Aktivitäten der letzten Monate Q1/2022

Hier im Blog landet alles, was in meinem Kopf herumspukt. Aber regelmäßig geben mir Leute für diese Gedanken sogar Geld. Hier ein kleiner Überblick:

54books

Ich habe erstmals einen Artikel für das Internet-Feuilleton 54books geschrieben. Darin geht es um meine Beobachtungen zum Vorlesen von Bilderbüchern in den letzten Jahren.

Auch Kinder verdienen Dramaturgie: Was gute Bilderbücher ausmacht

epd medien

Hörfunkkritiken zu Sneakerjagd (01-02/22), Unter Drohnen (07/22), Wild Wild Web – Der Pornhub-Effekt (08/22), Just Love (11/22), Hier spricht die Polizei (12/22)

Kolumne Tagebuch: “Kritik im Dialog. Filmpodcasts eröffnen neue Perspektiven

Das Einzige, woran es in der deutschen Filmpodcastlandschaft derzeit noch mangelt, sind komplexere Formate, die die großen Geschichten rund ums Filmemachen für heimische Ohren aufbereiten. Kaum ein Medium eignet sich besser für Oral History. Die katastrophale Entstehungsgeschichte von „Fegefeuer der Eitelkeiten” ist bei “The Plot Thickens” nachzuhören, während „Origins” mit warm leuchtenden Erinnerungen an “Almost Famous” glänzt. Darum an dieser Stelle ein Aufruf an die Podcast-Szene: Interviewt die Beteiligten an legendären Film- und Fernsehprojekten der deutschen Vergangenheit, bevor es zu spät ist. Pitcht eure Podcasts über „Das Boot”, “Männer„, “Die unendliche Geschichte” oder “Kir Royal” noch heute! Wir wollen endlich die Geschichten hinter den Filmen hören.

Kolumne Tagebuch: “Erhellende Einblicke: Der Funk-Kanal ‘How to Deutschland‘”

Wie sie nützlich sein und einen Mehrwert schaffen können, ist auch grundsätzlich die beste Frage, die sich Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Netzwerken in Krisensituationen stellen können (und nicht die deutlich populärere „Wie kann ich meine unqualifizierte Meinung allen bereits existierenden Meinungen noch hinzufügen?”).

epd film

Film-Podcasts: Lass uns drüber reden” (Ausgabe 12/21)

piqd

Piqd Autorenprofil mit allen Beiträgen

Kulturindustrie

039 – Spencer, Mann beißt Hund, Ende in Sicht

041- Moonfall, Yellowjackets, Automaton

042 – Parallele Mütter, Phantasmen, Petite Maman

Diesen April höre ich nur neue Podcasts – hilf mir oder mach mit! #Podcapril

Ah … ein Podcast, den ich noch nicht kenne. Foto: Katharina Matzkeit

In einer durchschnittlichen Woche höre ich etwa 25 bis 30 Podcasts.*

Ich bin mir nicht mal sicher, ob das auf den ersten Blick nach viel oder wenig aussieht, aber ich vermute, dass es etwa zwei bis zweieinhalb Stunden pro Tag sind, je nach Tagesablauf.

Mein Problem dabei: Die meisten dieser 25 bis 30 sind Podcasts, die ich schon lange und gerne höre. In meinem Leben, das neben Podcasts ja auch noch voll ist mit anderen Dingen wie Arbeit, Familie und Hobbys, ist wenig Zeit für regelmäßige Entdeckung neuer Podcasts. Ab und zu finde ich mal etwas, was mich so sehr fasziniert, dass ich einen Platz dafür finde. Immer wieder committe ich mich auch auf Podcasts-Seasons mit einer begrenzten Menge Folgen. Und manchmal darf ich Dinge hören und bezahlt darüber schreiben. Aber eine wirkliche Lücke für Neuentdeckungen besteht in meinem Zeitplan nicht.

Das ändere ich dieses Jahr. Im April werde ich all meine regulären Podcast-Abos ignorieren und stattdessen

  1. endlich mal in all die Podcasts reinhören, von denen ich schon so viel gehört habe (auf meiner Liste stehen bisher Rice and Shine, Narcoland, Fix und Vierzig, Fomo, 190220 – Ein Jahr nach Hanau, Lost in Neulich, Das perfekte Verbrechen, 9/12, Vollkommen unperfekt und Drinnies)
  2. weitere Podcasts hören, die mir andere Menschen empfehlen.

Ich hoffe, damit meinen Horizont mal systematisch zu erweitern und etwas von meiner doch sehr stark von einer bestimmten US-amerikanischen Radioschule geprägten Podcast-Kost loszukommen. Komfort-Hören ist bei Podcasts natürlich auch total wichtig, aber sollte für Möchtegern-Kritiker wie mich nicht der einzige Modus sein.

Wer möchte, kann mir bei der Horizonterweiterung helfen und mir Podcasts empfehlen, gerne auch den eigenen. Ich bitte dabei nur um Folgendes: Mein Ziel ist Breite, nicht Tiefe, bitte empfehlt mir auch bei lange laufenden Gesprächspodcasts nur einzelne Folgen und schreibt mir idealerweise noch dazu, warum die Folge sich lohnt. Auf Wunsch bedanke ich mich mit einer kurzen Rezensionsnotiz hier im Blog, auf Twitter und/oder bei Apple Podcasts. Wenn ich tweete, dann unter dem auf maximale Blödheit optimierten Hashtag #Podcapril.

Haben vielleicht andere Podcasthörer*innen Lust, sich mir anzuschließen? Dann sagt mir doch Bescheid und/oder benutzt den gleichen Hashtag.

Ihr erreicht mich auf Twitter unter @alexmatzkeit oder per Mail an bonjour@realvirtuality.info.

Einen fröhlichen #Podcapril allerseits!

`* Montag: This American Life, The Commander Sphere, The Command Zone, The Upkeep; Dienstag: The Best Advice Show, WTFM 100,0, Switched on Pop, Das Coronavirus-Update, All Songs Considered; Mittwoch: Slate’s Culture Gabfest, Planet Money; Donnerstag: Good One, Limited Resources; Freitag: New Music Friday, Drive to Work, Die Wochendämmerung, Über Podcast, Holger ruft an; Sonntag: Working, Ein Filmarchiv, dazu Podcasts die monatlich oder unregelmäßig erscheinen oder von denen ich nur manche Folgen höre wie Tasty MTG, The 11th, Hit Parade, Decoder Ring, Death, Sex and Money, Alles ist Film, Sexy und Bodenständig. Song Exploder, Das Tropenhaus, Casual Magic, CUTS, The Q&A with Jeff Goldsmith, MKL, HowSound, King Kong Klima, Alles gesagt?, Alexander’s Ragtime Band, Slow Burn, You Must Remember This, VFX Notes und Mediasres.

Journalistische Arbeit als Podcast-Plotpunkt

Symbolbild: Mit diesem Mikrofon wird sicher niemand etwas aufnehmen, denn es ist nicht eingesteckt. (Chris Engelsma, CC-BY 3.0)

Der neueste Podcast aus dem Hause Serial/New York Times heißt The Trojan Horse Affair. Darin spüren zwei Journalisten einem Brief nach, der Anfang der 2010er Jahre erst in Birmingham und anschließend in ganz Großbritannien für Debatten und später sogar politische Maßnahmen sorgte, weil er angebliche Pläne aufzeigte, Schulen in der Stadt gezielt zu islamisieren. In The Trojan Horse Affair geht es darum, wer diesen Brief geschrieben hat, und warum.

Doch es geht noch um mehr. Der Podcast hat einen richtiggehenden B-Plot, der nicht nach außen, sondern nach innen gekehrt ist. The Trojan Horse Affair ist auch eine Art Buddy Movie über zwei Journalisten – der eine älter, weiß, erfahren (Brian Reed, S-Town), der andere, Hamza Syed, jünger, frisch auf der Journalistenschule und brown. (Hier reden die beiden darüber.) Gemeinsam loten sie aus, was Journalismus leisten sollte und darf, wann das Ergebnis einer Recherche befriedigend ist und wann nicht. Die Gespräche darüber machen einen erheblichen Teil des Podcasts aus. Sie lassen gleichzeitig die Arbeit transparent werden und sie sorgen für einen zweiten, inneren Konflikt zusätzlich zum äußeren, wie aus dem Drehbuch-Lehrbuch. (Wie Willa Paskin im Slate Culture Gabfest festgestellt hat, endet er wie viele Podcasts dieser Art außerdem auf einer Art konstruktivistischer “Was ist eigentlich Wahrheit?”-Note, aber das nur am Rande.)

The Trojan Horse Affair ist nicht der erste Serial-Podcast, der seine eigene Arbeit zum Thema macht. Schon im ursprünglichen Serial ging es genauso um die Arbeit von Sarah Koenig und ihrer Producerin Julie Snyder wie um den Mord, in dem die beiden herumwühlten. Und schon damals machte diese Transparenz einen Teil des Appeals aus. Das Problem bei Trojan Horse: Es werden gerade Vorwürfe laut, dass die Journalisten eben nicht transparent genug gewesen seien. Die Darstellung ihrer Recherche stütze einseitig ihre Thesen, lasse manche Interviewpartner zu leicht davonkommen und gehe mit anderen zu hart ins Gericht. Dieser Artikel in “Vulture” fasst die ganze Debatte ganz gut zusammen, gibt den Autoren Raum für Reaktion und vermutet vor allem einen konservativen Backlash, aber eine kritische Frage finde ich berechtigt: Hätte es diese Debatte überhaupt gegeben, wenn Syed und Reed ihre eigene Arbeit nicht so plotdienlich thematisiert (und dadurch auch erzählerisch sortiert) hätten?

Ich finde es grundsätzlich gut, wenn Podcasts auch von ihrer Recherche erzählen, denn ich bin Medienjournalist und Journalismus-Nerd und manchmal interessiert mich fast mehr, wie ein Medium entsteht als was es enthält. Die Art, wie diese Entstehung erzählt wird, macht aber viel aus. In 11 Leben berichtet Max-Jacob Ost, dass er erst nach dem Treffen mit einem Dramaturgen auf die Idee kam, seine eigene Arbeit am Podcast und die Frage “Gelingt es mir, ein Interview mit Uli Hoeneß zu ergattern?” zum B-Plot des Projekts zu machen, der aber durchaus zur Unterhaltung und zum Spannungsbogen beiträgt. Er sorgt für Ereignis-Highlights wie einem zufälligen Treffen an der Kühltheke im Supermarkt und er lässt das Ende deutlich befriedigender erscheinen. Aber es ist schwer zu sagen, ob diese eigene Reise vollständig oder nur plotdientlich erzählt wurde.

Andere, insbesondere investigative Podcasts, erzählen ebenfalls von ihrer Arbeit, schaffen es aber nicht immer, diese als Teil des Spannungsbogens zu verkaufen, sondern sie einfach nur wie ein bisschen Flexing um die Recherche aufregender erscheinen zu lassen. In meiner Kritik zum Podcast Just Love für epd medien habe ich das so beschrieben:

Wir haben das aufgedeckt, heißt es, und dafür haben wir einen enormen Aufwand betrieben. Es folgt (…) eine Aufzählung dieses Aufwandes – Recherchen, Interviews, Akteneinsichten – als müsse man ganz zu Anfang nicht nur die Zuhörenden von der Qualität der Ergebnisse überzeugen (über die dieser Aufwand natürlich wenig aussagt (…)), sondern auch den Verantwortlichen im Verlag oder Sender erklären, wo ihr Geld geblieben ist.

Trommeln gehört zum Handwerk und Konventionen zum Genre, aber es wäre schon manchmal angenehm, wenn Reportagen ohne dieses Gebelle auskommen würden. Das gilt vor allem, wenn sie wie „Just Love“ (…) gar nicht so schrecklich viel Neues aufdecken. Was nicht schlimm ist. Enthüllung muss nicht immer das Ziel einer guten Podcast-Reportage sein. Es kann ein großer oder sogar größerer Wert sein, existierende oder bekannte Fäden zusammenzuführen und zu einem Gesamtnarrativ zu verdichten. „Just Love“ gelingt das am Ende sogar, aber bis die Hörenden sich dahin vorgekämpft haben, müssen sie sehr viel performative Recherchearbeit über sich ergehen lassen.

Diese Art von “performativer Recherchearbeit” finde ich die Kehrseite der inzwischen anscheinend etablierten Weisheit, das man den Journalismus auch zum Thema machen sollte. Als Hörende erfahren wir dabei wenig bis nichts über die Menschen, die den Podcast machen, über ihre Motivationen oder über die Sackgassen, die ihre Recherche genommen hat. Es bleibt nur die, wie es Carina und Sandro Schroeder in ihrem neuen Podcast Ohrensessel ausdrücken, “Breitbeinigkeit”. Die Schroeders nennen als weiteres Positivbeispiel den Podcast Narcoland der “Aachener Zeitung”, in dem der Journalist sich ebenfalls zur Hauptfigur macht, den ich aber noch nicht gehört habe.

Bei der FYEO-SZ-Koproduktion Going to Ibiza – Österreich und die Korruption war ich im Herbst 2020 auch ganz angetan von der Aufbereitung der eigenen Recherche. Von den zwei Hosts qualifiziert sich die eine, Leila Al-Serori, dadurch, dass sie selbst Teil des Rechercheteams war, und der andere, Vinzent-Vitus Leitgeb, dadurch, dass er wie Al-Serori österreichische Staatsbürgerschaft hat. Wie wichtig diese Beziehung der Hosts zum Thema sein kann beschreiben die Schroeders in Ohrensessel wenn sie über die neuere SZ-Produktion Suisse Secrets sprechen – dort hostet ebenfalls Leitgeb, er hat aber mit der Recherche nichts mehr zu tun und wird zum unbeteiligten Erzähler.

Etwas unentschieden war ich in meiner Betrachtung von Sneakerjagd, dem Podcast zu einer Recherche des Startups Flip. Hier hat die Recherchemethode, GPS-Sender in gebrauchten Turnschuhen, um nachzuvollziehen, ob diese recycelt werden, fast schon Gimmick-Charakter. Sie visualisiert Erkenntnisse, die Branchen-Insidern vermutlich zu großen Teilen bekannt waren, erlaubt den Journalist*innen aber, daran eine Verfolgungsjagd-Erzählung aufzuhängen.

Wie gut ihnen diese Erzählung gelingt, ist dann aber trotzdem noch einmal eine andere Frage. Sneakerjagd wurde für mich deutlich besser, als er zum Schluss in einen relativ klassischen Feature-Modus zurückkehrte und nicht mehr seinen Autoren um die Welt folgt. Eventuell muss man sich halt doch entscheiden: Was brauchen die Hörenden in diesem Moment? Will ich Informationen vermitteln oder will ich etwas erzählen? Und wenn Letzteres der Fall ist, habe ich überhaupt etwas Interessantes zu erzählen?

Preis und Wert – für welche digitalen Abos zahle ich und warum?

Pieter Breughel der Jüngere – Die Zahlung des Zehnten (Ausschnitt) – Quelle: Wikimedia Commons

Abo-Modelle gelten für Inhalte-Erschaffer*innen im Internet oft als große Hoffnung. Wenn es gelingt, in der persönlichen Nische einen Kundenstamm aufzubauen, der groß genug ist, dass sich zumindest (im ersten Schritt) ein bestimmtes Produkt refinanziert oder (im zweiten Schritt) der Grund-Lebensunterhalt bestreiten lässt, entsteht gemeinsam mit anderen Einkünften durch Werbung, Anschlussaufträge o.ä. Sicherheit und Ruhe für ambitioniertere Projekte, größere Gedanken und bessere Arbeit. So lautet stark vereinfacht die Maxime.

Ich finde dieses Modell gut und unterstütze es gerne, allerdings auch nicht immer und überall, deswegen habe ich mich entschieden, mein eigenes – vermutlich höchst erratisches – Online-Abo-Verhalten mal unter die Lupe zu nehmen. Ich hoffe dadurch auf Reaktionen – handeln andere Menschen ähnlich? Anders? Warum?

Bevor ich auf die Realität gucke, sind hier meine theoretischen Gedanken: Bevor ich mich entscheide, ein Crowdfunding-Abo abzuschließen, überlege ich meistens:

1. Signifikanz Wie wichtig sind mir diese Inhalte in meinem Leben? Wäre ich unglücklich, wenn die Schöpfer*innen dahinter sie nicht mehr produzieren könnten, oder ist es nur ein “nice to have”?

2. Nutzen Was habe ich davon? Bietet mir eine Abo-Unterstützung einen spürbaren Vorteil, zum Beispiel gegenüber den oft ebenfalls existierenden kostenlosen Angeboten? Damit meine ich nicht unbedingt ein mehr an Inhalt – die Vorteile können ganz unterschiedlicher Natur sein.

3. Wohltätigkeit Möchte ich die Schöpfer*innen unabhängig vom persönlichen Wert für mich unterstützen? Habe ich das Gefühl, dass meine Unterstützung einen Unterschied macht? Dieser Punkt ist nicht unerheblich, er ist aber – bei aller Liebe – nicht der wichtigste für mich, und er kann sich auch im Laufe der Zeit ändern.

Also, wofür zahle ich, wieviel und warum?

Patreon

Judith Holofernes (Künstlerin) / $5 im Monat / exklusiver Zugang zu Kapiteln der Post-Wir-sind-Helden-Autobiografie, an der Judith gerade arbeitet, exklusiver Zugang zu Fragen-Podcasts, frühzeitiger Zugang zu Interview-Podcasts, Möglichkeit direkt mit einer Künstlerin zu interagieren, die ich sehr schätze

65daysofstatic (Band) / $6 im Monat / exklusiver Zugang zu Blogposts und Musikreleases, Unterstützung einer Lieblingsband, die derzeit nicht auf Tour gehen kann

The Command Zone (Magic Podcast) / $1 im Monat / früherer, werbefreier Zugang zu Videos, Unterstützung von hochwertigen Inhalten

Limited Resources (Magic Podcast) / $1 im Monat / Unterstützung der Moderatoren, Möglichkeit, Fragen zu stellen und On Air beantwortet zu bekommen

Rhystic Studies (Magic YouTube Channel) / $1 im Monat / Unterstützung des Schöpfers, Nachbesprechung der Videos per Podcast

Steady

Wochendämmerung (Podcast) / €1 im Monat / Unterstützung der Schöpferin und ihres Podcast-Labels

Filmlöwin (Website) / €2,50 im Monat / Unterstützung der Schöpferin, die ich persönlich kenne, und der Sache (feministische Filmkritik)

Cuts – der kritische Filmpodcast / €1 im Monat / Unterstützung des Formats

Übermedien (Website) / €5 im Monat / Zugang zu Artikeln und Abonnenten-Newsletter, wichtige berufliche Ressource

Außerdem

Slate Plus (Website und Podcasts) / $35 im Jahr (einmalig, auf dem Prüfstand) / Zusätzliche Segmente in und früherer Zugang zu Podcasts, gut kuratierter Newsletter

Letterboxd Pro (App/Datenbank) / $12 im Jahr / Möglichkeit, mein externes Archiv zu importieren, Unterstützung der Plattform

Bilanz

Wenn man alles zusammenrechnet komme ich somit auf rund 25 Euro, die ich jeden Monat für Online-Abos ausgebe, also etwa 300 Euro im Jahr. Damit ist auch meine Grenze dafür erreicht, was ich grundsätzlich auszugeben bereit bin. Zusätzliche Kosten müsste ich mit einem hohen (zum Beispiel beruflichen) Nutzen für mich persönlich rechtfertigen.

Ich würde gerne mehr Formate auch nur deswegen unterstützen, weil ich sie gut finde oder sie mich bereichern. Die Zusatzangebote, die dann häufig mit einem Abo verbunden sind, seien es weitere Inhalte oder das Versprechen einer Online-Community, etwa auf einem Discord-Server, kann ich in der Regel überhaupt nicht nutzen. Mir würde es meist völlig reichen, das sieht man auch an der Übersicht oben, guten Zugang zu haben – zu den Inhalten und manchmal zu den Schöpfer*innen, zum Beispiel durch Interaktion in Kommentaren.

Wieviel bekomme ich für 5 Dollar im Monat?

Deswegen ärgert es mich allerdings, dass bei vielen Newslettern oder Podcasts die niedrigste Unterstützungsstufe häufig bei 4,50 Euro/5 Dollar angesetzt ist. Bei dem Preis kann ich einfach nicht so viele Schöpfer*innen unterstützen, wie ich gerne würde. Newsletter wie Anne Helen Petersens Culture Study oder Berit Glanz’ Phoneurie finde ich eigentlich bereichernd genug, dass ich gerne einen Beitrag leisten würde, ähnlich der Podcast The Commander Sphere, aber wenn ich für jedes Angebot 5 Dollar im Monat zahle, müsste ich dafür wieder einem anderen Creator die Finanzierung entziehen. (Im Fall von Berit habe ich daher einen kleinen Betrag per Paypal am Ende des Jahres überwiesen.)

Ich würde mir wünschen, dass es noch öfter die Möglichkeit gibt, kleine Beiträge zu leisten, für die es eigentlich keine Perks geben muss außer dem erwähnten Zugang. Schöpfungen wie die drei Magic-Podcasts würde ich nicht unterstützen, wenn es nicht die Möglichkeit gäbe, nur 1 Dollar im Monat zu zahlen. Gäbe es diese Option öfter, könnte ich mein Abo-Budget breiter streuen, mehr Schöpfer*innen unterstützen. Aus diesem Grund habe ich auch ein Abo bereits wieder beendet. Den vor einem Jahr gestarteten Newsletter Zwischenzeit_en von Teresa Bücker fand ich manchmal sehr gut, aber insgesamt eher durchwachsen. Bei einem geringeren monatlichen Betrag hätte ich ihn vielleicht weiter bezahlt.

An meiner Aufstellung sieht man: Mehr Geld zahle ich vor allem für Dinge, die ich nur auf diese Art bekomme und die für mich einen nachhaltigen Wert haben, etwa Musik oder die Teilhabe an einem kreativen Prozess. Gerade bei Schöpfungen, die auch kostenlos angeboten werden, möchte ich mit einem Abo weniger die Arbeit der Schöpfer*innen oder den Nutzen für mich direkt entlohnen (dafür wäre der Betrag in der Tat zu niedrig und den Nutzen bekomme ich ja ohnehin), als meine Wertschätzung zeigen. Ich weiß nicht, ob andere Menschen ähnlich handeln würden wie ich. Aber wenn die Gründe für die Zahlungsbereitschaft verwechselt werden, kommt es zu einem Unterschied in Wahrnehmung zwischen Preis und Wert. Das ist zumindest mein Eindruck.

13 Jahre Real Virtuality

Dieses Bild hat mir Olivier Samter mal zu meinem “verflixten 7.” Bloggeburtstag gemalt.

Am 19. Februar 2009 habe ich in diesem Blog meinen ersten Post abgesetzt. Das war kurz vor meinem 26. Geburtstag (am 25. Februar), deswegen kann ich mir immer gut merken, wann der Bloggeburtstag ansteht. Ich habe damals als Pauschalist im Newsroom des Evangelischen Pressedienstes (epd) und für die Fachzeitschrift epd medien gearbeitet.

Nach dem Ende meines Studiums im Sommer 2007 hatte ich zwei Praktika gemacht, bei der Frankfurter Rundschau und in der Filmredaktion von 3sat. Währenddessen und danach hatte ich ein Jahr lang versucht, eine Promotion über Danny Boyle auf die Beine zu stellen, aber ich fand weder eine gute Betreuungskonstellation für die Arbeit, noch ein Stipendium, das mir das Vollzeit-Promovieren erlaubt hätte. Als wäre es ein Zeichen des Universums, dass ich nicht für eine akademische Laufbahn gedacht war, bekam ich erst im Sommer 2008 das Angebot, für zwei Monate als Vertretung in die Filmredaktion 3sat zurückzukehren und dann im Herbst einen Anruf, ob ich nicht Interesse hätte, Vollzeit bei epd medien zu arbeiten. (Ich hatte zwei Jahre zuvor ein Praktikum bei epd film gemacht und anscheinend einen guten Eindruck hinterlassen.) “Okay”, sagte ich mir. “Ich habe es verstanden.” Ab Januar 2009 pendelte ich jeden Morgen und Abend knapp 90 Minuten von meiner Wohnung in Mainz zum Gebäude des Gemeinschaftsdienstes der Evangelischen Publizistik (GEP) am Rand von Frankfurt.

Real Virtuality war nicht mein erstes Blog. Meine erste Website habe ich als Teenager gebaut, und sie enthielt bereits verschiedene Texte von mir, darunter auch Filmkritiken. Irgendwann während des Studiums embeddete ich darin auch mal eine Blogsoftware – und bekam unter anderem einmal mächtig Ärger mit meinem Arbeitgeber, einem Mainzer Kino, weil ich mich etwas zu erkennbar über meine Arbeit dort beschwert hatte. Daraufhin zog ich zu Livejournal um und bloggte dort für meine Freunde unter anderem über mein Erasmusjahr in Edinburgh sowie über Musik und Filme. (In einem zweiten Livejournal hielt ich meine privateren Gedanken fest, lange bevor ich das Wort “Finsta” kannte.)

Bei epd medien hatte ich manchmal schon nach kurzer Zeit das Problem, dass Recherchen sich verloren oder dann doch nicht in Gänze relevant genug für den Mediendienst waren. So war es auch mit der Giga-Meldung, mit der dieses Blog eröffnet. Ich hatte ein längeres Interview und konnte daraus nur wenig zitieren, also entschied ich mich, das Blog zu eröffnen, um das ganze Interview zu veröffentlichen. Und wo ich dann schon mal ein Blog hatte, nutze ich es in den kommenden Monaten und Jahren dann auch für alles andere, was irgendwie raus musste und nicht zu privat war.

Ich erzähle das alles, weil ich heute, 13 Jahre später, plötzlich wieder bei epd medien als Pauschalist arbeite. Nicht mehr jeden Tag, sondern nur noch ein paar Tage im Monat, und kombiniert mit anderen Jobs, aber irgendwie scheinen meine Tätigkeit als freier Journalist und das Aufleben dieses Blogs zusammenzuhängen. Ich habe einfach mehr zu schreiben, wenn ich mehr übers Schreiben nachdenke, glaube ich. Dazu hatte ich dann noch Kathrin Passigs Text über “Leichtes Schreiben” gelesen, und mich so im November entschieden, doch einfach wieder öfter zu bloggen.

Dieses Blog hatte echte Hochkonjunkturzeiten und Zeiten in denen es brach lag. Es wurde zwischendurch sogar mal durch einen Podcast ersetzt. Aber diese archaische Art des Ins-Internet-Schreibens gefällt mir doch am besten. Es liegt mir einfach, meine Gedanken runterzutippen, in der Regel unfertig und selten besonders originell, und einen Ort für Dinge zu haben, die anderswo übrig geblieben sind oder nicht genug Leute zu interessieren. Deswegen werde ich weiterbloggen. Wenn ich kann, hoffentlich noch weitere 13 Jahre.

Their Names Escape Me

Ausschnitt aus dem Backcover von X – Ⓒ Mascot Records

Im Jahr 2009 hatte die Band Spock’s Beard eine harte Zeit. Ihr Frontmann, Visionär und einziger Songschreiber hatte einige Jahre zuvor eine Solokarriere gestartet, weil er Born-Again Christ geworden war. Die letzten zwei Alben, in denen die Band versucht hatte, zu zeigen, was das restliche Personal so produzieren kann, hatten sich nur mäßig verkauft. Spock’s Beard entschieden sich also, einen damals noch recht neuen, aber von anderen Bands mit hartem Fan-Kern wie Marillion vorgelebten, Weg zu gehen, und die Studiozeit für das neue Album X per Crowdfunding vorzufinanzieren.

Wie damals auch schon üblich gab es verschiedene Stufen, auf denen man die Band unterstützen konnte. Nur das Album, das Album und ein T-Shirt, diverse Deluxe-Ausstattungen. Das “Ultra Package” aber enthielt etwas noch Krasseres:

your name written into the lyrics of a new Spock’s Beard song. This track will include a vocal section where your name (or somone you choose) will be sung by the band. This will be a full band, fully-produced song that requires a long list of names be sung as part of the lyric.

Die Diskussionen in den Fan-Foren liefen heiß. War das eine gute Idee? Ging das nicht eine Spur zu weit in Sachen Gimmickiness? Es war ja eine Sache, Namen von Unterstützern in den Credits aufzulisten (wie es inzwischen jeder zweite Patreon macht), aber ein Lied mit 100 oder mehr Namen drin? Das konnte ja nur schief gehen.

Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich finde “Their Names Escape Me” ist vielleicht der beste Song, den Spock’s Beard in dieser Bandkonstellation geschrieben haben. (Und er ist nicht einmal auf der regulären Verkaufsversion des Albums enthalten.)

Im Text geht es um jemand (vielleicht einen Priester oder einen Seher), der vor ein Orakel geschleift wird. Die göttliche Kraft, die hinter dem Orakel steht, herrscht ihn an, er möge die Namen aller Verräter nennen, die “arms against the nation” führen würden. Der Priester bittet um Vergebung, dass er die Namen gegenüber seinem Gott nicht geheimhalten kann – und zählt auf. Erst ganz leise, dann immer lauter und wilder steigert er sich in den Verrat hinein, während die Musik hinter ihm anschwillt. (Wer nur mal reinhören will, dieser Teil beginnt bei 3:39 Minuten.)

“Their Names Escape Me” profitiert natürlich davon, dass 9-minütige Songs, in denen es minutenlange, langsame Steigerungen gibt, im Progrock, in dem sich Spock’s Beard bewegen, keine Seltenheit sind. Seine ernsthafte Stimmung wird an einigen Stellen dadurch gebrochen, dass Sänger Nick D’Virgilio Quatschnamen wie “Simon D’Progcat” singen muss. Aber ein Gimmick ist er auf keinen Fall. Er besitzt dafür, dass er im Endeffekt eine Crowdfunding-Belohnung war, eine erstaunliche Gravitas. Mir schaudert es heute noch wohlig an einigen Stellen, gerade in dem Wissen, das hinter den Namen echte Fans stehen, die bereit waren, ihre Band großzügig zu unterstützen (mein Name ist übrigens nicht dabei).

Crowdfunding Rewards auf Plattformen wie Steady, Patreon oder Kickstarter haben eine gewisse Routine erreicht. Auf den unteren Levels gibt es einfachen Zugang, auf den höheren besseren Zugang, persönliche Grüße, Credits, Autogramme und Merch. Das ist vollkommen in Ordnung so. Diese Plattformen sollen Künstler*innnen ja in erster Linie dazu dienen, ihnen Freiheit für ihre Kunst zu gewähren. Aber wenn es mal, wie in diesem Fall, dazu kommt, dass die Fans in der Kunst selbst verewigt werden können, gehört das zusätzlich gefeiert.

Kennt ihr dafür noch weitere Beispiele?

Don’t unplug, rewire

Bru-nO / Pixabay

Unplugged-Musik hat eine feste Ästhetik bekommen. Was vor 30 Jahren, als MTV Unplugged startete, noch eine neue Idee war – Rockbands spielen ihre Songs “ohne Strom”, eigentlich also ohne Verzerrer, elektrische Tonabnehmer und Keyboardchips, ist inzwischen ein Satz an Konventionen, einem der voreingestellten Instagram-Filter vergleichbar. Elektrische Gitarren und Bässe werden durch akustische ersetzt, Keyboards durch Klaviere, dazu kommen je nach Budget ein paar Streicher. Der Schlagzeuger spielt statt mit Stöcken mit Power Rods, damit alles etwas sanfter klingt. Auf Streamingdiensten gibt es Künstler, die vermutlich gar nicht schlecht damit nebenbei verdienen, bekannte Rock- und Popsongs genau in dieser Ästhetik zu covern. Cottagecore für den Rock’n’Roll.

Ich höre immer wieder gerne ein etwas vergessenes Album, was dieses Prinzip etwas auf den Kopf stellt. Nick D’Virgilio, damals Kopf der Progtruppe Spock’s Beard und Sessiondrummer in diversen Projekten, und der Produzent Mark Hornsby kamen Ende der 2000er auf die Idee, das gesamte Magnum Opus The Lamb Lies Down on Broadway von Genesis zu covern, ein verschlungenes Doppelkonzeptalbum mit traumwandlerischer Story von 1975. Aber statt auf die bekannte Ästhetik zu setzen, klingt Rewiring Genesis, wie das Album am Ende heißen sollte, ziemlich einzigartig.

Längst nicht alle Stecker sind gezogen, es gibt durchaus elektrische Gitarren zu hören, und das Schlagzeug spielt mit ganzer Power, aber die für die Genesis-Besetzung der Ära typische Mischung aus 12-saitigen Gitarre´n mit vielen Effekten sowie analogen Synthesizern, E-Orgeln und experimentellen Tasteninstrumenten wie dem Mellotron, ist völlig aufgelöst. An ihre Stelle treten Streicher, Bläser, Melodikas, Akkordeons, A-Capella-Chöre und eine kleine Prise Jazz. Das Ergebnis hat die volle Wucht des Originals, es ist keine sanfte Akustikversion, die man leicht nebenbei hören kann, aber es klingt gleichzeitig ganz anders. Ein kleiner Vergleich:

Diese Art von Arrangements scheint Drummern zu liegen. Gavin Harrison, der Schlagzeuger von Porcupine Tree, hat vor ein paar Jahren auf seinem Soloalbum etwas ähnliches gemacht. Die von Gitarrenwänden und Keyboardflächen geprägten Songs der Band erschallen im hier vollends jazzigen Gewand auf ähnliche Weise genauso kräftig, aber eben anders.

Ich wollte eigentlich nur in der Erinnerungskiste wühlen und ein Album empfehlen , das zu meinen meistgehörten zählt (und das es leider nirgendwo digital zu kaufen oder zu streamen gibt).

Aber steckt darin vielleicht auch eine Lebensweisheit? Wenn es um digitalen Medienkonsum geht, ist ja auch oft die Rede davon, mal den Stecker zu ziehen und Digital Detox zu machen. Und tatsächlich tauchen dabei vor meinem geistigen Auge ähnlich geronnene Bilder auf, wie bei Unplugged-Musik – ein Bauernhaus auf dem Land, im Wind wehende Leinenstoffe, eine perfekt für den Katalog inszenierte Gemütlichkeit and not a cell phone in sight. Eventuell (auf jeden Fall für mich) ist auch in diesem Fall ein Rewiring die interessantere Lösung. Statt Handy und Laptop im Garten zu vergraben (wenn man denn einen hat), vielleicht einfach mal schauen, was man damit statt Doomscrolling machen könnte. Mal wieder Blogs lesen, statt Twitter. Mal wieder einen längeren Gedanken festhalten, statt eine Insta-Story zu posten. Die Aufmerksamkeit neu auswildern. Die Wucht behalten. Die Instrumentierung ändern.

Hopepunk und Gemeinschaft – Die Zukunft braucht Arbeit

Coverausschnitt des ersten “Terra Ignota”-Bandes Too Like The Lightning, Tor Books

Vor einiger Zeit hatte ich mit jemandem auf Twitter eine Meinungsverschiedenheit darüber, warum ich es wichtig finde, selbst in Zeiten, die sich nicht gut anfühlen, Hoffnung zu haben. Am Ende wurde ich damit konfrontiert, dass meine Hoffnung ja auch nichts anderes als Zweckoptimismus sei. Ich hatte dem damals nichts zu entgegnen, aber damals hatte ich auch noch nicht den Text “Hopepunk, Optimism, Purity and the Futures of Hard Work” von Ada Palmer gelesen. Die Historikerin und SF-Autorin zitiert darin ihren Kollegen Cory Doctorow und seinen Text “Hope, Not Optimism” wie folgt:

It may seem like optimism is the opposite of pessimism, but at their core, optimists and pessimists share this belief in the irrelevance of human action to the future. Optimists think that things will get better no matter what they do, pessimists think things will get worse no matter what they do — but they both agree that what they do doesn’t matter. (…) Hope is a method: If I do something about this situation, I might change it enough so that I can do something else about this situation. (…) Hope is the necessary, but insufficient, precondition for survival.

Cory Doctorow, “Hope, Not Optimism”

In ihrer Romanserie Terra Ignota, die mich wie kein anderes literarisches Werk in den letzten Jahren beeindruckt hat, erzählt Palmer die Geschichte einer zukünftigen Menschheit, die einen vermeintlich utopischen Zustand erreicht hat, dann in eine Krise und schließlich in einen Krieg stürzt – und auf der anderen Seite mit dem Wunsch herauskommt, das bestehende System zu verbessern. Hopepunk, schreibt Palmer ist “fiction about the difficult path of rebuilding, and Terra Ignota draws heavily on Enlightenment France, which literally stormed and burnt down the overlord’s fortress, only to face the multi-century process of building a new system on the ashes.” (Meine Hervorhebung)

Diese Einsicht, dass Hoffnung nicht bedeutet, auf eine automatisch eintretende Lösung zu hoffen, sondern den Willen zu haben, langsam aber stetig an Problemen zu arbeiten, scheint etwas zu sein, dass im Zeitgeist etwas verloren gegangen ist, aber gerade wieder überall um mich herum auftaucht. Populärer ist die Devise, sich ganz auf die eigene Achtsamkeit zu konzentrieren und so maximale persönliche Effizienz zu erreichen. Hoffnung und geduldiger Wiederaufbau sind irgendwie chaotisch und beinhalten vor allem auch die Möglichkeit, zwischendurch zu scheitern und einzusehen, dass der gewählte Weg nicht der richtige war.

Ein weiteres Mal ist mir dieser Grundgedanke im Newsletter “Phoneurie” von Berit Glanz begegnet. Die Soziologin Katherine Cross reagiert auf einen vielfach geteilten Tweet der Ärztin Amy Barnhorst.

Selbst wenn sie dem Originaltweet damit eventuell etwas unrecht tut, macht sie in ihrem Thread eindrucksvoll deutlich, wie viel einfacher es ist, zu sagen “Ich bereite mich mal darauf vor, dass alles auch weiterhin Scheiße bleibt”, als zu sagen “Ich möchte ein Teil davon sein, dass die Zukunft besser wird – und dafür gibt es auch diese kleinen und großen Ideen, wie man die Gesellschaft ändern kann.” Es ist nachvollziehbar, dass einem das nach zwei Jahren gefühlter Ohnmacht gegenüber einem unsichtbaren Feind und einer nicht selten menschenfeindlichen Politik schwer fällt, aber es hilft auch nicht, deswegen in eine “Mir doch egal”-Abwehrhaltung zu verfallen.

Und schließlich ist mir das Thema, wenn auch in etwas anderer Form, im Newsletter “Culture Study” der Journalistin Anne Helen Petersen begegnet. Petersen schreibt darin über gesellschaftliche Veränderungen und wie sie sich in Kultur und Medien niederschlagen.

In der Ausgabe “You Do Not Need to Sell This Life Today” greift sie auf Annette Benings Charakter in American Beauty zurück, die als Maklerin kurz davor steht, durchzudrehen, aber sich mit dem Mantra “I will sell this house today” zusammenreißt. Petersen dient das als Sinnbild für das, was einige Menschen heutzutage im Netz machen: Sie fallen innerlich auseinander, aber sie präsentieren ihr Leben nach außen, auf Instagram zum Beispiel, als immerhin ästhetisch kontrolliert, ein naher Verwandter der oben genannten Self-Care-Effizienz.

Als Gegenentwurf präsentiert Petersen in ihrem Newsletter die Idee von Gemeinschaft – ein Gefühl von Zugehörigkeit und gegenseitiger Hilfe, in das man aber auch selbst etwas hineingeben muss, damit etwas zurückkommt.

You can show up for others, which can mean so many different things. You can talk to people you don’t know, which can take many other different forms. (…) But most of these things involve taking time away from the concentration on your own to-do list.

Anne Helen Petersen, Culture Study

Ihre nüchterne Erkenntnis: “Community is inefficient and inconvenient as shit.” Aber im Gegenzug fängt sie einen dann auch tatsächlich auf, wenn man sie braucht – unabhängig von der Ästhetik.

Das ist natürlich eine Gegenüberstellung, die ich als Binärität für falsch halte. Auch Online-Communitys können Gemeinschaften sein, und auch Menschen, die lange nur ein poliertes Äußeres von einem kannten, können einen auffangen ohne in diesem Moment eine direkte Gegenleistung dafür zu erwarten. Und vor allem: Auch die beschriebenen Gemeinschaften haben ihre düsteren Seiten, in denen Menschen gegängelt, ausgegrenzt, bewusst fallen gelassen werden. Aber der Gedanke, dass Gemeinschaft etwas ist, das man zwar gemeinsam pflegen muss aber einem dafür auch erlaubt, sich nicht immer um die anderen bewerben zu müssen, hat in mir einsamem Großstädter (schon knapp vor der Pandemie) Resonanz gefunden´. Und ich finde, dass es mit dem Hoffnungsgedanken zusammenhängt.

Palmers Hopepunk, Katherine Cross’ Twitter-Thread und Petersens Verständnis von Gemeinschaft verbindet, dass der Einzelne nicht aufgibt und sich auf sich selbst zurückzieht, sondern stattdessen entscheidet, dass eine Verbesserung der Situation (der eigenen wie der allgemeinen) Arbeit braucht. Ich kann nicht sagen, dass ich dafür selbst ein Musterbeispiel bin – meine eigene To-Do-List ist immer zu lang und das Ehrenamt, das ich im vergangenen Herbst übernommen habe, raubt mir den letzten Nerv und verursacht bisher überhaupt kein Zugehörigkeitsgefühl. Ich habe wie so oft keine große Conclusio, sondern nur ein paar Gedanken, auf denen ich rumkaue. Aber Hoffnung habe ich, glaube ich, auch.

Film-Highlights 2021

Don’t get me down from this roof. Bild: Disney

Letztes Jahr hat es nicht für eine Liste gereicht. Dieses Jahr komme ich mit großzügigem Einbeziehen von zwei Streaming-Miniserien auf eine Top 9. Viel dazu schreiben will ich aber dennoch nicht – zu fast allen Einträgen gibt es eine Folge von Kulturindustrie, die ich verlinke.

Zwei “Runner-ups” gibt es auch, und beide haben etwas gemeinsam, aus dem ich fast einen eigenen Blogpost gemacht hätte. Matrix: Resurrections ist immerhin ein Film, der sich getraut hat, einen ungewöhnlichen Weg einzuschlagen und seine Vorgänger auf einer Metaebene zu spiegeln. Dune versucht sich daran, ernsthafte und brüterische Literaturverfilmung zu sein. Beide Filme aber schlagen sich ihren Kopf an den Zellenwänden des Blockbusters wund, der verlangt, das spätestens im dritten Akt alles affirmiert werden muss, was vorher infrage gestellt wurde: ohne massive Actionszenen und gro´ßgestiges Ende geht es nicht. Deswegen konnte ich mich auch nicht dazu durchringen, einen der beiden Filme in die Liste aufzunehmen.

1. The Beatles: Get Back

Nach dem Ende der acht Stunden hätte ich noch endlos weiterschauen können, wie den Gesichtern dieser jungen Musiker alles wiederspiegelt, was ich selbst beim Musikmachen empfunden habe. Die endlosen Verhandlungen im Probenraum, das Herumalbern zwischendurch, die Wiederholungen der immer gleichen Songs und die absolute Erhabenheit eines Liveauftritts. Und dann sind es aber auch noch die Beatles – es ist völlig verrückt.

2. Nomadland

Mehr dazu in Kulturindustrie 29 vom Juli.

3. West Side Story

Mehr dazu in meinem Blogeintrag.

4. The French Dispatch

Wes Anderson versucht sich an Short Fiction oder an einem von diesen neuen Romanen, die aus Kurzgeschichten bestehen und von einer Rahmenhandlung zusammengehalten. Dabei huldigt er dem amerikanischen Magazinjournalismus und ist witzig, nachdenklich und sehr sehr genau, wie immer.

5. The Green Knight

Ich liebe es, wenn ein Kinofilm mich auf einen Trip mitnimmt. Dieser hier ist schwer, düster und wahnsinnig Emo, aber das macht ihn auch sehr verführerisch, wie ein betörendes Parfüm oder eine weihrauchgeschwängerte, mittelalterliche Kirche.

The Green Knight, Bild: A24

6. We are who we are

Mehr dazu im Kulturindustrie Jahresrückblick.

7. Titane

Mehr dazu in Kulturindustrie 33.

8. Fabian

Mehr dazu in Kulturindustrie 31 – Dominik Grafs Film finde ich Kästners Geschichte nach wie vor stark überlegen.

9. In the Heights

Das not so guilty pleasure für dieses Jahr – mehr dazu in Kulturindustrie 30.

Wie immer habe ich einige Filme (noch) nicht sehen können, von denen ich glaube, das sie mir hätten gefallen können, darunter Drive My Car, Last Night in Soho, House of Gucci, The Power of the Dog, The Last Duel, Promising Young Woman und Minari. Aber so ist das halt.

West Side Story, Romeo & Julia und die reine Liebe

West Side Story (2021), Bild: 20th Century Studios

Romeo und Julia ist vielleicht mein Lieblingsstück von Shakespeare. Daran ist sicher die Frühprägung durch Baz Luhrman Schuld, vielleicht auch die geniale Struktur des Stücks, von der ich erfuhr, als ich für meine Anglistik-Abschlussprüfung lernte – es beginnt als freche Komödie und wendet sich dann mit Mercutios Tod in einen tragischen Thriller, der mit hoher Geschwindigkeit auf sein unaufhaltsames Ende zurast. Vor allem aber fand ich die Liebesgeschichte in seinem Zentrum als junger Mensch doch immer sehr romantisch – diese reine Liebe, die Grenzen sprengt und am Ende beide gemeinsam (Spoiler für ein 400 Jahre altes Theaterstück!) in den Tod reißt.

Da die Liebesgeschichte in West Side Story nach Romeo und Julia gemodelt ist, ging es mir da natürlich ähnlich. Meine Erinnerungen sind stärker als vom eigentlichen Bühnenstück oder Film von dessen Soundtrack geprägt, in dem die “Balcony Scene” ja ganz vorhanden ist. Eine Begegnung auf dem Tanz, ein Kuss, “The most beautiful sound I ever heard”, “Only you, you’re the only thing I see …”, dann die kurze Harmonie und schließlich der unausweichliche Tod.

Steven Spielbergs und Tony Kushners Version von West Side Story bemüht sich insgesamt um mehr Erdung. Nicht nur, weil die (CGI-)Sets weniger studiohaft, sondern straßenmäßig echt wirken und mehr sozialer Hintergrund zur Situation der Jets und Sharks eingeführt wird, sondern auch, weil Schauspiel und Schauspieler sich weniger glamourös geben. Der abgerockte und sehnige Mike Faist als Riff macht einen ganz anderen Eindruck als Russ Tamblyn im Film von 1961 – ein echter Straßenköter, kein Hollywoodstar, der sich in staubige Kleidung geworfen hat. Der ganze Konflikt zwischen den Gangs wirkt von Anfang an lächerlich und sinnlos. Junge Männer, die sich gegen ein System auflehnen, das gegen sie ist, und darauf hoffen, sich durch Gewalttaten zu glorifizieren – wobei Spielbergs Kamera ganz klar macht, dass keine Glorie wartet, sondern nur Verzweiflung.

Vor diesem Hintergrund wirkt plötzlich auch die Liebesgeschichte um ein vielfaches weniger rein und romantisch. Rachel Zeglers Maria spricht es in der “One Hand, one Heart”-Szene sogar aus: Tony scheint explizit auf der Suche zu sein nach einer Verliebtheit, die ihn über den Rest seiner Peers erhebt, wer liegt also näher als das Mädchen im weißen Kleid, das auch noch zum politischen Gegener gehört. Maria selbst hingegen will eigentlich erstmal nur ein bisschen Spaß haben, lässt sich dann aber von Tonys romantischen Fluchtfantasien mitreißen. Ansel Elgort spielt Tony mit einer Klotzigkeit und Dumpfheit, bei der es schwerfällt zu entscheiden, ob sie ein Bug oder ein Feature ist. Beide sind sehr jung. Der Zeitraum, in dem ihre Liebe aufblüht und zerfällt ist weniger als 36 Stunden.

Ich will gar nicht zynisch auf Maria und Tony gucken, wobei es sicher auch mein etwas nüchternerer Blick von heute, aus einer lange andauernden, durch viel Arbeit gefestigten und gewachsenen Beziehung ist, der aus mir spricht. Aber ich denke, dass auch Spielberg und Kushner klarmachen: diese Liebe ist ebenso unreif, ebenso töricht wie die Machtphantasien von Riff und Bernardo. Keine star-cross’d Schicksalhaftigkeit ist am Ende Schuld am tragischen Finale, sondern auch hier die falsche Vorstellung, romantische Ideale könnten etwas gegen systemische Probleme ausrichten. Es bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwann besser wird – aber ganz bewusst wird “Somewhere” nicht von Tony und Maria gesungen, sondern von Valentina, der einzigen neuen Rolle des Films, die gleichzeitig von der einzig zurückkehrenden Schauspielerin, Rita Moreno, gesungen wird. Wie passend für ein Alterswerk. Nicht durch jugendliches Aufbrausen, nicht durch reine Liebe werden wir besser, sondern durch stetiges Dazulernen über Generationen.

(vgl. auch Far from the Tree)