Alex und Bernd besprechen das Filmjahr 2012 – Real Virtuality Podcast #3

Weil das Ende des Jahres eine Zeit des Zurückschauens ist, habe ich mich Anfang der Woche mit meinem Freund und Kollegen Bernd Zywietz zusammengesetzt und einen Podcast aufgenommen. Darin lassen wir die wichtigsten Ereignisse des Filmjahres 2012 noch einmal Revue passieren und überraschen uns gegenseitig mit unseren Top Tens.

Ein Klick verspricht anderthalb Stunden Spaß.

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Bernd Zywietz ist Filmwissenschaftler an der Uni Mainz, Journalist und Buchautor. Er schreibt das Blog Terrorismus & Film und ist Mitherausgeber des Buchs “Ansichtssache – Zum aktuellen deutschen Film”, das im Februar erscheint. Ich habe zu dem Buch einen Artikel zur Digitalisierung beigesteuert.

Quotes of Quotes (VI)

“I feel like, on a more macro scale, there’s started to be a relationship between filmmakers and people who watch their films – you know, on Twitter and on the Internet. That relationship’s based on honesty, so the minute I knew that I was definitely not in the game, I made sure that I made that clear. Because I don’t want people to think I’m out there pulling strings on this thing. I don’t have a PR rep. I live in Vermont. It’s just me on my computer, seeing these things catch fire.”
– Colin Trevorrow on his alleged involvement with Star Wars

I have always been interested in fame. When I was in my late teens, I had the chance to talk at length with an actor who was now working in theatre but used to star on a daily German soap opera, about the experience of being recognized on the street and being sent love letters by teenage girls. In my vast egotism, however, what I find most interesting about the new artist-fan relationship brought about by the internet is not even the way the artists/celebrities feel about it (although that is still fascinating as well, listen to this episode of the /filmcast to hear three average Joes talk about their small internet fame). What’s exactly as strange is the way, this new communication paradigm sometimes makes me (and, I guess, others) feel like I know people I most definitely don’t. And then I try to chat to them on Twitter as if we’re mates. Sometimes it works, and sometimes it doesn’t. It’s weird.

Die deterministischen Schräglagen von “Ralph reicht’s”

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Walt Disney Pictures

“Ralph reicht’s” ist das Originellste und Zeitgenössischste, was Walt Disney Feature Animation seit einiger Zeit hervorgebracht hat. Ich stehe voll hinter meiner Kritik des Films in der letzten “Close up”-Sendung – der Film ist voll mit cleveren und witzigen Ideen, und die Dynamik und das Schauspiel seiner beiden Hauptcharaktere ist großes Kino. Rich Moore weiß, was er tut, das hat er bei unzähligen “Futurama”- und “Simpsons”-Folgen bewiesen, und außerdem gebührt jedem ein Schulterklopfen, der sich dem Thema Videospiele überhaupt mal auf bessere Weise annimmt als, sagen wir, Resident Evil.

Und doch gab es da ein paar Dinge, die nicht aufhören an mir zu nagen, und die ich natürlich in eine Vier-Minuten-Fernsehkritik nicht hineinquetschen konnte.

Spoiler für Ralph reicht’s ab hier.

Ralph reicht’s basiert auf der Prämisse, dass hinter den Schirmen einer Videospiel-Arcade eine uns unbekannte Welt existiert, in der sämtliche Figuren, die in den Videospielen vorkommen, ein eigenes Leben führen. Wenn die Videospiele gespielt werden, ist das für sie wie Arbeiten. Doch wenn gerade keiner spielt, zum Beispiel nachts, interagieren die Figuren nicht nur innerhalb ihres Spiels autark miteinander, über die Stromleitungen und die Verteilersteckdose, an der die Arcade-Automaten hängen, können die Figuren auch ihr Spiel verlassen und in andere Spiele wechseln, zum Beispiel um zu “Anonymen Bösewichter”-Treffen zu gehen.

So weit, so gut. Nach einem ähnlichen Prinzip operiert jeder Film dieser Art, der eigentlich unbelebten Dingen für den Zweck einer Geschichte Leben einhaucht. Und fast immer geht es dabei in einer Art Determinismus-Meditation um genau dieses Spannungsverhältnis zwischen “Gegenstand, der von Menschen für einen Zweck hergestellt wurde” und “Selbst denkendes und fühlendes Wesen”.

Am Beispiel Toy Story lässt sich das sehr gut demonstrieren: Die Spielzeuge in Andys Zimmer führen ein Eigenleben mit ihren internen Querelen, sie sind aber unter dem Banner des Spielzeuge-von-Andy-Seins vereinigt. Als ein neues Spielzeug, Buzz Lightyear, diese Dynamik stört, weil er noch nicht weiß, dass er ein Spielzeug ist, entsteht ein Konflikt, der dadurch gelöst wird, dass Buzz in seiner Identität als Spielzeug eine erfüllende Aufgabe und keine Abwertung seines Charakters sieht.

Damit Toy Story funktioniert, muss es natürlich einige ungeschriebene Regeln geben, nach denen die Welt des Films operiert. Allen voran gilt, dass die Menschen auf keinen Fall merken dürfen, dass die Spielzeuge in ihrer Abwesenheit lebendig sind. Diese Regel wird nie direkt ausgesprochen, aber einer der Höhepunkte des Films entsteht daraus, dass die Regel bewusst und kontrolliert gebrochen wird, um Nachbarsjunge Syd einen Schrecken einzujagen. Die Logik dahinter ist nachvollziehbar und es braucht keinen großen “Leap of Faith”, um sich vorstellen zu können, dass auch unsere Welt nach Toy Story-Regeln funktioniert.

Bei Ralph sieht das ganze anders aus. Adam Quigley brachte im /Filmcast die Probleme des Films ziemlich gut auf den Punkt: “There’s so many rules they have to set up during the film, at a certain point it becomes exhausting just keeping track of all the expositional format of how this world can operate.” Auch Christopher Orr hat im “Atlantic” angemerkt “Unlike the Pixar films toward which it aspires — which marry sophisticated conceits to straightforward storylines— Wreck-It Ralph consistently gets lost in its own intricate plot mechanics.”

In Rich Moores Film sind die Regeln nicht nur allgemein gültige Prinzipien, die sich natürlich aus der Konfiguration der Handlung ergeben – etwa, dass das Spiel nicht mehr funktioniert, wenn es einer der Charaktere verlässt. Es werden vielmehr zusätzlich alle möglichen Regeln und Meta-Regeln eingeführt, die nicht durch interne Logik motiviert sind, die der Film aber braucht, um zusätzlich zu Ralphs innerem Identitäts-Konflikt auch noch einen äußeren Konflikt herzustellen, der den Plot des Films vorantreibt.

Ein paar Beispiele: Wenn ein Spiel vom Netz getrennt wird, sterben alle Charaktere darin, außer sie retten sich vorher (Was ist bei Stromausfall?). Wenn man in seinem eigenen Spiel stirbt, respawnt man, wenn man in einem anderen Spiel stirbt, nicht. Wenn einem Spiel die Einmottung droht, kann man durch die Stromleitung aus dem Spiel fliehen, außer man ist ein “Glitch”, wie Vanellope, dann ist man in seinem Spiel gefangen. Wenn ein Glitch Sugar Rush gewinnt, wird das Spiel auf null gesetzt, die Charaktere behalten aber alle Erinnerungen. Spielfiguren sind eigenständige Personen mit ausgeformten Charakteren und eigenenen Motivationen, aber sie sind auch “Code”, der von findigen Bösewichtern manipuliert werden kann. Es ist wirklich ermüdend.

wreckitralph

Walt Disney Pictures

Weil all diese Regeln sich nicht immer logisch aus dem Fortgang der Handlung motivieren lassen, müssen sie im Film explizit mehrfach ausgesprochen werden, damit der Zuschauer sie versteht. Für die “Respawn”-Regel, die Ralphs Leben außerhalb seines eigenen Spiels in Gefahr schweben lässt (und damit indirekt das all seiner Co-Charaktere, da seine Abwesenheit ja das Spiel zur Fehlfunktion bringt), konnte sogar Sonic the Hedgehog als Testimonial gewonnen werden, der eine entsprechende Warnung von den Bannern der “Game Central Station” herunterruft. Eine Regel dieser Art kann jede Geschichte vertragen, vor allem wenn es die zentrale Voraussetzung für den weiteren Plot ist, und dann darf sie auch etwas willkürlich sein (zum Beispiel “Wenn Marty McFlys Eltern sich nicht auf dem Schulball ineinander verlieben, wird Marty nie geboren.”). Bei Ralph braucht man aber mehrere dieser Regeln, besonders um den Vanellope-Plot irgendwie am Laufen zu halten, und das ist schlicht und einfach schlechtes Storytelling.

Aus dieser merkwürdigen Unterwürfigkeit gegenüber willkürlichen Regeln entsteht auch das Ende und damit die Moral des Films, die mir irgendwie ein bisschen Sodbrennen bereitete. Ralph kehrt in sein Spiel zurück und findet sich damit ab, dass er dort auch weiterhin der Bösewicht ist und jeden Tag x-mal vom Dach des Hauses geworfen wird. Zum Ausgleich sind alle etwas netter zu ihm. Wiederum Adam Quigley dazu, diesmal auf Twitter:

Quigley formuliert seine Bedenken bewusst zugespitzt, aber er hat recht. Ralph endet tatsächlich mit einer fast schon sozialdarwinistischen Moral, die darauf basiert, dass jeder seinen Platz in der Welt und seine Rolle zu erfüllen hat, und auf keinen Fall versuchen sollte, aus dieser Rolle auszubrechen. Zum Dank bekommt er Kekse. Das gilt anscheinend besonders für Bösewichter, denn diese müssen existieren, damit alle anderen etwas haben, gegen das sie ankämpfen können.

Zum Vergleich noch einmal Toy Story: Auch Buzz Lightyear fügt sich – wie schon erwähnt – am Ende in seine Rolle als Spielzeug. Das tut er aber nicht, weil er einsieht, dass er nichts anderes sein kann oder sein darf (in dieser Phase befindet er sich zwischendurch, schicksalsergeben als Mrs. Nesbitt in der Puppenstube von Syds Schwester Hannah), sondern weil er feststellt, dass es einfach das großartigste auf der Welt ist, von einem Kind als Spielzeug geliebt zu werden.

wreckitralph

Walt Disney Pictures

Ganz anders Ralph. Ihm reicht es, dass seine Arbeit und sein Beitrag zur Videospiel-Gesellschaft künftig ernstgenommen wird, um für den Rest seines Lebens weiter den Bösewicht zu geben. Auch Vanellope wird am Ende des Films zur Prinzessin, was natürlich der Traum jedes Mädchens ist, aber sie behält wenigstens ihr Glitching, und rettet somit etwas von ihrer Persönlichkeit als Außenseiterin in den Mainstream. Ralph geht es besser als vorher. Er muss nicht mehr auf dem Schrotthaufen schlafen. Er darf Vanellope besuchen. Er bekommt ab und zu Kuchen. Aber seine törichten Pläne, “Good Guy” statt “Bad Guy” zu sein, hat er sich zum Glück aus dem Kopf geschlagen.

“Ich werde niemals gut sein, und das ist gar nicht schlimm”, lautet das Mantra der anonymen Bösewichter. Genau, ihr Plebs da draußen, ihr Kinder, die auf der falschen Seite der Stadt geboren seid: Wir brauchen euch, damit wir uns besser fühlen können, also bleibt, wo ihr seid. Der amerikanische Traum ist ausgeträumt. Oceania has always been at war with Eastasia..

Total scharfe Zwerge – Der Hobbit bringt HFR ins Kino

(Update, 28.11.2012, leider gibt es bei monatlichen Zeitschriften immer ein blödes Loch zwischen Redaktionsschluss und Erscheinen. Inzwischen ist klar, dass Der Hobbit in gar nicht wenigen deutschen Städten in HFR 3D zu sehen sein wird. Eine Übersicht findet sich hier, dank an Sebastian für den Link)

HFR ist ein Gespenst. Nur wenige haben es überhaupt gesehen, aber viele haben Angst davor. Auf meiner Suche danach werde ich vom Kinobetreiberverband an die Verleiher verwiesen, vom Verleiher an die betreuende Presseagentur. Und auch dort heißt es: HFR gibt es nicht zu sehen, frühestens im Dezember, mit dem Film Der Hobbit. Und selbst für den stehen die Chancen schlecht.

HFR ist die Abkürzung für “Higher Frame Rate”, höhere Bildfrequenz. Und es ist nach 3D die neue Technologie, die das Kino besser machen und damit retten soll. Denn die 24 Bilder pro Sekunde, die traditionell bei einem Film durch die Kamera laufen, sind nur ein Mitte der 20er Jahre festgesetzter Standard. Viele frühe Filme hatten niedrigere oder höhere Bildraten. Das Auge nimmt Einzelbilder schon ab 12 Bildern pro Sekunde als Bewegung wahr, wenn auch mit Ruckeln und Stocken. Als der Tonfilm einheitliche Bildgeschwindigkeiten einforderte, setzten sich 24 Bilder pro Sekunde endgültig durch.

Heute laufen immer weniger Filmstreifen durch Kameras und Projektoren – das “Filmmaterial” im klassischen Sinne wird rar. Die großen Kamerahersteller haben ihren Ausstieg aus dem analogen Filmkamerageschäft angekündigt, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Filmindustrie komplett auf digitalen Dreh umgestellt hat. 24 Bilder pro Sekunde erscheinen da nur noch wie eine willkürliche Zahl, und nicht einmal eine besonders gute. Denn höhere Bildraten, 48 oder 60 Bilder pro Sekunde, die mit digitalen Aufzeichnungs- und Wiedergabemethoden relativ problemlos möglich sind, erlauben die flüssigere Darstellung von Bewegungen und damit insgesamt schärfere Bilder.

Weiterlesen auf epd-film.de oder in epd Film 12/2012

Quotes of Quotes (V)

As a big fan of the idea that artistic trends make so much more sense when you take a step back, I very much recommend this article in the “Guardian” that uses Skyfall as an entrypoint into a discussion of the “New Serious”.

Beneath humanity’s mood swings, a self-correcting pattern can be detected. The laughing cavaliers beget Cromwell’s roundheads, who in turn beget the Restoration’s libertines. Edwardian buoyancy morphs into Great War despair. This delivers the roaring 20s, which bring forth the despondent 30s. Frivolity, it can be conjectured, is intrinsically wearing and eventually boring: it produces a backlash of its own accord. By this reading, we should have been due for a period of pensiveness about now, even without the debacles that have beset us.
David Cox

Personally, I thought Skyfall was probably one of the prettiest Bonds ever, but I could have done without the over-psychologising. I liked James Bond a lot better when he was an almost mythic cypher without much of a past. On the other hand, I loved the first half of Skyfall for the succesful exploration of the new continuum set up by Casino Royale. Can you have one without the other? Believable universe-building without putting too much weight on the shoulders of the characters? That is probably a topic for another blogpost.

Drei Anmerkungen zum Disney-Lucasfilm-Deal

Disney hat Lucasfilm für 4 Milliarden Dollar gekauft und die Welt steht Kopf. Okay, vielleicht nicht die Welt, aber zumindest meine Twitter- und Facebook-Timeline. Einige gute Witze und einige Entsetzensschreie waren dabei, die ausführlicheren Analysen werden sicher im Laufe des Tages eintrudeln – das Feld überlasse ich gerne den Experten. Doch für diejenigen, die ihre Kindheit nun endgültig im Müllschlucker verschwinden sehen, hier drei Dinge, die mir gestern abend im Kopf herumschwirrten:

1. Disney und Lucasfilm waren sich immer schon sehr nah

Dieser Kauf kommt nicht aus dem Nichts. Wer das glaubt, war zum Beispiel noch nie in einem Disney-Themenpark, wo die “Star Tours”-Attraktion schon seit Jahrzehnten zur festen Ausstattung gehört. Crossovers von Star-Wars-Charakteren mit Disney-Charakteren sind ein alter Hut. Aber auch inhaltlich standen sich die beiden Firmen immer schon nahe. Man sollte bei allem Fandom nicht vergessen, dass Star Wars im Grunde auch nur ein Märchen ist, dass George Lucas modernes Merchandising quasi erfunden hat und dass Disney doch wahrscheinlich nichts ruinieren kann, was die Prequels nicht schon längst in die Lavagruben von Mustafar geschüttet haben.

2. Disney ist mehr als Mickey Mouse

Es ist Unsinn, den Disney-Konzern auf niedliche Cartoons und eine zuckersüße Weltsicht zu reduzieren. Sicher, er hat im letzten Jahrzehnt solche Abscheulichkeiten wie High School Musical und Hannah Montana hervorgebracht und sein Kerngeschäft ist nach wie vor Familienunterhaltung, die nicht gerade für ihre Edginess berühmt ist. Aber Disney hat in den vergangenen Jahrzehnten auch Pixar groß gemacht und Filme wie Pirates of the Caribbean produziert. Und was sie Marvel ermöglichen konnten, seit sie den Verlag gekauft haben, kulminierend in den fantastischen Avengers, sucht Seinesgleichen. Natürlich sind sie ein gieriger Großkonzern, aber ihre kreative Seite ist nach wie vor bemerkenswert.

3. Sie haben die Chance, es diesmal richtig zu machen

Bis 2015 soll Star Wars: Episode VII entstehen, was vielen Leuten Angst einjagt. Doch: George Lucas wird nur noch als “Creative Consultant” mit an Bord sein, nachdem er gerade noch eine Steißgeburt wie Detours auf den Weg gebracht hat. Dieses Ergebnis sollte uns doch eher Hoffnung machen, dass jetzt alles gut wird. Lucas, visionäres Genie aber schrecklicher Drehbuchautor und Regisseur, wird endlich vom Thron gestoßen und überlässt denjenigen die Zügel, die Star Wars wirklich zu schätzen wissen. Ob mit Disney im Rücken oder nicht, es bietet sich nun die einmalige Chance, die Schmach der Episoden I-III auf der Kinoleinwand wiedergutzumachen. Und das sollte doch ein Grund zum Feiern sein.

Die Annehmlichkeiten des Mauerblümchendaseins

Bild: Capelight

Der Film The Perks of Being a Wallflower (dessen fragwürdiger deutscher Verleihtitel “Vielleicht lieber morgen” lautet, was Gespräche über den Film grundsätzlich kompliziert macht (“Was? Warum willst du nicht jetzt drüber reden?!”)) beginnt mit einer traumwandlerischen nächtlichen Fahrt durch einen orange-golden beleuchteten Stadttunnel vor den Toren von Pittsburgh. Dazu spielt Musik. Ich weiß nicht mehr, ob es die Filmmusik von Michael Brook ist oder der Song “Asleep” von den Smiths, aber ich wusste in diesem Moment dass mich dieser Film gefangen nehmen würde.

Die self-fulfilling prophecy wurde wahr und ich saß tagträumend im Kino und sah Charlie dabei zu, wie er sein Inneres Licht findet, weil er die richtigen Freunde bekommt, die ihn mitnehmen in eine Welt, die nur aus nächtlichen Tunnelfahrten zu bestehen scheint. In dieser Welt sind die schlechten Dinge des Lebens – Enttäuschungen, Schmerz, Hass – vor allem Inspiration für poetischen Ausdruck. So fügt sich alles zusammen und man kann sich, wie die Catchphrase des Films es ausdrückt, mal so richtig schön “unendlich” fühlen. Ach ja.

Während ich all das sah und fühlte, wusste ich gleichzeitig, dass The Perks of Being a Wallflower gar kein so furchtbar guter Film ist. Er bot keinerlei inszenatorische Besonderheiten und auch auf der Storyebene kann man ihm eine Menge vorwerfen, was Peter Bradshaw meiner Ansicht nach gut zusammengefasst hat: Etwa, dass die schwule Figur Patrick nur als Opferlamm für die Heterofigur Charlie existiert und dass das Thema Missbrauch im Film eine sehr oberflächliche, fast schon nervige Charaktermotivationsmaschine ist. (“All normal teenage loneliness is not good enough”, was mich auch hieran erinnerte.)

Ich mag die Smiths gar nicht

Meine eigene Schulzeit hat nichts mit der von Charlie gemeinsam. Natürlich musste ich als Klassenstreber, dem Schule tatsächlich Spaß gemacht hat, auch meine Dosis Hänselei ertragen, aber spätestens im Oberstufen (=High School)-Alter hatte ich mich irgendwie im Gesamtgefüge der Klasse eingenistet. Ich war weder introvertiert, noch mochte (oder mag) ich die Smiths, noch musste ich mir Manic Pixie Dream Friends suchen, die mich aus meiner Misere herausholten.

Und trotzdem brauchen sich Filme wie Perks gar nicht mal anzustrengen, um mich mit nur wenigen Würfen umzukegeln. Warum? Vielleicht, weil die Geschichte, die der Film erzählt, inzwischen etwas archetypisches hat. Sie lässt sich auf jeden Fall problemlos durch die Filmgeschichte zurückverfolgen (eine gerade Linie führt von The Perks of Being a Wallflower über Almost Famous und Dead Poets Society zu Harold and Maude und Rebel Without a Cause) und in der Literatur auch mindestens bis “The Catcher in the Rye”, aber sicher auch darüber hinaus: Diesen Geschichten zufolge steckt in jedem depressiven, einsamen (männlichen!) Teenager ein missverstandener Poet, der mal mehr (Perks), mal weniger erfolgreich (Catcher in the Rye) hervorgeholt werden kann. Was mich darüber nachdenken lässt, wie viele frustrierte, missverstandene Philosophen es wohl in der griechischen Antike gegeben haben muss, deren auf Papyrus gekritzelte Depri-Gedichte leider verschollen sind.

Regisseur Stephen Chbosky, der sein eigenes Buch verfilmt hat, muss sich dieses Archetyps bewusst sein, denn schließlich gibt Charlies Englischlehrer (im Film gespielt von Paul Rudd) seinem Schützling genau diese Bücher und Filme als Anschauungsmaterial, während Chbosky selbst zugegeben hat, dass seine Schulzeit eigentlich auch ganz anders war.

Mit anderen Worten: Hier zeigt sich wieder einmal (und mir ist bewusst, dass diese Erkenntnis absolut nicht neu ist), was passiert, wenn man junge Autoren Bücher schreiben lässt: sie schreiben über junge Autoren. Nein, sie schreiben über die Tagträume von jungen Autoren. Und hunderttausende junger Autoren und junger Möchtegern-Autoren und nicht mehr junger Autoren, die aber gerne noch mal jung wären, auf dem ganzen Planeten stimmen ebenso träumerisch in den Chor der Mauerblümchen ein, die Figur auf den Seiten oder der Leinwand betrachtend – halb verständnisvoll, halb neidisch. Das ganze ist scheinbar so einfach und so manipulativ, dass man es eigentlich verabscheuen müsste. Aber es ist leider doch viel schöner, sich von der sentimentalen Woge einfach mittragen zu lassen. Ist es, glaubt mir.

Vielleicht Lieber Morgen startet am 1. November in den deutschen Kinos. Eine Art Kurzfassung dieses Artikels am Samstag in “Close up”.

Quotes of Quotes (III)

I did not have time to comment on the most recent “Sight and Sound” poll, but I loved this quote on Vertigo:

“Vertigo has always struck me as the Hitchcock film for those who don’t really like Hitchcock all that much (it’s long, hasn’t got much in the way of jokes and the plot doesn’t work, when he is known for his economy, wit and storytelling), or at the least wish very much that he had been French.”
Tom Shone (via)

My favourite Hitchcock film, by the way, is The Birds.

Essay: Die Sehnsucht des Kinos nach dem Untergang

Take Shelter – Bild: Sony Pictures Classics

(Warnung: Dies ist ein langer, mäandernder Text, der einen Batzen Gedanken enthält, die einfach mal raus mussten, ohne Garantie auf Zugewinn an Lebensqualität nach seiner Lektüre. Er enthält, je nach Blickwinkel, höchstwahrscheinlich Spoiler für The Dark Knight Rises, Take Shelter, L’Ultimo Terrestre, 4:44 – Last Day on Earth und Melancholia)

Ich konnte ihn irgendwie verstehen, Bane. Viel besser als den Joker. Denn der Joker wollte nur Chaos stiften, Menschen gegeneinander ausspielen, Grenzen austesten. Bane wollte mehr, er wollte die endgültige Zerstörung von Gotham City.

“Gothams Abrechnung” nennt er sich selbst. Denn obwohl Frieden eingekehrt ist in Gotham, glaubt bane noch immer an die Überzeugung seines Mentors Ra’as al Ghul, dass Gotham so weit in seinem eigenen moralischen Sumpf versunken ist, dass es jenseits jeder Erlösung steht. Da gibt’s nur eins: Komplette Zerstörung, Tabula Rasa, im Grunde: das Ende der Welt.

Wer hat nicht schon einmal auf die Welt geschaut, die uns dieser Tage umgibt, mit all ihren unlösbar scheinenden Problemen, und sich danach gesehnt, auch hier einfach mal Tabula Rasa machen zu können. Vielleicht nicht unbedingt, indem man eine Atombombe zündet wie Bane. Aber irgendwie die Chance bekommen, neu anzufangen – mit allem bisher Erreichten, aber ohne alles dadurch Verursachte. Und wenn nicht für die ganze Welt, dann vielleicht wenigstens für das eigene Leben? Auch diese Art von Neuanfangs-Sehnsucht findet sich in The Dark Knight Rises, in Gestalt von Selina Kyle.

Jeder, der in diesem und dem letzten Jahr öfter im Kino war, dürfte die Menge an Filmen aufgefallen sein, die sich genau mit diesem Thema auseinandersetzen: der Anfang einer neuen Zeit und – häufig dem vorausgehend – ein Untergang der alten. Die einfache Erklärung für diese thematische Häufung ist das bevorstehende Ende des Maya-Kalenders und die Weltungergangsspekulationen, die deswegen seit einiger Zeit in den Medien breitgetreten werden. Ich glaube aber, dass die eigentlichen Gründe tiefer liegen, dass die Sehnsucht nach einem Untergang und dem damit verbundenen Reboot, die sich derzeit im Kino zeigt, uns im Jahre 2012 zeitgeistlich umgibt.

Vor fast einem Jahr habe ich schon einmal über dieses Thema geschrieben und an meiner These hat sich wenig geändert. Es sind nur seit Oktober 2011 so viele neue Filme erschienen, die den Topos umkreisen – Blockbuster wie The Dark Knight Rises eingeschlossen – dass es sich meiner Ansicht nach lohnt, noch einmal genauer hinzuschauen.

In der Hyper-Stasis

The Dark Knight Rises – Bild: Warner Bros.

Ich möchte betonen, dass ich nicht tatsächlich der Meinung bin, dass wir in einer Endzeit leben. Das Gefühl einer Endzeit liegt aber, zumindest kulturell, in der Luft. Ich bin sicher, dass kundigere Menschen dies auch im politischen Klima festmachen könnten – etwa dadurch, dass sich der Kampf gegen die Wirtschaftskrise mehr und mehr anfühlt, als würde man – in einem Boot sitzend – verzweifelt versuchen, ein Leck zu stopfen, das immer größer wird; oder auf einem Laufband laufen, dessen Geschwindigkeit sich ständig erhöht. Nicht umsonst ist auch schon vorgeschlagen worden, den Euro einfach wieder abzuschaffen, die EU abzuschaffen, auch in der europäischen Einigung wieder Tabula Rasa zu machen.

Im kulturellen Bereich fällt mir die Diagnose wesentlich leichter, nicht zuletzt weil ich Simon Reynolds’ kongeniales Buch Retromania gelesen habe. Retromania wurde bei Erscheinen des Buchs vor allem in Musikjournalismus-Kreisen diskutiert, da es darin hauptsächlich um Musik geht. Doch Reynolds’ Argumentation lässt sich problemlos auf andere kulturelle Bereiche, etwa das Kino, übertragen und tatsächlich spannt Reynolds in seinem letzten Kapitel “The Future” den Bogen auch eigentlich über die gesamte westliche Kulturlandschaft.

Diese Argumentation lautet, in einer Nussschale, dass die Kultur langsam aber sicher aufgehört hat, Neues zu erfinden und sich nur noch auf Altes beruft, das sie immer wieder neu durch den Entsafter presst. Damit eng verbunden ist das Gefühl, dass uns die Zukunft eingeholt hat; dass wir nun, im Jahr 2000+ eigentlich in jener Zukunft leben, die uns vor etwa 50 Jahren versprochen wurde und die damals ziemlich spektakulär aussah. Nur leider hat sich das Spektakel anders entwickelt als gedacht – statt Raumschiffen und Jetpacks haben wir das Internet. Eine unsichtbare Technologie, die zwar erstaunliches leistet, aber nicht besonders futuristisch wirkt.

Das kulturelle Ergebnis dieser Entwicklung, ganz grob gefasst, ist, dass wir zwar das Gefühl haben, dass sich das Leben ständig beschleunigt, dass sich dies aber nicht in einem Gefühl des Vorankommens widerspiegelt. Reynolds nennt diesen Zustand “Hyper-Stasis”.

In the analogue era, everyday life moved slowly (you had to wait for the news, and for new releases) but the culture as a whole felt like it was surging forwad. In the digital present, everyday life consists of hyper-acceleration and near-instantaneity (downloading, webb pages constantly being refreshed, the impatient skimming of text on screens), but on the macro-cultural level things feel static and stalled. We have this paradoxical combination of speed and standstill.
(Simon Reynolds, Retromania, Kindle-Edition, S. 427)

Reynolds verbringt große Teile seines Buches damit, dieses Phänomen durch die Musikgeschichte zurückzuverfolgen und die Zeiten auszumachen, in denen die Popkultur nach vorne ritt (die 60er, die 90er), um sich anschließend eine Weile im Kreis zu drehen. Meiner Ansicht nach sind diese Vorwärts-Schübe eng gekoppelt an das Gefühl einer neuen Freiheit, sei es nach dem Ende der Kriegs-Nachwehen Ende der 50er oder nach dem Ende des kalten Krieges Anfang der 90er.

There is a Storm Coming

4:44 – Last Day on Earth – Bild: IFC Films

Nun aber, im Jahr 2012, befinden wir uns tatsächlich wieder in einer Zeit, in der zwar viel Freiheit vorhanden ist, das Gefühl aber nicht ausbleibt, dass wir auf einem Vulkan tanzen, uns unserer eigenen, globalen Dekadenz nicht oder unzureichend bewusst. Es wird etwas Großes benötigt, um all dem ein Ende zu setzen und neu anfangen zu können, so sehr, dass man es sich fast herbeiwünscht: ein Krieg, eine Apokalypse, einen Paradigmenwechsel, einen Untergang.

In unseren popkulturellen Produkten können wir diesen Untergang selbst herbeiführen. Tatsächlich machen etwa die Hollywood-Studios ja seit zehn Jahren kaum etwas anderes. Wie bei der digitalen Technik, mit der sie mittlerweile geschöpft wird, hat sich in Hollywood inzwischen der Modus durchgesetzt, ein Produkt am Ende seines Lebenszyklus einfach in einer neuen Version auf den Markt zu bringen. Meistens nennt sich das Reboot und es hat seine eigene Faszination, aber es ist nichts anderes als das Herbeiführen eines Untergangs, um dann mit den gewonnenen Erfahrungen neu beginnen zu können. Die “Trauerperioden” für dieses Vorgehen werden immer kürzer, wie sich dieses Jahr mit The Amazing Spiderman gezeigt hat.

Für unsere nicht selbst geschaffene Welt funktioniert dieser Prozess nicht, daher muss man ihn sich in seinen Filmen herbeiwünschen. Abel Ferrara ist in seinem Film 4:44 – Last Day on Earth am direktesten – er gibt Umweltsündern die Schuld am Weltuntergang. Anders als etwa in Melancholia, mit dem 4:44 das Ende gemeinsam hat, ist der Untergang also nichts, was unverschuldet von außen kommt, sondern etwas selbst Herbeigeführtes. Zentrale Frage des Films ist: Wenn die Welt morgen untergeht, was machen wir mit der verbleibenden Zeit? Der von Willem Dafoe gespielte Hauptcharakter oszilliert zwischen Rage und Gelassenheit. Wütend brüllt seinen aufgestauten Frust auf dem Dach seines Appartments in die Nacht hinaus, doch nachdem er die Gelegenheit hatte, sich von seiner Tochter zu verabschieden, kann er sogar der Versuchung wiederstehen, sich nach 20 cleanen Jahren wieder einen Schuss Heroin zu setzen. Am Ende geht die Welt unter, während er und seine Geliebte aneinandergekuschelt auf dem Boden liegen. Ferraras Botschaft scheint zu sein: Auch wenn keine Umkehr der Geschehnisse mehr möglich ist, sollte man dennoch drauf achten, dass man mit sich im Reinen ist, wenn die Welt untergeht. Denn man weiß ja nie, ob das Ende nicht doch ein neuer Anfang ist.

Take Shelter – Bild: Sony Pictures Classics

Das wahrscheinlich beste Bild für einen bevorstehenden Untergang ist das heraufziehende Gewitter. Nicht nur, weil ein Gewitter in unserem anthropomorphisierten Weltbild wie die manifeste Entladung von aufgestauten Bedürfnissen erscheint, sondern auch weil es nach all seiner Zerstörung häufig etwas zurücklässt, dass unschuldig und schön wirkt (siehe auch: “reinigendes Gewitter”). In Take Shelter verbringt Curtis des Films etwa anderthalb Stunden damit, seine Liebsten vor der heraufziehenden Katastrophe zu schützen, die ihn in Träumen und Halluzinationen verfolgt, während er den Rest der Welt, der ihn auslacht, am Liebsten zur Hölle schicken würde. Dann muss er frustriert und erniedrigt feststellen, dass der vermeintliche Sturm nur ein Produkt der Schizophrenie ist, die er von seiner Mutter geerbt hat. In den letzten Minuten dreht der Film seine fast enttäuschende “Auflösung” noch einmal, als plötzlich tatsächlich ein Sturm aufzuziehen scheint, der die Symptome aus Curtis’ Traum aufweist. Regisseur Jeff Nichols lässt unklar, ob dieser Sturm echt ist. Wichtig ist, dass sich Curtis und seine Frau in den letzten Momenten des Films – anders als zuvor – verstehen und an einem Strang ziehen. Auch sie sind pünktlich zum bevorstehenden Untergang miteinander im Reinen.

(Das gleiche Prinzip durchzieht natürlich auch Seeking a Friend for the End of te World, den ich leider noch nicht gesehen habe. Nur dass dort ein Hund mitspielt.)

Untergang ohne Untergang

Filme wie die bis jetzt beschriebenen, in denen die Welt tatsächlich untergeht oder untergehen könnte, fokussieren sich auf die (sinnlosen oder sinnvollen, je nach Haltung der Macher) Versuche ihrer Protagonisten, sich für das Ende – eigentlich aber für den neuen Anfang – zu wappnen. Genau so anschaulich kann es natürlich sein, wenn die Hoffnung auf einen Neuanfang plötzlich auftaucht ohne dass zuvor die Welt untergeht und alle Menschen sterben. Dafür ist nur ein ähnlich einschneidendes Ereignis vonnöten, dass alles auf den Kopf stellt, was wir zu wissen glauben.

L’Ultimo Terrestre – Bild: Fandango

Ein solches Szenario bietet sich in Another Earth und auch in L’Ultimo Terrestre. In Gianni Pacinottis absurdem Untergangsgemälde steht eine Alien-Invasion mit unklarer Absicht unmittelbar bevor und die meisten Erdlinge sind damit beschäftigt, vor lauter Unsicherheit in Panik auszubrechen. Für den stoisch-linkischen Luca jedoch scheint – ähnlich wie für Kirsten Dunsts Figur in Melancholia – eher die Hoffnung auf das Unausweichliche zu winken. Bis er feststellt, dass die Invasion längst begonnen hat und eine Alien-Frau schon bei seinem Vater eingezogen ist. Und während der Rest der Welt mit seiner Angst ringt, können Vater und Sohn mit diesem fast im wahrsten Wortsinne aus dem Nichts aufgetauchten Hilfsmittel ihre gemeinsamen Neurose verarbeiten. Als die richtige Invasion losbricht ist Luca entspannt. Die Zukunft kann ihm jetzt nichts mehr anhaben.

Expansion/Contraction

Es ist davon auszugehen, dass am 22. Dezember 2012 nicht die Welt untergeht (auch wenn ich schon für die Afterparty zugesagt habe). Und eigentlich bleibt auch zu hoffen, dass die Welt auch keinen anderweitigen Reboot erfahren muss. Wie immer ist es stattdessen viel sinnvoller und fruchtbarer, wenn wir unsere Ängste und Sehnsüchte in der populären Kunst ausleben – das ist anregender und weniger gefährlich.

Another Earth – Bild: Fox Searchlight

Ein letzter Exkurs sei erlaubt: In seinem Buch The Windup Girl, das 2011 mit den wichtigsten Science-Fiction-Preisen ausgezeichnet wurde, benutzt Paolo Bacigalupi fast schon nebenbei die Terminologie “Expansion” und “Contraction” um die Zeitalter der Menschen zu benennen, in denen die Welt (gefühlt) größer und kleiner wird. Nach der Windup-Girl-Rechnung befinden wir uns derzeit am Endpunkt einer Expansion – die ganze große Welt scheint uns zu Füßen zu legen. Dass irgendwie eine Form von Contraction folgen muss, in der man sich wieder auf Näher liegendes besinnt, scheint unausweichlich. Die Frage ist nur, ob dies gemächlich geschieht, wie eine sich hinabschwingende Sinuskurve, oder radikal.

The Dark Knight Rises endet auf gewisse Weise auch mit einem Untergang, auch wenn Banes Plan misslingt. Denn Batman stirbt und beendet vorerst seine Geschichte. Bruce Wayne hingegen lebt weiter und kann gemeinsam mit Selina Kyle ein rebootetes Leben genießen. Dann jedoch scheint sich auch für Batman am Ende ein Neuanfang abzuzeichnen, als Blake die Batcave entdeckt. So kann es also auch gehen: Untergang und Neustart, ganz ohne Weltzerstörung und Tod. Werden wir auch hinkriegen, was Batman gelungen ist?

Ergänzung: Ich bin nach wie vor dabei, mir dieses Thema, über das natürlich schon viele andere Leute nachgedacht haben, zu erschließen. Ich mag Bruce Sterlings Beschreibung des 2010er-Lebensgefühl als “Dark Euphoria”. Passt gut.

Es ist Kunst! – Die Pixar-Schau in Bonn

Nachdem sie mit Toy Story 1995 ihr Langfilmdebüt gaben, galten die Burbanker Pixar-Studios als ein merkwüdiger Sonderfall in Hollywood. Sie produzierten Filme, die, unter dem Deckmäntelchen der Animation, nicht nur für klingelnde Kassen sorgten, sondern auch noch bei Kritikern regelmäßig Bestnoten absahnten. Die letzten beiden Outputs des mittlerweile gänzlich zum Disney-Konzern gehörenden Studios, Cars 2 und Merida, konnten die Kritiker zwar nicht mehr ganz so hinreißen wie etwa Oben, der 2009 die Filmfestspiele von Cannes eröffnete. Die ausgefeilten Welten, die Pixar immer noch regelmäßig erschafft, begeistern aber nach wie vor.

Um diese Welten, und vor allem: um ihre analoge Ursprünge, dreht sich alles in der seit Juli in der Bonner Bundeskunsthalle gastierenden Ausstellung “Pixar: 25 Years of Animation”. Das Grußwort von Pixar-Boss John Lasseter erklärt gleich zu Anfang: Hier sollen die handgemachten künstlerischen Arbeiten und Prozesse sichtbar gemacht werden, die den vom Computer gerenderten Schauspielen vorausgehen, für die Pixar so berühmt ist.

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