Film- und TV-Highlights 2022

(c) Disney

Letztes Jahr habe ich die Grenzen schon aufgeweicht, dieses Jahr packe ich einfach alles in eine Liste. Ich will ja schließlich auch einen Pool haben, der groß genug ist, dass ich daraus überhaupt eine Top 10 auswählen kann. Warum ich hier ein Ranking vornehme und bei Podcasts nicht? Keine Ahnung.

Insgesamt merke ich mehr und mehr, wie sich mein Blick verschiebt und ich eigentlich weder den Anspruch noch den Willen habe, möglichst viel Wichtiges gesehen zu haben, um diese Liste mit der gebotenen Sorgfalt erstellen zu können. Sie ist ein Schnappschuss von Bewegtbild-Erlebnissen, die bei mir dieses Jahr hängengeblieben sind – mehr kann sie gar nicht sein.

Mein “Absatz of Shame” der Filme, die ich 2022 nicht gesehen habe: Drive My Car, The Batman, Cyrano, Aftersun, Athena, Memoria, The Menu, RRR, Bones and All und viele viele mehr.

Nun denn:

1. Andor (Season 1)

In der Kulturindustrie-Highlightsendung, die am 1.1. erscheint, habe ich auch bereits erzählt, was mich an Andor so begeistert hat. Abgesehen von einem relativ tighten Drehbuch, gute Regie, schickem Design und gutem Casting, fand ich bemerkenswert, dass hier die Tiefe des Worldbuildings von Star Wars genutzt wurde, um eine Geschichte zu erzählen, die gar nicht zwangsläufig im Star-Wars-Universum spielen müsste, sondern auch in unserer Welt stattfinden könnte. Das zeigt, wie vielseitig sekundäre Welten sein können, wenn man sich zur Abwechslung mal nicht auf ihre populärsten Tropes lehnt, sondern sie als Hintergrund nutzt für Geschichten nutzt, die es wert sind, erzählt zu werden. Ich liebte das an den From a Certain Point of View-Anthologien und ich liebe es hier. Ein echter Home Run.

2. Petite Maman

Unsere Eltern waren auch mal Kinder. Und auch als Erwachsene sind sie nicht nur Eltern. Indem Céline Sciamma erzählt, wie ein Mädchen seiner eigenen Mutter als Kind begegnet und sich mit ihr anfreundet, erforscht sie diese Gedanken märchenhaft und dennoch in ihrer Einfachheit erstaunlich klar. Ich war schon lange nicht mehr so berührt im Kino.

3. Irma Vep

Irma Vep

In Olivier Assayas’ Filmen finde ich immer wieder eine leichtfüßige Verhandlung der Beziehung zwischen dem Besonderen und dem Mondänen – hier am Beispiel eines Filmdrehs. Mit seiner Meta-Miniserie über die Entstehung eines fiktiven Remakes sowohl eines Stummfilmklassikers als auch seines eigenen Films aus den 90ern erforscht Assayas alles, was an Film frustierend und bezaubernd zugleich ist – am Ende aber landet er ganz klar auf der Seite des Zaubers.

4. Nope

Ich feiere Nope dafür, dass er es schafft, innerhalb seines Genre-Korsetts etwas Neues zu erzählen. Vielleicht nicht sehr eindeutig, vielleicht nicht so politisch, wie einige es gerne hätten, aber sehr eigenständig, originell und visuell überraschend.

5. Three Thousand Years of Longing

Es ist leicht, diesem Film vorzuwerfen, dass er sein Thema exotisiert, aber davon abgesehen ist es ein fantastisches Märchen voller Wendungen und Kurven, wie immer bombastisch verpackt und mit einer großen Dosis Kinomagie.

6. Crimes of the Future

Ein Film, der in mir gewachsen ist wie ein neues Organ. An seiner Cronenbergigkeit in Design und Inszenierung werde ich mich wahrscheinlich immer reiben, aber er verhandelt so viele interessante Ideen auf ungewöhnliche Weise, dass er gewürdigt gehört.

7. Glass Onion: A Knives Out Mystery

Meine Kulturindustrie-Kolleg*innen hätten mich fast davon abgebracht, diesen Film zu mögen, weil er als Zeitgeist-Spiegel vielleicht wirklich ein bisschen zu wohlfeil ist. Aber das ändert nichts daran, dass er sehr unterhaltsam, erneut sehr gut konstruiert und von Charakteren bevölkert ist, die im Gedächtnis bleiben. Ich bleibe gespannt, was Rian Johnson sonst noch einfällt.

8. The Lord of the Rings: The Rings of Power (Season 1)

(c) Prime Video

Ich komme immer wieder gerne nach Mittelerde zurück. Und wenn es nicht ganz so ein langatmig-sinnloses Geschlachte wie im dritten Hobbit-Film ist, sondern kompetent erzählt und wunderschön designt ist wie hier, macht es mir auch nichts aus, dass erstmal wenig passiert und eine gewisse generische Well-Madeness nicht von der Hand zu weisen ist. Für die erste Verfilmung, die sich stärker von Tolkiens Worten löst als je zuvor, fand ich Rings of Power doch sehr gelungen.

9. Avatar: The Way of Water

Spätestens jetzt merke ich, dass das Leitmotiv dieses Jahr “Handschrift im System” zu sein scheint. So schwach The Way of Water in seinem platten Plot ist, so einmalig ist er doch, wenn er sich zwischendurch 40 Minuten Zeit nimmt um einfach in seinen fantastischen Bildern zu schwelgen und am Ende eine weitere Stunde für eine auslandende Actionsequenz, wie sie nur James Cameron inszenieren könnte. Kein Meisterwerk, aber ein bemerkenswerter Film.

10. Red Rocket / Der schlimmste Mensch der Welt

Am Ende bleiben zwei Filme, die ich alle nach dem Ansehen erstmal sehr gut fand, aber deren Eindruck bei mir etwas verblasst ist. Daher kann ich mich auch nicht entscheiden, welcher am Ende doch länger in meinem Gedächtnis bleiben wird: die Geschichte eines genialen Hustlers im Nirgendwo oder das verspielt-vignettenhafte Porträt einer Person aus einer Generation, der ich mich noch entfernt verwandt fühle. Die Zeit wird es zeigen.

Lobende Erwähnung: Encanto

Lin-Manuel Mirandas Disney-Musical kam schon Ende 2021 raus, deswegen gehört er nicht offiziell auf diese Liste. Aber er hat in meinem Haushalt auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Noch hat ihn mein bald fünfjähriges Kind nicht gesehen, aber es kennt die Geschichte aus einem Buch und die Musik läuft auch heute noch bei uns (und auch bei mir) rauf und runter. Das Ende finde ich nach wie vor etwas zu einfach, aber die zentrale Metapher, die Charaktere und die verhandelten Gefühle haben mich doch sehr berührt. Als Gesamtwerk prophezeie ich Encanto ein verdient langes Leben. Der Film ist zigmal besser als der elende aber nicht totzukriegende Frozen.

12 Podcast- und Hörspiel-Highlights 2022 (und mehr)

Ein Teil meines Podcatchers

Nur noch sechs Tage im Jahr und noch einige Listen zu verbloggen. Fangen wir mal mit Audio an. Letztes Jahr habe ich noch über “Podcast-Highlights” gebloggt, aber ich schreibe inzwischen auch so viel über Hörspiele (und es sind auch zwei in der Liste), dass ich sie hier mal mit aufnehme. Alle genannten Produktionen sind aber hoffentlich zumindest noch eine Weile zeitsouverän im Netz abrufbar – und damit sind sie ja im Grunde auch alle Podcasts.

Außer Konkurrenz: #Podcapril

Der #Podcapril, mein Projekt, in dem ich einen Monat lang nur Podcasts gehört habe, die ich nicht kenne, um meinen Horizont konzentriert zu erweitern, hängt mir immer noch positiv nach. Ich habe sehr viel gelernt und freue mich bereits darauf, daraus eine regelmäßige Institution zu machen. Eine Liste für nächstes Jahr habe ich schon begonnen.

Himmelfahrtskommando – Mein Vater und das Olympia-Attentat (Patrizia Schlosser, Bayern 2)

Diese Liste hat bewusst keine Ordnungszahlen, aber als ich Himmelfahrtskommando hörte, dachte ich ziemlich schnell “Das ist der beste Podcast des Jahres bisher” und es kam auch nichts mehr nach, was mich noch mehr begeistert hätte. Patrizia Schlosser nutzt die Polizeivergangenheit ihres Vaters nicht zum ersten Mal, aber es gelingt ihr dennoch, Zeitgeschichte spannend zu erzählen, neue Erkenntnisse und Perspektiven hinzuzufügen und einen persönlichen Redemption Arc obendrauf zu packen. Das ergibt zusammen einfach eine sehr gute Mischung aus Information und Emotion, die es sich in jedem Fall zu hören lohnt.

Erdsee (Judith Adams, Jörg Schlüter, WDR)

Große Prestige-Hörspieladaptionen von Literaturklassikern landen aufgrund des möglichst breiten Appeals, der die Kosten rechtfertigen soll, oft ziemlich im Mittelmaß, aber an Judith Adams’ BBC-Adaption von 2018, die noch in Zusammenarbeit mit Ursula LeGuin begonnen, dieses Jahr auf deutsch übertragen und von Jörg Schlüter für den WDR inszeniert wurde, ist einfach nicht viel auszusetzen. Sie fängt Magie und sense of wonder des Originals gut ein und macht die Geschichte gut hörbar ohne in die typischen (insbesondere expositorischen) Fallen von literarischen Hörspielen zu treten. Dicke Empfehlung, insbesondere für die verbleibenden Wintermonate.

The Best Advice Show (Zak Rosen, Independent/Co-Loop)

So gerne ich lange, erzählte Podcasts höre, so gerne höre ich auch kurze Nugget-Formate, wenn sie einen gewissen Touch habe. Zak Rosen teilt zweimal die Woche einzelne Ratschläge von sehr unterschiedlichen Leuten, die man annehmen kann oder nicht. Die Themengebiete reichen von Self-Help bis Kochen und decken auch alles dazwischen ab. Das Format gibt es seit 2020, aber ich habe es erst dieses Jahr entdeckt. Besonders gevibet habe ich mit “When you’re there, do the thing“.

New Music Update (Miles & Miles, Independent)

Im Herbsturlaub wohnte in der Nebenwohnung eine Familie, mit der wir uns gut verstanden haben. Der Vater ist eigentlich Jazz-Gitarrist, aber auch als Pop-Produzent unterwegs. Und als er einige Wochen später mit seinem Produzenten-Partner einen Podcast startete, habe ich erstmal nur aus persönlicher Sympathie reingehört. Aber die Mischung aus “Blick in die Playlists” und “Diskussion zum aktuellen Musikbusiness-Geschehen” hat mir auch unabhängig davon gut gefallen.

Working Overtime (June Thomas, Karen Han und Isaac Butler, Slate)

Das Schwesterformat (im gleichen Feed) zu Slates Working dreht sich ebenfalls um Ratschläge und Reflexion, vor allem zu kreativer Arbeit. Für mein erstes Jahr als größerer Freiberufler war das nicht nur enorm hilfreich, ich finde auch die Dynamik zwischen den drei Hosts einfach sehr sympathisch und angenehm.

Plötzlich Mächtig – Das erste Jahr im Bundestag (Birthe Sönnichsen, Marcel Heberlein und Vera Wolfskämpf, Studio Jot/1LIVE/rbb24 Inforadio/ARD-Hauptstadtstudio)

Die größte Kritik, die ich an “Plötzlich Mächtig” äußern konnte, ist, dass es zu viel Geschichte in zu wenig Zeit pressen will. Davon abgesehen ist die Langzeitbeobachtung vier junger Bundestagsabgeordneter differenziert erzählt und sehr aufschlussreich. Ich könnte mir vorstellen, dass sich der Podcast gut im Gemeinschaftskunde-Unterricht einsetzen lässt, und ich hoffe, er bekommt irgendwann eine Fortsetzung, denn die Protagonisten sind einfach hervorragend gewählt.

We Were Three (Nancy Updike, Serial)

Niemand beherrscht die Disziplin “große gesellschaftliche Themen durch persönliche Geschichten” so gut wie die Alumni von This American Life und We Were Three ist keine Ausnahme. Eine bittere Geschichte über Familie, Entfremdung und Trauma, gefiltert durch lange Interviews mit einer Protagonistin und viel einordnende Reflexion der Erzählerin. Sehr intensiv und trotz Vertrauens auf gewohnte Stilmittel auf seine eigene Art ungewöhnlich.

Land of the Giants: The Facebook-Meta Disruption (Shirin Ghaffary, Alex Heath, The Verge)

Wenn Podcasts über “Geschichte” sprechen meinen sie fast immer Dinge, die irgendwie abgeschlossen wirken, aber die noch kurze Geschichte von Facebook zeigt, wie viele Sackgassen und Abbiegungen das Unternehmen in den 17 Jahren seines Bestehens bereits irgendwie überstanden hat. Im so kurz-erinnernden Internet, in dem kaum etwas mehr als ein paar Jahre hält, finde ich es sehr wichtig, diese Art von Rückblick gelegentlich zu wagen, um das Jetzt besser zu verstehen. Hier hat The Verge mal wieder sehr gut abgeliefert.

Cautionary Tales: Die Südpol-Trilogie (Tim Harford, Pushkin)

Tim Harfords Format Cautionary Tales, in denen er berüchtigte Fails aus der Geschichte mit sozialwissenschaftlicher Forschung verbindet, bereitet mir schon seit Jahren viel Freude. Dieses Jahr widmete das Format drei Folgen den Polarforschern Roald Amundsen und Robert Scott und beleuchtete ihre Lebensgeschichten und ihr berühmtes Rennen zum Südpol aus verschiedenen Blickwinkeln, die gemeinsam ein Netz aus Thesen weben, das immer wieder Erwartungen unterwandert.

Diese eine Liebe (Marco Seiffert, RBB)

Marco Seiffert beweist in seinem Format zur Berlin-Tour der Band Die Ärzte eindrücklich, dass sich auch offen zur Schau gestelltes Fan- bzw. Nerd-Tum mit journalistischer Haltung zu einem vielleicht nicht unbedingt besonders deepen, aber aber doch unterhaltsamen und immer wieder überraschenden Format zusammenrühren lässt. Gerade die persönliche Haltung und Beziehung zu seinem Thema und seinen Protagonisten ist es, die den Podcast besonders macht. Nur, wenn man Die Ärzte gar nicht ausstehen kann, würde ich nicht zum Hören raten.

Freitagnacht Jews: Jew Noir! Who Framed the Jew? (Daniel Donskoy, WDR)

In einigen gesellschaftlichen Debatten bin ich oft immer noch ziemlich clueless, und bevor ich diese Podcast-Episode im Podcapril empfohlen bekam, kannte ich Daniel Donskoy und sein Fernseh-Format Freitagnacht Jews (das kurze Zeit später einen Grimme-Preis bekam) auch nicht. In dieser Episode des vierteiligen Podcast-Ablegers führt Donskoy die diversen Antisemitismus-Debatten der vergangenen Jahre als ironisch-unterhaltsame Film-Noir-Mystery auf und verbindet Interviews mit einer sehr gut geschriebenen Erzählfigur. Solche genialen Formatbrüche braucht es bitte mehr!

2035 – Die Zukunft beginnt jetzt (Diverse, ARD/Deutschlandradio)

Mein letztes großes Kritikprojekt für dieses Jahr (erscheint erst im Januar) war die große ARD-Omnibus-Hörspielunternehmung zum Jahresende, in der jede ARD-Anstalt und das Deutschlandradio ein Hörspiel zur nahen Zukunft in Auftrag gegeben hat. Nicht alle Hörspiele sind super, aber einige – insbesondere von jüngeren Autor*innen – sind ziemlich gut und obwohl die kritische Auseinandersetzung mir in den letzten Wochen viel Stress verursacht hat, möchte ich sie doch weiterempfehlen. Meine Favoriten: “Landunter” (Wilke Weermann, Radio Bremen) und “Ein Käfer, der Erinnerungen frisst” (Fabian Raith und Sofie Neus, Deutschlandfunk Kultur).

Nicht aus diesem Jahr

Zwei Produktionen, die ich noch empfehlen will, habe ich dieses Jahr nachgehört, der größte Teil ihres Wirkens stammt aber aus zurückliegenden Jahren.

The Turning: The Sisters Who Left (Erika Lantz, Rococo Punch/iHeartMedia, 2021) erzählt von Aussteigerinnen des Ordens von Mutter Teresa. Beeindruckt hat mich daran vor allem die Kombination aus sehr kritischer Berichterstattung bei gleichzeitig großer Empathie. Niemand wird verteufelt, persönlicher Glaube wird sehr ernstgenommen und niemals von außen oder spöttisch beurteilt. Dennoch werden strukturelle Probleme systematisch aufgearbeitet und Grausamkeiten eindeutig als solche benannt. Wie gut The Turning ist, fiel mir vor allem auch im Kontrast zum deutschen Just Love (HR) auf, der irgendwie das gleiche versucht, aber es dabei nicht schafft, über seine Presenter-Investigativ-Pose hinauszuwachsen.

Fall of Civilizations (Paul Cooper, Independent, 2019ff.) ist eine Art Hörbuch-Podcast, der die Geschichte des Zusammenbruchs von Weltreichen auf der Basis historischer Quellen mit Soundkulisse nacherzählt. Mein Interesse an Geschichte wird immer vor allem dann wach, wenn ich glaube, daraus Schlüsse auf die Conditio Humana ziehen zu können (siehe diverse Beispiele oben) und das macht Cooper ganz gut. Für mich war Fall of Civilizations vor allem eine Horizonterweiterung mit Blick auf Zivilisationen außerhalb von Europa, etwa die Maya, die Khmer oder die Songhai in Westafrika. Sicher könnte man diese Geschichten auch weniger stark aus westlicher Perspektive erzählen, die Cooper sicher nie ganz abstreifen kann, aber als Einstieg fand ich seine Erzählung empathisch und sehr lehrreich.

Lobende Erwähnung: Die Wochendämmerung (Holger Klein, Katrin Rönicke, Hauseins)

Die Wochendämmerung höre ich schon eine ganze Weile (mindestens seit 2017 oder 2018) und wie bei jedem langlebigen Format habe ich eine parasoziale Beziehung mit den Hosts entwickelt (wobei ich Katrin immerhin auch einmal persönlich getroffen habe), die aber über die Jahre durchaus auch Höhen und Tiefen hatte. Zwischendurch ging mir das Format, das einmal die Woche Nachrichten aus der persönlichen Perspektive der Hosts zusammenfasst, gerade durch seine persönliche Färbung auch mal etwas auf den Keks, aber bei den dieses Jahr dominanten Themen war ich wieder sehr dankbar dafür. Wer, wie ich, kein News-Junkie ist, dennoch gerne einmal die Woche weiß, was sich in der Welt getan hat, keinen Bock auf den Ton der Lage der Nation hat, und bereit ist, sich an Meinungen auch mal zu reiben, dem empfehle ich die Wochendämmerung aus vollem Herzen.

Mehr Hörempfehlungen gebe ich regelmä´ßig (noch) auf Twitter und vor allem auf Piqd. Meine Kritiken in epd medien sind leider meist nicht online zu lesen, aber ich teile Ausschnitte in unregelmäßigen Abständen auch hier im Blog.

In den nächsten Tagen folgen an dieser Stelle noch Rückblicke zu Film & TV sowie zu meinen persönlichen Jahreshighlights.

Gedanken zu “Cui Bono: Wer hat Angst vorm Drachenlord?”

Ein wenig ungeschützte Meinung zur zweiten Staffel des Erfolgs-Podcasts. Zuerst hier auf Twitter aufgeschrieben.

Ich habe an anderer Stelle mal geschrieben, dass nicht jeder journalistische Podcast Großes aufdecken muss. Gut erzählte Zusammenfassung und Einordnung ist viel wert und ich denke, daran muss man die Drachenlord-Staffel messen. Sie ist kein investigatives Stück.

Deswegen kommt sie auch, das ist angenehm, ohne die ständige Selbstbehauptung von Großartigkeit aus, die anderen journalistischen Formaten inzwischen eingeschrieben zu sein scheint. Stattdessen trägt sie klar die Handschrift ihres Autors, Khesrau Behroz. Auch das finde ich gut.

Cui Bono: Drachenlord schlägt selbstbewusst weite Bögen, versucht das Phänomen, das sie im Kern beleuchtet, in größere Entwicklungen einzuordnen und verliert dabei sein Ziel nicht aus den Augen. Dafür nutzt es die Form sehr gut, etwa mit einer Tangenten-Folge nur zu Reality-TV.

Eins jedoch fehlt: Eine wirkliche Erkenntnis oder interessante These. Das Innere der Zwiebel, die Behroz sehr gekonnt pellt, ist leider ziemlich leer. Der Fall habe “mehr mit jedem von uns zu tun, als wir glauben” könnte man quasi über alles sagen.

Episode 5 versucht uns am Ende den Spiegel vorzuhalten und zu sagen: Wir, mit unserer Kultur von Fandom und Anti-Fandom, haben ein Klima begünstigt, aus dem etwas wie das Drachengame geboren wird. Und sorry, das halte ich für sehr oberflächlichen, kulturpessimistischen Schmonz.

Es ist nichts, was ich nicht schon mal gehört hätte. Nichts, was man so undifferenziert und ominös im Raum stehen lassen sollte. Es ignoriert völlig, was noch zu einer Entwicklung wie dieser dazugehört. Es macht es sich einfach, tut aber bedeutsam.

Das finde ich das große Manko von Cui Bono 2, und es war vielleicht in Staffel 1 auch schon da. Große Gesten, sehr kompetent, aufwändig und persönlich erzählt, aber am Ende wenig Erhellendes oder Besonderes. Schade.

Sätze wie “Seien wir ehrlich: Wir alle schauen Reality-TV” aus Folge 3, die ich für schlechten journalistischen Stil halte, weil sie nicht stimmen, verdeutlichen dieses Problem übrigens perfekt. Statt eine persönliche Geschichte zu erzählen (was ja interessant sein könnte), wird ein vages persönliches Gefühl zu einer allgemeinen Wahrheit erklärt. Das zieht sich durch.

Als Zusammenfassung einer Geschichte, die ich auch nur in Ausschnitten kannte, ist der Podcast dennoch ziemlich gelungen. Da muss ich Heiko recht geben.

Playlist 2022

Meistgehört: Re: M Field.

Wie jedes Jahr folgt eine Liste der Songs, die mir in den vergangenen zwölf Monaten so gut gefallen haben, dass ich sie nicht nur gerne gehört habe, wenn sie zufällig im Shuffle kamen, sondern aktiv aufgesucht oder beim Durchskippen immer drauf hängen geblieben bin. Das qualifizierte sie dann irgendwann dafür, auf eine “Best of 2022” Playlist zu wandern, auf der ich in den letzten zwei Wochen noch einmal etwas ausgesiebt habe.

Diese Vorgehensweise ist ein interessanter Pattern des digitalen Zeitalters, aber es erleichtert auch ein wenig, sie inzwischen so kodifiziert zu haben. Genauso wie die Tatsache, dass ich ab 1. Dezember aufhöre, meine “Neue Musik für dich”-Listen zu hören, um mich ganz auf Rückschau und Genuss (z. B. ganze Alben durchhören) konzentrieren zu können.

1. The Beths – Silence Is Golden

NPRs “All Songs Considered” hat mich dieses Jahr auf diese coole neuseeländische Rockband gestoßen. “Silence is Golden” ist der Über-Banger des Albums “Expert in a Dying Field”, aber auch der Titelsong und der Rest der Platte lohnen sich.

2. Everything Everything – Bad Friday

Das Album, mit dem sich Everything Everything dieses Jahr zurückgemeldet haben, hat mich viel viel besser gefallen als die zwei davor. Die Lyrics wurden mit Hilfe einer KI geschrieben, aber was heißt das schon. Die Lead Single “Bad Friday” erinnert auf beste Art an ihren ersten Hit “MY KZ YR BF”, der in der Top 10 meiner Lieblingssongs aller Zeiten stehen dürfte.

I’m wondering: how did I get this battle over me?
I got the pictures here on my phone.

Everything Everything

3. Fickle Friends – Love You To Death

Ich freue mich wirklich über diesen Strom an knalligen Pop-Formationen mit weiblichem Leadgesang. Fickle Friends war ziemlich sicher eine algorithmische Empfehlung, aber der Song (und Teile des Albums) macht auch einfach Laune.

4. Kae Tempest – More Pressure (feat. Kevin Abstract)

Rap ist nicht die Musik, die mir am natürlichsten zufällt. Es braucht schon irgendeinen Vibe, der mich über Beats und Text (den ich meistens erst spät wahrnehme) hinaus anspricht und bei “More Pressure” war das dieses Jahr der Fall. Kae war mir schon vorher ein Begriff und ich feierte bereits den Albumtitel “The Beigeness” vor acht Jahren, aber hier treten Flow und Musikalität noch einmal auf eine besonders gute Art heraus. Und natürlich könnte man sich “More pressure, more release, more relief, more belief” auch problemlos tätowieren lassen.

More pressure, more release, more relief, more belief

Kae Tempest

5. M Field – House and Leisure

Es gibt keinen Musiker, der mich in den letzten zwei Jahren mehr begeistert hat als Matthew Field. Vor allem mit seinen Soloplatten, aber auch mit seiner Band Beatenberg, die ich dieses Jahr live sehen durfte. Hier drückt einfach alles meine Knöpfe: die versteckt-komplexen Instrumentierungen und Grooves, die Stimme, die Harmonien, die Texte, die oft tongue-in-cheek von alltäglichem Kram und den daraus erwachsenen “großen” Gedanken erzählen.

And as the Amazon burns
I water my little fern
I bought on Amazon Prime

M Field

6. Aoife O’Donovan – Age of Apathy

Die Vorab-Single “Phoenix” war letztes Jahr schon auf meiner Playlist, aber auch der Titelsong des Albums ist einfach toll. Ich bleibe dabei: Aoife hat eine der schönsten Stimmen der Musikwelt überhaupt und ihre Songs verbreiten genau die richtige Melancholie.

Oh, to be born in the age of apathy
When nothing’s got a hold on you, if you need someone to hold
You can hold me

Aoife O’Donovan

7. Stromae – L’enfer

Ich habe dieses Jahr aufs Neue gemerkt, dass ich eine besondere Schwäche für Französisch als gesungene Sprache habe und bei Stromae verbindet sich diese merkwürdige Liebe mit dem vielleicht genialsten Stotter-Beat des Jahres. Das ganze Album “Multitude” ist ein großartiges Erlebnis – “Mon Amour” hätte ich am liebsten auch noch auf die Liste genommen. (Der wäre auch etwas weniger depri gewesen.)

8. Midlake – Bethel Woods

Teile von Midlakes Album haben etwas an sich, das mich auf einer subkutanen Ebene an 70er Genesis erinnert (“Feast of Carrion”). Das kommt in diesem Song nicht so deutlich raus, aber dafür hat es dieses treibende Schlagzeug, bei dem ich einfach nicht widerstehen kann.

9. Robert Glasper – Why We Speak (feat. Q-Tip & Esperanza Spalding)

Da auch R&B ein Genre ist, zu dem ich mich nicht so sehr von selbst hingezogen fühle, bin ich auch hier dankbar für “All Songs Considered”, die manchmal Titel anspielen, die auch für mich anschlussfähig sind. Ich kann zu dem Song trotzdem nicht viel sagen, außer dass ich ihn mag und die Mischung – auch in der Bilingualität und der Stimme von Esperanza Spalding – irgendwie stimmt.

10. Nilüfer Yanya – the dealer

Weckt bei mir Erinnerungen an Rocktitel aus den 90ern, aber mit einem moderneren Beat. Einfach ne gute Nummer.

11. And So I Watch You From Afar – Dive Pt 2

Meine großen Post-Rock-Zeiten liegen hinter mir, aber manchmal gelingt es Bands, mich doch noch mal hinter dem Ofen hervorzulocken. ASIWYFA haben das mit den Arrangements und der Dramaturgie des Albums “Jettison” dieses Jahr geschafft.

12. Gang of Youths – in the wake of your leave

Noch ein Album (“angel in realtime”), das sich in Gänze lohnt. Also, wenn man auf dramatischen Indierock mit großen Refrains steht.

13. half*alive – Move Me

Die Veröffentlichungspolitik von half*alive gibt mir zwar Rätsel auf (dieses Jahr erschien zunächst eine EP auf der Songs drauf waren, die zum Teil schon 2021 veröffentlich wurden, dann eine LP, auf der zum Teil noch mal die gleichen Songs waren), aber ihre Songs bleiben konstant gut und ungewöhnlich. “Move Me” ist der schönste der neuesten Charge.

14. Sergey Golovin – Factory

Sergey Golovin ist ein israelischer Gitarren-Wizard, der mich seit Jahren mit seinen Instrumentals erfreut. Seine ersten Alben klangen nach Dream Theater Anno 1992, “Factory” und die anderen Singles, die er dieses Jahr veröffentlicht hat, erinnern eher an Fitness-Motivations-Rocknummern aus den 80ern. Aber in geil.

15. Weezer – All this Love

Mein Sommer-Song 2022. Weezer im vollen Pop-Modus mit einem herzerwärmenden Post-Pandemie-Text. Hoffen wir, dass er sich nächstes Jahr endlich bewahrheiten kann.

I’ve got all this love that I’ve been saving up
Let me let it out, let me let it out!

Weezer

16. MUNA – What I Want

MUNA begeistern mich bereits seit ihrem zweiten Album, aber hier ist mein dunkles Geheimnis: “Silk Chiffon” fand ich ziemlich langweilig. Gilt zum Glück nicht für den Rest des neuen Albums, und “What I Want” ist eine geniale Empowerment-Hymne, zu der ich hoffentlich irgendwann auch mal öffentlich tanzen kann. (Dieses Jahr beschränkte sich Tanzen auf die Firmenweihnachtsfeier und ich trug Maske dabei, worum ich aber im Nachhinein dankbar bin, denn die Menge an Corona-Meldungen vier Tage später machte keinen Spaß.)

17. Porcupine Tree – Rats Return

Was für ein Glück, dass sich diese drei Männer entschieden haben, doch noch ein Album zusammen zu machen. Bei “Closure / Continuation” ist der Name Programm, es bildet einen Abschluss eines erfolgreichen Albumzyklus, knüpft aber auch deutlich an alles an, was seit “In Absentia” kam. Und dazu gehören geniale Rhythmus-Riffs wie das in “Rats Return”. Instant Classic!

18. The Mars Volta – No Case Gain

Ich finde es gut, dass sich The Mars Volta mit dem unerwarteten neuen Album noch einmal auf neues, weniger proggiges Terrain gewagt haben. Nicht alle Songs sind bei mir hängengeblieben, aber dieser schon.

19. Remi Wolf – Sugar

Noch eine luftige Sommernummer. Für die gute Laune zwischendurch.

20. Regina Spektor – Becoming All Alone

Bei all dem Gerede über Interpolation, das dieses Jahr die Popmusik beherrschte, wundert es mich, dass niemand mal diesen Song und Aimee Manns “Wise Up” nebeneinandergelegt hat. Der Vibe ist schon sehr ähnlich, aber mich stört es definitiv auch nicht, zwei Lieder mit ihm zu haben.

And we wouldn’t even have to pay
‘Cause You Are God and You’re revered

Regina Spektor

21. Hans Zimmer & Andrew James Christie – Prehistoric Planet Theme

Serie nicht geguckt. Theme trotzdem immer wieder gerne gehört. So kann es gehen.

22. Von Wegen Lisbeth – Auf Eis

Sollte ich Von Wegen Lisbeth sauer sein, weil sie ein Lied gemacht haben, dessen Refrain lautet “Mach bitte, bitte, bitte keinen Podcast”? Kann ich nicht, weil sie gleichzeitig auch dieses Lied geschrieben haben, in dem sich der Protagonist mit der im Kreis fahrenden Claudia Pechstein identifiziert. Alberne Melancholie, sign me up. Bonuspunkte für den Reim von “Skaten” auf “Relaten”.

Ich interessier mich nicht für Skaten
Und schon gar nicht auf dem Eis
Doch ich kann gut mit ihr relaten
Denn sie fährt die ganze Zeit im Kreis

Von Wegen Lisbeth

23. Peter Fox – Zukunft Pink (feat. Inéz)

Der Song, an dem man diesen Herbst nicht vorbeikam. Aber er ist auch einfach so gut. Ich hoffe es schreibt irgendwann jemand mal eine gute Analyse darüber, wie der Ragaton-Rhythmus zum dominanten Stilmittel der letzten zehn Jahre wurde.

24. Eule – Kapitänin der Band

Die “Eule findet den Beat”-Kinder-Hörspiele sind über die letzten Alben immer weniger kindermäßig geworden und enthalten einfach objektiv gute Songs (Hier mein Interview mit Schöpferin Nina Addin). Klar, der Text ist hier immer noch ein bisschen drauf gemünzt, das Instrument zu erklären (auf der ganzen Platte geht es darum, die Welt der Instrumente zu entdecken) – aber ich wünschte ich hätte als Mini-Schlagzeuger diesen Song gehabt. “Overdrive” vom gleichen Album steht “Kapitänin der Band” übrigens in nichts nach.

Jetzt spiel ich richtig laut
Wenn sich der Song aufbaut

Eule

25. The Mountain Goats – Training Montage

Als jemand, der Musik selten wegen der Texte hört, dringen die Mountain Goats immer nur dann zu mir durch, wenn sie auch mal wieder einen Ohrwurm geschrieben haben. “Training Montage” vom Actionfilm-Konzeptalbum “Bleed Out” ist so ein Fall. “I’m doing this for revenge!” ist aber auch eine Textzeile, die sich sehr gut mitrufen lässt (mit Fistpump versteht sich).

26. Beatenberg & Msaki – White Shadow

Bitte noch einmal zu M Field (5.) zurückspringen und alles noch mal lesen. Diese Nummer ist dazu noch ein tolles Duett.

27. Harry Styles – Music For a Sushi Restaurant

Noch so ein Lied, dem man dieses Jahr nicht ausweichen konnte. Und immer Props für Songs, deren Refrain nur ein Bläser-Einsatz ist.

28. King Princess – Cursed

“Cursed” ist die Art Song, bei der ich erst nicht so sicher war, wie gut er mir gefällt, der mir dann aber immer wieder in den Kopf kam.

29. APRE – Submarine

Wie jedes Jahr haben sich auch 2022 die zwei Jungs von APRE mit einer ihrer Pop-Rock-Hymnen in meine Gehörgänge gewurmt und sind deswegen in dieser Liste vertreten.

30. Fergus McCreadle – The Unfurrowed Field

Mein Geheimtipp seit Jahren: Beim Mercury Prize gucken, welches Jazz-Album nominiert wurde. Dort finden sich häufig sehr mainstream-anschlussfähige Acts wie GoGo Penguin oder Moses Boyd. Dieses Jahr Fergus McCreadle, der einfache Themen am Piano über mehrere Minuten mit Trio variiert und immer weiter aufbaut. Sehr hörbar.

31. Roxette – Never Is A Long Time (EMI Demo May 26-30, 1987)

Marie Fredriksson ist vor drei Jahren gestorben, was mich immer noch jedes Mal traurig macht, wenn ich dran denke. Ihr musikalischer Partner Per Gessle veröffentlicht fröhlich weiter, sowohl neues Material (solo und als PG Roxette) als auch immer wieder ungewöhnliche Archiv-Funde, wie diese Version des Songs, der schließlich auf “Joyride” landen sollte und hier noch sehr nach 1987 und nach New Wave klingt. Faszinierend, wenn eine Band so regelmäßig Einblicke in ihren Produktionsprozess erlaubt.

Links zum Selbsthören: Apple MusicSpotify

7 Erkenntnisse aus einem Jahr Teilzeit-Freiberuflichkeit

.Ich trinke keinen Kaffee, sondern Cola, aber ansonsten passt es. (Bild: Alejandro Escamilla on Unsplash)

Seit mindestens zehn Jahren hatte ich den Traum oder die Ambition, mich mal als freier Journalist und/oder allgemeiner Medienmensch zu versuchen. Als letztes Jahr klar wurde, dass meine Vollzeit (32 Stunden) Stelle bei meinem Arbeitgeber sich zum Jahreswechsel aufgrund der Projektplanung automatisch auf eine Teilzeit (23 Stunden) Stelle reduzieren würde, sah ich endlich meine Chance gekommen, mein Glück mal auf die sicherstmögliche Art zu versuchen, und einfach ein weiteres Drittel meiner Woche mit freier Arbeit aufzufüllen.

Ich weiß, dass das nicht unbedingt das typischste Modell ist. Die meisten Freien (die ich kenne) arbeiten entweder ganz frei oder sie haben echte “day jobs”, die die Miete abdecken und ihnen die kreative Arbeit ermöglichen. Ich habe selbst mit meinem Teilzeitjob netto mehr verdient als viele Leute mit einer Vollzeitstelle verdienen, bin also eigentlich keinerlei Risiko eingegangen. Außerdem habe ich eine Partnerin, die ebenfalls 32 Stunden arbeitet, gut verdient, und mein Vorhaben unterstützt hat.

Trotzdem habe ich in meinem einen Jahr Freiberuflichkeit ein paar Sachen gelernt und ich dachte, es schadet nicht, sie aufzuschreiben. Als ich nämlich vor einem Jahr dastand, hätte ich liebend gerne ein paar Erfahrungsberichte gelesen. Zum Glück konnte ich ein paar Leute persönlich nach ihren Erfahrungen fragen.

1. Check Your Motivation

Ich habe mir den Luxus geleistet und mir vor dem Anfangen auf Rat einer Freundin eine Coaching-Session bei jemandem gegönnt, der auf Freiberuflichkeit und Geldmanagement spezialisiert ist. Gisela Enders hat mir nicht nur ein paar finanzielle Falschvorstellungen aus meinem Kopf verbannt (auch wenn ich als Kleinunternehmer keine Umsatzssteuer auf meinen Rechnungen ausweisen muss, muss ich trotzdem welche zahlen), sondern sie hat auch eine von diesen typisch fiesen Coach-Fragen gestellt: “Und warum genau wollen Sie das jetzt eigentlich machen?”

Äh. Weil ich seit Jahren darüber nachdenke? Weil ich es immer mal ausprobieren wollte? Weil Freiberuflichkeit aus der Ferne immer so einen Bohemién-Glamour ausstrahlt, den ich auch gerne hätte? Alles keine guten Antworten. Ich musste tatsächlich ein paar Tage drüber nachdenken und in mich reinhorchen. Zum Glück kam auch etwas zurück: Ich wollte die Freiheit haben, verschiedene Sachen auszuprobieren und nicht durch die Beschreibung einer Stelle an bestimmte Aufgaben gebunden sein. Das erschien mir eine gute Motivation, die ich auch als Ziel in das neue Jahr mitnahm.

2. Es gibt genug zu tun

Ich gebe zu: Meine größte Angst war, dass alle, bei denen ich mich um Arbeit bewerben würde, laut lachen würden. Die Welt hat wahrhaftig nicht darauf gewartet, dass Alexander Matzkeit freier Journalist sein will, dachte ich mir. Erstaunlicherweise war das genaue Gegenteil der Fall. Es half sicherlich, dass ich über die Jahre immer wieder kleine Dinge frei gemacht hatte (Kritiken für epd medien zum Beispiel) und alte Kontakte gerne pflege. Aber die Angebote gingen weit darüber hinaus. Kollegen schoben mir Auftraggeber rüber und sagten “Klopf da mal an”, Leute schrieben mir Twitter-DMs “Hättest du Lust, was für uns zu machen?”, ehemalige Arbeitgeber sagten “Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich was für Sie habe.” Pitches wurden dankbar angenommen. Das hat mich wirklich überrascht.

Ich musste an etwas denken, was mir eine Kollegin vor einiger Zeit gesagt hatte. Freie Aufträge bedeuten für Arbeitgeber deutlich weniger Commitment als Festanstellungen. Das Risiko liegt quasi komplett bei den Auftragnehmern. Aus eigener Erfahrung im NGO-Bereich weiß ich außerdem, dass Sachmittel fast immer weniger knapp sind als Personalmittel. Deswegen ist für freie Mitarbeitende bzw. für eine Aufnahme in den Pool potenzieller Auftragnehmer oft Raum, obwohl gerade im Journalismus die festen Stellen ja tendenziell sehr knapp bemessen sind.

3. Solidarität unter Freien

Was mich auch gerade zu Anfang wirklich beeindruckt hat, ist, dass man sich mit einem Schritt in die Freiberuflichkeit auch eine neue Gemeinschaft erschließt. Wenn ich frei arbeitenden Freunden und Bekannten von meinen Plänen erzählt habe, hat nicht eine einzige Person gesagt “Bist du sicher, dass du dir das nicht noch einmal überlegen willst?” oder “Naja, das was du da machst ist ja auch keine echte Freiberuflichkeit” (was ich beides erwartet hatte).

Ich bekam ausnahmslos positive Rückmeldungen und Anfeuerungen und fühlte mich sofort als Teil einer neuen coolen Clique, in der man aufeinander acht gibt. Natürlich gab es einige floskelhafte “Naja, dann lass uns mal gucken, ob wir was zusammen machen können”-Rückmeldungen, aber häufiger waren echte Hilfsangebote und einfach auch die Bereitschaft, miteinander zu reden. Mit einer Kollegin und Freundin, die wie ich unter anderem gerade anfängt, sich auf dem Podcastmarkt zu verdingen, habe ich einen sehr regelmäßigen Austausch etabliert, in dem wir uns gegenseitig Feedback geben, Mut machen und Erfahrungen teilen. Das ist sehr wertvoll und ich bin sehr dankbar dafür. Sollte ich mich jemals für die volle Freiberuflichkeit entscheiden, würde ich auf jeden Fall Mitglied bei den Freischreibern werden. Mir war noch nie so bewusst, wie wichtig eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten sein kann.

4. Zeit ist eine Ressource

Da ich, wie oben geschrieben, trotz positiver Rückmeldungen in ständiger Panik lebte, gar nicht genug Aufträge zu bekommen, habe ich anfangs erstmal alles zugesagt, teilweise auch weit im Voraus. Dabei waren unter anderem Aufträge, die mich gleich für ganze Tage blockierten, in meinem Fall Tagesschichten im Newsroom des epd, die auch noch in der Regel drei Monate im voraus festgelegt wurden. Das führte dann dazu, dass ich gelegentlich andere Aufträge ablehnen musste, weil ich mich so lange im Voraus commited hatte. Andererseits war ich für das auf diese Weise schon auf längere Zeit vorher sichere Einkommen auch dankbar. Es war eine echte Zwickmühle.

Mitte des Jahres fühlte es sich zeitweise so an, dass ich eigentlich nicht mehr einen festen Job hatte und dazu freie Zeit, die ich mit anderer Arbeit füllen konnte, sondern einfach zwei Jobs hatte, von denen einer allerdings weniger Flexibilität bot und im Vergleich schlechter bezahlt wurde. Hier war ich dankbar, dass ich mich zu Anfang mit mir selbst auf einen Grund verständigt hatte, warum ich diesen Schritt gegangen war. Ich sagte Bescheid, dass ich in Zukunft weniger Tage pro Monat zur Verfügung stehen würde, um mehr Zeit für andere Dinge zu haben. Was zum Glück kein Problem war.

5. Manche Arbeit passt in mein Modell einfach nicht hinein

Mein Fest-Freies-Mischmodell bedeutete konkret, dass ich ca. anderthalb Tage pro Woche hatte, um frei zu arbeiten. Anfangs hatte ich gedacht, dass das bedeuten würde, dass ich manchmal auch Überstunden aus meinem festen Job zusammensparen würde können, um dann gleich eine ganze Woche für eine größere Recherche oder einen längeren Workshop frei zu haben. De facto hat das, vor allem in Kombination mit den Dienstplan-Commitments (siehe 4.), nicht funktioniert. Es gelang mir einfach nicht, Arbeit in meine Planung einzubauen, für die ich erstmal selbst in zeitliche Vorleistung hätte treten müssen, etwa indem ich ein Thema anrecherchiere oder mir überhaupt die Zeit nehme, um Themen zu entdecken.

Es hat mich ein bisschen traurig gemacht, das zu merken, weil damit klar wurde, dass Arbeit für mehrere potenzielle Auftraggeber, die nach Vorgesprächen durchaus an meiner Arbeit interessiert waren, einfach nicht funktionieren würde. Zwei Drittel meiner Arbeitszeit waren jede Woche mit Themen gefüllt, die mit meiner freien Arbeit sehr wenig zu tun hatten. Um wirklich in meinem Arbeitsfeld (Medienjournalismus) auf breiterer Front bestehen zu können, hätte es ein größeres Zeitversprechen meinerseits gebraucht, um dauerhaft in Themen einzutauchen und daraus dann auch Pitches für Auftraggeber zu entwickeln. Mit dem momentanen Modell bin ich zu großen Teilen darauf angewiesen, dass mein Auftraggeber den Auftrag bereits in der Tasche hat, wenn er zu mir kommt. Kritiken und kleinere Recherchen zu abgesteckten Themen sind kein Problem. Größere Stücke zu Themen, die ich selbst finde, gehen einfach nicht.

6. Zwischen den Welten

Eine kleine Ergänzung zum letzten Punkt: Manchmal hat mich dieses Hin- und Herspringen zwischen zwei Welten, die von der Branche zwar verwandt, aber thematisch und in ihren Arbeitsabläufen doch sehr unterschiedlich sind, auch ziemlich gebeutelt. Wenn ich in meiner freien Arbeit gerade an einer spannenden Sache arbeitete, hatte ich manchmal auf meinen Brotjob nicht so wirklich Lust. Wenn in meinem angestellten Job gerade ein paar Brände zu löschen waren, musste ich die Zeit meiner für freie Arbeit reservierten Tage auffressen, um alles zu schaffen.

Das hat manchmal ziemlich genervt und es ist ein eindeutiger Nachteil an diesem Modell. Allerdings weiß ich natürlich auch (und es wurde mir vor Kurzem auch noch mal gesagt): Man kann als Freier schlicht nicht erwarten, die Arbeitszeiten eines Festangestellten zu haben. Wochenenden und Abende sind manchmal einfach auch Arbeitszeit, wenn viele Sachen gleichzeitig fertig werden müssen. Zum Glück hat mir meine Familie diese Flexibilität auch gestattet, wenn es wirklich nicht anders ging.

7. Es hat geklappt!

Nachdem ich jetzt ein paar schwierigere Punkte aufgezählt habe, muss ich aber doch sagen: In Summe war es super. Nicht immer einfach, aber doch ziemlich genau das, was ich mir gewünscht habe. Ich konnte endlich wieder als echter Journalist arbeiten, und auch wenn der Kick der ersten paar Newsroom-Schichten irgendwann etwas nachließ, bin ich doch jedes Mal wieder glücklich, wenn ich wirklich das Gefühl habe, mal wieder Fragen gestellt zu haben, statt (wie in der PR) nur Antworten zu geben und am Ende des Tages eine Frucht meiner Arbeit zu sehen, und wenn es nur eine Agenturmeldung ist.

Ich konnte aber auch tatsächlich ganz viele andere Sachen ausprobieren! Ich habe Workshops abgehalten und ein Social-Media-Konzept für eine Website geschrieben. Ich habe eine Organisation in der Konzeptionierung ihres Gesamtauftritts beraten. Ich habe für 54books lange Stücke über Themen recherchiert und verfasst, die mir am Herzen liegen. Ich habe auf der re:publica moderiert. Ich werde nächstes Jahr in einem Kurs Aktivistinnen und Aktivisten Wissen zu Öffentlichkeitsarbeit vermitteln. Ich habe Features, Kritiken, Glossen und Leitartikel geschrieben. Das Feedback war fast einhellig positiv und ich habe genug Geld verdient, um am Ende des Jahres nicht weniger zu haben als im Jahr zuvor.

Über die beste Entwicklung, die aus diesem Jahr Freiberuflichkeit geboren wurde, darf ich leider zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr vage sprechen. Schon im Frühling habe ich ein Konzept geschrieben, von dem ich nie gedacht hätte, dass es wirklich umgesetzt wird. Dann ging doch alles ganz schnell und jetzt stehe ich kurz davor, es auf die Welt loszulassen. Es ist wieder ein größeres Zeit-Commitment, das mir für eine Weile nicht erlauben wird, überhaupt noch andere freie Aufträge anzunehmen, aber es ist etwas, das ich schon lange machen wollte, und ich freue mich sehr darauf, es bald zu verkünden. Vielleicht führt es sogar dazu, dass ich irgendwann den Schritt in noch mehr Selbstständigkeit wage, aber für’s erste bleibe ich bei meinem Modell. Kann ich es empfehlen? Ich bin mir nicht sicher. Aber für mich hat es für’s Erste ziemlich gut gepasst.

Podcasts: Macht mehr aus euren Feeds!

Hallo, ich habe hier sehr leckeren Fremdinhalt für Sie! (Photo by Sticker Mule on Unsplash)

Die beste Werbung für einen Podcast ist eine Erwähnung in einem anderen Podcast. Diese alte Weisheit ist zumindest für Podcasts, die über kein Werbebudget verfügen, immer noch wahr. Kein Social Media-Kanal wird einem je so viele neue Hörer*innen bescheren, wie eine Empfehlung “nebenan”. Denn dort werden Menschen erreicht, die bereits Podcasts hören, ihren Hosts vertrauen und mit nur wenigen Klicks am ehesten bereit sind, auch mal einen anderen Feed zu abonnieren.

Man kann aber noch einen Schritt weitergehen, und fremde Podcasts den eigenen Hörer*innen direkt liefern. Denn die meisten haben ein kostenloses Abo abgeschlossen, das sie lieben und schätzen und im Zweifelsfall aus Faulheit sogar behalten, wenn in ihm nichts passiert.

Der RSS-Feed gilt den meisten Podcaster*innen als reiner Auslieferungsmechanismus – für einige sogar der einzig wahre, der Podcasts überhaupt zu Podcasts macht – und auch als ein bisschen heilig. Er sollte ja nicht für irgendetwas anderes benutzt werden, als den eigenen Podcast regelmäßig in die Podcatcher zu drücken. Dabei ist er ein mächtiges Werkzeug, das sich ideal für Podcast-Entdeckung (mein Lieblingsthema) und Podcast-Empfehlung einsetzen lässt.

Es wundert mich immer wieder, dass nicht mehr Podcaster*innen mehr aus ihrem Feed machen, obwohl es viele gute Beispiele gibt, wie das bereits geschieht. Mir sind bisher drei Hauptmodelle aufgefallen, wie Podcaster*innen ihren Feed zur Auslieferung von mehr als den regulären Sendungen verwenden können.

1. Werbung

Die einfachste und naheliegendste Lösung. Trailer für andere Produktionen lassen sich perfekt auch in den Feeds von bereits laufenden Podcasts ausspielen. Im Feed des erfolgreichen Cui Bono-Podcasts von Studio Bummens tauchten zum Beispiel Trailer für die Anschlussproduktionen Noise und Legion auf, bevor der Trailer für Staffel 2 von Cui Bono kam. (Ich habe Studio Bummens dazu Fragen geschickt, aber leider keine Antwort erhalten.)

Wer besonders mutig ist, kann statt des Trailers auch mal die ganze erste Folge eines neuen Projekts in den alten Feed werfen, vorausgesetzt er oder sie hat die Rechte daran. Reinhören werden die meisten – und vielleicht hören einige auch weiter.

2. Paralleluniversen

In Kulturindustrie podcaste ich gemeinsam mit drei anderen Hosts zu Popkultur. Vor einiger Zeit war ich gemeinsam mit einem meiner Co-Hosts, Sascha, zu Gast im Star Wars Podcast Blue Milk Blues, um über das Star-Wars-Anthologie-Buch From A Certain Point of View zu sprechen. Zwei vertraute Stimmen und ein Thema, das nah am Publikum des Podcasts ist. Ich hätte Tobi, den Blue Milk Blues-Host, damals wirklich fragen sollen, ob wir die betreffende Episode auch als Bonus-Episode in unserem Feed veröffentlichen dürfen. Hätten bestimmt viele unserer Hörer*innen gerne gehört – und vielleicht wären ein paar auch bei Tobis Podcast hängengeblieben.

Der Clou bei dieser Art der Cross-Promotion ist, dass man es seinen Hörer*innen so leicht wie möglich macht, mehr von ihren bekannten Stimmen zu hören und das andere Produkt eigentlich nur nebenbei bewirbt. Denn Podcaster sind ja fast regelmäßig auch in anderen Podcasts zu Gast. Das Podcast-Label Pushkin von Malcolm Gladwell setzt diese Methode regelmäßig ein, und ich habe es noch nie bereut, einen Gastauftritt etwa von Tim Harford in The New Bazaar zu hören – und dabei gleich meinen Podcast-Radar etwas erweitert.

3. Kuration

Das finde ich die Königsdisziplin von kreativer Feednutzung für Podcast-Entdeckung. Statt Werbung für eigene andere Projekte zu machen oder Gastauftritte in anderen Podcasts als Bonuscontent zu syndizieren, präsentiert man ausgewählte Podcasts anderer Podcaster*innen im eigenen Feed. Als Death Sex and Money vor zwei Jahren das “Audio we Love Fest” in meinem Feed schob, war ich davon so begeistert wie schon lange nicht mehr. Ein Überraschungs-Podcast-Festival, inklusive Q&A mit den Macher*innen, fand ich einfach eine großartige Idee.

Der Lila-Podcast hat sich vom Konzept diesen Sommer inspirieren lassen und unter dem Namen “Lila Sommerspecial” ebenfalls fünf andere Podcasts im eigenen Feed vorgestellt, jeweils mit ganzen Folgen und rahmenden Gesprächen. Weil mich interessiert hat, wie das ankam, hat mir Host und Labelchefin Susanne Klingner ein paar Fragen dazu beantwortet.

Susanne hat mir erzählt, dass es ein perfektes Format für die Sommerpause war und jeder im Team einen Podcast ausgewählt hat. Die Umsetzung sei vergleichsweise einfach gewesen, sagt sie. Leider habe es wenig Rückmeldung gegeben, die Abrufzahlen wären aber gerade für die Sommerzeit gut gewesen. “Unsere Partnerinnen haben sehr große Ausschläge nach oben gemerkt, bei Zugriffen auf die Website genauso wie bei den Abos bei Spotify.” Dem Lila Podcast hat es kaum zusätzliche Hörer*innen gebracht, aber das Team wertet die Unternehmung dennoch als Erfolg und vor allem “inhaltlich eine totale Bereicherung”.

Dieses Modell finde ich gerade für die freie Podcast-Szene hervorragend geeignet, um sich gegenseitig zu feiern, kleineren Podcasts zu mehr Reichweite zu verhelfen und den eigenen Hörer*innen beim Entdecken neuer Podcasts zu helfen. Klar, man kann auch einfach sagen, dass es die anderen Podcasts gibt, aber so ist es komfortabler und es hat einen redaktionellen Rahmen. Hätte ich endlos Zeit, ich würde einen Podcast machen, der einmal im Jahr nur aus zwei Wochen solcher Kurationen besteht – ein Festival eben (bis dahin behelfe ich mir mit dem Podcapril).

Bevor jetzt alle meinen Ratschlägen folgen und ihre Feeds vollballern – hier sind drei Dinge, die es zu bedenken gilt

I. Relevant bleiben

Ich finde, diese Art der Ausspielung von im Grunde fremden Inhalten funktioniert auf Dauer nur, wenn sie von den Hörer*innen her gedacht wird. “Liefere ich meinen Hörer*innen durch diese Nutzung meines Feeds einen Mehrwert?” sollte die wichtigste Frage sein. Nur dann läuft man nicht Gefahr, dass der ungewohnte Content als störend empfunden wird.

II. Vertrauter Rahmen

In allen Beispielen, die ich oben genannt habe, egal ob es sich um einen einfachen Trailer oder eine komplexe Kuration handelt, ist eine Sache gleich: Der fremde Inhalt purzelt nicht einfach so in den Feed. Die erste Stimme, die die Hörer*innen hören, ist immer die eines vertrauten Hosts, der den fremden Inhalt ankündigt und erklärt, warum er im Feed auftaucht. Diese Art der Einordnung finde ich unerlässlich. Sie sorgt dafür, dass die fremde Auswahl als Teil des gewohnten Podcasts wahrgenommen wird.

III. Die Dosis macht’s

Das versteht sich eigentlich von selbst. Ein Stilmittel, das zu oft eingesetzt wird, nutzt sich irgendwann ab. Wer seine Abokunden irgendwann nur noch mit Content bestückt, den sie nicht bestellt haben, wird sie verlieren. Aber als Bonus-Schmankerl zwischendurch glaube ich fest daran, dass es nicht nur funktioniert, sondern goutiert wird.

Dieser Umfrage auf Twitter zum Trotz:

Was denkt ihr? Schreibt es in die Kommentare oder antwortet mir auf dem gerade gesehenen Twitter-Account.

Werkschau (II)

Ich schreibe regelmäßig Texte, die an unterschiedlichen Stellen erscheinen. Häufig derzeit im Fachmagazin epd medien, wo sie nicht oder nur kurz online zu lesen sind. Deswegen möchte ich hier einen kleinen Überblick geben.

Über den ARD Audiothek Original-Podcast “Lost in Neulich” (Kritik in epd medien 25/2022)

“Alle Stränge aber, die sich eher um persönliche Gefühle und Identitätsfindung drehen, sind mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen für die Charaktere komponiert, die schnell mit ihren Sprecherinnen und Sprechern verwachsen. Auch hier ähnelt die Serie vielen anderen Soaps: ‘Lost in Neulich’ scheint fest entschlossen, alle aktuell zeitgeistigen Themen mitzunehmen, um sie an den Figuren zu verhandeln: Neben Genderidentität sind das Klimaschutz, Rassismus, Stadt-Land-Spaltung, Cannabis-Legalisierung und Generationenkonflikte. Die Themen werden aber von Tielcke, die im Fernsehen bereits an diversen Scripted-Reality- und Soap-Formaten mitgewirkt hat, gleichermaßen ernst genommen.”

Über Bettie I. Alfreds Hörspiel “Aus dem Hohlraum” (Kritik in epd medien 31/2022)

“Sind viele Menschen wirklich so, fragen wir uns. Leben sie ihre kleinen grauen Leben in kleinen grauen Kammern, voller unerfüllter Wünsche und vergrämter Gefühle? Stimmt es, dass jene Menschen, die stattdessen empathisch sind, einfach nur sehr tief in ihren eigenen Abgrund geblickt haben, wie es die Frau behauptet. Bleibt den verlorenen Menschen, wie sie Bettie I. Alfreds Hohlraum bewohnen, am Ende wirklich nur das Ende, das die Autorin für sie vorgesehen hat? Ist das Leben am Ende auch nur eine Kammer und kein Zimmer?”

Über die Position von Netflix und anderen Streaminganbietern in Deutschland (Leitartikel in epd medien 35/2022)

“Im Rückblick wird die Netflix-Story gerne als unglaubliche Erfolgsgeschichte in drei Akten erzählt. Zunächst disruptiert Netflix mit seinem abogestützten DVD-by-Mail-Modell den Heimvideomarkt und zerstört damit unter anderem die US-Videothekenkette Blockbuster. Dann, ab 2007 – also zwei Jahre nach dem Start von YouTube – bietet das Unternehmen seinen Kunden an, Filme auch einfach direkt über das Internet auf seiner Website abzurufen und lizenziert anschließend die Libraries mehrerer US-Mediengiganten, so dass das Gefühl entsteht, die Menschheit könne zukünftig an einem einzigen Ort Sofort-Zugriff auf die gesamte Film- und Fernsehgeschichte besitzen. Schließlich, beginnend spätestens mit House of Cards im Jahr 2013, wird Netflix selbst zum Produzenten der angesagtesten Serien auf dem Markt. Damit stürzt das Unternehmen auch das lineare Fernsehen in eine tiefe Krise, von der es sich wohl nie wieder wirklich erholen wird.

Die wirkliche Geschichte ist natürlich, wie immer, deutlich komplizierter.”

Über den Podcast “Generation Alpha” der KIKA-Unternehmenskommunikation (Glosse in epd medien 36/2022)

“‘Generation Alpha’, der Podcast, den sich der Kika selbst zum 25. Geburtstag geschenkt hat, ist nicht durchgängig Vorstandscontent. Aber, sagen wir mal so: Das Genre ist ihm nicht fremd. Auch wenn in den seit Januar alle zwei Wochen erscheinenden Episoden mit Inka Kiwit, Ann-Kathrin Canjé und Daniel Fiene drei journalistisch ausgebildete Menschen als Hosts auftreten, ist dem Format zumindest deutlich anzumerken, dass dahinter keine Redaktion, sondern die Unternehmenskommunikation des Kika steht. Für wen es produziert wird, welche Erkenntnis es bieten soll, ist nicht so ganz ersichtlich. Aber Chefs und Förderern des Kika gefällt es bestimmt.”

Über die interaktiven Hörspiele der ARD (Artikel auf 54 Books)

“Wenn wir uns also tatsächlich fragen, wie wir mit unseren Fiktionen interagieren wollen, machen die interaktiven Hörspiele der ARD verschiedene Angebote. Wir können die eigenschaftslosen Schatten im Zentrum einer Handlung sein, durch die wir uns tasten müssen, bis wir aus dem Labyrinth herausgefunden haben (das erfolgreiche Konzept, das auch Escape Games prägt). Oder wir können die Protagonist*innen durch unsere Entscheidungen überhaupt erst mit Eigenschaften ausstatten und sehen, wie sich die Handlung im Spiegel dieser Eigenschaften entfaltet. (Oder beides.)

Obwohl wir im ersten Fall deutlich stärker an den Kontrollen stehen sollten, schließlich sind es unsere Entscheidungen, die den Fortgang der Erzählung steuern, befinden wir uns aufgrund der begrenzten Handlungsmöglichkeiten eigentlich sehr in der Hand der Autor*innen und ihrer Absichten. Im zweiten Fall haben wir weniger Freiheit, das Ruder unseres Handlungsschiffes wild herumzureißen, doch unsere Entscheidungen fühlen sich wichtiger dafür an, wie wir das Erzählte wahrnehmen. Die Ergodizität ist geringer aber signifikanter. Der Plot, das Syuzhet, bleibt von Nutzer*in zu Nutzer*in ähnlich, die Story, die Fabula aber, ist formbar, ist interaktiv.”

Über das Hörspiel “Cryptos” von Janine Lüttmann nach Ursula Poznanskis Roman (Kritik in epd medien 38/2022)

“Ein großer Teil des Genusses von Lüttmanns Hörspiel dürfte davon abhängen, wie gut man mit dem dauerhaften Ich-Monolog von Elisa Schlotts Jana zurechtkommt. Der dreht sich allerdings auch wenig tatsächlich um das Innenleben der Figur, sondern ist davon bestimmt, dass einfache Handlungen beschrieben werden, nach dem Motto ‘Ich setze mich hin und stütze meinen Kopf in die Hände’. Diese Entscheidung bewahrt Cryptos einerseits vor der manchmal bleiernen Szenenhaftigkeit anderer Hörspiele und erlaubt Lüttmann überhaupt erst, sich schnell durch ihre Handlung zu bewegen. Sie führt aber auch gelegentlich zu einem Gefühl der Redundanz und mangelnden Lebendigkeit.”

Über den Podcast “Memes und Millionen” von Ruben Schaar, Katharina Koerth et al. (Kritik in epd medien 41/2022)

“Es ist nicht einfach, für Außenstehende zu beschreiben, wie es sich anfühlt, als Insider in einem solchen Forum (oder in anderen Ecken des Netzes, etwa auf Twitter) zu agieren, dessen Codes zu verstehen und aktiv zu nutzen. Das ‘Memes und Millionen’-Team fährt ein aufwändiges Sound-Design auf und versucht sogar einmal, das akustische Äquivalent eines Memes zu erschaffen, um seinen Hörenden zumindest einen Eindruck vom Leben im Reddit-Schützengraben zu verschaffen. Das funktioniert meistens ganz gut, vor allem, weil sich der Podcast nicht alleine darauf verlässt. Zu den drei mittendrin agierenden Protagonisten und den hörbar gemachten Netz-Prozessen ziehen die Hosts immer wieder auch externe Experten dazu und fahren den Rausch auf ein sachliches journalistisches Niveau zurück.”

Über die deutsche Produktion des Hörspiels “Erdsee” von Judith Adams nach Ursula K. LeGuin (Kritik in epd medien 42-43/2022)

“Dabei greift Adams auf eins der einfachsten und noch immer effektivsten Mittel des Hörspiels zurück: Sie lässt die Hauptcharaktere ihre eigenen Geschichten einander in der Rückschau erzählen, was zugleich eine emotionale Nähe zur erzählenden Figur und Rückfragen und Reflektion durch ihr Gegenüber zulässt. Auf diese Art kann viel szenisches ‘Tischdecken’ gespart werden, und die Handlung kann sich in wirkungsvollen, atmosphärischen Dialogen entfalten. Gibt man dann noch ein gelungenes Sound Design (das beworbene 3D-Audio fällt allerdings nicht nennenswert auf), gute Intro-Texte am Anfang jeder Folge (wunderbar gesprochen von Marit Beyer) und die erneut großartige Musik von Verena Guido hinzu, die ja auch bereits die Volker-Kutscher-Adaptionen des WDR zu Erlebnissen machte, ist man schnell in die fantastische Welt von Erdsee transportiert und will sie auch so bald nicht wieder verlassen.”

Über Moritz Hürtgens Roman “Der Boulevard des Schreckens” (Glosse in epd medien 42-43/2022)

“Wenn Hürtgens geistige Eltern David Lynch und Helmut Dietl sein sollten, hat Lynch sich in der Erziehung eindeutig durchgesetzt. Von den starken Bildern am Rande des Übersinnlichen, bis zur Rolle, die Wörter am Ende spielen, könnte Altkirching auch das bayerische Twin Peaks sein. Er wollte eine Geschichte schreiben, die “fesselnd und unterhaltsam” ist, hat Hürtgen in einem Tweet geschrieben. Das ist ihm in jedem Fall gelungen.”

Das ultimative Ranking der Glitzer-Einhorn-Feenwelten

Mein Kind ist jetzt viereinhalb Jahre alt. Seine früh erwachte Liebe zu Tieren und zu Dingen, die glitzern, hat es schneller als das wahrscheinlich der ganzen Familie lieb war, auf die Spur der diversen Angebote für Kinder zwischen 3 und 12 Jahre geführt, in denen sich magische Wesen aller Art tummeln. Einhörner sind eigentlich immer dabei, Feen oder Elfen meistens, dazu kommen je nach Laune Meerjungfrauen, Greife, Mantikore und andere magische Tiere und Pflanzen. Rosa und Lila sind meist die dominanten Farben, es geht um Kristalle und Regenbögen, Wünsche und Vollmondmagie.

Als Vater mit Fantasy-Hintergrund und Interesse für sowohl Worldbuilding als auch Franchising, kann ich diese Produkte nicht einfach ignorieren, obwohl ich sie fast nur per Osmose aufnehme. Zu sehr fasziniert mich, wie genau die Macher*innen die immer gleichen Motive variieren und neu zusammensetzen, um am Ende etwas zu erschaffen, das im Endeffekt genau ist, wie alles andere, was es bereits gibt. Hauptsache am Markt mitmischen.

Mir blieb daher nichts anderes übrig, als mich zumindest oberflächlich in die zu den jeweiligen Produkten ausgedachten Mythologien und Welten einzulesen und auf der Basis meines Wissens diese ultimative Liste zu erstellen. Man wird diese Welten nicht mehr los, sie sind zu erfolgreich. Also lohnt es sich wenigstens, zu wissen welche die schlimmsten (und die am wenigsten schlimmen) sind.

8. Einhorn-Paradies

© Coppenrath

Was es ist: In erster Linie eine Buchreihe im Coppenrath-Verlag, aber natürlich gibt es auch Hörspiele, ein eigenes Magazin mit Klimbim-Extras und Merchandising-Produkte.

Wer dahinter steckt: Einhorn-Paradies ist ein Spinoff des im gleichen Verlag erschienenen Lilifee-Universums von Monika Finsterbusch (s.u.). Die Geschichten schreibt die Autorin Anna Blum, die Illustrationen stammen von Julia Gerigk.

Stil: Das Einhorn-Paradies ist etwas pastelliger als seine Mitbewerber, der Illustrationsstil etwas verspielter – angelehnt an das Lilifee-Universum.

Kosmologie: Die Einhörner leben auf einer Gruppe von Inseln mit sprechenden Namen wie Glimmerland und Blütenaue. Die Vergnügungsinsel Traumriff wird nur zu bestimmten Anlässen geöffnet. Das Leben der Wesen auf den Inseln dreht sich stark um den Fruchtbarkeitszyklus der Natur.

Hauptfiguren: Die drei Haupt-Einhörner der Geschichten heißen Rosie, Blue und Vanilla, was jeweils ihre Fellfarbe beschreibt.

Zentrale Konflikte: In quasi jedem Band stimmt irgendwas mit der Magie der Einhorninseln oder einzelner Figuren nicht.

Urteil: Viel bin ich bisher mit dem Einhorn-Paradies noch nicht in Berührung bekommen, aber ich fand es mit Abstand die doofste aller Glitzerwelten, einfach weil die Welt so papierdünn ist und die pastelligen Illustrationen nicht helfen.

7. Bayala

© Blue Ocean Entertainment

Was es ist: Eine Welt voller Einhörner, Elfen und Meerjungfrauen, herumgestrickt um die Spielfiguren der Firma Schleich. Dazu gibt es auch ein Magazin, einen Film und ein Videospiel.

Wer dahinter steckt: Soweit ich es recherchieren konnte, launchte das ehemalige Traditionsunternehmen Schleich die Marke Bayala 2012 um seinen sonst eher neutralen (oder bereits extern gebrandeten) Figuren eine eigene Franchise-Spielwelt zu geben, die sich in andere Medien erweitern lässt.

Stil: Die Bayala-Figuren sind die barocksten von allen. Einhörner wie Elfen haben übermäßig lange Haare mit üppigen Stylings. Ihre ausgebreiteten Flügel nehmen im Regal wie im Rucksack sehr viel Platz weg.

Kosmologie: Bayala hat helle und dunkle Elfen, die in ständiger Fehde zueinander stehen. Die Meervölker leben in einem eigenen Land namens Meamare.

Hauptfiguren: Alle Figuren haben zweisilbige Namen wie Jaro, Sera und Surah (not kidding), außer Elfenkönigin Eyela.

Zentrale Konflikte: Im Film geht es um das beliebte Thema “Die Magie stirbt aus”, in einem Comic, das ich vorlesen musste, ging es um Elfen vs. Dunkelelfen.

Urteil: Bayala ist schon ziemlich schrecklich, einfach weil es so generisch ist, aber so tut, als wäre es gewichtig. Die Auflösung in einer Geschichte über eine Schatzsuche, die ich vorlesen musste, war tatsächlich “Der wahre Schatz ist Freundschaft”.

6. Sternenschweif

© Kosmos

Was es ist: Eine Buchreihe, die eine Abwandlung des “Mädchen und Pferde”-Genres ist, in der das Pferd heimlich ein Einhorn ist, was aber nur seine Besitzerin weiß. Hörspiele gibt es auch, sowie andere gebrandete Buchprodukte wie Freundschaftsbücher und Poesiealben.

Wer dahinter steckt: Die britische Autorin Linda Chapman hat insgesamt 15 Sternenschweif-Bände geschrieben, danach wurde die Geschichte von diversen Ghostwritern ad nauseam fortgesetzt. In Deutschland erscheinen die Bücher bei Kosmos.

Stil: Sternenschweif hat vor einigen Jahren ein Makeover von der Illustratorin Anna-Lena Kühler bekommen, die einen relativ poppigen Airbrush-Stil mit sehr kindlich aussehenden Menschen pflegt. Allgegenwärtig sind aber noch die alten Sternenschweif-Cover und -Bilderbücher, deren Stil aussieht, als wäre er direkt aus den “Three Wolf Moon”-mäßigen 80er-Jahren aufgetaut worden, inklusive sehr viel Glitzer.

Kosmologie: Alle Einhörner haben “Hüterinnen”, die ihr Geheimnis kennen, es gibt aber auch noch eine darüber hinausreichende Mythologie mit der Einhornwelt Arkadia, die weiteren komplizierten Regeln folgt.

Hauptfiguren: Die Hauptfigur heißt Laura, ihr Pony Sternenschweif muss von ihr mit einem Zauberspruch in eine Einhorn verwandelt werden, dann kann es auch fliegen und (mit tiefer männlicher Stimme) sprechen. Laura hat eine Familie, Freundinnen und lernt im Laufe der Zeit auch einige andere Hüterinnen kennen.

Zentrale Konflikte: Meist geht es darum, anderen Menschen zu helfen oder die Welt der Einhörner zu retten.

Urteil: Sternenschweif passt nicht so ganz in die Reihe, da es nicht wirklich in einer eigenen Welt spielt, aber es ist mir durch die schrecklichen Hörspiele dazu nachhaltig vergällt und ich will davor warnen. So unmusikalisch muss man erstmal sprechen können. Auch die Geschichten selbst sind merkwürdig konservativ und langweilig. Der ganzen Serie fehlt es an Witz oder Überraschung.

5. Einhorn Glitzerglück

© HABA

Was es ist: Eine lose designte Welt rund um vier Einhörner und einen Hasen, die im Wolkenland leben und dort Abenteuer erleben.

Wer dahinter steckt: Die Spiele- und Spielzeugfirma HABA, die ein gemeinsames Branding für Kleinkinderspiele (ab 2,5 Jahren) und angeschlossene Merchandising-Produkte suchte. Illustriert werden die Einhörner von Simone Roehe.

Stil: Die Glitzerglück-Einhörner sind, der Zielgruppe entsprechend, noch ein gutes Stück runder und kindlicher als ihre Äquivalente aus anderen Welten.

Kosmologie: Im Wolkenland existiert das Wolkenschloss und der Wolkengarten, in dem ein Kirschbaum steht.

Hauptfiguren: Glitzerglück (pink), Sternenstaub (gelb), Wunderblume (lila) und Zauberwirbel (türkis) sowie der Hase Finni (pink).

Zentrale Konflikte: keine

Urteil: “Glitzerglück” hat keine Handlung und keine ernstzunehmenden Charaktere. Ich kann mich aber nicht erwehren, eine gewisse Genialität im Zusammen-Branden mehrerer Spiele, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, für eine spezifische Zielgruppe zu sehen – Spätkapitalismus at its best.

4. Prinzessin Lilifee

© obs/Coppenrath Verlag/Blue Ocean Entertainment AG

Was es ist: Eine 2004 geschaffene Feenfigur, deren Freundesensemble, zunächst in Büchern, dann in Hörspielen, Serien, Musicals, Magazinen und Filmen stetig gewachsen ist und die zudem von Anfang an eine riesige Barrage an Merchandising-Artikeln schmückt.

Wer dahinter steckt: Die Autorin Monika Finsterbusch und der Coppenrath-Verlag (sowie hunderte Lizenznehmer).

Stil: Lilifees zentraler Stil sieht aus wie mit Buntstiften gemalt, zentrales irritierendes Merkmal ist der dauerhafte Kussmund der Hauptfigur.

Kosmologie: Lilifee lebt in einem Blütenschloss mit Zaubergarten, der wiederum im Feenreich liegt. Diverse andere Länder bieten jedes Setting, das die Geschichte benötigt: Meer, Dschungel, Orient etc.

Hauptfiguren: Lilifee hat eine ganze Reihe Freunde, darunter die Mäuse Cindy und Clara, der Frosch Carlos, der Käfer Oscar, der Hase Henri, das Schwein Pupsi (!) und natürlich auch ein Einhorn namens Rosalie. Auch andere Figuren, andere Feen, Hexen, Meervölker und Elfen, tauchen in regelmäßigen Abständen auf.

Zentrale Konflikte: Die Lilifee-Geschichten sind vielfältig, aber im Kern geht es fast immer darum, das etwas mit der Welt nicht stimmt, das von der Fee und ihren Freunden geradegerückt werden muss. Lilifees Auftrag (und Fluch) ist, dass sie immer für andere da ist und ihnen hilft.

Urteil: Lilifee ist in Deutschland das originale Franchise für Leute, die sich über rosa Glitzerwelten für Mädchen aufregen möchten, und hat durch ihre schiere Dominanz über die Jahre viel Kritik auf sich gezogen (etwa dieser Artikel von 2009). Es lässt sich sicher argumentieren, dass hier Care-Arbeit als typisch für Mädchen glorifiziert wird, die Welt ist auch tatsächlich eine Spur zu niedlich und zuckersüß, aber die Geschichten bilden durchaus eine Vielfalt von Konflikten und Ideen ab und beweisen dabei auch immer wieder Humor.

3. Centopia

© Hahn Film/m4e

Was es ist: Die Welt von Mia and Me, einer Fernsehserie (und seit diesem Jahr ein dazugehöriger Kinofilm), in dem ein Mädchen in einem Internat mithilfe eines magischen Buchs in eine Einhorn-Feenwelt reist, in dem sie selbst eine Fee ist.

Wer dahinter steckt: Das deutsche Trickfilm-Urgestein Gerhard Hahn (Werner: Beinhart) produzierte die Serie erstmals 2011 als deutsch-italienisch-kanadische Koproduktion.

Stil: Mia and Me ist ein Mix aus Realfilm und 3D-Animation. Die Figuren sind stark an Anime-Ästhetik angelehnt, aber europäisch “abgerundet” und in ihren Farben um einiges intensiver als die anderen Kandidaten dieser Liste.

Kosmologie: Die Welt Centopia ist eine Insel, die aussieht wie ein Einhornkopf, und enthält alle Landschaftstypen, die es für die Geschichten braucht. Während Mia in Centopia ist, vergeht in unserer Welt keine Zeit.

Hauptfiguren: Mia ist ein 12-jähriges Mädchen, das in Florenz auf ein Internat geht und dort einen Freund namens Vincent hat. In Centopia stehen ihr die Elfen Mo und Yuko sowie der tapsige Sidekick Phuddle zur Seite. Gemeinsam kämpfen sie gegen die böse Panthea, ihre Handlangerin Gorgona und deren Munculus-Armee.

Zentrale Konflikte: Panthea will durch das Jagen von Einhörnern unsterblich werden. Mia und ihre Freunde versuchen das immer wieder zu verhindern. Im Realfilm-Teil geht es um die typischen Kämpfe eines präpubertären nicht-populären Mädchens.

Urteil: Auch wenn die Animationsfiguren schlimm aussehen, geht es hier immerhin um echte Geschichten, die aufeinander aufbauen und eine gewisse Kohärenz aufweisen.

2. Ayuma

© Playmobil

Was es ist: Die Feen-Glitzerwelt von Playmobil, zu der es neben Spielfiguren auch eine Kurz-Serie auf YouTube gibt.

Wer dahinter steckt: Der deutsche Spielwarengigant Playmobil.

Stil: Ayuma hebt sich von den anderen Glitzerwelten durch einen Goth-Fantasy-Anstrich ab. Viele Szenen spielen in der Nacht, in der das Mondlicht für einen fluoreszierenden Look sorgt.

Kosmologie: Ayuma spielt im Feenwald, in dem es verschiedene Feen-Stämme gibt, darunter Forest Fairies, Crystal Fairies und Knight Fairies, die jeweils eigene Tier-Kameraden haben.

Hauptfiguren: Elvi, Leavi und Josy sind Feen unterschiedlicher Stämme, die gemeinsam Abenteuer erleben.

Zentrale Konflikte: In Ayuma dreht sich alles um die Macht von Kristallen, aus denen die Feen ihre Energie ziehen und um die es natürlich regelmäßig Streit gibt.

Urteil: Ayuma ist in Sachen Glitzergedöns und Augengröße der Hauptfiguren natürlich genauso schlimm wie alle anderen Welten, aber irgendwie hat es mir der stärker in Richtung Fantasy lehnende Stil und die Diversität der Hauptfiguren angetan – hier geht es endlich mal nicht nur um Wolken, Blumen und magischen Glitzerglanz in rosa, blau und gelb. Manche Fairies sehen aus, als wären sie direkt aus RuPauls Drag Race entsprungen.

1. Equestria

© Hasbro

Was es ist: Die Welt der “My Little Pony”-Spielzeuglinie von Hasbro und der angeschlossenen Serie My Little Pony: Friendship is Magic.

Wer dahinter steckt: Das erste “My pretty Pony” von Hasbro wurde bereits 1981 erfunden und die ursprünglichen “My Little Pony”-Spielzeuge brachten in den 80ern und 90ern auch schon animierte Filme hervor, doch hinter dem erstaunlich erfolgreichen Reboot, aus dem auch die Welt Equestria stammt, steckt die Autorin und Animatorin Lauren Faust (Powerpuff Girls).

Stil: Lauren Fausts Stil arbeitet mit einfachen Formen und Linien sowie einem deutlichen Bekenntnis zur Zweidimensionalität (die Serie wurde ursprünglich in Flash animiert), das ihre Herkunft aus den Cartoon-Network-Shows der 90er verrät.

Kosmologie: Equestria ist ein Kontinent auf einer erdähnlichen Welt, der stark an Nordamerika erinnert und sich ansonsten an klassischen Fantasy-Elementen orientiert.

Hauptfiguren: Die eifrige Einhornprinzessin Twilight Sparkle und ihre Freunde Applejack, Rarity, Fluttershy, Rainbow Dash und Pinkie Pie sowie der Drachen-Sidekick Spike.

Zentrale Konflikte: Auf Equestria gibt es immer etwas zu tun und das Gegengift ist immer Freundschaft, wobei Freundschaft viele verschiedene Formen annehmen kann und durchaus auch Schwierigkeiten mit sich bringt.

Urteil: Zugegeben: Meine unmittelbaren Erfahrungen mit My Little Pony beschränken sich auf den Kinofilm von 2017, der mich überraschend, aber auch nicht ganz überraschend, um seinen Finger gewickelt hat. Da hinter dem Film aber das gleiche Team wie hinter der Serie steckte, vermute ich, dass auch diese (und der Erfolg gibt ihr da recht) die gleiche Mischung aus All-In-Cuteness bei gleichzeitiger Subversion derselben beherrscht. Diese Mischung habe ich bei keiner der anderen Welten entdecken können, auch wenn einige sich ab und zu ein wenig albernen Humor erlauben. Und auch wenn Equestria, genau wie all ihre Cousins und Kusinen, auch nur ein Setting ist, das geschaffen wurde, um Spielzeuge zu verkaufen, so hat es sich und seine Charaktere über die Jahre doch am stärksten davon emanzipiert und lässt sich auch ganz gut ohne daran anschließende anstrengende Gespräche im Spielzeugladen genießen.

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Postapocalypse Now!

Photo by frank mckenna on Unsplash

Ich habe angefangen, Nevil Shutes Roman On the Beach von 1957 zu lesen, und die ersten Kapitel begeistern mich. Sie zeigen einen postapokalyptischen Alltag, den ich so viel interessanter finde, als alles andere, was ich bisher gesehen habe.

Das Setting des Buchs: Die Nordhalbkugel hat sich per nuklearem Krieg gegenseitig ausgelöscht, aber in Australien sind keine Raketen gelandet und deswegen geht dort das Leben vorerst relativ normal weiter. Strom wird aus Kohlekraft erzeugt, nur Öl gibt es nicht mehr. Also fahren die Menschen seit einigen Jahren kein Auto mehr, sondern Zug, oder sie sind wieder auf Pferdekarren und Fahrräder umgestiegen.

Alle erwarten, dass der Fallout schon irgendwann auf die Südhalbkugel driften wird und auch in Australien alles vergiftet, aber das dominante Gefühl ist ein “neues Normal”. Amerikanische Soldaten, die zufällig in Australien stationiert waren, und jetzt ihrer Heimat und ihren verstorbenen Frauen hinterherweinen, werden eher als nerviges Ärgernis gesehen.

Das typische postapokalyptische Setting von Mad Max bis The Walking Dead gefällt sich eher darin, die Menschen auf ein urtümliches Niveau zurückzuwerfen, um zu verhandeln, ob unsere Spezies im Kern sozial oder eigennützig ist. Solche Szenarien eignen sich auch dafür, individuellen Heroismus wieder stärker ins Zentrum zu rücken und spannende Abenteuergeschichten zu erzählen. Als alternatives postapokalyptisches Setting ist im digitalen Zeitalter noch das Matrix-Szenario dazugekommen: Die Menschheit entflieht ihrer desolaten realen Welt durch fantastische virtuelle Welten.

Ich habe noch nicht viel Cli-Fi gelesen, aber gerade im Jugendbuch wird die Welt nach der Klimakatastrophe häufig eher als Kulisse für die genannten Abenteuergeschichten genutzt.. So verhält es sich etwa bei Sarah Raischs All That’s Left und bei Ursula Poznanskis Cryptos. Auch Paolo Bacigalupis The Windup Girl hat zwar ein sehr fantasievolles Worldbuilding, erzählt aber im Kern eine klassische Sci-Fi-Geschichte. Kim Stanley Robinsons The Ministry for the Future hat noch einmal einen anderen Ansatz und schreibt die Chronik der abgewendeten Katastrophe, oft eher aus der Vogelperspektive.

Die vergangenen Jahre haben eines noch einmal deutlich gezeigt: Wenn es wirklich zur Katastrophe kommt, egal ob durch Klima oder Atomkrieg, werden die meisten Menschen versuchen, ihr bisheriges Leben so nahtlos wie möglich aufrechtzuerhalten, bis es zu spät ist. Dieser Limbus-Zustand einer unverbesserlichen Menschheit, zu träge für echte Veränderungen, fasziniert mich.

Ich würde gerne mehr aus solchen Zwischenzukünften lesen, in denen die Welt leicht verschoben ist, aber die Menschen sich einfach an ein neues Normal angepasst haben. Wie eben während einer Pandemie, eines Extremwetter-Zeitalters oder während einer Energiekrise. Wir befinden uns schon fast in einer postapokalyptischen Welt. Wenn wir in ein paar Jahren die Gradziele des menschgemachten Klimawandels gerissen haben, werden wir dort endgültig angekommen sein. Und es wird eben keine Mad Max-Wüstenei sein, sondern die gleiche Erde wie zuvor, nur deutlich unangenehmer.

Ich habe erst wenige Kapitel von On the Beach gelesen und weiß noch nichts darüber, wie das Buch weiter- und ausgehen wird. Angesichts der Tatsache, dass die Hauptfigur ein Marineoffizier ist, der drauf und dran ist, in einem U-Boot aufzubrechen, befürchte ich Schlimmes und Tragisches. Aber der Anfang dieses 65 Jahre alten Romans beschreibt das Gefühl unserer nahen Zukunft besser als alles, was ich bisher kannte. Plus ça change.

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Journelle

Meine erste re:publica 2014 war ziemlich magisch. Sie bestand eigentlich nur daraus, die besondere Atmosphäre eines Ortes einzusaugen, von dem ich über Jahre immer wieder so viel gehört hatte. Dazu gehörte auch, ganz viele Menschen, deren Worte ich seit Jahren im Internet las, mal persönlich zu treffen.

Irgendwann saß ich zwischen zwei Veranstaltungen in den Stuhlreihen und hörte, wie sich hinter mir zwei Personen unterhielten, die ich kannte und schätzte. Und weil in diesem Moment das Fandom mit mir durchging, tat ich etwas, was man eigentlich gerade als Mann gegenüber Frauen nicht tun sollte. Ich drehte mich um, und mischte mich ins Gespräch ein, einfach weil ich die beiden kennenlernen wollte. Später habe ich mich entschuldigt, und sie haben mir zum Glück verziehen. Eine der beiden Gesprächspartnerinnen war Patricia “Das Nuf” Cammarata. Die andere war Journelle.

Ich weiß ehrlich gesagt relativ wenig über die Einzelheiten von Journelles Internet-“Karriere”. Für mich zählt sie einfach zu den wichtigen deutschen Bloggerinnen der ersten (oder zweiten) Stunde, der auch den ursprünglichen Geist des Bloggens perfekt verkörperte. Jemand, der nicht aus dem Medienbetrieb stammt und das Blog als Brand Extension und Internetpräsenz hat, sondern der einfach viele interessante Gedanken in sich trägt, diese aufschreibt und damit bei anderen Resonanz erzeugt. An Journelles Blog-Essays, später an ihren Twitter-Threads und Vorträgen, zu Themen wie Feminismus, Sexualität und Körperbildern konnte man sich gut reiben, sie waren aber nie plumpe Provokation, sondern kamen immer aus dem gut informierten und reflektierten Geist eines klugen Menschen.

2015, auf meiner zweiten re:publica, habe ich Journelle wieder und etwas länger getroffen. Wir haben uns abends auf dem Gelände getroffen und sind schließlich noch zu zweit etwas trinken gegangen. Ich habe über die Jahre sehr oft an diesen Abend zurückgedacht. Es war eines dieser Erlebnisse, wo mir eine beinahe Fremde in kürzester Zeit zu einer engen Vertrauten wurde, mit der ich Gedanken austauschte und der ich sehr private Dinge erzählen konnte, gerade weil wir uns eigentlich nicht kannten. In diesem Gespräch habe ich auch ein bisschen mehr über ihr Privatleben erfahren, aber wir gingen auseinander in diesem merkwürdigen Internetfreundschafts-Zwischenzustand, wo man nicht wirklich befreundet, aber einander auch nicht mehr fremd ist.

Das letzte Mal, dass ich direkt mit Journelle zu tun hatte, war 2020, als sie freundlicherweise zu Beginn der Pandemie ein kurzes Podcastgespräch mit mir geführt hat. (Im “Briefcast” war sie zwischendurch auch selbst zur Podcasterin geworden.)

Das letzte Mal, dass ich über sie gesprochen habe, war ironischerweise auf der diesjährigen re:publica und wieder mit Patricia, die mir sagte, dass Elena eigentlich auch irgendwo rumlaufen sollte. Gesehen habe ich dann sie leider nicht, aber ich habe mich immer auf den Moment gefreut, wo ich endlich die Gelegenheit dazu haben würde. Es hätte viel zu besprechen gegeben und alleine die Vorfreude auf die Wiedersehensfreude hat einen kleinen Motor in mir am Laufen gehalten.

Als ich heute morgen erfahren habe, dass Journelle vor ein paar Tagen überraschend gestorben ist, ist mir ein Blitz ins Herz gefahren. Es macht mich schrecklich traurig, dass sie nicht mehr da ist, dass sie ihre Gedanken nicht mehr mit der Welt teilen wird, und das wir nie wieder miteinander sprechen werden können. Sie war eine großartige Person, die der Internetgemeinschaft und mir persönlich sehr fehlen wird. Ich denke an ihre Familie und wünsche ihr viel Kraft in der beschissenen, schwarzen Zeit, die folgt. Ich hoffe, es stärkt sie ein ganz kleines bisschen, dass Journelle ein von so vielen so geliebter und geschätzter Mensch war und dass ihre Erinnerung ganz sicher nicht schnell verschwinden wird.