch viel einfacher, sich ein Problem herbeizufantasieren, das der eigenen Weltwahrnehmung entspricht, statt sich mit den tatsächlichen Problemen einmal wirklich zu beschäftigen. Und wenn das Ganze dann nicht einmal eine besondere poetische Qualität entwickeln kann, ist der Ofen einfach aus. Und Poesie entsteht in The Congress (ganz im Gegensatz zu Waltz with Bashir) aufgrund seiner Plattheit und Sentimentalität (einen Nebenhandlungsstrang über Robin Wrights wahrnehmungskranken Sohn habe ich hier ausgespart) leider nur sehr punktuell – etwa in der spektakulären Animationssequenz nach Wrights Erwachen in der Zukunft. Und so verfehlt das mäandernde Machwerk eines Mannes, dem zu viele Freiheiten gelassen wurden, nicht nur das Thema seiner Vorlage, sondern auch das Thema, dass es sich selbst als Ergänzung gewählt hat.


The Congress startet am 12. September in den deutschen Kinos.

Der Herr der Geeks – Ein Treffen mit Markus Rohde

© Sebastian Lorenz

Zuerst einmal: Markus Rohde sieht in Farbe und 3D ganz anders aus als auf dem Bild, das in jeder Ausgabe die erste Seite schmückt. Er wirkt jünger, schlanker und tatsächlich auch ein bisschen nerdiger als sein gravitätisches editoriales Ich. Letzteres mag daran liegen, dass die rot umrandete Brille von Angesicht zu Angesicht anders strahlt. Vielleicht auch daran, dass natürlich ein “Star Trek”-T-Shirt unter seinem karierten Hemd hervorlugt, als ich mich an einem warmen Mainzer Nachmittag zu ihm und seinem Redakteur Christian Humberg an den Tisch setze. Für einen Chefredakteur, dessen Name seit kurzem auch einen eigenen Verlag schmückt, könnte das in jedem anderen Zusammenhang schräg wirken. Andererseits heißt die Zeitschrift, die er leitet, ja auch “Geek!”

“Ich kann echt nicht meckern”, sagt er, auf den Erfolg dieser Zeitschrift angesprochen. In Zeiten, in denen immer mehr Gedrucktes den Dinosauriern in den dauerhaften Tod folgt, ist in Nischen noch Platz für Wachstum. Seit seinem Debüt auf der FedCon 2012, vor einem guten Jahr, hat das Sci-Fi-Fantasy-Film-Serien-Comic-Bücher-Magazin sogar an Auflage zugelegt. Das Experiment, das der Panini-Verlag zunächst auf ein Jahr angelegt hatte, wurde inzwischen auf unbestimmte Zeit verlängert. Wenn man Markus Glauben schenken darf, ist “Geek!” sogar der Liebling der Anzeigenkunden.

Lernen aus der “SpaceView”

Bevor er Chefredakteur der “Geek!” wurde, stand Markus Rohde schon einmal an der Spitze einer Zeitschrift. Die “Space View” war um die Jahrtausendwende noch eins der wichtigsten Organe des Science-Fiction-Fandoms in Deutschland, verwässerte aber zusehends in Konzept und Fokus und wurde Ende 2011 schließlich eingestellt. Am Anfang von “Geek!” habe auch die Frage “Was können wir aus der ‘SpaceView’ lernen?” gestanden, sagt Markus. Man entschied sich, das Themenspektrum offener, die Ansprache aber gezielter zu formulieren. “Geek!” gibt sich nicht nur mit Science-Fiction zufrieden, versucht aber auch eindeutig nicht, ein Massenpublikum zu erreichen.

Die “Szene”, die er ansprechen will, sei “nicht homogen”, sagt Markus. Filmfans, Computerspielerinnen, LARPer, Online-Rollenspielerinnen, Romanverschlinger und Serienjunkies gehören alle irgendwie dazu. Das sei im Zeitschriftenmarkt schwer zu fassen und man müsse sich immer wieder die Frage stellen: “An wen wendet man sich wirklich?”

So bunt wie möglich

Die Lösung? “Wir versuchen jetzt so bunt wie möglich zu sein.” Ziel sei es, dass ein Artikel die Leserin auch mal nicht in ihren Kerninteressen trifft, dafür aber ein anderer umso mehr. “Umgekehrt kann der erste Artikel aber trotzdem Interesse wecken, so dass sie vielleicht einfach mal reinliest in die Sache.” Ansonsten sei es aber auch das Schöne, dass man sich in vielen Bereichen austoben könne.

Den Ausgleich zur thematischen Vielfalt bietet der Ton des Magazins. “Wir sind ein Fachblatt”, sagt Markus ganz klar, “wie die ‘Welt der Wissenschaft’ oder der ‘Kicker’. Und der ‘Kicker’ erklärt auch nicht jedem Artikel neu, wie Abseits funktioniert.” “Geek!” setzt auf Expertenwissen und Interesse an den detaillierteren Aspekten eines Themas. Der ideale Leser sei das, was man als den “fortgeschrittenen Fan” bezeichnen könne. Jemand, der sich mit seinem speziellen Fandom schon länger und intensiver auseinandergesetzt hat, aber auch offen dafür ist, über den Tellerrand zu blicken. “Er sollte auch schon mal einen Film aus den Siebzigern gesehen haben oder zumindest wissen, dass es da was gibt. Oder von Méliès’ Reise zum Mond mal gehört haben, auch wenn er ihn vielleicht nicht gesehen hat.”

Verbesserte Infrastruktur

Ist die Fan-Szene denn heute anders als noch vor zehn oder zwanzig Jahren? “Mitte der 90er ist einiges in der Fandom-Kultur passiert, weil sich die Infrastruktur verbessert hat. Man kann die Leute heute viel besser erreichen. Früher war man Rollenspieler, konnte den Leuten in seinem Gymnasium davon erzählen, dann konnten die damit nichts anfangen.” Ich nicke eifrig. “Dann gab’s vielleicht noch irgendwelche Clubs, die man über Briefe erreichen konnte – dieses Sich-Zusammenschließen war viel schwieriger. Heute kann man sich alles viel besser zusammenstellen aus den Interessen, die man hat.”

Damit meine er aber nicht nur das Internet. “Es gibt auch generell eine gewisse Professionalisierung. Bei ein paar alten Recken ruft es zwar manchmal Naserümpfen hervor, dass jemand wie Dirk Bartholomä etwa mit FedCon und RingCon auch Geld verdient, in Veranstaltungen mit zigtausend Leuten. Trotzdem ist er Fan und kommt aus dieser Fan-Ecke und macht das aus Leidenschaft. Der sitzt abends auf den Partys, die Schauspieler um ihn rum, und er hat ein Glitzern in den Augen.”

Aus derselben Motivation funktioniert auch die “Geek!” und die Person Markus Rohde. “Ich mache diese ganzen Sachen beruflich, aber auch aus der Leidenschaft heraus, aus dem Fantum heraus. Deswegen habe ich auch schon Anfeindungen bekommen: Ich könnte mich ja zu Star Trek-Romanen eh nicht mehr äußern, weil ich die jetzt beruflich produziere.” Markus ist auch Lektor und Übersetzer beim Verlag Cross Cult. “Das ist aber auch daraus erwachsen, dass ich damals in den 90ern immer als erster im Laden stand und sie gekauft habe.”

Professionelle Fans

Markus, der irgendwann mal Germanistik und Philosophie studiert, das Studium aber nie abgeschlossen hat, steht gewissermaßen an exponierter Stelle inmitten einer Gruppe von “professionellen Fans”, die sich auch alle gegenseitig kennen und füreinander arbeiten. Wer für “Geek!” schreibt, ist immer nur auch Journalist und außerdem in der Regel Autorin, Übersetzer oder Lektorin von Comics und Genreromanen. “Es sind doch immer wieder dieselben, über die man stolpert in der ganzen Szene”, meint Markus. “Einmal in dem Sinne, dass zuverlässige Leute, die ordentliches Zeug abliefern immer wieder dieselben sind. Und weil es eben die Szene ist, die alles macht. Die Romane schreibt, Sachbücher schreibt und sich einfach auskennt.” Im SciFi/Fantasy-Segment müsse man Allrounder sein und “wie ein Krake zig Sachen am Laufen halten.” Christian Humberg, der nach wie vor am Tisch sitzt, stimmt zu. Er ist ein klassischer Fall.

Die Überschaubarkeit der Szene führt auch dazu, dass “Geek!”, wie inzwischen wahrscheinlich mindestens zwei Drittel aller Zeitschriften, keine Redaktion als solche hat. Markus sitzt in Sankt Augustin, sein Team ist über die gesamte Republik verstreut. Die Zeitschrift wird online und per Telefon zusammengesetzt – in E-Mails, Gesprächen und Facebook-Chats. Selbst das Layout wird ohne anwesenden Redakteur in Ludwigsburg gesetzt. Nur alle paar Ausgaben trifft man sich mal persönlich. Der Chefredakteur vermisst nichts. “Wenn man drei Büros auseinandersitzt, ist man auch nicht viel schneller.”

Kein Fanzine?

Doch obwohl die Profi-Fans bei “Geek!” am Ruder sitzen und die Verquickung mit den Verlagen, über deren Produkte das Magazin berichtet, mannigfaltig ist, betont Markus, dass die Zeitschrift nicht nur ein besonders buntes Fanzine ist. Schlechte Produkte würden auch verrissen, Anzeigenkunden hin oder her. Die Schwierigkeit liegt für alle darin, die Leidenschaft zu bewahren, aber nicht in die Verklärung abzudriften. “Mit Leuten, die das nicht können, kann ich nicht längerfristig zusammenarbeiten”, sagt Markus. Er habe sich aus diesem Grund auch schon von Autoren trennen müssen.

Doch nicht nur die Autoren sind Teil des Problems, auch die Leser können ein Hindernis sein. So würde immer wieder diskutiert, ob man es sich leisten könne, Fans zu verprellen, weil man ihre Lieblinge kritisiert. Doch die Linie ist klar: “Das muss sein, sonst macht man sich unglaubwürdig.” Und schließlich gehört das leidenschaftliche Diskutieren über die Qualität eines bestimmten Kulturprodukts ja auch zu den Pfeilern des Geek-Daseins. “Das sollte eigentlich noch viel viel stärker der Fall sein, dass es noch nerdiger, noch geekiger ist”, sagt Markus.

Weil’s geil ist

Die pressierendste Frage habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Warum, beim Barte von Spocks bösem Zwilling, erscheint ausgerechnet eine Science-Fiction-Zeitschrift – egal wie erfolgreich – noch immer als zweimonatliches, gedrucktes Heft? Die Antwort ist eigentlich wenig überraschend und kommt aus den tiefsten Tiefen des versteckten Konservatismus, der die SF/Fantasy-Szene mit ihren fantastischen Legendenwelten schon immer im Herzen regiert – im Gegensatz etwa zur Lebenswelt der Tech-Geeks: “Weil’s geil ist!”

Echt, das ist der Grund? “Das ist der Grund. Wir alle machen das nicht nur als Job, um Geld zu verdienen oder weil wir uns zu den Themen nirgendwo anders äußern könnten, das könnten wir ja. Aber wir sind alle überzeugte Print-Leute, die es cool finden, ein Heft in den Händen zu haben und es am Strand oder auf der Toilette zu lesen. Und das sagen wir als diejenigen, die auch im Internet unterwegs sind. Es ist kein Massenmarkt mehr, aber es gibt noch Leute, die es haben wollen. Und es ist redaktionell zusammengestellt und ich lese vielleicht auch mal Dinge, an die ich selber nicht gedacht hätte.”

Das erklärt auch, warum hinter der URL geek-mag.de eigentlich keine richtige Website steht. Man wollte lieber ein gutes Heft machen und “nichts Halbes” im Netz. Das bevorzugte Netz-Organ der “Geek!”-Gemeinde ist das Onlineportal “Robots and Dragons”. Die Impressumslisten der beiden Medien teilen sich eine Menge Namen.

96 Seiten sind nicht genug

Eine Veränderung dieser Taktik ist für die Zukunft auch vorerst nicht angedacht. Stattdessen erhofft Markus sich irgendwann mehr nicht-virtuelle Seiten zum Bedrucken. Denn inzwischen hat jede Ausgabe ein gewisses Spektrum an Filmen, Serien, Comics und Romanen, das abgedeckt werden muss und Werbekunden anzieht. Bei 96 Seiten bleibt häufig wenig Platz für die Kür, vor allem wenn große Geek-Ereignisse anstehen, wie etwa ein neuer Star-Trek-Film. Mit mehr Papier könnte nicht nur das enge Layout etwas luftiger werden, auch die “würzenden Artikel”, wir Markus sie nennt, könnten mehr Raum bekommen.

Science-Fiction könnte man gemeinhin als die Fortschreibung aktueller, gesellschaftlicher Tendenzen in einem fantastischen zukünftigen Kontext beschreiben. Was also wünscht sich der Chefredakteur eines in seiner Nische erfreulich erfolgreichen gedruckten Science-Fiction-Magazins für die Zukunft? Eine Revolution? Einen großen Sprung nach vorne? Nein. Die erste Antwort, die dem “Kraken” Markus Rohde über die Lippen kommt, sagt dann doch, und das denke ich mir wertfrei – ohne Gehässigkeit oder übeflüssiges Mitleid, alles aus über den Zustand einer geschüttelten Branche und eines Kultursegments, das in den letzten zehn Jahren ohne viel eigenes Zutun von den Kellerkind-Tiefen in die Strudel des Mainstreams gespült wurde. “Beständigkeit.”

Ausgabe 8 von “Geek!” erscheint am 20. August 2013.

Das Jahr der Science-Fiction-Originale

© Warner Bros

Pacific Rim

Das Genrefilme so ziemlich die Weltherrschaft an sich gerissen haben, konstatiere ich hier im Blog regelmäßig. Die Schattenseite des Ganzen ist aber auch kein Geheimnis: Denn Genrekino lebte immer schon von der Wiederholung bekannter Formeln und entsprechend befinden wir uns im Jahrzehnt der Franchises, Remakes und Reboots. Und auch wenn das an sich weder etwas schlechtes, noch etwas neues ist, so gibt es doch ein Genre, das – anders als etwa das Superheldenfach – nicht von der ewigen Neuerzählung bekannter Mythen leben sollte, sondern von der Erschaffung originärer Visionen: Die Science-Fiction.

Und gerade die bekommen wir 2013 endlich mal wieder in einer Fülle geboten, wie wir sie gefühlt seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen haben. Zukunftsvisionen, direkt aus den Hirnen ihrer Schöpfer auf die Leinwand. Da kann jedes Total Recall-Remake einpacken. Joseph Kosinskis Postapokalypso Oblivion, obwohl derivativ, basiert auf einer unveröffentlichen Graphic Novel seines Regisseurs. Pacific Rim, in dem Guillermo del Toro gigantische Mechas gegen gigantische Monster kämpfen lässt, entspringt einem Originaldrehbuch, ebenso wie der sehnlich erwartete Gravity seines Landsmanns Alfonso Cuarón. After Earth ist die Umsetzung eines Fiebertraums von Will Smith. Und auch Neill Blomkamps Elysium, dessen neuer Trailer jeden begeistern dürfte, ist eine originäre Schöpfung.

Über die Qualität der Filme sagt diese Tatsache natürlich an sich noch nichts aus. Die bereits gestarteten Oblivion und After Earth kamen bei der Kritik nicht gerade gut weg. Doch es ist auch so schon erfrischend, wenigstens mal wieder Bilder und Geschichten auf der Leinwand zu sehen, die kein historisches Gepäck mit sich herumtragen. Guillermo del Toro wird nicht müde zu betonen, dass sein oberstes Credo für Pacific Rim die Distanz zu existierenden Filmen war. Mit anderen Worten: Man kann sich als Freund des Genres völlig darauf konzentrieren, ob man einen guten Film sieht, und muss sich nicht im Vorfeld schon Gedanken machen, ob die Macher dem Geist der Marke treu bleiben und ob ihre Interpretation valide ist.

© Screenshot/Sony Pictures

Elysium – Kennen wir dieses Bild nicht irgendwoher?

Vor allem, wenn man sich Elysium und Oblivion anschaut, heißt das jedoch nicht, dass die Filme ohne Referenzpunkte existieren. In der Bildwelt beider Filme (und auch in vielen der Storyideen von Oblivion) sind klare Bezüge zum letzten goldenen Zeitalter der Science-Fiction erkennbar, das ebenfalls von warnenden und philosophisierenden Blicken in die Zukunft handelte, in einem Spannungsfeld aus Staunen und Schrecken, angereichert mit einer unterschiedlich großen Dosis Action. Zwischen 1968, als 2001: A Space Odyssey die bis dahin von Monsterinvasionen dominierte Science-Fiction neu definierte, und 1982, als “Blade Runner” den Übergang in ein neues, technologisch beklemmenderes Zeitalter einläutete, entstanden Filme wie Solaris, Silent Running, Logan’s Run, Close Encounters of the Third Kind, Soylent Green, Planet of the Apes, A Boy and his Dog, Zardoz, A Clockwork Orange und Rollerball, die bis heute einen Klassizismus ausstrahlen, wie man ihn davor nur zwischen 1927 und 1935 gesehen hatte.

Auch damals waren die meisten Filme Originale oder höchstens Literaturadaptionen. Zum Glück gab es die auch immer wieder, von Escape from New York bis zu den beiden besten SF-Filmen der letzten zehn Jahre, Children of Men und Sunshine, dominant waren jedoch Serien: Star Trek und Star Wars, Alien und Matrix, die das Koordinatensystem der SF – von Space Opera bis Cyperpunk und von Horror bis Fantasy – unter sich aufgeteilt hatten. (Mehr zur Abgrenzung der SF im Film bitte nachlesen in Vivian Sobchacks exzellentem Klassiker “Screening Space”).

© Universal

Oblivion

Die Science-Fiction-Filme des Jahrgangs 2013 scheinen den Zeitgeist der Hyperstasis abschütteln zu wollen. In einer Zeit, in der William Gibson nicht mehr über die Zukunft schreiben will, weil wir bereits in der Zukunft leben, entwerfen Kosinski, Blomkamp und del Toro bewusst weite Landschaften abseits der Computerschaltkreise. Welten, die nicht virtuell sind, sondern real und gefährlich, und deren Zukunft sich von unserer Gegenwart signifikant unterscheidet.

Es ist schwer zu sagen, ob es ein glücklicher Zufall ist, dass Hollywood dieses Jahr mit gleich so vielen Originalstoffen um das Box-Office würfelt. Klar ist, wenn 150-Millionen-Dollar-Experimente wie Pacific Rim fehlschlagen, wird man sich ganz schnell besinnen und lieber wieder weiter an Blade Runner 2 und Prometheus 2 werkeln. Doch für den Moment sieht es so aus, als könnte der Nummer-Sicher-Remake-Wahn zumindest in der Science-Fiction für eine Weile gesprengt werden. Wenn die Filmwelt nicht vorher implodiert.

Stuff I learned this week – #7/11