Gedanken zu Podcasts im Jahr 2023

Ich habe lange überlegt, was die beste Form für diesen Text sein sollte. In den vergangenen Jahren stand an dieser Stelle oft eine kommentierte Liste. Das wäre sicher auch wieder eine Möglichkeit gewesen. Aber ich hatte noch einige weitere Dinge, die mir im Kopf herumschwirren, und die in der Liste nur schwer Platz gefunden hätten. Also ist es ein persönlicher, mäandernder Fließtext geworden. Naja.

Ich fange mit dem Persönlichsten an. 2023 war das Jahr, in dem ich selbst zum professionellen Podcaster geworden bin. Nach einigen Jahren mit Kulturindustrie als Gesprächspodcast und Ausflügen ins Podcast-Als-Blogersatz-Business mit dem Lexpod darf ich seit Januar mit LÄUFT einen Podcast im Auftrag von epd medien und Grimme-Institut hosten und produzieren, in dem ich Interviews zu Medienthemen führe und seit der zweiten Jahreshälfte auch kleine eigene Kritiken einspreche. 

Ich bin auf LÄUFT sehr stolz und ich lerne mit jeder Folge neue Dinge dazu, nicht zuletzt natürlich mit meiner ersten narrativen Folge zur ZDF-Sendung X-Base, die ich zum Ende des Jahres produziert habe. Dazu schreibe ich mal einen eigenen Post, wenn die zweite Folge veröffentlicht ist. Allgemein möchte ich zur Arbeit an LÄUFT vielleicht zwei Dinge zusammenfassend sagen: 1. Mit LÄUFT ist mir erst so richtig klargeworden, wie umkämpft der Podcastmarkt wirklich ist, aber auch, welche unterschiedlichen Metriken man anlegen kann, um seinen eigenen Erfolg zu messen (Gruß an David). 2. Mit das Beste am Podcast ist, dass ich eine Redaktion habe, die mir für viele Folgen das eigene Themen finden und recherchieren abnimmt und mich vorab auf die wichtigsten Aspekte für ein Interview stößt und brieft. Hinterher schaut sie dann kritisch drauf und sagt mir, wenn ich Fehler gemacht habe. Kurzum: Durch redaktionelle Arbeit wird alles besser, auch Podcasts. 

Damit genug von mir, kommen wir zum Rest der Landschaft.

Als ich vor ein paar Tagen versucht habe, eine Liste zusammenzustellen, habe ich erst gemerkt, wieviele Podcasts ich nicht gehört habe. Dieses Phänomen kenne ich natürlich aus anderen Jahren, vor allem im Bereich Filme, aber diesmal hat es mich schon etwas geärgert. Ich habe nach wie vor keine gute Routine dafür gefunden, wie ich alle meine regulären Podcasts hören kann und Zeit dafür finde, aktuelle Produktionen zu entdecken, außer sie irgendwie dazwischenzuschieben und eventuell mal auf ein paar Folgen meiner geliebten Comfort Foods zu verzichten.

Zu wenig Podcasts habe ich demnach nicht gehört (Pocket Casts sagt: 33 Tage), aber dennoch fehlen in meinen Betrachtungen leider solche gelobten Produktionen wie 344 Minuten, Zugunglück Eschede – 25 Jahre danach, Grenzgänger und SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden, aber ich hoffe, dass ich zumindest einige davon noch nachholen werde.

Mein Lieblingspodcast: Scambit

Grundsätzlich ist es, finde ich, ziemlich gut, dass die ARD 2023 größer als zuvor ins Auftrags- und Koproduktions-Spiel eingestiegen ist, um Podcast-Content für die Audiothek zu generieren. Diese Strategie schafft Raum für unterschiedliche Produktionsarten und Tonfälle auf hohem Niveau (weil: Geld). Mein Lieblingspodcast des Jahres, Scambit, ist so entstanden, beauftragt vom WDR und Funk, produziert von der Berliner Produktionsfirma ACB Stories. 

Scambit erzählt dem Pitch nach die Geschichte des angeblichen Schachbetrugs von Hans Niemann im Duell mit Magnus Carlsen, der durch die Spekulation um Analkugen Internet-Notoriety erlangt hat. 

Eigentlich ist der Podcast, der angenehm kurze vier Folgen hat, aber ein allgemeiner Überblick darüber, wie sich die Schachwelt in den letzten Jahren unter dem Einfluss von Online-Gaming, Pandemie und The Queen’s Gambit verändert hat. Das ist nicht nur interessant, weil es ein nerdiges Rabbit-Hole ist, sondern auch, weil Yves Bellinghausen es einfach verdammt unterhaltsam erzählt, inklusive Selbstversuchen und Gastauftritten. Scambit ist Podcast unter dem Einfluss von YouTube-Kultur. Was für manche abschreckend wirken mag, finde ich genau richtig – und ich wünsche mir mehr davon.

Auch einige andere Produktionen, die ich mochte, sind in solchen ARD-Modellen entstanden, zum Beispiel Dark Matters (RBB/SWR/BosePark), dessen hervorstechendstes Merkmal sicher die Doppelfolgen sind – eine liefert klassisches journalistisches Storytelling, die andere ein Hintergrund-Interview dazu. Oder auch das Hörspiel Mia Insomnia von Gregor Schmalzried, in dem die Hauptfigur Podcasterin und Fan von alten Kassetten-Hörspielen ist, also maximale Audio-Liebhaberei mitbringt.

Teurer Wohnen: Explaining Is Not A Crime

Teurer Wohnen, dieses Jahr bereits mit mehreren Preisen dekoriert, ist ebenfalls eine RBB-Koproduktion mit detektor.fm, aber begeistert hat mich daran etwas anderes. Teurer Wohnen ist richtig guter Erklärjournalismus, und es gibt kaum etwas was ich besser finde. Immer wieder kommen auf dem Podcast-Markt Produktionen breitbeinig daher und brüsten sich mit ihrer investigativen Haltung. Sie wollen Skandale aufdecken oder zum Kern von Sachverhalten vordringen, aber scheitern dabei oft an ihrem eigenen Anspruch.

Das trifft meiner Ansicht nach auch auf die beiden Produktionen der neuen Tamtam-Firma TRZ Media aus diesem Jahr zu. Sowohl Boys Club (über Axel Springer, produziert mit Spotify) als auch Hitze (über die Letzte Generation, produziert mit dem RBB) versprechen in gewisser Weise, richtig nah an ein ohnehin brisantes Thema ranzugehen, um seine Signifikanz besser zu verstehen, eiern aber am Ende in vagen Conclusios herum. 

Teurer Wohnen hingegen investiert sehr viel Zeit, um seinen Hörer:innen ein scheinbar unfassbar dröges Thema, den deutschen Immobilienmarkt, sehr genau zu erklären. Das Ergebnis: Man ist hinterher allgemein schlauer und hat anhand der konkreten Beispiele gelernt, welche Auswirkungen eben dieses dröge Thema jeden Tag auf das Leben vieler Menschen hat – vielleicht sogar auf mich selbst. Wenn ich mir einen Podcast mit dem entsprechenden Budget für mich selbst backen könnte, würde er jedenfalls mit Sicherheit irgendwas erklären. 

Diese Art von Explainer Journalism macht Planet Money ja seit Jahren sehr erfolgreich. Der Dreiteiler, in dem das Team eine Episode von generativer KI schreiben und produzieren lässt, gehört deswegen auch zu den besten Stücken zu KI, die ich dieses Jahr gehört habe. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk 2023 nicht nur zwei, sondern drei fast identisch formatierte Podcasts zum Thema Künstlche Intelligenz gelauncht hat. Da kann man die Gebührenfeinde manchmal doch verstehen.

Storytelling: Falle und Werkzeug

Ich glaube, dass sich in der Gegenüberstellung von den TRZ-Podcasts und Produktionen wie Teurer Wohnen oder Scambit ein zentrales Problem der momentanen Podcastlandschaft manifestiert. Viele Journalist:innen wollen Storytelling nach einem bestimmten Modell machen, egal ob das Thema, das sie sich ausgesucht haben, wirklich eine dafür geeignete Story hat. Wenn sich keine Dramaturgie mit Wendepunkten und immer neuen Überraschungen stricken lässt, ist man mit einer reportagenhaften oder erklärenden Erzählhaltung manchmal besser dran.

Dann kann man sich als journalistische Erzähler:innen-Figur aber natürlich auch leider nicht so in den Mittelpunkt stellen, das ist aber ohnehin etwas, wovon ich nächstes Jahr weniger hören möchte. Dark Avenger habe ich unter anderem deswegen abgebroche. Liebe Kolleg:innen, ich möchte eure alten Nachdenk-Meetings und Sprachnachrichten nicht in meinem Podcast, wenn sie nichts zur Geschichte beitragen. Davon habe ich jeden Tag auch so schon genug im Büro.

Dafür lohnt auch der Blick in die USA, die übrigens in Sachen Podcasts meiner Ansicht nach nicht mehr das leuchtende Vorbild sind, das sie mal waren, was sicher auch am Podcast-Blutbad liegt. The Retrievals (Serial Productions) gehört nicht zu meinen Lieblingspodcasts des Jahres, aber er ist natürlich trotzdem hervorragend produziert. Eine erschreckende, aber eigentlich einfache Geschichte (Frauen erleiden in einer Kinderwunsch-Klinik bei der Ei-Entnahme schreckliche Schmerzen, weil eine der Krankenschwestern Betäubungsmittel stiehlt) wird in einer Art Rashomon-Prinzip aus immer wieder neuen Blickwinkeln betrachtet, vor- und zurückgespult, um eine zentrale These zu erörtern: Der Gesellschaft sind Leiden von Frauen im Wesentlichen egal. Diese These steht bereits am Ende der ersten Folge, aber sie wird durch die Dramaturgie immer wieder neu zementiert – wenn etwa die Hintergrundgeschichte der Krankenschwester oder das Urteil der Richterin enthüllt wird. Das Große entsteht aus dem Kleinen, ohne dass es immer wieder behauptet werden muss.

Ghost Story (Wondery) ist im Kern ebenfalls keine riesige Geschichte. Ein Mordfall aus den 1930er Jahren und eine Reihe von Spukgeschichten über ein Haus in London stehen am Anfang des Podcasts, größere Gedanken über die Geschichten, die wir über unsere Familien erzählen, an seinem Ende. Vieles von dem, was dazwischen passiert, ist völlig aufgeblasener Quatsch – vor allem an den Spukgeschichten wird viel zu lange festgehalten (angeblich, weil sie auch als Metapher fungieren, aber das wäre auch ohne Séance möglich gewesen). Das Entscheidende ist: Der Podcast ist so gut erzählt, dass er einen wie ein guter Page Turner einfach durchgängig am Haken hält. Das ist mir noch einmal klarer geworden, als ich die diese Woche erschienene Bonus-Episode gehört habe, in der die Macher:innen ein stückweit berichten, was sie alles weggelassen haben, um ihre Story besser zu formen.

Weitere Gedanken

  • Schönster neuer Laberpodcast des Jahres war für mich Anja Rützels Verbrechen am Fernsehen (Studio Bummens, mein Interview mit Anja). Er beweist für mich einerseits, dass man erfolgreich und unterhaltsam Medienkritik als Podcast betreiben kann, und, dass Promi-Interviews einfach viel interessanter sind, wenn man etwas hat, worüber man redet, was nicht die Promis selbst sind.
  • Den PodcastPodcast (detektor.fm) als tägliches Podcast-Entdeckungsformat finde ich eine tolle Idee (nicht nur, weil ich selbst dafür geschrieben habe), die meinen Horizont sehr erweitert hat. Der Über Podcast (DLF) steckt hingegen trotz einiger guter Folgen mit Podcast-Profis leider etwas in einer Krise, aus der er sich hoffentlich wieder befreien kann. Nicht zu verwechseln übrigens auch mit Übers Podcasten, dessen Inhalt ich wertvoll finde, aber mit dessen Machart ich nach wie vor etwas kämpfe.
  • 50 MPH ist die Art Projekt, in das ich mich beinahe gegen meinen Willen, verlieben musste, einfach weil ich detaillierte Oral Historys über die Entstehung von Filmen so mag und Speed für mich, wie für Host Kris Tapley, einfach ein wichtiger Aufwachs-Film war. Große Inspiration für die LÄUFT-Folge zu X-Base.
  • Da ich immer auch auf die formelle Seite von Podcasts schaue: Future Tense Fiction fand ich ein schönes Experiment von Slate, Fiction und Non-Fiction in einem Podcast zu verbinden. Und das Audiobuch The Best Audio Storytelling 2022 (Pushkin) war ein tapferer neuer Versuch, Audio-Kuration zu betreiben. Ich bin gespannt, ob es erfolgreich genug war, dass sie es nächstes Jahr wieder machen.
  • Schließlich habe ich, wie fast immer, eine This American Life Folge, die ich besonders mochte: Math or Magic. Es geht um Liebe. Eine perfekte Folge für einen Winterspaziergang zwischen den Jahren.

LÄUFT geht übrigens 2024 weiter, und wer weiß: vielleicht schaffe ich es sogar, beruflich noch mehr mit Podcasts zu tun zu haben. Ich war dieses Jahr schon einmal knapp davor, am Ende hat es aber leider nicht geklappt. Aber falls da draußen jemand einen Podcast-Redakteur mit Hosting- und Producing-Erfahrung sucht: You know where to find me.

Titelbild: DALL-E

Playlist 2023

Alle Jahre wieder kommen die Jahresrückblicke auf das Blog nieder. Wie jedes Jahr blicke ich zuerst auf Musik. Und wie die letzten Jahre habe ich, ehrlich gesagt, weder Zeit noch Lust, viel zu schreiben. Es gibt eine Playlist. Wer Interesse an meinem Musikgeschmack hat, kann sie sich anhören. Ich habe sie extra auf Spotify geklont, damit auch Menschen, die nicht bei Apple Music sind, reinhören können.

In der Liste findet man wie immer meine typische Mischung aus Pop und Indierock nebst zweier Soundtrack-Queues – obwohl nämlich The Super Mario Bros. Movie sonst nicht viel hatte, was für ihn sprach, zumindest Bryan Tylers Verwebung der alten Videospiel-Musik mit einem symphonischen Score hat meinen Respekt verdient. Im April habe ich mich außerdem für LÄUFT durch die Beiträge zum Eurovision Song Contest gehört und dabei zwei Schmachteballaden gefunden, die mir gefallen. Prog ist wie schon in den letzten Jahren kaum noch Teil meines täglichen Musikmixes, wenn ich nicht gerade gezielt in bestimmten Phasen in das Werk einer meiner früheren Favoriten abtauche – dieses Jahr habe ich immerhin eine Band entdeckt, deren Sound mir gefällt: Dream the Electric Sleep, die man aber auch Problemos einfach als Heavy Rock labeln könnte.

Hervorheben muss ich, dass 2023 erstaunlicherweise mal wieder ein Jahr war, in dem ich ganze Alben liebgewonnen und gehört habe. Die Band KNOWER, ein Duo aus Louis Cole (Schlagzeug) und Genevieve Artadi (Gesang), war meine große Neuentdeckung des Jahres. Ich habe mich auch durch ihren gesamten Back-Catalogue gehört, aber keins ihrer bisherigen Alben ist so großartig wie das diesjährige KNOWER FOREVER, das deswegen auch ausnahmsweise zweimal auf der Playlist vertreten ist. Durch meinen übermäßigen Knower-Konsum hat mir Apple Music auch mal wieder regelmäßig diverse Jazz-Künstler vorgeschlagen, von denen ich auch einige ganz gerne gehört habe. Yussef Dayes’ Black Classical Music will ich in den nächsten Wochen noch mal in Ruhe von Anfang bis Ende hören.

Auch die britische Supergroup FIZZ und ihr Debütalbum The Secret of Life fand ich absolut großartig. Da ich zwei der Mitglieder, Dodie und Orla Gartland, eh schon mochte, haben die FIZZes bei mir natürlich offene Türen eingerannt, aber der ganze Sound der Band lebendig, stark und macht Bock, das Album immer wieder zu hören. Die Secret Sauce ist meiner Ansicht nach übrigens Drummer Matthew Swales, dessen ausladender Stil die Songs einfach immer noch einen Hauch interessanter macht (ähnlich wie Zac Farro bei Paramore). RAYEs Album My 21st Century Blues (und die dazugehörige Live-Fassung mit Orchester) muss man vermutlich an dieser Stelle nicht extra promoten, ähnlich wie Peter Fox’ Love Songs, dessen bester Track ja schon letztes Jahr auf meiner Bestenliste war.

Schließlich haben noch zwei Künstler beeindruckende Alterswerk-Alben hingelegt, die ich beide sicher auch noch viele Male hören werde. Einmal Paul Simon mit seinem ruhigen und reflektiven Seven Psalms, dessen Tracks es auch in Streamingdiensten nur am Stück zu hören gibt, und dass das ideale Album für dunkle Abendstunden ist. 

Und dann Peter Gabriel mit I/O – der dabei auch wieder mal ausprobiert hat, wie man Musik neu denken kann. Einen Track pro Monat über ein ganzes Jahr zu releasen gibt einem als Hörer die Möglichkeit, sich dem Album langsam zu nähern, bevor man es als Ganzes wahrnimmt (was ich auch an der “Waterfall” Release-Strategie anderer Künstler sehr mag). Und zwei Mixe des gleichen Albums zu veröffentlichen (Bright Side und Dark Side) ist natürlich für jene, die Gabriels ohnehin immer interessante Produktion schätzen, reinste Katzenminze. Musikalisch ist I/O gar nicht so besonders und klingt genau wie Gabriel auch sonst seit So oder spätestens Us geklungen hat, aber da es die erste wirklich neue Musik des Musikers seit über 20 Jahren ist, ist es ein sehr willkommenes Wiedersehen, für mich vor allem in den etwas treibenderen Songs.

Hier ist die ganze Liste:

  1. RAYE – Oscar Winning Tears
  2. FIZZ – High in Brighton
  3. KNOWER – I’m the President
  4. Paramore – This is Why
  5. Quiet Houses – Hot and Clumsy
  6. The Beths – Watching the Credits

I spend all night cutting up edits
Watching the credits to find direction in my existence

The Beths – Watching the Credits
  1. Polinski – Distant Friend, I love you
  2. Brian Tyler – Press Start
  3. Marco Mengoni – Due Vite
  4. Mia Nicolai & Dion Cooper – Burning Daylight
  5. Gracie Adams – Amelie
  6. The Heavy Heavy – Desert Raven
  7. CVC – Sophie
  8. Ratboys – Black Earth, Wi (bestes Gitarrensolo des Jahres)
  9. Emily King – Medal
  10. Asake – Lonely At the Top
  11. Peter Gabriel – I/O (Dark-Side Mix)

Stuff coming out, stuff going in
I’m just a part of everything

Peter Gabriel – I/O
  1. Miss Grit – Syncing
  2. Yes – Circles of Time
  3. Daniel Pemberton – Spider-Woman (Gwen Stacy)
  4. Dream the Electric Sleep – Beyond Repair
  5. Miya Folick – So Clear
  6. Alfredo Rodriguez – La Bilirrubina
  7. Peter Fox – Toscana Fanboys (feat. Adriano Celentano)
  8. Beatenberg – Don’t Call Her Over to You
  9. OK Go – This
  10. Cory Wong – Call Me Wild (feat. dodie)
  11. KNOWER – It’s All Nothing Until It’s Everything

Everything will lead to everything

Doing what I can

Starting where I am

It’s all nothing ’til it’s everything

Moments don’t forget

Start end back again

KNOWER – It’s All Nothing Until It’s Everything

  1. Paul Simon – Seven Psalms

Zur Playlist bei Apple MusicZur Playlist bei Spotify

Podcasts als Buchbegleiter: Zwischen Bonusmaterial und Content Marketing

Ich versuche ja, den Podcast-Markt als Ganzes im Blick zu behalten, was mir nicht mal im Ansatz gelingt. Aber immer mal wieder fallen mir doch Dinge auf. Dazu gehört, dass Podcasts, die ja vergleichsweise schnell und einfach zu produzieren sind, immer öfter auch als Annex- oder Bonusmaterial zu anderen Medien entstehen. Auch zu Büchern.

Da das hier nur ein Blog ist, habe ich mich zum Thema nicht auf eine Recherche-Reise begeben. Ich habe nur drei Beispiele aus den vergangenen Jahren zusammengetragen, die im Grunde Ähnliches machen, aber doch etwas anders vorgehen. Diese drei Beispiele will ich hier vorstellen.

Der Podcast als Audiokommentar: From a Certain Point of View

Ich lese sonst keine Star Wars Fiktion, aber diese jeweils zum 40. Jubiläum der ursprünglichen Filme erschienenen Bücher haben mir viel Spaß gemacht. In jedem Buch finden sich 40 Kurzgeschichten, die den Hintergrundcharakteren aus den Filme eigene Backstories geben. Diese Handlungsstränge berühren dann irgendwann die bekannte Haupthandlung und geben ihr neuen Kontext, was meine Vorliebe für Netzwerk-Narrative (aka Drumherumerzählen) und Worldbuilding bedient. Außerdem bekommt man jedes Mal einen guten Überblick darüber, welche Autor:innen gerade in der US-Phantastik-Szene aktiv sind.

Zum zweiten Buch, anlässlich des 40. Jubiläums von The Empire Strikes Back 2020, veröffentlichte der Verlag Del Rey auch einen Podcast mit dem Untertitel “Author Commentary”. Die Herausgeber des Buchs unterhalten sich darin in 40 Folgen jeweils 10-15 Minuten lang mit den Autor:innen der Kurzgeschichten. Sie lassen sie (in teilweise gruseliger Audioqualität) erzählen, wie sie ihre Geschichte ausgewählt und geschrieben haben und was ihnen dabei wichtig war. Das ist Bonusmaterial im klassischen Sinne und als Fan von Audiokommentaren fand ich es sehr bereichernd – unter anderem, weil man eben genau diese Auslese an Autor:innen dadurch auch besser kennenlernt.

Anscheinend war das Projekt (das ein wenig typische Pandemie-Podcast-Energie hatte) nicht erfolgreich genug, denn zum gerade erschienenen dritten Band der Reihe gibt es keinen “Author Commentary”. Aber gerade für Buchprojekte mit mehreren Autor:innen finde ich diese Art von Hintergrund-Podcast eine lohnenswerte Idee.

Das Buch im Podcast weiterdenken: Female Choice

Meike Stoverock kenne ich über Social Media. Ihr Buch Female Choice (2021), das eine Verbindung zwischen Biologie und Feminismus knüpft, habe ich nicht gelesen, aber ich habe den Podcast dazu wahrgenommen, weil ich auch hier die Idee gut fand, ein abgeschlossenes Werk durch ergänzendes Material zu öffnen.

Zu Female Choice gibt es sechs Podcast-Folgen, in denen die Autorin gemeinsam mit einer Moderatorin und jeweils einem Gast zentrale Ideen ihres Buchs in einem etwa 45-minütigen Gespräch weiterdenkt. Zu Gast sind etwa ein Evolutionsbiologe, eine Archäologin und die feminstische Theologin Antje Schrupp.

Ich finde die Idee hinter dem Podcast gut, dass das Thema größer ist als das Buch. Die Podcasts fungieren damit gleichzeitig als Content Marketing für das Buch und als Öffnung des abgeschlossenen Buchs in einen größeren Diskurs. Statt immer nur die Autor:innen in andere Podcasts und Talkshows einzuladen, könnten diesen Weg meiner Ansicht nach viel mehr Sachbücher gehen.

Der Podcast als Buzz-Generator: Going Infinite

Das dritte Beispiel ist sehr aktuell. Es war in den letzten Monaten im Podcastfeed von Michael Lewis’ Podcast Against The Rules zu hören und passt perfekt zu den fortschreitenden Bemühungen des Podcast Labels Pushin Industries, Podcasts und Sachbücher miteinander zu verschmelzen. Denn viele Pushkin-Podcasts könnten in Textform auch Sachbücher sein, nicht zuletzt Against the Rules selbst, in dem sich der versierte Sachbuchautor Lewis (Moneyball, The Big Short) erstmals am Podcast versuchte und anscheinend Gefallen fand.

Denn als Vorbereitung zu seinem neuen, Anfang Oktober erschienenen Buch Going Infinite: The Rise and Fall of a New Tycoon über den FTX-Chef Sam Bankman-Fried entschied sich Lewis, Hintergrundgespräche, die er für sein Buch (angeblich) ohnehin führen würde, einfach öffentlich im Podcast zu führen. 

Wie Lewis es ausdrückt, dienen diese Gespräche Sachbuch-Autor:innen normalerweise dazu, sich allgemein in Themen einzuarbeiten. Sie tauchen dann nicht als Zitate im Buch auf, sondern vermitteln nur allgemeinen Kontext und geben vielleicht Hinweise darauf, in welche Aspekte sich der/die Autor:in noch einmal tiefer reinbuddeln könnte. Lewis macht also (erneut: angeblich, denn so ganz glaube ich nicht dran) einen Teil seines Rechercheprozesses öffentlich und “primed” damit gleichzeitig sein Publikum dafür, am Ende richtig dolle Lust auf das Buch zu haben. Für eine Crossmedia-Marketingkampagne immerhin eine gute Idee. (Hat bei mir zum Glück nicht verfangen, ich denke nicht, dass ich es lesen werde, aber die Interviews waren interessant.)

Auf jeden Fall eine gute Idee für Autor:innen, die eventuell schon anderswo eine gewisse Gefolgschaft, wie etwa einen Podcast-Feed mit mehreren Tausend Abonnenten, haben, Nicht nur auf das Buch hinweisen, sondern aktiv das Thema vorher schon interessant machen.

In diesem spezifischen Fall bildet das Buch übrigens das zentrale Element in einer Art Triptychon, denn es erschien auf den Punkt zum Beginn des Prozesses gegen Sam Bankman-Fried, der aktuell im Podcast-Feed mit mehreren Folgen pro Woche begleitet wird.

Ich finde, die drei Beispiele zeigen, dass Podcasts als Buch-Erweiterung auf ganz verschiedene Weise eine echte Option sein können, wenn man nicht nur einen Hang zum Schreiben, sondern auch zum Sprechen hat. Wenn euch noch mehr Beispiele einfallen, schreibt sie gerne in die Kommentare, ich finde das ganze Thema sehr spannend. Und wenn ihr ein Buch in der Pipeline habt und darüber nachdenkt, dass man ja einen Podcast dazu machen könnte (und ihr nicht wisst, wohin mit eurem üppigen Marketingbudget) – meldet euch.

Titelbild: “a podcast player sits on top of a book on a wooden table in a sun-drenched room”, Craiyon

Podcastkritik: “Hitze – Letzte Generation Close-up”

(Dieser Text ist eine Minimaladaption des Skripts, das ich für die aktuelle Folge des Podcasts “LÄUFT” geschrieben habe, den ich für epd medien und Grimme-Institut produziere. Ihr könnt diese Kritik – mit den entsprechenden Ausschnitten – also auch hören.)

Hat euch schon mal jemand eine Serie empfohlen mit Worten wie “Durch die ersten Folgen musst du dich etwas durchbeißen, aber dann wird es doch noch ganz gut?” So fühle ich mich ein bisschen mit Hitze, dem neuen Podcast aus dem Hause TRZ Media, bekannt durch Boys Club über den Springer Verlag, und coproduziert mit dem RBB. Ich kämpfe noch damit.

Es geht in Hitze um die “Letzte Generation”, die umweltaktivistische Gruppierung, über die spätestens seit einem Jahr bundesweit heftig diskutiert wird. Bevor ich tiefer in die Kritik einsteige, so fängt der Trailer an:

Daphne Ivana Sagner: Die letzte Generation stört. Sie ist eine der umstrittensten Protestgruppen, die es momentan in Deutschland gibt. Mit ihrem Protest rückt die Gruppe in den Brennpunkt der Debatten über Verantwortung und Klimakrise. Darüber, was getan werden muss und was lieber gelassen werden sollte. Und wir begeben uns genau in diesen Brennpunkt. 

O-Ton-Collage: “Hey Daphne, sorry für die späte Rückmeldung. Mir geht es gerade so mittelprächtig irgendwie.” – “Man opfert sich da tatsächlich auf.” – “Das war so unvorstellbar für mich, dass durch diesen politischen Protest jemand mein Leben bedroht.” – “Also bei der Vorstellung irgendwie wieder in so einer Zelle eingesperrt zu sein, schnürt sich bei mir der Magen zu.” – “Boah, das machen wir eigentlich? Säen wir gerade einfach Hass?”

Daphne Ivana Sagner: Ich bin Daphne-Ivana Sagner, Reporterin aus Hamburg. Für den neuen Podcast Hitze von TRZ Media und RBB habe ich gemeinsam mit der Klima-Journalistin Céline Weimar-Dittmar recherchiert und die letzte Generation für ein halbes Jahr begleitet. Wir schauen uns an, wie so ein Leben im Kampf ums Klima funktioniert und was es mit allen Beteiligten macht. 

Ich gebe zu: Ich habe sie selbst schon gestellt, aber die Frage “Was macht das mit Ihnen?” oder “… mit uns?” gilt inzwischen als eine der nervigsten Fragen im Journalismus überhaupt. In Hitze wird sie immer wieder direkt oder indirekt gestellt, zusammen mit ihrer Kusine “Ist es das wert?” Das Problem für mich: Ich finde, die Frage wird kaum beantwortet. Sie wird wenig eingeordnet. Es scheint über die Fragen hinaus keine echte These zu geben, mit der die Autorinnen Daphne Ivana Sagner und Céline Weimar-Dittmar ihre Recherche vorstellen möchten.

Ein Thema in einzelnen Aspekten

Es gibt einen Trend in aktuellen Storytelling-Podcasts, Recherchen nicht mehr linear zu erzählen. Also von Anfang bis Ende, wenn auch natürlich mit einer Dramaturgie, die bestimmte Informationen erst an strategischen Punkten offenlegt, um bestimmte Wendungen in der Geschichte interessanter zu machen. 

Stattdessen wird das Thema in einzelne Aspekte zerlegt. Jede Folge blickt dann durch diese bestimmte Brille auf das Phänomen im Zentrum. Ich kann nicht sagen, ob das eine Verkaufs-Strategie ist, weil dadurch einzelne Podcastfolgen auch isoliert leichter zu hören und zu teilen sind. Ob die Recherche sich so besser strukturieren lässt. Oder ob es schlicht nicht immer eine lineare Geschichte gibt, die sich von Anfang bis Ende erzählen lässt. Manche Sachverhalte entziehen sich unserem Bedürfnis nach “Storytelling” ja auch einfach. Diese Strategie kann sehr gut funktionieren. Der viel gepriesene Podcast The Retrievals von Serial Productions aus diesem Sommer arbeitet zum Beispiel so. Und Hitze eben auch.

Die erste Folge, zum Beispiel, heißt “Zuhause”. Sie stellt zwei Menschen vor, die sich der “Letzten Generation” angeschlossen haben. Sie schildert, dass das nicht nur ihr Leben verändert, sondern auch ihr Umfeld in Mitleidenschaft gezogen hat. Eine Hausdurchsuchung beim Vater eines Mitglieds. Eine Tochter, die Weihnachten im Gefängnis verbringen muss. Und am Ende der Folge, in Bezug auf die Aussage einer Aktivistin in einem Video – dies:

Da ist eine junge Frau – wahrscheinlich mein Alter – Und die setzt sich freiwillig dieser massiven Gewalt aus. Was bedeutet es, wenn man alles aufgibt für eine Sache, für die man so sehr brennt. Wenn man seine Gesundheit, Beziehungen zur Familie und zu Freund*innen aufs Spiel setzt – wenn man so viel Hass auslöst und abbekommt? Was muss man wirklich opfern, um die Zukunft zu sichern? Und ist es das wirklich wert?

Ja, was? Was muss man dafür opfern? Ist es das wert? Die Folge hat diese Fragen jedenfalls nicht beantwortet. Nach bisher vier veröffentlichten von sechs angekündigten Episoden ist es nach wie vor unklar, ob sie noch beantwortet werden. Aber: wenigstens den Versuch einer Antwort – durch die Recherche, durch die Auseinandersetzung mit dem Thema – wünsche ich mir als Hörer nach wie vor.

Doch ich habe ja schon gesagt: Es wird besser. Die Reportage-Elemente von Hitze, die gleichzeitig erklärend versuchen, die zentrale Strategie der “Letzten Generation” aufzudröseln, haben ihren Reiz. In Folge zwei, Titel: “In den Medien”, sind die Reporterinnen bei einer Aktion in Berlin direkt dabei und fangen erst die höfliche Interaktion mit der Polizei vor Ort ein, dann die etwas enttäuschte Reaktion der Aktivist:innen direkt im Anschluss, und schließlich das enorme mediale Echo in den Tagen darauf. Ein überraschender Kontrast.

Folge drei präsentiert das juristische Vorgehen der “Letzten Generation”. Wie sie immer wieder ganz gezielt versuchen, überforderte Richterinnen und Richter davon zu überzeugen, dass ihre Aktionen aufgrund der Bedrohung durch eine bevorstehende Klimakatastrophe gerechtfertigt sind. Folge vier beschreibt eindrücklich die an Sekten erinnernde Rekrutierungsstrategie der Bewegung, die sehr stark mit Emotionalisierung arbeitet, und mit einer gruseligen Direktive: Mitglieder sollen der aktvistischen Arbeit alle anderen Lebensprioritäten unterordnen.

Tiefe und Flachheit

Diese erklärenden Teile des Podcasts sind faszinierend und erhellend. Sie bieten tatsächlich einen Blick auf die “Letzte Generation”, der anders und näher dran ist als die übliche Berichterstattung.

Leider wechseln sich diese analytischen Reportage-Elemente immer wieder ab mit Sprecherinnentext, in denen jede Tiefe prompt wieder verloren geht. Der Tonfall erinnert mich an die jungen Reportage-Formate der ARD auf YouTube, die ja auch immer wieder in der Kritik stehen, weil sie sich so oft auf den Blickwinkel ihrer Reporter:innen-Hosts beschränken und größere Einordnungen vermissen lassen, die es häufig bereits gibt. Es reicht eben nicht, daneben zu stehen, und im Grunde zu sagen, dass das alles schon irgendwie ziemlich krass ist. 

Hier ist ein Beispiel vom Ende der zweiten Folge, in der es wie erwähnt um die mediale Strategie und die Wirkung der “Letzten Generation” in der Öffentlichkeit geht:

Wie wir über sie reden, wie wir mit ihnen umgehen, das sagt vielleicht mehr über uns aus, als über sie. Und vielleicht können sie auch nur deshalb so eine extreme Ablehnung hervorrufen – eben weil sie einen wunden Punkt treffen. Ok, das klingt vielleicht erstmal nach einer gewagten These, aber ich finde da ist was dran: Natürlich nervt es, wenn du wegen einer Klebeaktion stundenlang im Stau stehst. Besonders, wenn du zu spät zu einem wichtigen Termin kommst. Aber es ist schon besonders, dass die Straßenblockaden so viel Wut auslösen. (Folge 2, S. 13)

Hier ist eine gewagte These von mir: Wenn man selbst dazu sagen muss, dass etwas eine “gewagte These” ist, ist die These vermutlich nicht so gewagt. Zu erkennen, dass die Aktionen der “Letzten Generation” deswegen so provozieren, weil sie unser eigenes schlechtes Gewissen berühren, sollte eigentlich der Beginn eines Denkprozesses sein, nicht bereits dessen Schlussfolgerung. Was folgt daraus? Das möchte ich wissen.

Mag sein, dass hier in den zwei verbleibenden Folgen noch mehr nachgeliefert wird. Einige O-Töne und vorausschauende Sätze, die zwischendurch schon zu hören waren, deuten das an. In der jüngsten Folge zeigen die Autorinnen erstmals eine klare Haltung. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn die Erkenntnis am Ende dennoch eher oberflächlich bleibt. 

Zugegeben: Bisher war jede neue Folge besser als die vorhergehenden. Die Erfahrung lehrt aber: Serien, bei denen die ersten paar Folgen schon deutliche Schwächen haben, werden manchmal noch ganz okay. Plötzlich noch richtig gut werden sie aber selten.

Die 21 besten Songs des 21. Jahrhunderts

Was uns Machine Learning und Big Data nicht alles ermöglicht. Es ist jetzt zum Beispiel kein Problem mehr, einfach alle Songs, die seit dem 1. Januar 2001 erschienen sind, in eine Black Box zu füttern und nach einigen Tagen Rechenzeit eine völlig objektive Liste herauszubekommen mit den absolut besten Songs, die diese Zeit hervorgebracht hat. Wissenschaftler haben genau das jetzt gemacht, und hier ist das Ergebnis. (Quelle)*

21. KNOWER – I’m the President
(KNOWER Forever, 2023)

Eine erstaunliche Symbiose aus Funk, Pop und Jazz-Geist mit teilweise sehr witzigen Lyrics.

20. Eminem – Lose Yourself
(8 Mile, 2002)

19. PeterLicht – Alles was du siehst gehört dir
(Melancholie und Gesellschaft, 2008)

Ein wenig Kalenderspruch-Poesie, aber auf eine so liebliche Akkordfolge geträllert, dass man weich wird.

18. Dan Auerbach – Shine on Me
(Waiting on a Song, 2017)

Der einfachst-mögliche Drei-Noten-Refrain und dazu ein wenig Gitarre von Mark Knopfler, fertig ist der ultimative Gute-Laune-Ohrwurm.

17. Frost* – Hyperventilate
(Milliontown, 2006)

Für die einen eine Fingerübung (der Song enthält alle Taktarten von 2/4 bis 7/4), für die anderen der ultimative Abhebe-Song.

16. Leslie Odom Jr. – Wait For It
(Hamilton: An American Musical (Original Broadway Cast Recording), 2015)

Wenn Musical Theatre in dieser Liste auftauchen würde, war irgendwie klar, dass es dieser Song sein müsste.

15. Porcupine Tree – Blackest Eyes
(In Absentia, 2003)

Der ultimative Melancholie-Rocker für junge Erwachsene.

14. Maroon 5 – Kiwi
(It Won’t Be Soon Before Long, 2008)

Nicht als Single veröffentlicht, aber unglaublich sexy und funky, allein dieses Gitarrensolo am Schluss.

13. Dave Matthews Band – Shake Me Like A Monkey
(Big Whiskey and the Groo Grux King, 2009)

Die letzte dicke Power-Rakete, die die Band abgefeuert hat, bevor sie ein wenig in der Midtempo-Mittelmäßigkeit versunken ist. RIP LeRoi Moore.

12. Johnossi – Man Must Dance
(Johnossi, 2006)

Ein kleiner, dummer Song über den Urtrieb des Tanzens, der aber leichtfüßiger nicht sein könnte.

11. Wir sind Helden – Aurélie
(Die Reklamation, 2003)

Basierend auf einer wahren Geschichte.

10. Selena Gomez – Bad Liar
(Rare, 2020)

Angeblich ist die Basslinie von “Psycho Killer” geklaut, aber das Lied ist trotzdem ein ganz anderes, irgendwie quirky, sex und cool.

9. Beatenberg – Ithaca
(The Hanging Gardens of Beatenberg, 2014)

It’s a whole mood.

8. The Shins – Saint Simon
(Chutes too Narrow, 2003)

Wird diese Band dein Leben verändern? Nein, aber der Song ist schon sehr schön.

7. Half•Alive – Still Feel.
(Now, Not Yet, 2019)

6. The Mountain Goats – No Children
(Tallahassee, 2002)

Noch so ein melancholischer Song für junge Erwachsene, aber ganz anderer Stil.

5. Taylor Swift – Shake It Off
(1989, 2014)

4. Ryley Walker – Primrose Green
(Primrose Green, 2015)

3. Everything Everything – MY KZ, UR BF
(Man Alive, 2010)

And he was looking at me, like, whoa!

2. Aoife O’Donovan – Magic Hour
(In the Magic Hour, 2016)

1. 65daysofstatic – Retreat! Retreat!
(The Fall of Math, 2004)

Das beste Instrumentralstück aller Zeiten und der Grund für diese Liste.

* Nein, das sind einfach 21 Songs, die ich sehr gerne mag. Aber hättest du mit der Prämisse auf den Artikel geklickt? Das ist mein Musikgeschmack. Wie ich immer wieder feststelle: sehr weiß, entweder folky oder sehr auf musikalische Verspieltheit ausgelegt, episch und dramatisch. Vielleicht magst du einen der Songs ja auch.

Als Playlist auf Apple Music

Turtles of the Mind

Die “Teenage Mutant Hero Turtles” (wie sie hierzulande hießen) waren einer der ersten großen Popkultur-Importe, der mir etwas bedeutete. Um 1990 schwappten sie nach Deutschland, und ich war großer Fan. Ich zeichnete, mit Freunden, nicht nur einen Comic mit den Turtles, sondern eine ganze Serie über mehrere Jahre. Ich erinnere mich sehr genau daran, wie ich meine Eltern so lange anbettelte, bis sie mir einen kleinen Spiegel kauften, auf dem die Turtles eingeprägt waren.

Woher kam diese Leidenschaft? Ganz sicher nicht aus den Live-Action-Kinofilmen (1990-93), für die ich in den Augen meiner Eltern noch viel zu jung war. Ich las zwar viel über diese Filme, in Zeitschriften wie Limit und Micky Maus, aber selbst gesehen habe ich sie erst viele Jahre später (und absurderweise keinerlei Erinnerung daran). 

Eine große Inspiration kam auf jeden Fall aus der Animationsserie (1987ff.), von der ich auf jeden Fall einige wenige Episoden gesehen habe. Sie hat definitiv den Stil meiner Turtles-Zeichnungen beeinflusst und ich kannte daher den Titelsong sowie die Persönlichkeiten der vier Hauptcharaktere. Aber ich durfte oder konnte die Serie nie ausführlich genug sehen, um wirklich tief in die Turtles-Mythologie einzusteigen. Mein Einblick ins Turtles-Universum war immer nur extrem oberflächlich.

Keine diegetische Wahrheit

Die Hauptquelle für meine Vorstellung von der Welt der vier Schildkröten-Helden war also meine eigene Fantasie. Wenn ich meine Comics zeichnete oder mit meiner spärlichen Auswahl an Action-Figuren spielte (ich hatte zwei von vier Turtles und ein paar Nebencharaktere), dachte ich mir auf eine Weise Geschichten aus, wie sie sich nur Kinder ausdenken können. Alles Unbekannte über Charaktere und Settings, wird einfach irgendwie ergänzt. Es gibt keine Vorstellung von einer diegetischen, durch irgendetwas oder irgendjemand festgelegten “Wahrheit”. Was zählt, sind die Dinge, die man selbst für wichtig hielt. Turtles of the Mind.

Über dreißig Jahre später merke ich, dass ich von dieser damaligen Version der Turtles nie ganz weggekommen bin. Auch, weil ich mich nie wieder tief in ihre Welt eingegraben habe. Ich habe ein paar der neueren IDW-Comics von Kevin Eastman gelesen, ich habe den Film TMNT von 2007 gesehen, aber nicht die dazugehörige Serie und erst recht nicht die Michael-Bay-Realverfilmungen. TMNT erschien mir in Design und Gefühl noch relativ nah dran an den Turtles meiner Kindheit. Ich habe mir 2014 eine Donatello-Figur gekauft (Donatello ist übrigens natürlich der beste Turtle), die der alten relativ ähnlich sah. Jetzt wohnt er im Spielhaus meines Kindes und heißt nur noch “der Turtle”.

Der Trailer zum neuen Film Mutant Mayhem, der diese Woche gestartet ist, scheint aber so gar nicht zu meinem inneren Bild von den Turtles zu passen. Ich glaube, dass es daran liegt, dass ich die Turtles aus Kinderaugen, trotz ihres Namens, nie als Teenager wahrgenommen habe, sondern als alterslose Erwachsene. Design und Marketing des von Seth Rogen mitgeschriebenen Films stellen aber genau diese Eigenschaft sehr nach vorne. Eventuell ist es das, was mich abschreckt. Aber da die kritische Rezeption des Films gut ist, werde ich ihn mir wohl trotzdem ansehen. Mal sehen, wie sehr sich innere Bilder überschreiben lassen.

Bild: Alexander Gajic (7 Jahre)

Quantifizierter Kulturkonsum

“Quantified self” – dieser Begriff war vor zehn bis 15 Jahren der heißeste Scheiß. Mithilfe von “Wearables” automatisch Daten über den eigenen Körper zu sammeln und daraus Erkenntnisse zu ziehen, galt vielen als Schlüssel zum Glück. Was ist daraus geworden? Apps von Krankenkassen verteilen Goodies basierend auf den Schritten, die man jeden Tag geht.

Allerdings kommt in den Diskussionen um Quantified Self nie auf, dass man auch ganz andere Dinge tracken kann. Ich tracke Kultur. Das heißt: Ich führe Buch darüber, welche Kultur ich wahrnehme und “konsumiere”. Das habe ich bereits lange vor sozialen Netzwerken und Devices gemacht. Bereits als Tween habe ich jahrelang jede Woche persönliche Hitparaden erstellt und diese jedes halbe Jahr ausgewertet. Ich habe Lese- und Sichtungs-Listen abgearbeitet und so versucht, mein kulturelles Kapital zu festigen.

Aber seit etwa 20 Jahren bin ich zu einer generellen Strategie von “alles aufschreiben und kurz bewerten” übergegangen. Einige Websites haben diese Aufgabe zusätzlich erleichtert. Ich tracke heute also die (filebasierte) Musik, die ich höre (seit 2005 bei last.fm); die Bücher, die ich lese (seit 2012 bei Goodreads, zuvor seit 2002 per Tabelle) und die Filme, die ich schaue (bei Letterboxd, seit 2003 per Tabelle, die ich in Letterboxd importieren konnte). Auch über meine Konzertbesuche führe ich Buch. Und über die App Timehop erlebe ich täglich die Vergangenheit meiner eigenen Social-Media-Posts. Mein Streak ist seit 2017 ungebrochen.

Hilfreiche Statistiken

Ich bin nicht alleine mit diesem Verhalten, aber ich frage mich auch, welche Effekte es hat. Auf jeden Fall hat diese Art von quantifiziertem Kulturkonsum einige Vorteile, wenn man bereit ist, sich mit den eigenen Daten auseinanderzusetzen. An der reinen Anzahl meiner “Scrobbles”, also meiner gehörten Musik, kann man zum Beispiel sehr gut ablesen, in welchen Jahren ich alleine gelebt habe (2010-2011), wie ab 2012 langsam Podcasts den Siegeszug über Musik mit meiner “Ohrenzeit” antraten und in welchem Jahr mein Kind geboren wurde (2018).

So ähnlich sieht es auch auf meinem Letterboxd-Profil aus. 2011-2013 habe ich in der Filmredaktion 3sat gearbeitet, wie man unschwer erkennen kann. Mithilfe der Tags, die sich seit 20 Jahren vergebe, könnte ich außerdem sehr gut nachvollziehen, wie sich bei mir der Umstieg von physischen auf digitale Medien vollzog.

Besonders hilfreich fand ich meine Goodreads-Daten dieses Jahr, als ich mal schauen wollte, wie es eigentlich mit dem Geschlechterverhältnis bei meinen gelesenen Büchern aussieht. Gefühlt habe ich Bücher nie danach ausgewählt, ob sie von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurden. Bittererweise zeigen die Daten aber, dass ich selbst in Jahren, die sich für mich einigermaßen paritätisch anfühlten, ungefähr doppelt so viele Bücher von Männern wie von Frauen gelesen habe. (Ich korrigiere das dieses Jahr sehr bewusst, bin aber auch froh, dass man im Diagramm immerhin eine positive Tendenz sieht.)

Ein bisschen ist das quantifizieren von Kultur wie automatisiertes Tagebuchschreiben. Und es hilft manchmal, sich selbst zu checken. Habe ich die Songs, mit denen ich mich schmücke, auch wirklich am meisten gehört? Oder habe ich vielleicht doch eine geheime Schwäche für einen ganz anderen Künstler? Ganz abgesehen davon, dass es das Erstellen von Lieblingslisten am Ende jedes Jahres deutlich erleichert.

Wettbewerb und schlechte Daten

Die negativen Seiten liegen (für mich) ebenfalls auf der Hand. Tracking schafft Vergleichbarkeit. Für einen neidischen Scanner wie mich definitiv ein Problem. Habe ich dieses Jahr wirklich nur 30 Filme gesehen? Früher habe ich fünfmal so viel geschafft. Daten sagen auch nichts über die Qualität des kulturellen Genusses aus. Habe ich die vielen Songs, die ich dieses Jahr gehört habe, auch bewusst gehört? Oder dudelten sie im Hintergrund vor sich hin, während ich mit anderen Dingen beschäftigt war? Diese Art von “schlechten” Daten kennen viele aus ihren “Spotify Wrapped”-Listen, in denen Workout- oder Kinderlieder jedes Jahr die ersten Plätze einnehmen.

Das nervigste aber ist, dass Tracking die Gamification bzw. Workification von Kulturkonsum befeuert. Wenn man Kulturkonsum in Zahlen übersetzt, verbindet man schnell automatisch Ziele damit. Statt Genuss geht es dann plötzlich darum, etwas zu schaffen. 

Goodreads zum Beispiel fordert einen jedes Jahr dazu auf, eine “Reading Challenge” festzulegen. Der ursprüngliche Hintergrundgedanke ist vermutlich, dass genug Leute sich sagen “Ich sollte wieder mehr lesen” und es dann nicht tun. Die haben mit einem selbstgesetzten Ziel einen Ansporn. Aber man kann es auch zur performativen Farce werden lassen.

Crush Your Reading Challenge

Denn im Oktober schickt Goodreads jedes Jahr eine E-Mail mit dem Betreff “Short Books to Crush Your Reading Challenge” raus. Ein schönes Beispiel dafür, wie sich alleine durch die Auswahl der “richtigen” KPI mit Statistiken bescheißen lässt. Wenn ich nur kurze Bücher lese, kann ich nominell ein höheres Ziel erreichen. Aber was habe ich dadurch für mich gewonnen?

Ich gebe zu: Ich kann mich diesem künstlichen Wettbewerb nicht ganz entziehen. Ich bin im, Herzen ein kompetitiver Mensch und will irgendwie bestehen können, also höre, lese und gucke ich mich manchmal durch die Welt, einfach weil ich das Gefühl habe, ich muss. Auf der anderem Seite, bereue ich es aber auch selten. Denn Filme gucken, lesen, Musik hören oder Podcast hören ist fast immer besser als die Alternative, etwa endloses Doomscrolling.

Aber es schmerzt halt dann auch immer, wenn ich das Gefühl habe, ich tue gerade nichts Messbares. Ich muss mich manchmal sehr zwingen, mir selbst Erlaubnis zu erteilen, Dinge zu machen, die hinterher nirgendwo festgehalten sind. Ich war schon immer schlecht im Entspannen, unter anderem, weil es sich so schlecht tracken lässt.

Immerhin: Es gibt eine Kulturform, die ich nicht tracke: Serien. Hier ist es mir meist ziemlich egal, wieviele Folgen oder Staffeln ich in welchem Zeitraum “geschafft” habe (“muss ich gucken, weil ich drüber schreiben/reden will” ist die Ausnahme). Insofern sind Serien vermutlich die entspannteste Form von Kultur für mich. Das ist ja auch eine Erkenntnis.

Image by Mahesh Patel from Pixabay

Podcasts, Podcasts, Podcasts

Eine kleine Übersicht über vier Podcast-Entwicklungen, die mit mir zu tun haben.

Zu Gast bei Cuts

Den Podcast Cuts – Der kritische Filmpodcast verfolge ich, seit er noch Shots hieß und bei detektor.fm lief. Ich gehöre nicht zum tiefsten Patron-Kreis, der zwölftstündige Specials zum Gesamtwerk von Regisseur:innen hören möchte, aber ich applaudiere und empfehle bei jeder Gelegenheit Christian Eichlers Projekt, das sich von einem Filmpodcast mit kritischem Ansatz zu einer erfolgreichen Community gemausert hat, in der auch immer wieder verschiedene andere Podcaster zu Gast sind.

Nachdem in den letzten Jahren meine drei Kulturindustrie-Kolleg:innen Lucas, Sascha und Mihaela schon mehrfach bei Cuts zu Gast waren, habe ich es jetzt endlich auch geschafft. Zusammen mit Christian und Louis Derfert sprechen wir über die Meriten und Probleme von Across the Spiderverse.

Kulturindustrie im freieren Flow

Wir waren bei Kulturindustrie Anfang des Jahres alle ein bisschen gestresst. Uns jeden Monat auf drei Themen zu einigen, die wir besprechen wollen und sie dann auch noch alle vorzubereiten, wurde einigen von uns (unter anderem mir) langsam ein bisschen zu viel. Alle hatten wir aber weiterhin Lust zu podcasten, deswegen entschieden wir uns, ein neues Konzept auszuprobieren.

Seit der Februar-Ausgabe einigen wir uns fest nur noch auf ein Thema pro Folge, das wir länger besprechen. Anschließend schauen wir aber immer noch, was uns weiter so durch den Kopf geht, was vielleicht auch mehrere von uns gesehen haben. Wir stellen uns gegenseitig Fragen und unterhalten uns einfach ein bisschen. Etwas mehr Laberpodcast, aber dafür auch wieder etwas mehr Spaß für alle bei diesem seit sechs Jahren bestehenden reinen Freizeitprojekt. Ich bin mit der neuen Iteration sehr zufrieden. In der jüngsten Folge hat es dann auch wirklich nur für ein Thema (Beau is Afraid) gereicht, aber das war auch okay. Ende des Monats sprechen wir über Asteroid City, Across the Spider-Verse, Peter Fox’ Album Lovesongs, die neue Staffel Black Mirror und mehr.

LÄUFT häutet sich ein wenig

Das Magazin-Format, mit dem Läuft gestartet ist, war in den vergangenen Ausgaben ein wenig an seine Grenzen gestoßen. Für Hörer:innen bedeutet es ein großes Commitment, sich an einen Podcast zu binden, der nur das vage Versprechen machen kann, jede zweite Woche über ein latent aktuelles Thema und latent aktuelle Programme zu sprechen. Im Redaktionsteam hatten wir schon länger darüber diskutiert, das Grundkonzept etwas zu verschieben.

Mit der letzten Ausgabe hat es sich dann ein wenig von selbst ergeben. Die Kritik musste ausfallen, da das Interview kurzfristig nicht stattfinden konnte. So hatten wir am Ende doch nur ein Gespräch mit einem prominenten Programm-Kritiker (Georg Restle) und am Ende eine Kurzkritik von mir über die Sendung, die wir eigentlich im Dialog besprechen wollten. Nun hatte die Folge einen klareren Fokus und etwas mehr “Fleisch” am Interview – ein Ergebnis, bei dem wir feststellten, das es uns gefiel. Künftig bleiben wir bei dem Format. Ein fokussiertes Thema im Interview und ein kleines bisschen mehr Kritiker-Personality von mir. Ich freue mich drauf.

Lexpod mit Retro-Content (more to come)

Letztes Jahr habe ich den Feed meines pausierten Lexpod wiederentdeckt, um dort gelegentlich Content zu veröffentlichen, den ich lieber in Audio als schriftlich produzieren möchte. Nach dem Mitschnitt vom TXT-Panel letztes Jahr und dem Interview mit Max Ost habe ich dort erneut etwas veröffentlicht, das allerdings noch nischiger ist als meine sonstigen Aktivitäten.

In meinem Scanner-Artikel hatte ich erwähnt, dass ich schon 2010 einen journalistischen Podcast produziert, diesen aber nie außerhalb meines Blogs veröffentlicht habe, obwohl er sogar ein Interview mit dem Avatar Editor Stephen Rivkin enthält. Im Lexpod-Feed hat das ganze Ding, was ich zum eDIT Filmmaker’s Festival 2010 aufgenommen hatte, jetzt ein Zuhause, mit einem neuen, kurzen Intro von mir, in dem ich mich ein wenig über mein 28-jähriges Ich lustig mache.

In Zukunft würde ich den Lexpod gerne öfter – also alle paar Monate – für längere Interviews wie mit Max nutzen. Eins habe ich schon recht fest, ein anderes eher lose verabredet. Abonnieren könnte sich also lohnen.

Titelbild: Mit zwei Kopfhörern hört es sich besser (Midjourney/Alexander Matzkeit)

Mein Leben als Scanner

Vor einige Zeit schickte mir ein Freund diesen Tweet mit den Worten “Wie ich auf dein Leben blicke”.

Das war ein schräger Moment. Denn einerseits habe ich mich in der Aussage des Tweets völlig wiedergefunden. Andererseits war es merkwürdig, diese Aussage von einem Freund gespiegelt zu bekommen.

Denn obwohl ich öfter rückgemeldet bekomme, in privaten wie beruflichen Kontexten, dass ich “so viele Sachen mache”, entspricht es in ganz vielen Situationen überhaupt nicht meiner eigenen Wahrnehmung. Im Gegenteil: Ich komme mir sehr häufig so vor, als würde ich nicht annähernd genug tun. Was der Tweet ja wiederum auch ein bisschen als Vibe hat.

Um all das soll es in diesem Text gehen. Wie immer vor allem deswegen, weil mich das Thema beschäftigt, und weil ich auch gerne persönliche Texte von anderen Leuten lese. Und wie immer schwingt bei mir die Angst mit, dass der Text als Selbst-Grandifizierung gelesen werden könnte. Aber damit muss ich wohl leben.

Multipotentialite

Ich interessiere mich für viele Sachen. Das war immer schon so. Auch als Kind schon. Es gibt auch Dinge, die mich nicht interessieren und die ich mir auch sehr schlecht vorstellen und merken kann, zum Beispiel alles, was mit Mikrobiologie und Chemie zu tun hat. Aber ansonsten kann ich mich von Mathematik bis Theologie, von Musik bis Pädagogik für viele verschiedene Felder begeistern. Ich habe immer mal versucht, eine Gemeinsamkeit meiner Interessen zu finden, aber alle Begriffe, die passen würden – Wirklichkeit, zum Beispiel – waren dann schon wieder so allgemein, dass man sie auch weglassen könnte.

Immer wieder entdecke ich Themen oder Aktivitäten, die mich mehr faszinieren als andere. Auf diese lege ich dann einen stärkeren Fokus, lese dazu, probiere aus. In den vergangenen zehn Jahren waren das Dinge wie vernetztes Erzählen in “Cinematic Universes”, die Potenziale von 3D und Virtual Reality oder aktuell Eurodance in den 90ern und natürlich Generative KI. Aber anders als andere Menschen das vielleicht tun würden, mache ich diese Themen nie zu meinem Spezialgebiet. Ich werde darin einigermaßen literate, könnte also Gespräche auf einem gehobenen Niveau dazu führen (und mache das auch manchmal) oder Artikel für ein Laienpublikum schreiben (was ich auch manchmal mache), aber wäre zum Beispiel nicht in der Lage, ein wissenschaftliches Paper dazu zu schreiben (schon versucht und gescheitert).

Der Grund ist, dass selbst diese Fokusthemen nie die einzigen werden, die mich beschäftigen. Ich habe immer noch ein Dutzend andere Eisen im Feuer, die ebenfalls meine Aufmerksamkeit wollen. Außerdem finde ich nach einiger Zeit der Beschäftigung meistens ein neues Thema, das mich mehr interessiert und dass das alte Thema weitgehend verdrängt. Aber auch nie so ganz, weshalb bei mir immer wieder alte Leidenschaften wieder aufflammen.

Vor ein paar Jahren habe ich endlich festgestellt, dass es für diesen Persönlichkeitszug Fachausdrücke gibt. Der hochgestochenste, den ich gehört habe, lautet “Multipotentialite” – also: Person mit mehreren Potenzialen. Er stammt (in seiner jetzigen Bedeutung) aus einem TED-Talk von Emilie Wapnick und ist auch eindeutig einer Kultur entwachsen, in der es vor allem um Geschäftsideen geht.

Der geläufigere Ausdruck, den ich auch viel besser finde und der deswegen auch das Motiv dieses Textes bildet, ist “Scanner-Persönlichkeit”. Im Bild eines Cyborgs, der ständig seine Umgebung nach interessanten Dingen absucht und diese analysiert, kann ich mich gut wiederfinden. Es gefällt mir auch besser als andere Begriffe wie “Vielbegabt” oder “Generaldilletant”, die mir jeweils zu elitär oder zu stümperhaft klingen. Eventuell würde ich noch “Hans Dampf in allen Gassen” oder den englischen “Jack of All Trades (But Master of None)” akzeptieren.

Keine Berufung

Seitdem ich gelernt habe, dass ich anscheinend eine Scanner-Persönlichkeit bin, hat sich mir einiges als neutrale Eigenschaft erschlossen, das mir zuvor immer wie ein Fehler vorkam. Im Wesentlichen, dass ich nie das eine Ding gefunden habe, was mich mehr begeistert als alles andere, und dem ich große Teile meiner Existenz voller Drive widmen möchte. Nicht mal Dinge, die mir immer schon sehr wichtig waren, wie Journalismus oder Film, oder persönlichere Werte wie Familie.

Die kognitive Dissonanz war bei mir vorher immer dadurch entstanden, dass die landläufige Erzählung erfolgreicher und/oder zufriedener Menschen darin besteht, dass diese Menschen irgendwann ihre Berufung gefunden haben. Dieser folgen sie dann. Sie geben nicht auf und irgendwann bewegen sie damit etwas. Entweder in der Welt oder für sich selbst. Der Podcast The Moment, in den ich mal reingehört habe, dreht sich beispielsweise nur um dieses Narrativ: Wann hast du deine Berufung erkannt? Und wie hast du dein Leben ausgerichtet, damit du ihr folgen konntest?

Das Gute

Nach einer ersten Periode des langsamen Verstehens (von Akzeptanz spreche ich mal lieber nicht, siehe unten) habe ich immer öfter versucht, den scheinbaren Fehler in meinem System als Stärke zu begreifen. In meinem spezifischen Fall ist es so, dass ich nicht nur ein Scanner bin, sondern auch noch extrovertiert. Das heißt: Es ist mir nicht nur ein Bedürfnis, mich regelmäßig mit neuen Dingen zu beschäftigen, es fällt mir auch noch leicht, Leute anzusprechen.

Diese Kombination erlaubt mir tendenziell, schnell Verbindungen herzustellen, viele neue Sachen auszuprobieren und mir darüber nicht groß den Kopf zerbrechen zu müssen. Das ist prinzipiell super. Mein Scanner-Blick hilft mir auch enorm beim Kreativ sein, denn viel Kreativität besteht im Kern darin, eigentlich disparate Ideen miteinander zu verknüpfen. (Ich bin daher auch selten “aus dem Nichts” kreativ, sondern brauche Dinge, die ich verbinden kann.)

Ein weiterer Punkt ist, dass ich, zumindest meistens, gut darin bin, Neues anzunehmen. Nicht unbedingt im Alltag, da bin ich schon aus Kapazitätsgründen ein ziemlicher Gewohnheitsmensch (s.u.), aber eben in meinen Interessensgebieten. Ich erlebe deswegen selten, dass mir etwas nicht mehr gefällt, weil es nicht mehr so ist, wie früher. Das Interesse am Neuen überwiegt meist gegenüber der Sehnsucht nach dem Vertrauten.

Insofern habe ich auch (zurzeit noch) keine Angst um meinen Job, selbst wenn der jetzige irgendwann nicht mehr existieren sollte. Ich hoffe, dass ich mir dann einfach etwas Neues suchen kann (oder bereits gesucht habe) und dass meine Kompetenzen immer wichtiger bleiben werden als mein spezifisches Fachwissen. Denn ich könnte ja auch theoretisch jederzeit ein Interesse an einem neuen Fachgebiet entwickeln.

In beruflichen Kontexten war deswegen irgendwann auch die Selbstsicherheit da, meine Persönlichkeit als Vorteil und nicht (wie oft zuvor) als Nachteil zu verkaufen. Wenn ich mich bewerbe, betone ich inzwischen, dass ich ein Hansdampf in allen Gassen bin (auch wenn es nicht immer zum Erfolg führt). In meinem aktuellen Job bitte ich gezielt um Aufgaben, die sich regelmäßig wandeln. Ich habe meinen Arbeitsalltag diversifiziert und arbeite jetzt sowohl festangestellt als auch freiberuflich, um genug Abwechslung zu haben. Und ich arbeite in meiner Branche nach wie vor am liebsten nicht als Autor, sondern als Redakteur – wo ich verschiedene Fäden zusammenhalten kann und auf die Arbeit von anderen anknüpfe.

… und das Anstrengende

Ich weiß also endlich, was und wer ich bin. Kann ja nichts mehr schiefgehen. Pffft! Dass ich tatsächlich eine Scanner-Persönlichkeit habe, sehe ich daran, dass ich auch sämtliche Nachteile mit mir herumtrage. Damit meine ich nicht nur, dass meine Vorlieben manchmal nicht ins Narrativ passen, wie oben beschrieben, und zwar nicht nur in Karrieredingen, auch im Privaten: Ich habe zum Beispiel eher viele lockere Freunde als wenige enge – was manchmal toll ist und manchmal weh tut, zum Beispiel, wenn ich mich deswegen einsam fühle.

Aus dem Leben als Scanner entwickeln sich aber auch schlechte Angewohnheiten. Weil ich gewohnt bin, dass sich mir Dinge schnell erschließen, verlasse ich mich darauf manchmal auch zu sehr. Ich gehe nicht davon aus, dass ich viel Arbeit investieren muss, damit etwas einigermaßen gut wird, und stolpere dann, wenn das Ergebnis nicht den geforderten Ansprüchen (von mir oder von anderen) genügt. Das ist mir diverse Male auf unterschiedliche Arten zum Verhängnis geworden – und es wird härter, je mehr ich familiär gebunden bin und Fehleinschätzungen nicht mehr ohne Weiteres mit viel Zeiteinsatz ausbügeln kann, wie früher. (Was ich auch schon doof fand.)

Das Schmerzhafteste aber, dass anscheinend alle Scanner gemeinsam haben, ist, dass es sich sehr oft eben doch so anfühlt, als wäre man nicht nur in einzelnen Bereichen nie gut genug, um etwas wert zu sein, sondern als würde man auch vieles vernachlässigen, was ebenfalls wichtig wäre. Also das, was auch der Tweet am Anfang des Textes zum Ausdruck bringt. Es gibt so viele Sachen, die mich interessieren, dass ich selten das Gefühl habe, auch nur einer davon gerecht zu werden. Dann sehe ich, was für tolle Dinge andere Menschen, die ich bewundere, in diesem Feld anstellen, und fühle mich sehr schnell inadäquat und wertlos. Obwohl ich weiß, dass diese Leute sich – anders als ich – auf diese Sache konzentrieren und wahrscheinlich viel mehr Arbeit investiert haben als ich.

Noch schlimmer ist, dass es natürlich auch andere Scanner gibt, die mir zu bestimmten Zeitpunkten einfach immer wieder viel krasser vorkommen, als ich selbst. Die in allen ihren vielen Themengebieten exzellent bewandert zu sein scheinen. Meistens übersehe ich dabei, dass diese Menschen dafür andere Dinge nicht haben. Vollzeitjobs, zum Beispiel, oder Kinder. Die aber natürlich in meinem Scanner-Portfolio auch eine Rolle spielen und beide sehr bewusst gewählt sind. Es ist ein Elend, das sehr häufig in greinendem Selbstmitleid endet.

Wie machst du das?

Deswegen jetzt auch genug davon. Wie jeder Persönlichkeitstyp hat auch meiner Vor- und Nachteile. Das ist halt so. Ich möchte lieber damit enden, alljenen eine Antwort zu geben, die das Ergebnis dieses Persönlichkeitstyps sehen und – was mir auch immer wieder passiert – mich fragen, “wie ich das überhaupt hinkriege” (was ich natürlich in schwächeren Momenten lächerlich finde, weil ich ja das Gefühl habe, viel zu wenig zu tun). Vielleicht hilft es anderen Scannern, die sich gerade selbst erkennen, bei der weiteren Orientierung.

  1. Akzeptieren. Wie oben geschrieben: Ich habe ganz sicher keinen völligen Zen-Zustand der Selbstakzeptanz erreicht. Aber ich habe eingesehen, dass meine Hansdampfigkeit bei mir ein Feature und kein Bug ist. Wenn ich mich in wichtigen Momenten daran erinnere, hilft mir das enorm. Ich kann dann anders bewerten, wie eine Situation entstanden ist, und wie ich sie vielleicht zu meinen Gunsten nutzen kann, statt dagegen zu arbeiten.
  2. Effizienz. Ich schaffe es nur deswegen, so viele Interessen zu jonglieren, weil ich mein Leben ziemlich durchgetaktet habe. Ich versuche, freie Zeit, wann immer möglich, so effizient wie möglich zu nutzen, um meinen Interessen nachzugehen. Das war schon so, bevor ich ein Kind hatte, aber seitdem ist es natürlich noch krasser geworden. (Beispiel: Beim Gehen Podcasthören und beim Hinsetzen in der S-Bahn auf Musik hören und Lesen switchen, auch wenn der Podcast noch nicht fertig ist). 
  3. Disziplin. Gleichzeitig versuche ich, aus Dingen, die mir wichtig sind, Gewohnheiten zu machen, an die ich mich auch vergleichsweise diszipliniert halte (Beispiel: Vorm Schlafengehen lesen). Führt mich das manchmal in eine Kopf-Explodier-Selbstoptimierungsfalle? Auf jeden Fall. Leider.
  4. Bewusste Entscheidungen treffen. Um zu verhindern, dass ich zwischen meinen Interessen zerrieben werde, zum Beispiel wenn ich, wie eben beschrieben, das Gefühl habe, mein Kopf explodiert, versuche ich in solchen Momenten, bewusste Entscheidungen für oder gegen etwas zu treffen. “Ich konzentriere mich jetzt auf diese Sache, denn sie ist jetzt das Wichtigste, und ich lasse alles andere weg.” Dieser Zustand hält nie lange, die anderen Dinge kriechen im Laufe der Zeit immer wieder herein, aber es hilft für den Moment enorm.
  5. Es gibt für alles eine Zeit. Das ist die Lehre, die ich am meisten einfach durch reines Älterwerden ziehen konnte. Wenn ich an Punkt 4 angelangt bin, weiß ich inzwischen: Es ist okay, mich jetzt von einigen Dingen abzuwenden, denn es wird einen Zeitpunkt in der Zukunft geben, zu dem sie wieder mehr in meinen Fokus rücken, vielleicht sogar mehr als zuvor. Dann lässt sich neu entscheiden, ob ich jetzt mehr damit machen will.

    Ich habe zum Beispiel 2010 meinen ersten journalistischen Podcast produziert. Jetzt, 13 Jahre später, mache ich es endlich auch beruflich. Beiße ich mir heute in den Hintern, weil ich mich damals nicht entschieden habe, alles auf eine Karte zu setzen und zum Podcast-Profi zu werden, um heute ein erfolgreicher Veteran zu sein? Natürlich!!! Aber ich konnte eben auch jetzt noch einsteigen, mit dem Vertrauen von Leuten im Rücken, die seit 13 Jahren in anderen Kontexten mit mir zusammengearbeitet haben. Und ich habe 13 Jahre lang ganz viele andere tolle berufliche Erfahrungen sammeln können, die mich im Jobmarkt heute genauso ausmachen.
Noch was mit Scannern und Kopf explodieren (© Constantin)

Was will ich mit all dem sagen? Manchmal ist es verdammt toll, eine Scanner-Persönlichkeit zu sein. Manchmal tut es weh. Ganz oft fühle ich mich dazu getrieben, etwas zu tun, aber es ist eben nicht immer die gleiche Sache. Es tut mir leid, wenn ich Leute damit manchmal verwirre. Ich hoffe, dass ich nie wieder jemanden dadurch verletze. Ich lerne jeden Tag, ein bisschen besser damit umzugehen.

Titelbild: Midjourney & Me

Der X-Faktor: Über das Arbeiten mit Midjourney

Im April wollte ich wissen, was dran ist am Hype. Ich hatte mit Chat-GPT rumgespielt, aber mich noch nicht so richtig getraut, den Bot im Arbeitsalltag einzusetzen (mit Ausnahme eines Brainstormings hier und da). Aber das, was Chat-GPT kann – Texte synthetisieren – kann ich ja selbst auch, also war es zwar praktisch, hatte aber wenig Wow-Faktor. Deshalb wollte ich dringend auch ausprobieren wie das andere große Generative KI-Ding funktioniert, und kaufte mir Guthaben beim Bildgenerator Midjourney.

Midjourney, da fühle ich mich Michael Marshall Smith sehr verbunden (der ohnehin mit die besten Texte zu diesem Thema aus Kreativensicht schreibt, nachdenklich und abwägend ohne Businessfokus), ist die ideale Technologie für Leute wie mich. Die Engine generiert Bilder aus Textprompts, sie schafft also etwas, was ich nie selbst könnte (beeindruckende Bilder), aus etwas, in dem ich einigermaßen gut bin (die richtigen Worte finden).

Midjourney Schritt für Schritt

Wer noch nie mit Midjourney gearbeitet hat: so läuft es ab. Man meldet sich auf einem Discordserver an, kauft ein gewisses Rechenguthaben (derzeit kosten rund 200 “Prompts” etwa 10 Euro im Monat) und dann kann man entweder in öffentlichen Channels oder in Zwiesprache mit dem Midjourney-Bot mit dem Generieren anfangen. Mit dem Befehl “/imagine” beschreibt man dem Computer, welches Bild man gerne generieren möchte. Nach etwa einer Minute bekommt man vier verschiedene Motive zur Auswahl.

Mit diesen vier Bildern kann man nun weiter arbeiten und hat drei Möglichkeiten: 1) Alles verwerfen und vier neue Bilder generieren. 2) Von einzelnen Bildern Varianten generieren, bei denen Bildkomposition und Stimmung erhalten bleiben aber Details sich ändern. 3) Einzelne Bilder direkt großrechnen (“upscale”), so dass man sie hochaufgelöst herunterladen kann.

Prompt up the Volume

Midjourney-Prompts, das habe ich durch die Beschäftigung mit den Werken anderer gelernt, können viele verschiedene Formen haben, aber die meisten ähneln inzwischen ungefähr dieser Formel:

[Stil/Medium] eines [Motiv], [weitere Deskriptoren zur Anmutung]

Das Titelbild dieses Beitrags, zum Beispiel, hatte folgenden Prompt:

Candid snapshot of a bald man in his 30s, short cropped beard, and a robot working together, smiling, 1990s sitcom vibes

Man sieht dabei schon, dass die KI nicht alle Wörter gleich behandelt. Die 1990s sitcom vibes hat es sehr gut hinbekommen (vor allem am Pullover zu erkennen) und die Figur hat tatsächlich eine Glatze und einen kurz geschnittenen Bart (wie ich, ich finde es höchst amüsant, diese Pseudo-Avatare von mir in den Bildern auftauchen zu lassen). Aber das Bild ist kein “Candid Snapshot”, es wirkt sehr posiert, und der Mann und der Roboter arbeiten auch nicht wirklich zusammen. Es sieht eher aus, als wäre der Mann ein Bastler à la Nummer 5 lebt.

Und das ist das Besondere.

Katzen und Laser

Midjourney kann Worte in Bilder übersetzen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mit Hilfe von Midjourney jedes Bild, die ich vor meinem geistigen Auge sehe und beschreiben kann, generieren könnte. Wann immer ich ein genaues Motiv vor Augen hatte und versucht habe, es in Midjourney zu erschaffen, musste ich irgendwann aufgeben.

Ein simples Beispiel: Mein Blog- und Podcast-Kollege Sascha hatte sich gewünscht, dass ich ihm sein Blog-Keyvisual, eine Katze, die Laser aus den Augen schießt, im Ghibli-Stil generiere. Aber trotz einem Dutzend Prompt-Varianten – das Bild wollte einfach nicht entstehen. Ob wegen der Gewaltfilter von Midjourney oder weil einfach nicht genug Lernmaterial dazu vorhanden war, kann ich nicht sagen. Aber Tatsache war: Midjourney konnte mir viele viele Bilder mit Katzen und Lasern bauen, manche davon erinnerten sogar an Studio Ghibli, aber in keinem der Bilder kamen die Laserstrahlen aus den Augen der Katze.

Klar, die Aufgabe von “Prompt Engineers” wird es in Zukunft sein, so lange an den Prompts und Einstellungen rumzudoktern, bis es eben doch passt. Aber für meine begrenzte Erfahrung galt bisher eher: Midjourney erschafft fast nie die Bilder, die ich erwarte oder mir gar wünsche. Aber das heißt nicht, dass die Bilder nicht interessant sind.

Insofern, wie auch schon neulich geschrieben, halte ich es für viel fruchtbarer, die Arbeit mit Midjourney als eine Zusammenarbeit zu begreifen. Die KI ist nicht meine In-Out-Maschine, die das exakte grafische Äquivalent zu dem auswirft, was ich vorher textlich eingeworfen habe. Sie ist vielmehr ein Partner in einem künstlerischen Prozess. Je mehr ich bereit bin, mich von ihrem X-Faktor überraschen zu lassen, desto produktiver wird die Zusammenarbeit.

(Zu diesem hehren Ziel gehört natürlich eine lange Reihe von Fußnoten. Midjourney ist auch eine Klischeemaschine, von der selten zu erwarten ist, dass sie etwas wirklich neuartig Scheinendes erschafft. Sie hat Ismus-Biases ohne Ende, von der ethischen Debatte über die unentgeltliche Nutzung von Werken anderer zu Trainingszwecken ganz zu schweigen.)

Insofern finde ich auch das unter Designer:innen herumgereichte Meme nach dem Motto “Die KI erwartet, dass der Kunde genau beschreibt, was er will. Wir sind sicher” (selbst ürigens eine Neuauflage eines alten Programmierer:innen-Witzes) zwar witzig, aber auch ein wenig am Ziel vorbei. Gute Zusammenarbeit mit Kreativen jeder Art, egal ob Designer:innen, Illustrator:innen oder Texter:innen, hat noch nie darin bestanden, dass die Auftraggeberin exakt das Ergebnis beschreibt und die Auftragnehmerin diese Beschreibung umsetzt. Genau wie die Zusammenarbeit mit der KI besteht auch jede andere fruchtbare kreative Zusammenarbeit, selbst solche, in der eine Partei die andere bezahlt, aus einem produktiven Geben, Nehmen und Iterieren. Der Unterschied dürfte viel eher sein: Die KI ist (bisher) nicht davon überzeugt, dass ihre Auftraggeberin keine Ahnung hat und sie viel besser weiß, was gut für den Auftrag wäre.

Ich habe meine Prompts entsprechend angepasst. Statt vom Ergebnis zu denken und dann nach den richtigen Worte dazu zu suchen, fange ich gedanklich lieber am Anfang an. Ich denke mir ein Motiv aus, eventuell noch ein paar Stilmerkmale dazu, aber den Rest überlasse ich dann erstmal der KI. Manchmal lasse ich sogar bewusst Deskriptoren weg, um mich stärker überraschen zu lassen. Ein Beispiel wäre ein Bild, das ich vor kurzem zur Bewerbung meiner jüngsten Podcast-Folge generiert habe: “Photograph of a Filmmaker trying to take care of the environment”

Alexander Matzkeit/Midjourney

Auf dieser Weise kann ich meine Stärken einbringen, beispielsweise das Kombinieren von verschiedenen Ideen. Und die KI bringt ihre Stärken ein: das stochastische Kombinieren der Elemente im Prompt zu einem neuen, überraschenden Werk, das weder nur von mir noch von Midjourney stammt.

Sondern von uns zusammen.