Mein Leben als Scanner

Vor einige Zeit schickte mir ein Freund diesen Tweet mit den Worten “Wie ich auf dein Leben blicke”.

Das war ein schräger Moment. Denn einerseits habe ich mich in der Aussage des Tweets völlig wiedergefunden. Andererseits war es merkwürdig, diese Aussage von einem Freund gespiegelt zu bekommen.

Denn obwohl ich öfter rückgemeldet bekomme, in privaten wie beruflichen Kontexten, dass ich “so viele Sachen mache”, entspricht es in ganz vielen Situationen überhaupt nicht meiner eigenen Wahrnehmung. Im Gegenteil: Ich komme mir sehr häufig so vor, als würde ich nicht annähernd genug tun. Was der Tweet ja wiederum auch ein bisschen als Vibe hat.

Um all das soll es in diesem Text gehen. Wie immer vor allem deswegen, weil mich das Thema beschäftigt, und weil ich auch gerne persönliche Texte von anderen Leuten lese. Und wie immer schwingt bei mir die Angst mit, dass der Text als Selbst-Grandifizierung gelesen werden könnte. Aber damit muss ich wohl leben.

Multipotentialite

Ich interessiere mich für viele Sachen. Das war immer schon so. Auch als Kind schon. Es gibt auch Dinge, die mich nicht interessieren und die ich mir auch sehr schlecht vorstellen und merken kann, zum Beispiel alles, was mit Mikrobiologie und Chemie zu tun hat. Aber ansonsten kann ich mich von Mathematik bis Theologie, von Musik bis Pädagogik für viele verschiedene Felder begeistern. Ich habe immer mal versucht, eine Gemeinsamkeit meiner Interessen zu finden, aber alle Begriffe, die passen würden – Wirklichkeit, zum Beispiel – waren dann schon wieder so allgemein, dass man sie auch weglassen könnte.

Immer wieder entdecke ich Themen oder Aktivitäten, die mich mehr faszinieren als andere. Auf diese lege ich dann einen stärkeren Fokus, lese dazu, probiere aus. In den vergangenen zehn Jahren waren das Dinge wie vernetztes Erzählen in “Cinematic Universes”, die Potenziale von 3D und Virtual Reality oder aktuell Eurodance in den 90ern und natürlich Generative KI. Aber anders als andere Menschen das vielleicht tun würden, mache ich diese Themen nie zu meinem Spezialgebiet. Ich werde darin einigermaßen literate, könnte also Gespräche auf einem gehobenen Niveau dazu führen (und mache das auch manchmal) oder Artikel für ein Laienpublikum schreiben (was ich auch manchmal mache), aber wäre zum Beispiel nicht in der Lage, ein wissenschaftliches Paper dazu zu schreiben (schon versucht und gescheitert).

Der Grund ist, dass selbst diese Fokusthemen nie die einzigen werden, die mich beschäftigen. Ich habe immer noch ein Dutzend andere Eisen im Feuer, die ebenfalls meine Aufmerksamkeit wollen. Außerdem finde ich nach einiger Zeit der Beschäftigung meistens ein neues Thema, das mich mehr interessiert und dass das alte Thema weitgehend verdrängt. Aber auch nie so ganz, weshalb bei mir immer wieder alte Leidenschaften wieder aufflammen.

Vor ein paar Jahren habe ich endlich festgestellt, dass es für diesen Persönlichkeitszug Fachausdrücke gibt. Der hochgestochenste, den ich gehört habe, lautet “Multipotentialite” – also: Person mit mehreren Potenzialen. Er stammt (in seiner jetzigen Bedeutung) aus einem TED-Talk von Emilie Wapnick und ist auch eindeutig einer Kultur entwachsen, in der es vor allem um Geschäftsideen geht.

Der geläufigere Ausdruck, den ich auch viel besser finde und der deswegen auch das Motiv dieses Textes bildet, ist “Scanner-Persönlichkeit”. Im Bild eines Cyborgs, der ständig seine Umgebung nach interessanten Dingen absucht und diese analysiert, kann ich mich gut wiederfinden. Es gefällt mir auch besser als andere Begriffe wie “Vielbegabt” oder “Generaldilletant”, die mir jeweils zu elitär oder zu stümperhaft klingen. Eventuell würde ich noch “Hans Dampf in allen Gassen” oder den englischen “Jack of All Trades (But Master of None)” akzeptieren.

Keine Berufung

Seitdem ich gelernt habe, dass ich anscheinend eine Scanner-Persönlichkeit bin, hat sich mir einiges als neutrale Eigenschaft erschlossen, das mir zuvor immer wie ein Fehler vorkam. Im Wesentlichen, dass ich nie das eine Ding gefunden habe, was mich mehr begeistert als alles andere, und dem ich große Teile meiner Existenz voller Drive widmen möchte. Nicht mal Dinge, die mir immer schon sehr wichtig waren, wie Journalismus oder Film, oder persönlichere Werte wie Familie.

Die kognitive Dissonanz war bei mir vorher immer dadurch entstanden, dass die landläufige Erzählung erfolgreicher und/oder zufriedener Menschen darin besteht, dass diese Menschen irgendwann ihre Berufung gefunden haben. Dieser folgen sie dann. Sie geben nicht auf und irgendwann bewegen sie damit etwas. Entweder in der Welt oder für sich selbst. Der Podcast The Moment, in den ich mal reingehört habe, dreht sich beispielsweise nur um dieses Narrativ: Wann hast du deine Berufung erkannt? Und wie hast du dein Leben ausgerichtet, damit du ihr folgen konntest?

Das Gute

Nach einer ersten Periode des langsamen Verstehens (von Akzeptanz spreche ich mal lieber nicht, siehe unten) habe ich immer öfter versucht, den scheinbaren Fehler in meinem System als Stärke zu begreifen. In meinem spezifischen Fall ist es so, dass ich nicht nur ein Scanner bin, sondern auch noch extrovertiert. Das heißt: Es ist mir nicht nur ein Bedürfnis, mich regelmäßig mit neuen Dingen zu beschäftigen, es fällt mir auch noch leicht, Leute anzusprechen.

Diese Kombination erlaubt mir tendenziell, schnell Verbindungen herzustellen, viele neue Sachen auszuprobieren und mir darüber nicht groß den Kopf zerbrechen zu müssen. Das ist prinzipiell super. Mein Scanner-Blick hilft mir auch enorm beim Kreativ sein, denn viel Kreativität besteht im Kern darin, eigentlich disparate Ideen miteinander zu verknüpfen. (Ich bin daher auch selten “aus dem Nichts” kreativ, sondern brauche Dinge, die ich verbinden kann.)

Ein weiterer Punkt ist, dass ich, zumindest meistens, gut darin bin, Neues anzunehmen. Nicht unbedingt im Alltag, da bin ich schon aus Kapazitätsgründen ein ziemlicher Gewohnheitsmensch (s.u.), aber eben in meinen Interessensgebieten. Ich erlebe deswegen selten, dass mir etwas nicht mehr gefällt, weil es nicht mehr so ist, wie früher. Das Interesse am Neuen überwiegt meist gegenüber der Sehnsucht nach dem Vertrauten.

Insofern habe ich auch (zurzeit noch) keine Angst um meinen Job, selbst wenn der jetzige irgendwann nicht mehr existieren sollte. Ich hoffe, dass ich mir dann einfach etwas Neues suchen kann (oder bereits gesucht habe) und dass meine Kompetenzen immer wichtiger bleiben werden als mein spezifisches Fachwissen. Denn ich könnte ja auch theoretisch jederzeit ein Interesse an einem neuen Fachgebiet entwickeln.

In beruflichen Kontexten war deswegen irgendwann auch die Selbstsicherheit da, meine Persönlichkeit als Vorteil und nicht (wie oft zuvor) als Nachteil zu verkaufen. Wenn ich mich bewerbe, betone ich inzwischen, dass ich ein Hansdampf in allen Gassen bin (auch wenn es nicht immer zum Erfolg führt). In meinem aktuellen Job bitte ich gezielt um Aufgaben, die sich regelmäßig wandeln. Ich habe meinen Arbeitsalltag diversifiziert und arbeite jetzt sowohl festangestellt als auch freiberuflich, um genug Abwechslung zu haben. Und ich arbeite in meiner Branche nach wie vor am liebsten nicht als Autor, sondern als Redakteur – wo ich verschiedene Fäden zusammenhalten kann und auf die Arbeit von anderen anknüpfe.

… und das Anstrengende

Ich weiß also endlich, was und wer ich bin. Kann ja nichts mehr schiefgehen. Pffft! Dass ich tatsächlich eine Scanner-Persönlichkeit habe, sehe ich daran, dass ich auch sämtliche Nachteile mit mir herumtrage. Damit meine ich nicht nur, dass meine Vorlieben manchmal nicht ins Narrativ passen, wie oben beschrieben, und zwar nicht nur in Karrieredingen, auch im Privaten: Ich habe zum Beispiel eher viele lockere Freunde als wenige enge – was manchmal toll ist und manchmal weh tut, zum Beispiel, wenn ich mich deswegen einsam fühle.

Aus dem Leben als Scanner entwickeln sich aber auch schlechte Angewohnheiten. Weil ich gewohnt bin, dass sich mir Dinge schnell erschließen, verlasse ich mich darauf manchmal auch zu sehr. Ich gehe nicht davon aus, dass ich viel Arbeit investieren muss, damit etwas einigermaßen gut wird, und stolpere dann, wenn das Ergebnis nicht den geforderten Ansprüchen (von mir oder von anderen) genügt. Das ist mir diverse Male auf unterschiedliche Arten zum Verhängnis geworden – und es wird härter, je mehr ich familiär gebunden bin und Fehleinschätzungen nicht mehr ohne Weiteres mit viel Zeiteinsatz ausbügeln kann, wie früher. (Was ich auch schon doof fand.)

Das Schmerzhafteste aber, dass anscheinend alle Scanner gemeinsam haben, ist, dass es sich sehr oft eben doch so anfühlt, als wäre man nicht nur in einzelnen Bereichen nie gut genug, um etwas wert zu sein, sondern als würde man auch vieles vernachlässigen, was ebenfalls wichtig wäre. Also das, was auch der Tweet am Anfang des Textes zum Ausdruck bringt. Es gibt so viele Sachen, die mich interessieren, dass ich selten das Gefühl habe, auch nur einer davon gerecht zu werden. Dann sehe ich, was für tolle Dinge andere Menschen, die ich bewundere, in diesem Feld anstellen, und fühle mich sehr schnell inadäquat und wertlos. Obwohl ich weiß, dass diese Leute sich – anders als ich – auf diese Sache konzentrieren und wahrscheinlich viel mehr Arbeit investiert haben als ich.

Noch schlimmer ist, dass es natürlich auch andere Scanner gibt, die mir zu bestimmten Zeitpunkten einfach immer wieder viel krasser vorkommen, als ich selbst. Die in allen ihren vielen Themengebieten exzellent bewandert zu sein scheinen. Meistens übersehe ich dabei, dass diese Menschen dafür andere Dinge nicht haben. Vollzeitjobs, zum Beispiel, oder Kinder. Die aber natürlich in meinem Scanner-Portfolio auch eine Rolle spielen und beide sehr bewusst gewählt sind. Es ist ein Elend, das sehr häufig in greinendem Selbstmitleid endet.

Wie machst du das?

Deswegen jetzt auch genug davon. Wie jeder Persönlichkeitstyp hat auch meiner Vor- und Nachteile. Das ist halt so. Ich möchte lieber damit enden, alljenen eine Antwort zu geben, die das Ergebnis dieses Persönlichkeitstyps sehen und – was mir auch immer wieder passiert – mich fragen, “wie ich das überhaupt hinkriege” (was ich natürlich in schwächeren Momenten lächerlich finde, weil ich ja das Gefühl habe, viel zu wenig zu tun). Vielleicht hilft es anderen Scannern, die sich gerade selbst erkennen, bei der weiteren Orientierung.

  1. Akzeptieren. Wie oben geschrieben: Ich habe ganz sicher keinen völligen Zen-Zustand der Selbstakzeptanz erreicht. Aber ich habe eingesehen, dass meine Hansdampfigkeit bei mir ein Feature und kein Bug ist. Wenn ich mich in wichtigen Momenten daran erinnere, hilft mir das enorm. Ich kann dann anders bewerten, wie eine Situation entstanden ist, und wie ich sie vielleicht zu meinen Gunsten nutzen kann, statt dagegen zu arbeiten.
  2. Effizienz. Ich schaffe es nur deswegen, so viele Interessen zu jonglieren, weil ich mein Leben ziemlich durchgetaktet habe. Ich versuche, freie Zeit, wann immer möglich, so effizient wie möglich zu nutzen, um meinen Interessen nachzugehen. Das war schon so, bevor ich ein Kind hatte, aber seitdem ist es natürlich noch krasser geworden. (Beispiel: Beim Gehen Podcasthören und beim Hinsetzen in der S-Bahn auf Musik hören und Lesen switchen, auch wenn der Podcast noch nicht fertig ist). 
  3. Disziplin. Gleichzeitig versuche ich, aus Dingen, die mir wichtig sind, Gewohnheiten zu machen, an die ich mich auch vergleichsweise diszipliniert halte (Beispiel: Vorm Schlafengehen lesen). Führt mich das manchmal in eine Kopf-Explodier-Selbstoptimierungsfalle? Auf jeden Fall. Leider.
  4. Bewusste Entscheidungen treffen. Um zu verhindern, dass ich zwischen meinen Interessen zerrieben werde, zum Beispiel wenn ich, wie eben beschrieben, das Gefühl habe, mein Kopf explodiert, versuche ich in solchen Momenten, bewusste Entscheidungen für oder gegen etwas zu treffen. “Ich konzentriere mich jetzt auf diese Sache, denn sie ist jetzt das Wichtigste, und ich lasse alles andere weg.” Dieser Zustand hält nie lange, die anderen Dinge kriechen im Laufe der Zeit immer wieder herein, aber es hilft für den Moment enorm.
  5. Es gibt für alles eine Zeit. Das ist die Lehre, die ich am meisten einfach durch reines Älterwerden ziehen konnte. Wenn ich an Punkt 4 angelangt bin, weiß ich inzwischen: Es ist okay, mich jetzt von einigen Dingen abzuwenden, denn es wird einen Zeitpunkt in der Zukunft geben, zu dem sie wieder mehr in meinen Fokus rücken, vielleicht sogar mehr als zuvor. Dann lässt sich neu entscheiden, ob ich jetzt mehr damit machen will.

    Ich habe zum Beispiel 2010 meinen ersten journalistischen Podcast produziert. Jetzt, 13 Jahre später, mache ich es endlich auch beruflich. Beiße ich mir heute in den Hintern, weil ich mich damals nicht entschieden habe, alles auf eine Karte zu setzen und zum Podcast-Profi zu werden, um heute ein erfolgreicher Veteran zu sein? Natürlich!!! Aber ich konnte eben auch jetzt noch einsteigen, mit dem Vertrauen von Leuten im Rücken, die seit 13 Jahren in anderen Kontexten mit mir zusammengearbeitet haben. Und ich habe 13 Jahre lang ganz viele andere tolle berufliche Erfahrungen sammeln können, die mich im Jobmarkt heute genauso ausmachen.
Noch was mit Scannern und Kopf explodieren (© Constantin)

Was will ich mit all dem sagen? Manchmal ist es verdammt toll, eine Scanner-Persönlichkeit zu sein. Manchmal tut es weh. Ganz oft fühle ich mich dazu getrieben, etwas zu tun, aber es ist eben nicht immer die gleiche Sache. Es tut mir leid, wenn ich Leute damit manchmal verwirre. Ich hoffe, dass ich nie wieder jemanden dadurch verletze. Ich lerne jeden Tag, ein bisschen besser damit umzugehen.

Titelbild: Midjourney & Me

Der X-Faktor: Über das Arbeiten mit Midjourney

Im April wollte ich wissen, was dran ist am Hype. Ich hatte mit Chat-GPT rumgespielt, aber mich noch nicht so richtig getraut, den Bot im Arbeitsalltag einzusetzen (mit Ausnahme eines Brainstormings hier und da). Aber das, was Chat-GPT kann – Texte synthetisieren – kann ich ja selbst auch, also war es zwar praktisch, hatte aber wenig Wow-Faktor. Deshalb wollte ich dringend auch ausprobieren wie das andere große Generative KI-Ding funktioniert, und kaufte mir Guthaben beim Bildgenerator Midjourney.

Midjourney, da fühle ich mich Michael Marshall Smith sehr verbunden (der ohnehin mit die besten Texte zu diesem Thema aus Kreativensicht schreibt, nachdenklich und abwägend ohne Businessfokus), ist die ideale Technologie für Leute wie mich. Die Engine generiert Bilder aus Textprompts, sie schafft also etwas, was ich nie selbst könnte (beeindruckende Bilder), aus etwas, in dem ich einigermaßen gut bin (die richtigen Worte finden).

Midjourney Schritt für Schritt

Wer noch nie mit Midjourney gearbeitet hat: so läuft es ab. Man meldet sich auf einem Discordserver an, kauft ein gewisses Rechenguthaben (derzeit kosten rund 200 “Prompts” etwa 10 Euro im Monat) und dann kann man entweder in öffentlichen Channels oder in Zwiesprache mit dem Midjourney-Bot mit dem Generieren anfangen. Mit dem Befehl “/imagine” beschreibt man dem Computer, welches Bild man gerne generieren möchte. Nach etwa einer Minute bekommt man vier verschiedene Motive zur Auswahl.

Mit diesen vier Bildern kann man nun weiter arbeiten und hat drei Möglichkeiten: 1) Alles verwerfen und vier neue Bilder generieren. 2) Von einzelnen Bildern Varianten generieren, bei denen Bildkomposition und Stimmung erhalten bleiben aber Details sich ändern. 3) Einzelne Bilder direkt großrechnen (“upscale”), so dass man sie hochaufgelöst herunterladen kann.

Prompt up the Volume

Midjourney-Prompts, das habe ich durch die Beschäftigung mit den Werken anderer gelernt, können viele verschiedene Formen haben, aber die meisten ähneln inzwischen ungefähr dieser Formel:

[Stil/Medium] eines [Motiv], [weitere Deskriptoren zur Anmutung]

Das Titelbild dieses Beitrags, zum Beispiel, hatte folgenden Prompt:

Candid snapshot of a bald man in his 30s, short cropped beard, and a robot working together, smiling, 1990s sitcom vibes

Man sieht dabei schon, dass die KI nicht alle Wörter gleich behandelt. Die 1990s sitcom vibes hat es sehr gut hinbekommen (vor allem am Pullover zu erkennen) und die Figur hat tatsächlich eine Glatze und einen kurz geschnittenen Bart (wie ich, ich finde es höchst amüsant, diese Pseudo-Avatare von mir in den Bildern auftauchen zu lassen). Aber das Bild ist kein “Candid Snapshot”, es wirkt sehr posiert, und der Mann und der Roboter arbeiten auch nicht wirklich zusammen. Es sieht eher aus, als wäre der Mann ein Bastler à la Nummer 5 lebt.

Und das ist das Besondere.

Katzen und Laser

Midjourney kann Worte in Bilder übersetzen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mit Hilfe von Midjourney jedes Bild, die ich vor meinem geistigen Auge sehe und beschreiben kann, generieren könnte. Wann immer ich ein genaues Motiv vor Augen hatte und versucht habe, es in Midjourney zu erschaffen, musste ich irgendwann aufgeben.

Ein simples Beispiel: Mein Blog- und Podcast-Kollege Sascha hatte sich gewünscht, dass ich ihm sein Blog-Keyvisual, eine Katze, die Laser aus den Augen schießt, im Ghibli-Stil generiere. Aber trotz einem Dutzend Prompt-Varianten – das Bild wollte einfach nicht entstehen. Ob wegen der Gewaltfilter von Midjourney oder weil einfach nicht genug Lernmaterial dazu vorhanden war, kann ich nicht sagen. Aber Tatsache war: Midjourney konnte mir viele viele Bilder mit Katzen und Lasern bauen, manche davon erinnerten sogar an Studio Ghibli, aber in keinem der Bilder kamen die Laserstrahlen aus den Augen der Katze.

Klar, die Aufgabe von “Prompt Engineers” wird es in Zukunft sein, so lange an den Prompts und Einstellungen rumzudoktern, bis es eben doch passt. Aber für meine begrenzte Erfahrung galt bisher eher: Midjourney erschafft fast nie die Bilder, die ich erwarte oder mir gar wünsche. Aber das heißt nicht, dass die Bilder nicht interessant sind.

Insofern, wie auch schon neulich geschrieben, halte ich es für viel fruchtbarer, die Arbeit mit Midjourney als eine Zusammenarbeit zu begreifen. Die KI ist nicht meine In-Out-Maschine, die das exakte grafische Äquivalent zu dem auswirft, was ich vorher textlich eingeworfen habe. Sie ist vielmehr ein Partner in einem künstlerischen Prozess. Je mehr ich bereit bin, mich von ihrem X-Faktor überraschen zu lassen, desto produktiver wird die Zusammenarbeit.

(Zu diesem hehren Ziel gehört natürlich eine lange Reihe von Fußnoten. Midjourney ist auch eine Klischeemaschine, von der selten zu erwarten ist, dass sie etwas wirklich neuartig Scheinendes erschafft. Sie hat Ismus-Biases ohne Ende, von der ethischen Debatte über die unentgeltliche Nutzung von Werken anderer zu Trainingszwecken ganz zu schweigen.)

Insofern finde ich auch das unter Designer:innen herumgereichte Meme nach dem Motto “Die KI erwartet, dass der Kunde genau beschreibt, was er will. Wir sind sicher” (selbst ürigens eine Neuauflage eines alten Programmierer:innen-Witzes) zwar witzig, aber auch ein wenig am Ziel vorbei. Gute Zusammenarbeit mit Kreativen jeder Art, egal ob Designer:innen, Illustrator:innen oder Texter:innen, hat noch nie darin bestanden, dass die Auftraggeberin exakt das Ergebnis beschreibt und die Auftragnehmerin diese Beschreibung umsetzt. Genau wie die Zusammenarbeit mit der KI besteht auch jede andere fruchtbare kreative Zusammenarbeit, selbst solche, in der eine Partei die andere bezahlt, aus einem produktiven Geben, Nehmen und Iterieren. Der Unterschied dürfte viel eher sein: Die KI ist (bisher) nicht davon überzeugt, dass ihre Auftraggeberin keine Ahnung hat und sie viel besser weiß, was gut für den Auftrag wäre.

Ich habe meine Prompts entsprechend angepasst. Statt vom Ergebnis zu denken und dann nach den richtigen Worte dazu zu suchen, fange ich gedanklich lieber am Anfang an. Ich denke mir ein Motiv aus, eventuell noch ein paar Stilmerkmale dazu, aber den Rest überlasse ich dann erstmal der KI. Manchmal lasse ich sogar bewusst Deskriptoren weg, um mich stärker überraschen zu lassen. Ein Beispiel wäre ein Bild, das ich vor kurzem zur Bewerbung meiner jüngsten Podcast-Folge generiert habe: “Photograph of a Filmmaker trying to take care of the environment”

Alexander Matzkeit/Midjourney

Auf dieser Weise kann ich meine Stärken einbringen, beispielsweise das Kombinieren von verschiedenen Ideen. Und die KI bringt ihre Stärken ein: das stochastische Kombinieren der Elemente im Prompt zu einem neuen, überraschenden Werk, das weder nur von mir noch von Midjourney stammt.

Sondern von uns zusammen.

Das Ende der Hyper-Stasis?

Alles beschleunigt, aber nichts verändert sich. Das ist das dominante Zeitgefühl der Postmoderne, spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends. Die Krisen mögen zunehmen, die Computerchips kleiner werden, aber wann war das letzte Mal, dass wir in der nördlichen Hemisphäre wirklich das Gefühl hatten: Oh, das ist neu, und das wird alles verändern?

Die globale Pandemie? Na ja, ich arbeite jetzt halt vier Tage die Woche von zu Hause und habe drei Jahre lang Maske getragen, aber trotz der vielen Toten – mein Leben hat sich eher trotz als wegen Covid verändert. Der Krieg in der Ukraine? Ich habe meine Abschlagszahlung für Öl und Gas etwas erhöht, fertig. Ich weiß natürlich, dass es viele individuelle Schicksale gibt, die die Auswirkungen deutlich mehr gespürt haben, als ich. Aber aus breiterer Perspektive hat sich doch das Leben im Rest der Welt auch nicht mehr verändert als bei einem Krieg, der weiter weg gewesen wäre. Das ist ja das absurde.

Simon Reynolds hat für dieses Gefühl in seinem Buch Retromania den Begriff Hyper-Stasis geschaffen. Ich habe mal das längere Originalzitat rausgesucht, das sich ursprünglich nur auf Musik bezieht. Reynolds beschreibt,

feeling impressed by the restless intelligence at work in the music, but missing that sensation of absolute newness, the sorely craved ‘never heard anything like this before’. Hyper-stasis can apply to particular works by individual artists, but also to entire fields of music. (…) In the analogue era, everyday life moved slowly (you had to wait for the news, and for new releases) but the culture as a whole felt like it was surging forward. In the digital present, everyday life consists of hyper-acceleration and near-instantaneity (downloading, web pages constantly being refreshed, the impatient skimming of text on screens), but on the macro-cultural level things feel static and stalled. We have this paradoxical combination of speed and standstill.

Simon Reynolds: Retromania: Pop Culture’s Addiction to its Own Past (2010)

Ich denke über dieses Gefühl seit mindestens zwölf Jahren nach, und ich suche entsprechend seit zwölf Jahren nach einem Ausweg daraus. Jetzt, 2023, bin ich erstmals bereit, zu behaupten: Ich denke, er steht bevor. Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine folgt der Formel Change by Disaster. Der andere hat Kulturproduktion jetzt schon grundlegend verändert – und dabei hat seine Zeit gerade erst begonnen.

Klimawandel oder Klimakatastrophe?

Das erste, was mir einfiel, nachdem ich Retromania gelesen hatte, war: Wie hängt das alles mit Untergangsdenken zusammen? Ich habe sogar Simon Reynolds bei einer Lesung danach gefragt: Wäre nicht eine Katastrophe der Ausweg aus der Hyper-Stasis? Er hat gelacht und hatte keine weiteren Gedanken dazu, aber ich bleibe dabei: Ist das nicht in einer apokalyptisch geprägten Kultur wie der unseren eigentlich sogar der explizite Wunsch, auf den wir hinsteuern? Eine große Zäsur, eine wirkliche Zeitenwende, die die Spreu vom Weizen trennt und uns in einem Zug endlich von der großen Ennui befreit, die mit der Hyper-Stasis einhergeht.

Die Pandemie hatte ja bei vielen Menschen interessanterweise genau den gegenteiligen Effekt. Sie war etwas Schleichendes, Unsichtbares. Keine unmittelbare Bedrohung, sondern etwas, was für noch mehr Zeitlosigkeit sorgte.

Aber: Wie steht es mit der bevorstehenden Klimakatastrophe?

Als ich mit meinem Kulturindustrie-Co-Host Sascha im November 2019 über Nostalgie gesprochen habe, hat er etwas gesagt, was mir sehr im Kopf geblieben ist: “Ich glaube, dass das alles in der Zukunft noch schlimmer wird.” Die Angst vor der Zukunft werde die ganze Welt in die Vergangenheit treiben, meinte er. Das passt zu dem, was ich im Oktober geschrieben habe: Eventuell besteht die Reaktion der Menschheit im Angesicht der Katastrophe vor allem in einem herzhaften “Weiter so”.

Vielleicht aber sorgen die zunehmenden Vorboten des Kollapses aber auch für eine Veränderung der eigenen Wahrnehmung in der großen Erzählung der Menschheit. Eventuell möchte diese doch lieber eine sein, die die Katastrophe in letzter Minute abgewendet hat, als eine, die sehenden Auges und trägen Geistes in sie hineingelaufen ist.

Bei mir und bei einem signifikanten Teil der Bevölkerung, insbesondere in den Generationen nach mir, ist dieses Bewusstsein ja bereits erwacht. Ich glaube, dass es nicht nur die reine Angst ist, die alle antreibt, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, sondern auch der Wunsch, aus der bisherigen Rückwärtsgewandtheit auszubrechen.

Das also ist der erste Faktor für den Weg aus der Hyper-Stasis. Die Katastrophe kommt. Und egal ob wir sie abwenden oder nicht – die Welt, auch die kulturelle, wird dadurch auf jeden Fall neu geformt.

Geist in die und aus der Maschine

Der zweite wird seit letzem Jahr so viel diskutiert, dass es fast schon müßig scheint, ihn zu erwähnen. Aber dennoch: Ich denke, dass die zunehmende Macht von generativer Künstlicher Intelligenz uns aus der Hyper-Stasis führen könnte. Was Midjourney, ChatGPT und Co derzeit so fabrizieren, hat bei mir auf jeden Fall das erste Mal seit sehr langer Zeit ein Gefühl von Neuheit und Revolution in der Kulturproduktion hervorgerufen, wie Reynolds es beschreibt. Und das, obwohl generative KIs nur auf Daten und Referenzen zugreifen können, die bereits bestehen, also per Definition eigentlich nichts Neues schaffen können.

Und tatsächlich ist ein großer Einsatzort von generativer KI derzeit die Heraufbeschwörung von Nostalgie und Retromanie, meist für Dinge, die es nie gegeben hat (was Roland Meyer unter #ArtificialNostalgia und #NostalgicWeirdness zusammengefasst hat). Aber nicht nur werden die Maschinen-Lernmodelle schon jetzt von Monat zu Monat besser, sondern auch ihre Operatoren lernen ständig dazu.

Wenn man bedenkt, dass die letzte große Neuheit etwa in der Musik der Einsatz von Computern als Werkzeug war, erscheint es mir nur logisch, dass der nächste große Schritt in der Kulturproduktion der Einsatz von Software sein wird, die in der Lage ist, selbst Kultur zu schaffen. Wird sie damit alleine gelassen, dürfte sie nie etwas genuin Neues erzeugen, allen Befürchtungen von “self-aware” KIs zum Trotz. Aber Mensch und KI sollten gemeinsam in der Lage sein, Kultur zu schöpfen, die keiner von beiden alleine hätte generieren können und die sie wirklich neu anfühlt.

Ich habe bei Zukunftsvorhersagen und Potenzial-Prognosen neuer Technologien nicht die beste Bilanz. Vielleicht bin ich auch nur älter geworden und habe einfach ein großes Bedürfnis nach Ausbruch aus dem Bisherigen. Aber ich denke doch, dass der Hyper-Stasis-Vibe-Shift uns bereits erfasst hat.

Oder?

Foto von Ville Palmu auf Unsplash

Superheld:innengeschichten für kleinere Kinder

Ich weiß nicht mehr wirklich, womit es ursprünglich anfing. Mit meinem Hulk T-Shirt, vielleicht, oder mit den Erzählungen eines älteren Kindes aus der Kita, aber irgendwann im letzten Sommer wurde mein Kind, damals gerade vier Jahre alt, Fan von Superheld:innen. Es wollte alles darüber wissen, vor allem natürlich, welche Superkräfte sie haben. Damit konnte ich als MCU-Gucker und gelegentlicher Comicleser einigermaßen dienen.

Das größere Problem: Mein Kind wollte Geschichten erzählt bekommen. Darin bin ich sehr schlecht. Nachdem ich also die stark vereinfachten Versionen der Avengers-Filme mehrfach erzählt hatte, stand ich ein bisschen verloren da und sah mich nach anderen Möglichkeiten um.

Bücher

Es zeigt sich: Ich bin zum Glück nicht der erste Mensch, der sich überlegt hat, wie man Superheld:innengeschichten auch schon für kleinere Kinder aufbereiten kann. Das Motiv wird in diversen Kinderbüchern aufgegriffen, die mich allerdings immer ein bisschen an das Meme “Did a printer write this Tweet” erinnern. In Büchern wie Max und die Superhelden oder Meine Mama ist ein Superheld schreiben Erwachsene für Kinder darüber, dass Erwachsene ja eigentlich auch Superhelden sind. Ich kann nur immer wieder davor warnen, diese Art von plumper Didaktik bei Kindern zu versuchen. Sie sind dafür viel zu clever, und in diesem Fall wollte mein Kind nicht Superhelden, die Eltern sind, sondern echte Superhelden.

Doppelseite aus “Max und die Superhelden” von Rocio Bonilla © Jumbo

Besser funktionierte da schon ein Buch aus der SUPERLESER! Reihe des DK-Verlags (Marvel Avengers – Die Superhelden retten die Welt). Eigentlich zum Selbstlesen für Grundschüler:innen, griff es etwas auf, was schon Jonas Lübkert vor kurzem in seinem Newsletter angemerkt hat: Lexika kommen gut an. Sie enthalten kurze, kompakte Informationsblöcke mit Bildern dazu, die den Wissensdurst stillen. Viele Wörter im Buch waren für mein vierjähriges Kind noch zu kompliziert, aber es entstand ein erster Eindruck vom Superhero Industrial Complex.

Noch besser fand ich aber kurze Zeit später die Spider-Man-Bücher von MacKenzie Cadenhead. Sie richten sich auch eigentlich an Erstleser:innen, eignen sich daher aber auch wirklich gut als Vorlesebücher. Sie erzählen “echte” Superheldengeschichten, haben ein angenehm emanzipiertes und augenzwinkerndes Weltbild dabei und kommen ohne viel Gewalt aus. Gibt’s auch als Hörbuch, gelesen von Tom Hollands deutscher Synchronstimme Christian Zeiger.

“Squirrel Girl? Heißt das, du hast die Fähigkeiten eines Eichhörnchens?” – “Und die Fähigkeiten eines Mädchens! Problem damit?”

aus “Spider-Man gegen Sandman
Screenshot © Random House

Fernsehen

Wir mussten uns selbst etwas überwinden, aber als der viereinhalbte Geburtstag dann irgendwann vorbei war, haben wir unser Kind auch Spidey und seine Super-Freunde (Disney+) gucken lassen. Hier ist die Zielgruppe eindeutig Kinder, die jünger sind als Schulalter, mit allem was seit Paw Patrol dazugehört. Endlose Wiederholungen hirnloser Catchphrases (“Lasst uns Spidey-schwingen!”), identische Suit-Up-Sequenzen in jeder Folge, kostengünstig produzierte Animation in sterilen Umgebungen, die bei allen, die keine Maske tragen, schnell gruselig aussieht.

Dennoch lohnt es sich, auch festzuhalten, was die Serie richtig macht. Eines hat sie nämlich begriffen, das auch mir erst im Laufe der Zeit klar wurde. Kinder im Vorschulalter sehen Superheld:innen vor ihrem inneren Auge ebenfalls als kinder-ähnlich. Sie haben noch nicht die mentale Kapazität, um sich wirklich in die Lebenswelt von Erwachsenen hineinzudenken. Daher sind bei Spidey eigentlich alle Charaktere entweder Kinder oder Eltern.

Das gilt nicht nur für die drei Protagonist:innen. Auch Nebenfiguren wie Hulk und vor allem die Schurken, etwa Rhino, Green Goblin und Doc Ock, sehen nicht nur in ihren Formen aus wie Kinder, sie handeln auch aus sehr einfachen Motivationen heraus, die Kinder verstehen können. Ihre bösen Pläne drehen sich immer entweder darum, andere Menschen zu ärgern oder etwas zu klauen. Warum genau oder was damit später passieren soll, ist egal. Hauptsache, es gibt ein einfaches Problem, was Spidey, Spin und Ghost Spider mit ein paar geschickten Netzwürfen lösen können. Dabei wird immer wieder betont, das sie haben, was den Schurken fehlt: Sie arbeiten zusammen und stehen füreinander ein.

Die Bösewichte in Spidey and His Amazing Friends sehen aus wie etwas ältere Kinder © Disney

Das Ergebnis ist nicht besonders sophisticated, aber in seiner Einfachheit auch ganz spaßig. Zumal man anerkennen muss, dass Disney sich in Sachen Diversity wirklich bemüht. Doc Ock und Electro etwa sind entgegen dem Kanon weibliche Figuren, Gwen/Ghost Spiders Mutter (statt, wie in den Comics normalerweise, ihr Vater) ist Polizistin. Ms. Marvel/Kamala Khan und Black Panther haben regelmäßige Gastauftritte. Kann man also (manchmal) gucken.

And Beyond

Die allerbeste Idee für immer neue Superhelden-Geschichten kam aber letzte Woche von der Programmiererin April King, die darüber twitterte, dass Eltern vorgeschlagen hätten, diese Art von “Erzählst du mir eine Geschichte?”-Geschichten einfach von ChatGPT generieren zu lassen. Und, was soll ich sagen: das funktioniert sehr gut. Man kann ChatGPT ziemlich einfach genau die manchmal etwas abstrusen Plot-Wünsche der Kinder präsentieren. Die generative KI strickt eine Dramaturgie drumherum, die man sich sonst mühsam selbst ausdenken müsste, und verpackt das Ganze in der einfachen Form, die das Kind in solchen Momenten ja auch einfach will. (Ich hoffe doch, dass die meisten Eltern mir zustimmen würden, dass in solchen Momenten gar keine psychologisch komplexen Geschichten gewünscht sind.)

Dabei entsteht dann sowas, basierend auf einem echten Wunsch meines Kindes. Wir haben schon zusammen vor dem Computer gesessen und ChatGPT gefüttert und um Änderungen gebeten. Ich denke, das ist die Zukunft.

Eines Tages wurde ein wertvolles Artefakt aus dem Museum gestohlen und die Avengers waren alarmiert. Captain America und Wasp machten sich auf den Weg, um den Dieb zu finden. Unterwegs trafen sie Thor und Hulk, die ihnen bei der Suche helfen wollten. Sie entdeckten bald, dass der Dieb niemand anderer als Loki war. Er hatte das Artefakt gestohlen, um seine eigene Macht zu stärken und die Welt zu unterwerfen.

Die Avengers kämpften tapfer gegen Loki und seine Armee von Schergen, aber sie waren gegen seine List und Täuschungen machtlos. Wasp schlug schließlich vor, dass sie sich auf Ameisengröße schrumpfen und durch ein kleines Loch in Lokis Versteck schlüpfen sollten. Wasp und Captain America schrumpften sich und krochen durch das Loch. Sie fanden sich in einem riesigen Raum wieder, in dem Lokis Geheimnisse und Macht verborgen waren. Aber sie waren nicht allein. Loki bemerkte sie und versuchte, sie zu fangen.

Wasp flog schnell durch den Raum und umkreiste Loki, während Captain America gegen die Schergen kämpfte. Aber Loki war schlau und er verwandelte sich in einen riesigen Drachen. Es schien, als hätten sie keine Chance gegen ihn. Doch Wasp gab nicht auf. Sie flog auf Lokis Augen zu und stach ihn mit ihrem Stachel. Es war ein gewagter Schritt, aber es zahlte sich aus. Loki brüllte vor Schmerz und verwandelte sich zurück in seine menschliche Form.

Die Avengers waren erfolgreich und Loki wurde gefangen genommen. Sie brachten das Artefakt zurück ins Museum und feierten ihren Sieg. Wasp hatte gezeigt, dass sie eine mutige und kluge Heldin war, die eine entscheidende Rolle in dem Kampf gegen Loki gespielt hatte. Die Avengers waren stolz auf sie und schätzten ihre Fähigkeiten und ihren Mut.

Geht Immer

Die Freude eines guten Quest-Plots

© Disney, weil alles Disney ist

Mein Kind ist inzwischen in dem Alter, wo wir ihm zutrauen, auch mal ganze Filme zu schauen. Einer davon, der zuvor auch schon per Buch und Soundtrack ausführlich vorbesprochen wurde ist Moana (2016), der außerhalb der USA Vaiana heißt, von John Musker und Ron Clements aus dem Hause Disney. Beim erneuten Sehen fiel mir etwas auf, und als ich den Film bei Letterboxd loggen wollte, stellte ich fest, dass es mir schon beim ersten Mal aufgefallen war. Es ist eine der großen Stärken des Films: Moana hat einen sehr geradlinigen Heldenreisen-Quest-Plot.

Moana ist die Nachfolgerin des Chiefs auf einer pazifischen Insel. Das einst fischreiche Riff der Insel wird immer weniger ergiebig, aber die Inselbewohner weigern sich, sie zu verlassen. Moana, die sich seit ihrer jüngsten Kindheit vom Ozean angezogen fühlt, findet heraus, dass ihre Vorfahren Seefahrer waren, die von Insel zu Insel zogen, unter dem Segen der Fruchtbarkeitsgöttin Te Fiti. Doch seit der Halbgott Maui auf einem seiner Diebeszüge Te Fitis “Herz” stahl und den Feuerdämon Te Ka gegen die Inselbewohner aufgebracht hat, sind die Ozeane nicht mehr sicher. Gegen den Willen ihres Vaters macht sich Moana auf einem Boot auf, um Maui zu finden und das Herz zurückzubringen. Der Ozean hilft ihr dabei und lässt sie trotz Unbeholfenheit nicht ertrinken. Maui stellt sich als großmäuliger Egoist heraus, der keinen Bock auf die Mission hat und Moana nicht als ebenbürtig akzeptiert. Doch in einer Reihe von Konfrontationen, unter anderem mit einer riesigen Krabbe, die Mauis magischen Fischhaken gestohlen hat, beweist sie ihren Mut. Gemeinsam reisen sie zu Te Ka und erkennen, dass sich hinter dem Dämon die aus dem Gleichgewicht gebrachte Te Fiti verbirgt. Sie geben das Herz zurück und heilen Te Fiti. Moana kehrt als erfahrene Seefahrerin zu ihrem Clan zurück und beginnt ein neues Zeitalter der Seefahrerei.

Es ist in den vergangenen 30 Jahren extrem aus der Mode gekommen, solche einfachen Plots, die einst als der heilige Gral der Drehbuchstruktur galten, eins zu eins umzusetzen. So einfach kann man es sich ja nicht mehr machen, ist schließlich einer der Leitsätze der Postmoderne. Deswegen gehört heutzutage in den Werkzeugkasten der Plotstrukturen mindestens eine unvorhersehbare Wendung, die alles bisher geglaubte auf den Kopf stellt, oder – noch wichtiger – ein deutliches Hinterfragen der Held*innen-Figur. Diese darf längst nicht mehr einfach “auserwählt” sein, stattdessen gehört die gesamte psychologische Komplexität des Freien Willens gründlich hinterfragt.

Cleverness als Formel

Ich will nicht sagen, dass ich das schlecht finde. Es war in den 1990er Jahren an der Zeit dafür. Inzwischen ist die Cleverness bezüglich des Quest-Plots aber auch selbst schon zu einer Formel geworden. Man kann inzwischen fest davon ausgehen, dass wann immer Filme im ersten Akt etablieren, dass irgendetwas vorherbestimmt ist, sich im dritten Akt sicher zeigen wird, dass alles ganz anders ist – die wahre Liebe, etwa, die Prinzessin Anna rettet, ist nicht die eines Mannes, sondern die ihrer Schwester Elsa. Gleichzeitig haben die Filmemacher*innen aber häufig keine wirklich gute oder klare alternative Aussage, verstricken sich in Wischi-Waschi-Relativitäten oder müssen die Glaubwürdigkeit der Handlungsentwicklung sehr auf die Probe stellen, um an dem Punkt anzukommen, den sie erreichen wollen. An manchen Stellen scheint die Subversion der Erwartungen wichtiger geworden zu sein, als die Folgerichtigkeit der Handlung.

Worauf ich hinauswill: Ein traditioneller Quest-Plot ist verdammt befriedigend. Es gibt einen klaren Auftrag. Es gibt Proben, die bestanden werden wollen. Es gibt eine klare Auflösung. Es gibt dennoch immer auch Überraschungen. Natürlich verschiebt sich das Ziel des Auftrags zwischendurch. Verbündete stellen sich als Gegner heraus und umgekehrt. Te Ka ist kein Dämon, sondern nur die Herz-vermissende Te Fiti. Doch am Ende ist die Mission erfüllt und Held*in und Welt verändert. Mir ist klar, dass das mit Blick auf unsere Welt nicht sehr realistisch ist, aber es sorgt für eine deutlich befriedigendere Geschichte.

Eine Geburtstagstorte für Mando

Bei der aktuellen Staffel The Mandalorian, deren vierte Folge, die heute erscheint, ich noch nicht gesehen habe, hat mich der ähnlich simple Plot, der seit Folge 1 gesponnen wird, hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Irritation. Er erinnerte mich ein wenig an das Kinderbuch Eine Geburtstagstorte für die Katze, das aber auch nur eine alte Formel variiert: Petterson will Kuchen backen, stellt fest das er kein Mehl mehr hat. Also will er in die Stadt fahren, um neues zu holen, aber sein Fahrrad hat einen Platten. Um an das Flickzeug zu kommen, muss er in seinen Schuppen, doch der Schlüssel ist verschwunden. Um an den Schlüssel zu kommen, muss er einen Stier ablenken, der im Weg steht usw. Jedes Hindernis gebiert in seiner Überwindung ein neues. Am Ende jedoch lässt sich die ganze Kette zurückverfolgen und der Kuchen wird gebacken.

So ähnlich kommt es mir bei Mando auch vor. Er will nach Mandalore, um in den Quellen zu baden, doch der Planet ist verseucht. Also braucht er einen Roboter, doch dessen Schaltkreise sind kaputt. Also braucht er neue Schaltkreise, doch die gibt es nicht mehr. Am Ende von Folge 3 hatte er es mit einigen Hindernissen tatsächlich geschafft, in den Quellen zu – naja – baden. Der Auftrag ist eigentlich erfüllt, doch dahinter steht natürlich der größere Auftrag, die Mandalorianer wieder zu vereinen. Wird The Mandalorian seinen Quest-Plot fortsetzen? Oder wird alles noch viel komplizierter?

Sprawl-Trilogie: Die perfekten Sequels

Buchcoverdesigns vom Gollancz-Verlag

Nachdem ich Neuromancer schon als Teenager das erste Mal gelesen habe (und 2021 erneut), habe ich in den letzten Wochen auch die anderen beiden Bände der Sprawl-Trilogie von William Gibson, Count Zero (deutscher Titel Biochips) und Mona Lisa Overdrive gelesen (den Erzählband Burning Chrome hole ich irgendwann noch nach).

Die Romane entstanden zwischen 1984 und 1988. Über ihren Charme, ihre Coolness und ihre prägende Zukunftsvision (mit einigen hellseherischen Passagen, wie dieser Tweet von mir zeigt, den Gibson retweetete und der daraufhin viele Likes bekam, und mit einigen putzigen Anachronismen etwa zur Bedeutung des Fax) ist längst genug gesagt und geschrieben worden. Was ich aber vor allem auch bemerkenswert fand, ist, wie gut die Bücher als Franchise funktionieren und als Sequels aufeinander aufbauen.

Fortsetzungen haben ja häufig das Problem, das sie eine Figur aus einer abgeschlossenen Geschichte “reaktivieren” müssen, obwohl diese in der Regel ihren dramatischen Spannungsbogen bereits abgeschlossen hat. Kommt dazu noch das Gefühl, das eine Fortsetzung eigentlich nicht reicht, sondern man am besten gleich aus einer Geschichte im nächsten Schritt eine Trilogie machen muss, wird es noch komplizierter, da der mittlere Teil einer Trilogie schon fast traditionell unabgeschlossen ist. Patrick Willems hat das ganze Problem einmal gut aufgeschlüsselt: Why Is It So Hard to End a Trilogy?

Das Ergebnis ist häufig etwas, das sich so aufzeichnen lassen könnte:

Struktur typischer Sequel-Trilogien (z. B. Matrix)

Die Handlung folgt der gleichen Hauptfigur (ab Teil 2 häufig um weitere Figuren erweitert) über drei Teile hinweg relativ linear. Die Spannungsbögen splitten sich, wie oben beschrieben, eher in zwei ungleiche Hälften als in einen großen oder drei einzelne und der thematische Schub der Trilogie mäandert ein wenig, weil er durch die unterschiedlichen Bedingungen in verschiedene Richtungen gezogen wird.

Die drei Bücher der Sprawl-Trilogie sind deutlich loser miteinander verbunden, und ich finde das ist eine große Stärke. Neuromancer erzählt die Geschichte des Hackers Case und der Söldnerin Molly, wie sie gemeinsam das Geheimnis einer KI namens Wintermute knacken, die von einer reichen Familie entwickelt wurde. In Count Zero kämpfen mehrere Charaktere um eine neu entwickelte Matrix-Technologie namens Biochips, die dazu führt, dass sich das weltweite Netzwerk verändert. Keiner der Charaktere aus Count Zero kommt auch in Neuromancer vor, aber die Auswirkungen der Geschehnisse aus Teil 1 sind spürbar. In Mona Lisa Overdrive wird Angie, eine Nebenfigur aus Count Zero, zu einem Point-of-View-Charakter, eine der Hauptfiguren aus Count Zero und Molly aus Neuromancer tauchen in tragenden aber nicht in POV-Rollen auf. Erneut arbeitet das Buch den “Fallout” der vorausgehenden Ereignisse auf.

Das Ergebnis würde ich etwa so skizzieren:

Struktur “Sprawl-Trilogie”

Jedes Buch hat einen abgeschlossenen Spannungsbogen, der den jeweiligen Hauptfiguren (Case in Neuromancer, Turner und Marly in Count Zero, Kumiko, Slick und Angie in Mona Lisa) ein befriedigendes Ende schenkt. Die Handlung jeder Fortsetzung setzt aber in einem Winkel zum vorhergehenden Band an (ich suche hier noch nach dem richtigen schlauen Wort – lateral? tangential?) und hat mit seinem Vorgänger immer nur am Rande zu tun.

Der thematische Bogen aber, in diesem Fall die spirituelle Veränderung der Matrix, des Internets, durch das Selbstbewusstsein von künstlichen Intelligenzen (auch ein Thema was gerade neue Aktualität erlangt), bleibt über die ganze Trilogie konsistent und öffnet sich immer weiter. Dadurch, dass die einzelnen Handlungen in sich geschlossen sind, entsteht kein Zwang, am Schluss von Band 3 die ganze Trilogie auch noch zu einem Ende zu bringen, das so zufriedenstellend ist wie das Ende des ersten Teils. Gleichzeitig ermöglichen die unabhängigen Handlungsstränge eine große Erweiterung des Worldbuildings ohne dass eine Hauptfigur nach dem “schneller, höher, weiter”-Prinzip in Fortsetzungen auf abenteuerliche Reisen geschickt werden muss, um mehr von der angerissenen Welt zu zeigen.

Ich bin seit langem Fan dieser Art Erzählens, das sich berührt und aufeinander aufbaut, ohne rein linear zu verlaufen (1, 2, 3, MCU Phase 1). Ich wünschte, viel mehr Geschichtskosmen würden so arbeiten. Bei einer Romanserie über die Matrix ist das alles natürlich noch mal mehr on point. Count Zero und Mona Lisa Overdrive haben nicht den Ur-Punch von Neuromancer, aber sie sind perfekte Sequels. (Dass Gibson im Laufe der Zeit seinen Frauenfiguren mehr Tiefe und Vielfalt gibt, ist ein Plus.)

Ein für allemal: Paw Patrol ist kaum Copaganda (Es ist viel schlimmer)

© Bandai Namco/Nickelodeon/Spin Master

Vor einem knappen Jahr hat mein Kind angefangen, wie quasi jedes andere Kind ihres (Kindergarten-)Alters, die Serie Paw Patrol zu gucken, die seit einigen Jahren zu den größten Franchises für diese Zielgruppe gehört. Und weil ich, ähnlich wie bei Feen-Einhorn-Glitzerwelten, meinen Geisteswissenschaftler-Nerd-Hut nicht ausziehen kann, wenn ich die Serie gemeinsam mit meinem Kind schaue, äußere ich mich manchmal amüsiert dazu – zum Beispiel weil der Suit-Up-Musiktrack “Paw Patrol on A Roll” mein meistgespielter Song des letzten Jahres war. (Nicht nur mein Kind mag ihn, manchmal mach ich ihn auch als Motivation für’s Ausgehen an, denn dort treffen Pop-Punk-Riffs auf orchestralen Bombast und jemand ruft die ganze Zeit “Go! Go! Go!”).

Fast wie auf Stichwort kommt dabei häufig jemand (meist kinderlos) um die Ecke und kommentiert “Was? Paw Patrol?! Das ist doch Copaganda, würde mir nichts ins Haus kommen.” Und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Augen zu verdrehen. Wer den Begriff nicht kennt: “Copaganda” ist ein Ausdruck aus der Medienkritik, der sich darauf bezieht, dass die Arbeit von Polizist*innen in vielen Medien, vor allem Krimis, als ausschließlich positiv und aufklärerisch dargestellt wird, während kritische Aspekte (Corpsgeist, Gewaltmissbrauch, Racial Profiling etc.) ausgespart werden oder sogar positiv besetzt sind à la “Er spielt nicht nach den Regeln, aber erzielt Resultate”.

Welpe in Uniform

Ich kann es den Kommentatoren kaum verübeln. Die sichtbarste Figur des Paw Patrol-Kosmos ist Chase, ein Hundewelpe in Polizeiuniform. Bevor ich selbst anfing, die Serie zu rezipieren, hatte ich ähnliche Vorwürfe auch schon aufgeschnappt und habe sie deswegen in ähnlicher Weise vorgebracht, wenn ich etwa mit Merchandising-Produkten in Berührung kam. Aber die Wahrheit ist, dass Copaganda bei Paw Patrol wirklich kaum eine Rolle spielt. Was die Show in Wirklichkeit so ätzend macht, ist viel schlimmer.

Wer Paw Patrol bisher aus dem Weg gehen konnte: Die Serie spielt in der fiktiven Abenteuerbucht, in der ein zehnjähriger Junge namens Ryder in einem futuristischen Turm gemeinsam mit sechs Hundewelpen (Marshall, Rocky, Chase, Rubble, Zuma, Skye) zusammenwohnt. Wann immer jemand in der kleinen Stadt ein Problem hat, besonders die trottelige Bürgermeisterin Gutherz oder die Kinder Alex und Kathi, ruft er oder sie Ryder an. Dieser ruft seine Hunde zum Einsatz, die Hunde schwingen sich nach einem Briefing in Anzüge und Fahrzeuge, und retten gemeinsam mit Ryder, was zu retten ist. Und ja, Chase ist allen Äußerlichkeiten nach ein Polizist, aber er ist wirklich nur einer von sechs “Pups” (“Fellfreunde” im Deutschen) zu denen auch ein Feuerwehrmann, ein Müllwerker, ein Bauarbeiter, ein Wasserschützer und eine Helikopterpilotin gehören.

Die Fernsehserie zum Spielzeug

Der Ursprung von Paw Patrol liegt wie bei vielen populären Kinderserien in der Spielzeugindustrie, hier bei der kanadischen Firma Spin Master. Mattel kam in den 1980er Jahren zum ersten Mal auf die Idee, ein Spielzeug (“Masters of the Universe”) mit einer Fernsehserie zu bewerben statt umgekehrt, seitdem ist das Prinzip vor allem in Nordamerika, aber eigentlich überall wo die Genese der Serien nicht öffentlich-rechtlich ist, quasi Standard. Und so liegt der Funke von Paw Patrol nicht in seiner Story. Diese wurde vielmehr erfunden, um ein Verwandelbare-Fahrzeuge-Spielzeug speziell an Kinder im Kindergartenalter zu vermarkten.

Der Serie merkt man das zu hundert Prozent an. Obwohl es auf Plot-Ebene immer um Rettungsmissionen geht (“Rescue Dogs” war die zentrale Inspiration für Schöpfer Keith Chapman), hat die Art und Weise der Rettung fast immer mit dem korrekten Einsatz von (vehikularer) Technik zu tun. Die Hunde kommen selten selbst auf clevere Ideen oder arbeiten auf intelligente Weise zusammen. Sie folgen den Anweisungen ihres Besitzers, der sie immer mit den neuesten Autos, Trucks und Gadgets ausstattet. Die Verwandlungs-Sequenzen der Fahrzeuge werden in jeder Folge in ermüdender Länge gezeigt. Jedes Problem lässt sich mit dem richtigen Knopfdruck, dem richtigen Gefährt lösen. Und natürlich gibt es zu jedem Gefährt im Laden ein Spielzeug zu kaufen. Paw Patrol tropft, vor allem in den frühen Staffeln, bevor die Figuren ein etabliertes Multimillionen-Franchise waren, die Spielwaren-Dauerwerbesendung mit ihrem gruselig technokratischen Weltbild aus jeder Pore.

Das Schlumpfinen-Problem

Natürlich haben die Fellfreunde außerdem beinahe selbstverständlich das Schlumpfinen-Problem, bei dem nur einer von sechs Hunden als Abweichung von der Norm eindeutig weiblich markiert ist. Der größte Bösewicht der Serie hingegen, Bürgermeister Besserwisser aus der Nachbarstadt, kann (wie viele Bösewichter der Vergangenheit) problemlos als queer-coded gelten. Nervig.

Doch als wäre all das nicht genug, ist die Paw Patrol nicht mal besonders gut in ihrem Job. Jay Annelli, der neben seiner Tätigkeit als Autor für Magic: The Gathering im bürgerlichen Leben in der Koordination von Katastrophenmanagement arbeitet, und sich daher mit behördlichen Aufgaben aller Art auskennt, twittert immer wieder halb-ernst darüber, welches merkwürdige Verständnis von Hilfe und Gerechtigkeit Paw Patrol vermittelt.

Privatunternehmer

Seine größte Beschwerde: Die Abenteuerbucht hat überhaupt kein regulär funktionierendes System mit Notfall-Behörden wie Polizei oder Feuerwehr. Die Stadt mit ihrer idiotischen Bürgermeisterin verlässt sich vollständig auf die Dienste eines Privatiers und seiner verkleideten Hunde, die sich natürlich umgekehrt niemals wirklich an Gesetze oder Zuständigkeiten halten. Es ist immer von vornherein klar, wer gut und wer böse ist und wen man deshalb wie behandeln darf. Ein gefährliches Bild von eigentlich staatlichen Aufgaben.

Annelli bemängelt auch, dass Chase deutlich öfter zum Einsatz gerufen wird als andere Mitglieder der Paw Patrol, die für gewisse Aufgaben viel besser geeignet wären. Das kann man natürlich als Pro-Polizei-Haltung deuten, aber: siehe oben, Chase ist gar kein Polizist, nur ein Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes.

Aber selbst wenn man diese Spitzfindigkeit meinerseits auslässt, finde ich nicht, dass Paw Patrol ernsthaft Copaganda betreibt. Das, was die Paw Patrol macht, ist in der Regel keine “echte” Polizeiarbeit, sondern eher Schadensbegrenzung, Rettung und Verhindern von Katastrophen. Chase, der Polizeihund, ist zwar die Hauptfigur, aber er verhält sich niemals so, wie sich ein Polizist – selbst in Kinderaugen – verhalten würde. Er ist beileibe nicht die einzige Identifikationsfigur und in späteren Staffeln kommt die Paw Patrol ohnehin völlig von ihren Ursprüngen ab und wird wahlweise zu Superhelden, Spionen, Dinoforschern und anderen abenteurigen Stereotypen.

Paw Patrol ist wirklich keine gute Serie. Aber die zweifelhafte Geschlechtspolitik, die quasi direkte Anleitung zum Konsumterror und die technokratische Sicht auf Problemlösungen ´- all das finde ich tatsächlich deutlich anstrengender und problematischer als den so leichtfertig herausgeholten Vorwurf der Copaganda. Oder die ziemlich gut gemachte Musik.

Beiseit: Seit (billige) 3D-Animation den Kindermedien-Markt beherrscht, lassen sich insbesondere Fahrzeuge, aber auch Figuren, von vornherein deutlich stärker so modellieren, dass sie bereits in der Serie aussehen wie ihre Spielzeug-Äquivalente. Das verringert natürlich die Transferleistung vom Bildschirm in den Laden. In der 2D-Welt der 80er war das noch anders.

7 Erkenntnisse aus einem Jahr Teilzeit-Freiberuflichkeit

.Ich trinke keinen Kaffee, sondern Cola, aber ansonsten passt es. (Bild: Alejandro Escamilla on Unsplash)

Seit mindestens zehn Jahren hatte ich den Traum oder die Ambition, mich mal als freier Journalist und/oder allgemeiner Medienmensch zu versuchen. Als letztes Jahr klar wurde, dass meine Vollzeit (32 Stunden) Stelle bei meinem Arbeitgeber sich zum Jahreswechsel aufgrund der Projektplanung automatisch auf eine Teilzeit (23 Stunden) Stelle reduzieren würde, sah ich endlich meine Chance gekommen, mein Glück mal auf die sicherstmögliche Art zu versuchen, und einfach ein weiteres Drittel meiner Woche mit freier Arbeit aufzufüllen.

Ich weiß, dass das nicht unbedingt das typischste Modell ist. Die meisten Freien (die ich kenne) arbeiten entweder ganz frei oder sie haben echte “day jobs”, die die Miete abdecken und ihnen die kreative Arbeit ermöglichen. Ich habe selbst mit meinem Teilzeitjob netto mehr verdient als viele Leute mit einer Vollzeitstelle verdienen, bin also eigentlich keinerlei Risiko eingegangen. Außerdem habe ich eine Partnerin, die ebenfalls 32 Stunden arbeitet, gut verdient, und mein Vorhaben unterstützt hat.

Trotzdem habe ich in meinem einen Jahr Freiberuflichkeit ein paar Sachen gelernt und ich dachte, es schadet nicht, sie aufzuschreiben. Als ich nämlich vor einem Jahr dastand, hätte ich liebend gerne ein paar Erfahrungsberichte gelesen. Zum Glück konnte ich ein paar Leute persönlich nach ihren Erfahrungen fragen.

1. Check Your Motivation

Ich habe mir den Luxus geleistet und mir vor dem Anfangen auf Rat einer Freundin eine Coaching-Session bei jemandem gegönnt, der auf Freiberuflichkeit und Geldmanagement spezialisiert ist. Gisela Enders hat mir nicht nur ein paar finanzielle Falschvorstellungen aus meinem Kopf verbannt (auch wenn ich als Kleinunternehmer keine Umsatzssteuer auf meinen Rechnungen ausweisen muss, muss ich trotzdem welche zahlen), sondern sie hat auch eine von diesen typisch fiesen Coach-Fragen gestellt: “Und warum genau wollen Sie das jetzt eigentlich machen?”

Äh. Weil ich seit Jahren darüber nachdenke? Weil ich es immer mal ausprobieren wollte? Weil Freiberuflichkeit aus der Ferne immer so einen Bohemién-Glamour ausstrahlt, den ich auch gerne hätte? Alles keine guten Antworten. Ich musste tatsächlich ein paar Tage drüber nachdenken und in mich reinhorchen. Zum Glück kam auch etwas zurück: Ich wollte die Freiheit haben, verschiedene Sachen auszuprobieren und nicht durch die Beschreibung einer Stelle an bestimmte Aufgaben gebunden sein. Das erschien mir eine gute Motivation, die ich auch als Ziel in das neue Jahr mitnahm.

2. Es gibt genug zu tun

Ich gebe zu: Meine größte Angst war, dass alle, bei denen ich mich um Arbeit bewerben würde, laut lachen würden. Die Welt hat wahrhaftig nicht darauf gewartet, dass Alexander Matzkeit freier Journalist sein will, dachte ich mir. Erstaunlicherweise war das genaue Gegenteil der Fall. Es half sicherlich, dass ich über die Jahre immer wieder kleine Dinge frei gemacht hatte (Kritiken für epd medien zum Beispiel) und alte Kontakte gerne pflege. Aber die Angebote gingen weit darüber hinaus. Kollegen schoben mir Auftraggeber rüber und sagten “Klopf da mal an”, Leute schrieben mir Twitter-DMs “Hättest du Lust, was für uns zu machen?”, ehemalige Arbeitgeber sagten “Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich was für Sie habe.” Pitches wurden dankbar angenommen. Das hat mich wirklich überrascht.

Ich musste an etwas denken, was mir eine Kollegin vor einiger Zeit gesagt hatte. Freie Aufträge bedeuten für Arbeitgeber deutlich weniger Commitment als Festanstellungen. Das Risiko liegt quasi komplett bei den Auftragnehmern. Aus eigener Erfahrung im NGO-Bereich weiß ich außerdem, dass Sachmittel fast immer weniger knapp sind als Personalmittel. Deswegen ist für freie Mitarbeitende bzw. für eine Aufnahme in den Pool potenzieller Auftragnehmer oft Raum, obwohl gerade im Journalismus die festen Stellen ja tendenziell sehr knapp bemessen sind.

3. Solidarität unter Freien

Was mich auch gerade zu Anfang wirklich beeindruckt hat, ist, dass man sich mit einem Schritt in die Freiberuflichkeit auch eine neue Gemeinschaft erschließt. Wenn ich frei arbeitenden Freunden und Bekannten von meinen Plänen erzählt habe, hat nicht eine einzige Person gesagt “Bist du sicher, dass du dir das nicht noch einmal überlegen willst?” oder “Naja, das was du da machst ist ja auch keine echte Freiberuflichkeit” (was ich beides erwartet hatte).

Ich bekam ausnahmslos positive Rückmeldungen und Anfeuerungen und fühlte mich sofort als Teil einer neuen coolen Clique, in der man aufeinander acht gibt. Natürlich gab es einige floskelhafte “Naja, dann lass uns mal gucken, ob wir was zusammen machen können”-Rückmeldungen, aber häufiger waren echte Hilfsangebote und einfach auch die Bereitschaft, miteinander zu reden. Mit einer Kollegin und Freundin, die wie ich unter anderem gerade anfängt, sich auf dem Podcastmarkt zu verdingen, habe ich einen sehr regelmäßigen Austausch etabliert, in dem wir uns gegenseitig Feedback geben, Mut machen und Erfahrungen teilen. Das ist sehr wertvoll und ich bin sehr dankbar dafür. Sollte ich mich jemals für die volle Freiberuflichkeit entscheiden, würde ich auf jeden Fall Mitglied bei den Freischreibern werden. Mir war noch nie so bewusst, wie wichtig eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten sein kann.

4. Zeit ist eine Ressource

Da ich, wie oben geschrieben, trotz positiver Rückmeldungen in ständiger Panik lebte, gar nicht genug Aufträge zu bekommen, habe ich anfangs erstmal alles zugesagt, teilweise auch weit im Voraus. Dabei waren unter anderem Aufträge, die mich gleich für ganze Tage blockierten, in meinem Fall Tagesschichten im Newsroom des epd, die auch noch in der Regel drei Monate im voraus festgelegt wurden. Das führte dann dazu, dass ich gelegentlich andere Aufträge ablehnen musste, weil ich mich so lange im Voraus commited hatte. Andererseits war ich für das auf diese Weise schon auf längere Zeit vorher sichere Einkommen auch dankbar. Es war eine echte Zwickmühle.

Mitte des Jahres fühlte es sich zeitweise so an, dass ich eigentlich nicht mehr einen festen Job hatte und dazu freie Zeit, die ich mit anderer Arbeit füllen konnte, sondern einfach zwei Jobs hatte, von denen einer allerdings weniger Flexibilität bot und im Vergleich schlechter bezahlt wurde. Hier war ich dankbar, dass ich mich zu Anfang mit mir selbst auf einen Grund verständigt hatte, warum ich diesen Schritt gegangen war. Ich sagte Bescheid, dass ich in Zukunft weniger Tage pro Monat zur Verfügung stehen würde, um mehr Zeit für andere Dinge zu haben. Was zum Glück kein Problem war.

5. Manche Arbeit passt in mein Modell einfach nicht hinein

Mein Fest-Freies-Mischmodell bedeutete konkret, dass ich ca. anderthalb Tage pro Woche hatte, um frei zu arbeiten. Anfangs hatte ich gedacht, dass das bedeuten würde, dass ich manchmal auch Überstunden aus meinem festen Job zusammensparen würde können, um dann gleich eine ganze Woche für eine größere Recherche oder einen längeren Workshop frei zu haben. De facto hat das, vor allem in Kombination mit den Dienstplan-Commitments (siehe 4.), nicht funktioniert. Es gelang mir einfach nicht, Arbeit in meine Planung einzubauen, für die ich erstmal selbst in zeitliche Vorleistung hätte treten müssen, etwa indem ich ein Thema anrecherchiere oder mir überhaupt die Zeit nehme, um Themen zu entdecken.

Es hat mich ein bisschen traurig gemacht, das zu merken, weil damit klar wurde, dass Arbeit für mehrere potenzielle Auftraggeber, die nach Vorgesprächen durchaus an meiner Arbeit interessiert waren, einfach nicht funktionieren würde. Zwei Drittel meiner Arbeitszeit waren jede Woche mit Themen gefüllt, die mit meiner freien Arbeit sehr wenig zu tun hatten. Um wirklich in meinem Arbeitsfeld (Medienjournalismus) auf breiterer Front bestehen zu können, hätte es ein größeres Zeitversprechen meinerseits gebraucht, um dauerhaft in Themen einzutauchen und daraus dann auch Pitches für Auftraggeber zu entwickeln. Mit dem momentanen Modell bin ich zu großen Teilen darauf angewiesen, dass mein Auftraggeber den Auftrag bereits in der Tasche hat, wenn er zu mir kommt. Kritiken und kleinere Recherchen zu abgesteckten Themen sind kein Problem. Größere Stücke zu Themen, die ich selbst finde, gehen einfach nicht.

6. Zwischen den Welten

Eine kleine Ergänzung zum letzten Punkt: Manchmal hat mich dieses Hin- und Herspringen zwischen zwei Welten, die von der Branche zwar verwandt, aber thematisch und in ihren Arbeitsabläufen doch sehr unterschiedlich sind, auch ziemlich gebeutelt. Wenn ich in meiner freien Arbeit gerade an einer spannenden Sache arbeitete, hatte ich manchmal auf meinen Brotjob nicht so wirklich Lust. Wenn in meinem angestellten Job gerade ein paar Brände zu löschen waren, musste ich die Zeit meiner für freie Arbeit reservierten Tage auffressen, um alles zu schaffen.

Das hat manchmal ziemlich genervt und es ist ein eindeutiger Nachteil an diesem Modell. Allerdings weiß ich natürlich auch (und es wurde mir vor Kurzem auch noch mal gesagt): Man kann als Freier schlicht nicht erwarten, die Arbeitszeiten eines Festangestellten zu haben. Wochenenden und Abende sind manchmal einfach auch Arbeitszeit, wenn viele Sachen gleichzeitig fertig werden müssen. Zum Glück hat mir meine Familie diese Flexibilität auch gestattet, wenn es wirklich nicht anders ging.

7. Es hat geklappt!

Nachdem ich jetzt ein paar schwierigere Punkte aufgezählt habe, muss ich aber doch sagen: In Summe war es super. Nicht immer einfach, aber doch ziemlich genau das, was ich mir gewünscht habe. Ich konnte endlich wieder als echter Journalist arbeiten, und auch wenn der Kick der ersten paar Newsroom-Schichten irgendwann etwas nachließ, bin ich doch jedes Mal wieder glücklich, wenn ich wirklich das Gefühl habe, mal wieder Fragen gestellt zu haben, statt (wie in der PR) nur Antworten zu geben und am Ende des Tages eine Frucht meiner Arbeit zu sehen, und wenn es nur eine Agenturmeldung ist.

Ich konnte aber auch tatsächlich ganz viele andere Sachen ausprobieren! Ich habe Workshops abgehalten und ein Social-Media-Konzept für eine Website geschrieben. Ich habe eine Organisation in der Konzeptionierung ihres Gesamtauftritts beraten. Ich habe für 54books lange Stücke über Themen recherchiert und verfasst, die mir am Herzen liegen. Ich habe auf der re:publica moderiert. Ich werde nächstes Jahr in einem Kurs Aktivistinnen und Aktivisten Wissen zu Öffentlichkeitsarbeit vermitteln. Ich habe Features, Kritiken, Glossen und Leitartikel geschrieben. Das Feedback war fast einhellig positiv und ich habe genug Geld verdient, um am Ende des Jahres nicht weniger zu haben als im Jahr zuvor.

Über die beste Entwicklung, die aus diesem Jahr Freiberuflichkeit geboren wurde, darf ich leider zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr vage sprechen. Schon im Frühling habe ich ein Konzept geschrieben, von dem ich nie gedacht hätte, dass es wirklich umgesetzt wird. Dann ging doch alles ganz schnell und jetzt stehe ich kurz davor, es auf die Welt loszulassen. Es ist wieder ein größeres Zeit-Commitment, das mir für eine Weile nicht erlauben wird, überhaupt noch andere freie Aufträge anzunehmen, aber es ist etwas, das ich schon lange machen wollte, und ich freue mich sehr darauf, es bald zu verkünden. Vielleicht führt es sogar dazu, dass ich irgendwann den Schritt in noch mehr Selbstständigkeit wage, aber für’s erste bleibe ich bei meinem Modell. Kann ich es empfehlen? Ich bin mir nicht sicher. Aber für mich hat es für’s Erste ziemlich gut gepasst.

Postapocalypse Now!

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Ich habe angefangen, Nevil Shutes Roman On the Beach von 1957 zu lesen, und die ersten Kapitel begeistern mich. Sie zeigen einen postapokalyptischen Alltag, den ich so viel interessanter finde, als alles andere, was ich bisher gesehen habe.

Das Setting des Buchs: Die Nordhalbkugel hat sich per nuklearem Krieg gegenseitig ausgelöscht, aber in Australien sind keine Raketen gelandet und deswegen geht dort das Leben vorerst relativ normal weiter. Strom wird aus Kohlekraft erzeugt, nur Öl gibt es nicht mehr. Also fahren die Menschen seit einigen Jahren kein Auto mehr, sondern Zug, oder sie sind wieder auf Pferdekarren und Fahrräder umgestiegen.

Alle erwarten, dass der Fallout schon irgendwann auf die Südhalbkugel driften wird und auch in Australien alles vergiftet, aber das dominante Gefühl ist ein “neues Normal”. Amerikanische Soldaten, die zufällig in Australien stationiert waren, und jetzt ihrer Heimat und ihren verstorbenen Frauen hinterherweinen, werden eher als nerviges Ärgernis gesehen.

Das typische postapokalyptische Setting von Mad Max bis The Walking Dead gefällt sich eher darin, die Menschen auf ein urtümliches Niveau zurückzuwerfen, um zu verhandeln, ob unsere Spezies im Kern sozial oder eigennützig ist. Solche Szenarien eignen sich auch dafür, individuellen Heroismus wieder stärker ins Zentrum zu rücken und spannende Abenteuergeschichten zu erzählen. Als alternatives postapokalyptisches Setting ist im digitalen Zeitalter noch das Matrix-Szenario dazugekommen: Die Menschheit entflieht ihrer desolaten realen Welt durch fantastische virtuelle Welten.

Ich habe noch nicht viel Cli-Fi gelesen, aber gerade im Jugendbuch wird die Welt nach der Klimakatastrophe häufig eher als Kulisse für die genannten Abenteuergeschichten genutzt.. So verhält es sich etwa bei Sarah Raischs All That’s Left und bei Ursula Poznanskis Cryptos. Auch Paolo Bacigalupis The Windup Girl hat zwar ein sehr fantasievolles Worldbuilding, erzählt aber im Kern eine klassische Sci-Fi-Geschichte. Kim Stanley Robinsons The Ministry for the Future hat noch einmal einen anderen Ansatz und schreibt die Chronik der abgewendeten Katastrophe, oft eher aus der Vogelperspektive.

Die vergangenen Jahre haben eines noch einmal deutlich gezeigt: Wenn es wirklich zur Katastrophe kommt, egal ob durch Klima oder Atomkrieg, werden die meisten Menschen versuchen, ihr bisheriges Leben so nahtlos wie möglich aufrechtzuerhalten, bis es zu spät ist. Dieser Limbus-Zustand einer unverbesserlichen Menschheit, zu träge für echte Veränderungen, fasziniert mich.

Ich würde gerne mehr aus solchen Zwischenzukünften lesen, in denen die Welt leicht verschoben ist, aber die Menschen sich einfach an ein neues Normal angepasst haben. Wie eben während einer Pandemie, eines Extremwetter-Zeitalters oder während einer Energiekrise. Wir befinden uns schon fast in einer postapokalyptischen Welt. Wenn wir in ein paar Jahren die Gradziele des menschgemachten Klimawandels gerissen haben, werden wir dort endgültig angekommen sein. Und es wird eben keine Mad Max-Wüstenei sein, sondern die gleiche Erde wie zuvor, nur deutlich unangenehmer.

Ich habe erst wenige Kapitel von On the Beach gelesen und weiß noch nichts darüber, wie das Buch weiter- und ausgehen wird. Angesichts der Tatsache, dass die Hauptfigur ein Marineoffizier ist, der drauf und dran ist, in einem U-Boot aufzubrechen, befürchte ich Schlimmes und Tragisches. Aber der Anfang dieses 65 Jahre alten Romans beschreibt das Gefühl unserer nahen Zukunft besser als alles, was ich bisher kannte. Plus ça change.

Lesetipps gerne in die Kommentare!

Was könnte eine Programmzeitschrift für Podcasts leisten?

Bild: Rolf Unterberg, CC-BY-3.0 (cropped)

Ich bin jetzt zu knapp zwei Dritteln durch mit meinem #Podcapril-Projekt, und ein Aspekt reckt mir immer wieder sein Köpfchen entgegen: Wie hätte ich einige der wirklich guten Podcast-Perlen, die mir empfohlen wurden, finden sollen, wenn nicht mit einer solchen Aktion? Die verlangt nämlich drei Dinge:

  1. Ich schaffe mir Platz in meinen Hörgewohnheiten für Neues
  2. Ich bitte Menschen um Empfehlungen
  3. Menschen kommen der Bitte nach

Der erste Punkt mag für die Ottonormalpodcasthörerin nicht so entscheidend sein. Wahrscheinlich haben nur wenige Menschen ihre Hörzeiten so vollgestopft wie ich und deswegen tendenziell sowieso Zeit für neue Podcasts. Aber auch Punkt zwei und drei finde ich nicht selbstverständlich. Ich habe das Glück, auf Social Media ein Netzwerk von anderen Podcastbegeisterten aufgebaut zu haben, so dass das Fragen leichtfiel und die Antworten prompt und reichlich kamen. Aber wo bekäme ich gute Empfehlungen her, wenn dem nicht so wäre?

Ich rede dabei explizit nicht davon, einfach irgendwelche neuen Podcasts zu finden. Auch wenn fundierte Podcastkritik in Deutschland nach wie vor selten zu finden ist, gibt es ja viele Empfehlungslisten, es gibt Charts, Start- und Rubrikenseiten bei den großen Anbietern. Aber es gibt nach wie vor wenig redaktionelle Kuration, die einem aus dem Wust des Angebots die Perlen herausfischt. Die einem sagt: Wenn du Zeit hast, lohnt es sich diesen Monat, das hier zu hören.

Ich lande immer wieder bei dem Bild einer Podcast-Programmzeitschrift.

Redaktionelles Drumherum

“Zeitschrift” ist hier natürlich im übertragenen Sinne zu verstehen. Ein Online-Format wäre wahrscheinlich sinniger, auch wenn es für die Manufactum-Crowd vielleicht auch ein gedrucktes Magazin auf schwerem Papier mit ganzseitigen Anzeigen für edle Kopfhörer sein könnte. Entscheidend wäre nur, dass mir dieses Medium immer für einen bestimmten Zeitraum Podcasts und vor allem auch einzelne Podcastfolgen empfiehlt, die es sich wirklich lohnt zu hören. Und zwar nicht als reinen Link (denn diese Art von Kuration kann Fyyd ja), sondern mit redaktionellem Drumherum.

Podcasts haben eine Eigenschaft, die diesem Gedanken komplett entgegensteht: Sie sind eigentlich nicht für gezieltes Reinhören gedacht. Der typische Use Case bei den meisten Podcasts besteht eher darin, Menschen zu finden, denen man gerne zuhört, und ihnen dann in regelmäßigen Abstand immer wieder zuzuhören, bis man eine parasoziale Beziehung aufgebaut hat. Abonnement und Feed sind nicht nur technisch die zentralen Merkmale des Podcasts, sie bestimmen auch die Programmgestaltung. Abgeschlossene Podcasts oder Mini-Serien (um mal eine Terminologie aus dem Fernsehen zu verwenden) brechen inzwischen zwar regelmäßig aus diesem Paradigma aus, aber selbst sie bekommen inzwischen oft im Nachhinein weitere Staffeln, um aus dem einmal abgeschlossenen Abo das Maximum rauszuholen (siehe zum Beispiel “Wild Wild Web“, das sich jüngst mithilfe eines Projekts der DJS eine zweite Staffel geradezu einkaufte.)

Einstiegspunkte

Nichtsdestotrotz gibt es auch bei fortlaufenden Formaten besonders gute Folgen (zum Beispiel Interviewpodcasts mit besonders gelungenen Interviews) oder gute Punkte, an denen es sich lohnen könnte, ins Hören einzusteigen oder dem Format eine Bühne zu bieten. Teilweise passiert das ja sogar organisch, wenn Podcasts zum Beispiel für Preise nominiert werden, ein Jubiläum feiern oder doch irgendwie mal einen viralen Moment haben (leider meistens eher wegen hässlicher als wegen schöner Dinge). Dann gibt es oft einen sprunghaften Anstieg von neuen Hörer*innen. (Dass die schwierige “Shareability” von Podcasts dennoch ein Hindernis für Neueinsteiger*innen ist, ist hinreichend bekannt.)

Um Podcasts auf diese Art gut kuratieren und redaktionell auswählen zu können, bräuchte es idealerweise ein Team an Redakteur*innen, die viel und breit hören. Die Podcastlandschaft ist so weit und vielfältig, das stelle ich gerade im Podcapril wieder fest, dass es unmöglich scheint, mit nur wenigen Leuten einen Überblick zu behalten. Einige Überlappungen sollte es geben, damit gemeinsam informierte Entscheidungen getroffen werden können, aber ansonsten gilt: je weiter das Netz desto besser.

Ein bisschen funktioniert das bei Piqd ja schon so. Die dortigen Piqer*innen sind explizit nach Unterschiedlichkeit in Interessen und Hintergründen zusammengestellt und decken gemeinsam ein weites Feld an Themen und Medien ab, immer auf der Suche nach besonders Hervorhebenswertem. Leider ist nur ein kleiner Teil davon Audiocontent. Ich bin auch ziemlich beeindruckt davon, was Constanze Marie Teschner für Hört Hört! von Pool Artists alles so querhört. Sie scheint inzwischen ein festes Hörkontingent für Neuentdeckungen zu haben (und war auch vor kurzem zum Thema im Über Podcast zu Gast).

Screenshot: Shelfd

Beispiel Shelfd

Einer, der das gleiche Prinzip ja schon länger für ein verwandtes Medium verfolgt, ist David Streit mit Shelfd. Die Kurationsplattform verspricht gut ausgewählte, tägliche Tipps für Bewegtbild-Streaming sowohl von den großen Diensten als auch aus den Mediatheken der deutschen Sender. Im Shelfd-Teamfoto zähle ich 13 Menschen. Wie einigen die sich darauf, was sie abseits der großen, ohnehin beworbenen Produktionen hervorheben?

Das hat mir David dazu geschrieben:

Da wir in der Redaktion alle zeitunabhängig arbeiten, muss diese Entscheidung auch von allen unabhängig von großen Abstimmungsschleifen getroffen werden können. (…) Heute wollen wir für allem Filme, Serien und Dokus empfehlen, die mit Liebe gemacht sind (unabhängig wer dahinter steckt und wie viel Geld der Anbieter hatte). Das ist insofern wichtig, weil damit eine gewisse Erwartungshaltung einher gehen soll. Denn unsere Community soll sich ja denken: Wenn ich Lust auf so einen Inhalt habe, dann schaue ich bei Shelfd vorbei. Vorher war das gar nicht umrissen.

David Streit, Gründer von Shelfd

Nun ist “mit Liebe gemacht” sicher ein sehr subjektives Kriterium, aber ich mag die Idee einer redaktionellen Linie, über die zwischen Empfehlenden und Lesenden kommuniziert wird. Laut David basieren 80 Prozent aller geschauten Videos nach eigenen Erhebungen auf Empfehlungen. Das wird bei Podcasts kaum anders sein.

Anlaufstelle

Eine Programmzeitschrift für Podcasts sollte meiner Meinung nach also einen Schwerpunkt auf Abgeschlossenes und einfache Quereinstiege legen und von einer möglichst breit hörenden Redaktion bespielt werden, die nicht nur in der Lage ist, Empfehlungen auszusprechen, sondern auch zu begreifen und zu formulieren, warum ein Podcast gerade jetzt gut passt. Somit könnte sie Menschen, die nach neuen Empfehlungen suchen, eine verlässliche Anlaufstelle bieten, bei der die Suchenden auch wissen, was sie bekommen. Nicht nur irgendwelche Empfehlungen aus dem persönlichen Geschmacksbereich einiger Expert*innen oder Kritiker*innen, sondern ein Angebot, das mit einer Zielgruppe im Hinterkopf gestaltet wurde, die interessiert ist, aber eben auch nur begrenzte Zeit zur Verfügung hat.

Und warum mache ich das nicht einfach, ich Schlauberger? Weil ich gerne erst noch länger darüber nachdenken und andere Meinungen hören will. Was denkst du, der du das hier gerade liest, dazu? Ich will es wissen. Schreib mir.