Diesen April höre ich nur neue Podcasts – hilf mir oder mach mit! #Podcapril

Ah … ein Podcast, den ich noch nicht kenne. Foto: Katharina Matzkeit

In einer durchschnittlichen Woche höre ich etwa 25 bis 30 Podcasts.*

Ich bin mir nicht mal sicher, ob das auf den ersten Blick nach viel oder wenig aussieht, aber ich vermute, dass es etwa zwei bis zweieinhalb Stunden pro Tag sind, je nach Tagesablauf.

Mein Problem dabei: Die meisten dieser 25 bis 30 sind Podcasts, die ich schon lange und gerne höre. In meinem Leben, das neben Podcasts ja auch noch voll ist mit anderen Dingen wie Arbeit, Familie und Hobbys, ist wenig Zeit für regelmäßige Entdeckung neuer Podcasts. Ab und zu finde ich mal etwas, was mich so sehr fasziniert, dass ich einen Platz dafür finde. Immer wieder committe ich mich auch auf Podcasts-Seasons mit einer begrenzten Menge Folgen. Und manchmal darf ich Dinge hören und bezahlt darüber schreiben. Aber eine wirkliche Lücke für Neuentdeckungen besteht in meinem Zeitplan nicht.

Das ändere ich dieses Jahr. Im April werde ich all meine regulären Podcast-Abos ignorieren und stattdessen

  1. endlich mal in all die Podcasts reinhören, von denen ich schon so viel gehört habe (auf meiner Liste stehen bisher Rice and Shine, Narcoland, Fix und Vierzig, Fomo, 190220 – Ein Jahr nach Hanau, Lost in Neulich, Das perfekte Verbrechen, 9/12, Vollkommen unperfekt und Drinnies)
  2. weitere Podcasts hören, die mir andere Menschen empfehlen.

Ich hoffe, damit meinen Horizont mal systematisch zu erweitern und etwas von meiner doch sehr stark von einer bestimmten US-amerikanischen Radioschule geprägten Podcast-Kost loszukommen. Komfort-Hören ist bei Podcasts natürlich auch total wichtig, aber sollte für Möchtegern-Kritiker wie mich nicht der einzige Modus sein.

Wer möchte, kann mir bei der Horizonterweiterung helfen und mir Podcasts empfehlen, gerne auch den eigenen. Ich bitte dabei nur um Folgendes: Mein Ziel ist Breite, nicht Tiefe, bitte empfehlt mir auch bei lange laufenden Gesprächspodcasts nur einzelne Folgen und schreibt mir idealerweise noch dazu, warum die Folge sich lohnt. Auf Wunsch bedanke ich mich mit einer kurzen Rezensionsnotiz hier im Blog, auf Twitter und/oder bei Apple Podcasts. Wenn ich tweete, dann unter dem auf maximale Blödheit optimierten Hashtag #Podcapril.

Haben vielleicht andere Podcasthörer*innen Lust, sich mir anzuschließen? Dann sagt mir doch Bescheid und/oder benutzt den gleichen Hashtag.

Ihr erreicht mich auf Twitter unter @alexmatzkeit oder per Mail an bonjour@realvirtuality.info.

Einen fröhlichen #Podcapril allerseits!

`* Montag: This American Life, The Commander Sphere, The Command Zone, The Upkeep; Dienstag: The Best Advice Show, WTFM 100,0, Switched on Pop, Das Coronavirus-Update, All Songs Considered; Mittwoch: Slate’s Culture Gabfest, Planet Money; Donnerstag: Good One, Limited Resources; Freitag: New Music Friday, Drive to Work, Die Wochendämmerung, Über Podcast, Holger ruft an; Sonntag: Working, Ein Filmarchiv, dazu Podcasts die monatlich oder unregelmäßig erscheinen oder von denen ich nur manche Folgen höre wie Tasty MTG, The 11th, Hit Parade, Decoder Ring, Death, Sex and Money, Alles ist Film, Sexy und Bodenständig. Song Exploder, Das Tropenhaus, Casual Magic, CUTS, The Q&A with Jeff Goldsmith, MKL, HowSound, King Kong Klima, Alles gesagt?, Alexander’s Ragtime Band, Slow Burn, You Must Remember This, VFX Notes und Mediasres.

Journalistische Arbeit als Podcast-Plotpunkt

Symbolbild: Mit diesem Mikrofon wird sicher niemand etwas aufnehmen, denn es ist nicht eingesteckt. (Chris Engelsma, CC-BY 3.0)

Der neueste Podcast aus dem Hause Serial/New York Times heißt The Trojan Horse Affair. Darin spüren zwei Journalisten einem Brief nach, der Anfang der 2010er Jahre erst in Birmingham und anschließend in ganz Großbritannien für Debatten und später sogar politische Maßnahmen sorgte, weil er angebliche Pläne aufzeigte, Schulen in der Stadt gezielt zu islamisieren. In The Trojan Horse Affair geht es darum, wer diesen Brief geschrieben hat, und warum.

Doch es geht noch um mehr. Der Podcast hat einen richtiggehenden B-Plot, der nicht nach außen, sondern nach innen gekehrt ist. The Trojan Horse Affair ist auch eine Art Buddy Movie über zwei Journalisten – der eine älter, weiß, erfahren (Brian Reed, S-Town), der andere, Hamza Syed, jünger, frisch auf der Journalistenschule und brown. (Hier reden die beiden darüber.) Gemeinsam loten sie aus, was Journalismus leisten sollte und darf, wann das Ergebnis einer Recherche befriedigend ist und wann nicht. Die Gespräche darüber machen einen erheblichen Teil des Podcasts aus. Sie lassen gleichzeitig die Arbeit transparent werden und sie sorgen für einen zweiten, inneren Konflikt zusätzlich zum äußeren, wie aus dem Drehbuch-Lehrbuch. (Wie Willa Paskin im Slate Culture Gabfest festgestellt hat, endet er wie viele Podcasts dieser Art außerdem auf einer Art konstruktivistischer “Was ist eigentlich Wahrheit?”-Note, aber das nur am Rande.)

The Trojan Horse Affair ist nicht der erste Serial-Podcast, der seine eigene Arbeit zum Thema macht. Schon im ursprünglichen Serial ging es genauso um die Arbeit von Sarah Koenig und ihrer Producerin Julie Snyder wie um den Mord, in dem die beiden herumwühlten. Und schon damals machte diese Transparenz einen Teil des Appeals aus. Das Problem bei Trojan Horse: Es werden gerade Vorwürfe laut, dass die Journalisten eben nicht transparent genug gewesen seien. Die Darstellung ihrer Recherche stütze einseitig ihre Thesen, lasse manche Interviewpartner zu leicht davonkommen und gehe mit anderen zu hart ins Gericht. Dieser Artikel in “Vulture” fasst die ganze Debatte ganz gut zusammen, gibt den Autoren Raum für Reaktion und vermutet vor allem einen konservativen Backlash, aber eine kritische Frage finde ich berechtigt: Hätte es diese Debatte überhaupt gegeben, wenn Syed und Reed ihre eigene Arbeit nicht so plotdienlich thematisiert (und dadurch auch erzählerisch sortiert) hätten?

Ich finde es grundsätzlich gut, wenn Podcasts auch von ihrer Recherche erzählen, denn ich bin Medienjournalist und Journalismus-Nerd und manchmal interessiert mich fast mehr, wie ein Medium entsteht als was es enthält. Die Art, wie diese Entstehung erzählt wird, macht aber viel aus. In 11 Leben berichtet Max-Jacob Ost, dass er erst nach dem Treffen mit einem Dramaturgen auf die Idee kam, seine eigene Arbeit am Podcast und die Frage “Gelingt es mir, ein Interview mit Uli Hoeneß zu ergattern?” zum B-Plot des Projekts zu machen, der aber durchaus zur Unterhaltung und zum Spannungsbogen beiträgt. Er sorgt für Ereignis-Highlights wie einem zufälligen Treffen an der Kühltheke im Supermarkt und er lässt das Ende deutlich befriedigender erscheinen. Aber es ist schwer zu sagen, ob diese eigene Reise vollständig oder nur plotdientlich erzählt wurde.

Andere, insbesondere investigative Podcasts, erzählen ebenfalls von ihrer Arbeit, schaffen es aber nicht immer, diese als Teil des Spannungsbogens zu verkaufen, sondern sie einfach nur wie ein bisschen Flexing um die Recherche aufregender erscheinen zu lassen. In meiner Kritik zum Podcast Just Love für epd medien habe ich das so beschrieben:

Wir haben das aufgedeckt, heißt es, und dafür haben wir einen enormen Aufwand betrieben. Es folgt (…) eine Aufzählung dieses Aufwandes – Recherchen, Interviews, Akteneinsichten – als müsse man ganz zu Anfang nicht nur die Zuhörenden von der Qualität der Ergebnisse überzeugen (über die dieser Aufwand natürlich wenig aussagt (…)), sondern auch den Verantwortlichen im Verlag oder Sender erklären, wo ihr Geld geblieben ist.

Trommeln gehört zum Handwerk und Konventionen zum Genre, aber es wäre schon manchmal angenehm, wenn Reportagen ohne dieses Gebelle auskommen würden. Das gilt vor allem, wenn sie wie „Just Love“ (…) gar nicht so schrecklich viel Neues aufdecken. Was nicht schlimm ist. Enthüllung muss nicht immer das Ziel einer guten Podcast-Reportage sein. Es kann ein großer oder sogar größerer Wert sein, existierende oder bekannte Fäden zusammenzuführen und zu einem Gesamtnarrativ zu verdichten. „Just Love“ gelingt das am Ende sogar, aber bis die Hörenden sich dahin vorgekämpft haben, müssen sie sehr viel performative Recherchearbeit über sich ergehen lassen.

Diese Art von “performativer Recherchearbeit” finde ich die Kehrseite der inzwischen anscheinend etablierten Weisheit, das man den Journalismus auch zum Thema machen sollte. Als Hörende erfahren wir dabei wenig bis nichts über die Menschen, die den Podcast machen, über ihre Motivationen oder über die Sackgassen, die ihre Recherche genommen hat. Es bleibt nur die, wie es Carina und Sandro Schroeder in ihrem neuen Podcast Ohrensessel ausdrücken, “Breitbeinigkeit”. Die Schroeders nennen als weiteres Positivbeispiel den Podcast Narcoland der “Aachener Zeitung”, in dem der Journalist sich ebenfalls zur Hauptfigur macht, den ich aber noch nicht gehört habe.

Bei der FYEO-SZ-Koproduktion Going to Ibiza – Österreich und die Korruption war ich im Herbst 2020 auch ganz angetan von der Aufbereitung der eigenen Recherche. Von den zwei Hosts qualifiziert sich die eine, Leila Al-Serori, dadurch, dass sie selbst Teil des Rechercheteams war, und der andere, Vinzent-Vitus Leitgeb, dadurch, dass er wie Al-Serori österreichische Staatsbürgerschaft hat. Wie wichtig diese Beziehung der Hosts zum Thema sein kann beschreiben die Schroeders in Ohrensessel wenn sie über die neuere SZ-Produktion Suisse Secrets sprechen – dort hostet ebenfalls Leitgeb, er hat aber mit der Recherche nichts mehr zu tun und wird zum unbeteiligten Erzähler.

Etwas unentschieden war ich in meiner Betrachtung von Sneakerjagd, dem Podcast zu einer Recherche des Startups Flip. Hier hat die Recherchemethode, GPS-Sender in gebrauchten Turnschuhen, um nachzuvollziehen, ob diese recycelt werden, fast schon Gimmick-Charakter. Sie visualisiert Erkenntnisse, die Branchen-Insidern vermutlich zu großen Teilen bekannt waren, erlaubt den Journalist*innen aber, daran eine Verfolgungsjagd-Erzählung aufzuhängen.

Wie gut ihnen diese Erzählung gelingt, ist dann aber trotzdem noch einmal eine andere Frage. Sneakerjagd wurde für mich deutlich besser, als er zum Schluss in einen relativ klassischen Feature-Modus zurückkehrte und nicht mehr seinen Autoren um die Welt folgt. Eventuell muss man sich halt doch entscheiden: Was brauchen die Hörenden in diesem Moment? Will ich Informationen vermitteln oder will ich etwas erzählen? Und wenn Letzteres der Fall ist, habe ich überhaupt etwas Interessantes zu erzählen?

Preis und Wert – für welche digitalen Abos zahle ich und warum?

Pieter Breughel der Jüngere – Die Zahlung des Zehnten (Ausschnitt) – Quelle: Wikimedia Commons

Abo-Modelle gelten für Inhalte-Erschaffer*innen im Internet oft als große Hoffnung. Wenn es gelingt, in der persönlichen Nische einen Kundenstamm aufzubauen, der groß genug ist, dass sich zumindest (im ersten Schritt) ein bestimmtes Produkt refinanziert oder (im zweiten Schritt) der Grund-Lebensunterhalt bestreiten lässt, entsteht gemeinsam mit anderen Einkünften durch Werbung, Anschlussaufträge o.ä. Sicherheit und Ruhe für ambitioniertere Projekte, größere Gedanken und bessere Arbeit. So lautet stark vereinfacht die Maxime.

Ich finde dieses Modell gut und unterstütze es gerne, allerdings auch nicht immer und überall, deswegen habe ich mich entschieden, mein eigenes – vermutlich höchst erratisches – Online-Abo-Verhalten mal unter die Lupe zu nehmen. Ich hoffe dadurch auf Reaktionen – handeln andere Menschen ähnlich? Anders? Warum?

Bevor ich auf die Realität gucke, sind hier meine theoretischen Gedanken: Bevor ich mich entscheide, ein Crowdfunding-Abo abzuschließen, überlege ich meistens:

1. Signifikanz Wie wichtig sind mir diese Inhalte in meinem Leben? Wäre ich unglücklich, wenn die Schöpfer*innen dahinter sie nicht mehr produzieren könnten, oder ist es nur ein “nice to have”?

2. Nutzen Was habe ich davon? Bietet mir eine Abo-Unterstützung einen spürbaren Vorteil, zum Beispiel gegenüber den oft ebenfalls existierenden kostenlosen Angeboten? Damit meine ich nicht unbedingt ein mehr an Inhalt – die Vorteile können ganz unterschiedlicher Natur sein.

3. Wohltätigkeit Möchte ich die Schöpfer*innen unabhängig vom persönlichen Wert für mich unterstützen? Habe ich das Gefühl, dass meine Unterstützung einen Unterschied macht? Dieser Punkt ist nicht unerheblich, er ist aber – bei aller Liebe – nicht der wichtigste für mich, und er kann sich auch im Laufe der Zeit ändern.

Also, wofür zahle ich, wieviel und warum?

Patreon

Judith Holofernes (Künstlerin) / $5 im Monat / exklusiver Zugang zu Kapiteln der Post-Wir-sind-Helden-Autobiografie, an der Judith gerade arbeitet, exklusiver Zugang zu Fragen-Podcasts, frühzeitiger Zugang zu Interview-Podcasts, Möglichkeit direkt mit einer Künstlerin zu interagieren, die ich sehr schätze

65daysofstatic (Band) / $6 im Monat / exklusiver Zugang zu Blogposts und Musikreleases, Unterstützung einer Lieblingsband, die derzeit nicht auf Tour gehen kann

The Command Zone (Magic Podcast) / $1 im Monat / früherer, werbefreier Zugang zu Videos, Unterstützung von hochwertigen Inhalten

Limited Resources (Magic Podcast) / $1 im Monat / Unterstützung der Moderatoren, Möglichkeit, Fragen zu stellen und On Air beantwortet zu bekommen

Rhystic Studies (Magic YouTube Channel) / $1 im Monat / Unterstützung des Schöpfers, Nachbesprechung der Videos per Podcast

Steady

Wochendämmerung (Podcast) / €1 im Monat / Unterstützung der Schöpferin und ihres Podcast-Labels

Filmlöwin (Website) / €2,50 im Monat / Unterstützung der Schöpferin, die ich persönlich kenne, und der Sache (feministische Filmkritik)

Cuts – der kritische Filmpodcast / €1 im Monat / Unterstützung des Formats

Übermedien (Website) / €5 im Monat / Zugang zu Artikeln und Abonnenten-Newsletter, wichtige berufliche Ressource

Außerdem

Slate Plus (Website und Podcasts) / $35 im Jahr (einmalig, auf dem Prüfstand) / Zusätzliche Segmente in und früherer Zugang zu Podcasts, gut kuratierter Newsletter

Letterboxd Pro (App/Datenbank) / $12 im Jahr / Möglichkeit, mein externes Archiv zu importieren, Unterstützung der Plattform

Bilanz

Wenn man alles zusammenrechnet komme ich somit auf rund 25 Euro, die ich jeden Monat für Online-Abos ausgebe, also etwa 300 Euro im Jahr. Damit ist auch meine Grenze dafür erreicht, was ich grundsätzlich auszugeben bereit bin. Zusätzliche Kosten müsste ich mit einem hohen (zum Beispiel beruflichen) Nutzen für mich persönlich rechtfertigen.

Ich würde gerne mehr Formate auch nur deswegen unterstützen, weil ich sie gut finde oder sie mich bereichern. Die Zusatzangebote, die dann häufig mit einem Abo verbunden sind, seien es weitere Inhalte oder das Versprechen einer Online-Community, etwa auf einem Discord-Server, kann ich in der Regel überhaupt nicht nutzen. Mir würde es meist völlig reichen, das sieht man auch an der Übersicht oben, guten Zugang zu haben – zu den Inhalten und manchmal zu den Schöpfer*innen, zum Beispiel durch Interaktion in Kommentaren.

Wieviel bekomme ich für 5 Dollar im Monat?

Deswegen ärgert es mich allerdings, dass bei vielen Newslettern oder Podcasts die niedrigste Unterstützungsstufe häufig bei 4,50 Euro/5 Dollar angesetzt ist. Bei dem Preis kann ich einfach nicht so viele Schöpfer*innen unterstützen, wie ich gerne würde. Newsletter wie Anne Helen Petersens Culture Study oder Berit Glanz’ Phoneurie finde ich eigentlich bereichernd genug, dass ich gerne einen Beitrag leisten würde, ähnlich der Podcast The Commander Sphere, aber wenn ich für jedes Angebot 5 Dollar im Monat zahle, müsste ich dafür wieder einem anderen Creator die Finanzierung entziehen. (Im Fall von Berit habe ich daher einen kleinen Betrag per Paypal am Ende des Jahres überwiesen.)

Ich würde mir wünschen, dass es noch öfter die Möglichkeit gibt, kleine Beiträge zu leisten, für die es eigentlich keine Perks geben muss außer dem erwähnten Zugang. Schöpfungen wie die drei Magic-Podcasts würde ich nicht unterstützen, wenn es nicht die Möglichkeit gäbe, nur 1 Dollar im Monat zu zahlen. Gäbe es diese Option öfter, könnte ich mein Abo-Budget breiter streuen, mehr Schöpfer*innen unterstützen. Aus diesem Grund habe ich auch ein Abo bereits wieder beendet. Den vor einem Jahr gestarteten Newsletter Zwischenzeit_en von Teresa Bücker fand ich manchmal sehr gut, aber insgesamt eher durchwachsen. Bei einem geringeren monatlichen Betrag hätte ich ihn vielleicht weiter bezahlt.

An meiner Aufstellung sieht man: Mehr Geld zahle ich vor allem für Dinge, die ich nur auf diese Art bekomme und die für mich einen nachhaltigen Wert haben, etwa Musik oder die Teilhabe an einem kreativen Prozess. Gerade bei Schöpfungen, die auch kostenlos angeboten werden, möchte ich mit einem Abo weniger die Arbeit der Schöpfer*innen oder den Nutzen für mich direkt entlohnen (dafür wäre der Betrag in der Tat zu niedrig und den Nutzen bekomme ich ja ohnehin), als meine Wertschätzung zeigen. Ich weiß nicht, ob andere Menschen ähnlich handeln würden wie ich. Aber wenn die Gründe für die Zahlungsbereitschaft verwechselt werden, kommt es zu einem Unterschied in Wahrnehmung zwischen Preis und Wert. Das ist zumindest mein Eindruck.

Don’t unplug, rewire

Bru-nO / Pixabay

Unplugged-Musik hat eine feste Ästhetik bekommen. Was vor 30 Jahren, als MTV Unplugged startete, noch eine neue Idee war – Rockbands spielen ihre Songs “ohne Strom”, eigentlich also ohne Verzerrer, elektrische Tonabnehmer und Keyboardchips, ist inzwischen ein Satz an Konventionen, einem der voreingestellten Instagram-Filter vergleichbar. Elektrische Gitarren und Bässe werden durch akustische ersetzt, Keyboards durch Klaviere, dazu kommen je nach Budget ein paar Streicher. Der Schlagzeuger spielt statt mit Stöcken mit Power Rods, damit alles etwas sanfter klingt. Auf Streamingdiensten gibt es Künstler, die vermutlich gar nicht schlecht damit nebenbei verdienen, bekannte Rock- und Popsongs genau in dieser Ästhetik zu covern. Cottagecore für den Rock’n’Roll.

Ich höre immer wieder gerne ein etwas vergessenes Album, was dieses Prinzip etwas auf den Kopf stellt. Nick D’Virgilio, damals Kopf der Progtruppe Spock’s Beard und Sessiondrummer in diversen Projekten, und der Produzent Mark Hornsby kamen Ende der 2000er auf die Idee, das gesamte Magnum Opus The Lamb Lies Down on Broadway von Genesis zu covern, ein verschlungenes Doppelkonzeptalbum mit traumwandlerischer Story von 1975. Aber statt auf die bekannte Ästhetik zu setzen, klingt Rewiring Genesis, wie das Album am Ende heißen sollte, ziemlich einzigartig.

Längst nicht alle Stecker sind gezogen, es gibt durchaus elektrische Gitarren zu hören, und das Schlagzeug spielt mit ganzer Power, aber die für die Genesis-Besetzung der Ära typische Mischung aus 12-saitigen Gitarre´n mit vielen Effekten sowie analogen Synthesizern, E-Orgeln und experimentellen Tasteninstrumenten wie dem Mellotron, ist völlig aufgelöst. An ihre Stelle treten Streicher, Bläser, Melodikas, Akkordeons, A-Capella-Chöre und eine kleine Prise Jazz. Das Ergebnis hat die volle Wucht des Originals, es ist keine sanfte Akustikversion, die man leicht nebenbei hören kann, aber es klingt gleichzeitig ganz anders. Ein kleiner Vergleich:

Diese Art von Arrangements scheint Drummern zu liegen. Gavin Harrison, der Schlagzeuger von Porcupine Tree, hat vor ein paar Jahren auf seinem Soloalbum etwas ähnliches gemacht. Die von Gitarrenwänden und Keyboardflächen geprägten Songs der Band erschallen im hier vollends jazzigen Gewand auf ähnliche Weise genauso kräftig, aber eben anders.

Ich wollte eigentlich nur in der Erinnerungskiste wühlen und ein Album empfehlen , das zu meinen meistgehörten zählt (und das es leider nirgendwo digital zu kaufen oder zu streamen gibt).

Aber steckt darin vielleicht auch eine Lebensweisheit? Wenn es um digitalen Medienkonsum geht, ist ja auch oft die Rede davon, mal den Stecker zu ziehen und Digital Detox zu machen. Und tatsächlich tauchen dabei vor meinem geistigen Auge ähnlich geronnene Bilder auf, wie bei Unplugged-Musik – ein Bauernhaus auf dem Land, im Wind wehende Leinenstoffe, eine perfekt für den Katalog inszenierte Gemütlichkeit and not a cell phone in sight. Eventuell (auf jeden Fall für mich) ist auch in diesem Fall ein Rewiring die interessantere Lösung. Statt Handy und Laptop im Garten zu vergraben (wenn man denn einen hat), vielleicht einfach mal schauen, was man damit statt Doomscrolling machen könnte. Mal wieder Blogs lesen, statt Twitter. Mal wieder einen längeren Gedanken festhalten, statt eine Insta-Story zu posten. Die Aufmerksamkeit neu auswildern. Die Wucht behalten. Die Instrumentierung ändern.

The Morning Show und Real World Suspense – Is it a thing?

Wir haben am Wochenende die zweite Staffel von The Morning Show auf Apple TV+ beendet. Obwohl es tragisch ist, dass diese Serie, die ich in der ersten Staffel mal sehr unterhaltsam fand (und in der immer noch viele sehr charismatische Schauspieler*innen mitspielen), in der zweiten leider ziemlich random und langweilig geworden ist (Linda Holmes kann besser erklären, warum), hat sie doch einige Gedanken in mir angestoßen.

Denn eine Entscheidung, die ich sehr clever von den Drehbuchautor*innen fand, war, die Staffel in den Wochen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie anzusiedeln. Sie spielen immer wieder sehr geschickt damit, wie fast alle Menschen den Ausbruch in China vor anderthalb Jahren erstmal nicht besonders ernst genommen haben (ich höre ab und zu meinen Podcast vom 11. März 2020 nochmal) und baden geradezu darin, große Menschenmengen und Händeschüttel-Orgien zu zeigen, während wir – das Publikum mitten in der Pandemie – dabei vermutlich jedes Mal zusammenzucken. Die Staffel kulminiert darin, dass einer der Hauptcharaktere selbst COVID bekommt, aber bis dahin spielt die Serie geschickt damit, dass wir uns ständig fragen, wie die anlaufende Pandemie wohl die Handlung beeinflussen wird?

Dazu frage ich mich einmal, ob das die erste Serie ist, die den Corona-Ausbruch auf diese Art thematisiert. (Ich habe mitbekommen, dass Grey’s Anatomy sich auch mächtig ins Zeug gelegt hat, aber dort ist man ja an vorderster Front. Auf die entsprechende Staffel von The Good Fight warte ich sehnsüchtig.) Denn wie wir zum Beispiel noch in Kulturindustrie festgestellt haben, fühlte sich etwa die dritte Staffel von Master of None ja sehr nach “in der Pandemie gedreht” an, thematisierte sie aber gar nicht.

Zweitens frage ich mich, ob diese Art von “Suspense durch Ereignisse aus der echten Welt” ein regulärer Brunnen ist, aus dem TV-Autor*innen schöpfen können und/oder sollten. Bei historischen Filmen ist es ja eigentlich gang und gäbe, dass ein großer Teil der Spannung daraus besteht, dass wir als Publikum wissen, was passieren wird, und uns eigentlich pausenlos fragen, was deswegen den Figuren zustoßen kann. Ist ja auch eine beliebte Quelle für dramatische Ironie, egal ob auf der Titanic (“Gott selbst könnte dieses Schiff nicht versenken”) oder am Vorabend der Machtübernahme durch die Nazis. Aber mit einem so jungen historischen Ereignis fühlte es sich irgendwie anders an – vielleicht auch, weil wir noch nicht auf der anderen Seite sind (“I am tired of being a part of a major historical event“). Und wie so oft endet mein Gedankengang dort – ich finde es weder besonders gut oder schlecht, nur irgendwie bemerkenswert.

Werkschau (I)

Leider fehlt mir die Zeit, hier im Blog regelmäßig zu dokumentieren, wo ich überall publizistisch aktiv bin. Daher hier eine kleine Übersicht:

epd medien

Für den Fachdienst epd medien schreibe ich regelmäßig Medienkritiken und gelegentlich Glossen. Da es sich um einen Fachdienst handelt, sind die Beiträge leider nicht frei im Netz verfügbar.

Dies sind einige Produktionen, die ich in den vergangenen Monaten besprochen habe:

Tomorrow Now, Webserie, SWR, in Ausgabe 39/21
Virtuelle Propaganda, Radiofeature von Peter Kreysler, WDR, in Ausgabe 35/21
Hahnenkampf in Quitzow, Hörspiel von Hermann Bohlen, RBB, in Ausgabe 32/21
r_crusoe, Hörspiel von Wittmann/Zeitblom, Deutschlandfunk/SWR, in 25/21
“Immersive Erfahrung: Fernsehen ohne Bild”, Tagebuch zu Calls, Apple TV+, in 21/21

epd film

Für die Filmzeitschrift epd film schreibe ich unregelmäßiger Artikel, häufig zu neuen technischen und ökonomischen Entwicklungen der Filmbranche.

“Die Lebenszeit-Fresser”, Kolumne zum Start von The Wheel of Time, Heft 10/21
Raumhafte Illusionen: Wegweisende Trends in der Filmtechnik“, Heft 7/20

Ein weiterer Artikel wird in Heft 12/21 erscheinen.

piqd

Für den Inhalte-Kurationsdienst piqd wähle ich regelmäßig Artikel und Podcasts zu Medien- und Popkulturthemen aus und beschreibe mit einem kurzen Text, warum sie die Zeit der Lesenden wert sein könnten.

piqd Autorenprofil mit allen Beiträgen

Kulturindustrie

Der Podcast Kulturindustrie bespricht einmal monatlich drei kulturelle Themen, beispielsweise Filme, Serien, Bücher, Comics oder Games. Ich bin einer von vier Moderator:innen.

Episode 32 – Dune, Das Dämmern der Welt, Schumacher
Episode 31 – Fabian, Der falsche Gruß, Martin Eden
Episode 30 – In The Heights, Mein Leben unter Ludwig II., Bad Luck Banging or Loony Porn

Wie Magic: The Gathering den Transmedia-Code knackte

Diesen Talk durfte ich auf der re:publica 2019 halten, die das Motto “tl; dr” hatte. Dies sind meine Vortragsnotizen. Das gesprochene Wort im Video weicht leicht davon ab. Meine Präsentation ist ebenfalls online. Auf der Seite der re:publica kann man den Programmtext lesen.

Ich möchte mit einer Frage beginnen. Kennt jemand diesen freundlichen jungen Mann? Das ist der Italiener Andrea Mengucci.

Andrea spielt professionell das Kartenspiel “Magic: The Gathering”, hat im März das erste große “Mythic Invitational”-Turnier gewonnen und ein Preisgeld von 250,000 Dollar eingesackt – zusätzlich zu den 75,000 Dollar Jahresgehalt, die er als Spieler der “Magic Pro League” erhält.

Und wie sieht’s mit dieser sympathischen Figur aus?

Das bin ich, im Jahr 1997. Und damals war ich wahrscheinlich ähnlich besessen von Magic wie Andrea heute.

Dieses Spiel – Magic: The Gathering – ist wirklich schon so alt, dass es Andrea und mich verbindet.

Es wurde 1993 von dem Mathematiker Richard Garfield erfunden, der diese Idee hatte, dass ein Spiel “bigger than the box” sein könnte. Magic ist eben nicht nur ein Kartenspiel, es ist ein Sammelkartenspiel.

Man kauft die Karten in zufällig sortierten Packungen und konstruiert sich aus den Karten, die man erhält, sein eigenes Kartenspiel, mit dem man gegen andere antritt, die das gleiche getan haben.

Ein Vorteil dieses Systems ist, dass man das Spiel stetig erweitern kann. In den jetzt 26 Jahren, die es besteht, sind für Magic 81 reguläre Erweiterungen erschienen, plus dutzende weitere Sets und Editionen, im Moment erscheinen rund vier reguläre neue Erweiterungen pro Jahr, die jüngste, “War of the Spark”, an diesem Wochenende.

Es gibt über 20.000 unterschiedliche Karten inzwischen

Inzwischen ist Magic auch ein recht beliebter E-Sport. Andrea Mengucci und seine Kollegen spielen einen großen Teil seiner Spiele auf der Plattform “Magic Arena”. Das Spiel hat viele Fans weltweit, 2015 waren es wohl etwa 20 Millionen, aber ein Mainstream-Phänomen ist es trotzdem nicht – es bleibt ein nischiges Nerdhobby.

Ich habe Magic nach dem Abi 2001 für lange Zeit ziemlich aus den Augen verloren, aber vor zwei Jahren habe ich ein neues Hobby gesucht – und obwohl ich erst zaghaft wieder angefangen habe, hat das Spiel sehr schnell einen Sog entwickelt und jetzt ist es schon wieder kein Hobby mehr, denn ich stehe ja hier und halte einen Vortrag darüber.

Was mich nämlich als Medienwissenschaftler und Kommunikationsmensch überrascht hat, als ich wieder angefangen habe, und mich eingelesen hatte ist, wie gut Magic in Transmedia Storytelling geworden ist.

Der Begriff ist relativ selbsterklärend, aber hier noch mal die Definition von seinem größten Propheten Henry Jenkins:

“Transmedia storytelling bezeichnet einen Prozess, in dem integrale Elemente einer Fiktion systematisch über mehrere Ausspielkanäle verteilt werden, mit dem Ziel, ein einheitliches und abgestimmtes Unterhaltungserlebnis zu erschaffen. Idealerweise trägt dabei jedes Medium etwas Einzigartiges zur Entfaltung der Geschichte bei.”

Henry Jenkins

Das ist sozusagen eine Idealdefinition, relativ eng gefasst. Jenkins hat sie selbst mehrfach aufgebrochen und sieht sie keinesfalls als dogmatisch.

Prominenteste Beispiele für Transmedia Storytelling finden sich heute vermutlich in den großen Fantastik-Franchises wie dem Marvel Cinematic Universe, das über Kinofilme, Fernsehserien und Comics hinweg erzählt wird oder Star Wars – dort gibt es Kinofilme, Comics, Romane und Videospiele.

Transmedia Storytelling galt mal eine Weile so als der Heilige Gral modernen Geschichtenerzählens, weil es wirklich cool ist, wenn es funktioniert, aber in seiner puren Form auch wirklich schwierig gut zu machen ist.

Ich will also, dass über mehrere Medien hinweg eine Geschichte erzählt wird. Das heißt auch: Ich will diejenigen belohnen, die sich die Mühe machen, alle Teile dieser Geschichte über die verschiedenen Medien hinweg zu verfolgen. Die sollen einen Mehrwert davon haben, ein umfassenderes Bild, vielleicht einen Blick auf die Dinge, der anderen fehlt.

Aber ich will auch diejenigen mitnehmen, die sagen TL; DR – ich habe keine Lust, eine Geschichte über mehrere verschiedene Formate hinweg zu verfolgen und zum Beispiel das Ende nur zu erfahren, wenn ich nach meinem Kinobesuch noch ein Buch lese. Die sind nämlich das Gros, und die bringen im Zweifelsfall auch das Geld.

Am besten sollte es auch noch egal sein, wo ich anfange. Also es sollte keine festgelegte Reihenfolge geben, in der ich die Medien konsumieren MUSS und wenn ich als weniger investierter Konsument anfange, sollte ich die Möglichkeit haben später nachzurüsten sozusagen. Jenkins spricht von “rabbit holes”, von Kaninchenlöchern, die überall verteilt sind und wo man halt gucken kann, wie tief man hineinkriecht.

Und trotz all dieser Einschränkungen, sollte eben trotzdem ein einheitliches Bild entstehen, keine Widersprüche usw. – nicht zu viel Wildwuchs.

Wie schwierig das ist, kann ich mal kurz an den beiden Beispielen zeigen, die ich eben genannt habe. Im Marvel Cinematic Universe war die Serie Agents of S.H.I.E.L.D. anfangs relativ eng an die Kontinuität der Kinofilme angedockt.

Als in Captain America: Winter Soldier plötzlich enthüllt wird (SPOILER), das SHIELD von der bösen Organisation HYDRA unterwandert worden ist, war es tatsächlich so, dass zur gleichen Zeit als der Film ins Kino kam, die gleiche Plotwendung auch in der Serie ausgefochten wurde.

Das war aber sozusagen plotlogistisch gleichzeitig so komplex und anscheinend im Payoff trotzdem irgendwie nicht krass genug, dass es das letzte Mal war, dass die beiden Medien so eng zusammenarbeiten. Inzwischen existieren die Marvel-Kinofilme und die Marvel-Serien zwar immer noch nominell im gleichen Universum, was man vor allem daran sieht, dass gelegentlich Charaktere aus dem einen im anderen auftauchen, aber davon abgesehen erzählen sie eigentlich separate Geschichten.

Bei Star Wars ist es noch krasser. Hier wurde über drei Jahrzehnte ein sogenanntes “Expanded Universe” aus hunderten Büchern und Comics aufgebaut, in denen sich diverse Autoren über sehr lange fiktive Zeiträume auch austobten, aber als die neuen Kinofilme vor ein paar Jahren in den Startlöchern standen, entschied man sich bei der Produktionsfirma Lucasfilm, alles bisher Erschienene mit Ausnahme der Filme aus dem Kanon zu streichen und zu “Legenden” zu machen. Es wäre einfach zu komplex gewesen, und hätte den neuen Filmen keinen Raum mehr zum Atmen gelassen.

Dafür ist Star Wars jetzt aber ebenfalls ein ziemlicher Transmedia-König – die verschiedenen TV-Serien, Comics, Romane und natürlich die Filme sind eng aneinander angebunden und bieten eigentlich genau das, was Jenkins definiert.

Star Wars brauchte dafür aber diese Tabula Rasa, als 2015 die neuen Filme kamen. Magic hingegen, beziehungsweise das Unternehmen Wizards of the Coast, das das Spiel herstellt, hat über 25 Jahre immer wieder aufs Neue probiert, sein Transmedia Storytelling auf die Reihe zu kriegen.

Mark Rosewater, der seit vielen Jahren der Head Designer von Magic ist, betont immer wieder, wie wichtig Iteration für den Designprozess ist. Und das finde ich das Faszinierende daran. Wir können uns heute im Rückblick diesen iterativen Prozess anschauen und nachvollziehen, was sie versucht haben, wo sie gescheitert sind und was sie gelernt haben – bis sie heute, wie ich finde, an einem Punkt angekommen sind, wo es wirklich gut funktioniert.

Fangen wir mal damit an, wie man bei einem Kartenspiel überhaupt dazu kommt, eine Geschichte zu erzählen.

Als Magic entstand, hatte es eigentlich gar keine Geschichte, es hatte nur diese Spielidee von sich duellierenden Magiern, was aber ja eigentlich auch nur ein stimmungsvoller Anstrich für ein Regelkonzept ist. Aber es war auch nicht total generisch.

Also wenn wir uns eine typische Karte aus der Zeit anschauen – die hätte ja auch einfach nur “Elves” heißen können, aber es sind eben Llanowar Elves, offenbar eine sehr kriegerische Elfenart, das zeigt auch das Bild und dieser sogenannte “Flavor Text” in kursiv, der keine Regelbedeutung hat.

Solche Andeutungen von einer größeren Welt hinter den Karten gab es auf vielen Karten und irgendwann hat sich dann auch mal jemand hingesetzt und diese Andeutungen zu einer Welt und auch einer groben Geschichte zusammengesetzt.

Also es gab die Karten “Ankh of Mishra” und “Glasses of Urza”.

Und als die Erweiterung “Antiquities” designt wurde, entschieden die Designer das Urza und Mishra Brüder waren, die gegeneinander Krieg führten – und deuteten das dann wiederum im Flavor Text an.

Gleichzeitig hatte Magic, dieses neue Spielprinzip, aber auch kurzzeitig so etwas wie Mainstream-Erfolg und Wizards lizensierte die Magic-Marke an Verlage, die Bücher und Comics herausgaben. Die Autoren dachten sich aber wiederum eigene Geschichten aus, die höchstens mal einzelne Karten referenzierten. Ein Buch über den Krieg zwischen Urza und Mishra gab es zum Beispiel nicht.

Also: Transmedia Storytelling, Fehlanzeige

Die zweite Iteration beginnt Ende der 90er. Hier wurde parallel zum Set “Visions” eine Reihe von Charakteren eingeführt, die Besatzung eines fliegenden Schiffs namens “Weatherlight”, das fortan Abenteuer in Magics Multiversum erleben sollte.

Gleichzeitig wurde die Buchproduktion von Wizards of the Coast ins Haus zurückgeholt, und ab 1999 erschienen die Romane – geschrieben von freien Autoren – begleitend zu den Sets. Zum Teil sogar nachträglich – und es gab endlich einen Roman zum “Brother’s War”.

Allerdings waren die Produktionszyklen von Romanen und Karten so unterschiedlich und weiterhin so wenig aufeinander abgestimmt, dass sich irgendwie kein einheitliches Gefühl einstellen wollte.

Der damalige Kreativchef Brady Dommermuth fasste das mal so zusammen:

“Allgemein liefern die Karten die Welt, in der die Romane spielen, und die Romane liefern manchmal Charaktere, die auf Karten zu sehen sind. Aber Karten führen auch eigene Charaktere ein, die nicht in den Romanen auftauchen. Kurz gesagt arbeiten das Magic Kreativteam und die Romanautor*innen größtenteils parallel und informieren einander so viel wie möglich.”

“Wir informieren uns so gut es geht.” Klingt von einem Transmedia-Standpunkt eher nach “Er hat sich stets bemüht.” Und so sind wohl auch die meisten Romane aus dieser Zeit. Für Fans, die sich wirklich für die Geschichte interessieren, ist die Tatsache, dass das irgendwie nicht zusammen passt, ein endloser Grund für Frust.

Für die anderen ist es aber auch nicht besser: Die Charaktere tauchten ständig auf den Karten, in Bildern und Flavor Text auf, aber da man ja diese Karten zufällig bekommt und nicht in irgendeiner Art chronologisch spielt, muss man schon sehr stark auf die Suche gehen, um irgendwie einen Eindruck davon zu bekommen, was die Geschichte sein soll, die hier erzählt wird.

Dieses Parallelsystem war trotzdem ziemlich lange der Status Quo. Irgendwann aber hatte der eben schon erwähnte Brady Dommermuth die Idee, die im Endeffekt zur dritten Iteration führte: Was wir brauchen sind Figuren, die ein bisschen außerhalb des Spiels stehen, mit denen sich die Spieler identifizieren können.

Deswegen gab es 2007 erstmals sogenannte Planeswalker, ein völlig neuer Kartentyp mit Charakteren, die die Macht haben, zwischen den verschiedenen Welten, auf denen Magic spielt, hin und her zu wandern. Im Endeffekt wie die Spieler.

Doch obwohl es plötzlich diese durchaus auch populären Charaktere gab, gelang es Wizards einfach nicht, die Spieler für die parallel produzierten “Planeswalker Novels” zu begeistern, auch nicht für die Ebooks, die man dann stattdessen versuchte zu produzieren.

Deswegen versuchte man es schließlich 2015 noch einmal mit so einer Art Neustart und einer neuen Distributionsstrategie.

Man kombinierte ein Team aus beliebten jungen Planeswalkern, die bereits in den bisherigen Sets aufgetaucht waren, mit Kurzgeschichten, keinen ganzen Romanen, die In-House von Mitgliedern des Creative Teams geschrieben wurden.

Und diese Geschichten wurden kostenlos auf der Magic Website veröffentlicht. Und plötzlich wurden sie besser gelesen als je zuvor.

Auf den Karten wurden wiederum wurden nur noch wenige Schlüsselmomente aus den Geschichten abgebildet, die als “Story Spotlights” mit einem Symbol markiert sind. Unten rechts in der Ecke steht die URL mtgstory.com – auf dieser Website finden sich dann die Kurzgeschichten. Die restlichen Karten im Set schmücken wie bisher die Welt aus.

Diese Mischung schien endlich zu funktionieren.

  • Die Spieler kennen ihre Charaktere, weil sie mit ihnen spielten.
  • Wichtige Momente finden sich auf den Karten wieder und nicht so stark in die Story investierte Spieler bekommen dennoch einen groben Eindruck
  • Wer mehr erfahren will, kann niedrigschwellig und kostenlos im Internet genau erfahren, wie die Geschichte weitergeht
  • Weil der Geschichtsprozess Teil des Kartendesignprozesses ist, gehen die beiden Welten endlich Hand in Hand. Inzwischen funktioniert es sogar wieder mit externen Autoren ganz gut

Aber das beste ist – das hätte ich mir nicht mal träumen lassen können, als ich diesen Talk eingereicht habe – dass sich diese Iteration dieses Jahr so richtig auszahlt. Das aktuelle Set nämlich, das gerade erst dieses Wochenende erschienen ist, erzählt fast ausschließlich Geschichte – was nur mit dem momentanen Modell möglich ist.

“War of the Spark” ist jetzt dieses Wochenende erschienen und bildet den Abschluss eines zweijährigen Plotbogens. Eine Art Avengers: Infinity War” von Magic. Alle Planeswalker treffen sich auf einer Welt und kämpfen gegeneinander und gegen einen Oberbösewicht, den fiesen Drachenplaneswalker Nicol Bolas.

Anders als in anderen Sets steht hier nicht irgendeine spannende Welt im Hintergrund, die bestimmte EIgenschaften hat, sondern wirklich die Geschichte und die Figuren, die über Jahre etabliert wurden. Die Designer selbst nennen es ein “Event Set”.

Die Karten wurden in Story-Reihenfolge enthüllt. Die Story-Spotlights haben Akte. Und plötzlich solche Kommentare:

Zusätzlich zu den kostenlosen Geschichten gibt es auch wieder einen Roman, der kräftig beworben wird. Sie versuchen es also noch einmal, aber diesmal könnte es funktionieren, weil sich die Spieler tatsächlich für die Geschichte interessieren!

Das zeigt sich unter anderem daran, dass sogar einige professionelle Spieler – leider nicht Andrea Mengucci, das wäre ein zu schöner geschlossener Kreis gewesen, aber immerhin zum Beispiel Jon Finkel, einer der dekoriertesten Spieler aller Zeiten, die sich für’s gewinnen sonst natürlich nie für die Story interessieren, haben gesagt: Jetzt möchten sie doch mehr wissen.

Natürlich sind nicht alle zufrieden. Es gibt auch immer noch genug zu kritisieren. Das Buch zum Beispiel hat viel Plot und wenig Tiefe. Aber insgesamt kann das Ganze schon als Erfolg gewertet werden. Mit den Karten zu spielen fühlt sich wirklich an, als würde man Geschichte erleben.

Hätte man an diesem Punkt auch sofort mit Konzeption des Spiels angelangen können? Wahrscheinlich nicht, einfach weil die Medienlandschaft 1993, und selbst 2005 noch so anders aussah als heute.

Mal ganz abgesehen davon, dass es noch kein Internet gab. Auch genau diese Herangehensweise an Lizensierung aus den frühesten Iterationen war typisch für diese Zeit. Erst in den letzten Jahren ist es üblich geworden, so enge kreative Kontrolle auszuüben, weil man gemerkt hat, dass man so seinen Kunden ein einheitlicheres Erlebnis bieten kann – was sich nicht nur kreativ, sondern auch in Sachen Markenbindung und damit in ausgegebenem Geld auszahlt.

Das coole ist eben, dass man bei Magic diese Entwicklung so schön beobachten kann. Man beginnt mit Karten, die Hinweise auf eine größere Geschichte geben und damit ein Potenzial für Transmedia Storytelling sichtbar machen.

Dann probiert das Spiel in einer ersten Iteration ein Lizensierungsmodell, stellt aber fest, dass das nicht gut funktioniert.

Also holt man die Buchproduktion, jetzt mal repräsentativ für die tiefere Geschichte, ins Haus.

Dann wendet man sich wieder den Karten zu, und versucht, zusätzlich mehr Geschichte auf den Karten zu erzählen (tl;dr). Aber das funktioniert auch nicht. Was man braucht sind ANDERE Karten, die CHARAKTERE verkörpern.

Das funktioniert sehr gut bei den Karten, aber nun werden die Probleme des Romanformats noch deutlicher.

Deswegen löst kostenlose Webfiction sie ab.

Und weil da so gut funktioniert, kann man sich wieder dem Potenzial von “Geschichte auf den Karten” zuwenden und entwickelt die “Story Spotlights”.

Jetzt endlich ist alles verbunden. Charaktere, Geschichten und Karten passen zusammen

Und geben sogar die Sicherheit, in einem “Event Set” wieder zusätzlich einem Roman eine Chance zu geben.

Aber damit das möglich war, und sich das volle Potenzial entfalten konnte, das sich am Anfang nur erahnen ließ, brauchte es eben jede Menge Zwischenschritte, es brauchte regelmäßiges Scheitern, und den Willen, immer wieder neue Varianten zu versuchen.

Mit die wichtigste Ressource für die Entstehung dieses Talks waren die Artikel (1, 2, 3) “A Brief History of Magic Publishing” von Sam Keeper und eine Folge des “Vorthos Cast”.

Geschichten aus dem DDR-Alltag. Der Podcast “Mensch Mutta”

Das Leben von Katharinas Mutter findet nicht im Scheinwerferlicht der Geschichte statt, und es gibt kaum überraschende Plot-Twists. Die plötzlichen Kurven und Umschwünge in ihrem Leben meistert “Mutta” mit souveräner Gleichmütigkeit. Gerade das Gewöhnliche an diesem Leben habe sie fasziniert, sagt Katharina, und die Tatsache, dass trotzdem aus heutiger und auch aus westlicher Sicht kaum etwas Normales daran sei. So sind es auch weniger die großen dramaturgischen Bögen, die an “Mensch Mutta” begeistern, sondern die Details. Etwa, dass “Mutta” ihren Wunschberuf Kindergärtnerin nicht ausüben konnte, weil sie in der Schule ein einziges Mal aufgemuckt hatte.

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Stefan Raab, König der Proto-Memes

Stefan Raab und seine “Nippel” / Bild: Brainpool/Willi Weber

Es mag an meiner Filterblase liegen, aber Jan Böhmermann ist für mich einer der Moderatoren im deutschen Fernsehen, die das Internet am besten begriffen haben. Immer wieder produziert er für seine Sendung Neo Magazin Royal Clips und Ideen, die bewusst darauf ausgelegt scheinen, nach der Ausstrahlung im sozialen Netz viral zu gehen. Das reicht von Musikideen wie “Pol1z1stens0hn”oder “Be Deutsch” bis hin zu seinem Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Erdogan.

Im August 2018 ging dieser Clip um, der ganz deutlich zeigt, auf wessen Schultern Jan Böhmermann damit steht.

Das Video, das sich über den inzwischen legendären “Hutbürger” auf einer Pegida-Demo lustig macht, referenziert eins zu eins eine Aktion, die Stefan Raab in seiner Sendung TV Total 1999 zuerst zum Gesprächsstoff meines damaligen sozialen Netzwerks, des Schulhofs, machte und später sogar auf die Nummer Eins der deutschen Charts katapultierte. In “Maschen-Draht-Zaun” schnippelte sich Raab aus Clips der Sendung Richterin Barbara Salesch, in der eine beleibte sächsische Frau einen Grenzstreit austrug, einen Country-Song zusammen und drückte immer im entscheidenden Moment auf einem Buzzer, um einen der Clips abzuspielen.

Auf der Maxi-Single von “Maschen-Draht-Zaun” (die ich mir damals gekauft habe) gab es eine zusätzliche Strophe, in der nicht nur Maschendrahtzaun und Knallerbsenstrauch eine Rolle spielten, sondern auch diverse andere Fernsehclips die in Raabs Sendung berühmt geworden waren. Von Sonja Zietlow die “Ochsenpimmel” sagt, bis hin zu Fußballer Janusz Góra, der “Skandal!” ruft. Die Clips hatte Raab zuvor in seiner Sendung benutzt, weil sie unter den sogenannten “Nippeln” auf seinem Moderationstisch lagen. Diese “Nippel”, die Raab schon in seinem Vorgängerformat Ma Kuck’n auf Viva eingesetzt hatte, waren von Anfang an Teil des Sendungskonzepts.

Bevor TV Total eine viermal wöchentliche Late Night Talkshow mit Showtreppe und Ankündigungs-Plattform für Raabs größere Unternehmungen wurde, war die Sendung vor allem eine Clipshow. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchsuchten das Fernsehprogramm der vergangenen Wochen nach Ausschnitten, die komisch, peinlich oder sonst irgendwie bizarr waren, und Raab kommentierte und diskutierte sie in seiner Sendung. Die Figuren aus diesen Ausschnitten wurden so oft genug unfreiwillig zu Stars, etwa der Heizungsmonteur Dieter Bürgy, der in einem Werbespot für eine Reinigermarke mitgespielt hatte, oder eben die schon aufgeführte Regina Zindler, die einen Nachbarschaftsstreit bei Richterin Barbara Salesch schlichten lassen wollte.

Besonders beliebte Clips aus den zahlreichen Reality- und Talkshow-Formaten, die in der Sendung hochgenommen wurden, ließ sich Raab von seinem Produktionsteam auf Knöpfe auf seinem Pult legen (“Videosampler”). Weil sie unabhängig von jeder Sendungsregie eingespielt wurden, konnte er somit jederzeit alles andere unterbrechen und mit Hilfe der Knöpfe das Geschehen spontan kommentieren. Nicht wenige der Knöpfe wurden zu Running Gags, die in unterschiedlichen Kontexten immer wieder hervorgeholt werden konnten. Etwa ein Talkshowgast mit interessanter Frisur, der “Was, wer bist du denn?” sagt, oder auch nur besonders behämmert wirkende Lacher oder Gesichtsentgleisungen.

Schon nach kurzer Zeit begann die Sendung, die Nippelclips nicht mehr nur für sich stehen zu lassen. Sie wurden munter remixt und in neue Kontexte gesetzt. Moderator Ingo Dubinskis Schrittblitzer etwa führte nicht nur zu einem Lied namens “Der Puller von Dubinski”, sondern auch zu einem großen roten Knopf auf Raabs Pult, der, beim Drücken laut losdröhnte und “Puller-Alarm” verkündete. Als Rapper LL Cool J einige Wochen später in der Sendung auftrat, hatte dieser zuvor den “Puller-Alarm” mitbekommen und baute ihn zu Beginn seines Auftritts mit einem lauten Shout ein, was Raab wiederum dazu veranlasste, statt der bisherigen Alarmsirene LL Cool Js Auftritt unter den Knopf zu legen. (Ein Videospiel namens Pulleralarm gab es später auch noch.)

Kurz gesagt: Stefan Raab war ein höchst effektiver Produzent von Memes.

An dieser Stelle kommt in Artikeln wie diesem normalerweise der Verweis auf Richard Dawkins der einst das Mem als kleinste Gedankeneinheit analog zum Gen formulierte, aber ich pfeife auf Dawkins. Kein Mensch versteht unter “Meme” heutzutage mehr das, was Dawkins damals zu beschreiben versuchte. Heutzutage sind Memes vor allem teilbare Bildchen und GIFs, merkwürdige Stock Photos oder kurze Videoausschnitte aus Fernsehsendungen und YouTube-Videos, die eingesetzt werden, um Inhalte in sozialen Netzwerken zu kommentieren. Manche von ihnen sind uralt aber erstaunlich langlebig und stammen noch aus Prä-Web 2.0-Zeiten. Andere generieren sich laufend aus aktuellen Rundfunkübertragungen und verbrennen schnell wieder. Die Variablen “Alter” und “Nachhaltigkeit” lassen sich aber auch austauschen.

Das Entscheidende ist: es sind kurze, aus ihrem Originalkontext entfernte Ausschnitte, die in neue Zusammenhänge gesetzt oder leicht verändert werden, um Aussagen, Geschehnisse oder Zustände zu kommentieren. Meistens, um sich über Ereignisse oder Personen lustig zu machen. Nichts anderes hat Raab damals in TV Total gemacht, daher ist er für mich der (deutsche) König der Proto-Memes.

Heute mutieren besonders beliebte Meme-Inhalte per Autotune auf YouTube zu Musikstücken und werden immer wieder neu remixt und anders verdrahtet. Ähnliche Mechanismen hatte auch “Maschen-Draht-Zaun”, der aus einem ursprünglich einfach nur albernen Grenzstreit und der sächsischen Aussprache einer Fernsehpersönlichkeit zu einem Countrysong mit Hitstatus wurde. Raab regierte eine ganz bestimmte Ecke des Fernsehens bevor es das Internet gab, und insofern schließt sich ein logischer Kreis, wenn Jan Böhmermann, der heute diese gleiche Ecke des Internets regiert, mit seinem Lied seinem Vorbild huldigt.

Kritischer Tourismus

In meinen Social-Media-Timelines ist, passend zur Sommersaison, in den letzten Wochen mehrfach das Thema Tourismus aufgetaucht. Zum Beispiel in einer Rezension von Die Welt im Selfie von Michael Brake und auch in einem Artikel in “Time” über die Touristenflut in europäischen Städten. Dazu kommt der Instagram-Account “Insta Repeat”, der deutlich macht, wie austauschbar Urlaubsfotos von Menschen überall auf der Welt sind. In allen Artikeln wird die gleiche Frage vehandelt: Sind wir in unserem Tourismus zu oberflächlich? Inszenieren wir uns darin nur noch selbst an den Sehenswürdigkeiten der Erde? Sterben dadurch die authentischen Orte, die wir eigentlich besuchen wollen?

Ich habe dazu, wie meistens, keine kulturpessimistische Meinung. Ich glaube stark, dass diejenigen, die in Städten wie Venedig (das Standardbeispiel) noch irgendwelche Authentizität suchen, längst verloren haben. Das ist nicht ihre Schuld. Wenn ein Ort einmal erlebt hat, dass er für Touristen interessant sein kann, und bewusst versucht, Touristen dorthin zu locken, hat er seine Authentizität schon verloren. Er wird automatisch zu einem inszenierten Ort. Und beides geht nicht. Man kann nicht gleichzeitig “echt/unberührt” und “gut für Touristen geeignet” sein.

Wahrscheinlich gibt es eine Art Sweet Spot für Urlaubsorte, die soweit für Gäste erschlossen sind, dass diese dort nicht im Heuschober schlafen müssen, aber in denen gleichzeitig noch nicht jede Aktivität auf disee Gäste ausgerichtet ist. Das ist es vermutlich am ehesten, was diejenigen suchen, die sich lieber als traveller denn als tourists bezeichnen – um sich vom Pöbel abzuheben. Aber auch an diesen Orten ist die unmittelbare, wahrhaftige Erfahrung, das zeigt “Insta Repeat”, kaum individuell. Jemand anderes wird dort hinkommen, um die gleichen bemerkenswerten Fotos zu machen. Und: Man bleibt ein Gast, man bleibt in der Sondersituation des Besuchs.

Für mich haben sich im Urlaub ein paar andere Strategien herauskristallisiert, um mit der Inszenierung von Tourismus für Touristen meinen Frieden zu schließen.

Das eine ist, die Inszenierung lieben zu lernen. Ich finde an Urlaubsorten oft genau die Orte am spannendsten, die für Touristen konstruiert wurden. Ich vergleiche mit Themenparks wie Disneyland, inwiefern die örtlichen Tourismusbehörden von den besten gelernt haben. Wie ist die Besucherführung? Wie wird die Stadt, der Landstrich, die Idee verkauft? Welches Narrativ wird entwickelt? Was gibt es für Merchandising? Wenn ich diese Meta-Ebene mitdenke, anerkenne wenn sie gut gemacht ist und vielleicht zum Teil durchschaue, kann ich mir vielleicht Gedanken darüber machen, was nicht erwähnt und nicht verkauft wird – und warum das interessant ist.

Das andere ist aber, das authentische nicht im Urtümlichen zu suchen. Es gibt an fast allen Orten der Welt Authentizität, weil dort Menschen wohnen und arbeiten. Deren Leben ist authentisch. Das “Problem” ist, dass es unserem eigenen Leben vermutlich in vielen Dingen gleicht. Nicht nur, weil wir in einer globalisierten Welt leben, sondern auch, weil Menschen ähnliche Bedürfnisse haben. Damit erfüllt es natürlich nicht den Anspruch an Urlaub, uns etwas zu zeigen, was anders ist – aber das ist nur auf den ersten Blick so. Die authentischen Unterschiede stecken in den Details. Es kann so toll sein, in anderen Ländern in Supermärkte zu gehen (und die verrücktesten Limos zu probieren) oder sich die Menüs eines McDonald’s-Restaurants anzuschauen. Es ist auch einer der Gründe, warum ich so gerne im Ausland ins Kino gehe – es holt mich raus aus der unbekannten Inszenierung in eine bekannte Inszenierung, in der sich nur noch Details unterscheiden. Anhand dieser Details kann man dann aber gut überlegen, warum die Dinge sind, wie sie sind, und ob sie nicht auch anders sein könnten.

Diese zwei Komponenten: Die Inszenierung zu studieren statt sie zu verdammen, und die Authentizität im Alltag statt im Außergewöhnlichen zu suchen – das sind meine Strategien gegen die Gleichmacherei von Urlaubserlebnissen. Die heimliche dritte ist, mehrfach an die gleichen Orte zu reisen – was einem irgendwann erlaubt, gleichzeitig einen Außen- und einen Innenblick zu haben. Man kennt schon vieles, aber man sieht auch stärker, was sich verändert.

Ist das schon kritischer Tourismus? Keine Ahnung, aber ich bin bisher ganz zufrieden damit.